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Der Sheriff von Archer City: Thomas West Western Edition 7

von Thomas West (Autor:in)
©2022 130 Seiten

Zusammenfassung

Behutsam schob sich Joseph Boone Sheridan über den steinigen Boden. Zentimeter für Zentimeter. Mit der Rechten zog er seine Winchester neben sich her. Die eisige Kälte des Felsgesteins kroch durch das grobe Baumwollhemd in seine Haut. Die Felsnase stieg ein wenig an, und er musste bis an ihren Rand kriechen, um das Gelände unterhalb des Steilhangs einsehen zu können. Er drückte den Ast einer Akazie nach oben und robbte unter ihm hindurch. Die dicht belaubten Bäume bedeckten Teile des Hangs. Ihre Kronen verhüllten Sheridans Deckung. Eine stachlige Angelegenheit. Aber eine Wohltat im Vergleich mit den tödlichen Pfeilen der Sioux.

Endlich erreichte Sheridan den Rand der Felsnase. Er spähte über die Felskante. Unter ihm war das steil abfallende Laubdach - Eichen, Buchen, Ahorn. Dazwischen vereinzelte Akazien und sogar Tannen.

Am Fuß des Hanges lichtete sich der Baumbewuchs. Steine wölbten sich dort aus Farnfeldern und Dornengestrüpp. Zum Teil mannshohe, moosbewachsene Felsbrocken.

Auf einem stand ein Sioux. Er spähte nach allen Richtungen.

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Der Sheriff von Archer City: Thomas West Western Edition 7

Thomas West

Behutsam schob sich Joseph Boone Sheridan über den steinigen Boden. Zentimeter für Zentimeter. Mit der Rechten zog er seine Winchester neben sich her. Die eisige Kälte des Felsgesteins kroch durch das grobe Baumwollhemd in seine Haut. Die Felsnase stieg ein wenig an, und er musste bis an ihren Rand kriechen, um das Gelände unterhalb des Steilhangs einsehen zu können. Er drückte den Ast einer Akazie nach oben und robbte unter ihm hindurch. Die dicht belaubten Bäume bedeckten Teile des Hangs. Ihre Kronen verhüllten Sheridans Deckung. Eine stachlige Angelegenheit. Aber eine Wohltat im Vergleich mit den tödlichen Pfeilen der Sioux.

Endlich erreichte Sheridan den Rand der Felsnase. Er spähte über die Felskante. Unter ihm war das steil abfallende Laubdach - Eichen, Buchen, Ahorn. Dazwischen vereinzelte Akazien und sogar Tannen.

Am Fuß des Hanges lichtete sich der Baumbewuchs. Steine wölbten sich dort aus Farnfeldern und Dornengestrüpp. Zum Teil mannshohe, moosbewachsene Felsbrocken.

Auf einem stand ein Sioux. Er spähte nach allen Richtungen. Dann sah Sheridan ihre Pferde. Sie weideten an dem schmalen Bachlauf, der knapp zwei Steinwürfe entfernt das Unterholz durchschnitt. Kleine scheckige Appaloosas; Sheridan zählte genau zwölf.

Und schließlich entdeckte er die Hauptgruppe seiner Verfolger. Sie standen genau an der Stelle des Gebirgsbaches, an der er sein Pferd ins Wasser getrieben hatte. Er selbst hatte sich parallel des Flüsschens durchs Unterholz gearbeitet.

Sheridan versuchte an ihren Gesten und Körperhaltungen abzulesen, was sie im Schilde führten. Sie schienen heftig zu palavern. Einige zeigten nach oben, Richtung Wald, andere deuteten hinunter in die Ebene. Zwei hockten am Ufer des Baches und untersuchten das Bachbett und das Ufergestrüpp. Seine Spuren verwirrten die Indianer. Genau wie er gehofft hatte.

Sie schienen sich unschlüssig zu sein.

"Jetzt zieht schon ab, Kameraden", murmelte Sheridan. "Die Bisons warten nicht gern."

Drei weitere Sioux tauchten auf. Jenseits des Gebirgsbaches. Aus dem dichten Buschwerk, durch das er sich ein paar hundert Meter weit in den Wald hinein gearbeitet hatte. Immer in Rufweite seines Pferdes.

Die drei hatten es nicht eilig. Und ihre resignierenden Handbewegungen waren eindeutig: Sie hatten seine Spur verloren.

Sheridan hatte sich zunächst vom Bach entfernt. Und war dann in einem großen Bogen zum Wasserlauf zurückgekehrt. Im weitausladenden Geäst einer Sumpfeiche war er über das Bachbett geklettert.

Der Anführer der Sioux gab das Zeichen zum Aufbruch. Sie sammelten sich bei den Pferden und schwangen sich hinauf.

"Na also." Sheridan atmete zweimal tief durch.

Schon vor zwei Tagen, mitten im Grasland, hatte er ihre Fährten entdeckt. Sie verfolgten eine Bisonherde. Und gestern, in der gleißenden Mittagssonne, bewegten sich plötzlich die Silhouetten einer Reitergruppe am Horizont.

Sheridan hatte keine Ahnung, was die Sioux veranlasst haben könnte, ihre Jägertruppe um zwölf Mann zu schwächen. Um einen einzigen Weißen zu fangen! Irgendwas musste sie gewaltig auf die Palme gebracht haben.

Er wusste nur, dass am Creek, nördlich von Denver, eine Kavallerie-Kompanie unterwegs war. Eine Strafexpedition.

Das hatte er in Fort Dodge gehört. Vor zwei Wochen, als er dort Tabak, Decken, Munition und Proviant für seinen langen Ritt durch die Prärie eingekauft hatte.

Sheridan beobachtete die Reiter, bis sie den Saum des Waldes verlassen hatten und nur noch dunkle Punkte in der weiten Graslandschaft waren.

Wahrscheinlich hatten die Blauröcke wieder ein Lager der Sioux zusammengeschossen. Und die Indianer griffen sich im Gegenzug jeden Weißen, der ihre Wege kreuzte.

Blut ruft nach Blut, dachte Sheridan, und wer abgedrückt hat, sollte in Deckung gehen. Das war nun mal der Lauf der Dinge in dieser Welt. Und Sheridan kannte sich aus mit dem Lauf der Dinge...

Die Dornen der Akazie stachen ihn in die Nackenhaut als er rückwärts von der Felsnase rutschte. Er kletterte durch das schroffe Gestein ins Unterholz hinab. Zwischen Ginster und Farn klopfte er sich den Staub vom Hemd und schüttelte Laub und Kletten aus seinen langen roten Haaren.

Er huschte zwischen den Eichen und Kiefernstämmen hindurch. Sein Pferd begrüßte ihn schnaubend.

"Wir sind wieder unter uns, altes Mädchen." Er schob die Winchester in das Sattelholster und tätschelte den Hals der rotbraunen Stute. "Die Gentlemen haben aufgegeben. Kümmern sich lieber wieder um ihre Wintervorräte."

Sheridan hockte sich ins Moos und zog einen kleinen Tabaksbeutel aus dem Hemd. Er trug ihn an einem Lederband um den Hals. "Ganz schön kühl für die Jahreszeit, was?" Er drehte sich eine Zigarette. Das Streichholz riss er an den rauen Beschlägen seiner Stiefelspitzen an. Der Zigarettenrauch stieg in das Laubdach des Waldes.

"Aber warte nur ab, Queen - der Sommer ist vorbei, und je tiefer wir die Rockys hinaufsteigen, desto kälter wird es. Lausig kalt, glaub mir."

"Queen" - so nannte er das Pferd. Eigentlich hieß es "Queen Dublin". Sheridans Eltern stammten von dort. Sie waren vor fast vierzig Jahren mit einem Segler voller irischer Einwanderer in Baltimore gelandet. Da gab's ihn noch nicht, genauso wenig wie seine drei Schwestern.

Heute gab es seine Eltern nicht mehr. Und seine Schwestern gab es auch nicht mehr. Er allein war übriggeblieben - Joseph Boone Sheridan...

Er spähte nach oben. Milchiges Blau des Abendhimmels zwischen den Baumkronen. Als er vor zwei Stunden in den Wald eingedrungen war, standen die Sonnenstrahlen noch wie flimmernde Balken zwischen den Stämmen. Inzwischen hatte sich der Schatten des Gebirges auf den Hang gelegt. In zwei Stunden würde es dunkel sein. Vielleicht schon früher.

"Die Rothäute haben unseren Zeitplan über den Haufen geworfen." Sheridan drückte seine Zigarette im Waldboden aus. "Das Dach über dem Kopf können wir uns für heute Nacht abschminken. Wir schaffen es nicht mehr bis zu Kanes Hütte."

Sein Zeitplan war schon seit Tagen keinen Pfifferling mehr wert. Er wollte vor Wintereinbruch die Rockys hinter sich lassen und Sacramento erreichen. Sein alter Freund Virgil Potter hatte dort einen großen Claim. Und eine geräumige Hütte. Sheridan wollte bei Potter überwintern. Wie hätte er zu diesem Zeitpunkt ahnen können, dass er Sacramento vorläufig nicht zu Gesicht bekommen würde?

Er stand auf und stieg in den Sattel. Eine Stunde noch ritt er am Bachlauf entlang hangaufwärts.

Etwa zwanzig Meilen von hier, auf dem dichtbewaldeten Hochplateau, stand die Blockhütte seines Freundes Kane Finnigan. Oder eigentlich waren es zwei Blockhütten. Das letzte Mal, als Sheridan bei ihm vorbeigeschaut hatte, zimmerte Kane gerade an einem Gebäude für die Pferde und seine Waren. Aber das war anderthalb Jahre her.

"Weißt du, von was ich träumen will?", sagte Sheridan später, als die Dunkelheit durch den Wald kroch und er sich in Mantel und Decke gehüllt auf dem Moos ausgestreckt hatte. "Von einer Frau - du hast es erraten."

Die Queen stand mindestens zehn Schritte entfernt unter einer Eiche und weidete das spärliche Gras zwischen dem oberflächlichen Wurzelgeflecht ab. Nichts an ihrer Haltung sprach dafür, dass sie Sheridans Stimme überhaupt zur Kenntnis nahm.

"Sie darf nicht nackt sein", fuhr Sheridan fort. "Ich will sogar, dass sie eine hochgeschlossene Bluse trägt, eine Bluse mit Rüschenkragen. Wie Betty - genau. Ich will von Betty aus Council Grove träumen - der süßen kleinen Farmerstochter."

Er verschränkte die Arme unter seinem Kopf und schloss die Augen. "Und wenn ich ihr die Bluse aufknöpfe, sollen mir ihre Brüste entgegenspringen wie zwei neugeborene Ferkel. Und wenn ich ihr unter ihren langen Rock fasse und die Strumpfbänder löse, will ich schon die Nässe zwischen ihren Schenkeln fühlen. Genau davon will ich träumen..."

Die Queen stieß ein kurzes Gewieher aus und bleckte die Zähne. Als würde sie lachen.

"Weißt du was?", grinste Sheridan. "Du bist der unanständigste Gaul, der mir je begegnet ist..." Er zog sich die Decke über die Ohren. Keine zwei Minuten später rasselte sein Schnarchen durch das Unterholz.

Er träumte von einer Frau. Aber nicht von Betty aus Council Grove...


*


... er vergrub sein heißes Gesicht in ihrem Dekolleté. Eine Duftwolke aus Whisky und schwerem Parfüm umgab ihren festen, schlanken Körper. Sheridan saugte den Geruch in sich hinein. Seine gierigen Finger nestelten an der Verschnürung ihres Kleides herum. Der verdammte Knoten wollte sich nicht ums Verrecken lösen lassen.

"Ich helf dir", keuchte sie. Ihre Hände schoben sich unter seinen Oberkörper und entwirrten die Verknotung - ihre drallen Brüste quollen ihm entgegen. Mit beiden Händen griff er nach der weißen, samthäutigen Pracht, presste sie zusammen, saugte an einer der vorspringenden Warzen.

Sie kicherte, griff nach seiner Rechten und schob sie über ihre Taille und Hüfte hinunter bis zu ihrem Oberschenkel. Sheridan ertastete Haut zwischen Netzstrumpf und Hüfthalter; er erwischte das Strumpfband und knurrte, weil er das Ding nicht gleich lösen konnte.

Wieder kicherte sie und stieß ihm herausfordernd das Becken entgegen. Zorn mischte sich in seine Erregung - sie machte sich über seine Unerfahrenheit lustig. Er war doch erst siebzehn...

Er robbte nach unten, schob ihr Kleid hoch und hatte freie Sicht auf Rüschenhöschen, Hüfthalter und Netzstrümpfe. Ein paar Griffe, und die ganze Verkleidung rutschte herunter - er zog ihr Höschen, Hüfthalter und Strümpfe auf einmal über die Füße. Sie strampelte und kicherte. Er packte ihre Beine, spreizte sie auseinander und bohrte seine Zunge zwischen ihre Scham. Sie quietschte vor Vergnügen...

Und dann lag er zwischen ihren Schenkeln - die Mischung aus Gier nach ihrem Körper und Zorn auf ihren Spott steigerten sich zur Raserei. Er schälte sie so schnell aus ihrem Kleid, als hätte er das tausendmal zuvor getan. Ihr Kichern ging in wohliges Knurren über.

Er kniete in ihren gespreizten Beinen auf dem Bett, fasste ihre Hüften und zog ihren Unterleib auf seine Schenkel.

Sie presste die Handfläche auf ihren Mund, als er in sie eindrang und das Paradies sich öffnete. Wie von Sinnen tobten sie auf dem Bett herum...

Ein Schrei mischte sich in ihr Stöhnen. Der Schrei einer sich überschlagenden Frauenstimme. Von draußen kam er. Vom Flur vor der Zimmertür.

"Feuer!" Immer nur dieses eine Wort. "Feuer! Feuer! Feuer!"

Sie fuhren hoch. Hastig stiegen sie in ihre Kleider. Sheridan rannte zur Tür. Dichter Rauch quoll ihm entgegen, als er sie aufriss. Kein Durchkommen!

"Mom!", schrie er. "Dad!" Er hustete, seine Augen tränten.

Die Frau zog ihn zurück ins Zimmer und schlug die Tür zu.

"Durchs Fenster!", keuchte sie.

Sie schoben sich nacheinander durch die Öffnung. Zuerst Sheridan, dann die Frau. Er hielt sie am Arm fest, während sie auf den Knien über das Vordach des Hotels rutschten.

Unter ihnen, auf der Straße und im Eingangsbereich des Hotels, schrien Menschen. Schüsse fielen. Pferde wieherten.

An der Säule des Vordaches ließen sie sich herunter.

"Deckung!", schrie eine Männerstimme auf der anderen Straßenseite. Sheridan sah einen Mann aufgeregt winken, erkannte undeutlich den Stern auf seiner Lederweste - der Sheriff. Er zielte mit einem Gewehr auf den Eingangsbereich des Hotels.

Sheridan begriff nur, dass er und die Frau zwischen die Fronten geraten waren. Zwischen welche auch immer. Er stieß sie in den Straßenstaub und warf sich über sie. Sie lagen zwischen der Vortreppe und den unruhig tänzelnden Pferden.

Stiefel trampelten aus dem Eingangsbereich des Hotels. Wieder Schüsse. Männer rannten an ihnen vorbei, schossen aus Revolvern auf die andere Straßenseite, schwangen sich auf die scheuenden Pferde.

Sheridan blickte auf - und sah einen großen Mann auf den Apfelschimmel neben sich steigen. Ganz in Dunkelbraun gekleidet, Satteltaschen über der Schulter, ein schmutzig-weißes Tuch vor Mund und Nase.

Ihre Blicke begegneten sich – kalte wässrigblaue Augen bohrten sich in Sheridans Gesicht. Augen, die von dieser Stunde an durch Sheridans Alpträume geistern würden.

Der Apfelschimmel bäumte sich auf. Der Mann riss an den Zügeln, sein Tuch rutschte hoch, und Sheridan sah die blasse Narbe in der sonnenverbrannten Haut seines Halses. Sie zog sich vom linken Ohr fast bis zum Adamsapfel des Mannes hinunter. Auch sie würde Sheridan nie mehr vergessen.

Der Mann richtete seinen langläufigen Revolver auf den Jungen und drückte ab.

Sheridan barg den Kopf in seinen Armen. Heiß bohrte sich der Schmerz in seinen Rücken...


*


... er schrie. Etwas Feuchtes strich über sein Gesicht. Er riss die Augen auf – und erkannte im Mondlicht die Konturen seines Pferdes. Queens Nüstern stupsten an seine Wange.

Sheridan wühlte sich aus Mantel und Decke. "Ist gut, altes Mädchen, schon gut..." Er stand auf und drehte sich eine Zigarette.

Rauchend lehnte er später gegen den Eichenstamm und starrte in den Vollmond. Noch immer stand das brennende Hotel vor seinem inneren Auge. Und dieses halbverhüllte Gesicht - die kalten, wässrigen Augen über dem schmutzigen Tuch, die verwachsene Narbe am Hals. So deutlich, als wäre es gestern gewesen.

Derselbe gottverdammte Traum - seit mehr als zwölf Jahren...

Hatte er den Namen der Frau vergessen? Oder waren sie damals gar nicht dazu gekommen, sich vorzustellen?

Sheridan wusste es nicht mehr. Er konnte sich nur noch erinnern, dass alles sehr schnell gegangen war.

Schon als er mit seinen Schwestern und seinen Eltern die Treppe vom Zimmertrakt in die Hotelbar hinuntergestiegen war, war ihm die Frau aufgefallen: Ihr blondes Haar offen auf ihren nackten Schultern wie ein glänzender Umhang, ihr großer dunkelrot geschminkter Mund, der spöttische Ausdruck in ihren grünen Augen, die zusammengepressten weißen Wölbungen im eng geschnürten Dekolleté ihres hellblauen Kleides...

Sie saß an der Bar und nippte an einem Glas. Der Mann neben ihr - ein feister Glatzkopf im großkarierten Dreiteiler - schien sie nicht zu interessieren.

Blicke flogen hin und her - anfangs verstohlen, fast scheu, und dann immer offener, herausfordernder. Besonders von ihrer Seite.

Sheridans Dad wählte einen runden Tisch in der Mitte der Hotelbar aus. Er bestellte Steaks, Bohnen und Bratkartoffeln. Sheridan konnte sich an jede Einzelheit erinnern. An das grüne Kleid seiner Mutter genauso wie an den Geruch der Zigarren, die sein Vater an jenem Abend rauchte.

Und drüben an der Theke diese Frau - immer wieder trafen sich ihre Blicke.

Sheridans Verstand sackte in seine Hoden ab. Er konnte kaum still sitzen. Die Blicke der Frau jagten sein Blut auf den Siedepunkt. Und sein Schwanz stand hart und pulsierend in der engen Hose.

Der Abend zog sich hin. Die Frau im hellblauen Kleid ging auf ihr Zimmer, kehrte zurück, und ihr Blick war eindeutig: Ich will dich.

Sheridan schwankte zwischen Euphorie und Beklemmung. Er hatte damals, mit siebzehn Jahren, noch nicht allzuviel Erfahrung. Okay - da waren ein paar wilde Mädchen auf der Überfahrt von Dublin nach Baltimore gewesen. Und die Tochter des Juden, der ihnen die kleine Wohnung im Hafenviertel vermietet hatte. Und da war Betty, die Farmerstochter aus Council Grove, seine erste große Liebe...

Seine Eltern und die drei Schwestern gingen irgendwann hoch auf ihre Zimmer. Zu diesem Zeitpunkt glaubten sie noch, ein anstrengender Tag würde ihnen bevorstehen.

Auf der Reise von Baltimore nach Kalifornien waren sie damals in Denver abgestiegen. In diesem Hotel, diesem gottverdammten Hotel! Am folgenden Tag sollte es mit der Postkutsche über die Rockys gehen.

Als wäre es gestern gewesen, sah Sheridan die Frau in Blau von ihrem Barhocker rutschen, zur Treppe gehen, ihr Kleid hochraffen und auf der ersten Stufe stehen bleiben.

Als wäre es gestern gewesen, sah er, wie sie sich umdrehte. Komm, sagte ihr Blick.

Seine Knie waren wie aus Teig, als er die Treppe hinauf hastete. Sie stand an der offenen Tür ihres Zimmers.

Merkwürdigerweise konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie sie in ihr Bett gekommen waren. Jedenfalls lag er irgendwann zwischen ihren Schenkeln...

Wie oft hatte er sich gewünscht, nach der ersten Hälfte des Traums aufzuwachen. Mit dem Geruch dieser Frau in der Nase, mit ihrem himmlischen Körper in seiner Erinnerung. Keine Chance. Jedesmal funkte dieser Schrei dazwischen - "Feuer!". Und statt aufzuwachen, durchlebte Sheridan das Inferno aufs Neue.

So war das nun mal. Hölle und Paradies schienen Nachbarn zu sein. Eine Erfahrung, die Sheridan auch in den folgenden Jahren machen musste.

Er stand auf und kramte ein Stück Papier aus der Satteltasche. Im Schein eines Streichholzes entfaltete er es. Ein Steckbrief. Das Gesicht des Mannes, von dem er eben geträumt hatte. Sogar die Narbe konnte man erkennen.

Alister Grant. Fünftausend Dollar hatten sie damals auf seinen Kopf ausgesetzt.

Schon nach zwei Wochen hatte ihn ein US-Marshal geschnappt. Doch vor Gericht traten dann Zeugen auf, die ihm ein Alibi verschafften. Und andere Zeugen, die einen anderen Mann beschuldigten, mit seiner Bande den Hoteltresor ausgeplündert und das Feuer gelegt zu haben. Der Mann hatte noch unter dem Galgen seine Unschuld beteuert.

Sheridan konnte damals nicht vor Gericht aussagen. Er lag in einem Denver Lazarett und rang mit dem Tod. Wundbrand. Die Kugel hatte seine Lunge durchbohrt. Noch heute steckte sie zwischen seinen Rippen.

Nicht einmal an der Beerdigung seiner Eltern und seiner Schwestern konnte er teilnehmen.

Zärtlich strich er der Queen über die Nüstern. "Schlaf noch ein bisschen, altes Mädchen. Ich werd's auch noch mal versuchen."

Er streckte sich auf seinem Lager aus. Doch er fand keinen Schlaf mehr. Irgendwann schrie ein Eichelhäher. Der Himmel zwischen den Baumwipfeln verfärbte sich rötlich. Sheridan packte seine Sachen zusammen, sattelte sein Pferd und brach auf.


*


Im Osten löste sich der rotglühende Sonnenball vom Horizont. Eine leichte Brise spielte mit den Spitzen des brusthohen Präriegrases. Das Schnauben der Pferde drang in Mahones schläfriges Bewusstsein.

Er öffnete die Augen und blinzelte in den noch von der Nacht angegrauten Himmel. "Aufwachen! Los, ihr Schlafmützen - raus aus den Decken!" Die Stimme des Scouts. Jeden Morgen, seit vier Wochen. So vertraut wie das Krähen des Hahnes auf dem Misthaufen vor Mahones kleiner Hütte am Sacramento River. "Die Fahrt geht weiter! In einer halben Stunde brechen wir auf!"

Mahone setzte sich auf und streckte sich. Und dann, wie jeden Morgen, griff seine Rechte in die flache Rindsledertasche am Kopfende seines Lagers. Sein Kopfkissen. Ein ungemein beruhigendes Kopfkissen. Seine Hand tastete nach den prallgefüllten Leinensäckchen im Inneren der Tasche.

Er bewegte die Lippen, während er sie zählte. Eins, zwei, drei, vier... Sieben Säckchen insgesamt. Jedes einzelne randvoll mit Nuggets. Mahones rundes, stoppelbärtiges Gesicht verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen. "Alle noch da? Wunderbar! Guten Morgen, meine Freunde!"

Sieben Säckchen voller Gold. Die Ausbeute von zwei Jahren harter Arbeit.

Mahone rappelte sich auf und hielt nach den anderen Ausschau. Im niedergetretenen Gras zwischen den Wagen sah er den Scout. Der hochgewachsene Mann ging von Schlafplatz zu Schlafplatz und weckte die Männer, die wie Mahone im Freien geschlafen hatten. Acht insgesamt. Die drei Frauen hatten es vorgezogen, unter den Planen der Wagen zu übernachten.

Wie jede Nacht, seit sie das Grasland durchquerten, hatten sie die sechs Wagen zu einem kleinen Rechteck zusammengestellt. Eine Wagenburg. Im Notfall die beste Verteidigungsformation. Doch bis jetzt hatte sich noch kein einziger Prärieindianer in der Nähe des Trecks gezeigt. Mahone hoffte für sich und seine Nuggets, dass es so bleiben würde.

Er rollte seine Decken zusammen, warf sich seine Tasche über die Schultern und schaukelte zu dem Wagen, an den er seinen Fuchs gebunden hatte. Morgengrüße gingen hin und her.

Mahone war nicht besonders groß. Pechschwarzes Haar stand auf seinem breiten Schädel nach allen Seiten ab. Ein ebenso schwarzer Vollbart wucherte von seiner unteren Gesichtshälfte bis auf seine Brust hinab.

Man sah ihm nicht an, dass er einmal ziemlich fett gewesen war. Das war noch gar nicht so lange her; ein oder zwei Jahre. Die Knochenarbeit in seinem Claim hatte ihn im Lauf der Zeit um gut vierzig Pfund erleichtert.

Nicht mehr lange, und seine jetzt viel zu weiten Hosen würden ihm wieder passen. Er würde leben wie die Made im Speck. Als Besitzer einer Viehzucht. Als Gebieter über zwei Dutzend Cowboys oder mehr. Die sieben Säckchen voller Nuggets würden ihm die Pforten zu einem Leben im Überfluss aufstoßen.

Davon träumte Mahone. Mit diesem Traum war er an den Sacramento River gezogen, um Gold zu schürfen. Mit diesem Traum und sieben Beuteln Nuggets ritt er nach Texas. Und nur noch ein paar Monate, und sein Traum würde wahr werden. Davon war Mahone überzeugt.

"Gut geschlafen, Mary?" Zärtlich tätschelte er den Hals seines Pferdes. Es stieß ein leises Wiehern aus und drückte seine Nüstern gegen Mahones Wange. Er hängte ihm den Hafersack um und gab ihm Wasser.

Ein Blondschopf tauchte aus dem Inneren des Wagens auf. "Morgen, Eddy!" Ein Frauengesicht strahlte ihn an. Stupsnase, volle Lippen, hochstehende Wangenknochen, blaue Augen. Rachel, die Tochter von Lesley McCall, seinem Partner.

Ein Stich zuckte ihm durch die Brust. Er war verrückt nach Rachel. So eine kleine süße Frau auf seiner Traumfarm in Texas - der Himmel auf Erden...

"Gut geschlafen, Rachel?"

"Klar doch." Sie schien den bitteren Unterton in seiner Stimme nicht zu bemerken. Das Mädchen war ganz heiß auf diesen Lorenzo, den Scout.

Vor ein paar Tagen hatte er die beide beobachtet. Zwei Steinwürfe von der Wagenburg entfernt. In der Deckung des hohen Grases hatten sie sich unbeobachtet gefühlt. Mahone hatte sie auch nicht beobachtet. Aber er hatte sie gehört. Ihr Stöhnen und sein Keuchen. Der Teufel sollte ihn holen, wenn ein Mann und eine Frau während des Morgengebets solche Geräusche von sich gaben...

"Ich binde Mary hinten an den Wagen", sagte Mahone. "Ich fahr' heut' bei euch mit."

Rachel nickte und strahlte.

Er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sein Gold würde sie überzeugen, zwanzig Jahre jünger oder nicht. Sie richtete sich auf dem Bock auf und hielt Ausschau nach dem Scout.

Scheißkerl, dachte Mahone. Lorenzo war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Er mochte sie nicht, diese windigen Typen mit den von Patronen gespickten Gurten, den gezwirbelten Schnurrbärten, und den arroganten Harte-Männer-Visagen. Aber klar - ein Mädchen wie Rachel stand auf solche Revolverhelden. Scheißkerl...

Eine halbe Stunde später waren die Pferde angespannt, und der kleine Treck setzte sich in Bewegung.

Die meisten der Männer kamen von der Westküste. Aus den Schürfgebieten an den Hängen der Rocky Mountains. Alles Glückspilze, denen das gelbe Metall in den Schoß gefallen war.

Sie hatten unterschiedliche Ziele - Texas, Kentucky, die Ostküste. Aber eines hatten alle gemeinsam: Mit ihrem Gold wollten sie ihre Träume erschaffen. Farmen, Viehherden, Fuhrunternehmen, Sägewerke, Lebensmittelgeschäfte, und so weiter, und so weiter.

Die Mittagssonne brannte heiß vom Himmel herab, als der Scout von Wagen zu Wagen ritt. Er machte ein besorgtes Gesicht.

"Treibt die Pferde an!", rief er. Mahone saß auf dem Bock neben Rachel und McCall. "Indianer sind in der Nähe. Ich hab' Spuren unbeschlagener Pferde entdeckt!"

Lorenzo deutete auf Mahone. "Steig auf dein Pferd um und verstärke die Nachhut!" Er spornte seinen Rappen an und ritt zum nächsten Wagen.

"Brrr!" McCall hielt die Pferde an. "Los, Eddy! Runter mit dir! Halt uns den Rücken frei!"

Mahone sprang vom Wagen und band sein Pferd los. Zehn Männer, sechs Gewehre, zehn Revolver. Ein bisschen dürftig unterm Strich. Wenn eine große Indianerhorde mit Schusswaffen auftauchte, konnte es eng werden.

Ein mulmiges Gefühl beschlich Mahone, während er sich hinter den letzten Wagen zurückfallen ließ. Seine Augen wanderten unruhig über die grasbedeckten Hügel. Zwei Männer, die mit ihm die Nachhut bilden sollten, ritten auf Rufweite heran.

"Sollen sie nur kommen, die Rothäute!", rief einer von ihnen. "Wir werden sie mit Blei spicken, was, Eddy?!"

"Klar doch!" Mahones Stimme klang belegt. "Löchern werden wir sie!" Er tastete nach der Tasche mit dem Gold hinter sich auf dem Sattel...


*


Vier Gebäude standen auf Kanes Rodung. Zur Wohnhütte und dem Pferdestall waren in den letzten anderthalb Jahren ein Lagerhaus und eine zweite Wohnhütte hinzugekommen. Kane hatte die Rodung nach allen Seiten um gut hundert Schritte in den Wald hineingetrieben. Und mit einer Palisade aus mehr als mannshohen Birkenstämmen eingezäunt.

"Willst du ein Fort bauen?", staunte Sheridan.

"Was denkst du?" Kane klopfte ihm auf die Schulter. "Hier entsteht Fort Finnigan - wart's ab, Jo."

Kane Finnigan war einen halben Kopf größer als Sheridan. Und drei Jahre älter. Silberne Fäden durchzogen seinen struppigen Vollbart und sein schwarzes, vor Fett glänzendes Haar. Zu einem dicken Zopf zusammengebunden, baumelte es ihm zwischen den Schulterblättern. Er trug Hirschlederhosen, ein blaues Leinenhemd und eine Biberfellweste. An seiner Hüfte glänzte der silberbeschlagene Griff eines Revolvers. Ein nagelneuer Remington, registrierte Sheridan.

"Komm, Jo." Kane legte seinen Arm um Sheridans Schulter. "Wir müssen unser Wiedersehen begießen."

Sie gingen auf die alte Blockhütte zu. Sheridan sah eine Menge Leute auf dem Gelände. Einige Männer striegelten ihre Pferde vor der Stallung, drei andere beluden ihre Maultiere.

Vier Indianer saßen vor dem Lagerhaus, reparierten Biberfallen und putzten Gewehre. Crows.

Vor einem ausgehöhlten Holzklotz standen zwei Indianerinnen und stampften Mais. Auffallend schöne Frauen - Cheyenne. Eine war eindeutig schwanger.

Ein junges Mädchen kniete vor einem Webstuhl und beschäftigte sich mit einer bunten Decke. Langes blauschwarzes Haar floss über ihren geraden Rücken. Ebenfalls eine Cheyenne.

Sie wandte den Kopf, als die Männer hinter ihr vorbeigingen. Sheridan blickte in ein paar dunkle Augen. Einen Moment nur. Aber lang genug, um die lodernde Leidenschaft in den großen Augen zu sehen. Eine heiße Woge schoss ihm aus dem Bauch in die Brust bis unter seine Zunge.

"Tja, mein Freund - die einsamen Jahre sind vorbei." Kane zog die schwere Tür seiner Blockhütte auf. "Bei mir geht es zu wie im Taubenschlag." Er schob Sheridan an einen langen Tisch aus grobgezimmertem Kiefernholz. "Da zieht man sich in die Wildnis zurück, weil man die Schnauze voll hat von dem Gewimmel seiner Artgenossen, und plötzlich ist man bekannt wie ein bunter Hund. Aus allen Himmelsrichtungen kommen sie bei mir vorbei."

Er knallte zwei Gläser und eine Flasche irischen Whisky auf den Tisch. "Hab' ich von einem Goldsucher aus Sacramento. Extra für unser Wiedersehen aufgehoben." Sie tranken, und sie erzählten. In anderthalb Jahren kann eine Menge passieren. Sie hatten viel zu bereden.

Kane Finnigan hatte versucht, in Oregon sesshaft zu werden. Mit Farm und Ackerland. Zwei, drei Jahre war das gutgegangen. Viel zu lange für einen Abenteurer wie ihn. Er hatte die Farm in Dollars verwandelt und sich in den Sattel geschwungen.

Ein paar Jahre lang hatte er sein Geld als Scout verdient und Siedlertrecks durch die Prärie und über die Rocky Mountains nach Oregon geführt. Ähnlich wie Sheridan.

Einen dieser Trecks hatten sie gemeinsam über die Rockys geführt. Dreihundert Menschen auf über fünfzig Wagen. Sie mussten kämpfen wie niemals zuvor. Gegen Indianer, Wölfe und Bären. Von den unwegsamen Auf- und Abstiegen und den plötzlichen Wetterstürzen ganz zu schweigen.

Natur, Schicksal, die Götter der Indianer - alles schien sich damals gegen die beiden Scouts und die Siedler verschworen zu haben. Es war der gefährlichste Treck, den Sheridan je geführt hatte. Und es war der Treck, an den er sich am liebsten erinnerte. Er hatte ihm einen Freund beschert: Kane Finnigan.

Irgendwann hatte Finnigan sich hierher in den Wald verkrochen. Fünf Jahre lang fast mutterseelenallein, nur mit ein paar Indianerstämmen in Kontakt. Und mit vereinzelten Fallenstellern, die sich hin und wieder zu seiner Hütte verliefen.

Aus den sporadischen Indianerkontakten entwickelten sich rege Geschäftsbeziehungen, sogar Freundschaften. Und die Trapper kamen bald nicht mehr zufällig vorbei. Mit den Jahren machten auch die Goldsucher immer häufiger bei ihm Station, um sich für die Weiterreise auszurüsten. Viele vom Goldrausch vernebelten Wirrköpfe Richtung Westen und wenige von der harten Arbeit in ihren Claims erschöpfte, aber zufriedene Männer mit den Beuteln voller Nuggets.

Plötzlich lag Kanes Hütte an einem Verbindungspfad zwischen der Westküste und den Great Plains. Und wurde eine Mischung aus Herberge, Drugstore und Markplatz.

Kanes Lagerhaus war vollgestopft mit so ziemlich allem, was man auf den langen Ritten brauchte: Lebensmittel, Felle, Kleider, Waffen und Munition. Und Whisky. Sogar mit Pferden handelte er in letzter Zeit.

Sheridan erfuhr, dass die Menschen schon aus Santa Fe kamen, um mit ihm Geschäfte zu machen. Und er erfuhr, dass sein alter Freund Vater werden würde. Die beiden Indianerinnen draußen vor der Hütte waren seine Frauen.

"Und das Mädchen?", fragte Sheridan vorsichtig. Ihre Augen hatten sich in seine Hirnwindungen eingebrannt.

Kane grinste. Man konnte ihm nichts vormachen. "Bluefeather? Die kleine Schwester meiner Frau." Mehr sagte er nicht. Jedenfalls nicht mit Worten. Schmunzelnd musterte er Sheridan. Und goss die Gläser zum dritten Mal voll. Sheridan wich seinem Blick aus und fummelte den Tabaksbeutel aus dem Hemd.

Fast übergangslos wurde Kanes wettergegerbtes Gesicht ernst. "Du bist immer noch auf der Jagd?"

Sheridan nickte. "Hast du eine Spur?"

"Virgil hat mir eine Nachricht nach St. Louis geschickt. Ich glaube, er hat Grant aufgespürt." Sheridan zündete sich die Zigarette an. "Deswegen will ich nach Sacramento."

Kane grunzte unwillig und schüttelte den Kopf. "Seit Jahren bist du hinter diesem Kerl her. Und hast ihn noch kein einziges Mal zu Gesicht gekriegt!"

"Ich habe herausgefunden, was er die letzten fünf Jahre getrieben hat." Sheridan zog ein zerfleddertes Notizbuch aus der Brusttasche seines Hemdes. Aufgeschlagen legte er es neben Kanes Glas.

Der nahm es und las. Auf der Kopfzeile der aufgeschlagenen Seite ein Name: Alister Grant. Darunter Daten, Ortsnamen und Kartenskizzen.

Er blätterte weiter und las murmelnd. "Viehtreck nach Oklahoma City, Scout eines Siedlertrecks von Missouri nach Oregon, Postkutschenbegleitschutz der Wells Fargo..." Er schlug das Buch zu und warf es auf den Tisch. "So weit warst du vor anderthalb Jahren auch schon."

"Nicht ganz so weit. In Saint Louis traf ich einen Cowboy, der hat mit Grant in Kentucky zusammengearbeitet." Sheridan hatte einen Viehtrieb nach St. Louis begleitet. "Der erzählte mir, dass er nach Kalifornien weitergezogen ist."

Kane hielt sich an seinem Glas fest. Aufmerksam betrachtete er das Gesicht seines Freundes. Aufmerksam und skeptisch. "Hör auf damit, Jo. Zwölf Jahre! Überleg mal - du kannst nicht den Rest deines Lebens wie Gottes Racheengel durch die Prärie und die Wälder ziehen, um diesen Mörder zu finden."

Sheridan schwieg. Er spürte, dass Kane ihm etwas zu sagen hatte. Etwas, das ihn weit mehr interessierte als seine Meinung zu der ganzen dunklen Geschichte. Die hörte Sheridan an diesem Tag nicht zum ersten Mal.

Kane hatte sich in Rage geredet. "Auf diese Weise tust du exakt das, was dem Schweinehund vor zwölf Jahren nicht gelungen ist - du bringst auch noch den letzten Sheridan um. Dich selbst!"

Mit einem Zug trank er sein Glas aus und knallte es auf den Tisch. "Lass dich irgendwo nieder, Jo. Überall gibt es Land in Hülle und Fülle. Oder steig bei mir ein. Heirate und gründe eine Familie!"

"Das werd' ich tun, Kane." Sheridan blies den Rauch gegen die schwarzen Deckenbalken. "Sobald ich Alister Grant erschossen habe..."

Kane schüttelte den Kopf. Er goss sich Whisky nach. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Sheridan sah Kanes Kiefermuskulatur arbeiten. Der bärtige Waldschrat hatte noch eine Katze im Sack.

Irgendwann räusperte Kane sich. "Okay, Jo. Ich war hin- und hergerissen, ob ich's dir sagen soll. Versteh mich nicht falsch, es ist nur... ich mach' mir Sorgen... der Mann ist gefährlich, und wenn er dich abknallt, werd' ich keine ruhige Minute mehr haben... man hat nicht viele Freunde..."

"Komm zur Sache, Mountainman!" Sheridan saß jetzt kerzengerade auf seinem Stuhl.

"Vor ein paar Tagen sind zwei Männer aus Texas hier vorbeigezogen. Sie kamen aus Archer City. Und sie erwähnten den Namen des Sheriffs in diesem Nest..."

Der Aschenkegel von Sheridans Kippe war schon länger als die restliche Zigarette. Reglos saß er auf der Stuhlkante. Aus schmalen Augen belauerte er seinen Freund.

"... er heißt angeblich Alister Grant..."


*


Die Männer ritten langsam um den fast rechteckigen Flecken niedergetretenen Grases. Achtzehn Reiter in hellen oder dunkelblauen Leinenhemden. Einige trugen dunkle Westen, einige Hosenträger, alle hatten flache Stetsonhüte auf den Köpfen. Es waren Cowboys, kein Zweifel.

Sie waren mit Revolvern und Gewehren bewaffnet. Fast ausschließlich siebenschüssige Spencergewehre, Kaliber 50.

Einer der Männer, er ritt einen auffallend schönen Schimmel, winkte die anderen zu sich. Nach und nach sammelten sich die Reiter um ihren Anführer.

"Das war ihr Nachtlager", sagte der Mann. "Sechs Wagen, schätzungsweise zwölf bis fünfzehn Pferde." Langes fettiges Schwarzhaar hing ihm aus dem Hut bis auf die Schulter herab. Der sorgfältig gezwirbelte Oberlippenbart und die dunkle Haut erinnerten an einen Mexikaner.

Ein riesiger Bursche in fransengesäumten Biberlederhosen rutschte von seinem Pferd.

"Dann hat Lorenzo also Wort gehalten", sagte er. "Hätte schwören können, dass dieser Fuchs uns ans Bein pinkeln wird." Ächzend zwang er seine Fettmassen in die Hocke und betastete einen Pferdeapfel. "Acht Stunden alt, schätze ich. Vielleicht auch zehn."

Er blickte hoch zu dem Mann auf dem Schimmel. "Was meinst du, Enrico - bis zur übernächsten Nacht sollten wir sie kriegen, oder?"

Der Angesprochene äugte nach der schon ziemlich weit im Westen stehenden Sonne. "Wir kriegen sie früher, Dan. Es dauert noch gut vier Stunden, bis es dunkel wird. Solange geben wir den Pferden die Sporen."

Er wies ins Gras, wo die Wagenspuren deutlich zu erkennen waren. "Wir brauchen ja nur ihrer Fährte folgen. Morgen Mittag haben wir sie."

Der Riese wuchtete seine gut zweihundertvierzig Pfund wieder in den Sattel. "Dein Wort in Gottes Ohr, Enrico." Aus kleinen Schweinsaugen musterte er die Männer um sich herum. "Also Leute, wir holen aus den Pferden heraus, was möglich ist. Bis die Nacht kommt. Denkt an das Gold - dann reitet ihr doppelt so schnell wie sonst..."


*


Die Nacht fiel auf den Wald hinter den Palisaden. Kanes Frauen zündeten Öllampen an. Es wurde voll in seiner Hütte. Ein kleiner drahtiger Bursche gab Whisky aus. Sheridan wusste von seinem Freund, dass der Mann mit Taschen voller Nuggets aus Kalifornien gekommen war.

Die Crows soffen am meisten. Irgendwann räumte Kane seinen Tisch an die Wand und packte seine Quetschkommode aus. Einer der Scouts hatte eine Klampfe dabei. Selbst Sheridan, der seit dem Gespräch mit Kane nur noch an Grant denken konnte, schwang ausgelassen das Tanzbein.

Bluefeather saß neben dem Kamin und beobachtete ihn. Ständig begegneten sich ihre Blicke.

Kurz vor Mitternacht konnte kaum noch jemand gerade stehen. Geschweige denn hinüber zu seinem Schlafplatz in die zweite Wohnhütte laufen. Ausgestreckt auf Bänken, unter oder auf dem Tisch zusammengerollt schliefen alle in Kanes Hütte. Vielstimmiges Schnarchen erfüllte den großen Raum.

Sheridan lag in seine Decke eingerollt auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Er fühlte sich stocknüchtern, obwohl er gewaltig dem Whisky zugesprochen hatte. Er sehnte den Morgen herbei. Es war klar, dass er umkehren würde. Archer City - ein anderes Ziel kam jetzt nicht mehr in Frage.

Aber die fiebrige Erregung, in die Kanes Neuigkeit ihn versetzt hatte, war nicht das einzige, was ihm den Schlaf raubte. Bluefeather lag nicht einmal drei Schritte von ihm entfernt unter ihr Fell gekuschelt.

Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Es war zu dunkel. Aber er wusste, dass sie nicht schlief. Sheridan hungerte nach ihr.

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738967791
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Schlagworte
sheriff archer city thomas west western edition

Autor

  • Thomas West (Autor:in)

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Titel: Der Sheriff von Archer City: Thomas West Western Edition 7