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​Gunsmoke Kirby: Pete Hackett Western Edition 91

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 130 Seiten

Zusammenfassung

Strother Kirby zügelte den Apfelschimmel und kniff die Augen eng. Vor den Hufen des Pferdes fiel das Land ziemlich steil nach unten ab, der Hang lief sachte aus, ging über in eine Ebene, die bei dem kleinen Fluss mit üppigem Ufergebüsch endete.

Strother legte die Hände übereinander auf das Sattelhorn, beugte den Oberkörper etwas nach vorn und stützte ihn mit den Armen ab. In seinem Gesicht arbeitete es. Er sah einen Conestoga-Schoner, dessen helle Plane anmutete wie das geblähte Segel eines Fischkutters in der Weite des Ozeans. Vier Maultiere und zwei Pferde grasten in einem Seilcorral, der zum Fluss hin offen war, so dass die Tiere ungehindert zum Wasser gelangen konnten. Dicht beim Ufergebüsch brannte ein Kochfeuer, über dem von einem eisernen Dreibein ein rußgeschwärzter Kessel hing, aus dem Dampf stieg.

Über den Backenknochen Strothers spannte sich die Haut. Sein Kinn wurde eckig. Was er da sah, gefiel ihm nicht. Es war das Land der Lake Valley Ranch, auf dem der Schoner angehalten hatte. An allen Wegen, die zur Ranch oder über das Weideland führten, waren an den Weidegrenzen Hinweisschilder aufgestellt, die darauf aufmerksam machten, dass hier das Land der Lake Valley Ranch Will Kirbys begann, und dass Unbefugte hier nichts zu suchen hatten.

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​Gunsmoke Kirby: Pete Hackett Western Edition 91

Western von Pete Hackett



Über den Autor

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-Book bei CassiopeiaPress.


Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

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Strother Kirby zügelte den Apfelschimmel und kniff die Augen eng. Vor den Hufen des Pferdes fiel das Land ziemlich steil nach unten ab, der Hang lief sachte aus, ging über in eine Ebene, die bei dem kleinen Fluss mit üppigem Ufergebüsch endete.

Strother legte die Hände übereinander auf das Sattelhorn, beugte den Oberkörper etwas nach vorn und stützte ihn mit den Armen ab. In seinem Gesicht arbeitete es. Er sah einen Conestoga-Schoner, dessen helle Plane anmutete wie das geblähte Segel eines Fischkutters in der Weite des Ozeans. Vier Maultiere und zwei Pferde grasten in einem Seilcorral, der zum Fluss hin offen war, so dass die Tiere ungehindert zum Wasser gelangen konnten. Dicht beim Ufergebüsch brannte ein Kochfeuer, über dem von einem eisernen Dreibein ein rußgeschwärzter Kessel hing, aus dem Dampf stieg.

Über den Backenknochen Strothers spannte sich die Haut. Sein Kinn wurde eckig. Was er da sah, gefiel ihm nicht. Es war das Land der Lake Valley Ranch, auf dem der Schoner angehalten hatte. An allen Wegen, die zur Ranch oder über das Weideland führten, waren an den Weidegrenzen Hinweisschilder aufgestellt, die darauf aufmerksam machten, dass hier das Land der Lake Valley Ranch Will Kirbys begann, und dass Unbefugte hier nichts zu suchen hatten.

Auf die Entfernung konnte Strother beim Feuer eine Frau in einem blauen Kleid ausmachen. Ein Hund, der am Wagen angekettet war, lag im Schatten. Es war heiß und windstill. Die Sonne stand hoch im Zenit. Der Rauch des Feuers stieg kerzengerade zum Himmel. Mit einem Schenkeldruck trieb Strother den Apfelschimmel an. Pochender Hufschlag rollte vor ihm her den Hang hinunter. Der Untergrund war von der Sonne hartgebacken. Staub schlug unter den Hufen aus dem braunverbrannten, harten Gras.

Die Frau am Feuer wurde aufmerksam. Sie lief schnell zum Wagen. Strother konnte sie nicht mehr sehen. Der Hund erhob sich. Die Kette klirrte. Es war ein großer Hund, eine Mischung aus einem Schäferhund und einem Bernhardiner. Sein Kamm schwoll an, er hob die Lefzen, und in seiner Kehle entstand ein gefährliches Grollen.

Strother wusste nicht, was ihn bei dem Fuhrwerk erwartete. Wie es aussah, war die Frau alleine. Er dachte nicht einmal daran, das Gewehr zu nehmen. Er wollte der Lady einige Fragen stellen, und dann - nun, es würde sich herausstellen.

Der Hund schlug an. Das Pferd unter Strother scheute, blähte die Nüstern, tänzelte nervös zur Seite, rollte die Augen. Der Hund gebärdete sich wie verrückt.

Die Frau kam hinter dem Fuhrwerk hervor. Sie hielt eine Winchester an der Hüfte im Anschlag. „Still, Hasso!“, rief sie scharf. Der Hund schwieg augenblicklich, zog den Kopf ein, legte sich auf den Bauch und beobachtete den Reiter.

Es war nicht das Gewehr, das unmissverständlich und drohend auf ihn gerichtet war, das Strother den Atem stauen ließ. Es war die Frau. Strother schluckte. O verdammt, ist sie hübsch!, durchzuckte es ihn. Es ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Was um alles in der Welt hat sie hier in der Wildnis verloren?

Es war in der Tat ein sehr schönes Mädchen, kaum über zwanzig Jahre alt, gertenschlank und mittelgroß. Lange, dunkle Haare, die in leichten Wellen über Schultern und Rücken flossen, rahmten ein schmales, von der Sonne gebräuntes, gleichmäßiges Gesicht ein, in dem das Beherrschende die dunklen, fast schwarzen Augen waren. Der herbe Ausdruck um den klassisch geschnittenen Mund gab Strother zu denken. Er verriet ihm, dass diese junge Frau nicht nur die Sonnenseiten des Lebens kennengelernt hatte.

„Hallo, Ma’m“, grüßte er, tippte dabei mit dem Zeigefinger seiner Rechten an die Hutkrempe und zeigte sich von dem Gewehr in ihren Fäusten absolut unbeeindruckt. Er setzte sich bequem im Sattel zurecht.

Sie musterte ihn mit unergründlichem Blick; unverhohlen und durchdringend, als wollte sie sein Innerstes analysieren, seine Gedanken erraten, die verborgensten Winkel in seinem Bewusstsein ergründen. Sie machte sich ein Bild von ihm, und als sie fertig war, fragte sie mit Härte in der klaren Stimme: „Wer sind Sie, Mister, und was wollen Sie?“

„Mein Name ist Strother Kirby, Miss“, erwiderte er. „Das Land hier“ - er vollführte eine umfassende Bewegung mit dem Arm in die Runde -, „gehört uns Kirbys.“

Sie legte den Kopf etwas zur Seite, und es sah aus, als lauschte sie seiner Eröffnung hinterher. In ihren dunklen Augen war ein Aufblitzen wahrzunehmen, dann stieß sie voll jäher Verbitterung und irgendwie unversöhnlich hervor: „War das die Aufforderung zu verschwinden, Strother Kirby? Gehört ihr Kirbys auch zu den Unduldsamen dieses Landes, zu den Reichen und Mächtigen, die nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen leben und herrschen – ja, herrschen? Nach dem Gesetz des Stärkeren!“

Aus dem Wagen erklang ein langanhaltendes Stöhnen, das in einem röchelnden Gurgeln endete und dann mit einem jämmerlichen Ton verlosch. Rastlosigkeit prägte plötzlich das Gesicht des Mädchens. Ihre Nasenflügel schienen zu beben, in ihren Mundwinkeln war ein Zucken wahrzunehmen.

„Wer befindet sich im Wagen, Miss?“, fragte Strother. „So stöhnt nur ein Kranker. Was ...“

„Reiten Sie weiter, Mister Kirby!“, rief das Mädchen. „Es ist mein Bruder. Das Pferd hat ihn getreten, als es lahmte und er nachsehen wollte. Da wir kein Geld haben, hat ihn der Arzt in der kleinen Ortschaft ungefähr zehn Meilen weiter südlich nicht behandelt.“ Ihre Stimme sank herab, wurde fast flehend. „Bitte, Mister, reiten sie weiter. Ich muss mich um meinen Bruder kümmern. Schätzungsweise hat er mindestens zwei Rippen gebrochen. Es ... es ...“

Ihre Stimme brach. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie verlor die Fassung, schien psychisch am Ende zu sein. Festigkeit und Entschiedenheit, die noch vor wenigen Augenblicken aus jedem ihrer Züge gesprochen hatten, waren zerronnen, wie weggewischt. Geblieben war nur ein Ausdruck von hilfloser Verzweiflung. Strother fragte sich, was sie wohl alles durchgemacht hatte.

„Lassen Sie mich nach Ihrem Bruder sehen, Miss“, bat Strother. „Ich bin zwar einer der beiden Söhne Big Will Kirbys, im Endeffekt aber bin ich auch nicht mehr als einer seiner Cowboys. Und als solcher verstehe ich mich auf die Behandlung von Wunden aller Art. Ob Schussverletzung, Pferdetritt, oder Schlangenbiss - gegen alles ist irgendein Kraut gewachsen.“

Er grinste etwas verlegen.

„Mein Name ist Garrett“, stellte sich das Mädchen vor, indes es Strother zweifelnd und misstrauisch zugleich fixierte. „Nora Garrett. Mein Bruder Jack und ich ...“

Sie brach ab, als im Wagen wieder der Mann heiser und gequält röchelte.

„Sieht nicht gut aus, Miss Garrett“, knurrte Strother und ließ sich einfach vom Pferd gleiten. Er öffnete die Satteltaschen, entnahm ihr ein kleines, tönernes Behältnis sowie Verbandsmaterial. Er hielt Nora das kleine Gefäß hin. „Eine Heilsalbe, Miss. Ein zivilisierter Mescalero, der für meinen Vater als Raubtierjäger arbeitet, hat sie zusammengemixt. Sie wirkt Wunder, das können Sie mir glauben. Wir werden Ihren Bruder damit behandeln, und dann bandagieren wir seinen Oberkörper. Sie werden es sehen. Bald ist er wieder auf dem Damm.“

Sie sahen sich in die Augen. Nora hatte das Gewehr gesenkt. Mit offenem, ehrlichem Ausdruck musterte Strother ihr schönes Gesicht. Aus ihrem Blick schwand das Misstrauen. Sie spürte instinktiv, dass sie Strother vertrauen konnte. Er verströmte Sicherheit und ein großes Maß an Ruhe. Irgendwie, auf besondere Art, war sie von ihm fasziniert.


*


Jack Garrett war versorgt. Er lag neben dem Feuer auf einer Decke. Sie hatten gegessen. Nora hatte Strother eingeladen, das Mittagsmahl mit ihr und Jack einzunehmen. Strother hatte sich nicht zweimal bitten lassen. Die Nähe der Frau brachte etwas in seinem Innersten zum Schwingen, etwas, das er zwar spürte, das er auch zu deuten wusste, das er aber noch nie vorher kennengelernt hatte. Jetzt tranken sie Kaffee. Er war heiß, stark und süß.

Gerade erzählte Nora, dass sie eine kleine Ranch im Südwesten von Texas besessen hatten, die sie aber aufgeben mussten, nachdem ihre Eltern gestorben waren und ein rücksichtsloser Weidedespot begann, Smallrancher und Siedler von den Grenzen seiner Weidegründe mit roher Gewalt zu vertreiben. Jack war zusammengeschlagen, regelrecht zerbrochen worden. Nora alleine war nicht stark genug gewesen, gegen den Strom von Brutalität und Unerbittlichkeit anzuschwimmen. Daher auch die Verbitterung in ihrer Stimme, als sie ihn gefragt hatte, ob seine Familie zu den Unduldsamen dieses Landes gehöre, zu den Reichen und Mächtigen, die nach dem Gesetz des Stärkeren leben.

„Wir wollen in den Westen, nach Kalifornien“, erklärte Nora. „Dort soll das Land noch ziemlich unerschlossen sein und ...“

Sie verstummte, denn über die Hügel im Norden wehte rumorender Hufschlag heran. Auch Strother lauschte angespannt. Und schon nach wenigen Sekunden kam er zu dem Schluss, dass sich ein ganzer Reiterpulk näherte.

„Wer mag das sein?“, fragte Jack beklommen, Unrast in den Zügen, unruhiges Flackern in den Augen.

„Wahrscheinlich Cowboys meines Vaters“, murmelte Strother, stellte die blecherne, verbeulte Kaffeetasse auf den Boden neben sich und stand auf. Er starrte in die Richtung, aus der der Hufschlag heranquoll.

Auch Nora hatte sich erhoben. Sie ging entschlossen zum Fuhrwerk und nahm ihr Gewehr. Ein schnappendes, metallisches Geräusch war zu vernehmen, als sie durchlud. Strothers Kopf ruckte herum, mit einer Mischung aus Bestürzung und Unbehagen aber auch einer unausgesprochenen Warnung im Blick sah er sie an, dann drehte er wieder das Ohr in die Richtung, aus der sich die Reiter näherten.

Der Pulk erschien auf dem Hügelrücken. Es waren vier Reiter. Sie zerrten ihre Tiere in den Stand und starrten überrascht auf das Bild, das sich ihnen bot. Der Staub, den die Hufe ihrer Pferde aufgewirbelt hatten, senkte sich.

Strother atmete aus. Seine Stimme erklang: „Es sind unsere Leute, Miss. Der dunkle Bursche auf dem Rotfuchs ist mein Bruder Mitch. Sie können das Gewehr weglegen.“

Nora rührte sich nicht. Sie beobachtete die Reiter, ihre Hände umklammerten das Gewehr. Sie war ein gebranntes Kind. Und sie wusste, dass sie sich widerrechtlich auf dem Land eines Mannes aufhielt, vor dessen Namen die Bezeichnung ‘Big’ gesetzt worden war. Das verriet einiges – wenn nicht alles. Und so ignorierte Nora Strothers letzte Worte.

Das Hufgetrappel kam wieder auf, als die Reiter ihre Tiere antrieben. Sie lenkten sie in die Senke, geradewegs auf den Schoner zu. Sie bewegten sich in einer Reihe, ritten also Steigbügel an Steigbügel. Ein schiefes Grinsen kerbte sich in Mitch Kirbys Mundwinkel. Etwas Indianerhaftes ging von diesem dunklen, geschmeidigen Burschen aus. Die drei Weidereiter, die Mitch Kirby begleiteten, nahmen alles ohne besondere Gemütsregung in sich auf.

„Hallo, Bruder“, grüßte Mitch, als sie ihre Pferde pariert hatten. Sein glitzernder Blick heftete sich auf Nora. Die Flamme einer jähen Gier begann in seinen Augen zu lodern. Jack Garrett hatte er nur mit einem kurzen Blick gestreift. „Was sind das für Leute, Strother? Die Kleine ...“ Er schnalzte vielsagend mit der Zunge. „Sie ist allererste Garnitur.“ Er grinste anzüglich.

Noras Miene verschloss sich. Aber sie sagte nichts. Lediglich die Hände schlossen sich härter um Kolbenhals und Schaft der Winchester, und diese Reaktion verriet, dass sie Mühe hatte, den aufkommenden Zorn zu unterdrücken.

„Sie wollen nach Kalifornien“, berichtete Strother.

Mitch ignorierte Strother jetzt. Er schob die Unterlippe vor. „Ist das dein Mann, Kleine?“ Er fragte es und wies mit einer knappen Gebärde auf Jack.

„Es ist mein Bruder“, erwiderte Nora. „Das Pferd hat ihn getreten. Ihr Bruder hat mir geholfen, ihn zu verarzten.“

„Natürlich völlig uneigennützig, Bruderherz, wie?“, höhnte Mitch. „Strother Kirby, der Samariter.“

Die drei Cowboys lachten. Strothers Lippen wurden schmal. Zorn wühlte in seinem Gesicht. Aber er beherrschte sich und rief: „Ihr seid doch sicher auf dem Weg nach Mirage, Mitch. Also lasst euch nicht aufhalten. Wir kommen hier schon zurecht. Und zwar auch ohne euch.“

„Das kann ich mir denken“, versetzte Mitch lachend, musterte mit einem verzehrenden Blick Nora von oben bis unten, und von seiner Stirn war die Art seiner Gedanken abzulesen. „Also doch nicht uneigennützig, Bruderherz. Na ja, die Kleine ist aber auch tatsächlich nicht zu verachten.“

Ein Schuss peitschte. Zwischen den vorderen Beinen des Pferdes von Mitch Kirby ließ die Kugel Erdreich spritzen. Erschreckt stieg das Tier auf die Hinterhand. Der Knall trieb auseinander, stieß über den Fluss und rollte die Abhänge hinauf. Auch die Pferde der drei Cowboys bockten und scheuten erschreckt. Mitch, der völlig überrascht wurde, konnte nicht mehr schnell genug reagieren. Und ehe er sich versah, lag er am Boden. Der Aufprall nahm ihm die Luft. Mit herausquellenden Augen und hochrotem Kopf japste er verzweifelt nach Sauerstoff.

„Im Gegensatz zu ihrem Bruder sind Sie ein ausgesprochener Widerling, Mister!“, stieß Nora wütend hervor. Sie war vor ihn hingetreten und stieß ihn mit dem Gewehrlauf an. „Und jetzt rate ich Ihnen, sich auf ihren Gaul zu schwingen und Leine zu ziehen. Ich kann Ihre Sorte nicht ausstehen. Sie ist arrogant, unverfroren, ungehobelt und sie setzt sich über die fundamentalsten Regeln des Anstandes hinweg.“

Sie starrte ihn voll Abscheu an.

Die Cowboys bekamen ihre Pferde wieder unter Kontrolle. Mitch Kirby bekam wieder Luft. Die normale Färbung kehrte in sein Gesicht zurück. Strother kratzte sich betreten und voll gemischter Gefühle am Kinn. Er erwartete gewaltigen Ärger von Seiten seines Bruders. Mitch ließ sich von keinem Menschen auf der Welt demütigen. Den Sturz vom Pferd und seine vorübergehende Hilflosigkeit aber waren für ihn demütigend. Der Verdruss war also unausbleiblich.

Mitch kämpfte sich auf die Beine. Rasselnd atmete er aus. Düstere Schatten einer überwältigenden Wut, vielleicht sogar des schwelenden Hasses, liefen über sein Gesicht. Mit gepresster Stimme stieß er hervor: „Sie haben einen Fehler begangen, Lady. Einen großen Fehler. Das hier ist Kirby-Land. Ich bin ein Kirby. Ich gebe Ihnen bis zum Abend Zeit, von unserem Weideland zu verschwinden. Sollte ich Sie und Ihren Bruder nach Sonnenuntergang noch auf dem Land der Lake Valley Ranch antreffen, wird es hart für Sie.“

„Verdammt, Mitch, jetzt übertreib es mal nicht!“ So ließ sich nun Strother vernehmen. „Du hast es dir doch selbst zuzuschreiben. Ihr Bruder braucht ein paar Tage Ruhe, und es ist doch sicher nichts dagegen einzuwenden, wenn sie hier am Fluss ...“

„Bis heute Abend!“, fauchte Mitch unversöhnlich und gehässig. Er ging zu seinem Pferd, das einer der Weidereiter am Kopfgeschirr festhielt. Etwas umständlich, mit fast linkischen Bewegungen, kletterte Mitch in den Sattel. Er spürte Schmerzen von dem harten Aufprall am Boden. Aber er verzog keine Miene. Sein Stolz war verletzt, er war in seiner übersteigerten Eitelkeit gekränkt, und er war überzeugt, vor den drei Weidereitern eine Menge an Gesicht verloren zu haben. Eine Frau hatte ihm eine schmähliche Schlappe beigebracht. Das überstieg sein Begriffsvermögen, das schürte und nährte in ihm den Gedanken an Vergeltung und vergiftete sein Bewusstsein.

Wütend zerrte er sein Pferd herum. Rücksichtslos spornte er das Tier an. Der Pferdeleib streckte sich. Die Muskeln und Sehnen unter dem glänzenden Fell begannen zu arbeiten.

Die Cowboys folgten ihm.

„Es war ein Fehler, Nora“, murmelte Strother. „Mitch ist nachtragend und rachsüchtig. Es war keine leere Drohung, die er ausstieß. Er wird wieder aufkreuzen, wenn die Sonne untergegangen ist. Ich werde Sie und Ihren Bruder kaum vor ihm beschützen können.“

„Jack braucht Ruhe“, erklärte Nora mit Nachdruck. „Auf dem Wagen wird er durch und durch geschüttelt. Ich hörte mal von einem Mann, dessen gebrochene Rippe sich in die Lunge bohrte. Ich gehe kein Risiko ein.“

„Aber ...“

Schroff unterbrach sie ihn. „Sie brauchen sich unseretwegen nicht gegen Ihren Bruder zu stellen, Strother. Reiten Sie also ruhig nach Hause. Ich kann mir selbst helfen. Sie haben es gesehen.“

Die Reiter stoben über den Hügel und verschwanden. Der prasselnde Hufschlag entfernte sich schnell und sickerte bald nur noch wie fernes Donnergrollen über die Anhöhen. Lediglich aufgewirbelter Staub, der sich nur langsam senkte, markierte den Weg des kleinen Pulks.

Strother verzog den Mund. „Sie sind stur, Nora. Mein Bruder aber ...“ Er zuckte mit den Achseln. „Er ist der geborene Herrscher. Ja, anders kann man es nicht bezeichnen. Das stellt ihn in den Augen meines Vaters auch über mich.“

Strother schaute fast bedrückt drein, schwieg einige Herzschläge lang, dann hub er wieder an: „Ich bleibe hier, Nora. Ich kenne Mitch viel zu gut, als dass ich Sie und Ihren Bruder seinem unberechenbaren Zorn überließe. Warten wir also ab, was der Abend bringt. Und gebe Gott, dass es mir gelingt, Mitch zu besänftigen.“

„Ich will nicht, dass Sie sich mit Ihrem Bruder verfeinden, Strother“, wandte Nora ein. „Und wenn ich es Jack zumuten könnte, würde ich auf der Stelle weiterziehen. Aber ich habe ihm sowieso schon viel zu viel zugemutet. Er ist am Ende. Und darum muss ich es auf mich zukommen lassen, was dieser Tag auch immer an unliebsamen Überraschungen noch bringen wird.“

Strother bewunderte den Mut und die Courage dieser Frau. Ja, er war tief beeindruckt.


*


Die Schatten der Flusspappeln wuchsen allmählich über den Creek, stießen gegen das jenseitige Flussufer und wurden schwächer. Das letzte Licht der Sonne fiel durch die Kronen der hohen Bäume auf den Fluss und schien das Wasser zu vergolden. Der Himmel im Westen spiegelte die ganze Skala seiner leuchtendsten Farben wider.

Dann versank die Sonne hinter dem zerklüfteten Horizont. Die grauen Schleier der Dämmerung schlugen in den Tälern und Senken zusammen. Der goldene Schein auf dem Wasser erlosch.

Jack Garrett lag auf dem Conestoga-Schoner. Aus blicklosen Augen starrte er hinauf zu dem Dach aus imprägnierten Segeltuch, das sich über ihm wölbte. Irgend etwas lauerte im Hintergrund seines Bewusstseins - etwas, das ihn zutiefst beunruhigte, das sich verstandesmäßig nicht greifen ließ, das aber düstere Ahnungen in ihm hervorrief, die ihn frieren ließen. Die Drohung, die Mitch Kirby ausgestoßen hatte, klang noch jetzt, Stunden nachdem sie gefallen war, in ihm nach wie höllisches Geläut. In Texas hatte ihn ein raubeiniger Rancher von seinen Handlangern brutal zusammenschlagen lassen. Er war daran zerbrochen. Er fürchtete die Gewalt. Und wenn er an Mitch Kirby dachte, kam die Angst wie ein Schwall eiskalten Wassers.

Die Dämmerung schritt fort und nahm dem Land seine vielfältigen Farben. Die Geräusche der Natur erlahmten.

Strother wusste, dass Mitch sein unheilvolles Versprechen halten würde. Und darum mutete ihn die Ruhe, die sich um sie herum einstellte, trügerisch an. Diese scheinbar so friedliche Atmosphäre war nicht echt. Strother spürte die Anspannung, die von ihm Besitz ergriff.

Nora war beim Fluss und wusch Geschirr. Die Tiere im Corral bewegten sich kaum. Strothers Pferd stand am Flussufer und trank. Nichts schien auf Gefahr hinzudeuten. Strother selbst saß an einem der hohen Wagenräder, hatte den Rücken dagegen gelehnt und die Beine angezogen. Er kaute auf einem Grashalm herum. Das Feuer, auf dem Nora das einfache Abendessen zubereitet hatte, war heruntergebrannt und gloste nur noch unter der Asche. Eine dünne Rauchfahne kräuselte in die Höhe und wurde eins mit der einsetzenden Dunkelheit.

Und dann kamen sie.

Der Hund hörte sie zuerst. Er erhob sich und witterte mit erhobener Nase in die Richtung, aus der die Reiter kamen. Dann war der Hufschlag zu hören. Er brandete zunächst als fernes Rumoren heran, nahm aber schnell an Deutlichkeit zu, und dann schlug er heran wie eine höllische Verheißung.

Mit wehendem Rock rannte Nora zum Wagen. Sie nahm das Gewehr, riegelte eine Patrone in den Lauf und sagte hart: „Keine Sorge, Jack. Ich halte uns diese Kerle vom Leibe. Und vielleicht hat Strother genug Einfluss auf seinen Bruder, um ihn zurückzupfeifen. Du wirst es sehen, Bruder. Es wird gut werden.“

Aber Jack steckte im Klammergriff einer derart überwältigenden, lähmenden Angst, dass seine Stimmbänder versagten, als er antworten wollte. Die zitternde Anspannung seiner Nerven entlud sich in einem ächzenden Laut, der wie das Japsen eines Erstickenden über seine Lippen brach. Zu mehr war er nicht fähig. Nora empfand Mitleid mit ihm.

Sie verdrängte dieses Gefühl. Neben ihr erschien Strother. Wie von Schnüren gezogen hatte er sich erhoben. Jetzt legte er Nora die Linke auf die Schulter. Beide waren von dieser Berührung sekundenlang wie elektrisiert. Schließlich sagte Strother heiser: „Mitch ist gefährlich. Reizen Sie ihn nicht unnötig, Nora. Vielleicht kann ich ihn zur Vernunft bringen. Darum bitte ich Sie, sich zurückzuhalten und abzuwarten ...“

„In erster Linie ist es meine Sache, Strother“, gab sie klar und sachlich zu verstehen. „Ich will mich nicht hinter Ihnen verstecken. Vielleicht können Sie das verstehen.“

„Hölle, warum sind Sie nur so stur, Miss?“, entfuhr es Strother, und er wusste nicht, ob er sie bewundern oder sich über sie ärgern sollte.

Die Reiter erschienen auf der Kuppe nördlich des Flusses. Es waren jetzt ein halbes Dutzend. Sie zügelten die Pferde. Es wurde still. Aber diese Stille knisterte geradezu vor unheilvoller Spannung, als wäre die Luft mit Elektrizität geladen. Eine Welle von Gefahr und Gewalttätigkeit schlug heran und schien den Mann und die Frau beim Fuhrwerk zu berühren.

Dann trommelten wieder die Hufe. Drei Pferdelängen vor dem Schoner rissen die Männer von der Lake Valley Ranch die Tiere zurück. Staub wolkte.

Während Nora vor die Reiter hintrat, blieb Strother am hinteren Ende des Fuhrwerks stehen und befand sich so im toten Winkel zu den Ankömmlingen.

Mitch Kirbys schnarrende Stimme erklang: „Du warst also dumm genug, es darauf ankommen zu lassen, Lady. O verdammt, ich hätte dich für klüger gehalten. Du dachtest wohl, ich würde meinen Zorn hinunterschlucken und die Sache von heute Mittag vergessen. Vielleicht bautest du auch darauf, dass ich vor deiner Schönheit kapituliere.“ Er lachte ironisch auf. „Nun, du hast dich getäuscht. Was jetzt kommt, hast du dir selbst zuzuschreiben. Wenn es um meine Ehre geht, mache ich nämlich keinen Unterschied zwischen Mann oder Frau, zwischen jung und alt, zwischen schön und hässlich. - Wo ist dein Bruder?“

Noras Hals war wie zugeschnürt, als sie antwortete: „Auf dem Wagen. Wie ich schon sagte: Ein Pferd hat ihn getreten. Er ist nicht transportfähig. Darum bin ich noch hier.“

„Und wo ist mein Bruderherz abgeblieben?“, stieß Mitch hervor. Sein Blick tastete in die Runde. Er gab den Kerlen, die ihn begleiteten, ein Zeichen, und sie bildeten einen Halbkreis um ihn und Nora. Im unwirklichen Licht glaubte das Mädchen in den Zügen des einen oder anderen ein hämisches Grinsen wahrzunehmen.

„Ich bin hier, Mitch.“ Strother trat hinter dem Wagen hervor. Neben Nora blieb er stehen. „Ich wusste, dass deine Drohung, nach Sonnenuntergang wiederzukommen, kein leeres Versprechen war, Mitch. Darum bin ich geblieben. Ich will dich davor bewahren, eine Dummheit zu begehen, die du eines Tages sicherlich bereuen würdest.“

Zwei Lidschläge lang zeigte Mitch Betroffenheit, dann höhnte er: „Sieh an, sieh an, mein kleiner Bruder ist unter die Moralapostel gegangen.“ Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Stimme wurde scharf und klirrend. „Du hast umsonst ausgeharrt, kleiner Bruder. Denn du wirst mich nicht davon abhalten können, der Kleinen die Flügel zu stutzen. Niemand blamiert ungestraft einen Mitch Kirby. Was jetzt kommt, ist sicher nichts für sensible Gemüter. Also schwing dich auf deinen Gaul und reite nach Hause.“

„Das werde ich nicht tun, Mitch“, versetzte Strother ruhig, fast gelassen. „Es sei denn, du reitest mit mir. lass die beiden Garretts in Ruhe. Es sind Rinderzüchter, die in Texas drüben Pech hatten. Sie nehmen uns nichts weg, wenn sie ein paar Tage hier am Fluss campieren. Vergiss den Vorfall von heute Mittag, Mitch. Du hast es selbst herausgefordert.“

Mitch lachte auf; wild, zynisch und ohne jede Freundlichkeit. „Du bist ein Narr, kleiner Bruder. Du willst also nicht nach Hause reiten. Na schön. Dann bleib und sieh zu, wie dein großer Bruder mit Pack wie diesem umspringt. Aber halt dich raus. Misch dich auf keinen Fall ein. Ich warne dich, Strother.“ Mitch saß ab. „Fangt an, Männer!“

Zwei der Cowboys ritten zum Corral, um ihn niederzureißen und die Tiere zu vertreiben. Die anderen drei nahmen ihre Lassos vom Sattel. Sie ritten zum Wagen und schlangen die Enden um die überstehenden Streben der Bordwand. Ihre Absicht war klar. Sie wollten das schwere Fuhrwerk umkippen. Sie wendeten die Pferde und wollten sie antreiben, als Strother den Colt zog, den Hahn spannte und brechend rief: „Lasst die Lassos sausen, Leute! Denjenigen, dessen Lasso sich zuerst spannt, schieße ich ohne mit der Wimper zu zucken vom Pferd.“

Die Weidereiter zögerten. Bei Mitch kam die überschäumende Wut in rasenden, giftigen Wogen. Sie würgte ihn und ließ seine Stimme heiser und abgehackt klingen: „Ich habe dich gewarnt, Strother. Bei Gott, ich habe dich gewarnt. Aber du schlägst meine Warnung in den Wind.“ Er spuckte aus, machte drei Schritte auf Strother zu, ignorierte den Colt in dessen Faust und knirschte: „Okay, kleiner Bruder, es war schon lange einmal fällig. Du hast heute das Fass zum Überlaufen gebracht. Wird Zeit, dass ich dich auf deine richtige Größe zurechtstutze.“ Seine Stimme hob sich. „Wartet, Männer. Ihr dürft hier schon noch für Kleinholz sorgen. Vorher aber will ich diesem Großmaul die heilige Mannesfurcht beibringen. - He, Strother, bereust du es schon, dass du dich hast hinreißen lassen, offen Partei gegen uns zu ergreifen?“

Strother ließ den Hahn in die Ruherast zurückgleiten und halfterte das Eisen. Dann nahm er den Gurt ab und hängte ihn über die hintere Bordwand des Fuhrwerks. Als er sprach, klang seine Stimme gedehnt, furchtlos und unbeeindruckt: „In Ordnung, Mitch. Auch mir scheint, dass dies längst fällig ist. Das ist die Sprache, die du verstehst. Du wirst zu übermütig. Dad hat dir immer freie Hand gelassen. Er hätte dir öfter mal den Hosenboden strammziehen sollen. Vielleicht kühlt eine anständige Tracht Prügel dein überhitztes Gemüt etwas ab, Bruder. Was hältst du von einem Geschäft.“

„Was für ein Geschäft?“, bellte Mitchs Organ.

„Wenn ich gewinne, verschwindet ihr und lasst die Garretts in Ruhe, bis Jack gesund genug ist, um ohne Komplikationen die Lake Valley Weide verlassen zu können.“

„Abgemacht!“, rief Mitch voll wilder Vorfreude, im Bewusstsein seiner Stärke und Überlegenheit. „Wenn du aber verlierst, dann läuft der Rest des Spieles nach meinen Regeln ab. Okay, Bruder, wir wollen keine Zeit mehr vergeuden. Ich kann es kaum erwarten, dich in Stücke zu schlagen.“

Er setzte sich in Bewegung und stampfte kalt entschlossen auf Strother zu, der die Fäuste hob, die Arme anwinkelte und die Beine etwas auseinandernahm, um festeren Stand zu haben. Sein Gesicht mutete an wie aus Granit gemeißelt.

So erwartete er Mitch.


*


Die Dunkelheit stand zwischen ihnen. Von Mitch Kirby ging etwas aus, das nicht zu beschreiben war. Es war etwas Wildes, Animalisches, er verströmte eine Art ungezügelter Feindseligkeit und den Willen, hier seinen Absichten auf die raue Tour Geltung zu verschaffen. Er war unduldsam, unnachgiebig und unversöhnlich. Was sich ihm in den Weg stellte, war er bereit, mit brachialer Gewalt zur Seite zu fegen. Heute war es der eigene Bruder. Es war eine fast leidenschaftliche Begierde, die ihn trieb.

Er begann Strother zu umrunden. Mitch bewegte sich leichtfüßig, suchte nach einer Lücke in Strothers Deckung, nach einer Blöße, um sich mit einigen blitzschnellen Treffern von vorne herein Respekt zu verschaffen und die Niederlage des Bruders einzuleiten. Plötzlich aber hielt er inne. Er ließ die Fäuste sinken, lachte kehlig und dehnte: „Du willst der Kleinen imponieren, Bruder, nicht wahr? Ist es das wert? Hast du dir schon einmal überlegt, was Dad davon halten wird?“

Das war eine völlig neue Taktik, eine schmutzige Finte. Er war darauf aus, Strother abzulenken. In seinen Augen schillerte es heimtückisch und wachsam. Und er hatte Erfolg. Denn auch Strother nahm die Fäuste nach unten und ließ die Arme locker baumeln. Als aber Strothers Lippen zu einer Antwort auseinandersprangen, als Mitch der Meinung war, dass Strother nicht mehr hundertprozentig auf den Faustkampf eingestellt war, warf Mitch sich mit einem wilden Schrei auf ihn. Und Strother konnte dem ungestümen Angriff nicht mehr ausweichen. Alles spielte sich mit rasender Geschwindigkeit ab. Noras erschreckter Aufschrei schien noch in der Luft zu hängen, als sich die beiden Brüder schon über den Boden wälzten.

Mitch kam auf Strother zu liegen. Er schlug ihm eine blitzschnelle Doublette gegen den Kopf, dann legten sich seine Hände um Strothers Hals und drückten zu. Strother Mund klaffte auf, doch der Schrei erstickte bereits im Ansatz. Kein Laut drang aus seiner Kehle. Er warf sich hin und her, schlug wild und unkontrolliert nach Mitch, traf ihn auch einige Male, aber die Treffer zeigten keine Wirkung.

Strother wurde die Luft knapp. In seinen Schlägen steckte keine Kraft mehr. Der Druck an seinem Kehlkopf ließ nicht nach, er schien sich vielmehr zu verstärken. Wie durch wogenden Nebel sah Strother über sich das versteinert anmutende Gesicht des Bruders mit den kalten Reptilienaugen, Panik wollte sich seiner bemächtigen, seine Lungen begannen zu stechen und sein Kopf fühlte sich an, als wollte er jeden Moment bersten.

Da wurde Mitch zurückgerissen. Der Druck um Strothers Hals ließ nach. Seine Lungen füllten sich mit Sauerstoff, und zwar derart vehement, dass ihm schwindlig wurde. Mitch brüllte wie am Spieß. Instinktiv, ohne von einem bewussten Willen geleitet zu werden, bäumte Strother sich auf. Mitch kniete plötzlich nicht mehr über ihm. Strother war frei. Er taumelte in die Höhe.

Nora hatte eingegriffen. Das Entsetzen hatte sie übermannt, die jähe, panische Angst, dass Mitch seinen Bruder erwürgen könnte. Ehe einer der Weidereiter, die mit Mitch gekommen waren, es verhindern konnte, war sie hinter Mitch getreten. Ihre Rechte fuhr in seine Haare. Mit aller Gewalt riss sie ihn zurück. Brüllend kam Mitch halb hoch. Er warf sich herum und hatte das Gefühl, skalpiert zu werden. In dem Moment, als er nach Nora schlug, bäumte sich unter ihm Strother auf. Mitch erhielt einen Stoß, der ihn nach vorne kippen ließ. Noras Hand löste sich aus seinen Haaren. Aber da war auch schon einer der Cowboys heran. Er packte das Mädchen grob am Oberarm und schleuderte es zur Seite. Nora strauchelte und stürzte. Einige Strähnen ihrer schwarzen Haare fielen ihr in die Stirn.

„Das wirst du büßen!“, keuchte Mitch mit einem triebhaften, besessenen Ausdruck in den Augen, in die ihm der Schmerz von seiner malträtierten Kopfhaut die Tränen getrieben hatte. Wie ein Rachegott kam er auf sie zu. Sie hockte am Boden, und aus dieser Perspektive kam ihr seine Gestalt unendlich groß, wuchtig, ehrfurchtgebietend und furchteinflößend vor. Die Angst vor ihm griff mit knöcherner Klaue nach ihr, ließ sie innerlich erbeben und würgte sie mit unsichtbaren Händen.

In dem Moment, als er sich nach ihr bücken wollte, um sie in die Höhe zu zerren, war Strother wieder da. Er hatte seine Not überwunden. Seine Hand legte sich auf Mitchs Schulter. Er riss den Bruder zu sich herum. Seine Faust landete mitten in Mitchs Gesicht. Es klatschte grässlich. Ein überraschter Laut brach über Mitchs Lippen, der in einem schmerzhaften Stöhnen endete. Blut rieselte aus seiner Nase. Und schon mit dem nächsten Atemzug kam bei Mitch wild und stürmisch wie ein Hurrican der Jähzorn, und der ließ ihn den eigenen Schmerz vergessen. Er warf sich mit der linken Schulter gegen Strother und hämmerte ihm gleichzeitig die Rechte von der Seite gegen den Kopf. Strother taumelte zurück. Mitch setzte sofort nach. Wie ein Puma sprang er Strother an. Er drosch beide Fäuste in Strothers Körper und stieß ihm den Kopf ins Gesicht. Und dann rammte er ihm brutal das Knie in den Leib. Strother wurde die Luft herausgepresst. Er sank auf die Knie. Sein Gesicht hatte sich zu einer Grimasse der grenzenlosen Qual verzerrt. Wie haltsuchend griffen seine Hände ins Leere. Er wusste nicht mehr, wie ihm geschah. Er verspürte weder Furcht, dass er diesen Kampf verlieren könnte, noch spürte er Schmerz. In ihm war nur eine grenzenlose, bleierne Benommenheit, alles drehte sich wie im Kreis um ihn, Funken sprühten vor seinen Augen, nichts in seinem Körper schien mehr zu funktionieren. Die erlahmenden Signale, die sein Hirn aussandte, blieben ohne Resonanz.

Mitch stand vor ihm. Er holte aus. Der Aufwärtshaken schleuderte Strothers Kopf in den Nacken. Er kippte nach hinten, rollte herum, lag auf dem Bauch und stemmte sich verbissen gegen die Nebel, die auf ihn zuzukriechen schienen. All seine Sehnen und Muskeln schienen gelähmt zu sein.

„Und nun zu dir, Honey!“ Wie aus weiter Ferne erreichte die rasselnde Stimme seines Bruders sein Gehör. „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du die Stunde verfluchen, in der du dich entschlossen hast, nicht vor mir zu fliehen.“

Mitch stampfte auf Nora zu. Sie hatte sich erhoben. Schritt für Schritt wich sie zurück. Ihre Mundhöhle trocknete aus. Das Grauen jagte ihr einen eisigen Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter. Einer der Weidereiter rief rau lachend: „Zeig es ihr, Mitch. Zieh ihr die Krallen. Sie muss uns hinterher aus der Hand fressen.“

Die Worte rissen Strother aus der Betäubung, in der er trieb wie in einem grauen, alles verschlingenden Strom. Er kämpfte sich ächzend auf die Beine, atmete tief durch, reckte die breiten Schultern und rief mit pulvertrockener, kratzender Stimme: „Komm her, Mitch. Der Kampf ist noch nicht zu Ende. lass die Finger von ...“

Ein Coltschuss dröhnte und Strothers weitere Worte gingen in dem wummernden Knall unter. Das grelle Mündungslicht riss für die Spanne eines Lidschlags das Innere des Conestoga-Schoners aus der Dunkelheit und umfloss das krankhaft bleiche Gesicht Jack Garretts.

Jack Garrett war nicht mehr Herr seiner Sinne. Zuerst war er fast vor Angst gestorben, dann hatte ihn die Verzweiflung gepackt. Er sah durch die Dunkelheit den mattschimmernden Coltknauf aus dem Halfter ragen, das an Strothers Gurt befestigt war, den dieser vor dem Kampf mit Mitch über die Bordwand des Fuhrwerks gehängt hatte. Und aus seiner zermürbenden Panik heraus griff Jack nach dem Sechsschüsser. Er nahm das Eisen mit beiden Händen. Fiebernd vor Erregung beobachtete er, was sich zutrug. Und als er sah, dass Mitch Kirby sich Nora zuwandte, als er seine wüste Drohung vernahm, dann die zynischen Worte des Cowboys, verlor er die Nerven endgültig. Strothers Aufforderung an Mitch, den Kampf fortzusetzen, erreichte nur den Rand seines Bewusstseins. Er drückte ab.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738968347
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Schlagworte
kirby pete hackett western edition

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: ​Gunsmoke Kirby: Pete Hackett Western Edition 91