Zusammenfassung
Für die Einen ist es nur ein Fingernagel, für die Anderen eine Reliquie von unschätzbarem Wert. Die »World Fellowships of Buddhists« ist bereit für den Fingernagel Buddhas ein hohes Lösegeld zu zahlen, doch der Tausch Geld gegen Reliquie ist kompliziert. Es gibt mehr als einen Erpresser aber nur einen Fingernagel.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Trevellian und das Geschäft mit der Angst: Action Krimi
Krimi von Pete Hackett
Für die Einen ist es nur ein Fingernagel, für die Anderen eine Reliquie von unschätzbarem Wert. Die »World Fellowships of Buddhists« ist bereit für den Fingernagel Buddhas ein hohes Lösegeld zu zahlen, doch der Tausch Geld gegen Reliquie ist kompliziert. Es gibt mehr als einen Erpresser aber nur einen Fingernagel.
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© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Prolog
Mrs. Dexter saß in ihrem Wohnzimmer und blätterte in einer Modezeitschrift. Der Fernsehapparat lief. Das Hausmädchen wischte Staub. Als das Telefon klingelte, erhob sich Jane Dexter und holte sich den Hörer. Nachdem Sie sich gemeldet hatte, sagte eine dunkle Stimme: »Ich bin's, Darling. Es wird wahrscheinlich ein wenig später. Ich bin in die Clinton Street gefahren und will mit den Mietern sprechen. Das kann einige Zeit in Anspruch nehmen.«
»Dann brauche ich also mit dem Essen nicht auf dich zu warten?«, fragte die Frau.
»Nein. Ich esse, wenn ich nach Hause komme.«
Nachdem sich ihr Mann verabschiedet hatte, legte Mrs. Dexter den Hörer auf den Tisch. Das Hausmädchen kam heran und lächelte verlegen. »Ich wäre fertig, Mrs. Dexter. Sollten Sie noch irgendeinen Wunsch haben …«
»Nein, Eva. Sie können nach Hause fahren.«
»Danke, Mrs. Dexter.«
Das Hausmädchen verschwand durch eine Tür, die in einen Nebenraum führte. Jane Dexter setzte sich wieder und griff nach dem Journal. Wenig später erschien das Hausmädchen wieder. Es hatte jetzt die Schürze mit einem Trenchcoat vertauscht. »Auf Wiedersehen, Mrs. Dexter. Bis morgen um 8 Uhr.«
»Schönen Abend noch, Eva.«
»Danke, gleichfalls.«
Die Angestellte verließ das Haus.
Nachdem eine Viertelstunde verstrichen war, läutete es an der Haustür. Jane Dexter erhob sich, ging zur Sprechanlage und nahm den Hörer in die Hand, drückte den weißen Knopf des Gerätes und fragte: »Wer ist draußen?«
»Ich komme von der städtischen Wasserversorgung«, erklang es aus dem Lautsprecher. »Ich muss Ihre Wasseruhr überprüfen.«
»Um diese Zeit?«
Jane Dexter war erstaunt, wartete aber keine Antwort ab, sondern hängte den Hörer ein und öffnete die Tür. Ein Mann, der eine Aktentasche trug, betrat das Haus. Er lächelte. Die Frau schloss die Tür hinter ihm. »Die Wasseruhr ist im Keller. Ich …«
Die Frau verschluckte sich fast, denn der Besucher hatte eine Pistole gezogen und auf sie gerichtet. »Drehen Sie sich um, Ma'am. Und keinen falschen Laut. Sie würden es bereuen.«
»Was wollen Sie von mir?«, entrang es sich Jane Dexter fassungslos. Die jähe Angst würgte sie. »Ich – ich habe etwas Geld im Haus. Wenn Sie …«
»Umdrehen!«
Wie von Schnüren gezogen kam die Frau der Aufforderung nach. Der Eindringling schlug zu. Der Lauf der Waffe traf die Frau am Kopf, wie vom Blitz getroffen brach sie zusammen. Der Gangster steckte die Pistole in den Hosenbund, stellte die Aktentasche auf den Boden, öffnete sie und entnahm ihr eine feste Schnur sowie eine Rolle graues Klebeband. Er fesselte die Frau an Händen und Füßen, knebelte sie mit dem Klebeband, dann packte er sie unter den Achseln, schleppte sie ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett.
Die Lider der Frau zuckten. Sie stöhnte, dann schlug sie die Augen auf. Mit verschleiertem Blick starrte sie – jeglichen Gedankens und jeglichen Willens beraubt -, zur Decke hinauf. Sie war wie betäubt und schien nicht zu begreifen. Plötzlich aber stieß sie unartikulierte Laute aus. Sie begann, an ihren Fesseln zu zerren. Aber sie hielten stand. Ihr Blick begann sich zu klären. Die Erinnerung stellte sich ein.
Der Eindringling ging ins Wohnzimmer und holte die Aktentasche, kam zurück und schob sie unter das Bett. Der Frau schenkte er keinen Blick mehr. Sie beobachtete ihn. In ihrem Kopf hämmerte der Schmerz. Der Gangster verließ das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
Wieder begann Jane Dexter an ihren Fesseln zu zerren. Sie bewirkte damit nur, dass ihr die Schnüre tiefer ins Fleisch schnitten. Das Blut konnte nicht mehr richtig in ihre Hände zirkulieren, ihre Finger wurden taub. Eine Welle der Benommenheit überschwemmte ihr Bewusstsein.
In ihrer hilflosen Ohnmacht begann die Frau zu weinen. Sie ahnte, was sich in der Tasche befand …
Kapitel 1
Milton Dexter griff nach der Kaffeetasse und führte sie zum Mund. Er trank den letzten Schluck und sagte dann: »Vorzüglicher Kaffee, Mrs. Mason. Wirklich.« Dexter erhob sich und straffte die Schultern. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass Sie die Wohnung verlieren. Ich habe es abgelehnt, den Wohnblock zu verkaufen. Und zwingen kann man mich nicht.« Dexter lachte auf. »Das wäre ja noch schöner.«
»Ihre Worte beruhigen mich ungemein, Mister Dexter«, murmelte Nancy Mason ergriffen. Dankbarkeit sprach aus ihren Augen. »Mein Mann und ich sind alt, und wir wollen uns keine neue Bleibe mehr suchen. Wo bekämen wir außerdem eine derart günstige Wohnung? Ich danke Ihnen, Mister Dexter.«
Milton Dexter ging zur Tür. »Machen Sie sich keine Sorgen.« Er öffnete und trat hinaus ins Treppenhaus. »Auf Wiedersehen, Mrs. Mason. Und bestellen Sie Ihrem Mann schöne Grüße von mir.«
»Auf Wiedersehen, Mister Dexter.« Die Frau drückte die Tür zu. Sie war echt beruhigt. Das Gebäude, in dem sie wohnte, sollte ursprünglich verkauft werden. Als die Verkaufsverhandlungen schon fast abgeschlossen waren und man sich einig war, kam heraus, dass es abgerissen werden und einem Supermarkt weichen sollte. Sämtliche Mieter hätten ihre Wohnungen verloren. Milton Dexter hatte daraufhin die Verkaufsabsicht fallen lassen. Nancy Mason war ihm dankbar dafür.
Währenddessen stieg Milton Dexter die Treppe in die dritte Etage empor. Er selbst wollte den Menschen in dem Gebäude mitteilen, dass sie ihre Wohnungen behalten würden. Er nahm die Gelegenheit wahr, um wieder einmal ein paar Worte mit seinen Mietern zu wechseln und eventuelle Beanstandungen entgegenzunehmen.
Dexter war ein Mann von neunundvierzig Jahren. Seine Haare färbten sich schon grau. Er war etwa eins achtzig groß und wirkte drahtig. Seine soziale Einstellung war bemerkenswert. Das Gebäude hatte er wie einige andere auch von seinem Vater geerbt. Manche der Mieter wohnten hier schon dreißig Jahre und länger. Es hätte Dexters sozialem Empfinden widersprochen, wenn diese Menschen seinetwegen ihre Wohnungen verloren hätten.
Er läutete an der Tür in der dritten Etage. Ein Mann öffnete ihm. Er war etwa fünfzig. »Ah, Mister Dexter.«
»Guten Tag, Mister Meacham. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«
»Natürlich. Kommen Sie herein.«
Dexter betrat die Wohnung, Meacham reichte ihm die Hand, dann begrüßte ihn auch Elizabeth Meacham. »Was führt Sie zu uns, Mister Dexter? Bringen Sie uns etwa die schriftliche Kündigung der Wohnung persönlich vorbei?«
Fast ängstlich musterte die Frau Milton Dexter.
Dexter lachte fast belustigt auf. »Das Gegenteil ist der Fall, Mrs. Meacham. Ich bin gekommen, um Ihnen zu bestätigen, dass ich nicht verkaufen werde und dass das Mietverhältnis zwischen Ihnen und mir nicht gefährdet ist. Sie können in der Wohnung bleiben, solange Sie möchten.«
»Gott sei dank«, murmelte der Mann aufatmend. »Ein Umzug kostet Geld. Ich bin seit einem halben Jahr arbeitslos und finde einfach keinen neuen Job. Wir sind finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet.«
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Mister Dexter?«, fragte die Frau.
»Nein, danke. Hab eben erst bei Mrs. Mason Kaffee getrunken. Das war's auch schon. Machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin aus den Verkaufsverhandlungen ausgestiegen. Sie können sich auch darauf einstellen, dass ich in den nächsten drei Jahren die Miete nicht erhöhen werde.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, murmelte Matt Meacham.
Dexter verabschiedete sich und läutete an der Tür der anderen Wohnung …
Eine Stunde später verließ er das Haus. Er fühlte sich beschwingt. Die Dankbarkeit der Menschen sorgte bei ihm für ein gutes Gefühl. Dexter setzte sich in seinen Land Rover, steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drehte ihn herum, und der Motor sprang an. Er kurbelte am Lenkrad, rangierte den Rover aus der Parklücke, ließ einen Wagen vorbei und gab leicht Gas.
Dexter wohnte in Queens, 75th Street. Jetzt befand er sich in Manhattan, Lower East Side, Clinton Street. Um auf die andere Seite des East River zu gelangen, fuhr er zur Brooklyn Bridge, wechselte in Queens auf den Interstate 278 und wandte sich schließlich nach Nordosten, um zum Juniper Valley Park zu gelangen, wo sein Haus lag. Er wohnte dort mit seiner Gatten Jane. Kinder hatten die beiden nicht. Ihr Sohn war vor vielen Jahren tödlich verunglückt, als er gerade mal fünfzehn Jahre alt war.
Das Haus lag in einem großen Grundstück. Per Fernbedienung öffnete Dexter das schmiedeeiserne Tor der Einfahrt. Durch das dichte Zweiggespinst von hohen Büschen war die weiße Fassade des Bungalows zu sehen. Dexter hielt vor der Doppelgarage an, stellte den Motor ab, zog die Handbremse an, und stieg aus. Gleich darauf betrat er das Haus. »Jane!«
Das Wohnzimmer war verwaist. Dexter vermutete, dass sich seine Frau in der Küche befand. Die Küchentür war geschlossen. Dexter drückte hinter sich die Tür zu, zog seine Jacke aus und hängte sie an die Garderobe, dann ging er zur Küchentür und öffnete sie. »Jane!«
Er erhielt keine Antwort. In der Küche war seine Gattin auch nicht. Dexter ging zur Schlafzimmertür. War Jane schlecht geworden und sie hatte sich niedergelegt? Sorge stieg in dem Mann in die Höhe. Er klinkte die Tür auf. Seine Frau lag auf dem Bett. Ihr Mund war mit einem grauen Plastikband zugeklebt. Sie war an Händen und Füßen gefesselt. In ihren Augen spiegelte sich das nackte Entsetzen wider.
»Jane!«, entfuhr es Milton Dexter. Er war fassungslos und konnte im ersten Moment keinen richtigen Gedanken fassen. Einbrecher!, zuckte es lediglich durch sein Bewusstsein. Er machte einen Schritt ins Zimmer. Jane Dexter gab dumpfe Laute von sich. In dem Moment, als sich Dexter über seine Frau beugte, gab es einen fürchterlichen Knall. Das Zimmer war urplötzlich in Flammen gehüllt. Das Ehepaar wurde auf der Stelle getötet …
*
Als Milo und ich beim Juniper Valley Park ankamen, waren die Kollegen von der Spurensicherung schon vor Ort. Da eine Bombe im Spiel gewesen war, hatte man sofort das FBI informiert. Mr. McKee hatte Milo und mich mit den Ermittlungen beauftragt. Wir hatten keine Zeit verloren.
Die Kollegen von der SRD trugen weiße Anzüge. Das Schlafzimmer war total zerstört. Die beiden Leichen waren vom Coroner bereits in die Gerichtsmedizin geschafft worden. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft war anwesend.
Der Mann, der den Einsatz der Spurensicherung leitete, war Sergeant McMillan. Wir sprachen mit ihm. Er sagte: »Den ersten Erkenntnissen nach handelte es sich um einen ferngezündeten Sprengsatz. Der Täter muss irgendwo vor dem Haus Position bezogen haben. Nachdem Dexter das Haus betreten hatte, ließ er die Bombe hochgehen.«
»Woher weiß man, dass Dexter das Haus erst kurz vor der Explosion betreten hatte?«, wollte ich wissen.
»Ein Nachbar sah ihn kommen. Nachdem Dexter auf das Grundstück gefahren war, dauerte es zwei oder drei Minuten, dann erfolgte die Detonation. – Der Täter muss ins Haus eingedrungen sein und Mrs. Dexter überwältigt haben. Sie war gefesselt und geknebelt. Einbruchsspuren gibt es jedoch nicht. Die Frau muss dem Killer die Tür geöffnet haben.«
Wir sprachen mit dem Nachbarn. Auf meine Frage hin sagte der Mann: »Nein, ich habe keinen Fremden auf dem Grundstück gesehen. Wenn ich ehrlich bin, hab ich auch gar nicht drauf geachtet. Allerdings sah ich Dexter kommen, das heißt, ich sah seinen Land Rover auf das Grundstück fahren. Gleich darauf knallte es fürchterlich.«
»Hatte Dexter Feinde?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Wir haben manchmal über den Zaun hinweg ein paar Worte gewechselt. Über irgendwelche intimen Dinge haben wir uns nie unterhalten.«
»Was arbeitete Dexter?«
»Er ist Besitzer einer Chipfabrik. Außerdem besitzt er in New York einige Mietshäuser. Er war stinkreich.«
»Hatte er Kinder?«
»Sein einziger Sohn wurde vor etwa zehn Jahren von einem Lastwagen überfahren und getötet.«
Ich bedankte mich.
Zurück im Field Office meldeten wir uns beim Assistant Director an und erstatteten ihm Bericht. Mr. McKee hörte schweigend zu. Nachdem ich geendet hatte, sagte er: »Irgendjemand hatte Interesse daran, dass Milton Dexter und seine Gattin das Zeitliche segneten. Es ist Ihr Job, den Mörder zu überführen. Hören Sie sich im näheren Umfeld des Getöteten um. Wahrscheinlich müssen wir dort den Mörder suchen.«
»Es kann auch ein Feind gewesen sein, der sich nicht im näheren Umfeld Dexters bewegte«, wandte ich ein.
Der Chef hob die Hände, ließ sie wieder sinken und erwiderte: »Natürlich.« Er lächelte in der ihm eigenen Manier. »Arbeiten Sie sich durch, Agents. Bei Ihnen weiß ich den Fall in den besten Händen. Bringen Sie mir den Mörder.«
Damit waren wir entlassen. Wir begaben uns in unser Büro. Ich fuhr meinen Computer hoch, loggte mich ein und holte die Homepage von Dextron auf den Monitor. Es handelte sich dabei um Milton Dexters Unternehmen. Der Betrieb hatte seinen Sitz in Queens, genauer gesagt in der 34th Avenue. Dexter war alleiniger Besitzer. Ich notierte mir die Anschrift. Dann machten wir uns auf den Weg. Ich kämpfte mich mit dem Sportwagen durch das Verkehrsgewühl in Manhattan, wir überquerten den East River und ich chauffierte den roten Flitzer kreuz und quer durch Queens, bis wir die 34th Avenue erreichten. Im Hof des Unternehmens fand ich einen Parkplatz. Wir betraten das Verwaltungsgebäude und sahen an einer Tür ein Schild mit der Aufschrift Sekretariat. Ich pochte gegen die Tür, und ohne die Aufforderung, einzutreten, abzuwarten, öffnete ich. Das Büro war mit zwei Frauen besetzt. Eine war um die vierzig, die andere ungefähr dreißig. Beide arbeiteten an Bildschirmarbeitsplätzen. Die Jüngere hörte auf, ihre Tastatur zu bearbeiten und wandte sich uns zu. »Was können wir für Sie tun?«
Mir entging nicht, dass ihre Augen gerötet waren, als hätte sie geweint. Auch ihre Kollegin vermittelte einen verhärmten Eindruck. Der Tod Ihres Chefs und seiner Gemahlin schien ihnen ziemlich nahe gegangen zu sein.
Milo übernahm es, uns vorzustellen, indem er sagte: »Wir sind die Special Agents Trevellian und Tucker vom FBI New York.«
Sofort schossen der Frau die Tränen in die Augen. »Der arme Mister Dexter. Er war ein guter Mensch, der immer ein Ohr für die Nöte seiner Beschäftigten hatte. Wer kann ihm das angetan haben?«
»Das wollen wir herausfinden«, versetzte ich. »Daher hätten wir eine Reihe von Fragen an jemand, der kompetent ist. Wir wissen, dass Mister Dexter alleiniger Besitzer des Unternehmens war. Hatte er einen Stellvertreter?«
»Er hat einen Geschäftsführer eingesetzt«, antwortete die Sekretärin. »Es handelt sich um seinen Neffen, Mister Mallory. Mister Mallory hat sein Büro in der ersten Etage. Er hat allerdings sofort den Betrieb verlassen, nachdem die Nachricht vom Tod seines Onkels eintraf.«
»Wie heißt Mister Mallory noch?«, fragte Milo.
»Brad – Brad Mallory.«
»Wo wohnt er?«
»Drüben, in Manhattan. Irgendwo in Clinton. Ich kann es herausfinden. Einen Moment.«
Die Frau widmete sich ihrem Computer. Das Bild auf dem Monitor wechselte. Dann sagte die Sekretärin: »412, West 56th Street.«
Milo holte sein Notizbuch aus der Jackentasche und vermerkte die Adresse.
»Kann man Mister Mallory auch telefonisch erreichen?«, fragte ich.
Die Sekretärin diktierte sowohl die Nummer seines Festnetzanschlusses als auch seine Handynummer.
»Gibt es außer Mister Mallory weitere Führungskräfte im Betrieb?«
»Mister Sanders. Er ist der Abteilungsleiter Produktion. Um das Controlling kümmert sich Mister Mallory selbst. Soll ich Mister Sanders herrufen?«
»Ja, ich bitte darum.«
Es dauerte zehn Minuten, dann kam ein Mann, der mit einem grauen Anzug und einem hellblauen Hemd bekleidet war. Um den Hals trug er eine Krawatte, die zu seinem übrigen Outfit passte. Er war mittelgroß und neigte zur Übergewichtigkeit. Nachdem er sich uns vorgestellt und ich ihm meinen Ausweis gezeigt hatte, fragte er: »Was kann ich für Sie tun? Schrecklich die Sache mit dem Boss und seiner Frau. Er war so ein großherziger Mensch …«
Der Mann strich sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, als er würgend schluckte.
»Hatte Mister Dexter Feinde?«, begann ich die Befragung.
Sanders schob die Unterlippe vor und schaute nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf. »Kaum vorstellbar. Die Menschen, die hier im Betrieb arbeiten, verehrten ihn. Er war bei allen angesehen. Der Anschlag kann höchstens von der Konkurrenz ausgegangen sein. Wobei das auch keinen Sinn ergäbe. Dextron wird weiterproduzieren. Mallory wird den Betrieb übernehmen. Das dürfte so gut wie sicher sein. Dexter hat sonst keine Erben. Brad Mallory ist der Sohn seiner Schwester und führt im Betrieb die Geschäfte.«
»Mit ihm werden wir uns noch unterhalten«, erklärte ich.
»Ich kann Ihnen kaum etwas sagen«, murmelte Sanders. »Dexter war allseits beliebt. Er spendete auch riesige Summen für soziale Zwecke. Ich weiß, dass es hin und wieder vorkam, dass der eine oder andere seiner Mieter die Miete nicht bezahlen konnte. Es war kein Grund für Dexter, ihn aus der Wohnung zu werfen. Er stundete ihm die Schulden. Und manchmal erließ er sie sogar.«
»Hatten Sie persönlichen Kontakt mit Dexter?«, fragte Milo.
»Er zeigte sich nur noch selten im Betrieb«, antwortete Sanders. »Dexter überließ die Geschäftsführung seinem Neffen.«
Wir bedankten uns. Vom Sportwagen aus rief Milo Brad Mallory an. Unter seinem Festnetzanschluss war er nicht erreichbar. Nachdem Milo die Handynummer gewählt hatte, meldete er sich. Milo erklärte, wer er war, dann sagte er: »Wir haben einige Fragen an Sie, Mister Mallory. Können Sie in zwei Stunden im Field Office an der Federal Plaza vorsprechen?«
»Natürlich, ich werde pünktlich erscheinen.«
*
Es war 11.30, als jemand an die Tür unsere Büros klopfte.
»Herein!«, rief ich.
Die Tür ging auf, ein Mann Mitte der dreißig zeigte sich. Er blickte ausgesprochen ernst drein. Seine Haare waren dunkel. Er war mit einem dunkelblauen Anzug, einem weißen Hemd und einer schwarzen Krawatte bekleidet. »Mein Name ist Brad Mallory«, stellte er sich vor. »Wir haben eine Verabredung.«
»Richtig, Mister Mallory.« Ich erhob mich, reichte dem Besucher die Hand, und nachdem wir uns begrüßt hatten, bot ich ihm einen Platz an. »Sie ahnen sicher, weshalb wir Sie herbestellt haben.«
Er nickte. Ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen. »Kaum vorstellbar, dass es einen Menschen gibt, der meinem Onkel feindlich gesonnen war.«
»Wir haben uns bereits ein Bild von Ihrem Onkel machen können«, versetzte ich. »Wir hörten nur Gutes über ihn.«
»Er war ein guter Mensch.« Mallory sprach es mit besonderer Betonung.
»Und trotzdem wurde er ermordet.«
Darauf antwortete Mallory nicht. Er schaute von mir zu Milo und wieder zurück zu mir. »Fragen Sie. Soweit ich dazu in der Lage bin, will ich Ihre Fragen gerne beantworten.«
»Sie leiten die Geschäfte bei Dextron«, begann ich.
»Ja. Mein Onkel hat sich ziemlich zurückgezogen. Nur noch bei besonders wichtigen Entscheidungen – bei Entscheidungen, die die Zukunft des Unternehmens betrafen -, hatte er sich ein Mitspracherecht vorbehalten.«
»Er hatte keine leiblichen Kinder.«
»Nein.«
»Wer erbt das Unternehmen?«
»Onkel sprach immer davon, dass er ein Testament zu meinen Gunsten machen wird.«
»Machen wird?«, hakte Milo nach.
»Ich weiß nicht, ob er seinen Nachlass bereits geregelt hat. Immerhin war er erst neunundvierzig Jahre alt. In diesem Alter denkt ein Mann wie mein Onkel nicht ans Sterben.«
»Es muss jemand geben, der Ihren Onkel gehasst hat – so sehr gehasst, dass er vor Mord nicht zurückschreckte«, bemerkte Milo.
Mallory schaute Milo versonnen an. »Seit ich von dem Mord in Kenntnis gesetzt wurde, zerbreche ich mir den Kopf, wer den Tod meines Onkels gewollt haben konnte.« Mallory zuckte mit den Achseln. »Ich komme nicht drauf.«
»Ihr Onkel soll neben dem Unternehmen auch einige Mietshäuser in New York besitzen«, schnitt ich ein anderes Thema an.
Mallory nickte. »Das stimmt. Wobei ich ihnen nicht genau sagen kann, wie viele Häuser es sind und wo sie sich befinden.«
»Hatten Sie engen privaten Kontakt zu Ihrem Onkel?«, wollte Milo wissen.
»Unser Verhältnis war gut. Meine Frau und ich besuchten ihn des Öfteren in seinem Haus in Queens. Manchmal waren wir dort zum Essen eingeladen. Mein Onkel und meine Tante kamen aber auch zu uns. Ja, die Beziehung war familiär. Ich glaube, er sah in mir so etwas wie einen Ersatz für seinen verstorbenen Jungen.«
»Sprach er nie mit Ihnen über irgendwelche Probleme?«
Mallory dachte kurz nach. »Er wollte sich von einem seiner Häuser trennen. Es befindet sich in der Lower East Side und ist renovierungsbedürftig. Die Verkaufsverhandlungen zogen sich über Wochen hinweg. Aber dann erfuhr Onkel, dass das Gebäude abgerissen werden sollte. An dem Platz sollte ein Supermarkt oder ein Einkaufscenter entstehen. Den Mietern hätte man gekündigt. Onkel trat daraufhin von den Verhandlungen zurück.«
Ich wechselte mit Milo einen viel sagenden Blick. »Mit wem verhandelte Ihr Onkel bezüglich des Verkaufs?«
»Ich hab keine Ahnung. Er sprach mal von einer Bauträgergesellschaft. Was Genaueres weiß ich nicht.«
»Sie würden nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Häuser erben«, brachte sich Milo wieder in das Gespräch ein.
Mallorys Brauen schoben sich zusammen. Über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei senkrechte Falten. »Sie denken, dass ich ein Motiv gehabt haben konnte.«
»Wir müssen jede Eventualität ins Kalkül ziehen«, versetzte Milo sachlich. »Das verstehen Sie sicher. Das heißt, wir müssen in jede mögliche Richtung ermitteln. Nur so können wir den roten Faden finden, an dessen Ende der Mörder hängt.«
Mallory presste sekundenlang die Lippen zusammen, dass sie nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. Dann sagte er: »Sie irren sich, G-man. Ich hab mit dem Tod meines Onkels und meiner Tante nichts zu tun.«
»Hast du noch Fragen, Milo?«, fragte ich.
Mein Partner schüttelte den Kopf. »Im Moment nicht.«
Da auch ich keine Fragen mehr hatte, erklärte ich Mallory, dass er gehen könne. Als wir alleine waren, fragte Milo: »Was hältst du von ihm?«
»Schwer zu sagen«, erwiderte ich. »Auf den ersten Blick traut man ihm jedenfalls keinen Mord zu.«
»Wir haben eine weitere Spur«, bemerkte Milo. »Natürlich werden wir Mallory nicht aus den Augen lassen. Er könnte ein Motiv gehabt haben.«
»Mit der weiteren Spur meinst du die Bauträgergesellschaft, mit der Dexter in Verhandlungen gestanden hat, nicht wahr?«
»Du hast es erfasst, Kollege«, murmelte Milo.
»Mallory wusste nicht, mit wem sein Onkel die Verkaufsverhandlungen führte«, gab ich zu bedenken.«
»Er bediente sich gewiss anwaltschaftlicher Hilfe«, meinte Milo. »Außerdem wird sich in seiner Wohnung irgendein Hinweis gefunden haben. Ich rufe mal bei der SRD an.«
Eine halbe Minute später hatte Milo jemand an der Strippe. Er wurde weiter verbunden und hatte dann den zuständigen Beamten am Apparat. Milo stellte seine Frage. »Ja«, erhielt er zur Antwort, »wir haben entsprechende Unterlagen sichergestellt. Einen Moment.« Einige Sekunden verstrichen, in denen Milo mich triumphierend musterte, dann erklang es: »Dexter befand sich mit der Manhattan Bau in Verhandlungen. Vertreten wurde er von Rechtsanwalt Richard Byler. Die Kanzlei befindet sich in der Pine Street.«
»Vielen Dank«, sagte mein Partner und drückte die Unterbrechungstaste.
Es war unmöglich, in der Pine Street einen Parkplatz zu finden. Daher suchte ich ein Parkhaus in der Nähe auf. Wir mussten ein Stück gehen. Die Kanzlei befand sich im siebzehnten Stock eines Geschäftshauses. Der Aufzug trug uns nach oben. Schließlich betraten wir einen Gang mit einer Rezeption, hinter der eine junge, hübsche Frau saß. Sie lächelte uns zu und fragte nach unseren Wünschen.
»Wir möchten mit Mister Byler sprechen«, antwortete ich und stellte uns dann vor.
»Möchten Sie mit dem Senior oder dem Junior reden?«
»Das ist die Frage. Welcher von beiden hat Milton Dexter vertreten?«
Die Sekretärin bediente ihren Computer, dann sagte sie: »Sie müssen sich an Mister Byler Junior wenden. Zimmer 1705. Ich melde Sie an.« Sie griff nach dem Telefonhörer und tippte eine Nummer, dann sagte sie: »Zwei Gentlemen vom FBI sind hier und möchten Sie sprechen, Sir. Darf ich sie in Ihr Büro schicken?« Die junge Frau lauschte noch kurz, bedankte sich und legte auf. »Zimmer 1705«, wiederholte sie. »Der Chef erwartet Sie.«
Richard Byler war ein Mann von ungefähr vierzig Jahren. Er war groß und schlank und vermittelte den Eindruck eines Lebemannes. Sein Gesicht war solariengebräunt. Der Anwalt kam um den Schreibtisch herum und begrüßte uns per Händedruck. »Ich kann mir denken, was Sie zu mir führt«, sagte er mit dunkler, wohlklingender Stimme. »Eine furchtbare Tat. Haben Sie schon irgendwelche Hinweise auf den oder die Mörder?«
»Wir haben die Ermittlungen erst aufgenommen«, erwiderte ich. »Und im Rahmen unserer Ermittlungen sind wir hier.«
»Setzen Sie sich.«
Wir ließen uns an dem runden Besuchertisch nieder. »Brad Mallory hat mich informiert«, erklärte der Rechtsanwalt. »Es will mir noch immer nicht in den Kopf. Ich hatte erst mit Milton Dexter zu tun.«
»Es ging um den Verkauf eines Hauses«, sagte ich. »Dexter ist aus den Verhandlungen ausgestiegen.«
»Das ist richtig. Die Manhattan Bau wollte das Gebäude in der Clinton Street abreißen lassen und an seiner Stelle ein Einkaufscenter errichten. Fast zwei Dutzend Mieter hätten ihre billigen Wohnungen verloren. Das erfuhren wir erst kurz vor Unterzeichnung der Kaufverträge. Mister Dexter ist daraufhin abgesprungen.«
»Wie hat man bei der Manhattan Bau reagiert?«, fragte Milo.
»Tja, man war nicht gerade glücklich darüber. Aber schließlich mussten es die Leute akzeptieren. Dexter ließ sich nicht erweichen.«
»Von welchen Leuten ist die Rede?«
»Wir haben mit John Linhardt und James Murdock verhandelt.«
»Wo finden wir die Manhattan Bau?«
»Desbrosses Street.«
»Als man den Vertretern der Manhattan Bau eine Absage erteilte – wie reagierten sie?«
Der Anwalt wiegte den Kopf. »Sie erhöhten das Angebot. Als Dexter kategorisch ablehnte, reagierten sie sauer. Linhardt meinte, dass es keine kluge Entscheidung sei. Dexter werde sein Nein noch bereuen.«
»Sagte er das wortwörtlich?«, hakte ich nach.
»Ja. Ich glaube aber nicht, dass dahinter eine Morddrohung steckte. Ich bezog das auf die finanziellen Auswirkungen für Dexter. Die Bauträgergesellschaft bot schließlich eine horrende Summe für das Gebäude. Jeder vernünftig denkende Mensch hätte zugegriffen.«
»Nicht so Dexter«, bemerkte Milo.
»Nicht so Dexter«, bestätigte der Anwalt mit denselben Worten. Dann sprach er weiter: »Er war ein eigener Kopf. Wenn er sich einmal entschieden hatte, brachte ihn nichts mehr ins Wanken. An ihm bissen sich Linhardt und Murdock die Zähne aus.«
»Wann erteilte ihnen Dexter die Absage?«, fragte ich.
»Vor drei Tagen.«
»Und kurz danach deponiert jemand eine Bombe in Dexters Wohnung.«
»Der zeitliche Zusammenhang ist sicher gegeben«, meinte der Anwalt. »Doch kann ich mir nicht vorstellen, dass die Manhattan Bau dahinter steckt.«
»Das hat auch niemand behauptet«, versetzte ich. »Allerdings dürfen wir keine Möglichkeit außer Acht lassen. Und darum werden wir uns auch mit Linhardt und Murdock unterhalten müssen.«
»Natürlich.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer Dexters Vermögen erbt?«
»Es gibt ein Testament. Dexter hat es vor knapp einem Jahr bei einem Notar hinterlegt. Ich habe ihm bei der Abfassung geholfen. Im Falle seines Ablebens sollte seine Gattin Alleinerbin des Vermögens und der Immobilien sein. Sollten er und seine Gattin zur gleichen Zeit sterben – durch einen Flugzeugabsturz etwa -, sollte Brad Mallory, ein Neffe, alles erben.«
»Hat er einen Nachlassverwalter bestimmt?«
»Ja, mich.«
»Mallory hat erklärt, dass er keine Ahnung habe, ob ein Testament vorliegt.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es Dexter nicht an die große Glocke hängte.«
Wir verabschiedeten uns.
Als wir im Auto saßen, zogen wir ein kurzes Resümee. Ergebnis war, dass an erster Stelle auf unserer Liste der Verdächtigen Brad Mallory stand. Es war nicht auszuschließen, dass er wusste, dass es ein Testament zu seinen Gunsten gab. Um in den Genuss der Erbschaft zu gelangen, musste auch Jane Dexter sterben. Nun stand dem Antritt des Erbes nichts mehr im Wege.
Aber das war natürlich nur Spekulation. Tatsächlich hatten wir nicht den Hauch einer Ahnung, wer die Verantwortung am Tod von Milton Dexter und seiner Frau trug.
Die Bauträgergesellschaft befand sich in der siebten Etage eines Hochhauses. Auch hier sprachen wir zunächst im Sekretariat vor. Wir erfuhren, dass nur John Linhardt im Hause war. James Murdoch befand sich im Außendienst. Milo klopfte an die Tür von Linhardts Büro. »Herein!«, erklang es, und Milo öffnete. Wir betraten das Büro. Linhardt musterte uns fragend. Er war noch ziemlich jung, höchstens dreißig.
»Mein Name ist Trevellian«, erklärte ich. »Ich bin Special Agent beim FBI New York. Das ist mein Kollege Tucker.«
»Was will das FBI von mir?«, fragte Linhardt mit einem angedeuteten Lächeln um die schmalen Lippen.
»Milton Dexter wurde ermordet.«
Das Grinsen in Linhardts Gesicht gerann. Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Unglaube starrte er mich an. »Dexter – wurde – ermordet!«, stammelte er, als er meine Eröffnung verarbeitet hatte. »Großer Gott.«
Ich beobachtete Linhardt. Sein Erschrecken schien mir nicht gespielt zu sein. In seinem Gesicht zuckten die Muskeln. Mit einer fahrigen Handbewegung strich er sich über den Mund.
»Er wurde zusammen mit seiner Gattin getötet«, sagte ich. »Jemand hat eine Bombe in seinem Haus deponiert.«
»Bitte, setzen Sie sich«, stammelte Linhardt und wies auf den Besuchertisch, um den fünf Stühle gruppiert waren. Als wir saßen, sagte ich: »Sie und Mister Murdock standen mit Dexter in Verhandlungen wegen eines Gebäudes in der Clinton Street.«
Linhardt nickte einige Male. »Ja. Doch kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen sprang Dexter ab. Wir erhöhten unser Angebot, aber er blieb stur.«
»Sie meinten, er werde seine ablehnende Haltung noch bereuen.«
Linhardt starrte mich an. Kurze Zeit verstrich. Dann murmelt er: »Ein Angebot, wie wir es ihm unterbreiteten, gibt es kein zweites Mal. Nur ein Dummkopf konnte es ausschlagen.«
»Warum ist die Manhattan Bau so scharf auf das Gebäude?«
»Es geht um den Platz, um die Lage«, versetzte Linhardt. »Das Gebäude wäre der Schubraupe zum Opfer gefallen. Die Manhattan Bau wollte dort ein Einkaufscenter errichten. Ein solches Einkaufszentrum dürfte in der Lower East Side eine Goldgrube darstellen.«
»Sie reagierten sauer, als Dexter ablehnte.«
»Natürlich reagierte ich sauer. Wir haben viele Stunden verhandelt. Zeit ist Geld. In der Zeit, in der wir mit Dexter verhandelten, hätten wir uns nach anderen Objekten umsehen können. Wir haben unsere Zeit schließlich nicht gestohlen.«
»Werden Sie mit einem Angebot an Dexters Erben herantreten?«
»Das weiß ich nicht. Das wird der Boss entscheiden müssen. Ist überhaupt schon ein Erbe bekannt?«
Ich ging nicht auf diese Frage ein, sondern fragte: »Wer ist Ihr Boss?«
»George Duncan.«
»Wie hat Mister Duncan reagiert, als Sie ihm von Dexters Absage unterrichteten.«
»Er bezeichnete Dexter als Narren und gebot uns, nach anderen lohnenden Objekten Ausschau zu halten.«
»Haben Sie schon etwas gefunden?«
»Nein.«
*
Am späten Nachmittag besuchten wir James Murdock in seiner Wohnung. Murdock war ungefähr vierzig Jahre alt. Seine Frau bot uns etwas zu trinken an, doch wir lehnten dankend ab. Als wir saßen, begann ich: »Sicher hat Sie Linhardt über den Mord an Milton Dexter in Kenntnis gesetzt.«
»Hat er«, murmelte Murdock. »Ich lernte Dexter kennen, als wir mit ihm wegen des Verkaufs einer Immobilie verhandelten. Aber das hat Ihnen John – ich meine Linhardt sicherlich erzählt.«
»Der Rechtsanwalt, der Mister Dexter bei den Verkaufsverhandlungen unterstützte, meinte, dass Sie nicht sehr glücklich waren, nachdem Dexter die Gespräche platzen ließ.«
»Das ist ziemlich gelinde ausgedrückt«, knurrte Murdock. »Wir waren stinksauer, nachdem wir viele Stunden geopfert hatten.«
»Vielleicht hätten Sie Dexter von vorneherein reinen Wein einschenken sollen«, mischte sich Milo ein.
»Bei den Gesprächen ging es nur um den Verkauf, nicht um die Pläne von Manhattan Bau. Als die Sache unterschriftsreif war, wollte Dexter plötzlich wissen, was die Manhattan Bau veranlasst, mit einer derart hohen Summe einzusteigen. Wir sahen keinen Grund, es ihm zu verschweigen. Seine Reaktion kennen Sie ja.«
»Linhardt äußerte, dass Dexter seine Entscheidung noch bereuen werde.«
»Natürlich würde er seine Entscheidung noch bereuen. Kein Mensch zahlt ihm mehr den Preis für das alte Gerümpel, den ihm die Manhattan Bau gezahlt hätte. So verschenkt man Geld.«
»Kann Linhardt seine Äußerung nicht anders gemeint haben?«, fragte Milo.
Murdock starrte meinen Partner fast entsetzt an. Dann hob er abwehrend die Hände. »Das – das glauben Sie doch nicht im Ernst?«
»War eine rein rhetorische Frage«, murmelte Milo.
Zurück im Field Office sprachen wir mit Mr. McKee. Er hörte sich an, was wir zu sagen hatten, dann meinte er: »Brad Mallory könnte Interesse am Tod seines Onkels und seiner Tante gehabt haben. Voraussetzung dafür ist, dass er von dem Testament wusste. Aber auch bei der Manhattan Bau konnte Interesse am Tod des Ehepaares bestanden haben, um mit dem Erben in die Verkaufsverhandlungen einzutreten.«
»Dann müsste aber auch die Manhattan Bau von dem Testament gewusst haben«, gab Milo zu bedenken.
»Warum nicht? Wir können nicht ausschließen, dass der Erbe an die Manhattan Bau herangetreten ist.«
»Ein Komplott«, murmelte ich. »Warum nicht?«
»Wo ist der Hebel, an dem wir ansetzen können?«, fragte Milo.
»Den zu finden ist Ihr Job, Agents«, lächelte der Assistant Director. »Warten Sie ab, bis die Testamentseröffnung erfolgt. Dann werden wir sehen, ob die Manhattan Bau an Mallory herantritt und ob dieser verkauft.«
»Was allerdings keinen Beweis darstellen würde«, knurrte Milo.
»Es wäre zumindest ein Indiz«, antwortete Mr. McKee.
»Das kann Wochen dauern«, gab ich zu verstehen.
»Weil ich das geahnt habe«, sagte der Chef lächelnd, »habe ich mir gedacht, Sie in der Zwischenzeit anderweitig zu beschäftigen.« Der Chef nahm einen dünnen Schnellhefter von seinem Schreibtisch und kam damit zu uns zum Konferenztisch. »Ein brisanter Fall. Aus einem Tempel in Kandy, Sri Lanka, wurde eine Reliquie Buddhas gestohlen. Die Spur der Reliquie führt nach New York. Ein Polizist aus Sri Lanka namens Ashraff ist in New York eingetroffen. Er kommt morgen früh ins Field Office. Kümmern Sie sich um den Mann und helfen Sie ihm, die Reliquie wiederzubeschaffen.«
»Kennt der Buddhismus überhaupt Reliquienverehrung?«, fragte Milo.
»Wenn es um Reliquien von Buddha persönlich geht – wird sie ganz groß geschrieben.«
Ich nahm den Schnellhefter an mich …
Kapitel 2
Um 8 Uhr klopfte es an die Tür zu unserem Büro. Ich bat den Besucher einzutreten und ahnte schon, wer kam. Der Mann war dunkelhäutig und hatte schwarze Haare. Seine Gesichtszüge konnte man als mongolid bezeichnen. Er war mittelgroß und schmal gebaut. Wir erwiderten seinen Gruß, dann sagte er in gutem Englisch: »Ich habe schon mit Ihrem Assistant Director Verbindung aufgenommen. Mein Name ist Ashraff. Ihr Chef hat Sie sicherlich informiert.«
Ich erhob mich und gab Ashraff die Hand, dann lud ich ihn ein, Platz zu nehmen. Auch ich ließ mich wieder nieder und sagte: »Es geht um eine Reliquie Buddhas. Sie nehmen an, dass sie in der Zwischenzeit in New York gelandet ist.«
»Die Diebe konnten in der Zwischenzeit dingfest gemacht werden. Der Mann, dem sie die Reliquie übergeben haben, ist Amerikaner und heißt Bruce Callagher. Wir nehmen an, dass es sich um einen Auftragsdiebstahl handelt. Wahrscheinlich will der Mann, bei dem die Reliquie landet, von World Fellowships of Buddhists in Bangkok ein Lösegeld erpressen.«
»Woher wissen Sie, dass der Dieb Bruce Callagher heißt?«
»Das haben die Reliquiendiebe ausgesagt. Von ihnen wissen wir auch, dass sich Callagher nach New York begeben hat.«
»Haben Sie schon eine Spur, die gegebenenfalls zu ihm führt?«
»Ja. Eine Bar.«
Wir erfuhren, dass es sich um die Casino Bar in der 81st Street handelte. »Was haben Sie vor?«, fragte ich.
»Ich will Callagher finden – und zwar mit Ihrer Hilfe.«
»Und dann?«
»Dann hoffe ich, dass mir Callagher erzählt, wo die Reliquie gelandet ist.«
»Warum handelt es sich bei der Reliquie?«
»Um einen Fingernagel Buddhas.«
»Und Sie sind sich sicher, dass sich Callagher in New York aufhält?«, versicherte sich Milo.
»Seine Spur führt hierher.«
*
Nachdem uns Ashraff wieder verlassen hatte, schaute ich im Archiv nach. Bruce Callagher war nicht registriert. Ich holte mir das Telefonbuch auf den Bildschirm. Es gab keinen Bruce Callagher in New York.
»Wir sollten abwarten, was Ashraff herausfindet«, meinte Milo. »Für uns ergibt sich kein Ansatz.«
»Möglicherweise sollten wir der Bar mal einen Besuch abstatten«, versetzte ich.
Da läutete mein Telefon. Ich nahm ab. Eine männliche Stimme sagte: »Dexter hat die Manhattan Bau auf dem Gewissen. Er hat sich geweigert, das Gebäude in der Clinton Street zu verkaufen. Darum musste er sterben.«
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
»Mein Name spielt keine Rolle. Die Bauträgergesellschaft wollte das Gebäude abreißen, um ein lukratives Einkaufzentrum an seine Stelle zu setzen. Ich bin ein Bewohner des Hauses. Dexter hat abgelehnt, weil er sich seinen Mietern verpflichtet fühlte. Sein Mörder ist die Manhattan Bau.«
»Können Sie diese Behauptung untermauern?«
»Nein. Aber wer sonst sollte Dexter ermordet haben? Er wies vor einigen Tagen das Angebot des Bauträgers zurück. Und jetzt ist er tot. Das muss Ihnen doch zu denken geben.«
»Wir befinden uns mitten in den Ermittlungen«, sagte ich.
»Suchen Sie den Mörder bei der Manhattan Bau«, sagte der Anrufer eindringlich und legte auf.
»Wir sollten uns vielleicht mal mit einigen Mietern des Gebäudes in der Clinton Street unterhalten«, sagte ich.
»Das kann sicher nicht schaden«, versetzte Milo. »Was hältst du von der Sache mit der Reliquie?«
»In diesem Fall gibt es für mich nichts Greifbares. Es geht um einen Fingernagel Buddhas. Ich hörte mal, dass es auch einen Eckzahn Buddhas in einem Tempel in Sri Lanka geben soll. Es gibt jedoch eine Reihe von Stimmen, die die Echtheit des Zahnes bezweifeln.« Ich hob die Schultern, ließ sie wieder sinken und schloss: »Ich glaube, dieses Thema können wir vernachlässigen. In der Dexter Sache geht es um Mord. Den zu klären erscheint mir wichtiger.«
Die Clinton Street war eine ruhige Straße. Es handelte sich um das Gebäude Nummer 243. Ich läutete im Erdgeschoss an einer Wohnungstür. Eine ältere Frau öffnete mir. Ich erklärte ihr, wer wir waren, sie bat uns in die Wohnung und stellte sich als Joanna Douglas vor. Als wir saßen sagte sie: »Das mit Mister Dexter ist furchtbar. Bevor er ermordet wurde, war er hier und sprach mit jedem der Mieter. Er erklärte uns, dass wir uns wegen der Wohnung keine Sorgen zu machen brauchten. Er habe entschieden, das Haus nicht zu verkaufen.«
»Hat er geäußert, dass er deswegen bedroht wurde?«
»Nein.« Mrs. Douglas schüttelte den Kopf. »Er war ziemlich aufgekratzt und versprach, in den nächsten Jahren auch die Miete nicht zu erhöhen. Er war so ein guter Mann.«
»Er verhandelte mit der Manhattan Bau wegen des Verkaufs«, sagte ich.
»Ja, die Leute von der Bauträgergesellschaft setzten ihm ziemlich zu. Aber Mister Dexter konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, uns Mieter unserem Schicksal zu überlassen. Dafür schließe ich ihn in mein Abendgebet ein.«
»Das kann sicher nicht schaden«, murmelte ich. Wir verließen Mrs. Douglas und stiegen hinauf in die zweite Etage. An der Tür eines Jim Mason läutete ich. Ein Mann um die siebzig öffnete mir. Ich sagte ihm, wer ich war, und mir entging nicht die jähe Nervosität, die ihn befiel. In seinen Mundwinkeln zuckte es, er zwinkerte unruhig. Als er seine Stimme erklingen ließ, kannte ich auch den Grund. Es war der Mann, der mich angerufen hatte. Er sagte: »Was führt das FBI zu mir?«
»Ein paar Fragen, Mister Dexter betreffend. Dürfen wir eintreten. Zwischen Tür und Angel spricht es sich nicht so gut.«
»Kommen Sie herein.«
Mason trat zur Seite und wir gingen in die Wohnung. In einer Tür zu einem angrenzenden Raum stand eine Frau. Sie musterte uns neugierig.
»Das sind zwei Gentlemen vom FBI«, stellte uns Jim Mason vor. »Sie kommen wegen Dexter. – Setzen Sie sich doch, meine Herren. Was sind das für Fragen? Ich werde Ihnen nicht viel sagen können.«
»Sie haben doch bei uns angerufen«, sagte ich unverblümt und beobachtete seine Reaktion.
Er zog den Kopf ein, sein Blick irrte ab. »Ich – ich …«
»Sie hatten keinen Grund, uns Ihren Namen zu verschweigen.«
»Na schön. Ich habe angerufen. Sie kennen also meine Auffassung.«
»Sie vermuten, dass die Manhattan Bau hinter dem Mord steckt.«
»Wer sonst? Als Dexter hörte, was die Bauträgergesellschaft plante, sprang er ab. Drei Tage später ist er tot. Es ist für mich keine Frage, wo sein Mörder zu suchen ist.«
»Mister Dexter war auch bei Ihnen, um Ihnen zu eröffnen, dass Sie sich wegen der Wohnung keine Sorgen zu machen bräuchten.«
»Ich war nicht zu Hause. Er hat mit meiner Gattin gesprochen.«
»Können wir Ihre Frau dazuholen?«
»Nancy!«, rief Mason.
»Was ist?«, ertönte es aus der Küche.
»Komm doch mal her. Die Agents möchten mit dir sprechen.«
Die Frau gesellte sich zu uns. Ich heftete den Blick auf ihr faltiges Gesicht. »Deutete Mister Dexter an, dass er wegen der Ablehnung, das Haus an die Manhattan Bau zu verkaufen, bedroht wurde?«
»Mit keinem Wort«, antwortete die Frau.
»Ich bin fest davon überzeugt, dass die Manhattan Bau dahinter steckt!«, stieß Mason unbeirrt hervor.
»Ihre Vermutung reicht leider nicht aus, um gegen die Verantwortlichen bei der Gesellschaft einen Haftbefehl zu erwirken«, erklärte ich.
Wir begaben uns eine Etage höher, um mit einem weiteren Wohnungsmieter zu sprechen. Das Gespräch ergab nichts Neues …
*
Es war 23 Uhr vorbei, als Ashraff die Casino Bar betrat. Das Licht war schummrig, Gemurmel und Geflüster erfüllte die Atmosphäre. Manchmal war Gelächter zu hören. Im Hintergrund lief leise Musik. Ashraff sah einige Asiaten, der Großteil der Gäste aber bestand aus Amerikanern.
Die Spur von Bruce Callagher führte in diese Bar. Hier allerdings endete sie. Ashraff war bereits am Tag zuvor hier gewesen. Aber er hatte sich nur umgesehen. Heute wollte er Fragen stellen. Es waren noch einige Tische frei. Auch an der Theke gab es noch Platz. Einige Bedienungen schwirrten durch den Gastraum, bemüht, keinen Gast allzu lange auf sein Getränk warten zu lassen. Hinter der Theke standen zwei Asiaten.
Ashraff setzte sich an den Tresen. Einer der Keeper näherte sich ihm. »Was möchten Sie trinken?«
»Ein Glas Wasser.«
»Sie müssen ein Gedeck nehmen.«
»Von mir aus. Geben Sie mir ein Gedeck.«
Der Keeper wandte sich wieder ab. Wenig später brachte er Ashraff das Gewünschte. Ashraff hielt den Mann am Ärmel fest. »Würden Sie mir eine Frage beantworten?«
Der Blick des Keepers verfinsterte sich. »Was für eine Frage?«
»Ich suche einen Mann. Sein Name ist Bruce Callagher.«
»Weshalb suchen Sie ihn denn? Sind sie 'n Polizist?«
»Ich komme direkt aus Sri Lanka. Ja, ich bin Polizist. Es wäre mir ausgesprochen wichtig, etwas über den Verbleib Callaghers zu erfahren.«
Der Keeper schürzte die Lippen. »Ich kenne Bruce Callagher nicht.«
»Er soll in dieser Bar verkehren.«
»Ich kenne ihn nicht«, behauptete der Keeper mit Nachdruck. »Und jetzt lassen Sie meinen Arm los.«
Ashraffs Griff löste sich vom Ärmel. Der Keeper schwang halb herum und entfernte sich. Ashraff griff nach dem Glas und trank einen Schluck Wasser. Er beobachtete den Keeper, der mit seinem Kollegen sprach. Dieser schoss Ashraff einen schnellen Blick zu. Gleich darauf telefonierte er mit seinem Handy.
Ashraff rutschte vom Barhocker und verließ den Gastraum durch die Hintertür. Er befand sich in einem erleuchteten Flur. Insgesamt vier Türen zweigten ab. Bei zweien handelte es sich um die Toilettentüren. Am Ende des Korridors war eine Treppe, die in die obere Etage führte. Der Flur endete bei einer Tür, durch die man wahrscheinlich den Hof betrat.
Der Beamte aus Sri Lanka wollte sich mit den Örtlichkeiten vertraut machen. Er ging in die Herrentoilette, wusch sich die Hände und im nächsten Moment erschien einer der Keeper. Ashraff war sich sicher, dass ihm der Bursche nachspionierte. Der Polizist kehrte in den Gastraum zurück und schwang sich wieder auf den Barhocker.
Langsam füllte sich die Bar. Jetzt ging wieder die Eingangstür auf und vier Kerle kamen in den Gastraum. Sie schauten sich um, dann kamen sie zum Tresen und bestellten Drinks. Der Keeper, der sie bediente, warf einen bezeichnenden Blick auf Ashraff. Einer der vier fixierte Ashraff einen Augenblick, dann nickte er kaum merklich.
Ashraff hatte sein Wasser ausgetrunken. Den Schnaps rührte er nicht an. Er winkte den Keeper heran und erklärte diesem, dass er bezahlen wollte. Er überließ dem Keeper ein kleines Trinkgeld und sagte: »Denken Sie nach. Kennen Sie Callagher wirklich nicht?«
»Ich sagte es doch schon. Der Name sagt mir nichts.«
Ashraff sprang vom Barhocker, nickte dem Keeper zu und drehte sich um, um zum Ausgang zu gehen. Die vier Kerle folgten ihm. Er trat ins Freie und atmete tief durch. Der Polizist spürte Enttäuschung. Endete in dieser Bar wirklich die Spur von Callagher? Hatte er umsonst den weiten Weg von Sri Lanka nach New York auf sich genommen?
Plötzlich sah er sich von den vier Kerlen eingekreist. Einer, ein vierschrötiger Bursche, über dessen Schultern sich eine Lederjacke spannte, trat vor ihn hin. In Ashraff begannen die Alarmglocken anzuschlagen. Er verspürte jähe Anspannung.
»He du!« Der Vierschrötige versetzte Ashraff einen leichten Stoß vor die Brust.
»Was wollen Sie von mir?«
»Du bist 'n verdammter Schnüffler.«
Ashraff ahnte, dass ihm der Keeper das Quartett auf den Hals gehetzt hatte. Er stellte sich auf Verdruss ein.
»Ich mache meinen Job.«
»In Amerika ist deine Dienstmarke einen Dreck wert.«
»Warum sagen Sie mir nicht, was Sie von mir wollen?«
»Jemand will dich sprechen.«
»Wer?«
»Das wirst du sehen. Gehen wir.«
»Wohin?«
»Auch das wirst du sehen. Also stell dich nicht an. Wir unternehmen eine kleine Fahrt.«
Ashraff atmete tief durch. Seine Gedanken wirbelten. Vielleicht erhielt er einen Hinweis auf Callagher. Möglicherweise sollte er aber auch in eine Falle gelockt werden. Er war plötzlich zwiegespalten. Das Gefühl sagte ihm, dass er mit den Kerlen gehen sollte. Der Verstand riet ihm davon ab. Er beschloss, nicht dem Gefühl zu folgen. »Ich werde nirgendwo mit Ihnen hinfahren«, murmelte er.
»O doch!«, stieß er Vierschrötige hervor und packte Ashraff mit beiden Händen an den Revers seiner Jacke. Mit einem Ruck schleuderte er den Asiaten herum und ließ ihn los, Ashraff taumelte zur Seite und landete in den Armen eines der anderen Kerle. Er wurde von hinten umklammert, die Arme wurden ihm gegen die Seiten gepresst.
Der Vierschrötige setzte nach und baute sich vor Ashraff auf. »Wir werden dich nicht fragen, Schlitzauge. Also komm jetzt. Du willst doch nicht, dass wir dir Schmerzen zufügen?«
In dem Moment erklang eine Stimme: »Lasst den Mann los. Und dann verschwindet. Ich kann euch aber auch Beine machen.«
Aus der Dunkelheit der Einfahrt löste sich eine schemenhafte Gestalt. Sie war mittelgroß und hager. Langsam glitt sie näher und nahm Formen an. Das Licht einer Straßenlaterne fiel auf sie und der Vierschrötige stieß hervor:
»Sieh an. Noch so ein schlitzäugiger Hurensohn. Jagt diese Witzblattfigur zum Teufel.«
Seine drei Kumpane wandten sich dem hageren Burschen zu. Sie versuchten, ihn in die Zange zu nehmen. Der Asiate wartete fast gelassen ab, und als ihn der Kerl, der sich unmittelbar vor ihm befand, angriff, schien er geradezu zu explodieren. Seine Arme und Beine wirbelten. Er schraubte sich in die Luft, sein ausgestrecktes Bein flog herum. Mit diesem Drehschlag fällte er einen der Angreifer. Er landete mit beiden Beinen gleichzeitig, drehte sich in einen seiner anderen Widersacher hinein und warf ihn über die Hüfte. Der Bursche landete der Länge nach auf dem Pflaster.
Der Asiate wandte sich dem dritten der Kerle zu. Dieser schlug mit den Fäusten nach ihm. Geschickt wich der geschmeidige Mann aus, dann versetzte er dem Amerikaner einen Tritt in den Leib. Der Getroffene beugte sich nach vorn. Die Luft entwich schlagartig seinen Lungen. Ein Handkantenschlag in den Nacken legte ihn aufs Gesicht.
Fassungslos hatte der Vierschrötige zugeschaut, wie seine Kumpane der Reihe nach ausgeschaltet wurden. Jetzt schüttelte er seine Lähmung ab und griff in die Tasche der Lederjacke. Nun aber kam auch in Ashraffs Gestalt Leben. Sein Knie zuckte hoch und traf den Vierschrötigen in die Seite. Ein Schlag in den Magen ließ ihn in der Mitte einknicken. Ein Haken gegen die Schläfe schickte ihn zu Boden.
»Verschwinden wir!«, stieß der Unbekannte hervor, der Ashraff zu Hilfe gekommen war. Er rannte los. Ashraff zögerte einen Moment, dann folgte er dem Mann. Der lief in eine dunkle Einfahrt und wurde von der Finsternis regelrecht aufgesaugt. Ihre Schritte trappelten.
»Hierher!«, ertönte es.
Auf der Straße erklangen Stimmen. Schattenhafte Gestalten liefen in den Hof. Leises Quietschen von Gummisohlen war zu vernehmen.
»Über die Mauer!«, gebot der Mann, der Ashraff geholfen hatte.
Sie war etwa zwei Yards hoch. Ashraff zog sich hinauf, schwang sich auf die Mauerkrone und sprang auf der anderen Seite hinunter. Neben ihm war ein dumpfer Aufprall zu vernehmen. »Kommen Sie!« Eine Hand ergriff Ashraff am Arm und zog ihn fort.
Zwischen den Häusern flüchteten sie zur 80th Street. Dort hielten sie ein wenig atemlos an und lauschten.
»Wer sind Sie?«, fragte Ashraff.
»Mein Name ist Mahinda.«
»Aus welchem Grund haben Sie sich auf meine Seite gestellt?«
»Ich befand mich in der Nähe, als Sie sich bei dem Keeper nach Callagher erkundigten.«
»Haben Sie auch Interesse an Callagher?«
»Ja. Kommen Sie. Ich bringe Sie zu jemand.«
Sie kehrten in die 81st Street zurück, in der Mahinda seinen Ford abgestellt hatte. Ein ganzes Stück entfernt war die Casino Bar. Von den vier Schlägern war nichts mehr zu sehen. Mahinda klemmte sich hinter das Steuer, Ashraff nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Sie fuhren zur Fifth Avenue und wandten sich auf ihr nach Süden. Auf der Transverse Road Nummer 1 durchquerten sie den Central Park, und schließlich erreichten sie in der 63rd Street ein Lokal, das den Namen Wyatt's Lounge trug. Mahinda lenkte den Ford in den Hof. Wenig später betraten sie das Gebäude durch den Seiteneingang. Sie stiegen eine Treppe hinauf, oben läutete Mahinda an einer Wohnungstür. Im nächsten Moment wurde sie geöffnet. Ein Mann, der nur mit Hemd und Hose bekleidet war, zeigte sich. Er nickte Mahinda zu und dieser vollführte eine einladende Handbewegung. Ashraff betrat die Wohnung, Mahinda folgte. Der Bursche, der ihnen geöffnet hatte, drückte die Tür ins Schloss.
Sie setzten sich. »Der Boss wird gleich hier sein«, erklärte Mahinda.
»Wollen Sie mich nicht aufklären?«, fragte Ashraff. Seine dunklen Augen glitzerten. In ihnen spiegelte sich das Licht. Er hatte keine Ahnung, was er von der Sache halten sollte. Die Ungewissheit machte ihm zu schaffen. In ihm loderte auch die Flamme des Misstrauens. War er vom Regen in die Traufe gelangt?
»Es geht um Callagher.«
»Das habe ich schon mitbekommen. Warum interessieren Sie sich für ihn?«
»Er hat etwas, das der Boss gerne besitzen würde.«
»Woher wissen Sie so gut Bescheid?«
»Ich stamme aus Sri Lanka. Mein Bruder arbeitet für die World Fellowships of Buddhists. Er hat mir von dem Diebstahl der Reliquie berichtet. Dabei wurde auch der Name Callagher genannt. Ich nehme allerdings an, dass Callagher die Reliquie längst nicht mehr besitzt.«
»Wer dann?«
»Das wissen wir nicht. Callaghers Spur verliert sich in der Casino Bar. Besitzer des Etablissements ist Elwell Hopkins. Wir haben keine Ahnung, ob er im Besitz des Fingernagels ist. Darum wollen wir Callagher haben.«
»Was will Ihr Boss mit der Reliquie?«, fragte Ashraff.
»Er will sie der World Fellowships of Buddhists zum Kauf anbieten.«
»Das wäre gesetzeswidrig.«
»Das wäre nur recht und billig«, versetzte Mahinda. »Die Reliquie ist der WFB ein Vermögen wert. Warum sollte sich mein Boss nicht ein Stück von dem Kuchen abschneiden?«
Es klingelte. Der Mann, der schon Mahinda und Ashraff geöffnet hatte, wandte sich der Tür zu. Zwei Männer betraten das Wohnzimmer. Einer hatte eine Halbglatze und sein Haarkranz war grau. Er war ungefähr eins achtzig groß und breitschultrig. Der andere war Asiat. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers und Ashraff schätzte, dass es sich um den Leibwächter des Grauhaarigen handelte.
Dieser heftete seinen Blick auf Ashraff. »Mahinda hat mich telefonisch in Kenntnis gesetzt, dass Sie sich in der Casino Bar nach Bruce Callagher erkundigt haben.«
»Mahinda hat mich aufgeklärt«, murmelte Ashraff. »Sie sind hinter der Reliquie her.«
»Sie ist sicherlich ein Vermögen wert. Wir wissen, dass Callaghers Spur hier in New York endet. Unsere Interessen sind identisch. Darum will ich, dass wir zusammenarbeiten.«
»Nein, unsere Interessen sind nicht identisch«, widersprach Ashraff. »Ich will die Reliquie wiederbeschaffen. Sie wollen ein Geschäft damit machen. Ich glaube, unsere Interessen driften weit auseinander.«
Der Grauhaarige lächelte. Es war ein starres Lächeln. »Wir wollen beide die Reliquie. Mögen die Gründe hierfür auch unterschiedlicher Natur sein. Im Endeffekt sitzen wir in einem Boot. Ob es Ihnen passt oder nicht, Mister – äh, wie heißen Sie überhaupt?«
»Ashraff.«
»Ich denke, wir verstehen uns, Mister Ashraff.«
»Ich bin bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt – jenem Punkt, an dem sich unsere Interessen nicht mehr decken. Von da an werden wir Gegner sein.«
»Ich bin bereit, Sie zu einem Viertel am Gewinn zu beteiligen«, sagte der Grauhaarige. »Wobei ich davon ausgehe, dass der Fingernagel der WFB einiges wert ist.«
»Ich bin nicht zu kaufen, Mister …«
»Mein Name spielt keine Rolle. Mahinda wird Ihnen seine Telefonnummer geben. Sie bleiben mit ihm in Verbindung. Denken Sie daran, dass wir Sie jagen werden, sollten Sie in den Besitz der Reliquie gelangen. Es wäre also ratsam, Mahinda über jeden Ihrer Schritte zu informieren. Umgekehrt wird Mahinda Sie auf dem Laufenden halten.«
»Was ist, wenn ich mich weigere?«
»Dann werden Sie nicht alt hier in New York.«
Ashraff nickte. »Die Zusammenarbeit mit Mahinda kann sich vielleicht als hilfreich erweisen. Ich bin einverstanden. Aber wie ich schon sagte: Ich spiele nur bis zu einem gewissen Punkt mit. Wenn er erreicht ist, trennen sich unsere Wege.«
Ein spöttisches Grinsen zog die Lippen des Grauhaarigen in die Breite.
*
»Ein Schnüffler aus Sri Lanka ist deiner Spur bis in die Casino Bar gefolgt«, sagte der Anrufer.
Bruce Callagher wechselte den Telefonhörer in die andere Hand. »Na und. Ich hab die Reliquie nicht mehr. Und ich werde ihm auch nicht sagen, wer sie hat. Außerdem endet meine Spur in der Bar. Ich bin unter dem Namen Callagher nirgendwo in New York registriert. Wie soll mich der Kerl finden?«
»Er hat deine Spur bis in die Casino Bar verfolgt. Der Bursche ist nicht von gestern.«
»Mach dir keine Gedanken.«
»Ich muss mir Gedanken machen. Die Reliquie ist Gold wert.«
»Hast du sie der WFB schon zum Kauf angeboten?«
»Nein, ich will erst etwas Zeit verstreichen lassen. Schließlich will ich nicht hinter Gittern landen. Die Wogen, die der Diebstahl aufgeworfen hat, sollen sich erst ein wenig glätten.«
»Der Schnüffler wird mich nicht finden. Und wenn – es wird mir nichts ausmachen, mit seinem Kadaver die Fische im Hudson zu füttern.«
»Darum habe ich dich angerufen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich will, dass du den Kerl ausschaltest. Als er in der Casino Bar aufkreuzte, ist er mir ziemlich nahe gekommen.«
»Wie heißt der Mann? Wo wohnt er? Wo kann ich ihn erwischen?«
»Ich weiß es nicht. Aber schätzungsweise taucht er wieder in der Casino Bar auf.«
»Ich werde ihn mir kaufen.«
»Fehler können wir uns nicht leisten.«
»Habe ich irgendeinen Fehler gemacht bisher?«
»Nein.«
»Na also.«
Sie beendeten das Gespräch. Callagher warf den Telefonhörer auf den Tisch, erhob sich und ging zum Fenster. Gedankenvoll starrte er durch die Scheibe. Draußen war es dunkel. Er nagte an seiner Unterlippe. Ein Blick auf die Armbanduhr sagte ihm, dass es 0.30 Uhr war. Er hatte schon im Bett gelegen. Jetzt wandte er sich ab und ging wieder ins Schlafzimmer. »Wer war das?«, fragte die Frau, die im anderen Bett lag, schlaftrunken.
»Ein Bekannter. Es ist nichts.«
Er legte sich ins Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte hinauf zur Decke. Es gefiel ihm gar nicht, dass man seine Spur aufgenommen hatte. Noch weniger gefiel ihm, dass er einen Mord begehen sollte. Nur nach und nach gelang es ihm, den Aufruhr seiner Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Er schlief wieder ein.
*
Ashraff betrat am Morgen kurz nach 8 Uhr unser Büro. Wir erwiderten seinen Gruß, ich forderte ihn auf, sich zu setzen. Von seinen Zügen war nicht abzulesen, was hinter seiner Stirn vorging. »Ich war gestern Abend in der Casino Bar«, begann der Asiate. »Einigen Gentlemen gefiel es ganz und gar nicht, dass ich mich nach Bruce Callagher erkundigte. Sie wollten mich in die Mangel nehmen.«
»Sieht ganz so aus, als hätten Sie sich erfolgreich dem Verdruss entzogen«, bemerkte Milo.
»Ein Mann namens Mahinda kam mir zu Hilfe. Er brachte mich in eine Wohnung. Dort sprach ich mit einem Mann. Seinen Namen kenne ich nicht. Er ist auch hinter der Reliquie her. Er will sie an die World Fellowships of Buddhists verkaufen.«
Ashraff berichtete mit knappen Worten.
»Wissen Sie, wo sich die Wohnung befand, in die man Sie brachte?«, fragte ich, als er geendet hatte.
»Sie befindet sich über einem Lokal, das den Namen Wyatt's Lounge trägt.«
Milo schaute im Telefonbuch nach und sagte nach kurzer Zeit: »East 63rd Street.«
»Wer ist der Besitzer?«, fragte ich.
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2022
- ISBN (ePUB)
- 9783738968514
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2022 (Dezember)
- Schlagworte
- trevellian geschäft angst action krimi