Zusammenfassung
von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.
Wir schreiben die Zeit nach der Apokalypse - die Dämonen haben die Herrschaft über die Welt an sich gerissen.
Nur ein unbeugsamer Streiter Gottes widersteht ihrer unheimlichen Macht - Reverend Pain, den man noch mehr fürchten sollte, als das Böse selbst!
Es war finster. Skelettartig reckten die Bäume und Sträucher ihre blattlosen Äste zum Himmel. Die Zweiggespinste filterten das Licht des Mondes, der fett und rund im Süden über den Hügeln stand, die an schlafende Ungeheuer aus grauer Vorzeit erinnerten. Auf dem Boden wechselten Licht und Schatten. Einige Wolken trieben am Himmel. Manchmal wurde der Mond verdunkelt. Dann wurde die Finsternis undurchdringlich und sie mutete stofflich und greifbar an. Fledermäuse zogen lautlos ihre Bahnen durch die Nacht auf der Suche nach Beute.
Zu einer Zeit, als die Menschen noch im Glauben gefestigt waren und sich auf dem rechten Weg befanden, war der Fluch ausgesprochen worden, zu einer Zeit, als die Mächte der Hölle zu schwach waren, um Fuß zu fassen auf der Erde. Jetzt war die Menschheit vom rechten Weg abgekommen. Der Fluch war gebrochen. Das Böse war erstarkt, und jetzt erwachte es zu unseligem Leben…
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Das Grauen im Moor: Reverend Pain 4: Priester der Apokalypse
- nach einer Idee von Steve Salomo -
von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.
Wir schreiben die Zeit nach der Apokalypse - die Dämonen haben die Herrschaft über die Welt an sich gerissen.
Nur ein unbeugsamer Streiter Gottes widersteht ihrer unheimlichen Macht - Reverend Pain, den man noch mehr fürchten sollte, als das Böse selbst!
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1
Es war finster. Skelettartig reckten die Bäume und Sträucher ihre blattlosen Äste zum Himmel. Die Zweiggespinste filterten das Licht des Mondes, der fett und rund im Süden über den Hügeln stand, die an schlafende Ungeheuer aus grauer Vorzeit erinnerten. Auf dem Boden wechselten Licht und Schatten. Einige Wolken trieben am Himmel. Manchmal wurde der Mond verdunkelt. Dann wurde die Finsternis undurchdringlich und sie mutete stofflich und greifbar an. Fledermäuse zogen lautlos ihre Bahnen durch die Nacht auf der Suche nach Beute.
Zu einer Zeit, als die Menschen noch im Glauben gefestigt waren und sich auf dem rechten Weg befanden, war der Fluch ausgesprochen worden, zu einer Zeit, als die Mächte der Hölle zu schwach waren, um Fuß zu fassen auf der Erde. Jetzt war die Menschheit vom rechten Weg abgekommen. Der Fluch war gebrochen. Das Böse war erstarkt, und jetzt erwachte es zu unseligem Leben…
Der alte Mann kniete am Boden und hatte die dünnen Arme zum Himmel gestreckt. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht wider. Die Furchen und Linien in seinem Gesicht waren tief und dunkel. »Die Zeit ist reif, Calem Rosborough. Die, die dich getötet haben, leben nicht mehr. Aber ihre Nachkommen. Sie wurden mit der Erbsünde geboren und an ihnen soll sich der Fluch vollziehen.«
Unheimliches Raunen und Wispern erfüllte die Luft. Es war November und ein kalter Wind strich über das Moor. Manchmal zogen Wolkenschatten über das Land.
Der Alte holte rasselnd Luft und begann wieder zu sprechen: »Erwache, Calem. Verlasse dein feuchtes Grab und lasse diese Nichtswürdigen büßen, was ihre Ahnen an dir verbrochen haben. Der Weg ist frei. Der Padre ist längst tot, die Kirche verfällt. Darum steh auf, Calem Rosborough, und erfülle den Fluch, den du ausgesprochen hast.«
Die Wasserlöcher zwischen den Sträuchern glitzerten tückisch. Flügelschlag war zu hören, ein Kauz schrie gespenstisch. Ein schriller Schrei, wie aus einer anderen Welt. Das Raunen und Wispern schien sich zu verstärken, verebbte ein wenig, schwoll wieder an. Es klang wie ein monotoner Choral, der aus weiter Ferne heranwehte. Plötzlich stieg weißer Nebel aus dem Boden und hüllte alles ein. Nebelschleier tanzten um John Rosborough herum, den Urenkel des Mannes, der vor vielen, vielen Jahren den furchtbaren Tod im Moor starb. Das Mond und Sternenlicht wurde regelrecht aufgesaugt. Ein eisiger Hauch schien John Rosborough zu streifen.
Er nahm aus der Holzkiste, die er mitgebracht hatte, einen zappelnden Hasen und packte ihn an den Ohren. Unter seiner zerschlissenen Jacke holte er ein Messer mit einer langen Klinge hervor. Sie funkelte matt. »Die Zeit ist gekommen. Das geweihte Kreuz ist verrottet. Blut, Calem Rosborough. Nimm es auf und lebe. Organus wird dir Leben einhauchen.«
John Rosborough schnitt dem Hasen die Kehle durch. Blut spritzte aus der durchtrennten Halsschlagader und traf die Stelle, an der vor fast zwei Menschenaltern Calem Rosborough im Moor versenkt wurde und kläglich starb. Das Tier zappelte wie von Sinnen, schlug mit den Läufen, plötzlich aber erschlaffte es. Der Boden warf dort, wo er von dem Blut berührt wurde, Blasen, als würde der Untergrund kochen. Das Blut versickerte. Eine ganze Zeit verging, in der John Rosborough leise und inbrünstig vor sich hinmurmelte. Seine Gebete galten nicht dem allmächtigen GOTT, sie waren an Organus, den grausamen Moordämon gerichtet. Den Hasen hielt er noch in der Hand, erst als das Tier ausgeblutet war, warf er es ins Moor. Klatschend schlug es auf dem Wasser auf und versank.
In der kleinen Stadt, die zwei Meilen entfernt zwischen den Hügeln eingebettet lag und in der die Menschen schliefen, begann die Kirchenglocke zu schlagen. Der alte Mesner, der als einziger noch im halb verfallenen Pfarrhaus wohnte, läutete sie bis Mitternacht alle halbe Stunde und morgens ab sechs Uhr wieder. Er wollte die Menschen, die vom wahren Glauben abgefallen waren, wachrütteln. Das Schlagen der Glocke sollte sie an Dinge erinnern, die bei ihnen längst in Vergessenheit geraten waren. Sie führten ein Leben ohne GOTT und ebneten dem Bösen den Weg. Das Läuten der Glocke sollte ihnen Mahnung und auch Warnung sein.
Höllische Dämonen hatten die Herrschaft auf der Erde übernommen. Die Gottesfürchtigen standen auf verlorenem Posten. Messen wurden nur noch im Verborgenen abgehalten, GOTT war aus den Herzen und aus dem Bewusstsein verbannt.
Die Glocke schlug zehnmal. Die getragenen Töne wehten über das Land und die wenigen, die GOTT, den HERRN, noch als ihren Hüter und Beschützer anerkannten, bekreuzigten sich und murmelten ein Gebet, baten um Schutz vor Gottlosigkeit und höllischen Einflüssen. Die Furcht, dass sich die Prophezeiung erfüllen könnte, hielt sie im Klammergriff.
Der Klang der Glocke drang in John Rosboroughs Bewusstsein. Es war, als erwachte er aus tiefem Schlaf. Er schaute sich um. Wo befand er sich? Wie kam er hierher? Er griff sich an den Kopf. Seine Gedanken überschlugen sich. Sein Blick wanderte in die Runde. Und ihm wurde klar, dass er sich mitten im Moor befand. Unstete Lichterscheinungen irritierten seine Augen. Irrlichter! John Rosborough dachte voll Beklemmung an Geister, an unerlöste Seelen, die hier im Moor ihr Unwesen trieben. Er merkte, wie er innerlich zu zittern begann.
Die gesichtslose Gestalt, die verschwunden gewesen war, stand plötzlich wieder neben ihm. »Sieh da.« Zum ersten Mal ließ die schattenhafte Erscheinung ihre Stimme erklingen. »Du hast den Bann gebrochen.«
John Rosborough versank wieder in der zwielichtigen Welt der Trance.
Eine große Blase stieg aus dem Moor. Sie wölbte sich auf und ihre glatte Außenhaut wurde vom Mondlicht versilbert. »Komm, Calem Rosborough!«, stieß John Rosborough mit heiserer Besessenheit in der Stimme hervor. »Die Zeit ist da, zu der du dich erheben musst. Organus erwartet deine Opfer. Du musst ihn gnädig stimmen. Der Fluch muss endlich vollzogen werden.«
Rosborough nahm nicht wahr, wie sich die schattenhafte Gestalt des Gesichtslosen in Nichts auflöste.
Die Außenhaut der Blase riss, sie platzte lautlos. Eine Gestalt erhob sich. Das Mondlicht fiel auf sie. Sie hatte einen Körper, der dem eines Menschen nicht unähnlich war. Arme, Beine, einen Torso, einen Kopf. Aber dieser Körper war nicht aus Fleisch und Muskeln. Er war aus Morast, in den die Knochen eingebettet waren und der von einer dünnen Haut überzogen war, die Adern waren feine Wurzeln, durch die schwarzes Blut floss, in dem Gesicht gab es nur den Mund und die Augen, die gelblich schillerten wie die Lichter eines Wolfs.
Schwarze Magie hatte die Kreatur zum Leben erweckt. Sie dehnte und reckte sich, riss den Mund auf, gab einen röhrenden Ton von sich, dann ertönte dumpf aus dem Maul des Scheusals: »Wer bist du?«
»Dein Urenkel John Rosborough.« Der Alte zitterte. Ihn fror es erbärmlich. Die Temperaturen schienen schlagartig gesunken zu sein. Er war gekommen, um Calem Rosborough von dem Bann zu erlösen, mit dem ihn einst der Padre belegt hatte. Das geschah, indem er ihm frisches Blut zuführte. Er hatte sich in einer Art Trance befunden. Höllische Mächte hatten ihn ins Moor geführt. Jetzt sah er die schreckliche Gestalt und fürchtete sich erbärmlich.
»Wie bist du hergekommen?«
»Ein Mann führte mich her – ein Mann ohne Gesicht. Er gebot mir, einen Hasen und ein Messer mitzubringen und den Hasen hier zu töten. Die Worte, die ich gesprochen habe, flüsterte mir jemand ein. Was habe ich getan?«
»Da hast getan, was du tun musstest. Mein Meister hat dir den Weg gezeigt. Das geweihte Kreuz, das mich im Moor bannte, ist verrottet. Du hast mir frisches Blut zugeführt. Nun kann ich endlich meinen Fluch vollziehen. Ich werde großes Unglück über die Nachkommen derer, die mich ins Moor warfen, bringen. Ihre Körper gehören Organus, ihre Seelen dem Satan.«
»Du hast Organus schon damals gedient.«
»Er war mein Gott. Ich habe ihm die Opfer zugeführt.«
»Und darum musstest du sterben.«
»Ja, weil ich meinem Gott diente. Der Padre, der damals in der Stadt wirkte, war zu stark für uns. Aber auch er konnte uns nicht vernichten.«
»Ich bin dein Diener, Calem Rosborough«, murmelte der alte John, den das Böse total vereinnahmt hatte und der dazu auserkoren war, Calem Rosborough von dem Bann zu befreien, mit dem ihn der Padre vor zig Jahren belegt hatte. Es war Vorhersehung. Er war von der Hölle dazu bestimmt, einen ihrer Vasallen zu unseligem Leben zu erwecken. Es stand im Buch des Lebens von John Rosborough. Das geweihte Kreuz, das der Padre an der Stelle versenkt hatte, an der Calem Rosborough im Moor ertrunken war, war verrottet. John Rosborough hatte das Scheusal mit Blut versorgt. Noch war es Tierblut. Bald sollte es Menschenblut sein.
»Ja, du wirst mir dienen. Bringe mir die Menschen. Byram Lavender hat damals den verdammten Padre unterstützt. Sie haben mich überlistet. Ihr Glaube war stark und für Organus war ich ein Versager, der seine Hilfe nicht verdient hatte.«
»Ich kenne die Nachkommen von Byram Lavender«, erklärte John Rosborough mit zitternder Stimme. »Sam Lavender und sein Sohn Ben.« Johns Herz schlug dumpf gegen die Rippen. Sein Hals war eng, als würde ihn eine unsichtbare Hand würgen. Es war wie ein Zwang gewesen, der ihn veranlasste, dem Mann, dessen Gesicht er nicht sehen konnte, zu folgen. Die dunkle, gesichtslose Gestalt bewegte sich lautlos, wie ein Schatten, und sie sprach nichts. John Rosborough dachte zuerst an einen Traum – einen schlechten Traum. Aber dann war er aus der Trance erwacht und hatte sich mitten im Moor befunden. Der Geruch von Fäulnis und Moder stieg ihm in die Nase. Er erschauerte.
»Du wirst sie mir bringen und ich werde sie in das Reich von Organus entführen. Ich muss meine Ehre retten. Ich will, dass mich Organus anerkennt. Er soll seine Meinung über mich revidieren müssen.«
»Ich werde tun, was du verlangst - Urgroßvater.«
Die Gestalt aus Knochen, Schlamm und Wurzeln versank vor den Augen John Rosboroughs wieder im Moor. Eine Pfütze bildete sich dort, wo sie untergegangen war. John Rosborough war voll gespaltener Gefühle. Er schloss die Augen, sammelte sich, öffnete sie wieder. Die Umgebung blieb. Er lag auf den Knien. Du hast schlafgewandelt, redete er sich ein. Das alles ist nur ein böser Traum. Er starrte auf das Messer in seiner Hand. Die Klinge war dunkel vom Blut. Wieder rann ihm ein eisiger Schauer über den Rücken hinunter. Was war Wahrheit, was Traum?
John Rosborough schaute sich um wie ein Erwachender. Ein Laut, der sich anhörte wie trockenes Schluchzen, entrang sich ihm. Da waren wieder die Irrlichter und die tückisch schillernden Wasserlöcher. Die Büsche zwischen den Bäumen täuschten huschende Gestalten vor. Das geheimnisvolle Wispern, Flüstern und Raunen drang auf den alten Mann ein und drohte ihm den Verstand zu rauben. Er erhob sich. Seine Knie waren weich. Angeekelt warf er das Messer von sich. Irgendwo in der Finsternis knackte ein dürrer Zweig. John Rosborough fühlte sich von tausend Augen beobachtet. Mit einem zitternden Atemzug des lähmenden Entsetzens setzte er sich in Bewegung. Der Boden war weich. Äste griffen nach ihm, als wollten sie ihn festhalten. Zweige streiften sein Gesicht. Unter seinen Füßen schmatzte und gurgelte es. Die Kälte war jetzt nicht nur mehr äußerlich. Sie kam tief aus seinem Innern.
Plötzlich fuhr er zusammen. Sein Herzschlag drohte auszusetzen, als eine dröhnende Stimme erklang: »Du bist mein Diener, John Rosborough.« Ein schauerliches Lachen folgte. »Und damit bist du auch der Diener von Organus, dem allmächtigen Dämon des Moores. Du hast keine Wahl. Dein Herz und dein Verstand sind bereits vergiftet. Gehorche, und es wird dir gut ergehen auf Erden. Wenn nicht…«
Die Stimme verstummte. Wieder erklang das schreckliche Lachen.
Die Saat des Bösen war auf fruchtbaren Boden gefallen. John Rosborough war längst vom wahren Glauben abgefallen. Er war im Grunde seines Herzens schlecht. In ihm lebte das Böse, das vor über hundert Jahren von Calem Rosborough praktiziert wurde, fort. Bis heute hatten sich Gut und Schlecht noch die Waage gehalten bei ihm. An diesem Tag jedoch war die Entscheidung gefallen. Das Böse hatte gesiegt – der Einfluss der Hölle hatte es siegen lassen.
John Rosborough begann zu laufen. Wie von Furien gehetzt rannte er durch das Moor…
2
Sam Lavender hackte Holz. Die Ölvorräte auf der Welt waren nahezu versiegt. Ebenso verhielt es sich mit dem Gas. Die Vorkommen gingen zur Neige. Die Preise für Öl und Gas waren ins Unermessliche gestiegen. Solarenergie reichte nicht aus, um im eisigkalten Winter für ausreichend Wärme im Haus zu sorgen. Die Menschen hatten sich wieder Öfen in ihre Häuser gestellt oder Kamine gebaut und gingen in den Wald, um für Brennmaterial zu sorgen. Dreißig Kubikmeter Holz hatte Sam Lavender geschlagen. Ein befreundeter Bauer hatte mit seiner Zugmaschine die Stämme zu seinem Haus transportiert. Sam Lavender hatte sie gesägt, und nun spaltete er die Holzklötze mit einer schweren Axt.
Der Neunundvierzigjährige arbeitete kraftvoll und ausdauernd. Stella, seine Frau, schlichtete das Holz auf. Ben, sein dreiundzwanzigjähriger Sohn, sollte bei der Arbeit helfen, doch vorher sollte der Bursche in der Stadt einige Besorgungen zu erledigen. Allerdings hätte er längst zurück sein müssen.
Es war kalt. Der Tag war diesig. Es ging auf den Abend zu. Aus dem Wald, der die Stadt umschloss, stieg Nebel. Er sah aus wie weißer Rauch. Die trockenen Axtschläge waren weithin zu hören. Immer wieder fuhr das scharfe Blatt der Axt in ein wuchtiges Stück Holz und ließ es auseinanderplatzen. Die Hälften kippten zur Seite und fielen zu Boden.
»Wo der Junge nur bleibt«, sagte Sam Lavender und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Obwohl des kalt war, schwitzte er. Die graumelierten Haare fielen ihm in die erhitzte Stirn.
»Vielleicht hat er Freunde getroffen«, antwortete Stella und legte ein großes Scheit auf den Holzstoß. Sie war siebenundvierzig Jahre alt und ihr Gesicht konnte man als verhärmt bezeichnen. Ein herber Zug hatte sich in ihren Mundwinkeln festgesetzt. Sie war vorzeitig gealtert. Mit dreiundzwanzig hatte sie geheiratet, dann kam Ben. In der kleinen Stadt gab es kaum Arbeit. Die meisten der Männer waren arbeitslos. Entweder man blieb und führte ein Leben in Armut, oder man verließ den Ort und ging in eine der großen Städte, die weit, weit entfernt waren. Man behalf sich selbst, die Menschen waren zu Selbstversorgern geworden. Viehzucht, Ackerbau, Gemüseanbau, Obst… Die Zeit war in dem kleinen Ort stehen geblieben.
Ein Mann kam die Straße entlang. Ein alter Mann mit weißen Haaren, die bis in seinen Nacken reichten. Der Blick seiner grauen Augen war stechend. Seine Mundwinkel waren nach unten gebogen. Eine große Hakennase sprang aus dem eingefallenen Gesicht hervor, die Haut mutete an wie altes Pergament.
Er legte beide Hände auf den hüfthohen Zaun, der das Grundstück der Lavenders zur Straße hin abgrenzte. »Hallo, Sam. Fleißig bei der Arbeit?«
»Tja, wenn man für den Winter gerüstet sein will, muss man ranklotzen, John. Du kommst aus der Stadt. Hast du vielleicht irgendwo meinen Jungen gesehen? Der Lümmel sollte mir helfen, Holz zu hacken und aufzuschlichten.«
»Ja, ich habe deinen Jungen gesehen. Er ist mit seinem Fahrrad in Richtung Moor gefahren.«
»Was? Großer Gott, was will er dort? Aaah, ich weiß es schon. Er trifft sich wieder mit Susan. Natürlich. Die beiden nutzen jede Gelegenheit aus, um sich zu sehen.« Sam Lavender zuckte mit den Schultern. »Ich habe nichts gegen Susan. Ihre Eltern sind anständige Leute. Außerdem sind die beiden alt genug.«
Ihm entging das tückische Schillern in den Augen von John Rosborough. »Das Moor ist gefährlich. Schon so mancher, der sich dort verirrte, ist nicht mehr zurückgekehrt.«
»Wegen Ben brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Er kennt sich aus. Ich denke, er ist zu der alten Hütte gefahren. Sie befindet sich am Rand des Moores.«
John Rosborough grinste. »Das Moor fordert immer wieder seinen Tribut. Vielleicht bricht die Zeit wieder an…«
Rosborough ging weiter. Seine Schritte waren schlurfend, seine hagere Gestalt war gebeugt. Sam Lavender schaute ihm hinterher. In seinem von der körperlichen Arbeit geröteten Gesicht arbeitete es.
»Was meinte er?«, fragte Stella Lavender und legte einige Scheite in ihren abgewinkelten Arm. Ächzend richtete sie sich auf. Ihr Rücken schmerzte. Sie verzog das Gesicht.
»Ich weiß es nicht genau. Aber er spielte wohl auf die alte Geschichte an.«
Stella Lavender schaute plötzlich sorgenvoll drein. »Sprich nicht drüber, Mann. Der Padre und einige andere Männer haben das Böse damals im Moor gebannt.« Ihre Stimme sank herab. »Man darf es nicht erwähnen. Es soll in Vergessenheit geraten. GOTT gebe den Menschen, die dem Schrecken damals zum Opfer fielen, die ewige Ruhe…« Stella schlug das Kreuzzeichen.
»Der Bann ist nicht von Dauer«, murmelte Sam Lavender. Er strich sich mit Daumen und Zeigefinger seiner Linken über das Kinn. »Sie haben den Urgroßvater von John Rosborough damals gelyncht. Er war angeblich ein Massenmörder, der seine Opfer im Moor versenkt hat. An der Stelle, an der er im Moor ertränkt wurde, versenkte der Padre ein geweihtes Kreuz. Aber das Kreuz hat sich sicher längst aufgelöst. Und damit soll, so die Legende, auch der Bann gebrochen sein.«
»So wird es erzählt«, murmelte Stella. »Gebe der HERR, dass es niemals so weit kommt.«
Sam Lavender stellte ein Stück gesägtes Holz auf den Hackklotz, nahm die Axt in beide Hände und hob sie über seinen Kopf. Dann sauste die Axt mit Wucht nach unten - ein trockener Schlag…
Das Ehepaar arbeitete, bis die Dunkelheit kam. Dann half Sam seiner Frau, die letzten Scheite aufzuschlichten. »Der Saukerl kann heute was erleben, wenn er heimkommt«, versprach er grimmig. Sein Blick wanderte in die Richtung, in der das Moor lag. Die Sorge in seinen Augen strafte seine Worte Lügen. Auf Ben war normalerweise Verlass. Und Sam Lavender machte sich Gedanken, warum der Junge nicht längst zu Hause war.
Er und Stella gingen ins Haus. In der Wohnstube war es ziemlich finster. Sam machte Licht. Das Wohnzimmer war ärmlich eingerichtet. Die Möbel, die hier standen, waren über zwanzig Jahre alt und noch älter, es handelte sich zum Teil um Erbstücke, so manches Schränkchen hatte Sam selbst zusammengeschraubt und angestrichen. Das eine oder andere Stück stammte vom Sperrmüll.
Stella ging in die Küche. Sam begab sich ins Badezimmer, um sich die Hände und das Gesicht zu waschen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass Nebel aufkam. Auch die Dämmerung schritt fort.
Wo blieb Ben? Die brennende Frage bohrte sich in sein Bewusstsein und beunruhigte ihn. Die Menschen in der Gegend lebten in ständiger Angst. Die Legende erzählte von dem Fluch, den der ertrinkende Calem Rosborough ausstieß – von dem Fluch und seinem Racheschwur.
Sam Lavender verließ noch einmal das Haus. Die Sicht reichte gerade hundert Meter. Die Welt war grau in grau. Die Sorge um Ben wurde in dem Neunundvierzigjährigen übermächtig. Er ging in den Schuppen und nahm eine Laterne, füllte sie mit Petroleum und kehrte noch einmal ins Haus zurück, um Stella Bescheid zu sagen, dass er nach Ben sehen wollte.
»Gib auf dich Acht«, mahnte Stella ängstlich. »Und geh nicht ins Moor. Es ist zu gefährlich.« Auch sie war voll Sorge wegen des Ausbleibens ihres Sohnes. Und nachdem ihnen John Rosborough erzählt hatte, dass er Ben in Richtung Moor fahren sah, hatte sich die Sorge verstärkt. Irgendwie spürte sie das Unheil tief in der Seele.
Sam Lavender zündete die Laterne an. Sie schaukelte leise quietschend am Drahtbügel. Licht- und Schattenreflexe huschten über den Boden. Der Nebel schien das Licht zu schlucken. Unter den derben Schuhen des Mannes knirschte feiner Sand. Büsche wuchsen neben dem Weg. Es waren nur zwei Fahrspuren, zwischen denen Gras und Unkraut wuchs. Die Stille, die Sam Lavender umgab, war erdrückend. Es war, als hielte die Natur den Atem an. Der Weg führte zwischen alte Baumstämme. Der Geruch von Moder kam Sam Lavender entgegen und stieg ihm in die Nase. Er hob den Blick. Über ihm verschwanden die Wipfel der Bäume im undurchdringlich anmutenden Grau. Ein schriller Schrei erklang und versank wieder in der lastenden Stille. Sam Lavender war es unbehaglich zumute.
»Ben!« Der besorgte Mann schrie den Namen laut, seine Stimme entfernte sich von ihm, das Echo antwortete verschwommen, dann war es wieder still. »Ben, kannst du mich hören?«
Die Worte verhallten.
Sam Lavender ging weiter. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Seine Augen waren in ständiger Bewegung. Er war kein ängstlicher Mann. Jetzt aber war ihm mulmig zumute. Er leckte sich über die trockenen Lippen.
»Ben!«
Gespenstisch hallten die drei Buchstaben wieder, als würde sie der Wald zurückschleudern.
Im Wald war es schon finster. Zwischen den Bäumen waberten Nebelschwaden. Ein dicker Teppich aus abgestorbenen Nadeln dämpfte die Schritte des Mannes. Immer wieder rief er den Namen seines Sohnes. Dann schälte sich die alte Hütte aus der Dunkelheit. Niemand wusste, wer sie einmal baute und wozu sie diente. Windschief und dem Verfall preisgegeben stand sie da. Das Fenster war eine leere Höhlung. Es gab keine Tür. An der Wand neben dem Eingang war eine Bank. Sie war aus groben Brettern zusammengezimmert.
»Ben!«
Sam Lavender leuchtete in die Hütte. Und erschrak. Da saß John Rosborough auf einem Stuhl und lächelte teuflisch. »Willkommen, Sam. Sieht so aus, als hätte sich dein Junge im Moor verirrt. Ich will dir helfen, ihn zu suchen.«
Lavender war vor Schreck das Herz fast in die Hose gerutscht. Sein Atem ging schneller, sein Puls jagte das Blut durch seinen Körper, wie Fieber durchrann es ihn. »Du, John?«, keuchte er.
»Die Zeit ist gekommen, Sam. Der Bann ist gebrochen. Gehen wir. Ich begleite dich.«
»Wohin?«
»Wir suchen deinen Sohn. Du hast doch nichts dagegen, dass ich dir helfe?«
»Du mutest mich so seltsam an, John. Was ist los mit dir? Was meinst du, wenn du sagst die Zeit sei gekommen? Du machst mir Angst, John.«
»Gehen wir. Du wirst die Wahrheit erfahren.« John Rosborough erhob sich. Seine Augen glitzerten wie Glasstücke. Sie drückten Besessenheit aus. Und sie hypnotisierten Sam Lavender geradezu. Wie von Schnüren gezogen schritt er hinter John Rosborough her, der sich mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegte. Der Wald wurde lichter. Nackte Stämme, hüfthohes Farn, umgestürzte Bäume, große Pfützen, skelettartige Büsche – das war das Moor, das seit zig Jahren keines Menschen Fuß mehr betreten hatte. Die Geschichten und Legenden, die sich um dieses gefährliche Gebiet rankten, ließen die Menschen einen weiten Bogen drum herum machen.
Während im Wald absolute Stille herrschte, war hier wieder jenes geheimnisvolle und gespenstische Raunen, Flüstern und Wispern zu vernehmen. Es war, als meldeten sich die alten, längst verklungenen Stimmen dieses verwunschenen Stück Landes.
Sie gingen fast eine Stunde. Plötzlich hielt John Rosborough an und drehte sich um. »Wir sind da.«
Sam Lavender erwachte aus der Hypnose. »Wo sind wir? Wo ist Ben? Was machen wir hier?«
»Der Fluch beginnt sich zu vollziehen, jener Fluch, den Calem Rosborough über die Lavenders und andere Familien verhängt hat. Dein Urgroßvater hat Calem Rosborough zusammen mit dem Padre und einigen anderen Verfluchten ermordet. Calem Rosborough ist bei Organus in Ungnade gefallen. Ich -« John Rosborough tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust, »- habe Calem Rosborough wieder zum Leben erweckt. Mit deinem Blut wird er jene zum Leben erwecken, die er einst Organus opferte. Er ist ihr Herr und Meister, und gemeinsam werden sie Organus dienen.«
Die Angst kam bei Sam Lavender in heißen, rasenden Wogen, er schluckte, sie schnürte ihm den Hals zu, der Magen zog sich ihm zusammen. Die Umgebung, das teuflische Grinsen im zerfurchten Gesicht John Rosboroughs, das geheimnisvolle Wispern rundum – das alles sagte ihm, dass dies kein schlechter Traum war.
»Was ist in dich gefahren, John?«
»Ich bin das Handwerkszeug. Calem Rosborough lebt. Stirb, Lavender. Stirb, damit Calem Rosborough seiner Berufung gerecht werden kann.«
Er riss ein Messer unter dem Umhang hervor, den er trug und griff Sam Lavender an. Und dieser hatte begriffen, dass dies kein schlechter Scherz war. Er schlug mit der Laterne nach dem Angreifer und fegte ihn zur Seite. Der Stoß mit dem Messer ging ins Leere. Aber die Lampe verlöschte. Die Dunkelheit schlug über Sam Lavender zusammen. Er warf sich herum, um zu fliehen. Zweige peitschten sein Gesicht, Äste zerrten an seiner Jacke. Der Untergrund war weich, Wasser platschte. Sam Lavender stolperte und stürzte. Er dachte in diesen Sekunden nicht an seinen Sohn. Er dachte überhaupt nichts. Todesangst beherrschte sein Bewusstsein. Das Grauen riss ihn hoch. Geduckt stand er da und hörte den keuchenden Atem seines Verfolgers. Er rannte weiter.
»Du entkommst uns nicht!«, hechelte John Rosborough. Ein dürrer Ast zerbrach mit einem trockenen Krachen unter seinem Schritt. Das Böse hatte sich vollends seiner bemächtigt. Höllische Mächte hatten ihn zu ihrem Werkzeug gemacht.
Er sprach in der Mehrzahl und meinte sich und seinen dämonischen Urgroßvater. Dieser wollte sich einen adäquaten Platz im Reich der Finsternis, in der Zwischenwelt der Dämonen und Geister, der Vampire und Werwölfe und der anderen Kreaturen der Hölle erobern. Und deshalb wollte er Organus gnädig stimmen.
Plötzlich schien etwas Sam Lavender festzuhalten. Er wollte den rechten Fuß heben – es gelang ihm nicht. Es war das Moor, das ihn festhielt. Er war eingebrochen, und nun sank er schnell ein. Ein Ton der Panik kämpfte sich in ihm hoch und erstickte in seiner Kehle.
Und dann sah er den Schemen, der sich aus der Dunkelheit schälte. Er nahm Kontur an – es war John Rosborough. Er kicherte faunisch. »Ich habe es dir doch gesagt, Sam. Du entkommst uns nicht. Du wirst mit deinem Blut für Leben sorgen.«
Er setzte Sam Lavender das Messer an den Hals. Lavender verspürte einen furchtbaren Schmerz, der bis unter seiner Schädeldecke zuckte, dann sprudelte sein Blut aus der klaffenden Wunde, die ihm John Rosborough zugefügt hatte. Der Schrei, der in ihm hochstieg, brach nur als verlöschendes Gurgeln aus seiner Kehle. Er verspürte Schwindelgefühl, und dann wurde es schwarz vor seinen Augen. Er brach zusammen. Sein Blut versickerte im Moor. Und der Körper versank langsam, verschwand, der Boden glättete sich wieder und nichts mehr deutete darauf hin, dass hier Sam Lavender seine letzte Ruhe gefunden hatte.
3
Ben Lavender erwachte. Im Zimmer war es dunkel. Das Fenster zeichnete sich hell und rechteckig ab. Der Mond stand am Himmel. Der junge Mann versuchte sich zu erinnern. Er war mit seinem Fahrrad unterwegs gewesen, weil er im Kaufladen einige Dinge besorgen sollte, die ihm seine Mutter aufgeschrieben hatte. Danach wollte er sich noch kurz mit Susan Carter treffen, und dann wollte er nach Hause fahren, um seinem Vater zu helfen und die Mutter zu entlasten.
Plötzlich war aus einer Seitenstraße ein Auto gekommen. Er konnte nicht mehr bremsen, flog durch die Luft – und dann war sein Denken gerissen.
Ben ahnte, dass er im Krankenhaus lag. Im Raum befand sein ein weiterer Mensch. Der junge Mann hörte die gleichmäßigen Atemzüge. Ben spürte Kopfschmerzen. In seinen Ohren rauschte das Blut. Wie lange lag er schon hier? War er schwer verletzt? Wussten seine Eltern Bescheid?
Seine Augen gewöhnten sich an die schlechten Lichtverhältnisse. Das andere Bett stand an der Wand, in der sich die Tür befand. Das weiße Bettzeug leuchtete in der Dunkelheit. Ben stellte fest, dass in seine Nase ein Schlauch eingeführt war. In seinem Handrücken steckte eine Kanüle, an die ein Tropf angeschlossen war. Wahrscheinlich ein den Kreislauf stabilisierendes Mittel.
»He!«, rief er, und das Sprechen strengte ihn an.
Derjenige, der im anderen Bett lag, brummte etwas vor sich hin und drehte sich um. Das Bett knarzte.
»He, hörst du mich?«
Bettzeug raschelte, dann erklang eine schlaftrunkene Stimme: »Es ist mitten in der Nacht. Wenn du was brauchst, dann drück den Knopf, der die Nachtschwester alarmiert.«
»Ich kenne mich nicht aus.«
Wieder ertönte ein ungeduldiges Brummen. Dann ging Licht an. »Du bist also aufgewacht, Ben.«
»Du bist's, Larry. Wo bin ich?«
»Na, wo schon? Im Krankenhaus natürlich. Sie haben dich heute Nachmittag eingeliefert. Ein Auto hat dich über den Haufen gefahren. Du warst besinnungslos. Hast Glück gehabt. Zunächst bestand der Verdacht, dass du einen Schädelbruch davongetragen hast. Aber das hat sich nicht bestätigt.«
»Was ist mit dir los, Larry?«
»Blinddarm. Ich werde morgen schon wieder entlassen.«
»Hat man meinen Eltern Bescheid gesagt?«
»Keine Ahnung. Ich rufe die Nachtschwester. Sie wird dir deine Fragen beantworten.«
Wenig später kam die Nachtschwester. Es war eine rundliche Frau um die fünfzig mit einem gutmütigen Gesicht. »Es ist nur eine Platzwunde, Ben Lavender«, sagte sie, »und eine leichte Gehirnerschütterung. Du warst bewusstlos. Die letzten sechs Stunden hast du geschlafen. Ja, deine Mutter wurde verständigt. Dein Vater hat dich im Moor gesucht. John Rosborough hat dich angeblich in Richtung Moor fahren sehen.«
»So ein Blödsinn. Der Alte muss etwas an den Augen haben. Was soll ich im Moor?«
»Du kannst morgen nach Hause gehen, Ben.«
»Wer war der Autofahrer?«
»Er ist abgehauen. Niemand weiß, wer er war.«
Am folgenden Tag wurde Ben Lavender entlassen. Sein Fahrrad war kaputt. Er ging zu Fuß nach Hause. Sein Schädel schmerzte, er trug einen Verband, der an eine weiße Mütze erinnerte. Als Ben zu Hause ankam, traf er seine Mutter. Sie war allein.
»Dein Vater ist ins Moor gegangen, um dich zu suchen. Er ist nicht nach Hause zurückgekehrt. Ich habe Angst, Ben, dass ihm etwas zugestoßen ist.«
Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Sie schien über Nacht um einige Jahre gealtert zu sein. Mit fahriger Geste strich sie sich über das Gesicht.
»Ich werde ins Moor gehen und ihn suchen«, versprach Ben.
»Nein.« Stella schüttelte den Kopf. »Wir warten noch. vielleicht hat er sich nur verlaufen und den Tag abgewartet. Wie fühlst du dich, Ben? Kannst du Holz hacken?«
»Sicher.«
Der junge Mann ging hinaus und schnappte sich die Axt.
Motorengeräusch erklang. Dann rollte ein Mann auf einem Motorrad heran. Ben ließ die Axt wieder sinken. Der Motorradfahrer hielt an. Er erregte die Aufmerksamkeit des jungen Mannes. Nun stieg er ab und bockte die Maschine auf. Es war eine Harley Davidson, wie sie zum Beginn des Jahrhunderts noch gebaut worden war.
Der Mann war groß und breitschultrig. Seine blonden Haare waren militärisch kurz geschnitten. Er war in schwarzes Leder gekleidet, ein langer, schwarzer Ledermantel fiel hinab zu den schweren Motorrad-Stiefeln. Er trug ein schwarzes Hemd mit einem weißen Kragen, vor seiner Brust hing ein silbernes Kruzifix. Das Gesicht des Mannes war hart und unrasiert, strahlte tiefen Ernst aus und seine Augen lagen in tiefen Höhlen.
Quer über die Brust spannte sich eine Art Waffengurt, angespitzte Eichenpflöcke waren in Lederschlaufen aufgereiht. Auf dem Rücken des Mannes hing ein Lasergewehr.
Er ging in den Hof. Drei Schritte vor Ben blieb er stehen. »Mein Name ist Pain. Ich bin Reverend. Hast du einen Schluck Wasser für mich übrig, mein Sohn? Ich habe nämlich Durst.«
In der Haustür erschien Stella Lavender. Sie hatte die letzten Worte des Reverends gehört. »Kommen Sie herein, Reverend. Ich werde Sie bewirten.«
»Der HERR wird es dir vergelten, meine Tochter.«
Obwohl der Reverend höchsten Mitte dreißig war, sprach er die Frau, die mindestens zwölf Jahre älter war als er, mit >meine Tochter< an.
Er war ein Wanderer im Namen GOTTES, der sich den Mächten des Schreckens stellte, wo immer er sie antraf, nachdem Dämonenhorden die Städte der vom Glauben Abgefallenen überrannt und die Erde in Besitz genommen hatten, seit Satan regierte und seine Schergen die Menschheit versklavten.
Der Reverend ging ins Haus. Stella bot ihm Platz an, und er ließ sich nieder. »Du siehst so besorgt aus, meine Tochter. Ist es wegen der Verletzungen deines Sohnes? Hatte er einen Unfall?«
Stella füllte ein Glas Wasser und stellte es vor den Reverend hin. »Wenn Sie sollen, Reverend, können Sie zum Mittagessen bleiben. Es gibt zwar nur Gemüse, aber…«
Sie hob die Schultern.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Es ist wegen meines Mannes. Er ist gestern Abend ins Moor gegangen und nicht wieder zurückgekehrt. Noch hoffe ich, dass er sich nur verlaufen hat und bis Mittag wieder auftaucht.«
»Was hatte er denn im Moor zu suchen?«
»Er hat Ben, unseren Sohn, gesucht.«