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Im Bann der Angst: Romantic Thriller

von Frank Rehfeld (Autor:in)
©2022 122 Seiten

Zusammenfassung

Thriller von Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 122 Taschenbuchseiten.

Jennifer Bradshaw und ihre vier Freunde Sheila Darlton, Alicia Copeland, Mark Jennings und Chris Baldner leben in Chicago und sind eine eingeschworene Clique. Vier Tage Kurzurlaub wollen die jungen Leute am idyllischen Lake Chicamocomico im Ferienhaus von Sheilas Eltern verbringen und unbeschwert Party machen. Aber es kommt anders – Jennifer muss um ihr Leben kämpfen, weil ein eiskalter psychopathischer Killer es auf sie abgesehen hat ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Im Bann der Angst: Romantic Thriller

Thriller von Frank Rehfeld


Der Umfang dieses Buchs entspricht 122 Taschenbuchseiten.


Jennifer Bradshaw und ihre vier Freunde Sheila Darlton, Alicia Copeland, Mark Jennings und Chris Baldner leben in Chicago und sind eine eingeschworene Clique. Vier Tage Kurzurlaub wollen die jungen Leute am idyllischen Lake Chicamocomico im Ferienhaus von Sheilas Eltern verbringen und unbeschwert Party machen. Aber es kommt anders – Jennifer muss um ihr Leben kämpfen, weil ein eiskalter psychopathischer Killer es auf sie abgesehen hat ...


Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1

Es versprach ein traumhaftes verlängertes Wochenende zu werden, obwohl die Zusammensetzung ihrer Gruppe nicht gerade optimal war. Zwei Männer und drei Frauen - es hätte schlimmer kommen können. Ursprünglich hatten sie sogar geplant, mit vier Frauen zu fahren. Zu Jennifers Bedauern hatte jedoch ausgerechnet ihre beste Freundin Laura Sherman am Vortag abgesagt, weil sie mit einer schweren Grippe im Bett lag. So hatten sie die Reise nur zu fünft angetreten.

Sie bildeten eine eingeschworene Clique und hingen auch in Chicago die meiste Zeit zusammen. Vier Tage Kurzurlaub am idyllischen Lake Chicamocomico aber waren natürlich etwas ganz anderes.

Sie - das waren außer Jennifer Bradshaw noch Sheila Darlton, deren Eltern das Ferienhaus gehörte, Alicia Copeland, Mark Jennings und Chris Baldner. Alle waren sie um die zwanzig und kannten sich bereits seit ihrer gemeinsamen Collegezeit. Freundschaften, die auch gehalten hatten, nachdem sie die Schule hinter sich gebracht und verschiedene Berufe ergriffen hatten.

Sheila und Mark waren schon seit über zwei Jahren ein festes Paar, und in ihrem resoluten, forschen Auftreten, das sie an den Tag legten, passten die beiden auch geradezu ideal zueinander. Ansonsten jedoch war die Konstellation komplizierter.

Alicia, ein schüchternes, eher zurückhaltendes Mädchen, hatte sich schon vor geraumer Zeit in Chris verknallt, der seinerseits hingegen Jennifer schöne Augen machte. Er war groß und muskulös, allerdings keine übermäßige Geistesleuchte. Mit seiner freundlichen, manchmal etwas tolpatschigen Art erinnerte er ein bisschen an einen gutmütigen Bären.

Jennifer mochte ihn, hegte an ihm jedoch keinerlei Interesse, das über eine Freundschaft hinausging. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn er und Alicia sich zusammengerauft hätten, das hätte die Spannungen innerhalb der Clique vermindert. So einfach aber lösten sich Probleme nicht im Leben, schon gar nicht, wenn es um Gefühle ging.

Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sowohl Chris' schmachtende wie auch Alicias neidische Blicke zu ertragen und nach Möglichkeit zu ignorieren.

Als sie am späten Vormittag angekommen waren, hatten sie das Haus erst einmal vom Keller bis zum Dachboden durchstöbert, hatten gelüftet, die Zimmer unter sich aufgeteilt und etwas geputzt, um das bisschen Schmutz zu beseitigen, der sich seit der Abreise der letzten Mieter vor einer knappen Woche angesammelt hatte. Anschließend konnte die Party, die nun vier Tage lang kein Ende nehmen sollte, beginnen.

Sogar das Wetter hatte ein Einsehen mit ihnen. In den vergangenen tagen war es ständig bewölkt gewesen, und alle paar Stunden hatte es kräftige Regenschauer gegeben. Am diesem Tag jedoch brannte die Sonne heiß von einem völlig wolkenfreien Himmel herab.

Da das Haus kaum zwei Dutzend Schritte vom See entfernt lag und sogar ein privater Anlegesteg mit einem Boot dazugehörte, hatten sie dementsprechend fast den gesamten Nachmittag im Wasser verbracht. Das Haus lag so einsam, dass sie nach Herzenslust herumtoben und die Musik so laut aufdrehen konnten, wie sie wollten.

Erst als es abends kühler wurde, verlegten sie die Party ins Haus. Hatten sie sich wegen der Hitze tagsüber noch hauptsächlich an eisgekühlte Cola und Limo gehalten, floss nun reichlich Alkohol, wobei sich vor allem Sheila und die beiden Männer hervortaten.

Jennifer hingegen hielt sich am stärksten zurück. Vom langen Liegen in der Sonne hatte sie leichte Kopfschmerzen bekommen, die sich gegen Abend noch verstärkten. Deshalb war ihre Stimmung ziemlich gedrückt, was nicht unbemerkt blieb.

"Was ist denn bloß mit dir los?", erkundigte sich Chris und schnitt damit Alicia barsch das Wort ab, die ihm gerade etwas erzählte. "So still kenne ich dich ja gar nicht."

"Mir geht es nicht besonders gut", antwortete Jennifer wahrheitsgemäß. "Ein bisschen Kopfschmerzen."

"Soll ich dir eine Tablette holen?", erbot sich Chris sofort. Alicias Gesicht verdüsterte sich angesichts seiner übertriebenen Hilfsbereitschaft, und demonstrativ blickte sie in eine andere Richtung.

"Nicht nötig. Ich werde mich mal ein Weilchen hinlegen", erwiderte Jennifer und stand auf. "Allein", konnte sie sich nicht verkneifen, hinzuzufügen.

Chris überging die Bemerkung mit einem gezwungenen Lächeln und trank hastig einen Schluck Bier.

Jennifer verließ das Wohnzimmer und stieg die Treppe zu den Schlafräumen hinauf. Das Haus war ziemlich groß und verfügte über zahlreiche Zimmer, sodass sie genau wie Alicia und Chris eins für sich allein hatte, während Sheila und Mark sich ein Zimmer teilten.

Sie entschloss sich, doch eine Kopfschmerztablette zu nehmen, und legte sich anschließend im Dunkeln aufs Bett, ohne sich erst auszuziehen. Mondlicht fiel durch das Fenster herein und erfüllte das Zimmer mit dämmerigem Halbdunkel. Jennifer hatte vor, sich lediglich eine halbe Stunde oder Stunde auszuruhen, aber als sie einmal lag und sich vom Trubel des Tages zu entspannen begann, merkte sie, wie sie schläfrig wurde und ihr die Augen zufielen.

Obwohl ihr das Einschlafen in fremden Häusern gewöhnlich schwerfiel, war sie bereits nach wenigen Minuten in einen tiefen, festen Schlaf gesunken.



2

Jennifer hatte das Gefühl, sie hätte sich gerade erst hingelegt, als ein lauter Knall sie wieder hochschrecken ließ. Ein Blick auf ihren Reisewecker auf dem Nachttisch zeigte ihr jedoch, dass es bereits elf Uhr durch war, was bedeutete, dass sie mehr als zwei Stunden geschlafen hatte.

Sie wusste nicht, um was es sich bei dem Knall gehandelt hatte. Vielleicht war es nur ein Sektkorken gewesen, aber auf jeden Fall war sie sich sicher, dass sie ihn sich nicht nur eingebildet hatte. Sie richtete sich im Bett auf und lauschte angespannt, doch sie hörte nichts als das Schweigen der Nacht, eine tiefe und so allumfassende Stille, dass sie ihr fast in den Ohren zu schmerzen schien.

Da sie in der Großstadt aufgewachsen war und noch immer dort lebte, war eine so völlige nächtliche Stille ihr nahezu unbekannt. Sie hatte sich so an den normalen Hintergrundlärm in Chicago gewöhnt, das beständige Rauschen des Verkehrs, das Dröhnen startender oder landender Flugzeuge, das vom Flughafen zu ihrer Wohnung herüberschallte, das gelegentliche Grölen Betrunkener und all die hunderte anderer Geräusche, dass sie sie kaum noch wahrnahm.

Hier jedoch, inmitten dieser völligen Stille, fiel ihr Fehlen ihr umso deutlicher auf. Die Ruhe beunruhigte Jennifer, auch wenn es ein Widerspruch in sich war.

Erst nach ein paar Sekunden wurde ihr bewusst, was sie daran am meisten irritierte. Als sie sich hingelegt hatte, waren aus dem Erdgeschoss Musik und die Stimmen und das Lachen der anderen zu ihr heraufgeschallt und hatten sie in den Schlaf begleitet. Jetzt jedoch war auch davon nichts mehr zu hören; es herrschte eine Ruhe, die sie instinktiv mit dem Begriff Todesstille verband.

Ärgerlich schüttelte Jennifer den Kopf. Sie begriff selbst nicht, wie sie auf diesen albernen Gedanken kam. Dennoch - irgendetwas Unheilvolles schwang in dieser Stille mit. Sie spürte es intuitiv, auch wenn es keinen konkreten Grund dafür gab.

Dann hörte sie den Schrei.

Es war der schrille, nach nicht einmal einer Sekunde abrupt abreißende Schrei einer Frau. Sheilas Stimme, wenn sie sich nicht irrte, aber das war schwer zu bestimmen.

Erschrocken sprang Jennifer auf. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen. Es war kein scherzhafter Schrei aus Übermut gewesen, sondern er hatte schmerzerfüllt und voller Panik geklungen. Dies war kein Spiel, etwas Schreckliches musste passiert sein. So schrie nur ein Mensch in höchster Qual oder Todesangst. Und was das abrupte Ende betraf ...

Jennifer zwang sich, erst gar nicht weiter darüber nachzudenken. Mit wild hämmerndem Herzen schlich sie zur Tür und öffnete sie lautlos einen Spalt. Vorsichtig spähte sie auf den Korridor hinaus.

Das Knarren hölzerner Stufen drang an ihr Ohr. Jemand kam mit langsamen, bedächtigen Schritten die Treppe herauf, doch sie war überzeugt, dass es keiner ihrer Freunde war. Irgendetwas stimmte nicht, davon war sie überzeugt. Möglicherweise handelte es sich um einen Einbrecher.

Ein Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, trat von der Treppe in den Korridor. Er war fast zwei Meter groß, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Er trug robuste Geländeschuhe, Bluejeans und ein orangenes Polohemd. In der Hand hielt er ein Messer mit einer langen, schmalen Klinge. Einen kurzen Moment blieb er stehen, lauschte und blickte sich um, dann ging er zu der nächstgelegenen Tür, öffnete sie und warf einen Blick in den dahinterliegenden Raum.

Lautlos drückte Jennifer die Tür ihres Zimmers wieder ins Schloss und blickte sich gehetzt um. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen. Jemand war in das Haus eingedrungen, und das sicherlich nicht in friedlicher Absicht, wie das Messer bewies.

In aller Eile zupfte sie die Decke auf dem Bett zurecht und strich sie glatt. Sie war nun froh, dass sie sich nur darauf ausgestreckt hatte, statt richtig ins Bett zu kriechen, sonst hätte sie keine Chance gehabt, die Spuren so schnell zu beseitigen.

Jetzt brauchte sie nur noch ein Versteck. Das Bett war zu niedrig, um sich darunter zu verbergen, doch schob sie ihren Koffer mit dem Fuß unter das Gestell. Sie hatte ihn seit ihrer Ankunft nicht geöffnet, keinerlei persönliche Habseligkeiten irgendwo im Zimmer konnten verraten, dass es bewohnt war.

Jennifer hörte, wie weitere Türen geöffnet wurden, und das Geräusch mahnte sie zur Eile. Sie wandte sich dem Einbauschrank zu. Mit seinen seitlich verschiebbaren Lamellentüren nahm er fast eine ganze Wand ein.

Sie drückte vorsichtig eine der Türen auf. Die Laufrollen waren gut geölt und verursachten so gut wie kein Geräusch. Jennifer schlüpfte in den Schrank.

Kaum hatte sie sich darin versteckt, wurde die Tür ihres Zimmers aufgestoßen. Gleich darauf flammte das Deckenlicht auf. Der Unbekannte trat ein und blickte sich um.

Zwischen den Lamellen hindurch konnte Jennifer ihn nun genauer erkennen. Sein schwarzes, kurz geschnittenes Haar glänzte wie die Gefieder eines Raben. Er mochte Mitte dreißig sein. Sein Gesicht mit dem markanten Kinn, den hohen Wangenknochen und der schmalen, klassischen Nase wirkte nicht einmal unsympathisch. Seine gebräunte Haut bewies, dass er sich häufig im Freien aufhielt. Jede seiner Bewegungen wirkte kraftvoll, fast raubtierhaft. Offenbar hielt er sich hervorragend in Form. Unter seinem Polohemd spannten sich beeindruckende Muskelpakete.

Er musterte das Bett einige Sekunden lang, die Jennifer wie Stunden vorkamen. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, während sie sich fragte, ob sie die Decke im Dunkeln womöglich nicht gründlich genug glatt gestrichen hatte. Ihr Herz hämmerte so schnell und heftig, dass sie meinte, ihr Puls müsste wie Paukenschläge durch das ganze Haus dröhnen.

Dann wandte der Mann den Kopf zum Schrank. Unwillkürlich zuckte Jennifer zusammen, als sein Blick den ihren traf und jeden Ausdruck von Sympathie aus seinem Gesicht löschte. In seinen eisblauen Augen schimmerte eine solche Kälte, dass sich selbst die Arktis dagegen wie ein gemütlicher Ferienort ausnahm.

Wieder kam es Jennifer vor, als ob jede Sekunde sich zu einer Ewigkeit dehnen würde. Obwohl sie wusste, dass er sie unmöglich sehen konnte, hatte sie das Gefühl, als ob der Fremde sie direkt anstarren würde.

Das Licht der Deckenlampe spiegelte sich auf der Messerklinge.

Jennifer spürte das fast unbändige Verlangen zu schreien, doch tapfer kämpfte sie dagegen an. Ihr Leben hing davon ab, dass sie jetzt die Nerven behielt, daran gab es für sie keinerlei Zweifel.

Die Kälte in seinen Augen schien den Raum in einen Eiskeller zu verwandeln. Dennoch bildeten sich nun wahre Ströme von Schweiß auf Jennifers Gesicht und brannten in ihren Augen, aber sie wagte nicht, auch nur die Hand zu heben, um sie wegzuwischen, denn sie war davon überzeugt, dass jede noch so kleine Bewegung sie verraten würde.

Als sie glaubte, es gar nicht mehr aushalten zu können und im nächsten Moment schlichtweg ohnmächtig zu werden, drehte er sich schließlich wieder um, löschte das Licht und verließ das Zimmer, ohne die Tür zu schließen.

Jennifer stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Sie musste sich gegen die Rückwand des Schranks lehnen, weil sie das Gefühl hatte, dass ihre Beine zu schwach waren, um sie noch länger zu tragen.

Sie konnte hören, wie der Unbekannte auch die restlichen Türen öffnete und die Zimmer dahinter kontrollierte. Anschließend kam er erneut an ihrem Zimmer vorbei und stieg die Treppe wieder hinunter.

Fieberhaft überlegte Jennifer, was sie tun sollte. Alles in ihr schrie danach, in ihrem Versteck zu bleiben, doch das konnte sie nicht. Sie musste herausfinden, was das alles zu bedeuten hatte, und was mit ihren Freunden passiert war. Außerdem musste sie irgendwie Hilfe herbeirufen, aber das einzige Telefon im Haus stand unten im Wohnzimmer.

Sie wartete noch einige Sekunden, bis der Mann wieder im Erdgeschoss angelangt war. Erst dann wagte Jennifer es, die Schranktür zu öffnen.

Das Haus war so still wie ein riesiges Grab.

So leise es ihr möglich war, huschte sie aus dem Zimmer und schlich zur Treppe.



3

Jennifer Bradshaw hatte sich nie für einen Feigling gehalten, allerdings auch nicht für eine Heldin. Auch jetzt fühlte sie sich keineswegs heldenhaft, nicht einmal sonderlich mutig.

Im Gegenteil.

Sie verspürte eine Angst, wie nie zuvor in ihrem Leben. Die wenigen Meter bis zur Treppe kamen ihr vor wie eine Marathonstrecke. Der Korridor schien sich wie ein elastischer Schlauch zu dehnen; sein Ende mit jedem Schritt, den sie nach vorne machte, um die gleiche Distanz vor ihr zurückzuweichen.

Sie hatte das Gefühl, dass die Beine ihr den Dienst versagten und stützte sich zur Sicherheit mit einer Hand an der Wand ab. Mehr als einmal drohte die Panik sie zu überwältigen, sodass sie stehen bleiben und ein paarmal tief durchatmen musste.

Irgendwie schaffte sie es dennoch, immer wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis sie endlich das Ende des Ganges erreichte. Erneut musste sie eine kurze Pause einlegen. Sie lauschte angestrengt, doch außer ihrem eigenen Atem war nicht das leiseste Geräusch zu hören.

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie ihren Fuß auf die oberste Treppenstufe setzte. Die Treppe war gefährlich, das wusste sie. Wenn der Unbekannte sich noch im Flur aufhielt, oder ihn erneut betrat, während sie sich auf der Treppe befand, gäbe es für sie keinerlei Versteckmöglichkeit. Durch die hölzernen Geländersprossen hindurch wäre sie sofort zu entdecken.

Außerdem war die Treppe aus Holz. Zwar trug Jennifer Turnschuhe, die es ihr erleichterten, sich möglichst leise zu bewegen, doch gegen knarrende Stufen gab es keinen Schutz.

Aber es war nun mal der einzige Weg ins Erdgeschoss hinunter, also nahm sie all ihren Mut zusammen und schlich dicht an die Wand gepresst weiter. Hier war die Gefahr nicht so groß, dass eine der Treppenstufen unter ihrem Gewicht knarrte.

Jennifer hatte das obere Drittel der Treppe hinter sich gebracht, als der Mann wieder aus dem Wohnzimmer trat. Das Messer hatte er weggesteckt, dafür trug er eine Schrotflinte mit kurzem, vermutlich abgesägtem Lauf über der Schulter.

Jennifer erstarrte, wagte nicht einmal, sich zu bewegen. Sogar den Atem hielt sie an. Sie wusste, dass sie verloren war, wenn er den Kopf nur ein wenig hob und einen Blick in Richtung der Treppe warf.

Doch ihr Schutzengel schien es in dieser Nacht ganz besonders gut mit ihr zu meinen. Ohne einmal in ihre Richtung zu sehen, ging der Fremde zur offenen Haustür und trat ins Freie hinaus. Sie hörte, wie Kies unter seinen Füßen knirschte, als er sich vom Haus entfernte.

In Gedanken schickte sie ein lautloses Dankesgebet zum Himmel und hastete die Treppe vollends hinab. Neben der Haustür verharrte sie, atmete durch und wagte es dann, einen raschen Blick um die Ecke zu werfen.

Der Mann hatte einen dunkelgrünen, ein gutes Stück vom Haus entfernt geparkten Kombi erreicht. Er öffnete mit dem Rücken zu ihr gerade die hintere Klappe und warf das Gewehr auf die Ladefläche.

Jennifer nutzte die Gelegenheit, an der offenen Haustür vorbei ins Wohnzimmer zu laufen.

Ein Bild des Grauens erwartete sie. Der Anblick schnitt wie ein Messer in ihr Herz.

"Nein!", hauchte sie. Schwindel erfasste sie, und sie musste alle Kraft zusammennehmen, um sich nicht zu übergeben. Ein durchdringender Alkoholgestank, vermischt mit dem süßlichen Geruch von Blut schlug ihr entgegen.

Ihre Freunde waren tot, alle vier. Der Mörder hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre gebrochenen Augen zu schließen.

Bläuliche Flammen zuckten über den Tisch. Als wäre das Feuer flüssig, tropfte es von den Rändern herab und hatte an einigen Stellen auch bereits den Teppich in Brand gesetzt, doch darauf achtete Jennifer kaum.

Alicias Kopf hing in einem schier unmöglichen Winkel zur Seite, ihr Genick musste gebrochen sein.

Mark hatte man die Kehle durchgeschnitten. Sein ursprünglich weißes T-Shirt war mit Blut durchtränkt.

Sheila wies mehrere Stichwunden im Oberkörper auf, und Chris' Brust war eine einzige große Wunde. Aus nächster Entfernung musste der Mörder mit der Schrotflinte auf ihn geschossen haben. Vermutlich war das der Knall gewesen, von dem Jennifer geweckt worden war.

Dem durchdringenden Alkoholgeruch und den herumliegenden Whiskyflaschen zufolge, mussten die vier bereits so betrunken gewesen sein, als der Mörder ins Haus eindrang, dass er wahrscheinlich leichtes Spiel gehabt hatte.

Vor dem Haus wurde ein Motor angelassen.

"Nein!", stieß Jennifer noch einmal hervor. Sie hastete auf den brennenden Tisch zu, während das Motorengeräusch vor dem Haus allmählich leiser wurde und in der Ferne verschwand.

Der Mörder hatte Alkohol auf der Platte verschüttet und ihn angezündet. Indem er das Haus niederbrannte, wollte er alle eventuell auf ihn hindeutenden Spuren vernichten. Es war größtenteils aus Holz erbaut, und wenn der Brand sich erst einmal richtig ausgebreitet hatte, würde es vollständig zerstört werden.

Sie musste das Feuer löschen. Glücklicherweise brannte der Alkohol nicht so verheerend, wie Benzin es getan hätte, aber er beschleunigte die Ausbreitung des Feuers dennoch enorm.

Ohne lange zu überlegen, griff sie nach einer Decke, die neben Sheilas Leichnam auf der Couch lag, und breitete sie über den Tisch. Nur so konnte sie das Feuer ersticken. Gleichzeitig trat sie die vereinzelten Brandherde auf dem Teppich aus.

Sie hatte Erfolg. Zwar fing die Decke an einer Ecke ebenfalls Feuer, doch mit einem Kissen schlug sie so lange darauf ein, bis es erlosch. Woher sie die Kraft dazu nahm, wusste sie selber nicht. Vielleicht war es wirklich so, dass Menschen im Augenblick der Gefahr über sich selbst hinauswuchsen.

Erst nachdem sie sicher war, dass der Brand vollständig gelöscht war, taumelte sie zurück. Die Beine versagten ihr nun endgültig den Dienst. Mit zitternden Fingern an den Türrahmen geklammert, sank sie langsam zu Boden. Alles drehte sich vor ihren Augen, und sie blieb einfach reglos an die Wand gekauert sitzen.



4

Das Telefon.

Der Gedanke drang bis in Jennifers Bewusstsein und riss sie aus ihrer tranceartigen Benommenheit, in der sie fast eine Minute verharrt hatte.

Das Telefon.

Sie musste die Polizei benachrichtigen.

Langsam kehrte das Leben in ihren Körper zurück. Sie schleppte sich mühsam zu dem Apparat, der auf einem kleinen Tischchen stand, und nahm den Hörer ab. Es ertönte kein Freizeichen. Sie drückte ein paarmal auf die Gabel, aber auch jetzt tat sich nichts.

Als sie sich bückte und unter den Tisch blickte, sah sie, dass sowohl die Anschlussbuchse aus der Wand, wie auch sämtliche Kabel aus der Buchse gerissen worden waren. Sie verstand so gut wie nichts von Technik, und selbst wenn, wäre es ihr in ihrem momentanen Zustand und mit ihren zitternden Händen trotzdem niemals gelungen, den Anschluss zu reparieren.

Also musste sie selbst zur Polizei fahren. Wenn sie sich beeilte, würde es vielleicht noch möglich sein, den Täter durch eine sofortige Fahndung zu ergreifen. Sie hastete aus dem Haus.

Die Nacht war dunkel. Von Osten her trieb der Wind schwere, bauchige Wolken heran, die den ursprünglich klaren Nachthimmel bedeckten, sodass nur noch vereinzelt Mondlicht hindurchsickerte.

Trotzdem sah Jennifer, noch bevor sie den Wagen erreichte, dass irgendetwas damit nicht stimmte, dass er merkwürdig schräg stand. Als sie an dem Gefährt anlangte, erkannte sie auch, woran dies lag. Dieser Weg, Hilfe herbeizuholen, schied ebenfalls aus. Zwei der vier Reifen waren zerstochen worden.

Resignation schlug wie eine dunkle Woge über ihr zusammen, vermischte sich mit ihrer Trauer und dem Gefühl der Hilflosigkeit. Sie hatte getan, was sie tun konnte, mehr war ihr nicht möglich. Der nächste Ort, Dumbwater, war fast zehn Meilen entfernt, und sie wäre die ganze Nacht unterwegs, um ihn zu erreichen. Angesichts des anscheinend heraufziehenden Unwetters und ihres Zustands jedoch würde sie wahrscheinlich nicht einmal die zwei Meilen vom Haus zum Highway schaffen, und in dieser abgelegenen Gegend herrschte dort nachts praktisch überhaupt kein Verkehr.

Sie würde bis zum nächsten Morgen warten müssen. Dann konnte sie versuchen, einen vorbeifahrenden Wagen anzuhalten, auch wenn der Killer bis dahin längst über alle Berge sein würde.

Niedergeschlagen machte sie sich auf den Rückweg zum Haus, als ihr plötzlich etwas einfiel. Der Unbekannte hatte Feuer gelegt, und hätte es nicht gelöscht, würde das Haus mittlerweile lichterloh brennen. Ein solcher Brand würde in der Nacht weithin sichtbar sein, und der Mörder war noch nicht allzu weit entfernt. Wahrscheinlich wunderte er sich bereits, wieso noch kein Feuerschein zu entdecken war.

Über kurz oder lang würde er zu dem Schluss kommen, dass er einen Fehler gemacht hatte und der Brand aus irgendeinem Grund wieder ausgegangen war. Möglicherweise würde er dann zurückkehren, um das begonnene Werk zu vollenden. Betrat er erst einmal das Wohnzimmer, würde er sofort erkennen, dass das Feuer nicht von alleine erloschen sondern gelöscht worden war, und wissen, dass es einen Überlebenden gegeben hatte.

Jennifer blieb abrupt stehen. Sie durfte nicht ins Haus zurück, dort säße sie in der Falle. Sie konnte nur versuchen, sich irgendwo in sicherer Entfernung im Wald zu verstecken.

Entschlossen ging sie auf den Waldrand am Rande des Grundstücks zu, als erneut Motorengeräusch die Stile der Nacht durchbrach. Nur Sekunden später sah sie Scheinwerferlicht auf einer Hügelkuppe in Richtung des Highways.

Ihr blieb weniger Zeit, als sie gehofft hatte; der Killer kehrte bereits zurück. Nur noch ein, höchstens zwei Minuten, dann würde er hier sein. Selbst wenn sie rannte, würde sie es nicht bis zum Waldrand schaffen. Jedenfalls nicht, ohne entdeckt zu werden.

Den einzigen Schutz bot eine Gruppe von Zierbüschen nicht weit vom Haus entfernt. Sie änderte ihr Richtung, hetzte darauf zu und duckte sich dahinter, gerade noch rechtzeitig, bevor der Wagen um eine Kurve gebogen kam und das Licht der Scheinwerfer sich über das Grundstück ergoss.

Wie Jennifer befürchtet hatte, handelte es sich um den Kombi, was bedeutete, dass der Mörder ihrer Freunde am Steuer saß.

Kaum zwei Dutzend Schritte von ihr entfernt kam der Wagen zum Stehen. Der Motor wurde ausgestellt, die Tür geöffnet. Der Fremde mit den schwarzen Haaren stieg aus. Er öffnete die Heckklappe und nahm die Schrotflinte aus dem Wagen, dann ging er auf das Haus zu, wobei er sich ein paarmal aufmerksam umblickte. So ganz schien er dem Frieden offenbar nicht zu trauen.

Jennifer schauderte. Seine Bewegungen waren außerordentlich schnell und kraftvoll. In einem direkten Wettlauf gegen ihn hätte sie keine Chance, und wenn er sie zu packen bekäme, würde er sie vermutlich mit seinen bloßen Händen so mühelos töten können, wie sie einen dünnen Zweig zerbrach.

Sie hatte vor zu warten, bis er im Haus war, um dann zum Waldrand hinüberzulaufen. Wenn sie den Wald erreichte, bevor er wieder ins Freie trat, hatte sie eine gute Chance, im Unterholz unterzutauchen. Er konnte schlecht die ganze Gegend nach ihr absuchen.

Dann aber kam ihr eine neue Idee. Es waren noch fast hundertfünfzig Meter bis zum Waldrand. Wie lange würde der Killer im Haus bleiben? Zehn Sekunden? Zwanzig? Es würde in jedem Fall knapp werden. Wenn er sie entdeckte, wusste er, welche Richtung sie einschlug, und dann sanken ihre Chancen, ihm zu entkommen, ganz gewaltig.

Bis zum Wagen hingegen würde sie nur wenige Sekunden brauchen. Der Mann hatte zwar den Motor ausgestellt, aber da er sich allein wähnte, war es wahrscheinlich, dass er den Schlüssel stecken gelassen hatte. Damit wären die Rollen vertauscht. Sie hätte einen Wagen, mit dem sie zur Polizei fahren konnte, während ihm nur die Möglichkeit bliebe, zu Fuß zu fliehen. Das würde die Chancen, dass er gefasst würde, erheblich erhöhen.

Die Entscheidung fiel Jennifer nicht leicht, zumal ihr nicht viel Zeit blieb, eine Wahl zu treffen. Es wäre nicht ganz ungefährlich, aber in jedem Falle einfacher, sich irgendwo zu verstecken. Es war der automatische, angeborene Fluchtinstinkt, der Menschen und Tiere angesichts einer Gefahr vereinte.

Dennoch entschied sie sich für den Wagen, obwohl dieser Weg wesentlich mehr Unwägbarkeiten barg.

Was, wenn der Schlüssel nicht steckte? Was, wenn sie den Motor nicht schnell genug anbekam, was, wenn sie den Wagen nicht schnell genug wenden und beschleunigen könnte, was, wenn ...

Sie wartete, bis der Killer das Haus wieder betreten hatte, dann richtete sie sich auf und rannte los.

Bitte, lass den Schlüssel stecken!, flehte sie in Gedanken inbrünstig.

Sie erreichte die offene Fahrertür des Wagens und beugte sich ins Innere. Der Schlüssel steckte im Schloss.

Noch während sie sich auf den Sitz fallen ließ und mit der Linken die Tür zuschlug, griff sie mit der anderen Hand danach. Sie trat auf das Gaspedal und drehte ihn. Der Motor heulte auf und erstarb gleich darauf wieder.

Noch einmal.

Diesmal achtete sie darauf, dass sie nicht zu viel Gas gab. Brummend erwachte der Motor erneut zum Leben, und diesmal blieb er an. Jennifer löste die Handbremse, legte den Gang ein und fuhr los. Kies spritzte unter den Rädern hoch, und sie verlor wertvolle Sekundenbruchteile, bis die Reifen fassten.

Der Fremde stürmte aus dem Haus, kam auf den Kombi zu gerannt. Die Schrotflinte ließ er fallen, wagte es anscheinend nicht, auf den Wagen zu schießen. Er wusste, dass er selbst ein Fahrzeug brauchen würde, um von hier wegzukommen. Wenn es sich um seinen eigenen Wagen handelte, fürchtete er vielleicht auch die verräterischen Spuren, die ein Schuss daran hinterlassen würde.

Hastig drückte Jennifer auf den Knopf für die Türverriegelung, während sie den Kombi wendete. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Es kam ihr vor, als würde das Fahrzeug nur langsam und widerwillig beschleunigen, als wäre es ein lebendes Wesen und fühlte sich seinem Besitzer verbunden, während der Mann in unglaublichem Tempo aufholte.

Sie schaltete in einen höheren Gang, bekam ihn jedoch nicht auf Anhieb eingelegt, und das Getriebe gab ein durchdringendes Kreischen von sich. Wieder verlor sie kostbare Zeit.

Der Killer erreichte den Wagen. Sein Gesicht war eine Grimasse aus Hass und Wut, wirkte kaum noch menschlich. Er packte den Griff der Tür und brüllte vor Zorn auf, als sie sich nicht öffnen ließ. Mit aller Kraft hämmerte er seinen Ellbogen gegen das Seitenfenster. Das Glas hielt.

Jennifer trat das Gaspedal bis zum Boden durch, und nun schien die Zeit endlich wieder im normalen Verhältnis abzulaufen. Der Wagen beschleunigte gehorsam, die Tachonadel kletterte auf dreißig Meilen, näherte sich der Fünfundreißig.

Bei diesem Tempo konnte der Mann längst nicht mehr mithalten, egal, wie durchtrainiert und schnell er auch war. Dennoch hielt er sich weiterhin am Türgriff fest.

"Lass los, du Mistkerl!", brüllte Jennifer. "Lass endlich los!"

Vierzig Meilen.

Noch immer klammerte der Schwarzhaarige sich an den Griff. Er versuchte gar nicht erst mehr zu laufen, seine Beine schleiften über den Boden. Trotz der Schmerzen und der ungeheuren kraft, die es ihn kosten musste, ließ er nicht los.

Jennifer riss das Lenkrad ein paarmal ruckartig von einer Seite zur anderen. Der Wagen geriet gefährlich ins Schlingern. Von der Tür her ertönte ein dumpfes Poltern, dann - endlich! - verschwand das verhasste Gesicht von der Seitenscheibe.

Als sie in den Rückspiegel blickte, sah sie den Mann reglos am Boden liegen. Vielleicht hatte er sich bei dem Sturz das Genick gebrochen und war tot. Hoffentlich. Sie gönnte es ihm aus ganzem Herzen.

Noch vor einer Stunde hätte sie ein solcher Gedanke entsetzt, und sie hätte sich selbst nicht zugetraut, dass sie einen solchen Hass auf jemanden empfinden könnte. Seither jedoch hatte sich viel geändert.

Aus Gründen, die sie nicht einmal erahnen konnte, hatte der Unbekannte ihre Freunde getötet. Vier unschuldige, blühende Leben. Vier junge Menschen voller Träume, Hoffnungen und Pläne für die Zukunft, die mit ihr zusammen hergekommen waren, um ein paar Tage lang Spaß zu haben.

Oh ja, sie gönnte ihm den Tod, wünschte ihn ihm aus vollem Herzen.

Tränen stiegen Jennifer in die Augen, aber sie kämpfte dagegen an. Sie durfte ihrer Trauer nicht nachgeben, noch nicht.

So schnell der schmale Weg es zuließ, brauste sie durch die Nacht.



5

Das Sheriffbüro von Dumbwater war nur mit einem einzelnen Deputy besetzt, einem übergewichtigen Mann mit spärlichen blonden Haaren, wässrigen Augen und Hängebacken, die ihm ein wenig das Aussehen einer Bulldogge verliehen. Missmutig blickte er von einer Zeitung auf, in der er las, und nahm die Füße vom Schreibtisch, als Jennifer in die Polizeistation gestürmt kam.

"Na, na, nicht so eilig", brummte er. "Wo brennt's denn?"

"Sie ... sie sind tot", stieß Jennifer hervor. "Meine Freunde. Er ... er hat sie umgebracht, und dann hat er versucht, das Haus anzuzünden, aber ich habe das Feuer gelöscht, und dann bin ich mit seinem Wagen gefahren, weil er an unserem die Reifen zerstochen hat, und ..."

"Nun mal immer mit der Ruhe", fiel ihr der Deputy ins Wort. Ein Schildchen auf dem Tisch vor ihm wies ihn als Jack Finton aus. "Wer hat wen umgebracht?"

"Dieser ... dieser Kerl", keuchte Jennifer. Sie bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen, aber sie war einfach zu aufgeregt. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. "Ich weiß nicht, wer er ist. Ich habe geschlafen und ..."

"Sagen Sie mir doch erst einmal, wie Sie überhaupt heißen."

"Jennifer. Jennifer Bradshaw."

"Also gut, Miss Bradshaw. Und wo wohnen Sie?"

"In Chicago." Sie nannte die genaue Adresse. "Meine Freunde und ich wollten in einem Ferienhaus am Lake Chicamocomico ein paar Tage Urlaub machen, aber jetzt sind alle tot. Er hat ..." Sie brach mit einem Schluchzen ab und ließ sich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen.

"Sie sind also mit ein paar Freunden in dieses Ferienhaus gefahren", ergriff Finton wieder das Wort. "Haben Sie dort Alkohol getrunken oder irgendwelche Drogen zu sich genommen?"

Die Frage traf Jennifer wie ein Peitschenschlag und ließ sie zusammenzucken. Mit einem Schlag begriff sie, worauf der Deputy abzielte.

"Ich habe keinen Tropfen getrunken!", stieß sie hervor. "Es ist wahr. Sie brauchen nur jemanden hinzuschicken. Vielleicht ist der Killer auch noch da. Ich ... ich glaube, er ist verletzt. Mit ein bisschen Glück können Sie ihn dort fassen."

"Sicher." Finton nickte ihr auf eine väterliche Art zu, die deutlich machte, dass er ihr immer noch kein Wort glaubte. "Beruhigen Sie sich erst einmal, Miss Bradshaw. Warum erzählen Sie mir nicht einfach alles der Reihe nach von Anfang an?"

Jennifer holte tief Luft. Sie hielt sich vor Augen, dass Schwerverbrechen in einer so abgelegenen Gegend vermutlich äußerst selten vorkamen. Ihre Geschichte von einem Killer, der mehrere Menschen umgebracht hatte, musste einfach auf Skepsis stoßen, vor allem, wenn sie die Tatsachen so wirr wie bisher in den Raum schmiss.

Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Irgendwie hatte sie sich vorgestellt, dass man nach ihrer Anzeige sofort eine Großfahndung mit Spürhunden und Hubschraubern einleiten würde, dass ein Spezialistenteam zu dem Ferienhaus fahren und alles untersuchen würde.

Die Wahrheit war sehr viel ernüchternder. Es war zum Verzweifeln, dass sie hier wertvolle Zeit damit vergeudete, diesen starrköpfigen Deputy davon zu überzeugen, dass sie sich nicht nur etwas zusammenfantasierte, während der Killer womöglich fliehen konnte. Trotzdem blieb ihr nichts anderes übrig, als sich Fintons Regeln zu beugen, wenn sie etwas erreichen wollte.

"Wir waren zu fünft", begann Jennifer noch einmal neu. "Außer mir noch meine Freunde Sheila Darlton, Alicia Copeland, Mark Jennings und Chris Baldner. Wir wollten ein verlängertes Wochenende in dem Ferienhaus der Darltons am Lake Chicamocomico verbringen."

Sie berichtete so ruhig, wie es ihr möglich war, was sich zugetragen hatte, wie sie sich wegen ihrer Kopfschmerzen am frühen Abend hingelegt hatte, bis zu ihrer Flucht im Auto des Killers. Finton hörte ihr geduldig zu, stellte lediglich ein paar Zwischenfragen, wenn sie zu sehr abschweifte, etwas Wichtiges ausließ oder sonst wie den Faden zu verlieren drohte.

Einige Male schnitt er eine Grimasse, ansonsten war seinem Gesicht nicht anzusehen, was er dachte. Trotzdem hatte Jennifer das Gefühl, dass er ihr allmählich mehr Glauben schenkte als am Anfang. Vermutlich lag es daran, dass sie jetzt nicht mehr wild drauflos stammelte, sondern sich zwang, eindringlich und ruhig zu sprechen, so schwer es ihr auch fiel, die Beherrschung zu wahren.

"Ich weiß nicht, was ich von Ihrer Geschichte halten soll", meinte Finton, nachdem sie geendet und er ein paar Sekunden lang nachgedacht hatte. "Als Sie hier hereinkamen, habe ich geglaubt, Sie wären entweder total betrunken oder auf Drogen oder so etwas. Mittlerweile machen Sie nicht mehr diesen Eindruck."

"Ich bin völlig nüchtern, Sie können mich ja ins Röhrchen pusten lassen."

"Das wird wohl nicht nötig sein. Trotzdem fällt es mir schwer, an einen Killer zu glauben, der ausgerechnet in dieser Gegend sein Unwesen treiben soll."

"So ist es aber."

"Hm." Finton holte ein Telefonbuch aus einer Schublade des Schreibtisch. Er suchte eine Nummer heraus, griff nach dem Telefon und begann zu wählen.

"Wen rufen Sie an?", erkundigte sich Jennifer.

"Das Ferienhaus. Ich will herausfinden, ob sich dort jemand meldet."

"Die Mühe können Sie sich sparen. Das Telefon ist zerstört."

"Ich überzeuge mich lieber selbst davon." Er wartete ein paar Sekunden, dann legte er auf. "Ich bekomme keine Verbindung, nicht mal ein Freizeichen. Aber ein Beweis ist das noch nicht.

"Schicken Sie einfach jemanden zu dem Haus, dann werden Sie feststellen, dass alles, was ich erzählt habe, die Wahrheit ist", drängte Jennifer.

Finton zögerte ein paar Sekunden lang, dann nickte er bedächtig.

"Mir wird wohl nichts anderes übrig blieben. Aber ich warne Sie. Der Sheriff geht gerne früh schlafen. Wenn ich ihn jetzt anrufe, werde ich ihn voraussichtlich wecken, und falls sich herausstellen sollte, dass es dafür keinen wichtigen Grund gibt, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken."

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738967951
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Schlagworte
bann angst romantic thriller

Autor

  • Frank Rehfeld (Autor:in)

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Titel: Im Bann der Angst: Romantic Thriller