Zusammenfassung
Captain Kenneth Withaker stürmte an der Spitze seiner Männer. Furchtlos und unerschrocken. Es war wie ein Rausch, der ihn den Hang hinauftrieb und gegen das tödliche Feuer des Gegners anrennen ließ. Doch das Schicksal raste. Der Captain verspürte einen knallharten Schlag gegen die rechte Seite, dann versank die Welt um ihn herum. Den Aufschlag am Boden spürte er schon nicht mehr. Die nachfolgenden Männer seiner Einheit sprangen über ihn hinweg. Sein Blut versickerte im weichen Waldboden...
Als der Tag zu Ende ging, war die Schlacht für die Konföderierten verloren. Sie rückten ab. Die Sanitäter der Blauröcke fanden Kenneth und brachten ihn ins Feldlazarett. Er war dem Tod näher als dem Leben. Ein Feldscher operierte ihn. Dann kam er in ein großes Zelt, in dem schon viele Männer auf Feldbetten lagen, das voll war vom Wimmern, Stöhnen und Jammern der Verwundeten und Sterbenden. Bewaffnete patrouillierten auf und ab.
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Männer im Fegefeuer: Pete Hackett Western Edition 98
Western von Pete Hackett
Über den Autor
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Es war am 3. Juli 1863.
Captain Kenneth Withaker stürmte an der Spitze seiner Männer. Furchtlos und unerschrocken. Es war wie ein Rausch, der ihn den Hang hinauftrieb und gegen das tödliche Feuer des Gegners anrennen ließ. Doch das Schicksal raste. Der Captain verspürte einen knallharten Schlag gegen die rechte Seite, dann versank die Welt um ihn herum. Den Aufschlag am Boden spürte er schon nicht mehr. Die nachfolgenden Männer seiner Einheit sprangen über ihn hinweg. Sein Blut versickerte im weichen Waldboden...
Als der Tag zu Ende ging, war die Schlacht für die Konföderierten verloren. Sie rückten ab. Die Sanitäter der Blauröcke fanden Kenneth und brachten ihn ins Feldlazarett. Er war dem Tod näher als dem Leben. Ein Feldscher operierte ihn. Dann kam er in ein großes Zelt, in dem schon viele Männer auf Feldbetten lagen, das voll war vom Wimmern, Stöhnen und Jammern der Verwundeten und Sterbenden. Bewaffnete patrouillierten auf und ab.
„Wie soll es weitergehen?“, fragte Kenneth einen der Sanitätsoffiziere, als er aus der Ohnmacht erwachte und die grauenvolle Erinnerung einsetzte. Er befand sich in der Gewalt des Feindes. In seiner rechten Seite wühlte furchtbarer Schmerz. Kenneth fühlte sich schwach und elend. Er stemmte sich verzweifelt gegen die Nebel der Benommenheit, die gegen sein Bewusstsein anbrandeten. Das alles empfand er alptraumhaft und schrecklich.
„Du bist Kriegsgefangener, Rebell. Gefangener der glorreichen Armee des Nordens. Eigentlich aber bist du ein Glückspilz. Denn für dich ist dieser verdammte Krieg zu Ende.“ Der Lieutenant grinste kalt und überheblich. „Nun, wie soll es schon weitergehen? Man wird dich vor die Wahl stellen: entweder du verrottest in einem Gefangenenlager, oder du ziehst eine blaue Uniform an und gehst freiwillig in den Westen, ins Indianerland, um dort zu helfen, für Ruhe und Ordnung bei den rothäutigen Chinesen zu sorgen.“
*
Drei Monate später. Ken Withaker hatte sich für das Indianerland entschieden. Sein ganzes Denken kreiste um Flucht. Aus einem Gefangenenlager der Yankees auszubrechen war nahezu unmöglich. Er hasste die blaue Uniform mit den gelben Biesen an den Außennähten der Reithosen. Alles in ihm bäumte sich dagegen auf, gegen halbverhungerte aufständische Indianer zu kämpfen, während seine Kameraden irgendwo im Osten einen schier aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht der Union führten. Und irgendwann wollte er nach Hause - heim nach Texas, zum Pecos River, auf die Ranch in der Nähe von Red Barn, wo seine Eltern und seine jüngere Schwester Kelly lebten.
Er wurde zusammen mit einigen Dutzend anderer Soldaten nach Fort Canby im Nordwesten New Mexikos verfrachtet. Die Wunde an seiner rechten Brustseite war vollständig ausgeheilt. Er war wieder im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte.
Es war Mitte Oktober, als Ken mit dem Gefangenentransport in Fort Canby eintraf. Die Bagagewagen verhielten in einer Reihe. Pferde wieherten. Befehle wurden gebrüllt. Die Gefangenen mussten vortreten. Ein Captain und ein Sergeant schritten die Reihe der größtenteils von ihrer Verwundung und der schlechten Verpflegung ausgemergelten Männer ab. Die meisten von ihnen trugen noch die Uniform des Südens. Zerschlissene graue Feldblusen, schmutzig und mit eingetrocknetem Blut besudelt, zerrissene Hosen und brüchige Stiefel. Es war ein jämmerlicher Haufen.
Der Captain sprach es aus. „Das sind keine Soldaten, das sind Halbtote! Gespenster in zerfetzten Uniformen. Was soll ich mit denen? Wenn das die zugesagte Verstärkung gegen die aufrührerischen Navajos sein soll - dann gute Nacht.“
„Sie haben recht, Sir!“, röhrte die tiefe Stimme des Sergeanten, eines rothaarigen, stiernackigen Mannes mit unzähligen Sommersprossen im breitflächigen Gesicht, das von einem paar wasserheller Augen beherrscht wurde. „Man hat uns einen Haufen Schießbudenfiguren geschickt. Aber keine Sorge, Sir. Ich werde brauchbare Burschen aus ihnen machen.“ An die gefangenen Männer gewandt schrie der Sergeant: „Hört her, ihr Krücken! Mein Name ist McIntosh - Lance McIntosh. Ich werde für euch verantwortlich sein. Die meisten von euch werden es mit mir tagtäglich zu tun haben. Und es wird an euch liegen, wie wir miteinander auskommen werden. Ich lasse nichts durchgehen. Bei uns hier herrscht Zucht und Ordnung.“
Er grinste und zeigte dabei die Zähne wie eine grimmige Bulldogge. Seine Stimme hob sich: „Wir werden euch in schöne blaue Uniformen stecken. Und ihr werdet den Patriotismus, der euch in den grauen Rock schlüpfen und General Lee hoch leben ließ, vergessen, oder wir treiben ihn euch nachhaltig aus. Vergesst nie, dass ihr Gefangene seid. Jede Meuterei wird im Keime erstickt, jeder Fluchtversuch ist zwecklos. Unsere Ute-Scouts finden jeden und bringen ihn zurück. Tot oder lebendig. Und sollte er den Utes entkommen, erwischen ihn mit Sicherheit die im Lande herumstreunenden Navajos und ziehen ihm das Fell über die Ohren. Im wahrsten Sinne des Wortes. Haben wir uns verstanden?“
Er schaute nach seinen teils sehr zynischen Worten herausfordernd in die ausgemergelten Gesichter, als erwartete er Beifall.
Einige der Gefangenen nickten. Von einigen kam ein lahmes ja. Ken spuckte verächtlich aus. In die Augen McIntosh’ trat ein böses Licht. Sein Blick saugte sich an Ken regelrecht fest. Auch der Captain war aufmerksam geworden. Über seiner Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte. Sein Mund verkniff sich in den Winkeln.
Rundherum hatten sich Kavalleristen eingefunden, die alles neugierig beobachteten. Hier und dort waren auch Indianer zu sehen. Es waren jene Ute-Späher, von denen der Sergeant gesprochen hatte.
„Vortreten!“ Gefährlich leise, fast flüsternd, kam der Befehl von McIntosh.
Ken machte einen Schritt nach vorn. Er schimpfte sich selbst einen Narren, weil er sich dazu hinreißen hatte lassen, diesem Rotschädel zu zeigen, wie wenig er für eine blaue Uniform übrig hatte. Aber jetzt hatte er die Aufmerksamkeit des Sergeanten auf sich gezogen, und er musste die Konsequenzen tragen. Er legte die Hände an die Hosennaht und nahm eine militärische Haltung ein. „Sir!“
Die Stimme des Sergeanten war nur ein heiseres Geraune, als er sprach: „Du hast mir vor die Füße gespuckt, Sandfloh. Sag mir deinen Namen. Ich will ihn mir besonders gut merken. Denn du scheinst ein sehr hitziges Gemüt zu besitzen, und es gibt in diesem Stützpunkt immer wieder Gelegenheit, erhitzte Gemüter abzukühlen. Dann wird mir dein Name einfallen, Sandfloh. Vorher aber werde ich mir überlegen, wie ich dich für dieses Zeichen deiner Geringschätzung bestrafe. Man spuckt Lance McIntosh nicht ungestraft vor die Füße. - Deinen Namen, Soldat!“
Zuletzt brüllte er, dass die Umstehenden erschreckt zusammenfuhren. Ken jedoch zuckte nicht einmal mit der Wimper. Seine Lippen sprangen auseinander, er schnarrte: „Kenneth Withaker, Sir, Captain der Texas-Brigade, 4. Infanterieregiment ...“
McIntosh lachte giftig auf. Mit hohngetränkter Stimme unterbrach er Ken: „Vergiss deinen Dienstrang, Rebell. Hier bist du ein gemeiner Reitersoldat, ein Stück Ausrüstung, die zum Pferd gehören wird, einer der seinem Gaul den Hintern küsst, wenn ich es ihm befehle. Na schön. Ich glaube, ich habe dich durchschaut. Du gehörst zu den Unbelehrbaren. Und sicher denkst du auch an Flucht. Fast alle, die das Indianerland dem Gefangenenlager vorgezogen haben, dachten daran. Aber gelungen ist sie fast keinem. Sie gingen entweder vor die Hunde, oder wir haben sie eingebrochen wie störrische Broncos. Auch dir wird sie nicht gelingen, Texas. Denn auf dich werde ich ein ganz besonderes Augen werfen.“
Er sprach zuletzt voll böser, gehässiger Ironie. In Kens Miene zuckte kein Muskel. Er schwieg und hielt dem Blick des Sergeanten stand. Es war ein Blick voll Geringschätzung und Aggression, er beinhaltete eine stumme Drohung und ein düsteres Versprechen. Ken begriff, dass er in diesem Sergeanten einen Feind hatte, der ihm die Hölle bereiten konnte.
„Zurück ins Glied!“, brüllte McIntosh.
Ken folgte dem Befehl.
„Man wird euch jetzt eure Unterkünfte zuweisen!“, schrie McIntosh, ohne Ken noch eines Blickes zu würdigen. „Anschließend gibt es etwas zu Essen, und dann ist Einkleiden. Bereitet euch darauf vor, dass die ersten von euch für morgen schon eingeteilt werden, Patrouille zu reiten. Und denkt daran, dass ihr es da draußen in der Wildnis nicht mit zivilisierten Gegnern, sondern mit blutrünstigen Rothäuten zu tun habt, die keinen Ehrenkodex kennen, die hinterhältig und mörderisch sind wie Skorpione.“
McIntosh winkte einem Corporal. „Übernimm diesen Haufen, Tom. Du weißt Bescheid.“
Nach zwei Stunden waren die Formalien erledigt. Den Männern waren ihre Quartiere zugewiesen. Das Essen wurde im Freien ausgegeben. Es gab Maisbrei, hartes Brot und gepökeltes Rindfleisch. Und eine weitere Stunde danach bekam Ken als einer der letzten die blaue Uniform der Unions-Kavallerie ausgehändigt. Es war alles da. Von den Reitstiefeln bis zur Feldmütze mit dem Emblem der gekreuzten Säbel. Ken drehte sich fast der Magen um. Er trug alles in seine Unterkunft und legte die Kleidungsstücke auf das Bett. Um ihn herum waren Gemurmel, das Knarren der Fußbodendielen, waren all die Geräusche, die die Männer verursachten.
Ein Mann stieß Ken an. Und als Ken sich ihm zuwandte, flüsterte er: „Du musst höllisch auf der Hut sein, Captain. Dieser rothaarige Affe hat dich in sein Herz geschlossen. Der wartet nur darauf, dass du einen Fehler begehst.“
Ken nickte und dehnte: „Allzu lange, schätze ich, werde ich mich seinen Stimmungen nicht aussetzen, Kamerad. Bei der erstbesten Gelegenheit verdufte ich. Was geht mich das Indianerproblem der Blaubäuche an.“
Der andere beugte sich etwas vor. Er war genauso groß wie Ken, hatte ein kantiges Gesicht mit einem breiten Kinn, das eisernen Willen und Durchsetzungsvermögen verriet, und er erinnerte Ken auf seltsame Art an ein großes, gefährliches Raubtier. „Dann denken wir ja ähnlich, Captain“, murmelte er. „Ich heiße Jim Harrison, und ich war Sergeant unter Colonel Sommerset.“ Er grinste düster. „Bei derart vielen gemeinsamen Interessen sollten wir zusehen, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren.“
In der Baracke erschien eine Ordonnanz. Der Bursche schrie: „Withaker, Soldat Withaker!“
In der Unterkunft wurde es still.
„Das bin ich“, rief Ken und trat von seiner Bunk weg in den Mittelgang. „Was gibt es?“
„Du wirst im Pferdestall erwartet, Withaker. Komm mit, ich zeige dir den Weg.“
Jim Harrison räusperte sich. Ken drehte ihm das Gesicht zu. Harrison verzog vielsagend den Mund. Ken setzte sich in Bewegung...
*
Die Düsternis des Stalles empfing Ken. Es roch nach Pferdeschweiß, Dung, Heu und Stroh. In den Ecken spannten sich verstaubte Spinnennetze. Das Stampfen und Schnauben der schweren Kavalleriepferde mit dem Armeebrand umgab Ken.
Der Ordonnanz-Soldat verschwand mit einem wissenden, gehässigen Grinsen um die Lippen. Er drückte das Tor von außen zu. Ken ahnte, was ihn erwartete. Und als Sergeant Lance McIntosh aus einer Box in den Mittelgang trat, wurde Kens Ahnung zur Gewissheit. Er war zwar nicht besonders überrascht, verspürte aber dennoch einen galligen Geschmack in der Mundhöhle.
McIntosh kam langsam auf ihn zu. Ein faunisches Grinsen, das niederträchtig und von wilder Vorfreude erfüllt schien, das aber die wasserhellen Augen nicht erreicht, umspielte seine Lippen. Der Sergeant trug nur Hemd und Hose. Zwei Schritt vor Ken blieb er stehen. Seine Lippen öffneten sich, er knurrte: „All right, Sandfloh. Ich versprach dir, über eine Strafe wegen deines ungebührlichen Verhaltens beim Appell nachzudenken. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich dir den nötigen Respekt vor einem Sergeant der Unionsarmee mit den Fäusten in den verdammten Südstaatenschädel hineinhämmern muss. Das ist die einzige Sprache, die ihr Brüder versteht.“
Ken schwieg.
„Hat dir die Angst die Stimme verschlagen, Sandfloh?“, bellte das Organ des Sergeanten. Er kreuzte die mächtigen Arme vor der breiten, gewölbten Brust und feixte.
„Warum nennst du mich eigentlich unablässig Sandfloh?“, erkundigte sich Ken in breitestem Texas-Slang, und seine Stimme klang auf besondere Art sanft.
McIntosh zeigte die kräftigen Zähne. „Dieser Ausdruck hat sich so eingebürgert. In euren gelbgrauen Uniformen seht ihr Rebellen eben aus wie Sandflöhe. Und wie einen Sandfloh werde ich dich zerdrücken.“
„Ich werde zurückschlagen, Sergeant“, warnte Ken. „Und ich hoffe, du bist fair genug, es zu akzeptieren.“ In seiner Stimme schwang ein sarkastischer Unterton.
McIntosh senkte den Kopf wie zum Zeichen dafür, dass er Gegenwehr erwartete. In seinen Blick trat ein tückisches Lauern, langsam nahm er die Arme aus der Verschränkung. „Wir werden ganz alleine sein“, grollte sein Bass. „Erst wenn ich mit dir fertig bin, werde ich einige Männer herschicken, damit sie zusammenfegen, was ich von dir übrig lasse.“
Kens Muskeln spannten sich. Er stellte sich auf den Angriff des Sergeanten ein, und er rechnete nicht mit Fairness von Seiten des Rotschopfs, dessen stechende Augen eine unheimliche Drohung zeigten, und in denen es jetzt aufblitzte. Es mutete Ken an wie ein Signal.
Sie standen sich gegenüber, die Arme angewinkelt, die Fäuste erhoben, wie zwei feindlich gesinnte Raubtiere. Die Anspannung hatte die Gesichter gestrafft. Es war ein gegenseitiges Abtasten, ein Einschätzen, das Lauern auf eine günstige Möglichkeit, den anderen zu überrumpeln und sich einen den Ausgang des Kampfes bestimmenden Vorteil zu verschaffen.
McIntosh war nicht ganz so groß wie Ken, aber er war gut und gerne zwanzig Kilogramm schwerer. Ein Mann, der nur aus Muskeln und Knochen zusammengesetzt zu sein schien, ein Zerstörer, ein Mann, dessen Fäuste man als Waffen bezeichnen konnte.
Er war sich seines Sieges sehr sicher, gab sich lässig und überlegen. Und als Ken begann, ihn zu umrunden, drehte er sich mit pendelnden Fäusten auf der Stelle und grinste verächtlich.
Ken bewegte sich geschmeidig und konzentrierte sich auf den Sergeant. Er zeigte sich beherrscht und kühl, unerschrocken und furchtlos, aber auch abwägend und vorsichtig. Denn McIntosh war ein Schläger, der mit einem Fausthieb einen Mann töten konnte, aber er war gewiss kein technisch versierter Kämpfer. Bei ihm stand die brachiale Gewalt im Vordergrund. Er gehörte zu der Sorte, die ihre Fäuste instinktiv, aber nicht verstandesmäßig einsetzten. Und darin sah Ken seinen Vorteil. Er hatte sich mit jeder Faser seines Körpers auf den Kampf eingestellt, und er dachte nicht an die Folgen im Falle, dass er McIntosh schlug.
Ken machte einen halben Schritt nach vorn, fintete, und als McIntosh seine Fäuste fliegen ließ, wich er sofort wieder zurück. Die Doublette pfiff ins Leere, sein eigener Schwung ließ den Oberkörper des Sergeant nach vorne pendeln, und er konnte Kens Schwinger nicht mehr ausweichen. Er bekam die Faust von der Seite gegen den Kinnwinkel und wurde halb herumgeschleudert. Ein drohendes, zorniges Grollen löste sich aus seinem Kehlkopf, er stieß sich ab und sein hünenhafter Körper flog regelrecht auf Ken zu. Die Absicht McIntosh’ war es, Ken zu packen, zu Boden zu reißen und ihn nicht wieder hochkommen zu lassen. McIntosh war darauf aus, den Kampf so schnell wie möglich zu seinen Gunsten zu entscheiden. Und wenn der Gegner kampfunfähig war, dann wollte er ihn endgültig zerbrechen. Er war hinterhältig, verkommen und sadistisch. Diese schlechten Charaktereigenschaften paarten sich mit Mut, Stärke und Kampferfahrung. Eine explosive, gefährliche Mischung.
Er schnellte also auf Ken zu, das hässliche Gesicht fratzenhaft verzerrt, voll vernichtender Leidenschaft wegen des Treffers, den er kassiert hatte, begierig darauf, den Rebellencaptain in tausend Stücke zu zerschlagen, ihn regelrecht zu zertrümmern. Vielleicht fühlte er instinktiv, dass Ken der bessere Mann war, dass er dem blonden, blauäugigen Texaner in keiner Weise das Wasser reichen konnte.
Seine vorgestreckten Hände fuhren ins Leere. Ken tauchte behände unter den Armen hinweg, wich zur Seite aus und hämmerte dem Sergeanten einen rechten Schwinger auf die Leber, der McIntosh einen Aufschrei entlockte, der in einem versiegenden Gurgeln endete.
Das war aber auch alles. Auch diesmal schien der Schlag dem Sergeant nichts weiter anzuhaben. Er pumpte seine Lungen voll Sauerstoff und wirbelte zu Ken herum. Ken sah seine Faust kommen und nahm den Kopf zur Seite. Schmerzhaft radierten die Knöchel über sein Ohr, im nächsten Moment prallte der schwere Körper McIntosh’ gegen ihn, und er taumelte zurück. Mit wild schwingenden Fäusten folgte ihm der Sergeant.
Ken war auf der Hut. Er verlor nichts von seiner kühlen Besonnenheit. Die blindlings geschlagenen Schwinger zischten durch die Luft, und dann rammte Ken seinem Gegner die Schulter in den Leib, gleichzeitig schlug er eine gerade Rechte, die mitten in McIntosh’ Gesicht landete. Der Sergeant quittierte den Treffer mit einem Aufschrei, die Wucht des Anpralls ließ ihn schwanken, Blut tröpfelte aus seiner Nase und lief über seinen Mund.
„Dafür bringe ich dich um!“, grunzte er, kaum die Lippen bewegend, ein hässliches Funkeln auf dem Grund seiner Augen, die in einem See von Tränen zu schwimmen schienen, die ihm der Schmerz herauspresste.
Wie von Sinnen stürzte er sich auf Ken. Und er lief geradewegs in einen mörderischen Aufwärtshaken hinein, der ihn bremste und aufrichtete und der seinen Kopf in den Nacken schleuderte. Und dann bohrte sich ihm Kens Linke in den Magen, ein dumpfer Ton brach aus seinem Mund, die Luft wurde ihm aus den Lungen gedrückt, er beugte sich nach vorn und japste.
Kens Hand, die gegen McIntosh’ Kinn gekracht war, schmerzte. Die Erschütterung lähmte seinen ganzen Arm und er spürte den Schmerz bis ins Schultergelenk. Er hörte McIntosh rasselnd atmen, die Linke des Sergeanten tastete über sein Kinn, an dem aus einer kleinen Platzwunde Blut sickerte, als wollte er sich vergewissern, dass es von dem furchtbaren Haken nicht zertrümmert worden war. In seinen erschlafften Zügen spiegelten sich ungläubiges Staunen und dümmliche Verständnislosigkeit wider.
Ken war einen Schritt zurückgetreten und massierte seine geprellte Hand. Er ahnte, dass McIntosh noch nicht geschlagen war. Dieser Bulle gab erst auf, wenn er nicht mehr die Kraft hatte, alleine auf den Beinen zu stehen.
Scharf stieß der Sergeant die Luft durch die Nase aus. Er zog den Kopf zwischen die massigen Schultern und sagte mit gepresster, heiser klingender Stimme: „Möglicherweise habe ich dich zu sehr auf die leichte Schulter genommen, Rebell. Du bist gut, besser als jeder, den ich bisher in die Mangel nahm. Aber du bist gewiß nicht gut genug ...“
Und wieder fiel er Ken an wie ein Tornado. Er schien schmerzunempfindlich zu sein, und Ken, der der Meinung gewesen war, ihn ziemlich angeschlagen zu haben, war einen Lidschlag lang ziemlich überrumpelt. Und so bekam er die Faust des Sergeanten wie einen Eselstritt gegen den Kopf. Eine feurige Lohe schoss vor seinen Augen in die Höhe, um ihn herum schien alles in hellen Flammen zu stehen. Und dann traf ihn ein Schlag in den Leib, der ihn regelrecht vom Boden weghob. Ken riss den Mund auf wie ein Erstickender, er war nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und als sein Denken wieder einsetzte, fand er sich auf dem festgestampften Mittelgang liegend.
McIntosh hatte in diesem Kampf das Ruder jäh zu seinem Vorteil herumgerissen. Er war nur noch von einem grenzenlosen, überwältigenden Vernichtungswillen besessen. Ken hatte ihm Schmerzen zugefügt. Er blutete aus der Nase und am Kinn. Und es hatte so ausgesehen, als würde ihn der verhasste Rebell schlagen. Und dieser Anschein hatte Angst, um nicht zu sagen Panik, in McIntosh ausgelöst. Als er jetzt Ken am Boden liegen sah, fühlte er sich davon befreit. Er triumphierte. Er stampfte auf Ken zu.
Wie durch wogende Nebelschleier sah dieser den vierschrötigen Burschen auf sich zukommen. Der Anblick riss Ken aus der Betäubung. Er schüttelte die Benommenheit ab und rollte zur Seite. Wo er eben noch gelegen hatte, landete McIntosh mit beiden Füßen gleichzeitig. Das war seine Art, einen Kampf zu entscheiden. Er hätte Ken wahrscheinlich sämtliche Rippen gebrochen, wäre es diesem nicht gelungen, im letzten Moment auszuweichen.
Ken bezwang seine Schwäche. Er lag auf der Seite. Sein Bein säbelte herum und krachte in McIntosh’ Kniekehlen. Der Rotschopf brach in den Knie ein, machte das Kreuz hohl, verlor das Gleichgewicht und krachte mit dem Rücken auf den Boden.
Zwei - drei Sekunden lagen sie beide da und versuchten, frische Energien zu laden. Sie keuchten. Ihre Lungen pumpten. Herzschlag und Puls rasten. Beide waren jetzt angeschlagen. Beiden tat die kurze Pause gut. Und jeder von ihnen wusste, dass der Kampf noch nicht zu Ende war. Sie würden weiter aufeinander einschlagen, sich Schmerzen zufügen, jede Blöße des anderen kaltblütig und unerbittlich ausnutzen - solange, bis einer von ihnen als willenloser Haufen Elend am Boden lag und möglicherweise für alle Zeiten ein gebrochener Mann war.
Sie kamen wieder hoch. Die Feindschaft zwischen ihnen war wie ein heißer Atem ...
*
McIntosh war jetzt vorsichtig geworden. Er begriff, dass er Ken total unterschätzt hatte, dass Ken ein ebenbürtiger, wenn nicht sogar überlegener Gegner war. Er bewegte sich langsam auf Ken zu. Schweiß und Blut vermischten sich in seinem Gesicht.
Die Pferde in den Boxen waren von dem Kampf unruhig geworden. Ihr nervöses Stampfen erfüllte den Stall. Hin und wieder war ein dumpfes Krachen zu vernehmen, wenn ein Huf gegen eine Boxenwand knallte. Ketten klirrten.
Ken wartete ab. Er behielt sich eisern unter Kontrolle. Er wollte McIntosh kommen lassen. Der Sergeant hatte die Fäuste vor das Gesicht erhoben. Er war auf eine Armlänge heran. Und plötzlich geriet Leben in seine Gestalt. Schnell und wild überwand er den halben Yard, und während er beidhändig zuschlug, rammte er mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung, in die er sein gesamtes Körpergewicht legte, Ken sein Knie in den Leib. Ken krachte mit dem Rücken gegen eine Boxenwand, stieß hart mit dem Kopf an, sein Mund sprang auf, die Luft entwich ihm zischend. Mit gesenktem Schädel, wie ein angreifender Stier, stürmte McIntosh auf Ken zu, aber dieser überwand seine Not und trat schnell einen halben Schritt zur Seite. Der Sergeant krachte mit dem Schädel gegen die Holzwand, dass sich die Bretter bogen. Er wurde zurückgeschleudert, wankte wie ein Schilfrohr ihm Wind und stand mit nach unten gesunkenen Schultern und hängenden Armen vor Ken. Dieser holte aus. Er legte seine ganze Erbitterung in den Hieb. Er trieb seine Faust in McIntoshs Magenpartie, der Sergeant knickte in der Mitte ein, sein Oberkörper befand sich in der Waagerechten. Ken knallte ihm die Handkante ins Genick. Als hätte ihn die Faust des Satans getroffen fiel McIntosh auf das Gesicht.
Der Sergeant drückte sich noch einmal hoch und lag auf den abgewinkelten Ellenbogen. Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Er japste erstickend und trieb in der zwielichtigen Welt der Trance. Unzusammenhängendes Gestammel kam über seine blutenden Lippen. Er drückte sich hoch und lag auf allen vieren. Seine Zähne schlugen aufeinander wie ihm Fieber. Schlagartig verließ ihn die letzte Kraft. Seine Armen knickten in den Ellenbogen ein, er krachte auf den Bauch. Seine Finger verkrallten sich im harten Untergrund.
Hinter Ken knarrte das Stalltor. Langsam, geradezu zeitlupenhaft langsam, drehte er sich herum. Auch er war ziemlich am Ende. In seinem Schädel war ein Druck, der das Hirn einzuengen schien. Erschöpfung kroch wie flüssiges Blei durch seinen Körper. Er spürte Schmerzen, Übelkeit stieg in ihm hoch. Der Kampf war nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
Der Corporal, der ihnen die Quartiere zugewiesen hatte, und einige Soldaten drängten herein. Ungläubig starrten sie erst auf den am Boden liegenden Sergeant, dann musterten sie Ken zunächst beeindruckt, schließlich mit einem bösen Ausdruck in den Augen.
Schritt für Schritt wich Ken zurück. Seine Beine wollten ihn kaum tragen. Dann hatte er eine Boxenwand im Rücken. Er duckte sich, und es sah aus, als wollte er sich auf die Kerle - es waren insgesamt sechs -, stürzen. Sie vermittelten einen erschreckenden Eindruck von Härte und Unversöhnlichkeit, und nur ein Mann mit eisernen Nerven konnte bei ihrem Anblick die Nerven bewahren.
„Dir ist etwas gelungen, was noch keinem Mann vor dir gelang, Rebell!“, zischte Tom Janson, der Corporal, und seine Augen unter den dunklen Brauen funkelten gehässig. „Du hast Lance McIntosh im Faustkampf besiegt.“
Es hatte fast bewundernd geklungen. Dann aber fuhr der Corporal mit sachlichem Unterton fort: „Es wäre aber besser für dich gewesen, du hättest ihn gewinnen lassen. Denn wir schlucken es nicht, dass ein lausiger Rebell einen Sergeant der U.S.-Kavallerie auf schmähliche Art und Weise verprügelt. McIntosh hat einen Ruf zu verteidigen. Wenn es sich aber herumspricht, dass du ihn geschlagen hast, verliert er ihn. Und das bedeutet für ihn einen herben Gesichtsverlust, man wird ihn nicht mehr wie bisher respektieren, man wird sich über ihn lustig machen.“
„Es war eine Sache zwischen ihm und mir“, keuchte Ken. Eine unsichtbare Faust würgte ihn. Sein Hals war trocken wie Wüstensand. In einem Halbkreis kamen die sechs Kerle auf ihn zu, wie eine Meute von Bluthunden, die ihre Beute gestellt hatten. „Er hat es herausgefordert. Er wollte diesen Kampf.“
Die Hand des Corporals wischte ungeduldig durch die Luft. „Ja, es war eine Sache zwischen ihm und dir, Rebell!“, pflichtete er bei, und er legte besondere Betonung auf das Wort 'war'. „Jetzt ist es eine Sache zwischen uns und dir. Der Sergeant, ich, diese Jungs hier - wir alle sind eine kleine, verschworene Gemeinschaft. Und weil das so ist, dulden wir nicht, dass einer von uns gedemütigt wird. Und nichts ist für uns demütigender, als von einem Sandfloh geschlagen zu werden. - Packt ihn!“
Dieser letzte Befehl kam glasklar und scharf.
Die fünf Kerle in den blauen Uniformen fielen über Ken her wie wilde Tiere. Sie schlugen auf ihn ein und traten ihn. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Und so dauerte es nicht lange, bis er zu Boden ging. Er wurde brutal hochgerissen, kräftige Fäuste hielten ihn fest. Das Gesicht des Corporals war plötzlich dicht vor seinem. Heißer Atem streifte es, als der Corporal leidenschaftlich hervorstieß: „Jetzt schlagen wir dich zu Brei, Rebell. Nimm das!“
Ein unbarmherziger Schlag traf Ken in den Magen. Sein Gurgeln erstickte in der Kehle, als eine Hand in seine Haare fuhr und seinen Kopf brutal in den Nacken zerrte. Verzweiflung kroch in ihn hinein. Er versuchte sich loszureißen, sich ihrem Griff zu entwinden, aber seine Bewegungen waren lahm und kraftlos. Unerbittlich drehten sie ihm die Arme auf den Rücken. Er bekam einen Schwinger an das Kinn. Der Schmerz stach wie tausend Nadeln in seinem Schädel, vor seinen Augen schien die Welt zu explodieren.
Und wieder traf ihn ein eisenharter Schlag. Tom Janson platzierte seine Haken mit eiskalter Berechnung und einer grenzenlosen, unnachahmlichen Brutalität. Er wollte Ken zertrümmern, seinen Willen brechen, ihn zerstören.
Bald spürte Ken nichts mehr. Vor seine Augen hatte sich undurchdringliche Finsternis gesenkt. Eine schwarze Wolke schlug über ihm zusammen und schwemmte ihn weg.
Sie ließen ihn los, als der Corporal zurücktrat. Haltlos sackte er in sich zusammen. Zusammengekrümmt lag er am Boden. Sie packten ihn an den Beinen und schleiften ihn in eine leere Box.
Der Corporal lachte ironisch auf, leckte sich über die aufgeschlagenen Knöchel seiner Rechten, spuckte zur Seite aus und meinte spöttisch: „Es schadet McIntosh gewiß nicht, dass er einmal auf seine richtige Größe zurechtgestutzt worden ist. Und wäre es nicht einer von den verdammten Südstaatlern gewesen, der ihm die Flügel stutzte, dann hätte ich den Burschen zu seinem Sieg beglückwünscht. So aber ...“
„Wir müssen McIntosh von hier fortschaffen“, ließ einer der Soldaten vernehmen. „Und auch wir sollten zusehen, dass wir uns dünn machen. Ich habe nämlich keine Lust, wegen eines lausigen Rebellen Strafdienst zu schieben bis ich schwarz werde.“
Zwei der Soldaten halfen McIntosh auf die Beine und stützten ihn. Sie schleppten ihn aus dem Stall. Der Sergeant war zu schwach, um die Beine zu heben. Haltlos baumelte sein Kopf vor der Brust.
*
Als Ken zu sich kam, umgab ihn Finsternis. Er sammelte sich, die Erinnerung kam. Es schien keine Stelle an seinem Körper zu geben, die nicht schmerzte. Ken setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Boxenwand. In ihm war eine grenzenlose Schwäche. Eine Woge der Benommenheit jagte die nächste durch sein Bewusstsein, in seinen Schläfen dröhnte es, doch irgendwann rappelte er sich mühsam hoch. Auf tauben Beinen verließ er den Stall.
Es war Nacht. Am Himmel glitzerten die Gestirne. Das Sternenbanner hing schlaff am Mast. Aus den Fenstern der Baracken fiel trüber Lichtschein in den Staub. Von der Kantine wehte Grölen und Gelächter an Kens Gehör. Ken überquerte mit schleppenden Schritten den Paradeplatz. Beim Tränketrog vor der Schmiede kniete er ab. Er tauchte seinen Kopf in das frische Wasser und wusch sich Schweiß, Blut und Schmutz ab. Das Wasser belebte ihn und linderte die Schmerzen von den vielen Platz- und Schürfwunden, die sein Gesicht entstellten.
Dann wankte er weiter zu seiner Unterkunft. In der Baracke sorgten einige Talglichter für gedämpfte Helligkeit. Die Männer starrten Ken an wie eine außerirdische Erscheinung. Er warf sich auf seine Bunk und schloss die Augen. Er fühlte Schwäche, eine schreckliche, grenzenlose Schwäche, die alle Muskeln und Sehnen in ihm gelähmt zu haben schien, die ihm sogar das Denken schwer machte.
Jim Harrison beugte sich über ihn. „Was haben diese Schufte mit Ihnen angestellt, Captain?“, entrang es sich ihm erschüttert. Er wahrte jetzt wieder die Form. „Sie sehen aus, als wäre eine Stampede über Sie hinweggedonnert.“
„McIntosh zwang mir einen Kampf auf.“ Tonlos brachen die Silben über Kens rissige, pulvertrockene Lippen. „Ich schlug ihn. Aber dann kamen der Corporal und noch ein paar Kerle.“
„Diese dreckigen Bastarde!“, knirschte Harrison, und der Zorn kam bei ihm in rasenden, giftigen Schüben. Es war ohnmächtiger Zorn, und er konnte keinen Dampf ablassen. „Vorhin war eine Ordonnanz hier“, fuhr er dann fort. „Einige von uns sind für morgen eingeteilt, zusammen mit einer dreifachen Anzahl von Aufpassern Patrouille in den Canyon de Chelly zu reiten. Sie sind auch dabei, Captain. Also sehen Sie zu, dass Sie bis morgen früh wieder auf die Beine kommen. Die Hundesöhne werden nämlich kaum Rücksicht auf Ihren Zustand nehmen, fürchte ich.“
„Ich werde mich schon durchbeißen“, versprach Ken, und im nächsten Moment schlief er ein.
Die Männer, die um sein Bett herumstanden, kehrten zurück zu ihren Bunks. Jim Harrison breitete eine Decke über Ken aus, dann legte auch er sich nieder.
*
Captain Jack Swanson führte die Patrouille steil nach Nordwesten. Sie waren aufgebrochen, als der Morgen graute und der Tau noch auf den Gräsern lag. Gegen Mittag hatten sie die halbe Strecke bis zum Canyon de Chelly zurückgelegt. Sie rasteten am Black Creek. Und jetzt befanden sie sich mitten in der Unwirtlichkeit der Chuska Mountains.
Es waren vierundzwanzig Mann. Neben dem Captain ritt Corporal Tom Janson. Dann folgten die Kavalleristen; fünfzehn Yankees und fünf Kriegsgefangene. Die beiden Ute-Scouts bewegten sich weit vor der Reitergruppe.
Für Ken war der Ritt eine Tortur. Es gab keine Stelle an seinem Körper, die nicht schmerzte. Blutergüsse sowie kleine Platz- und Schürfwunden bedeckten sein Gesicht. Er fühlte sich wie gerädert. Als sie am Morgen losgeritten waren, hatte ihn Corporal Tom Janson hohnvoll gefragt, wie er sich fühle. Von Sergeant Lance McIntosh war nichts zu sehen gewesen.
In den Scabbards der Soldaten steckten Henry-Rifles. Mit diesen handlichen fünfzehnschüssigen Repetiergewehren hatte man einige Forts im Indianerland ausgestattet. Die Spencer-Armee-Karabiner waren untauglich, wenn es darauf ankam, sich einer Horde Indsmen zu erwehren, die vollkommen überraschend, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, über die Armee-Patrouillen herfielen.
Jim Harrison ritt Steigbügel an Steigbügel mit Ken. Krachender Hufschlag umgab sie. Dazu kamen das Klirren der Gebissketten und das Knarren des Sattelleders. Ansonsten herrschte Schweigen in der steinernen Welt. Unablässig sicherten die Männer um sich. Das Gebiet, durch das sie zogen, war ausgesprochen unübersichtlich. Die Gefahr war allgegenwärtig, der Tod konnte hinter jedem Felsen lauern. Die Hufe der Pferde rissen Staubfahnen in die warme Luft.
Die Vegetation ringsum bestand hauptsächlich aus stacheligen Comas, Mesquitesträuchern und genügsamen Cottonwoods. Gerölltrümmer und Felsklötze in allen möglichen Größen und Formen lagen überall herum und zwangen sie zu Umwegen.
„Geht es noch?“, fragte Jim Harrison besorgt, der bemerkte, dass Kens Oberkörper mit dem gleichmäßigen Rhythmus der Pferdeschritte vor und zurück pendelte, als hätte Ken nicht mehr die Kraft, sich gerade zu halten.
„Yeah“, versetzte Ken staubheiser. „Keine Sorge, Sergeant. Die Genugtuung, schlapp zu machen, bereite ich dem Bastard von Corporal nicht. Eher friert die Hölle ein.“
Er grinste verzerrt nach diesen Worten. Die Staubschicht in seinem Gesicht zerbrach.
Mehr sprachen die beiden Männer nicht. Meile um Meile zogen sie durch das Gebirge. Das Land lag wie ausgestorben vor ihnen. Sie folgten den Windungen zwischen den Hügeln und Bergen. Richtige Wege gab es nicht. Die beiden Scouts führten sie dennoch sicher und zielstrebig. Diese Burschen kannten das Land wie ihre Westentaschen. Sie vermieden es, durch Schluchten zu reiten, denn sie befanden sich mitten im Land der Navajos und nichts eignete sich besser für einen Überfall als eine enge Schlucht, in der die Soldaten wenig oder gar nicht manövrierfähig waren.
Doch dann versperrte ihnen eine weitläufige Felsenkette den Weg. Sie zog sich von Osten nach Westen. Dieses Rim war unüberwindlich. Sie folgten dem Massiv etwa zwei Meilen nach Osten, dann gähnte ihnen wie das dunkel klaffende Maul eines versteinerten Ungeheuers der Eingang einer Schlucht entgegen.
Einer der Scouts kam zurück. Captain Swanson warf den rechten Arm in die Höhe und rief: „Anhalten! Haaalt!“
Sie zerrten ihre Pferde in den Stand. Helles Wiehern eines der Tiere erhob sich. Die Geräusche verklangen. Nur das Stampfen der Hufe blieb, als die Tiere nervös auf der Stelle traten. Es war, als wäre der Funke der Unrast von den Reitern auf die Tiere übergesprungen.
Es gab keinen anderen Weg als den durch die Schlucht.
Der Scout redete auf den Captain ein. Er gestikulierte wild mit seiner Rechten, als wollte er seinen Worten auf diese Weise Nachdruck verleihen. Nur Wortfetzen erreichten Kens Gehör. Er achtete nicht darauf. Der Ausdruck einer tiefen Erschöpfung zeichnete sein Gesicht. Ein Schleier schien sich über seine Augen gelegt zu haben. Seine Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, von keinem bewussten Willen geleitet.
„Beim Henker, was hat es mit der verdammten Schlucht auf sich?“, knirschte neben ihm Jim Harrison. Der dunkelhaarige Mann aus Alabama hatte die Augen zu engen Schlitzen zusammengekniffen. Er starrte in die dunkelgähnende Öffnung. Der andere Scout war weitergeritten und verschmolz soeben mit der Düsternis, die zwischen den überhängenden Felswänden herrschte.
Jener Kundschafter, der dem Captain berichtet hatte, riss sein Pferd herum und trieb es an. Der prasselnde Hufschlag entfernte sich, und wenig später sprengte der Späher hinter seinem Kameraden her in den Schlund.
„Absitzen!“ Glasklar und präzise kam der Befehl des Captains. Und dann, als sie neben ihren Pferden auf der Erde standen, erhob Swanson wieder das Wort. „Hört her, Männer! Es spricht einiges dafür, dass uns die Navajos in dieser Schlucht einen Hinterhalt gelegt haben. Die beiden Utes kundschaften den Weg aus. Wir warten hier auf sie. Es herrscht Alarmbereitschaft. Ich für meinen Teil habe schon seit einiger Zeit das Gefühl, von tausend Augen beobachtet zu werden. Wir haben keine Ahnung, was uns erwartet. Aber wir wollen gewappnet sein. Also nehmt die Gewehre zur Hand und passt auf wie die Schießhunde.“
Ja, Swanson wurde das bedrückende Gefühl einfach nicht los, dass die Schlucht eine böse Überraschung für sie bereithielt. Er hatte aus den Lektionen, die ihm im Indianerland erteilt worden waren, gelernt. Das war so. Entweder man lernte in diesem gnadenlosen Land, das keinen Unterschied zwischen Weiß und Rot, Nord oder Süd, Gut oder Böse machte, seine Lektionen schnell, oder man verschwand sehr schnell in einem namenlosen Grab.
Swanson ließ seinen Instinkten freien Lauf. Und sein Sinn für die Gefahr hatte den Captain noch selten im Stich gelassen. Unruhig kaute er auf seiner Unterlippe herum, während er neben seinem Pferd stand und auf die Rückkehr der Scouts wartete.