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Piratenliebe und Meeresrauschen: Zwei historische Liebesromane

von Alfred Bekker (Autor:in) W. A. Hary (Autor:in)
©2022 600 Seiten

Zusammenfassung

Piratenliebe und Meeresrauschen: Zwei historische Liebesromane

Von Alfred Bekker und W.A.Hary



Dieser Band enthält folgende Romane:



Karibische Flüche Anno 1699 (Alfred Bekker)

Fluch der Meere (Alfred Bekker/W.A.Hary)



Anno 1699…

Die Segel der PRINCESS MARY hingen schlaff in den Masten. Das Schiff dümpelte in einer fast spiegelglatten See dahin.

Es war warm.

Unerträglich warm.

Jane wedelte sich mit einem Fächer etwas Luft zu. Sie hatte sich so vieler Kleidungsstücke entledigt, dass ihr Auftreten gerade noch schicklich war. Trotzdem klebte das Kleid an ihrem Körper. So sehr sie sie sich auch bemühte, ihre Frisur konnte unter diesen Umständen einfach nicht so sitzen, wie sie sollte. Jane hatte gedacht, ihren 23. Geburtstag bereits bei ihrem Vater in Port Royal auf Jamaika verbringen zu können. Sir James Bradford war dort seit einem halben Jahr Gouverneur und führte das Regiment in dieser wichtigsten britischen Karibik-Besitzung. Nun, ein halbes Jahr später, wollte er seine Tochter nachholen. Janes Mutter war bereits vor Jahren an der Schwindsucht gestorben und Jane war zumeist von Gouvernanten und Privatlehrern erzogen worden, während ihr Vater Karriere im Dienst seiner Majestät gemacht hatte.

Wochenlang war die PRINCES MARY über den Atlantik unterwegs gewesen.

Und jetzt, da man das nahe Land beinahe riechen konnte und die Vögel manchmal bis zum Schiff heran flogen, geriet der Dreimastsegler plötzlich in diese Flaute.

So kurz vor dem Ziel!, dachte Jane.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Piratenliebe und Meeresrauschen: Zwei historische Liebesromane

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Von Alfred Bekker und W.A.Hary

Dieser Band enthält folgende Romane:

Karibische Flüche Anno 1699 (Alfred Bekker)

Fluch der Meere (Alfred Bekker/W.A.Hary)

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A.Panadero

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Karibische Flüche Anno 1699

von Alfred Bekker

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––––––––

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Anno 1699...

Die Segel der PRINCESS MARY hingen schlaff in den Masten. Das Schiff dümpelte in einer fast spiegelglatten See dahin.

Es war warm.

Unerträglich warm.

Jane wedelte sich mit einem Fächer etwas Luft zu. Sie hatte sich so vieler Kleidungsstücke entledigt, dass ihr Auftreten gerade noch schicklich war. Trotzdem klebte das Kleid an ihrem Körper. So sehr sie sie sich auch bemühte, ihre Frisur konnte unter diesen Umständen einfach nicht so sitzen, wie sie sollte. Jane hatte gedacht, ihren 23. Geburtstag bereits bei ihrem Vater in Port Royal auf Jamaika verbringen zu können. Sir James Bradford war dort seit einem halben Jahr Gouverneur und führte das Regiment in dieser wichtigsten britischen Karibik-Besitzung. Nun, ein halbes Jahr später, wollte er seine Tochter nachholen. Janes Mutter war bereits vor Jahren an der Schwindsucht gestorben und Jane war zumeist von Gouvernanten und Privatlehrern erzogen worden, während ihr Vater Karriere im Dienst seiner Majestät gemacht hatte.

Wochenlang war die PRINCES MARY über den Atlantik unterwegs gewesen.

Und jetzt, da man das nahe Land beinahe riechen konnte und die Vögel manchmal bis zum Schiff heran flogen, geriet der Dreimastsegler plötzlich in diese Flaute.

So kurz vor dem Ziel!, dachte Jane. Aber auch das musste man hinnehmen.

Sie hatte die Seekrankheit überstanden und sich an den hohen Wellengang gewöhnt und sie würde es auch schaffen, die Flaute zu überstehen, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Die enorme Hitze und der Gedanke daran, dass das ohnehin fast ungenießbare Wasser vom Captain rationiert worden war, machten die Lage fast unerträglich.

Unter den Seeleuten an Bord der PRINCESS MARY hatte sich schon seit Tagen eine bedrückende Form der Lethargie breit gemacht.

Die meisten dämmerten am Tag mehr oder weniger vor sich hin. Es gab kaum etwas zu tun, solange kein Wind blies. Und gleichzeitig war allen an Bord bewusst, dass das Land in unmittelbarer Nähe auf sie wartete. Nur hin und wieder entlud sich diese explosive Stimmung in einem plötzlichen Ausbruch von Streitigkeiten.

Captain Rutherford bemerkte Jane jetzt.

Er stand ebenfalls an der Reling und blickte nachdenklich in der ferne, der untergehenden Sonne entgegen.

Auch bei der größten Hitze war Rutherford korrekt gekleidet und öffnete nichteinmal die Knöpfe seines Hemdes – geschweige denn, dass er etwa seinen Dreispitz oder den Degen an seiner Seite auch nur einen Moment abgelegt hätte.

Er war der Captain und offensichtlich hing er der Auffassung an, dass er seiner Mannschaft in allem ein Vorbild zu sein hatte. Captain Rutherford standen die Schweißperlen auf der Stirn. Aber Jane war sich durchaus bewusst, dass das Wasser auch von ihrer eigenen Stirn nur so herab lief.

„Es tut mir leid, Miss Jane, dass Ihnen diese Verzögerung widerfährt“, sage der Captain höflich und deutete eine Verbeugung an. „Ihr Vater erwartet Sie gewiss längst in Port Royal.“

„Nun, Sie befahren diese heißen Gewässer öfter als ich, Captain“, erwiderte Jane höflich. „Sie können daher besser beurteilen, in wie fern unsere gegenwärtige Lage normal ist...“

„Normal?“ Captain Rutherford lachte heiser auf. „Mit Flauten muss man rechnen - aber in diesem Seegebiet sind sie ungewöhnlich.“ Er zuckte mit den Schultern. „Uns wird nichts anders übrig bleiben, als abzuwarten, Miss Jane.“

Außer Jane befanden sich noch ein paar andere Passagiere an Bord. Zumeist handelte es sich um Leute, die aus geschäftlichen Gründen nach Jamaica wollten oder die dort Besitzungen hatten und von einem Aufenthalt in England zurückkehrten. Allerdings konnten sich höchstens eine Handvoll der englischen Karibik-Siedler diesen Luxus leisten. Normalerweise bedeutete der Aufbruch in eine der englischen Besitzungen in der Neuen Welt einen endgültigen Abschied von der Heimat. Jane erschien die Erinnerung an das kühle, verregnete Portsmouth, von wo aus die PRINCESS MARY vor Wochen aufgebrochen war, so fern, als würde sie gar nicht wirklich zu ihrem Leben gehören.

Die Gegenwart schien alles, was zuvor gewesen war, vollkommen verdrängt zu haben.

„Achtung! Schiff in Sicht!“, rief in diesem Augenblick der Ausguck.

Captain Rutherford ließ sich ein Fernglas geben und sah zum Horizont. Jane blinzelte.

Tatsächlich! Dort tauchte ein dunkler Punkt auf, der größer wurde. Schließlich zeigten sich die Konturen eines Segelschiffes. Der Captain gab das Fernrohr zunächst an seinen Ersten Offizier weiter. „Sehen Sie sich das auch mal an, I.O.“, sagte er.

„Aye, aye, Sir.“

Überall an Bord schienen die Matrosen aus einem fast todesähnlichen Schlaf zu erwachen. Sie eilten zur Reling und starrten zu dem leicht dunstig wirkenden Horizont, wo das Licht der untergehenden Sonne auseinander zu fließen schien.

„Dieser Segler scheint Fahrt drauf zu haben“, stellte Jane fest.

„Ist das nicht ein Zeichen der Hoffnung? Wenn dort Wind ist, dann wird dieser Wind vielleicht auch bald hier blasen!“

Captain Rutherford verzog das Gesicht. „Es tut mir Leid, Miss Jane, aber Sie sollten sich besser keinen Illusionen hingeben“, sagte er, während er vom Ersten Offizier das Fernrohr zurücknahm und es Jane reichte. „Sehen Sie hier durch! Sie werden erkennen, dass die Segel schlaff von den Rahen hängen.“

„Aber...“

„Ich weiß, das Schiff scheint sich zu bewegen. Aber das ist eine Sinnestäuschung.“

„Die Araber nennen so etwas in der Wüste eine Fata Morgana“, mischte sich der Erste Offizier ein.

„Aber auf See gibt es das genauso!“, ergänzte Captain Rutherford.

Jane nahm das Fernrohr ans Auge und sah hindurch. Die Segel des Dreimasters hingen tatsächlich schlaff von den Rahen – und dennoch entstand der Eindruck, als würde der Segler durch das Meer pflügen. Es sah täuschend echt aus, aber andererseits hatte Jane keinen Anlass, dem Urteil von Captain Rutherford nicht zu trauen.

Eine Weile versuchte Jane weitere Einzelheiten zu erkennen. Zum Beispiel Seeleute, die an Deck waren. Doch sie konnte niemanden erkennen. Als ob niemand an Bord wäre! , ging es ihr durch den Kopf.

Die Nacht war so drückend warm, dass es so gut wie unmöglich war, Schlaf zu finden. Immer wieder erwachte Jane aus unruhigen Albträumen. Fratzenhafte, grauenerregende Gesichter erschienen ihr darin und erschraken sie bis ins Mark. Ihr Herz raste anschließend und sie hatte das Gefühl, nicht atmen zu können. Ihre Sinne mussten ihr einen Streich spielen. Vielleicht spiegelte sich in diesen Erstickungsträumen auch nur einfach wieder, wie stickig die Luft unter Deck war. Um der stickigen Luft zumindest zeitweilig entfliegen zu können, ging sie an Deck. Der Mond hing als großes Oval am Himmel. Wie ein übermächtiges Auge, das die PRINCESS

MARY zu beobachten schien.

Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war.

Der Captain hatte Wachen eingeteilt. Einer der Posten sprach Jane an.

Als sie antwortete und sich zu erkennen gab, sagte der Posten:

„Alles klar, bitte entschuldigen Sie.“

Der Mann war mit Muskete und Degen bewaffnet und schien seine Aufgabe nicht besonders ernst zu nehmen. Er setzte sich neben eines der Beiboote und döste vor sich hin. Der zweite Steuermann tat Dienst am Ruder – aber von einem Kurs konnte angesichts der Windverhältnisse nicht die Rede sein. Das Schiff trieb einfach dahin. Fast lautlos. Die See war vollkommen glatt, sodass sich das Mondlicht in ihr spiegelte. Jane atmete tief durch.

Hie im Freien war das immerhin wieder möglich. Aber es war nur unwesentlich kühler als am Tag und die Luft war so voller Feuchtigkeit, dass man schon nach der kleinsten Bewegung vollkommen nass geschwitzt war.

Jane blickte zum Horizont. Ihre Augen suchten wohl ganz unwillkürlich das fremde Schiff, das noch an Abend zu sehen gewesen war und das der Captain für eine Sinnestäuschung gehalten hatte. Aber es war nirgends zu sehen. Jane träumte eine Weile vor sich hin und ließ den Gedanken freien Lauf. Sie verfiel in eine Art Wachtraum, stellte sich vor, wie es wohl in Port Royal sein mochte und versuchte sich an die kühlen Winde von Portsmouth zu erinnern, die sie immer so verflucht hatte, weil man sich so leicht in ihnen erkältete. Nichts sehnte sie jetzt mehr herbei, als eine solche kühle Brise. Aber nicht einmal die Erinnerung daran wollte sich einstellen. Jane hatte keine Ahnung, wie viel Zeit auf diese Weise verstrich.

Jedenfalls war es ein Geräusch, das sie plötzlich wieder aus der Welt ihrer Gedanken herausholte. Das Geräusch klang wie ein Schiff, dessen Kiel sich durch das Meer schnitt und gute Fahrt draufhatte.

Allerdings kam es aus einer völlig anderen Richtung, als aus jener, in der das Schiff am Horizont zu sehen gewesen war!

Sie zuckte zusammen, drehte sich herum.

Erschreckend nahe an der PRINCESS MARY war die dunkle Silhouette eines Dreimasters aufgetaucht. Und es hatte tatsächlich Fahrt drauf!

Es war nicht besonders schnell, aber im Gegensatz zur PRINCESS MARY bewegte es sich.

„Schiff von Backbord!“, rief der Ausguck, der

eigenartigerweise das Schiff auch erst jetzt bemerkt hatte, obwohl er es eigentlich viel früher hätte sehen müssen. Das fremde Schiff geriet nun in den Schein des Mondes. Deutlich waren die schlaff herabhängenden Segel zu sehen. Manche waren so zerfetzt, dass sie ohnehin kaum noch Wind hätten einfangen können.

Und nirgends war jemand von der Besatzung zu sehen!

Jane musste schlucken. Sie war von einem Augenblick zum anderen hellwach.

Verzweifelt versuchte sie, weitere Einzelheiten zu erkennen. Das geisterhaft wirkende Schiff war auf einem direkten Kollisionskurs.

Jane erinnerte sich, die Galionsfigur am Vortag beim Blick durch das Fernglas bei dem Schiff am Horizont gesehen zu haben. Es musste sich also um dasselbe Schiff handeln - allerdings fragte sie sich, wie es möglich war, dass dieser Dreimeister sich einmal von Steuerbord und später von Backbord der PRINCESS MARY

näherte.

Eine Gänsehaut überzog Janes gesamten Körper – trotz der Hitze. Aber innerlich berührte ein eisiger Hauch ihre Seele und erfasste sie bis ins Mark.

Inzwischen wurde an Bord der PRINCESS MARY Alarm gegeben. Der Kollisionskurs war auch vom Ausguck und vom zweiten Steuermann bemerkt worden – nur schien es nichts zu geben, was man an Bord der PRINCESS MARY dagegen unternehmen konnte.

Schließlich bewegte sich die PRINCESS MARY so gut wie gar nicht, während der fremde Dreimaster trotz hängender Segel eine ganz ordentliche Fahrt drauf hatte.

Ein fauler Modergeruch drang jetzt von dem fremden Schiff herüber zur PRINCESS MARY. Wie der Geruch in einer uralten Totengruft! , durchfuhr es Jane.

Der Captain, die Offiziere und Matrosen waren binnen kürzester Zeit auf den Beinen. Auch sie wunderten sich darüber, von welcher geisterhaften Kraft dieses fremde Schiff wohl getrieben sein mochte.

Eins stand jedenfalls fest! Der Wind konnte es nicht sein!

Schaudernd standen sie and der Reling.

Rufe gellten durch die Nacht, um den Dreimeister zu einer Kursänderung zu bewegen, denn wenn er seine Fahrt so fortsetzte, wie bisher, würde er die PRINCESS MARY

unweigerlich rammen.

Doch auf der anderen Seite schien niemand diese Rufe zu hören.

„Können Sie dort an Deck eigentlich irgend jemanden erkennen?“, fragte der Captain.

„Die scheinen alle in den Kojen zu liegen!“, meinte der Zweite Offizier.

Der Erste Offizier empfahl einen Schuss vor den Bug, um die Besatzung des fremden Schiffes darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich auf Kollisionskurs befand.

Wenig später krachte einer der Geschütze an Bord der PRINCESS MARY los.

Die Kugel ging gute fünfzig Yards Backbord vom Bug des fremden Schiffs ins Wasser und sorgte dafür, dass das Wasser hoch aufspritzte. Dieser Einschlag verursachte die höchsten Wellen, die man an Bord der PRINCESS MARY seit Tagen gesehen hatte.

Nun endlich reagierte man auf Seiten des Dreimasters. Auch wenn sich von der Besatzung noch immer niemand blicken ließ, wurde nun eine Flagge hochgezogen. Im Mondlicht war sie deutlich zu sehen.

Ein weißer Totenschädel mit gekreuzten Knochen darunter. Die Flagge der Piraten!

*

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An Bord brach jetzt mehr oder minder Panik aus. Es wurde noch versucht, Waffen auszugeben, aber dazu war es im Grunde zu spät.

Das Schiff mit der Totenkopfflagge rammte die PRINCESS

MARY.

Das Holz barst.

Jane wurde zu Boden geschleudert. Sie rutschte über die Planken zur Steuerbordseite und kam hart gegen die Reling. Ihr Rücken schmerzte. Rufe und Schreie gellten jetzt an Bord. Der Bug des Piratenschiffs schnitt in die verwundbare Seitenfront der PRINCESS MARY ein. Balken knickten wie Streichhölzer zusammen, so viel Kraft saß hinter der Kollision. Eine Kraft, die unmöglich der Wind geliefert haben konnte!

Jane rappelte sich auf. Sie starrte auf die Galionsfigur des Piratenschiffs.

Die junge Frau spürte, wie der Untergrund zu ihren Füßen sich schief legte.

Die PRINCESS MARY bekam Schlagseite! Janes Herzschlag raste. Sie wusste, was das nur bedeuten konnte. Der Rumpf der PRINCESS MARY musste durch das

Auftreffen des Piratenseglers aufgerissen worden sein. Wasser drang ein.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann die PRINCESS MARY

zum Meeresboden hinabsinken und dort mitsamt ihrer Besatzung ein nasses Schiffsgrab finden würde...

Wie gelähmt stand Jane da. Sie hielt sich an einem der Beiboote fest.

Es noch zu Wasser zu lassen erschien angesichts der chaotischen Gesamtlage vollkommen illusorisch. Der faulige Modergeruch wurde nun übermächtig und machte allein schon das Atmen schwer.

Aber eine Lichterscheinung fesselte nun ihre ganze Aufmerksamkeit.

Durchscheinende Gestalten erschienen an Deck des Piratenschiffs.

Sie leuchteten scheinbar von innen heraus und gewannen innerhalb weniger Augenblicke an Substanz. Immer zahlreicher wurden sie.

Eine Horde wilder Piraten, die ihre Waffen schwangen und wüste Verwünschungen riefen. Die ersten dieser geisterhaften Gestalten sprangen jetzt an Bord der PRINCESS MARY und stürzten sich mit Degen und Enterhaken auf deren Besatzung. Schüsse krachten.

Jane konnte sehen, wie Captain Rutherford mit seiner Steinschlosspistole direkt auf einen der Angreifer hielt – einen hoch gewachsenen Mann mit schulterlangem Haar und Oberlippenbart, der seinen Degen in der Linken schwang, während statt der Rechten nur ein Metallhaken vorhanden war. Seinem Gebaren nach schien er der Kapitän der Piraten zu sein. Der Schuss von Captain Rutherford traf ihn mitten in die Brust. Aber er ging einfach durch ihn hindurch, ging in einer schrägen Schussbahn in die Deckplanken und riss ein faustgroßes Loch in das Holz.

Der Piratenkapitän blickte an sich herab und stieß dann einen wilden Schrei aus, mit dem er sich auf Captain Rutherford stürzte und ihm den Degen bis zum Heft in den Körper rammte. Rutherford sank röchelnd zu Boden.

Der Piratenkapitän blickte sich um.

Jane stand wie erstarrt da, als sein Blick sie traf. Er ging auf sie zu, schien sie von oben bis unten auf eine Weise zu mustern, die ihr nicht gefiel.

Er sagte etwas, aber sie vermochte seine Worte nicht zu verstehen. Sie schienen wie aus weiter Ferne zu klingen. Rings um sie herum ging das Morden weiter.

Die Piraten erschlugen jeden dem sie begegneten – auch die unbewaffneten und die Passagiere.

Einige von ihnen stiegen unter Deck, um nach wertvoller Ladung zu suchen, die sich plündern ließ. Der Kampfeslärm vermischte sich mit Schreien.

Der Piratenkapitän machte einen Schritt auf Jane zu. Aber sie wich zurück.

Todesangst erfüllte sie.

Das Schiff neigte sich mit einem durchdringenden Knarren um mehrere Grad, wodurch Jane das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte.

Der Pirat war sofort bei ihr.

Seine Schritte verursachten keinen Laut und der eigenartige Lichtflor, der ihn umgab, ließ ihn wie einen Geist erscheinen. Jane starrte ihn an, rutschte ein Stück über den Boden. Der Piratenkapitän steckte den Degen ein und trat auf sie zu. Er schien keinerlei Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht zu haben. Einen Augenblick später war er bei und griff zielsicher ihr Handgelenk. Ein eisiger Schauder durchfuhr Jane. Ausgehend vom Handgelenk durchlief er ihren ganzen Körper und ließ sie erstarren.

Es war keine gewöhnliche Kälte, sondern um so vieles durchdringender als die durchdringende Kälte, die sie aus den feuchtkalten Wintern in Portsmouth kannte.

Sie schien innerlich zu Eis zu erstarren. Ein Zittern durchlief sie.

Es ist die Kälte des Todes! , erkannte sie. Von den Worten, die der Piratenkapitän jetzt zu ihr sagte, verstand sie nur wenig.

„Komm... mit... mir...“

„Nein!“, stieß sie hervor, aber der Klang ihrer Stimme war so entsetzlich kraftlos.

Plötzlich kam Wind auf.

Sie eisig, wie sie es nie gekannt und wie es in diesen Breiten sicher nicht üblich war.

„Komm... mit... mir...“, wiederholte der Pirat. Diesmal nachdrücklicher, dafür ohne den Mund zu bewegen. Die Stimme dröhnte direkt in Janes Kopf hinein, hallte dort so laut wieder, dass es schmerzte und es unmöglich machte, irgendeinen anderen Gedanken zu fassen.

Erneut senkte sich das Schiff um ein paar Grad seitwärts. Die Schreie hatten aufgehört.

Vielleicht gab es niemanden mehr zu töten. Der Pirat hielt noch immer ihr Handgelenk, doch als Jane nun ihre Hand zurückzog, gelang ihr dies, ohne dass ein Widerstand zu spüren war. Sie kroch ein Stück über den Boden. Jede noch so kleine Bewegung machte ihr dabei Mühe, weil die unglaubliche Kälte, sie lähmte.

Der Piratenkapitän starrte seine Hand an.

Sie war durchscheinend geworden, wie der gesamte Rest seines Körpers. Auch bei den anderen Piraten war dies der Fall. Von Augenblick zu Augenblick verloren sie mehr an Substanz. Ihre Stimmen klangen so fern, dass sie kaum noch zu verstehen waren und selbst der faulige Modergeruch war längst nicht mehr so intensiv. Einer nach dem anderen stürzten sie zurück auf ihr Schiff.

Was hatte das zu bedeuten?

War die Geisterstunde dieser Widergänger vorbei?

Konnten sie nicht länger in der Welt der Lebenden verweilen?

Der Piratenkapitän bedachte Jane mit einem letzten Blick. Ein Blick, der fast wehmütig wirkte.

Jane musste schlucken.

Der Kapitän der Geisterpiraten ging als letzter von Bord der PRINCESS MARY.

Einen Augenblick noch sah Jane ihn am Bug des Schiffes. Dann begann die PRINCESS MARY zu sinken.

Das in den Rumpf eingedrungene Wasser hatte offenbar eine bestimmte kritische Menge erreicht und jetzt ging alles sehr schnell.

Die PRINCESS MARY legte sich ächzend auf die Seite. Jane hielt sich an der Reling fest.

Innerhalb von Augenblicken war von dem Schiff nichts mehr zu sehen.

Die dunklen Fluten schlossen sich über der PRINCESS

MARY, während sie zu ihrem nassen Grab auf dem Grund des Meeres sank.

*

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Jane rang mit den Armen.

Sie konnte nicht schwimmen.

Selbst unter Seeleuten war diese Fähigkeit sehr selten und von manchen konnte man sagen hören, dass es besser war, im Fall einer Havarie nicht schwimmen zu können. Man hätte dann weniger lang zu leiden.

Aber alles in Jane sträubte sich dagegen, so einfach aufzugeben. Sie schluckte Wasser, strampelte, tauchte unter und kam wieder an die Oberfläche.

Im unnatürlich hellen Mondlicht sah sie das gespenstische Piratenschiff davon segeln.

Der Name war deutlich zu lesen.

SEA GHOST.

Sie schrie in der Hoffnung, dass sie vielleicht noch jemand hörte. Besser an Bord dieses Geisterschiffs, als jämmerlich zu ertrinken. Aber es hörte sie niemand. Die SEA GHOST entfernte sich.

Wind kam auf.

Jane strampelte aus Leibeskräften, um an der Oberfläche zu bleiben. Das Wasser begann sich zu kräuseln.

Eine kleine Welle spritzte ihr ins Gesicht. Dann sah sie vor sich etwas Dunkles Auftauchen. Aber sie konnte sich nicht lang genug an der Oberfläche halten, um erkennen zu können was es war. Jane tauchte unter, schluckte Wasser, als sie zu atmen versuchte.

Sie ruderte mit den Armen, tauchte wieder empor und dann berührte ihre Hand etwas, das sich anfühlte wie glitschiges, feuchtes Holz.

Ohne nachzudenken klammerte sie sich daran mit aller Kraft fest.

Es war eine Kiste, die offenbar bei der Havarie von Deck geschleudert worden war. Der Wind wurde jetzt heftiger. Das Mondlicht verschwand hinter dunklen Wolken, die wie aus dem Nichts aufgezogen waren.

„Komm... mit... mir!“

Die Worte des Piratenkapitäns hallten ihr immer wieder durch den Kopf und ließen sie allein bei dem Gedanken daran schaudern.

Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl das Wasser herum warm war. Für das, was sie erlebt hatte, gab es keine Erklärung. Zumindest keine, die ein menschlicher Geist erfassen konnte. Es müssen Geschöpfe aus der Hölle selbst gewesen sein! , ging es ihr durch den Kopf. Auf der Suche nach Seelen, die sie ebenfalls in die Verdammnis zwingen können. Welch ein Fluch mochte sie dazu zwingen, auf ewig über die Meere zu ziehen und Tod und Verderben über all die Schiffe zu bringen, die das Unglück hatten, ihren Weg zu kreuzen.

*

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Jane wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sie hatte sich einfach nur an der Kiste festgeklammert. Ihre Finger schienen sich regelrecht in das Holz hineingekrallt zu haben. Die junge Frau wusste, dass sie auf keinen Fall loslassen dufte. Das wäre das Ende gewesen.

Sie fragte sich, ob sie ihr Ende nicht in Wahrheit nur aufgeschoben hatte – denn wer sollte sie hier mitten auf See finden? Während der bisherigen Fahrt der PRINCESS MARY

hatte sie gehört, dass die Gewässer der Karibik von Haifischen heimgesucht wurden.

Vielleicht, so dachte sie, habe ich ein schreckliches Ende nur gegen ein noch schrecklicheres eingetauscht.

*

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Die Sonne ging schließlich auf. Ein leichter, gleichmäßiger Wind wehte über das Meer.

Jane klammerte sich noch immer an die Kiste. Zwischenzeitlich hatte sie eigenartige Tagträume und Halluzinationen gehabt. Immer wieder hörte sie die undeutlichen Stimmen der Piraten. Jane glaubte, zu hören, wie die SEA GHOST das Wasser durchpflügte und hatte den faulen Modergeruch in der Nase, der dieses Geisterschiff wie eine böse Aura des Todes zu umgeben schien.

Aber wenn sie dann den Kopf wandte und sich umsah, musste sie feststellen, dass alle nur Einbildung gewesen war. Zeitweilig glaubte sie, den Verstand zu verlieren. Die Sonne brannte fast senkrecht vom Himmel und irgendwann hörte Jane dann erneut Stimmen.

Zuerst auch undeutlich und wie von Ferne. Dann lauter und deutlicher.

Der Ruf eines Ausgucks ertönte, wie Jane ihn dutzendfach an Bord der PRINCESS MARY gehört hatte. Sie sah sich um und erblickte ein großes Schiff, das in langsamem Tempo durch die See pflügte.

Die Segel waren einigermaßen gebläht, sodass das Schiff gut vorankam.

PEARL war in großen Lettern auf das Heck des Schiffs geschrieben worden.

PEARL – die Perle.

Gott sei Dank! Ein englisches Schiff, ging es ihr durch den Kopf. Sie erwachte aus ihrer Agonie und schrie laut um Hilfe. Eine Chance wie diese, doch noch irgendwann auf wunderbare Weise das Festland zu erreichen, würde sich ihr kein zweites Mal bieten!

*

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Auf der PEARL wurde man auf sie aufmerksam – und da es Christenpflicht eines jeden Seefahrers war, Schiffbrüchige an Bord zu nehmen, lenkte der Steuermann den Dreimaster in den Wind hinein, sodass die Segel nun schlaff von den Rahen hingen und die PEARL ihre Fahrt stoppte.

Eine Barkasse wurde zu Wasser gelassen, bemannt mit einem halben Dutzend Seeleuten, die zu ihr hinruderten.

„Eine Frau!“, rief einer der Männer auf Englisch. Jane wollte etwas sagen, aber sie konnte nicht. Die Männer auf der Barkasse hievten sie an Bord und ruderten anschließend zurück zur PEARL. Eine Strickleiter wurde herabgelassen und man half Jane hinauf. Ihr zitterten die Knie. Sie war vollkommen erschöpft und rang nach Luft.

„Willkommen an Bord, Madam“, sagte ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit dunklem Haar und einem dünnen Oberlippenbart. Er trug eine enganliegende Hose und ein weißes Hemd. Darüber eine Lederschärpe, an der sein Degen hing sowie einen breiten Gürtel, hinter dem der Griff einer Pistole und eines Dolches hervorragte.

Seinem Gebaren nach war er der Kapitän der PEARL. Sie rang nach Luft und brachte schließlich hervor: „Mein Name ist Jane Bradford, ich bin die Tochter von Lord Bradford, dem Gouverneur von Jamaika.“

„Angenehm mein Name ist...“

„Captain Blunt, sollen wir wieder Segel setzen?“, rief einer der Männer und unterbrach Jane damit. Der Mann, der das fragte, hatte einen starken Akzent und so gut wie kein Haar mehr auf dem braungebrannten Kopf. Dafür aber einen dichten, schwarzen Vollbart.

„Setzt die Segel, Joao (Sprich: Schoao – stimmhaftes sch wie in Jeanette und Nasal auf dem a)“, rief der Mann, der offensichtlich der Captain war.

„Captain Blunt!“, sagte Jane und lächelte matt. „Ihr Matrose hat sie vorgestellt!“

„William Blunt ist mein Name. Auf welchem Schiff seid Ihr gesegelt?“

„Auf der PRINCESS MARY. Aber sie havarierte, als ein Piratenschiff uns rammte. Der Großteil der Besatzung wurde von den Piraten niedergemacht. Die PRINCESS MARY ging unter und nahm sie mit sich auf den Meeresgrund. Ich habe als Einzige überlebt...“

„Piraten? In dieser Gegend?“, mischte sich einer der anderen Männer ein und lachte schief. „Wer hätte das gedacht!“ Die Art und Weise, wie er kicherte, ließ Jane befremdet zusammenzucken. Aber dann fühlte sie den Blick von William Blunt auf sich ruhen. Meergrüne Augen hatte er und der Klang seiner sonoren Stimme war geeignet, Vertrauen zu schaffen.

„Ich schlage vor, Ihr geht zunächst einmal unter Deck und wechselt Eure Garderobe.“

Ihre Kleidung war natürlich vollkommen ruiniert. Sie klebte ihr am Körper „Das wird wohl das beste sein“, sagte sie.

„Haben wir denn Frauenkleider an Bord?“, fragte der Mann, der soeben so eigenartig gekichert hatte.

Blunt zuckte mit den Schultern.

„Unter dem ganzen Plunder, der unter Deck ist, dürften auch ein paar Kleider sein – vielleicht entsprechen sie nicht der neuesten Mode am Hof des Sonnenkönigs in Versailles, aber man kann sie gewiss tragen! Und falls nicht, so werden es zeitweilig auch Männerkleider tun, von denen auf jeden Fall genug an Bord sind!“

„Habt vielen Dank“, sagte Jane.

William Blunt nahm ihre Hand.

„Nichts zu danken. Ich tue nur, was ohnehin meine Pflicht wäre!“

*

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Jane gelangte unter Deck.

„In einer der Kabinen werdet Ihr etwas zum Anziehen finden“, glaubte Captain Blunt. „Es ist genug Kleidung da – und kümmert Euch sich nicht um das, was Ihr dort an Unordnung finden werdet.“

„Ich danke Euch“, erwiderte Jane und noch einmal traf ihr Blick mit dem seinen zusammen.

Sie musste unwillkürlich schlucken. Dieser Mann hatte zweifellos etwas ganz besonderes an sich. Schon der Klang seiner Stimme verursachte einen Aufruhr der Gefühle in ihr – und zwar völlig unerwartet. Denn sie hatte nun wirklich alles auf hoher See erwartet – nur nicht jemanden wie William Blunt. Jane öffnete die Kabinentür und verschwand dahinter. Überall lagen Kleidungsstücke herum.

Sie fand offene Truhen vor und hatte den Eindruck, dass hier jemand alles durchwühlt und nach Gegenständen abgesucht hatte, die wertvoll waren.

Anschließend hatte sich offenbar niemand die Mühe gemacht, die Sachen wieder einzuräumen.

Jane zog ihre feuchten und durch das Salzwasser völlig verdorbenen Sachen aus und suchte sich zusammen, was sie brauchte. Erst ganz allmählich dämmerte eine Frage in ihr auf. Auf was für einem Schiff bin ich eigentlich jetzt gelandet?

Die Tatsache, dass Truhen voller Frauenkleider an Bord eines Schiffes waren, auf dem sich – zumindest soweit sie bisher hatte sehen können – nicht eine einzige Frau befand, machte sie misstrauisch.

Konnte es sein, dass sie vielleicht vom Regen in die Traufe geraten war und sich an Bord eines Kaperschiffes befand? Eines Schiffes, das aus irgendeinem der englischen Karibikhäfen geraubt worden war?

Du machst dir unnötig Sorgen! , schalt sie sich dann eine Närrin. Schließlich war es ja genauso möglich, dass diese Kleider einfach nur eine Lieferung aus Europa darstellten, die dazu diente, dass die Frauen der Karibik-Siedler sich etwas herrichten konnten.

Jane fand ein relativ luftiges Kleid und warf es über. Außerdem richtete sie sich die Haare einigermaßen her. In der Kabine gab es sogar einen Spiegel, auch wenn dieser einen Sprung hatte, der vom rechten oberen ins linkere untere Eck verlief. Als sie fertig war, ging sie wieder an Deck. Die leichte Brise wehte ihr durch das Haar.

Der Wind war warm, aber dennoch hatte sie das Gefühl erfrischt zu werden.

Jane hörte die Männer an Bord der PEARL in einem halben Dutzend Sprachen reden.

Französisch, Portugiesisch, Spanisch erkannte sie und ein paar Niederländer waren wohl auch unter der Besatzung. Die Engländer waren jedenfalls in einer verschwindend geringen Minderheit und auch das ließ sie daran zweifeln, sich auf einem regulären englischen Schiff zu befinden.

Die Männer nahmen – von ein paar anzüglichen Blicken abgesehen, kaum Notiz von ihr.

Wenn sie vorbeiging, redeten manche von ihnen in ihren jeweiligen Sprachen und Jane, die an Fremdsprachenkenntnissen lediglich ein paar Brocken Französisch aufweisen konnte, überlegte, ob es dabei wohl um sie ging.

Sie begab sich schließlich zum Achterdeck, wo sie Captain Blunt fand.

Er stand breitbeinig in der Nähe des Ersten Steuermannes, bei dem es sich um einen Mann handelte, der seinem Akzent nach ein Franzose war.

Blunt sprach ihn mit „Jean-Pierre“ an. Er trug einen mit Federn besetzten Dreispitz und war mit zwei Pistolen, einem Säbel und einem langen Entermesser auf eine Weise bewaffnet, als erwartete er, dass ihn jederzeit ein Feind anfallen konnte – und zwar auch an Bord der PEARL.

Jane hatte während der Überfahrt von England in die Karibik immerhin genug über die Seefahrt und die auf englischen Schiffen üblichen Praktiken erlebt, um zu wissen, dass das Tragen von Waffen während des normalen Schiffdienstes üblicherweise nur Offizieren vorbehalten war.

Doch an Bord der PEARL schien auch in dieser Hinsicht andere Sitten zu herrschen.

Captain Blunt wandte ihr einen Blick zu – halb bewundernd, halb amüsiert. Für einen Moment verlor sich Jane in den meergrünen Augen dieses Mannes.

Ein Jammer, dass wir uns nicht unter anderen Umständen kennen lernen! , dachte sie.

„Es freut mich, dass Ihr etwas Passendes zum anziehen gefunden habt“, sagte er.

„Ihr hattet ja genug Auswahl an Bord Eures Schiffes“, gab sie etwas spitz zurück.

Captain Blunt lächelte und zeigte dabei zwei Reihen makelloser Zähne.

In seinen Augen blitzte es auf eine Weise, die auf Jane irgendwie herausfordernd wirkte.

Aber im Hinterkopf blieb der Gedanke, dass sie es vielleicht mit einem ganz einfachen Kaperer zu tun hatte. Einem Freibeuter, der sich sein Schiff gestohlen hatte und den man im nächsten englischen Hafen aufhängen würde, wenn man seiner habhaft werden sollte.

„Wie gut, dass diese Sachen an Bord waren, da sonst niemand an Bord sie hätte tragen mögen“, meinte Blunt mit einem leicht spöttischen Unterton. „Aber Euch stehen sie ganz ausgezeichnet.“

„Danke.“

„Ihr seid mit knapper Not dem Tod entronnen, aber irgendwie macht Ihr mir nicht den Eindruck, besonders erleichtert darüber zu sein“, stellte der Captain dann fest.

„Vielleicht wäre ich erleichterter, wenn ich auf ein Schiff gelangt wäre, an dem es ausschließlich Männerkleidung gegeben und ich mich erst einmal hätte behelfen müssen“, erwiderte sie. Blunt zuckte mit den breiten Schultern. „Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt. Die Sachen sind zwar nicht für Euch gemacht worden, aber sie kleiden Euch perfekt. Davon abgesehen, ist die Tatsache, dass Ihr überhaupt entdeckt worden seid, der Aufmerksamkeit unseres Ausgucks zu verdanken – und dem mäßigen Wind. Denn wenn wir mehr Fahrt drauf gehabt hätten, wären wir einfach an Euch vorbeigerauscht, ohne je Notiz von Euch genommen zu haben!“

„Oh, ich weiß mein Glück wohl zu schätzen!“, versicherte sie. Captain Blunt trat etwas näher an sie heran.

Ihre Blicke trafen sich erneut und sie sahen sich deutlich länger an, als dies für eine Tochter ihres Standes eigentlich schicklich gewesen wäre.

Eine sanfte Röte überzog ihr Gesicht und sie fühlte sich einerseits etwas verlegen.

Aber andererseits wollte sie auch unbedingt der Frage auf den Grund gehen, auf was für eine Art von Schiff sie sich befand. So viele Gedanken gingen ihr zur selben Zeit durch den Kopf. So fiel ihr beispielsweise ein, dass sie unvorsichtigerweise gleich nach ihrer Rettung als erstes erwähnt hatte, dass sie die Tochter von Gouverneur Bradford war und dass sie zum Hafen von Port Royal auf Jamaika unterwegs gewesen war.

Die Tochter eines englischen Gouverneurs war doch für jeden Piraten eine Beute, wie er sie sich nur wünschen konnte. Schließlich konnte man für sie mit Sicherheit ein Lösegeld erpressen, dessen Wert den so manch anderer Schiffsprise bei weitem überstieg.

„Captain Blunt, ich muss Euch in aller Offenheit sagen, dass ich von Eurem Schiff einen recht seltsamen Eindruck habe“, gestand sie.

„So?“, schmunzelte Blunt. „Ich gebe zu, dass seit meinem letzten Kommando, dass ich vor der PEARL hatte, ein paar Jahre vergangen sind, aber ich gebe mir alle Mühe!“

Der Steuermann Jean-Pierre verfiel in ein schallendes Gelächter, das Jane nicht verstand.

Offenbar hatte irgendetwas an ihren Worten zu diesem unwillkürlichen Ausbruch von Heiterkeit Anlass gegeben. Allerdings konnte sich Jane beim besten Willen nicht vorstellen, was das wohl sein mochte.

„Ich frage Euch ganz offen, Captain Blunt: Seid Ihr ein Kaperfahrer und Pirat?“

Der Steuermann brach erneut in Gelächter aus. „Habt ihr das gehört?“, rief er zuerst in akzentschwerem Englisch und anschließend noch auf Französisch. „Sie fragt uns, ob wir Piraten sind!“

Er rief laut genug, sodass so gut wie die gesamte Besatzung der PEARL das verstehen konnte.

Die Blicke aller waren jetzt auf Jane gerichtet. Sie schluckte.

„Dann ist es also wahr!“, stellter sie nun – vollkommen ernüchtert fest.

„Keine Ahnung, wie Ihr auf diesen absurden Gedanken kommt, dass wir die PEARL gekapert haben könnten!“, rief Jean-Pierre grinsend, woraufhin nun die gesamte Besatzung in schallendes Gelächter ausbrach. Jean Pierre fuhr wenig später fort: „Ich glaube Mademoiselle hält es für wahrscheinlicher, dass man uns dieses Schiff freiwillig ausgehändigt hat!“

Erneut brandete Gelächter auf.

Jean Pierre wandte sich nun direkt an Jane und meinte mit vor Ironie triefendem Tonfall: „Mademoiselle, Ihr habt unseren Captain doch bereits in gepflegter Konversation erlebt! Haltet Ihr es tatsächlich für möglich, dass jemand mit einem so harmlos aussehenden Gesicht wirklich ein übler Pirat und Leuteschinder ist, der weder Rücksicht auf Leib und Leben jener Unglücklichen nimmt, die das Pech hatten, zur falschen Zeit eine der bekannten Schifffahrtsrouten zu benutzen?“ Er lachte so dröhnend, dass es Jane in den Ohren schmerzte. „Nein, Mademoiselle! Ihr müsstet doch längst erkannt haben, dass der Charme und das sanfte Verhandlungsgeschick unseres Captains vollkommen ausreicht, um dafür zu sorgen, dass man uns vollkommen freiwillig alles das aushändigt, was wir begehren!“

Seine letzten Worte gingen erneut im Gelächter der Mannschaft unter.

Einer der anderen Männer ergänzte: „Die Drohung mit dem Einsatz unserer Vierzehn-Pfünder-Geschütze steht natürlich mit dem Verhandlungserfolg in keinerlei Zusammenhang!“

Die Seeleute der PEARL brüllten vor Lachen und die Situation drohte vollkommen aus dem Ruder zu laufen.

Doch in diesem Augenblick zeigte William Blunt, dass er tatsächlich der Captain der PEARL war und seine Mannschaft auf eine Weise im Griff hatte, wie Jane es nach dem, was in den letzen Augenblicken geschehen war, nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Captain Blunt trat einen Schritt vor, sodass er nun am Geländer des Achterdecks stand. Er hob die Hände und rief: „Genug jetzt!“

Der Klang seiner Stimme war so durchdringend und entschlossen, dass keiner der anderen Männer an Bord es wagte, diesen Befehl nicht zu beachten.

Innerhalb eines einzigen Augenblicks wurde es vollkommen ruhig. Man hörte nur noch das Rauschen der ganz leichten Wellen. Ab und zu raschelte ein Segel oder schlugen Taue und Ösen gegen das Holz.

Captain Blunt ließ eine Pause folgen und fuhr schließlich fort:

„Wir haben eine Dame an Bord – und auch wenn die meisten von euch solche Gesellschaft nicht gewöhnt sind, möchte ich, dass das respektiert wird!“

Hier und da war ein dumpfes Raunen zu hören.

Aber die Besatzung schien die Worte des Captains tatsächlich sehr ernst zu nehmen.

„Habt Ihr schon überlegt, wie viel Lösegeld Ihr für die Tochter eines Gouverneurs fordern werdet?“, meldete sich nun der bärtige Kahlkopf zu Wort, der vom Captain Joao genannt worden war. Seine Worte waren so akzentschwer, dass Jane sie im ersten Moment gar nicht verstand.

Als sie dann begriff, was der Mann gesagt hatte, war das wie ein Schlag vor den Kopf für sie.

William Blunt ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich bin der Captain“, stellte er fest. „Und hier am Bord soll sich jeder um das kümmern, wovon er etwas versteht, Joao!“

„Schon gut“, sagte Joao und er klang dabei jetzt ziemlich kleinlaut. „Aber ich darf doch annehmen, dass wir alle uns noch auf einen schönen Batzen Gold freuen dürfen, oder?“

Ehe die Männer an zu grölen fingen, fuhr Blunt dazwischen.

„Du darfst dich vor allem darüber freuen, dass man dich auf der Ile de Tortugue (Sprich: Iil de Tortüüg) nicht aufgehängt hat, weil für dich nämlich niemand bereit gewesen wäre, auch nur eine einzige Silberdublone zu bezahlen!“

Jetzt brachen die Besatzungsmitglieder der PEARL erneut in Gelächter aus – aber sie lachten nicht über Jane und auch nicht über ihren Captain, sondern einzig und allein über Joao, der daraufhin einen roten Kopf bekam. Sein Gesicht verzog sich ärgerlich und er machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Ach, ihr Narren könnt mich alle mal!“, rief er. Und dann folgten noch ein paar wüste Verwünschungen, die nur der Teil der Besatzung zu verstehen vermochte, die des Portugiesischen mächtig war.

*

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Captain Blunt wandte sich an Jane. Seine Stimme hatte nun einen sehr viel sanfteren Klang. Er sprach mit einem Timbre, das Jane durch und durch ging, aber sie sträubte sich gegen jedes positive Gefühl, das sich diesem Piratenkapitän gegenüber regen wollte.

Piraten waren schließlich in ihren Augen nichts anderes, als Wegelagerer und Straßenräuber an Land! Verbrecher, die der Gerechtigkeit zugeführt werden mussten! Menschen, die sich völlig hemmungslos in Besitz von Dingen brachten, die ihnen nicht gehörten oder Gefangene nahmen, um deren Familien auszupressen!

Mochte sie diesen Mann auch noch so sympathisch finden, mochte er auch ihre Gedanken und Gefühle von dem Augenblick an beherrscht haben, in dem sie ihn zum ersten Mal auf den Planken der PEARL gesehen hatte – Piraterie war etwas, das sie auf keinen Fall billigen konnte.

Auch eine noch so sympathische Fassade konnte über diesen dunklen Kern nicht hinwegtäuschen.

„Nun, wie viel gedenkt Ihr für mich zu fordern, Captain Blunt?“, konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen. „Wie viel ist das Leben einer Gouverneurstochter wert? Ich war ja leider unvorsichtig genug, über meine Identität von Anfang an keine Zweifel zu lassen! Aber wer weiß, vielleicht hättet Ihr mich einfach den Haien überlassen, wenn ich gesagt hätte, dass ich nur eine einfache Dienstmagd bin, für die niemand auch nur eine Dublone bezahlen würde!“

Captain lächelte sie offen an. „Seid nicht verbittert! Freut Euch lieber der Tatsache Eures unwahrscheinlichen Glücks!“

Jane sah ihn geradewegs an.

Sie musste unwillkürlich schlucken, als sich ihre Blicke trafen.

„Das könnte Euch so passen!“, murmelte sie. „Dass ich mich füge und Euch keine Schwierigkeiten mache!“

„Ich fürchte darauf muss ich bestehen, Miss Jane“, sagte Captain Blunt in einem Tonfall, der klarmachte, dass es ihm sehr ernst war. „Andernfalls...“

„Was habt Ihr vor? Mich in Eisen zu legen? Bitte! Was seid Ihr für ein mutiger Freibeuter, dass ich für Euch eine Gefahr darstelle!“

„Würdet Ihr das, so befändet Ihr Euch tatsächlich bereits bei den Haien!“, mischte sich Joao ein. „Da kennt unser Captain nämlich keine Gnade, das sage ich Euch!“

Jane hob den Kopf und sagte in Blunts Richtung. „So will ich Euch wissen lassen, dass ich Eure Drohung wohl verstanden habe!“

Er fasste sie am Handgelenk.

„Ich habe Euch nicht gedroht!“, widersprach er. Jane hob die Augenbrauen.

Dann senkte sie den Blick auf seine Hand, die ihr Handgelenk wie in einem Schraubstock hielt, sodass sie außer Strande war, sich zu lösen.

„Ach, nein?“, fragte sie zurück.

Blunt atmete tief durch.

Er ließ sie los.

Jane ging schnellen Schrittes die Treppe hinunter, die vom Achter-zum Mitteldeck führte.

„Ihr werdet diese Wildkatze noch zähmen müssen, Captain!“, glaubte Joao. „Sonst bringt sie uns am Ende noch alle an den Galgen!“

*

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Die Stunden gingen dahin.

Jane verbrachte die meiste Zeit auf dem Mitteldeck. Es wurde heißer und sie hörte den Männern bei ihren Gesprächen zu. Meistens verstummten sie allerdings, wenn sie ihnen zu nahe kam. Doch sie bekam genug davon mit, um zu erkennen, in was für einer misslichen Lage sie war. Es wurde über Kaperpläne gesprochen, darüber welche Städte auf Hispaniola, Jamaika oder am Isthmus von Panama am lohnendsten für eine Plünderung seien.

Irgendwann kam Captain Blunt zu ihr auf das Mittelsdeck.

„Ich hoffe, Ihr habt Euch vom ersten Schrecken, an Bord eines Kaperschiffs zu fahren erholt, Miss Jane!“, meinte er. Und sein Lächeln war dabei so gewinnend, dass es Jane gar nicht so leicht viel, ihre abweisende Haltung aufrecht zu erhalten. Sie sah William Blunt offen an und hob die Augenbrauen.

„Und von Euch hoffe ich, dass Ihr Euch endlich überlegt habt, wie viel Ihr an Lösegeld zu fordern gedenkt?“

„Wer sagt Euch, dass wir überhaupt etwas fordern?“, fragte er. Sie runzelte die Stirn. „Aber...“

„Vielleicht bin ich gar nicht der grobe Verbrecher, den Ihr im Augenblick in mir zu sehen scheint!“

„Tut mir leid, Captain, Blunt, aber das scheint nicht nur so! Ich halte nichts von Euresgleichen und kann nur hoffen, dass mein Vater einst dafür sorgen wird, dass man Euch und Eure Spießgesellen in Port Royal am Galgen aufknüpft!“

„Oh, so harte Worte aus einem so hübschen Mund!“

„Ihr versucht Süßholz zu raspeln, Captain, aber glaubt ja nicht, dass ich darauf hereinfalle. Stattdessen möchte ich Euch einen Vorschlag machen!“

Captain Blunt verschränkte die Arme vor der Brust. „Bitte, ich bin ganz Ohr und sehr gespannt, was Ihr mir anzubieten habt!“

Jane atmete tief durch und musterte den Captain der PEARL

einige Augenblicke lang. Sie wollte sofort fortfahren, aber aus irgendeinem Grund kam nicht ein einziger Laut über ihre Lippen. Ein Kloß schien ihr im Hals zu stecken.

Sie musste unwillkürlich schlucken.

Sie spürte, dass ihr Herz schneller schlug, als dass durch die unerträgliche Hitze eigentlich erklärlich gewesen wäre. Schlag dir diesen Kerl aus dem Kopf!, sagte sie sich und versuchte dabei ihren eigenen immer deutlicher aufkeimenden Gefühlen gegenüber sehr energisch zu sein.

Auch nur der Gedanke daran, dass dieser Mann sie in irgendeiner Form in seinen Bann geschlagen hatte, beunruhigte sie zutiefst.

Sie hatte ein Gefühl in ihrer Magengegend, das nur als diffus zu bezeichnen war.

„Mein Vorschlag lautet folgendermaßen: Ihr liefert mich in Port Royal ab und übergebt mich meinem Vater, der dort schon länger auf mich wartet – denn die PRINCESS MARY war bereits überfällig.“

Captain William Blunt runzelte die Stirn.

„Ich soll Euch einfach so übergeben – ohne Gegenleistung?“

„Sicher!“

„Selbst wenn ich persönlich mich darauf einlassen würde, weil Ihr ein so einzigartiges und bezauberndes Lächeln habt – meine Mannschaft wäre damit niemals einverstanden!“

„Ich dachte immer, auf einem Schiff entscheidet der Captain, was getan wird und was nicht – oder sollte ich das etwa falsch mitbekommen haben. Neuerdings geht es danach, welcher Stimmung gerade die Mannschaft ist?“

William Blunt lachte rau.

„Ihr stellt Euch das alles etwas zu einfach vor, Miss Jane!“

„So?“

„Zum Beispiel dürfte niemand hier an Bord ein gesteigertes Interesse daran haben, von Eurem Vater an den Galgen gebracht zu werden.“

Jane lächelte, versuchte jedoch, es nicht zu sehr nach außen dringen zu lassen.

Ach, wie sehr wünschte sie sich jetzt, in diesem Moment, dass sie und William Blunt sich nicht auf einem Kaperschiff in der Karibik als Pirat und Geisel gegenüberstanden, sondern an einem völlig anderen Ort. An der Uferpromenade in Portsmouth zum Beispiel, wo Sonntags die reichen Bürger der Stadt die Kaimauern entlang stolzierten und entweder über ihre Überseegeschäfte sprachen und sich den Gewinn ausmalten, den man durch den Handel mit der Neuen Welt oder Indien erzielen konnte oder die Damen ihrer Herzen ausführten. Aber die Wirklichkeit hatte damit nichts zu tun.

„Ihr habt mir noch nicht sehr viel darüber erzählt, wie das Schiff, auf dem Ihr gereist seid, unterging“, stellte Captain Blunt fest.

„Die PRINCESS MARY wurde gerammt. Von einem

Piratenschiff unter der Totenkopfflagge.“

„Eine ungewöhnliche Methode, ein Schiff zu kapern“, meinte Blunt.

Jane hob die Schultern.

„Dafür sehr effektiv. Innerhalb wenige Augenblicke ist die PRINCESS MARY gesunken.“ Sie schluckte. „Es war schrecklich. Zuvor war der Großteil erschlagen worden – und schließlich lande ich bei ganz ähnlichen Verbrechern! Womit habe ich das nur verdient...“ Die Tatsache, dass es offensichtlich Geisterpiraten gewesen waren, die die PRINCESS MARY

gekapert hatten, erwähnte Jane nicht.

Es reichte, dass sie sich in dieser Zwangslage befand. Da wollte sie nicht auch noch verhöhnt oder als Verrückte angesehen werden. So ungewöhnlich dieses Erlebnis auch gewesen sein mochte – sie selbst hatte die Existenz dieser geisterhaften Erscheinungen wohl oder übel als Tatsache akzeptieren müssen.

Die Bilder aus der Erinnerung tauchten vor ihrem inneren Auge auf und in der Rückschau erschienen sie ihr seltsam unwirklich. So als hätte sie es gar nicht selbst erlebt, sondern jemand anders hätte es ihr erzählt – oder wie ein Albtraum, der zwar furchtbar gewesen war und den Herzschlag zum Rasen gebracht hatte, an den man sich aber schon nicht mehr richtig zu erinnern vermochte, sobald man schweißgebadet erwacht war. Jane versuchte die Erinnerung an die Geschehnisse an Bord der PRINCESS Mary verzweifelt festzuhalten.

Aber sie entglitten ihr.

Morgen werde ich mich fragen, mit welchem Schiff ich die Überfahrt machte, ging es ihr durch den Kopf.

Aber wenn sie selbst schon nicht mehr wirklich im klaren darüber war, was wirklich geschehen und was Einbildung gewesen war, wie konnte sie dann annehmen, jemanden wie Captain Blunt davon zu überzeugen?

„Die Kapermethode, von der Ihr berichtet habt, ist wirklich sehr seltsam!“, gab Captain Blunt seiner Verwunderung Ausdruck. „Und sie macht eigentlich nur Sinn, wenn man auf das Schiff selbst überhaupt keinen Wert legt.“

„Das war offensichtlich der Fall, Captain.“

„Aber die PRINCESS MARY kann nicht in einem allzu schlechten Zustand gewesen sein!“, gab Captain Blunt zu bedenken. „Sonst hätte sie die Überfahrt doch niemals überstanden – wenn ihr versteht, was ich meine!“

„Natürlich. Aber ich kann ich Euch nicht mehr dazu sagen. Und was den Zustand von Schiffen angeht, vermag ich den ohnehin nicht zu beurteilen, schließlich fehlen mir dazu jegliche seemännischen Kenntnisse!“

„Das mag sein.“

Mit der Hand fächerte sich Jane etwas Luft zu. Sie hatte das Gefühl, dass der Wind nachgelassen hatte und tatsächlich hingegen die Segel jetzt beinahe schon schlaff von den Rahen. Die Hitze nahm zu.

Es war ungeheuer drückend geworden.

Ganz ähnlich wie an jenem Abend, bevor die PRINCESS

MARY in der Nacht von den Geisterpiraten heimgesucht worden war.

Ein Schaudern überlief Jane plötzlich und ohne einen vernünftigen Grund bekam sie eine Gänsehaut

„Vielleicht überlegt Ihr es Euch ja noch einmal.“

„Was?“

„Mich in Port Royal abzusetzen. Ich bin überzeugt davon, dass sich mein Vater sehr erkenntlich zeigen wird!“

„Oh, das wird er!“, mischte sich einer der anderen Männer ein.

„Du brauchst nicht überall deine unpassenden Kommentare abzugeben, George!“, fuhr Captain Blunt ihm über den Mund. Eine tiefe Furche hatte sich auf seiner ansonsten sehr glatten Stirn gebildet.

Er schien wirklich ärgerlich über seine Schiffskameraden und Komplizen zu sein.

So ganz scheint er das Gefühl für Recht und Anstand ja doch nicht verloren zu haben! , dachte Jane. Er wandte sich wieder an die junge Frau.

„Vielleicht verratet Ihr mir noch den Namen des FreibeuterSchiffs, das die PRINCESS MARAY auf den Grund setzte!“

„Aber gewiss doch“, antwortete Jane. „Es war die SEA GHOST.“

*

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Gegen Abend setzte vollkommene Windstille ein. Die PEARL dümpelte nur noch vor sich hin und die See war spiegelglatt. Die Hitze wurde unerträglich. Jane zog sich unter Deck zurück.

Sie ging in die Kabine, in der sie sich umgezogen hatte. Draußen wurde es dunkel und eine Nacht, die kaum Abkühlung bringen würde, kündigte sich an.

Es klopfte an der Kabinentür.

„Wer ist da?“, fragte sie.

„Captain Blunt.“

Er öffnete die Tür. Sie ließ sich nicht verriegeln. Das Schloss war herausgebrochen.

„Wenn Ihr mir etwas tun wollt, dann schreie ich!“, kündigte Jane an.

„Das würde hier niemand hören, Miss Jane!“

„Außer Ihren Männern. Vielleicht ist ja wenigstens unter denen ein Gentleman!“

Sie fühlte hinter sich das Holz der Kabinenwand. Blitzschnell fasste Blunt sie um die Taille und ehe sie schreien konnte, küsste er sie. Völlig überrascht sah sie ihn an. „Was fällt Euch ein!“

„Hört mir zu!“, forderte Blunt.

„Aber...“

„Nein, jetzt rede ich!“ Er legte ihr einen Finger auf den Mund. Seine Stimme klang gedämpft, so als fürchtete er, dass ihn jemand hören konnte. „Ich bin nicht der, für den Ihr mich haltet!“

„Ach, nein?“

„Ich bin keineswegs ein Freibeuter und es würde mir auch nie im Leben einfallen, von Eurem Vater ein Lösegeld für Euch zu erpressen, dass müsst Ihr mir glauben!“

„Nur leider ist es nicht sehr glaubwürdig, was Ihr da behauptet, Captain! Wir können ja Eure Männer fragen ob sie auch der Meinung sind, dass Ihr kein Pirat seid! Mir schien es, dass sie da eher meine Ansicht teilten!“

„Sprecht um Himmels willen nicht so laut!“, ermahnte er sie.

„Ich bin Lord Mornham. Mein Vorname ist zwar William – aber William Blunt ist eine Erfindung.“

„Ihr seht mich sehr erstaunt, Captain – oder seid Ihr auch kein Captain?“

„Captain der Marine seiner Majestät des englischen Königs“, sagte er. „Ich befehligte ein Kriegsschiff, die ADMIRAL

BENBOW, die in die Neuen Welt mit der Mission geschickt wurde, den Gouverneur von Jamaika bei der Bekämpfung der Piraterie zu unterstützen. Die Zeiten, da die englische Krone die Freibeuter unterstützte sind längst vorbei. Spanien und England haben vor Jahren einen Friedensvertrag geschlossen und der Regierung seiner Majestät liegt viel daran, dass dieser Vertrag nicht gebrochen wird. Was die Kaperung französischer Schiffe angeht, so ist das natürlich ein anderes Thema...“

„Ihr seid ein königstreuer Offizier?“, fragte Jane.

„Nicht so laut!“, warnte er sie. „Wenn das hier jemand erfährt, wird man auch für mich ein hohes Lösegeld fordern und wir werden Jamaika wohl für die nächsten Jahre nicht erreichen, obwohl es ganz in der Nähe liegt – kaum einen halben Tag bei mittlerer Windstärke entfernt.“

„So nahe?“, staunte sie.

Er nickte.

Sie musterte ihn eingehend.

Konnte sie ihm diese phantastische Geschichte glauben oder wollte da etwa ein ungehobelter Pirat sich mit ein paar Lügen bei ihr einschmeicheln?

Vielleicht hat er gemerkt, wie er auf mich wirkt und denkt nun, dass er auf diese Weise schneller an sein Ziel kommt! , ging es ihr durch den Kopf.

„Erzählt weiter!“, forderte sie – nun sehr viel leiser und verhaltener. „Aber glaubt nicht, dass ich Euch alles abnehme, was Ihr da so erzählt!“

„Aber ich soll Euch abnehmen, dass es die SEA GHOST war, die Euer Schiff gerammt und zum Untergang gebracht hat“, erwiderte der Captain.

Jane hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. Sie entfernte sich etwas von ihm und drückte sich auf der gegenüberliegenden Seite der Kabine gegen die Wand. „Warum solltet ihr daran zweifeln?“

„Weil die SEA GHOST das Schiff von Captain John Hargrove ist, einem der gefürchtesten Piratenkapitäne der Karibik –

allerdings vor zwanzig Jahren!“

„Was?“

„Ja, Ihr habt richtig gehört! Die SEA GHOST wurde damals von den Schiffen eines der Vorgänger Eures Vaters vor Hispaniola versenkt! Mit Mann und Maus sank sie auf den Grund des Ozeans und ich wüsste nicht, wie sie von dort wieder emporgekommen sein sollte – es sei denn man glaubt an Geister!“

Es waren Geister!, so war Jane versucht auszurufen. Aber sie wusste sehr wohl, dass man ihr das kaum abnehmen würde.

„Vielleicht hat jemand anderes den Namen dieses anscheinend recht bekannten Schiffes benutzt“, sagte sie.

„Das ist nicht auszuschließen.“

„Sagt, wie soll ich Euch jetzt nennen, da Ihr angebt, dass Captain Blunt eine Erfindung sei!“

„Nennt mich weiter so“, sagte er. „Sonst sind wir beide geliefert.“

„Erzählt mir den Rest Eurer Geschichte, Captain.“

„Gerne!“

*

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Der Captain setzte sich und fuhr in seiner Erzählung fort. Er war der einzige Überlebende seines Schiffs gewesen und an einer einsamen Insel gestrandet. Ein Schiff war nach mehreren Monaten dort gelandet, um Wasser und andere Vorräte an Bord zu nehmen. William Blunt, wie er sich wenig später nannte, hatte sich zu erkennen gegeben und zu spät erkannt, dass es skrupellose Piraten gewesen waren, die die Insel betreten hatten. Sie nahmen Blunt mit und brachten ihn nach Tortuga – die Ile de Tortugue, wie sie eigentlich hieß. Ein Piratennest, wo mit allem und jedem gehandelt wurde.

Mit Waffen und Brandwein ebenso wie mit Sklaven oder wie in diesem Fall – mit Geiseln.

Wertvolle Geiseln wurden gegen einen Teil des zu erwartenden Lösegeldes an andere Piraten verkauft, die dann hofften, daraus einen Gewinn ziehen zu können.

„Bei mir war man sich wohl nicht so recht sicher, ob man viel bekommen würde“, meinte er. „Auf Tortuga gab es viele Geiseln

– und manche von ihnen waren selbst Piraten, die von anderen Freibeutern mit der Forderung gefangen gehalten wurden, für ihre Freilassung ihre versteckten Schätze preiszugeben!“

„Und wie seid Ihr von diesem schrecklichen Ort wieder fortgekommen?“, fragte Jane. „Mal vorausgesetzt, Eure Geschichte entspricht der Wahrheit und ist nicht nur ein erfundenes Lügenmärchen!“

„Ein Feuer brach aus“, erklärte der Captain. „Und das Chaos, das dann entstand, nutzten wir zur Flucht - ein Haufen von Gefangenen, von denen ein Teil schon früher als Pirat das Meer unsicher gemacht hatte und der Rest durch widrige Umstände in eine Lage geraten war, wo das Freibeutertum der einzige Ausweg zu sein schien. Einige von uns waren auch ganz gewöhnliche Gefangene – Siedler, die in ihr altes Leben zurück wollten und die an Land abgesetzt wurden.“

„Und weshalb seid Ihr jetzt nicht in Port Royal auf Jamaika, sondern hier, auf den Planken dieses ungastlichen Schiffes geblieben? Wenn Ihr Lord Mornham seid – was hielt Euch dann davon ab, in Euer altes Leben zurückzukehren, wenn dies doch anderen so großzügig gewährt wurde?“

„Das hatte ich mir bei Gott gewünscht! Aber dann hätte ich Euch niemals kennen gelernt, Miss Jane und so bedauere ich es nicht, länger als gewollt auf diesem Schiff geblieben zu sein!“

„Hört auf mit der Süßholzraspelei und weicht meiner Frage nicht aus!“, erwiderte Jane.

Er hob die Schultern. „Man hatte mich zum Anführer erkoren, wie ich schon berichtete. Die Männer merkten schnell, dass ich wusste, wie man ein Schiff führt, wie man navigiert und so weiter. Wir stahlen das beste Schiff im Hafen der Ile de Tortugue

– die PEARL, die soeben erst von einem anderen Piratenkapitän gekapert worden war und eigentlich für viele Dublonen zum Verkauf angeboten werden sollte.“

„Ihr weicht meiner Frage noch immer aus! Warum habt ihr dieses Schiff nicht verlassen, wie andere auch? War es nicht so, dass Euch in Wahrheit der Gedanke, auf diese Weise Reichtümer anzuhäufen, gefiel?“

„Nein, das ist nicht der Grund. Ich besitze in meinem Leben als Lord Mornham genug, um auskömmlich leben zu können. Der Grund ist ein anderer. Man ließ mich nicht von Bord.“

„Ihr wart doch der Anführer!“

„Ja, weil ich als Offizier der Flotte natürlich die nautischen Fähigkeiten mitbringe, die man braucht, um eine Schiffsmannschaft zu führen. Aber sie hätten nicht zugelassen, dass ich von Bord gehe. Außerdem hoffte ich, bestimmen zu können, wohin die Reise geht, solange ich sie führe.“

„Ach! Und wohin wolltet Ihr?“

„Zu einer englischen Besitzung – am liebsten nach Port Royal. Ihr seht also – dass wir ohnehin denselben Weg haben!“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann, in noch gedämpfteren Tonfall fort: „Die Männer, die mit mir geflohen waren, hatten mich zu ihrem Anführer erkoren, weil sie erkannten, dass sie mit mir die Möglichkeit hätten, Beute zu machen. Sei sie nun ein zusammengewürfelter Haufen von beutegierigen Piraten oder eine Mannschaft im Dienste seiner Majestät. Aber der Unterschied ist gar nicht so groß, sage ich Euch.“ Er nahm sie bei den Schultern und sah sie eindringlich an. „Hört mir zu, ich verspreche Euch, dass Ihr nach Port Royal gelangen werdet. Dahin möchte ich ja genauso wie ihr. Aber das geht nur, wenn ich die Mannschaft noch eine Weile in dem Glauben lasse, dass sie reiche Beute machen wird, wenn sie mich an ihrer Spitze hat!

Davon abgesehen müsst Ihr schweigen – denn weder Euch noch mich würden die anderen einfach so gehen lassen!“

*

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Schiff von achtern!“, tönte der Ausguck. Der Captain ging an Deck und auch Jane konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich anzusehen, was das für ein Schiff war, das sich da näherte. Mindestens die Hälfte der Besatzung stand auf Steuerbord an der Reling und blickte dem Dreimaster entgegen, der mit erstaunlich gleichmäßiger Fahrt sich der PEARL näherte.

Erstaunlich vor allem deshalb, weil seine Segel schlaff von den Masten hingen.

Jane war ebenfalls an Deck geeilt.

Die Worte des Captains hallten noch in ihrem Kopf wider. Was sollte sie von dieser Geschichte halten? Aber andererseits gab es für den Mann, den sie als Captain William Blunt kennen gelernt hatte, keinen Anlass, sie zu belügen, denn mit dieser Geschichte brachte er sich schließlich selbst in Gefahr.

Sir William Mornham lautete also sein tatsächlicher Name, wenn man mal voraussetzte, dass er ihr die Wahrheit erzählt hatte. Dass ihm etwas Aristokratisches anhaftete, hatte sie vom ersten Augenblick an empfunden, auch wenn sein Aufzug und die Umstände unter denen sie ihn kennen gelernt hatte, so etwas nicht unbedingt hatten vermuten lassen.

Viele Gedanken schienen in diesen Momenten auf einmal in ihr herumzuwirbeln und sie fühlte sich reichlich verwirrt. Da war einerseits das Gefühlschaos, in das sie der Captain gestürzt hatte, denn ihr war nun endgültig klar, dass sie das starke Gefühl ihm gegenüber nicht länger leugnen konnte. Sie hatte sich vollkommen gegen jede Vernunft bis über beide Ohren verliebt und er schien diese Gefühle zu erwidern.

Aber als sie nun an Deck stieg, traten sehr bald auch noch ganz andere Empfindungen in den Vordergrund.

Sie sah das fremde Schiff, das der Ausguck gesehen und ausgerufen hatte und sofort überzog eine Gänsehaut ihren gesamten Körper. Das Grauen fasste nach ihr und sie hatte das Gefühl, eine kalte Hand würde nach ihrem Herzen greifen. Das fremde Schiff zog von einer geheimnisvollen Kraft getrieben an der PEARL vorbei, obwohl deutlich sichtbar kein Wind die Segel blähte und niemand an Bord zu sein schien.

„Seht nur, was dort am Heck geschrieben steht!“, staunte einer der Männer.

„Du kannst lesen, Joao?“

„Genug um die Buchstaben dort zusammenzuziehen, Männer!

Das ist die SEA GHOST!“

„Das ist unmöglich!“

„Völlig ausgeschlossen!“

Ein großer Mann mit gelockten Haaren, unrasierten Wangen und einer Augenklappe meldete sich zu Wort. „Ich habe auf St. Kitts mal mit jemandem gesprochen, der dabei war, wie die SEA GHOST vor Hispaniola sank!“

„Und doch ist sie hier vor uns!“

Jane trat ebenfalls an die Reling. Sie wirkte wie erstarrt. Ihre Augen musterten das fremde Schiff und sie musste unwillkürlich schlucken, während ihr Pulsschlag sich beschleunigte.

Sie ist es! , durchfuhr es sie. Die SEA GHOST... Jenes Geisterschiff, das die PRINCESS MARY gerammt hatte und deren geisterhafte Besatzung so furchtbar gewütet hatte. Und plötzlich stand ihr auch wieder das Gesicht des Kapitäns der SEA GHOST vor Augen. Seine zunächst von einem Lichtflor umgebene und später durchscheinende Gestalt. Aber vor allem die Art, wie er sie angesehen hatte.

„Komm... mit... mir...!“

Der Ruf fiel ihr wieder ein, der sie in jener Nacht so hatte erschaudern lassen. Der Captain der Geisterpiraten war offenbar speziell hinter ihr hergewesen. Aus welchem Grund auch immer...

Aber die Art, wie er sie angesehen hatte, ließ daran eigentlich keinen Zweifel. Jane fiel es wie Schuppen von den Augen. Auf eine düstere Art musste er sie begehren. Möglicherweise war das auch der einzige Grund, weshalb sie nicht erschlagen worden war. An Bord der PEARL herrschte einen Augenblick lang Schweigen.

Vollkommene Stille, abgesehen von den ächzenden Lauten, die das Schiff von sich gab, weil das Holz arbeitete, weil die Taue gegen irgendetwas schlugen oder weil die Segel so schlaff von den Rahen hingen, dass sie raschelten und die Rahen an den Masten schabten. Die typischen Geräusche einer Windstille. Die SEA GHOST hingegen glitt in ihrer geisterhaften Art dahin, dem Sonnenuntergang entgegen und verschwand schließlich hinter dem Horizont.

So hatte es am Abend, bevor die PRINCESS MARY

untergegangen war, auch angefangen! Die Erinnerung stand Jane jetzt wieder überdeutlich vor Augen. Sie schluckte und der Schweiß auf ihrer Stirn war eiskalt geworden. Sie konnte kaum atmen.

„Nein“, flüsterte sie leise vor sich hin, ohne dass irgendjemand davon Notiz genommen hätte. „Bitte nicht noch einmal...“

*

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Langsam entstand unter den Männern ein Gemurmel. Joao deutete auf Jane.

„Werft sie von Bord, Captain!“, rief er und ließ ein paar Verwünschungen auf Portugiesisch zwischen seinen Lippen hindurch, die mit einer Mischung aus inbrünstigem Hass und tiefer Furcht gesprochen wurden, dass Jane die Übersetzung gar nicht brauchte. „Ihr habt es alle gesehen, Männer! Es war die SEA GHOST! Genau so, wie man sie immer beschrieben hat!

Und ihr habt auch gesehen, dass sie von Geisterhand gesteuert dahin fuhr!“

Ein Geraune war jetzt zu hören.

„Werft sie dorthin, woher wir sie aufgefischt haben – zu den Haien!“, rief jemand.

„Sie hat die SEA GHOST hier her gelockt!“, meldete sich Joao erneut zu Wort.

„Wenn wir sie über Bord werfen, wird uns diese unheimliche Erscheinung nicht noch einmal heimsuchen!“, glaubte ein anderer Sprecher.

Einer der Männer wollte Jane schon am Arm packen. Es schien vielen von ihnen von zwingender Logik, dass sie es war, die das Unglück heraufbeschworen hatte!

Da griff Lord Mornham alias Captain William Blunt zu der Pistole hinter seinem Gürtel und feuerte.

Ein Schuss in die Luft, der die Männer zusammenzucken und erstarren ließ. Janes Handgelenk wurde losgelassen.

„Ich dachte, ihr seid auf ein Lösegeld aus?“

„Das sind wir – aber nicht, wenn uns die Kreaturen der Hölle dafür verfolgen!“, rief Joao. „Mit den Schiffen des Gouverneurs nehmen wir es jederzeit auf, wenn es sein muss. Aber nicht mit solchen Erscheinungen der Hexerei, die jeder Erklärung spotten!“

„Was auch immer das gewesen sein mag, was wir gerade gesehen haben – hier führe nach wie vor ich das Kommando –

und wem das nicht passt, der soll sehen, dass er woanders hinkommt!“

Die Männer schwiegen. Niemand wagte es, gegen den Captain zu rebellieren und Jane wusste nun zweierlei: Erstens, dass ihr Leben in akuter Gefahr war und zweitens, dass der Captain ihr gegenüber offenbar ehrliche Gefühle hegte. Denn er hatte sich auf eine Weise für sie eingesetzt, die ihn selbst im Handumdrehen in eine sehr brenzlige Situation bringen konnte.

*

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Jane brachte es unter diesen Umständen nicht fertig, sich zum Schlafen hinzulegen. Es wurde dunkel. Der Mond stieg auf und Sterne glitzerten am Firmament. Die vollkommene Windstille hielt an.

Jane achtete darauf, sich in der Nähe des Mannes aufzuhalten, den sie als Captain William Blunt kennen gelernt hatte und dem sie es nun inzwischen glaubte, dass er tatsächlich Lord Mornham war.

In seiner Gegenwart fühlte sie sich sicher, während sie immer befürchten musste, dass beim Rest der Besatzung die Angst vor der seltsamen Erscheinung des geisterhaft dahingleitenden Schiffs mit dem Namen SEA GHOST obsiegte.

Aber stimmte es nicht auch? War der Anführer der Geisterpiraten nicht auf eine seltsame Weise an ihr interessiert und war das nicht vielleicht auch der tiefere Grund dafür, dass sie nun erneut auf die SEA GHOST gestoßen war?

Sie wandte sich an Mornham.

„Vielleicht ist es das Beste, Ihr setzt mich in einem Boot aus, so das ich das Böse nicht anziehe“, flüsterte sie, so leise, dass sie sicher war, dass niemand sonst es hören konnte.

„Nein, das ist Unsinn!“, sagte Lord Mornham und legte seinen Arm auf ihre Schulter. „Ich würde es niemals zulassen, dass man Euch aussetzt!“

Sie schmiegte sich an ihn, spürte den Schlag seines Herzens und die Wärme seines Körpers. Er sah sie an und das Mondlicht spiegelte sich in ihren Augen. Mit zärtlichen Bewegungen strich er ihr ein paar verirrte Strähnen aus der Stirn.

*

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Um Mitternacht erschien das Geisterschiff von neuem. Und diesmal war auch wieder die gespenstische Besatzung zu sehen. Ihr Kriegsgeheul war unüberhörbar. Die lichtumflorten Gestalten standen an der Reling und schwangen ihre Waffen. Die Besatzung war sofort alarmiert.

Mornham gab den Befehl, die schweren Geschütze der PEARL

abzufeuern. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte wenige Augenblicke später die Nacht.

Die Kanonen der PEARL krachten der Reihe nach los. Pulverdampf vernebelte für einige Zeit die Sicht auf die SEA GHOST, die unerbittlich heranrückte. Die schweren Bleikugeln schlugen teilweise ins Wasser und schäumten es zu hohen Fontänen auf. Eine weitere Salve wurde abgegeben, aber die Besatzung der SEA GHOST – oder welche Möchte auch immer ihren Kurs steuern mochten, schien das nicht zu kümmern. Sie hielt weiter auf die PEARL zu.

Schließlich war die Distanz so gering, dass die Kanonen sie eigentlich nicht hätten verfehlen können. Aber die Kugeln gingen einfach durch sie hindurch. Jane erinnerte sich daran, dass auch auf der PRINCESS MARY Schusswaffen den Geistern nichts hatten anhaben können.

Das Kriegsgeheul wurde lauter, dröhnte in ihrem Kopf, so als wäre dort der Ursprung dieser Stimmen.

Zunächst sah es so aus, als sollte auch die PEARL gerammt werden, aber die SEA GHOST drehte überraschenderweise bei. Seitlich kam sie an die PEARL heran. Eine Enterbrücke wurde heruntergelassen und die lichtumflorten Geisterpiraten kamen an Bord. Einige über die Enterbrücke, andere schwangen sich an Taue hinüber zur PEARL und sogleich begann ein heftiger Kampf. Pistolen krachten, aber sie hatten keinerlei Wirkung. Mit Degen und Entermesser wurde gekämpft. Stahl traf auf etwas, das wohl kein richtiger Stahl mehr sein konnte. Das Klirren der Waffen hallte eigenartig wider.

Schreie und Kampfeslärm waren nun überall zu hören. Die Geisterpiraten schienen unverwundbar zu sein. Die Hiebe gingen einfach durch sie hindurch, ohne dass es irgendeine Folge gehabt hätte. Aber hin und wieder, wenn eine Schlagkombination in Kreuzform erfolgte und ein Degen oder Säbel erst senkrecht und dann waagerecht durch ihre Geisterkörper drang, verblassten sie. Joao erkannte das als erster und schrie es zu den anderen. Manche starben, ehe sie es erkannten, aber nach und nach begriffen immer mehr aus der Mannschaft der PEARL, wie man gegen diese Geister zu kämpfen hatte.

Lord Mornham wurde von mehreren Geisterpiraten gleichzeitig abgedrängt. Sie hieben wild auf ihn ein und er hatte alle Mühe, ihre Schläge zu parieren – denn so körperlos die Angreifer auch waren, wenn man sie mit einer Kugel beschoss, so hart konnten demgegenüber ihre Waffen treffen.

Jane sah den Anführer der Geisterpiraten auf sich zukommen. Er schritt ihr entgegen, einen Degen in der rechten und ein Entermesser in der linken. Sein Blick galt ihr. Er öffnete die Lippen, aus denen dasselbe gespenstische Licht hervordrang, das ansonsten seine gesamte Erscheinung umflorte.

„Komm... mit... mir!“

Jane wich zurück, bis sie hinter sich die Reling auf der Backbordseite spürte.

„Nein!“, rief sie.

Ihr Gegenüber wiederholte seinen Ruf und diesmal dröhnte er so unerträglich in ihrem Kopf, dass sie glaubte, er würde jeden Augenblick zerspringen.

Er trat an sie heran.

Das Entermesser ließ er fallen.

Es löste sich auf, noch ehe es den Boden berührt hatte. Dann ergriff er ihr Handgelenk und ein eisiger Schauder durchfuhr sie. Die Kälte des Todes!, dachte sie. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie bis ins tiefste Innere hinein gefroren wie in diesem Augenblick und ihr war bewusst, was jetzt geschah. Ich sterbe! , dachte sie.

„Komm!“

Der Anführer der Geisterpiraten sah sie mit einem Blick voller Verlangen an. Doch dann durchdrang eine Klinge seinen durchscheinend werdenden Astralleib. Erst in der Senkrechten, dann in der Waagerechten. Lord Mornham hatte sich von seinen Gegnern befreit und nun mit seinem Angriff auf den Captain der SEA GHOST dafür gesorgt, dass dieser transparent wurde und langsam verblasste. Der Ausdruck des Entsetzens zeigte sich auf seinem Gesicht, ehe er verschwand.

*

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Nach und nach wurden die Geisterpiraten von der Besatzung der PEARL niedergekämpft. Die Verbindung zwischen beiden Schiffen wurde gelöst und die SEA GHOST trieb dahin. Nach einer Weile wurde auch das Schiff transparent und verschwand im Nichts.

Aber niemand an Bord der PEARL glaubte, dass die SEA GHOST und ihre Besatzung wirklich vernichtet war.

„Sie waren schon tot, als sie uns enterten“, stellte Lord Mornham fest. „Wie hätten wir sie da wirklich töten können?“

„Dann werden sie wiederkommen und uns erneut

heimsuchen!“, rief Joao und die anderen stimmten ihm zu. Der Portugiese deutete auf Jane. „Zumindest solange sie hier ist, denn es dürfte niemandem entgangen sein, dass der Captain dieses Geisterschiffs ein besonderes, düsteres Interesse an dieser Lady hatte!“

„Von Bord mit ihr!“, rief ein anderer. „Sofort!“

„Nein!“, widersprach Lord Mornham. „Wollt ihr, dass auch sie uns als Widergängerin verfolgt? Wollt Ihr, dass sie genau wie die Besatzung der SEA GHOST keinen Frieden findet und als Irrlichtender Geist Seefahrer ins Unglück stürzt? Ich weiß eine bessere Möglichkeit!“

„Und die wäre?“, fragte Joao.

„Wir sind nur wenige Meilen von der Küste Jamaikas entfernt. Suchen wir eine einsame Bucht und setzen sie dort ab.“

*

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Der Vorschlag wurde akzeptiert. Sollten die Geisterpiraten doch zukünftig die Insel heimsuchen, falls sich die düstere Begierde des Kapitäns der SEA GHOST als unstillbar erweisen sollte.

Etwa eine Stunde nach Mitternacht kam wieder Wind auf. Die PEARL nahm Fahrt auf, sodass die wenigen Meilen bis zur jamaikanischen Küste bis zum Morgengrauen zurückgelegt waren.

Eine Barkasse wurde zu Wasser gelassen.

Lord Mornham ging mit Jane und einigen anderen Besatzungsmitgliedern auf das Boot. Es musste gelost werden, weil sich sonst niemand dafür gefunden hätte. Aber andererseits sahen alle ein, dass es notwendig war, sich von Jane auf diese Weise zu befreien, denn ihr schien ein Fluch anzuhaften. Die Männer ruderten die Barkasse in eine Bucht und landeten dort.

Jane ging an Land. Lord Mornham ebenfalls.

„Lasst uns so schnell wie möglich zurückkehren!“, sagte einer der Männer von der PEARL.

Lord Mornham zog seine Pistole aus dem Gürtel.

„Aber das werde ihr ohne mich tun“, erklärte er. „Ich werde hier an dieser Küste bleiben!“

Die Männer starrten ihn ungläubig an. „Das geht nicht!“, meldete sich einer von ihnen zu Wort. „Ihr seid unentbehrlich!“

„Versucht nicht, mich zu zwingen“, erwiderte Lord Mornham.

„Der erste, der es versucht, ist tot. Mag sein, dass keiner von euch mein nautisches Wissen hat. Gebt euch ein bisschen Mühe, dann werdet ihr die PEARL schon nicht auf Grund setzen.“

*

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Unter den Strahlen der frühen Morgensonne kehrte die Barkasse zur PEARL zurück und Lord Mornham sah ihr einen Augenblick lang nach. Dann legte er den Arm um Janes Schultern. Sie umfasste seinen Hals, zog seinen Kopf zu sich herab und küsste ihn. Zuerst vorsichtig tastend, dann voller Leidenschaft.

„Habt Ihr eine Ahnung, wie weit es bis Port Royal ist?“ fragte sie schließlich atemlos, nachdem sie sich endlich von ihm gelöst hatte.

„Nein, ich habe keine Ahnung.“

„Wo bleiben denn Eure navigatorischen Fähigkeiten?“

„Oh, die sind nach wie vor durchaus vorhanden. Wenn wir der Küste folgen, werden wir irgendwann Port Royal erreichen, das steht fest – genauso, dass es eine Weile dauern wird, bis wir uns bis dahin durchgeschlagen haben!“

„Das macht nichts“, murmelte sie, bevor Lord Mornham sie kurz darauf erneut küsste.

ENDE

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Ein CassiopeiaPress Ebook

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Fluch der Meere

Alfred Bekker und W.A. Hary schrieben als Ashley Parker

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Roman

Ein CassiopeiaPress E-Book Cover: Steve Mayer

(c) 2004, 2005, 2009, 2010, 2014 by Alfred Bekker & Wilfried A. Hary

(c) 2010 und 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Dieser Roman erschien unter gleichem Titel in verschieden ausgestatteten Ausgaben bei den Verlagen Moments/Area, Ullstein, Weltbild und Club Bertelsmann. Eine Komplettlesung als Hörbuch erschien im Action-Verlag.

Alle Rechte vorbehalten.

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Prolog

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Das Königreich England zählte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung kaum mehr als vier Millionen Einwohner. Heutzutage vergleichbar mit einer Stadt wie Frankfurt/Main mit Einzugsgebiet. In Frankreich hingegen lebten zur selben Zeit immerhin zwanzig Millionen. England war mithin ein kleines Land, und es lag für damalige Begriffe sogar am Rand der bewohnten Welt.

Der Aufstieg Englands im Zeitalter von Königin Elisabeth (sie herrschte von 1558 bis 1603), der Tochter vom großen Heinrich VIII., war eng mit der Tatsache verbunden, dass sich die maritime Randlage in Vorzüge zu verwandeln begann. Allerdings nicht von allein. Königin Elisabeth musste es aktiv betreiben. Sie wusste haargenau: Die atlantische Welt war die Welt der Zukunft, doch sie wurde rigoros monopolisiert von der spanischen Handelsschifffahrt - noch!

Ein offener Konflikt mit dem politisch befreundeten Spanien unter König Philipp II. hätte unweigerlich zu ihrem Sturz geführt, denn sie brauchte ihn als Verbündeten gegen das ihr feindlich gesinnte Rom. Genauso wie er sie brauchte, denn England war von enormer Bedeutung für die Sicherung der Verbindungslinien zwischen Spanien und den Niederlanden.

Königin Elisabeth fand einen anderen, höchst inoffiziellen Weg. Unter ihrer Herrschaft wurde dies die hohe Zeit der englischen Freibeuter, die insgeheim das Wohlwollen von Königin Elisabeth ernteten, sofern sie bevorzugt spanische Handelsschiffe überfielen und dadurch deren Majorität untergruben!

Viel später, im zwanzigsten Jahrhundert etwa, hätte man eine solche Vorgehensweise wohl als eine Art "Kalten Krieg" bezeichnet...

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In der Neuen Welt

Im Jahre des Herrn 1564

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Die WITCH BURNING hatte beigedreht. Das Piratenschiff lag nun seitlich neben der SWORD FISH, einem Kriegsschiff Ihrer königlichen Majestät Elizabeth I. von England.

Ein Fallreep verband beide Schiffe. Die Segel waren sowohl auf Seiten der Engländer als auch auf Seiten der Piraten so sehr gerefft, dass beide Schiffe kaum noch Fahrt hatten. Sie dümpelten gemeinsam in Richtung Süden dahin, wo einige Dutzend Seemeilen entfernt die Küste von Darien lag, wie die schmale Landbrücke genannt wurde, die den Atlantik vom Pazifischen Ozean trennte.

Es wehte ein nur lauer Wind aus Westen, der überdies stetig nachgelassen hatte.

Ein Wind, der vom Pazifik her über die Mangrovensümpfe Dariens strich.

Lord Coopers rechte Hand legte sich um den Griff des mächtigen Degens, den der Gesandte seiner jungfräulichen Majestät Elisabeth an der Seite trug.

Er blinzelte gegen die tiefstehende, milchig gewordene Sonne und sah den grinsenden Piratengesichtern entgegen. Grobe Kerle, gekleidet in geraubte Uniformteile und Kleidungsstücke aus aller Herren Länder waren sie. Zusammengewürfelt aus allen europäischen Nationen. Sie waren gut bewaffnet. Degen, Schwerter, Harkebusen, Musketen und Armbrüste sah Lord Cooper.

"Wo bleibst du, Gesandter der jungfräulichen Königin?", rief einer der Männer mit rauer Stimme. "Traust du dich etwa nicht, deine gelackten Schuhe auf die Planken der verfluchten WITCH BURNING zu setzen?"

Ein grölendes Gelächter folgte.

Die wilde Piratenmeute amüsierte sich köstlich.

Lord Cooper nahm das gelassen hin. Er suchte mit den Augen die Reihen der wilden Gesellen ab.

Wo ist sie?, dachte er.

Jeannet...

Die Frau, von der er wusste, dass er sie niemals würde vergessen können. Mochten auch Standesunterschiede und die Staatsräson sie trennen.

"Ihr sucht Eure Piratenanführerin, Sire?", fragte Geoffrey Naismith. Der Zweite Offizier der SWORD FISH hatte die Gedanken seines Kommandanten exakt erraten. "Ihr wundert Euch, dass sie nicht an Deck ist, um Euch zu begrüßen..."

Lord Cooper wandte den Kopf in Naismith' Richtung. Der süffisante Unterton gefiel Cooper nicht. Naismith war feinfühlig genug, um das zu bemerken.

Naismith hob beschwichtigend die Hände.

"Vergebt mir, Sire! Aber Eure Sympathie für die Kommandantin der WITCH BURNING war nicht zu übersehen!"

"Hütet Euch!", knurrte Lord Cooper düster.

Naismith lächelte.

Der Wind frischte etwas auf und wehte ihm das bis über die Schultern reichende gelockte Haar ins Gesicht.

"Missversteht mich nicht! Jeder würde Euch dieses Vergnügen gönnen, selbst wenn es Euch vielleicht mit der Mission im Dienst der jungfräulichen Königin in Konflikt bringen könnte. Trotz der Männerkleidung, die diese junge Frau stets trug, wirkte sie, als wäre darunter einiges zu finden, das Euer Herz vielleicht höher schlagen ließ."

Die Art, mit der sein Zweiter Offizier sich zu äußern wagte, gefiel Lord Cooper ganz und gar nicht. Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten. Aber dies war nun wirklich der schlechteste Zeitpunkt, um einen Ehrenhändel unter Gentlemen auszutragen.

Es ist deine eigene Schuld, ging es ihm durch den Kopf. Du hättest vorsichtiger sein müssen. Außerdem solltest du immer und überall damit rechnen, dass der Hof seine Augen und Ohren selbst hier, weit draußen in den feuchtheißen Gewässern der Neuen Welt hat. Lord Coopers mächtiger Brustkorb hob und senkte sich. Vielleicht ist Naismith Auge und Ohr der Königin oder einer ihrer Schranzen. Wer weiß?, überlegte er. Würde er es sonst wagen, derart selbstbewusst gegenüber seinem Kommandanten aufzutreten?

Einer der Piraten trat an die Reling.

Es war Ben Rider, der Erste Offizier der WITCH BURNING und Jeannets Stellvertreter.

"Warum zögert Ihr, Cooper?", rief er. "Unsere Kommandantin erwartet Euch!"

Naismith hielt ihn zurück.

"Wartet, Sire!"

"Weshalb?"

"Das ist eine Falle!"

"Für Eure Annahme gibt es keinen Anlass! Diese Piraten mögen Euch nicht gefallen, aber Ihr mögt Euch bitte daran erinnern, dass sie Verbündete Englands sind!"

"Von Jeannet ist weit und breit nichts zu sehen, Sire."

"Aye."

"Wahrscheinlich hat dieser Halsabschneider Ben Rider längst das Kommando übernommen und Jeannet den Haien zum Fraß vorgeworfen oder als Sklavin verkauft! Ihr wisst doch, wie käuflich diese Hundesöhne sind! Wenn Ihnen jemand ein paar Golddublonen mehr für ihre Dienste gibt, dann wechseln sie bedenkenlos die Seiten."

Cooper lächelte dünn.

"Jeannet ist eine starke Kommandantin. Ich glaube nicht, dass sie sich so einfach im wahrsten Sinn des Wortes ausbooten lassen würde!"

Cooper trat als erster auf die rutschigen Planken des Fallreeps, das beide Schiffe miteinander verband.

Naismith fluchte vor sich hin und folgte ihm zusammen mit einem halben Dutzend Bewaffneter.

Mehr als dieses Gefolge ließen die Männer der WITCH BURNING allerdings nicht zu.

Die anderen schickten sie mit lautstarken Beschimpfungen zurück. Aber erst auf Coopers Zeichen hin gehorchten sie.

Ben Rider baute sich breitbeinig vor Lord Cooper auf.

Eine Hand umfasste den Degen, der Daumen der anderen klemmte hinter einem breiten Gürtel. Eine Filzklappe bedeckte Riders rechtes Auge. Er blickte abschätzig an Cooper hinunter und spuckte dann aus.

"Bringt mich zum Kapitän!", forderte Cooper.

"Folgt mir, Cooper. Aber Eure Männer bleiben hier an Deck."

Naismiths Hand griff zum Degen.

"Was habe ich Euch gesagt, Sire!", stieß er erregt hervor.

Der Zweite Offizier der SWORD FISH ließ seine Waffe allerdings stecken, als ein halbes Dutzend Harkebusen, Pistolen und Armbrüste plötzlich in seine Richtung zeigten.

"Es ist schon in Ordnung", erklärte Cooper an Naismith gerichtet.

Er nickte Rider zu und folgte ihm unter Deck.

Sie stiegen eine schmale Treppe hinab. Die Bretter knarrten bei jedem Tritt. Anschließend ging es durch einen engen Korridor. Schließlich erreichten sie die Tür zur Offiziersmesse.

Rider klopfte.

"Lord Cooper ist hier!", rief er.

Eine helle, freudig erregte Stimme antwortete.

"Dann mag er hereinkommen!"

Lord Cooper hätte diese Stimme unter tausenden sofort erkannt. Zweifellos gehörte sie niemand anderem als Jeannet Harris, der gefürchtesten Piratin, die je die Gewässer der neuen und der alten Welt befahren hatte.

Die Tür öffnete sich knarrend.

Rider trat zur Seite.

Lord Cooper ging in die Kapitänskabine. Hinter ihm ließ Rider die Tür wieder ins Schloss fallen.

"Jeannet!", stieß Lord Cooper hervor.

Der Anblick, der sich ihm in diesem Augenblick bot, raubte dem großen, breitschultrigen Mann beinahe den Atem. Keine Piratin in Männerkleidern und einem breiten Waffengurt stand vor ihm, sondern eine bildhübsche junge Frau in einem grünweißen, mit kostbaren Stickereien besetzten Kleid, das die vollendeten Formen ihres weiblichen Körpers vorteilhaft betonte. Das rötliche, dichte Haar war kunstvoll aufgesteckt. Wertvolles Geschmeide trug sie um den Hals. Geschmeide, das sie mit Sicherheit spanischen Seglern abgenommen hatte.

Sie lächelte.

"Nun, Lord Cooper, hat es Euch etwa die Sprache verschlagen -—oder erkennt Ihr mich tatsächlich nicht mehr wieder?"

"Nun..."

"Eigentlich hatte ich gedacht, dass unsere letzte Begegnung einen etwas nachhaltigeren Eindruck auf Euch gemacht hätte!"

"Wie könnte ich Euch vergessen, Jeannet!"

"Da bin ich beruhigt! Ich dachte schon, in den langen Monaten, die wir getrennt waren, hättet Ihr Euch Frauen zugewandt, die nicht in Männerkleidern herumlaufen und Musketen abfeuern!" Ihre grünen Augen, die Cooper stets an die Farbe und den Geruch von Seetang erinnert hatten, blitzten herausfordernd.

"Während meiner Passage nach England und der Zeit am Hof habe ich nur an Euch gedacht, Jeannet!"

"Und doch ist Eure Begrüßung viel scheuer und zurückhaltender, als erwartet. Fast so, als hättet Ihr unseren leidenschaftlichen Abschied schon ganz und gar vergessen..."

Cooper schluckte.

Sie trat auf ihn zu, raffte dabei etwas ihr Kleid zusammen. Dennoch raschelte der Saum über die Holzplanken. Amüsiert stellte Cooper dabei fest, dass ihre Füße bloß waren.

Sie drehte sich einmal herum. Das Kleid schwang dabei mit ihr und ergab zusammen mit ihrem schlanken, wohlgeformten Körper ein anmutiges, harmonische Bild. "Das ist die neueste Mode aus Spanien", lachte sie. "So etwas trägt man jetzt in Madrid und Toledo."

"Geraubt von spanischen Galeonen", murmelte Lord Cooper.

"Geraubt im Auftrag der Königin von England", ergänzte Jeannet.

Sie schlang die Arme um seinen Hals. Er fasste sie bei der Taille. Der Geruch von französischem Parfum umgab sie. Es war wie einem Traum.

Er flüsterte zärtlich ihren Namen, sprach ihn mit einem unverwechselbaren Timbre aus, das die junge Frau unwillkürlich schlucken ließ.

"Jeannet..."

"Oh, Donald. Ich bin so froh, dich nach all den langen Monaten endlich wieder zu sehen." Ihr Gesicht wirkte auf einmal sehr ernst. Der Blick ihrer Augen suchte in seinen Zügen nach Spuren jener Liebe, die sie miteinander verband. Existierte das unsichtbare Band zwischen ihnen noch? Diese geradezu unheimliche Anziehungskraft, die sie im Zweifel alles andere vergessen lassen würde? Ja, dachte sie. Es ist noch da!

Sie sah es in seinen Augen, seinem Lächeln, seiner Körperhaltung. In jedem ach so liebgewordenen Detail. Wir sind füreinander bestimmt und daran wird sich nie etwas ändern, dachte sie. Gleichgültig, welche Ozeane uns auch trennen sollten -—mögen sie nun als Salzwasser oder politischen Abgründen bestehen!

In seinen Augen leuchtete jenes unverwechselbare Feuer, jenes lebenshungrige Blitzen, das sie schwach werden ließ, wenn sie nur daran dachte. Ihm gegenüber brauchte sie nicht darauf zu achten, die Autorität zu behalten. Sie konnte sich fallen lassen, schwach sein und doch die Gewissheit haben, dass er dies niemals ausnützen würde.

"Ich habe mich nach Euch gesehnt, Lord Cooper -—oder gestattet Ihr mir, Euch Donald zu nennen?"

Jeannet sprach leise, fast gedämpft.

Sie wollte nicht, dass irgendeiner ihrer Männer etwas von dem mitbekam, was hier gesagt wurde.

Niemanden ging das etwas an.

Niemanden auf der ganzen Welt.

Lord Cooper lächelte.

Jeannet machte sich hin und wieder über die Standesunterschiede zwischen ihnen lustig, indem sie ihn sehr förmlich anredete, obwohl sie ihm in Wahrheit sehr, sehr nahe war. Aber dieser Graben stand nun einmal zwischen ihnen. Sie, die auf die schiefe Bahn geratene Tochter einer im Hexenwahn dahingemordeten Gauklerfamilie, er ein Mann, der sich zum Berater der Königin hochgearbeitet hatte. Sie eine Piratin, er ein Vertreter der Gesetze und der Macht ihrer jungfräulichen königlichen Majestät Elizabeth I. von England. Der Unterschied hätte größer nicht sein, der Graben der Konventionen nicht tiefer.

"Oh, Jeannet, ich habe mich auch so nach euch gesehnt", stieß er hervor.

Ihrer beider Blicke verschmolzen für einige Augenblicke miteinander. Eine sanfte Röte überzog ihr Gesicht. Cooper strich ihr zärtlich eine verirrte Haarsträhne von der Stirn.

Sie standen dicht beieinander. Jeder konnte den bebenden Herzschlag des anderen spüren. Jeannet stellte sich auf die Zehenspitzen, während sich Lord Cooper etwas herabbeugte. Sie spürte den Griff seiner starken Hände in ihrem Rücken.

Ihre Lippen trafen sich mit den seinen zu einem Kuss. Zuerst tastend und vorsichtig, dann fordernder und voller Leidenschaft. Einen Augenblick, von dem Jeannet sich wünschte, er würde ewig anhalten. Ein prickelndes Gefühl überlief ihren Körper. Mein Gott, wie habe ich das nur die ganze Zeit ohne ihn ausgehalten, durchzuckte es sie. Ihre Lippen suchten immer wieder die seinen. Wie ausgehungert fühlte sie sich.

Atemlos lösten sie sich schließlich wieder voneinander.

Cooper nahm sehr zärtlich ihre Hände.

Sie hob die Augenbrauen. Ein strahlendes Lächeln stand in ihrem Gesicht, ihre Augen leuchteten. "Na, wie gefalle ich Euch?", fragte sie. "Ihr habt Euch bisher noch nicht sehr ausführlich dazu geäußert!"

Cooper lächelte mild.

"Ihr seht bezaubernd aus, Jeannet!"

"Ich befürchtete schon, dass Ihr mich längst vergessen hättet. Schließlich gibt es am Hof Ihrer Majestät sicher sehr viel reizvollere Frauen als mich."

"Selbst in Männerkleidern und mit Waffengurt habt Ihr einen reizvolleren Anblick geboten, als manche der Hofdamen von London", erwiderte Cooper.

"Oh, Ihr seid ein Süßholzraspler!"

"Ich spreche die Wahrheit."

Sie lachte auf. "Gewiss!"

"Was ich sehe, hat mich überwältigt, Jeannet. Aber selbst in Lumpen gehüllt würde ich Euch noch voller Bewunderung und Liebe ansehen."

"Ihr seid ein Schmeichler."

"Ich untertreibe eher noch."

"Ach, Donald!"

"Zweifelt Ihr an meinen Worten, Mylady?"

"Jetzt übertreibt Ihr wirklich. Diese Anrede kommt mir nicht zu."

"Sie kommt einer Dame von innerem Adel und äußerer Vollkommenheit zu und das seid Ihr zweifellos."

Sie lachte, halb verlegen, halb vor Glück. "Ich wette, Ihr macht mindestens der Hälfte aller Frauen am Hofe Elizabeths derartige Komplimente."

"Wenn dem so sein sollte, so geschah es stets nur aus taktischen Erwägungen", erwiderte Cooper mit einem leicht spöttischen Lächeln.

Jeannet entzog ihm ihre Hände und stemmte die Arme in gespielter Empörung in die Hüften. Eine Geste, die eher zu der einfachen Gaukler-Tochter als zu dem hochherrschaftlichen Kleid passen wollte.

"Taktische Erwägungen? Was soll das denn heißen?"

"Nun, wenn ich die Männer dieser Frauen als Verbündete in der einen oder anderen Beratung mit Ihrer Majestät benötige, so..."

"...so erzählt Ihr ihnen das Blaue vom Himmel? Lasst sie glauben, dass sie schön und begehrenswert sind?"

Cooper atmete tief durch. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich dabei. "Jeannet, wollen wir uns jetzt wirklich streiten, nachdem wir uns so lange Monate nicht gesehen haben? Im Herzen war ich Euch vollkommen treu..."

"Nur im Herzen?"

"Von ganzer Seele, Jeannet. Warum so misstrauisch? Ist das nicht unserer Liebe unwürdig?"

Sie seufzte. Dann musterte sie ihn von der Seite, strich sich dabei eine verirrte Strähne ihres dichten Rotschopfs aus dem Gesicht.

"Das, was Ihr über Taktik sagtet, hat mich nachdenklich gemacht", meinte sie.

Cooper hob beschwichtigend die Hände.

"Das braucht es nicht, Mylady!"

"Ist es gar auch Taktik, diese Anrede jetzt erneut zu benutzen?"

"Ihr unterschätzt mich, Jeannet."

"Ich hoffe, dass Ihr nicht aus Taktik zum Wohle Englands, sondern aus Liebe zu diesem Treffpunkt gekommen seid, Sir Donald."

"Dessen könnt Ihr sicher sein."

Erneut nahm er Ihre Hände und sie ließ es geschehen.

Er sah an ihr herab. "Ihr seht wirklich bezaubernd aus."

Sie seufzte. "Es ist lange her, dass ich überhaupt ein Kleid getragen und mich derart herausgeputzt habe."

"Zweifellos solltet Ihr es öfter tun."

"Damit meine Männer mich nicht mehr Ernst nehmen? In mir nur eine schwache Frau sehen und nicht ihren Captain, mit dem sie auf Beutejagd gehen?" Sie schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, für das Leben, das ich führe, ist das hier ein sehr unpraktischer Aufzug, den ich nur aus einem einzigen Grund angelegt habe: Um Euch gebührend zu empfangen."

"Dieser Ehre bin ich mir wohl bewusst", lächelte Cooper.

"Gleichwohl ist es ungewohnt. Ihr Männer seid doch darum zu beneiden, dass es Euch möglich ist, gleichzeitig Kleidung zu tragen, die praktisch ist und in denen Ihr den Frauen gefallt."

"Sagt bloß, dieses entzückende Kleid ist Euch unbequem, Jeannet."

Jeannet zog Cooper zu sich heran.

"Vielleicht habt Ihr ja Lust, mich von dieser Bürde zu befreien... Ich habe mich so danach gesehnt, in Euren Armen zu liegen, Sire."

"Jeannet!"

"Warum sollen wir unserer so lange aufgestauten Leidenschaft nicht freien Raum lassen?" Sie löste sich aus Coopers Griff, ging zur Tür und schob den Riegel davor. Dann näherte sie sich ihm wieder. Ein halb herausforderndes, halb sehnsüchtiges Lächeln spielte um ihre vollen Lippen. In ihren Augen glänzte das pure Verlangen. Zu viel Zeit war seit ihrem letzten Abschied vergangen und es stand zu befürchten, dass auch dieses Zusammentreffen nur von kurzer Dauer sein würde. Aber ehe der Abgrund zwischen unseren Welten wieder die Ausmaße eines Ozeans annimmt, möchte ich keinen Augenblick verschwenden, der mir mit diesem Mann geschenkt wird, durchzuckte es sie siedend heiß.

"Ich muss Euch etwas sagen, Jeannet!"

Sie trat an ihn heran, drehte sich herum.

"Helft mir bei diesem verflucht komplizierten Verschlüssen! Ohne eine Zofe vermag sie niemand zu öffnen. Kein Wunder, dass die feinen Damen einen Hofstaat brauchen, der manchmal hunderte von Personen zählt. Nun macht schon und befreit mich, Mylord!"

"Jeannet!"

"Was glaubt Ihr, wie lange sowohl meine als auch Eure Leute unsere Unterredung tolerieren werden, ohne Misstrauen zu schöpfen? Eine Stunde? Zwei Stunden? Oh, Donald, wir haben Dinge zu besprechen, die die hohe Politik und den ewigen Konflikt zwischen Spanien und England betreffen. Da ist eine Beratungszeit von zwei Stunden doch nichts, worüber sich jemand wundern wird."

Cooper fasste sie bei den Schultern und drehte sie herum.

"Ich fürchte, die Männer auf unseren Schiffen wundern sich, was das betrifft, ohnehin über kaum etwas."

Ihre Augen wurden schmal.

"Was soll das heißen, Donald?"

Sein Blick wurde sehr ernst. "Nichts würde ich jetzt lieber tun, als mich ausschließlich unserer Liebe hinzugeben, Jeannet..."

"Was hindert Euch daran?"

Sie sah ihn fragend an. Irgend etwas stand plötzlich zwischen ihnen, das spürte die junge Frau sehr deutlich. Eine unsichtbare Barriere, die es bei ihrem letzten Abschied noch nicht gegeben hatte. Jeannet hatte plötzlich das Gefühl, einen dicken Kloß in ihrem Hals zu haben. Gerade noch hätte sie vor Glück beinahe zerspringen können, jetzt schien ein düsterer Schatten, alles zu verdunkeln.

Sie schob Donalds Hände zur Seite und verschränkte die Arme.

"Was ist los?", fragte sie.

Er sah sie offen an. "Am Hof der Königin hat sich der Wind gedreht", erklärte er nach einer kurzen Pause. "Elizabeth ist jetzt auf Ausgleich mit Spanien aus."

"Ich dachte, sie sähe in Spanien den schlimmsten Feind Englands und jeder Feind der Spanier wäre ihr Verbündeter. Waren das nicht Eure Worte?"

Cooper nickte.

"Ja, das waren meine Worte."

"Dann verstehe ich nicht, was sich geändert haben sollte!"

"England versucht eine Flotte aufzubauen, die in der Lage ist, sich gegen einen Angriff der spanischen Armada zu wehren. Aber das braucht Zeit. Die Regierung Ihrer Majestät plant, die Duldung der Freibeuter in den Gewässern der Neuen Welt und entlang der Passage über den Atlantik aufzuheben."

"Und was will diese ach so mutige Königin damit erreichen? Die Spanier werden sie früher oder später doch angreifen!"

"Früher - oder später. Genau das ist die alles entscheidende Frage, an der sich vielleicht Sieg oder Niederlage entscheiden."

Jeannet hob den Kopf.

"Und jemanden wie mich lässt man dafür über die Klinge springen?"

Cooper nickte.

"Ja", sagte er tonlos. An der Politik seiner Königin gab es in dieser Hinsicht nichts zu beschönigen.

Jeannet hatte genau erfasst, worauf dieses Spiel hinauslief.

Die junge Frau schluckte. Ihr war sofort klar, was das bedeutete. Der Pakt, den Lord Cooper zwischen ihr und der Krone von England geschmiedet hatte, konnte schon in Kürze hinfällig sein.

"Heißt das, wir werden wieder auf verschiedenen Seiten stehen?", fragte sie.

Lord Cooper nickte.

"Ich fürchte ja."

Sie drehte sich herum, blickte durch eines der Fenster hinaus auf die grünblau schimmernde See. Als sie wieder zu sprechen begann, klang ihre Stimme belegt. "Wann wird es dazu kommen?"

"Ich nehme an, dass wir uns bei unserer nächsten Begegnung als Feinde gegenüberstehen, Jeannet!"

Sie schluckte. Mit einem Griff löste sie ihre Frisur und ließ das rotgelockte Haar über die Schultern fallen. Tränen glitzerten in ihre Augen, Tränen des Zorns. "Ich wusste es! Ich wusste es von Anfang an! Die Gräben zwischen uns scheinen so tief zu sein, dass nicht einmal die Liebe sie zu überwinden vermag. Ich bin nur eine dieser auf Piratenschiffen gestrandeten Existenzen, während Ihr eine geachtete Persönlichkeit am Hof der Königin seid! Ihr hättet Euch nie in mich verlieben dürfen!"

"Das solltet Ihr nicht sagen", erwiderte er. Er fasste sie bei den Schultern. Sie versuchte nur halbherzig, sich ihm zu entwinden. Dann schlang sie die Arme um ihn. Sie kamen aus verschiedenen Welten, so schien es. Aus Welten, die für kurze Zeit in Verbindung miteinander getreten waren. Aber diese Verbindung konnte offenbar nicht von Dauer sein.

"Ganz gleich, welche Dokumente die Königin in London mit ihrem Federstrich auch unterzeichnen mag -—ich werde Euch immer lieben, Jeannet", sagte Lord Cooper. "Kein Standesunterschied und keine Staatsräson können daran irgend etwas ändern."

"Ich würde Euch so gerne glauben", sagte Jeannet.

Cooper legte die Arme um ihre Schultern.

"Es wird einen Weg für uns geben", versprach er.

"Es gäbe nichts, was ich mir sehnlicher wünschen würde."

"Warum zweifelt Ihr dann?"

"Haltet mich fest! Wenigstens für diesen Moment!"

Für Augenblicke hatte sie geglaubt, dass Glück in den Händen zu halten. Etwas, das wichtiger war, als alle Schätze, die sie spanischen Schiffen im Verlauf ihrer Piratenkarriere abgenommen hatte. Und jetzt drohte ihr dieses Glück zwischen den Händen zu zerrinnen und sich einfach in Nichts aufzulösen. Oft genug hatte sie in den letzten Jahren lebensgefährlichen Situationen gegenübergestanden. Die See konnte so grausam sein wie die spanischen Conquistadores. Aber Jeannet konnte sich nicht daran erinnern, jemals in dieser Zeit eine Verzweiflung und einen inneren Schmerz empfunden zu haben, der mit dem vergleichbar war, was sie in diesem Moment fühlte.

"Was wird nun aus uns?", fragte sie.

"Es wird schwer werden."

"Schwer?"

Ihre Stimme war belegt. Sie musste sich alle Mühe eben, ihre Tränen zu unterdrücken. In den Jahren als Kapitän der WITCH BURNING hatte sie gelernt, wie man das machte. Zumindest in dieser Hinsicht war sie ein Mann geworden, um von Männern akzeptiert zu werden.

"Wir werden einen Weg finden", versprach Lord Cooper. "Einen Weg, sodass wir..."

"...zusammenbleiben können und eine gemeinsame Zukunft haben?", unterbrach sie ihn voller Bitterkeit. "Meine Eltern wurden der Hexerei bezichtigt und deshalb von Soldaten umgebracht, weil ihr kommandierender Lord nicht den Mut hatte, sich dem Pöbel entgegenzustellen. Und mich verdächtigt man ja auch mitunter der Zuhilfenahme übernatürlicher Mittel. Dabei verfüge ich über nichts weiter, als einen wachen Verstand und zwei gesunde Hände, die allerdings einen Degen zu führen wissen. Ich kann nicht hexen, Mylord -—könnt Ihr es? Aber einen anderen Weg sehe ich für uns nicht."

"Doch, es gibt einen. Doch darüber reden wir später. Zunächst gib deinen Männern den Befehl, vor der Küste des Isthmus vor Anker zu gehen."

Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Gesicht bekam einen trotzigen Ausdruck. "Du willst ein paar schöne Tage mit mir genießen, während deine Männer die Trinkwasservorräte der SWORD FISH auffrischen", stellte sie fest. "Und dann werden wir uns trennen. Du bist wieder ein rechtschaffener Diener deiner Königin, ich eine Gesetzlose, die kein Pardon verdient."

"Jeannet!", unterbrach Cooper sie tadelnd.

"Ist es denn nicht die Wahrheit? Jetzt werdet Ihr mir irgendwelche Depeschen Ihrer Majestät überreichen, aber beim nächsten Zusammentreffen wärt Ihr verpflichtet, mich in Ketten nach England zu schaffen!"

"Wir werden einen Weg finden", versprach Lord Cooper. Er nahm die etwas widerstrebende Jeannet in den Arm. Zuerst wollte sie ihn von sich stoßen, doch dann schmiegte sie sich an ihn, legte ihren Kopf an seine breite Schulter. Er strich ihr sanft über das Haar. Hatte ich es bisher nicht schwer genug?, dachte die junge Frau dabei. Habe ich nicht auch Anrecht auf etwas Glück? Aber kaum hat man es gefunden, da zerrinnt einem alles zwischen den Händen.

Es schien keine Gerechtigkeit zu geben.

Jedenfalls nicht für Menschen wie sie, die nicht in die höheren Schichten der Gesellschaft hineingeboren worden waren.

Was beklagst du dich?, meldete sich eine andere Stimme in ihr, weit hinten aus ihrem Hinterkopf, während sie weiterhin die Berührungen ihres Geliebten Sir Donald Cooper genoss. Du hast das Glück immerhin kennengelernt, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber ist das nichts? Du hättest auch als armselige Bettlerin in der Gosse einer englischen Hafenstadt enden können. Aber stattdessen bist du eine reiche Frau, die sich von niemandem Vorschriften machen zu lassen braucht und hast sogar etwas erfahren, wovon du geglaubt hast, dass es so etwas für eine wie dich nicht geben könnte. Liebe. Ist das nichts? Ist das nicht mehr, als vielen anderen zuteil wird?

Aber diese Stimme blieb schwach und verhalten.

Alles in Jeannet sträubte sich dagegen, sich mit der Situation zufrieden zu geben.

"Ich frage mich, ob die mächtigen und gekrönten Häupter eigentlich wissen, was so mancher Federstrich von ihnen für so viele Menschen bedeutet", murmelte Jeannet. "Wie er das Glück von Menschen begründen oder zerstören kann."

"Nein, diese gekrönten Häupter ahnen davon nicht einmal etwas", sagte Donald. "Sie leben isoliert in einer Scheinwelt, die durch die Intrigen von Höflingen bestimmt wird. Eine Welt, die nichts mit der Wirklichkeit des gemeinen Volkes zu tun hat."

"Warum muss das so sein?"

"Oh, Jeannet, ich weiß nicht, ob das wirklich so sein muss. Aber es ist nunmal die Ordnung, in der wir leben. Der Einzelne hat kaum eine Möglichkeit, sich dagegen aufzulehnen."

"Für dich mag das gelten, Donald..."

"Für dich nicht?"

"Ich bin Freibeuterin. Für mich gilt nur meine eigene Ordnung und der Ehrenkodex der Piraten. Aber es wird nie wieder ein Gesetz oder eine Herrschaft geben, unter deren Willen ich mich zwingen lasse. Nie wieder!"

...und doch wirst du trotzdem dein Glück nicht erringen können, ging es ihr gleichzeitig durch den Kopf. Was konnte sie tun? Den Augenblick nutzen, das Glück, das sie in Anwesenheit Sir Donalds empfand, festhalten, solange es nur irgend möglich war? Vielleicht ist das alles, was dir bleibt..., überlegte sie. Eine bittere Erkenntnis.

Durch die Tür hindurch ertönte jetzt die Stimme von Ben Rider, dem Ersten Offizier der WITCH BURNING.

"Kapitän? Eure Beratungen ziehen sich hin! Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten, bei denen Ihr der Unterstützung bedürft?"

Ein Lächeln umspielte Jeannets Gesicht. Ein Lächeln, in dem sich Glück und Bitterkeit mischten. Aber das Glück überwog. Dieser Augenblick überwog. "Unterstützung? Die brauche ich im Augenblick gewiss nicht!", sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Donald einen zärtlichen Kuss. Mit blitzenden Augen fügte sie dann noch hinzu: "Wir kommen mit unseren Verhandlungen sehr gut voran, Rider!"

"Wie Ihr meint, Kapitän!"

"Bereitet alles vor, um vor der Küste Dariens vor Anker zu gehen! Wir werden uns einen Küstenabschnitt suchen, an dem sich gut landen lässt und wo es keine Mangrovensümpfe gibt!" 

"Aye, Kapitän!"

"Wir könnten unsere Vorräte an Trinkwasser und Nahrungsmitteln gut und gerne wieder auffrischen. Schließlich will ich nicht, dass sich Skorbut ausbreitet!" 

Ben Rider zögerte mit seiner Antwort.

Schließlich brachte er einen Einwand vor: "Solange wir mit der SWORD FISH verbunden sind, dürfte das unmöglich sein!"

Jetzt mischte sich Sir Donald in das Gespräch ein.

"Wir haben die Aufnahme von Wasser und Vorräten mindestens ebenso nötig wie eurer Schiff!", rief er. "Holt mir meinen Zweiten Offizier her, damit er meine Befehle entgegennehmen kann!"

"Das ist im übrigen auch mein Wunsch!", setzte Jeannet noch hinzu.

"Ihr seid der Kapitän, Jeannet Witch! Und für Euch werde ich sogar zum Lakaien eines Beraters der Königin!"

"Vergiss niemals, wer der Kapitän ist und mit wem dir das Beuteglück bisher treu geblieben ist, Ben! Aber dafür vergiss deine Förmlichkeit und nenn mich Jeannet, wie sonst auch! Es besteht keine Notwendigkeit, höflicher zu sein als der Hof!" Vor der Tür waren Riders Schritte zu hören, der feste, schwere Tritt seiner Stiefel. Jeannet schlang die Arme um den Hals ihres Geliebten und hauchte: "Meinst du nicht auch, Donald?"

"Ja."

"Oder besteht Ihr darauf, dass ich Euch Mylord nenne, Sir Donald?"

Er lächelte mild.

"Ich fürchte, mein Stand verbietet es mir, eine andere Anrede zu akzeptieren, Mylady!"

Schritte waren vor der Tür zu hören.

Es klopfte.

"Hier spricht Naismith, Zweiter Offizier der SWORD FISH", meldete sich eine sonore Stimme. Schweren Herzens löste sich Donald von seiner geliebten Jeannet. Er ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Er sah Naismith streng in die Augen. "Die Verhandlungen werden sich hier noch etwas hinziehen, Naismith."

"Wie Sie meinen, Sire!"

"Lösen Sie die SWORD FISH von der WITCH BURNING und suchen Sie dann einen gemeinsamen Ankerplatz an der darischen Küste. Sie wissen ja selbst, wie es nach der langen Überfahrt um unsere Vorräte bestellt ist."

Es war Naismith anzusehen, wie sehr er das Verhalten seines Kommandanten missbilligte.

Aber er enthielt sich einer Bemerkung.

Naismith ersuchte, einen Blick ins Innere der Kabine zu zu erhaschen. Aber von der berühmt-berüchtigten Piratenkapitänin war nirgends etwas zu sehen. Jeannet hatte sich mit Bedacht in die Ecke rechts der Tür gestellt, um auf keinen Fall ins Blickfeld zu geraten.

Donald bemerkte den neugierigen Blick seines Zweiten Offiziers und sagte: "Ich denke, Ihr möchtet so wenig wie ich riskieren, dass unsere Leute meutern, weil sie nur noch verdorbenen Zwieback zwischen die vom Skorbut verfaulten Zähne bekommen!"

"Natürlich nicht!"

Damit wandte sich Naismith herum und stapfte mit schweren, geräuschvollen Schritten davon.

Donald verschloss sorgfältig die Tür.

"Ich muss verrückt sein, dieses Risiko immer wieder einzugehen", sagte er dann. "Was glaubst du, was geschehen würde, wenn meine Leute herausbekämen, dass ich ganz andere Dinge im Kopf habe, als irgendwelche Botschaften Ihrer Majestät, wenn ich mit dir verhandele..."

"Deine Männer werden das längst ahnen, Donald!"

"Aber sollten sie es wissen, könnte mich das die Position, vielleicht sogar den Kopf kosten!"

"Glaubst du, mir würde es besser ergehen?"

"Wir scheinen beide einem Wahn verfallen zu sein, Jeannet."

"Einem Wahn, den wir glücklicherweise teilen." Sie schmiegte sich erneut an ihn. Er zögerte einen Augenblick, ehe er sie ergriff und seine kräftigen Arme um ihren Rücken legte.

Donald fragte sich, ob er im Zweifelsfall wirklich bereit gewesen wäre, alles für sie aufzugeben, alles, was er errichtet hatte, nicht nur aufs Spiel zu setzen -—das hatte er längst getan -—, sondern wegzuwerfen.

Verworrene Gedanken rasten ihm durch den Kopf.

Gefühle, die so heftig waren, das sie ihn in einem wahren Strudel einfach mitzureißen drohten.

Erneut vereinigten sich ihre Lippen zu einem heftigen, leidenschaftlichen Kuss. Dann hob Sir Donald seine Jeannet hoch. Sie schmiegte sich gegen ihn und ließ es geschehen. Es gab niemanden sonst auf der Welt, dem sie das gestattet hätte! Aber wenn die kräftigen Arme dieses großen Mannes sie emporhoben, so geschah das mit einer Selbstverständlichkeit, gegen die sich einfach nichts einwenden ließ. Es war etwas, das einfach geschehen musste. Jeannet hatte das Gefühl, ein Schiff zu sein, dass von einer mächtigen Meeresströmung mit sich gerissen wurde. Es gab kein Halten. Keine Rückkehr, kein Wenden in letzter Sekunde. Die Kraft, die in diesem Strom lag, war einfach zu groß.

Sir Donald Cooper trat mit Jeannet auf den Armen an das Bett heran, in dem der Kapitän der WITCH BURNING zu nächtigen pflegte.

Eine Koje, die -—gemessen an den Verhältnissen an Land -—recht eng war. Gemessen an dem, was Seeleuten an Bord eines Schiffes für gewöhnlich zustand, wo jeder Quadratmeter kostbar war, handelte sich um ein großzügiges Lager.

Sie sah ihn voller Liebe an.

Ihre Augen strahlten.

Ein leidenschaftliches Feuer glänzte in ihnen.

"Helft Ihr mir jetzt aus meinem Kleid, Sir Donald? Oder wollt Ihr einer Dame die Hilfe verweigern?"

Er lächelte.

Scheuchte die düsteren Gedanken an die Zukunft oder das diplomatische Ränkespiel bei Hofe davon. Der Augenblick zählte jetzt. Sonst nichts. Nicht die Vergangenheit und nicht die Zukunft, nicht der Rang und nicht die Standesposition oder die politische Vernunft. Und selbst der Gedanke an die Gefahr, dass jemand wie Geoffrey Naismith sich seine eigenen Gedanken machte, sich vielleicht das eine oder andere zusammenreimte und ihn bei Hofe des Verrats anklagte, um eigene Vorteile daraus zu ziehen, machte ihm in diesem Moment keine Sorgen mehr.

"Einer Dame würde ich die Hilfe niemals verweigern", sagte er. "Vorausgesetzt, diese Dame hat nicht mehr die Absicht, mich umzubringen -—so wie es bei unserer ersten Begegnung der Fall war!"

"Oh, Donald! Werdet Ihr mir das ewig nachtragen?"

"Keineswegs. Ich bin die Gefahr gewohnt. Bei Hofe lauert ständig irgendwo ein Dolch im Rücken, auch wenn er nicht immer aus blankem Stahl bestehen mag, sondern zumeist aus irgendeiner Intrige, die allerdings ebenso tödlich sein kann."

Sie seufzte, drehte sich herum, während Donald die Verschlüsse ihres Kleides  zu lösen begann.

"Ich werde den Augenblick nie vergessen, als ich dich zum ersten Mal sah, Donald. Damals, zwei Jahre ist es her... Ihr hattet unser Schiff aufgebracht, nachdem wir gerade eine spanische Galeone gekapert und im Schlepptau hatten. Ich sah dich an Deck, der Wind in deinen Haaren, das Glitzern in deinen Augen..."

"Das alles hat dich nicht davon abgehalten, mir den Dolch an den Hals zu setzen, als ich Euch im Namen Ihrer Majestät Elizabeth ein sehr großzügiges Angebot zu unterbreiten versuchte."

"Du wirst es mir also doch ewig nachtragen?"

"Gewiss!"

"Ich bin eine Piratin, aber so rachsüchtig bin ich nicht."

Donald lachte.

"Touché, Jeannet. Wie man sieht, weißt du auch mit Worten zu fechten -—und nicht nur mit dem Degen."

"Vielleicht widmet Ihr diesem Gefecht nicht die nötige Aufmerksamkeit, weil Euch etwas anderes ablenkt, hochwohlgeborener Lord", meinte Jeannet mit wohlwollendem Spott.

Lord Cooper richtete sich auf.

Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich, während er tief durchatmete.

"Bei allen Heiligen, wie bist du nur in dieses Kleid hineingekommen, Jeannet! Man könnte meinen, du seist darin geboren worden!"

"Hatte ich deine Fingerfertigkeit überschätzt? Gilt sie nur für den Umgang mit dem Degen und den Federstrich unter Regierungsdokumenten?" Und in gespielter Förmlichkeit fügte Sie hinzu: "Mylord, Ihr foltert mich, indem ihr mich warten lasst!"

Donald lachte.

"Das ist nichts gegen die Folter, dich über Monate hinweg nicht sehen zu können, aber dein Bild, deine anmutige Gestalt, dein Lächeln und das Blitzen  in deinen Augen ständig im Geiste vor sich zusehen!"

"Diese Folter teilen wir! Aber jetzt mach der anderen ein Ende!"

"Euer Wunsch ist mir Befehl, Mylady! Und da ich weder mit Worten noch mit den Händen geschickt genug bin, um Euch Paroli zu bieten, bleibt nur eine Möglichkeit!"

Er griff an die Seite, zog den mächtigen Dolch heraus, den er zusätzlich zum Degen am Gürtel trug und schnitt damit die Verschlüsse des Kleides auf. Mit großer Vorsicht ging Lord Cooper zu Werk, um Jeannet mit dem scharfen Dolch nur nicht zu verletzen.

"Das letzte Mal hast du zur Klinge gegriffen, jetzt bin ich es", stellte sie fest.

"Quitt sind wir deshalb nicht", wandte er ein.

Jeannet ließ das Kleid von den Schultern gleiten.

Nichts konnte jetzt noch ihre Leidenschaft bremsen.

Sie drehte sich zu ihm herum, schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich auf das Lager. Der Dolch fiel zu Boden. Ihre Lippen fanden sich und wenig später landete auch die breite Lederschärpe, die den Degen hielt neben dem Bett.

"Donald...", hauchte sie. "Wie lange habe ich darauf warten müssen..."

"Ich weiß."

Nur der nötigsten Kleider entledigten sie sich. Jeannet fühlte seine Hände über ihre Haut gleiten, den Hals entlang, die Schulter, dann tiefer. Zu gerne hätte sie diese starken und doch zärtlichen Hände überall zugleich spürt. Ihr gesamter Körper vibrierte. Ein Gefühl wie ein Fieber. Rauschhaft und hemmungslos. Als sich ihre Körper endlich vereinten, hätte sie am liebsten aufgeschrien vor Lust. Aber sie biss sich auf die Lippen. Schließlich wollte sie ihren Männern gegenüber nicht als schwache Frau erscheinen, die sich dem Gesandten Ihrer Majestät luststöhnend ergab, anstatt ihm zum Teufel zu jagen, wenn er schlechte Nachrichten zu überbringen hatte!

Sie presste ihre Lippen aufeinander. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn. Donalds Hand fuhr durch ihr Haar. Von ihrer Frisur würde nichts bleiben, als eine völlig zerzauste Mähne. Ihre stürmische Vereinigung strebte einem ersten, wilden Höhepunkt entgegen, ehe sie seufzend zurücksanken und erst langsam wieder zu Atem kamen.

"Sei ehrlich: Ist diese Art des Nahkampf nicht viel besser all das, was du auf den rutschigen Planken geenterter Schiffe erlebt hast?", fragte Donald.

"Touché, Mylord!"

Seine Hand strich sanft über ihre Haut und löschte auf wohlige Weise die letzten Reste des fiebrigen Feuers, das ihren Körper und ihre Seele gleichermaßen in Besitz genommen hatte.

In diesen raren Momenten erschienen ihr die Gedanken an die Zukunft ganz weit weg zu sein. Verborgen hinter fernen Nebeln. Nichts wünschte sich Jeannet so sehr, als das Glück dieses Augenblicks festhalten zu können. Ein Leben lang und über den Tod hinaus. Ihr Verstand wusste, dass die Wirklichkeit anders war. Aber daran mochte sie im Moment nicht denken. Jetzt, in diesem wunderbaren Augenblick des Glücks zählte nur dieser herzerfüllende Traum.

Sonst nichts.

Konnte nicht auch ein Augenblick eine Ewigkeit sein?

Es widerstrebte Jeannet zutiefst, sich damit wahrscheinlich begnügen zu müssen.

Als Piratin war sie es inzwischen gewohnt, sich zu nehmen, was sie wollte und nicht darauf zu warten, dass ein mehr oder weniger gnädiges Schicksal ihr etwas zu teilte.

Sie schmiegte sich an ihn, spürte die Berührung seiner kräftigen Hand auf ihren Rücken. Ein prickelnder, kribbelnder Schauder von nie gekannter Intensität überlief von dort aus ihrem gesamten Körper. Sie hatte in diesem Moment nur den einen Wunsch, sich ganz diesen Empfindungen hinzugeben, sich darin zu verlieren. Alles andere schien ihr bedeutungslos zu sein. Nur einen kurzen Moment erschreckte sie der Gedanke daran, wie schwach und verletzlich sie jetzt, da sie diese Gefühle zuließ, war. Aber das war wohl unvermeidlich. Die Alternative wäre gewesen, ganz darauf zu verzichten.

Und das wollte sie nicht.

Um keinen Preis der Welt.

Erneut fühlte sie Lust in sich aufkeimen.

Ihr Hunger nach Liebe, nach Zärtlichkeit und Berührung war noch keineswegs gesättigt. Ganz im Gegenteil! Sie hatte das Gefühl, jetzt, in diesem raren Augenblick alles das in Erfüllung gehen zu lassen, was an geheimen Wünschen in ihr geschlummert hatte. Wer konnte schon sagen, ob es noch eine weitere Chance dafür geben würde?

Wenn man nach Donalds Worten ging, so sah es düster für die Zukunft aus.

Jeannet schluckte kurz.

Jeden Gedanken an die Zukunft verbot sie sich jetzt, um den Augenblick nicht damit zu vergiften.

Sie hob den Kopf.

Strich das wirre rote Haar aus dem Gesicht. Der Blick ihrer grünen Augen verschmolz mit den seinen.

"Ich liebe dich", sagte sie. "Und daran wird sich in alle Zukunft nichts ändern."

*

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"Ich hoffe, Eure Beratungen haben Euch nicht über Gebühr angestrengt, Sire", sagte Geoffrey Naismith mit ziemlich süffisantem Unterton, als sein Kommandant wieder an Deck erschien.

Lord Cooper hatte peinlich genau darauf geachtet, dass seine Kleidung nicht zu derangiert erschien. Seine Hand ruhte am Griff des Degens. Er sog die nach Salz und Seetang riechende Luft ein und blickte hinauf auf das glitzernde Meer.

Naismith trat an Lord Cooper heran, nachdem er den Blick über die wilde Piratenmeute hatte schweifen lassen. "Sir, es stellt niemand in Frage, dass wir Vorräte aufnehmen müssen und dass vor allem das Trinkwasser nach der langen Überfahrt ziemlich knapp geworden ist."

"Eine richtige Feststellung", unterbrach Lord Cooper seinen zweiten Offizier.

"Aber das wir ausgerechnet die Gesellschaft dieser dahergelaufenen Bande von Halsabschneidern brauchen, um unsere Vorräte aufzufrischen, will mir einfach nicht einleuchten!"

"Das braucht es auch nicht, Naismith!"

"Ach, nein?"

"Es reicht völlig, wenn Ihr meine Befehle befolgt. Für das Denken bin ich zuständig. Denn schließlich befehlige ich diese Mission -—und nicht Ihr, auch wenn Eure Zeit in dieser Hinsicht sicher noch kommen wird!"

Naismith lächelte säuerlich.

"Es freut mich, dass Ihr meine Fähigkeiten doch zu schätzen wisst."

"Habt Ihr daran gezweifelt?"

"Man zweifelt an manchem, wenn einem diese verfluchte tropische Sonne auf das Haupt scheint. Das geht nicht nur mir so, Lord Cooper!"

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich.

Ich werde auf ihn aufpassen müssen, dachte Donald.

Beide Schiffe hatten sich voneinander gelöst und dümpelten weiter auf die Küste zu. Die Segel hingen schlaff herab. Es herrschte Flaute.

"Offenbar habt Ihr ja meine Befehle ordnungsgemäß überbracht", stellte Cooper fest. "Allerdings frage ich mich, warum Ihr hier an Bord der WITCH BURNING weilt, und nicht auf der SWORD FISH, um die Durchführung meiner Anweisungen zu überwachen?"

"Ich war um Eure Sicherheit besorgt. Der Erste Offizier teilt im übrigen meine Sorge. Schließlich wart Ihr allein mit einer kriminellen Person, die zu allem fähig ist."

"Seit wann haltet Ihr mich für einen wehrlosen Zwerg, Naismith?"

"Ein Zwerg seid Ihr gewiss nicht, Lord Cooper. Aber wehrlos werden auch nicht nur Zwerge..."

Lord Cooper überhörte die Anspielung geflissentlich. Er bemerkte, dass Ben Rider ihn beobachtete. Der Stellvertreter der Piratenkapitänin hatte ihn immer im Argwohn betrachtet. Auch jetzt drückte sein Blick tiefe Skepsis aus. Auch auf ihn werde ich achten müssen, erkannte Donald.

Ein Küstenabschnitt tauchte am Horizont auf. Aber beim gegenwärtigen Tempo würde es wohl noch Stunden dauern, bis sich beide Schiffe weit genug genähert hatten, um zu ankern und Barkassen zu Wasser lassen zu können.

Eine Vielzahl von Gedanken schossen Donald durch den Kopf, während er dem Land entgegen blinzelte.

Ein paar Tage würde die Aufnahme von Nahrungsmitteln und Trinkwasser schon in Anspruch nehmen. Die Besatzungen beider Schiffe würden an Land gehen, Tiere erjagen und saubere Wasserquellen suchen müssen. Außerdem mussten essbare Früchte und Beeren gesammelt werden.

Noch war die Neue Welt zum Großteil ein unbekanntes Land.

Eine Terra Inkognita, von der nur Bruchstücke bekannt waren.

Und diese Bruchstücke gehörten den Spaniern, die die einheimischen Indio-Herrscher auf ihrer Suche nach Gold niedergemacht hatten.

Lord Cooper trat neben Ben Rider, der seinem Blick auswich.

"Spanier müsste man sein, findet Ihr nicht?", fragte Cooper.

"Ich weiß nicht, was Ihr meint, Lord Cooper", behauptete er.

"Nun, ganz einfach: Wären wir Spanier, könnten wir einen der Häfen anlaufen, die von ihnen inzwischen gegründet wurden."

"Häfen?", lachte Rider. "Ich glaube, Ihr stellt Euch das etwas zu großartig vor. Ein paar Rattennester mit verlausten Siedlern und eifrigen Jesuitenmönchen, die aus Indios fromme Christen zu machen versuchen.

"Wie auch immer..."

"Worum ging es bei Eurer Beratung mit Jeannet?", fragte Rider jetzt unverblümt.

"Das wird Euch Euer Kapitän zu gegebener Zeit sagen."

"Es geht mich genauso an wie jeden anderen auf dem Schiff."

"Vertraut Ihr Eurem Kapitän nicht, Ben Rider?"

"Gewiss tu ich das!"

"Dann weiß ich nicht, was Euer Misstrauen soll."

"Das ist kein Misstrauen", korrigierte Rider.

Cooper hob die Augenbrauen. "So? Was denn dann?"

"Vorsicht. Und die ist ja wohl angebracht, wann immer man einem Vertreter Ihrer Majestät Elizabeth begegnet."

"Ihr habt einen bestimmten Grund Euer ehemaliges Heimatland zu hassen?", fragte Cooper.

"Nicht mein Heimatland."

"Sondern?"

"Ich werde mit Euch nicht weiter darüber reden, Lord Cooper. Ihr würdet es nicht verstehen."

Lord Donald Cooper zuckte die breiten Schultern.

"Wie Ihr meint, Ben Rider."

*

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Jeannet lag in den Kissen und seufzte. Sie schloss einen Augenblick lang die Augen. Es musste ein Traum gewesen sein, was sie soeben erlebt hatte. Ein paradiesischer Traum von Glück und Liebe. Viel zu schnell war dieser Rausch vergangen.

Lord Cooper hatte die Kabine der Kapitänin verlassen, aber Jeannet kam es so vor, als wäre er immer noch anwesend.

Natürlich könnte er seine Privilegien als Berater der Königin und Befehlshaber eines englischen Kriegsschiffes einfach aufgeben, auf die WITCH BURNING kommen und...

Nein, das waren Illusionen.

Die Vernunft sagte ihr, dass es nicht den Hauch einer Chance für diesen Gang des Schicksals gab.

Erstens konnte sie von Lord Cooper unmöglich erwarten, dass er sein ganzes Leben, alles wofür er hart gearbeitet hatte und woran er glaubte, einfach aufgab. Und das nur, um einer Piratin zu folgen, die sich letztlich nur im Umfang der Beute vom Räubergesindel in den finsteren Gassen Londons unterschied.

Sie hatte keine andere Wahl gehabt, als Piratin zu werden. Es war für Jeannet eine Chance gewesen, dem Elend zu entkommen. Dem Elend einer Waisen, deren Eltern von einem Haufen Marodeure und dahergelaufenem Mob grausam ermordet worden waren, weil man sie der Hexerei beschuldigt hatte.

Aber Donald standen alle Möglichkeiten offen.

Er hatte es ganz nach oben geschafft.

Der Tod Heinrichs VIII. und die Thronbesteigung seiner Tochter Elizabeth, die ihr Volk angeblich so sehr liebte, dass in ihrem Herzen kein Platz mehr für die profane Liebe zu einem Mann war, hatte Donald mit empor auf die höchsten Gipfel der Macht gehoben. Höher als er konnte ein Mann, der dem bürgerlichen Stand entstammte, nicht kommen. Gleichgültig, welche Fähigkeiten ihm eigen sein mochten.

Aber selbst wenn Donald dazu bereit gewesen wäre, all dies für seine Jeannet aufzugeben, so wäre ein Scheitern ihrer Liebe vorprogrammiert gewesen.

Jeannet war lange genug Piratin, um zu wissen, welche Kräfte innerhalb einer Schiffsmannschaft frei werden konnten. Kräfte, die auch der beste, härteste und erfolgreichste Kapitän letztlich nicht unter Kontrolle halten konnte. Die Mannschaft würde es nicht akzeptieren, wenn Donald an meiner Seite wäre, erkannte ihr Verstand. Das lag vollkommen klar auf der Hand. Männer wie Ben Rider -—aber auch andere!  -—hätten sich in ihrem Rang innerhalb der Mannschaft bedroht gefühlt und zur Gegenwehr gegriffen.

Meuterei wäre die Folge gewesen.

Ein schöner Traum, der nicht von Dauer sein wird -—das ist unsere Liebe, dachte Jeannet.

Sie schlug das Bett zur Seite, erhob sich und streckte sich.

Die Kapitänin hörte den Ausguck rufen.

Es wurde alles klar gemacht zum Ankern.

Offenbar hatten die WITCH BURNING und die SWORD FISH die nahe Küste Dariens inzwischen erreicht. Der goldene Isthmus, so wurde das Gebiet zwischen den beiden großen Ozeanen dieser Welt auch genannt. Jeannet zog sich rasch eine enganliegende Hose und ein Hemd an. Männersachen. Außerdem hängte sie sich die Lederschärpe mit ihrem Decken um und knotete das Haar zusammen.

Dann ging sie an Deck.

Lord Cooper stand zusammen mit seinem Zweiten Offizier Naismith am Bug. Jeannet kannte Naismith von vorherigen Treffen mit der SWORD FISH. Sie hatte ihn nie gemocht -—er sie umgekehrt wohl auch nicht. Jeannet hatte immer das Gefühl gehabt, dass dieser Mann mit dem eiskalten Blick in ihr Innerstes sehen konnte. Dass er genau wusste, was zwischen ihr und Lord Cooper vor sich ging. Sie hatte sich immer wieder gesagt, dass es wahrscheinlich nur ihre eigene Furcht war, die sie zu dieser Annahme getrieben hatte.

Andererseits hatte Jeannet ein ziemlich gutes Gespür für das entwickelt, was ein Mensch an verborgenen Beweggründen so mit sich herumtrug. Anders hätte sie sich niemals an der Spitze ihrer Piratenmannschaft halten können. Ein derartiges Gespür war dafür ebenso überlebensnotwendig wie das Kaperglück.

Die WITCH BURNING hatte geankert.

Die SWORD FISH ankerte nur wenige hundert Yards entfernt.

An beiden Schiffen hingen die Segel jetzt ziemlich schlaff von den Masten.

Wahrscheinlich war es eher einer verborgenen Meeresströmung als dem Wind zu verdanken, dass sie die Küste noch vor Einbruch der Dunkelheit erreicht hatten.

Jeannets Blick ging kurz hinüber zum Land.

Es würde ihnen allen gut tun, mal wieder festen Boden statt der rutschigen Planken eines Piratenschiffs unter den Füßen zu spüren.

Einen kurzen Moment nur blieb ihr Blick an Lord Coopers breitem Rücken haften.

Ein wohliger Schauder erfasste sie bei dem Gedanken an das Geschehene und die Erinnerung ließ neue Lust, neues Begehren in ihr aufkeimen.

Zügele dich! Lass nicht zu, dass man dir deine Gefühle an der Nasenspitze ansieht!, durchzuckte es sie.

Und doch konnte sie nicht anders.

Sie sah erneut zu Lord Cooper hin.

Er drehte sich herum, schenkte ihr sein unnachahmliches Lächeln.

"Sollen wir die Boote zu Wasser lassen?", fragte Joao, ein entlaufener portugiesischer Sträfling, den eine wechselvolle Lebensgeschichte auf Jeannets WITCH BURNING verschlagen hatte.

"Ja, tut dies!", rief Jeannet. "Ich brauche zehn Mann, die eine Muskete benutzen können und sich am Ufer etwas umsehen! Und wenn möglich, sollte es einen Braten geben!"

Ihre Befehle wurden weitergegeben.

Das erste Beiboot wurde zu Wasser gelassen.

Lord Cooper wandte sich zu ihr herum.

"Werdet Ihr auch an Land gehen, Jeannet WITCH?"

"Nun, Mylord, wenn ihr Euch traut, mit mir zusammen auf einem Beiboot zu weilen, dann dann könnten wir gemeinsam an Land setzen!" Sie lachte hell. Ihr Blick glitt zur Seite in Richtung von Naismith. "Aber Ihr habt Euren Schatten, der auf Euch Acht gibt!"

"So wie Ihr!", erwiderte Cooper seinerseits mit Blick auf Ben Rider.

Ein weiteres Beiboot wurde zu Wasser gelassen.

Sowohl Jeannet als auch Lord Cooper stiegen an Bord der Barkasse. Ben Rider und Geoffrey Naismith waren ebenfalls mit von der Partie, außerdem noch etwa ein Dutzend weiterer Piraten. Alle schwer bewaffnet. Schließlich wusste niemand, ob sie sich nicht unwissentlich im Herrschaftsbereich eines kriegerischen Indio-Kaziken befanden.

Jeannet beobachtete, dass auch von der SWORD FISH Beiboote zu Wasser gelassen wurden.

Das Schiff des Lordberaters Ihrer Majestät ankerte etwas näher am Ufer, sodass Coopers Männer den Strand früher erreichen würden als die Piraten.

Zwischendurch trafen sich immer wieder fast verstohlen die Blicke der beiden Kommandanten. Blicke, die mehr sagten, als tausend Worte. Blicke, in denen die Erinnerung an eine Vereinigung in stürmischer Liebe sich widerspiegelte.

Jeannet fürchtete, dass jedermann ihr anzusehen vermochte, was für eine Art von Beratungen in ihrer Kapitänskajüte stattgefunden hatte.

Sollen sie sich nicht so haben!, dachte sie. Hatten diese Männer nicht auch ihre Abenteuer in weiblicher Gesellschaft, wenn die WITCH BURNING einen Piratenhafen anlief? Stand ihr, der Kapitänin, nicht dasselbe Recht zu?

Offensichtlich nicht.

Und Jeannet war vorsichtig und klug genug, um dies zu akzeptieren.

So lauteten nun einmal die Spielregeln und es stand nicht in ihrer Macht, sie zu ändern.

Die Beiboote näherten sich dem schneeweißen Strand. Einige hundert Yards dahinter begann ein dichter Wald. Dies schien ein fruchtbares Land zu sein. Sicherlich gab irgendwo in der Nähe der Küste auch Süßwasser. Eine Lagune vielleicht oder ein Flusslauf.

Die Boote liefen auf Grund.

Die Männer sprangen vom Boot, Jeannet folgte ihnen und sank bis zu den Knien ins Wasser.

Die Boote wurden noch ein Stück an Land gezogen.

Es war eigenartig, nach den Wochen auf See endlich einmal wieder festes Land unter den Füßen zu haben. Jeannet stapfte an Land. Die flache Brandung umspülte ihre Stiefel. Sie verfluchte sich dafür, sie nicht vorher ausgezogen zu haben.

Die Männer der SWORD FISH warteten bereits auf die Beiboote der WITCH BURNING.

Hier und da waren ein paar unfreundliche Bemerkungen von beiden Seiten zu hören.

Piraten und Seeleute Ihrer Majestät -—eine explosive Mischung!, dachte Jeannet. Schon deswegen kann unser Aufenthalt an dieser Küste nicht ewig dauern. Sonst knallt es, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes.

Ein schwarzbärtiger Mann, der als Einziger von Coopers Männern bei der Hitze noch seinen Helm trug, näherte sich.

Es war John Kane, seines Zeichens Erster Offizier der SWORD FISH.

Er war ein erfahrener Haudegen, gestählt in den Kriegen, die Heinrich der VIII. gegen die aufständischen Iren geführt hatte. Eine Narbe, die quer über sein Gesicht verlief, legte Zeugnis davon ab.

"So mancher hat sich schon Sorgen um Euch gemacht, Lord Cooper", meinte er.

"Völlig unbegründet, wie Ihr seht, Kane!"

"Aye, Captain. Außerdem seid Ihr ja auch ein Mann, der sich wohl zu wehren weiß!"

"Davon könnt Ihr ausgehen!"

John Kane warf einen Blick auf Jeannet und lachte dreckig.

Lord Cooper ärgerte dies. Er ballte unwillkürlich die Fäuste.

Jeannet warf ihm einen Blick zu.

Sie schüttelte leicht den Kopf.

"Was belustigt Euch?", fragte sie. 

"Es ist widernatürlich, was Ihr tut!"

"Wovon sprecht Ihr? Davon, dass ich eine Piratin bin?"

"Davon, dass Ihr Hosen tragt, Mylady?"

Einige Mitglieder der SWORD FISH-Mannschaft, die in der Nähe standen, hatten die Bemerkung des Ersten Offiziers mitbekommen und brachen nun ihrerseits in ein schallendes, heiseres Gelächter aus.

Einige der WITCH BURNING-Männer griffen indessen bereits nach den Griffen ihrer Degen und Entermesser.

John Kane setzte sogar noch eins drauf.

"Man könnte sogar sagen, es ist Blasphemie, wenn eine Frau Hosen trägt."

Blasphemie...

Dieses Wort hatte in Jeannets Ohren einen ganz besonders üblen Klang. Erinnerungen stiegen in ihr auf. Sie schloss kurz die Augen, wollte diese Gespenster der Vergangenheit verdrängen. Einfach wegwischen. Aber es gelang ihr nicht. Blasphemie... Davon hatte auch jener sich selbst als fanatischer Bekämpfer der Hexerei verstehender Lord gesprochen, dessen Soldaten ihre Eltern umgebracht hatten. Die Schreie hallten in Jeannets Kopf wieder. Immer wieder. So als wäre es erst gerade geschehen.

Blasphemie...

Manchmal genügte ein Wort, um sie in die Vergangenheit zu schleudern.

Das Gauklerhandwerk ihrer Eltern hatte dieser streng dreinblickende Puritaner, der stets in Schwarz gekleidet war, ebenfalls mit diesem Begriff belegt. Das war letztlich ihr Todesurteil gewesen.

Donalds Stimme drang nun in ihre Gedanken, holte sie ins Hier und Jetzt zurück.

"Genug jetzt!", bestimmte Lord Cooper auf eine Weise, die keinen Widerspruch duldete. "Geht aufs Schiff zurück, Kane, wenn Ihr Eure Worte nicht zu wählen wisst!"

"Ist es nicht wahr, was ich gesagt habe?"

"Es geht nicht um die Wahrheiten, sondern um den Dienst an England und seiner Königin, Kane. Und wenn Ihr das nicht akzeptieren könnt, seid Ihr nicht der richtige Mann für Euren Posten. Habt Ihr mich verstanden?"

Kane atmete tief durch.

In seinen Augen funkelte es.

Ein Mann, dessen Seele kurz davor stand zu explodieren.

Aber das Pulver, mit dem er bis zum Hals gefüllt zu sein schien, hatte wohl etwas zuviel Feuchtigkeit abbekommen. Jedenfalls schluckte Kane das, was er zu sagen gehabt hatte, herunter.

"Aye, Captain!", sagte er.

Lord Cooper ging ein paar Schritte an Kane vorbei, auf die anderen Männer aus der SWORD FISH-Mannschaft zu. "Was ich gesagt habe, gilt für jeden!"

"Aye!", kam es zurück.

Naismith trat neben Cooper. "Die Stimmung könnte sehr leicht umschlagen und alles in einer Katastrophe enden", meinte er.

"Nicht, wenn Ihr mir dabei helft, die Männer im Griff zu halten", erwiderte Cooper.

"Ihr wisst selbst, dass das bei aller Strenge nur zu einem gewissen Grad möglich ist."

"Ja, das weiß ich, Naismith."

"Und ich hoffe, dass Ihr nicht etwa daran denkt, unsere Leute gemeinsam mit dem Lumpengesindel der WITCH BURNING auf die Jagd oder auf Wassersuche zu schicken."

Cooper schüttelte energisch den Kopf.

"Nein, da könnt Ihr ganz beruhigt sein. Beide Gruppen werden getrennte Wege gehen. Die Einzelheiten werde ich mit dem Kapitän der anderen Seite besprechen!"

"Dann werdet Ihr Eure Beratungen ja zwangsläufig fortsetzen müssen, Captain", sagte Naismith süffisant.

"Ihr sagt es", zischte Cooper auf eine Weise zwischen den Zähnen hindurch, die den Zweiten Offizier der SWORD FISH unwillkürlich erbleichen ließ.

Er wusste, dass er zu weit gegangen war.

Cooper war ein geduldiger Mann, aber niemand durfte den Fehler begehen, ihn zu sehr zu reizen.

Geoffrey Naismith wusste dies nur zu gut.

Und er war klug genug, um zu erkennen, dass es jetzt besser war zu schweigen.

Lord Cooper wandte sich unterdessen Jeannet zu, trat ihr entgegen und blickte ihr direkt ins Gesicht.

"Die Stimmung wird sich schon bessern, wenn es erst frisches Fleisch und Süßwasser gibt", war Cooper überzeugt.

"Ihr seid ein Optimist, Mylord!"

"Ihr nicht?"

"Auf gewisse Weise schon..."

"Diesen Eindruck hatte ich bei unseren bisherigen Beratungen durchaus auch, Jeannet Witch!"

"Ach, ja?"

"Ja."

"Hört mir zu: Lasst Eure Männer nach Nordwesten und meine nach Südwesten gehen, dann werden sie sich weder bei der Jagd noch bei der Wassersuche begegnen!"

"Eine gute Lösung!"

"Und noch einen Hinweis, Mylord! Es gibt in diesen Wäldern entsetzlich viele Insekten, die einen bei lebendigem Leib aufzufressen versuchen."

"Wie schrecklich!"

"Aber des Nachts ist die Plage weit weniger schlimm."

Sie trat plötzlich noch etwas näher an ihn heran.

Jeannet Witch streckte ihren Arm aus. "Seht Ihr die Halbinsel dort hinten?"

"Gewiss."

Wie ein heller Strich zog sich diese Landzunge in das Meer hinein.

Jeannets folgende Worte waren nur geflüstert.

"Ich erwarte Euch dort. Heute Nacht."

Ehe Donald in der Lage gewesen wäre nachzufragen, hatte sie auch schon einen Schritt zur Seite gemacht und damit begonnen, ihren Leuten lauthals Anweisungen zu erteilen.

*

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Die Nacht war hereingebrochen. Sterne funkelten am Himmel. Der Mond stand als großes, helles Oval über den Wäldern und wirkte wie ein überdimensionales Auge. Sein Licht spiegelte sich in der leicht gekräuselten See.

Jeannet glitt beinahe lautlos durch das Wasser. Schon seit frühester Jugend konnte sie schwimmen wie ein Fisch. Für sie war es kein Problem gewesen, von der WITCH BURNING zur Halbinsel zu gelangen. Die angenehme Kühle des Wassers erfrischte sie.

Endlich spürte sie nun wieder festen Grund unter den Füßen.

Ein paar Züge noch und sie erreichte den Strand.

Ihr eigener Körper erschien ihr seltsam schwer und unbeholfen, als sie das Wasser verließ und ohne dessen Auftrieb auskommen musste, an den man sich allzu leicht gewöhnte.

Jeannet ging an Land.

Die Kleider klebten ihr am Leib.

Stiefel trug sie allerdings nicht, nur die enganliegenden Hosen und das weiße Männerhemd. Bewaffnet war sie nur mit einem Entermesser, dass ihr hinter dem breiten Gürtel steckte.

Man konnte ja nie wissen.

Jeannet strich sich das Haar zurück und blickte hinaus zu den Schiffen, die im Mondlicht friedlich dalagen. Die Ankerketten hingen schlaff herab. Immer noch herrschte Flaute. Kein Lüftchen wehte.

Sie blickte zur SWORD FISH hinüber und fragte sich, ob es Donald wohl genauso leicht fiel wie ihr, sich von Bord zu stehlen.

Zwar patrouillierte an Deck der WITCH BURNING eine Wache, aber Jeannet hatte keine Schwierigkeit gehabt, sich unbemerkt von Bord zu begeben, ins Wasser zu gleiten und loszuschwimmen. Ihre Männer glaubten jetzt, dass sie in ihrer Kajüte lag und schlief.

Aber diese Nacht war nicht zum schlafen da. Sie war für etwas anderes geschaffen. Vielleicht bestand in dieser Nacht die letzte Chance für sie, ihren geliebten Donald ungestört treffen zu können.

Sie setzte sich in den weichen, trockenen Sand

Obwohl jetzt die Sonne nicht mehr in all ihrer Unbarmherzigkeit vom Himmel schien, war es noch immer sehr warm.

Jeannet wartete ab.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich etwas tat.

Und das, was dann geschah, hatte die junge Frau keineswegs erwartet.

Sie glaubte durch das Geplätscher der seichten Wellen ein Geräusch hören zu können, das dem Schlagen von Ruderblättern sehr ähnlich war.

Wenig später hatte sie dann Gewissheit.

Eine Barkasse verließ die Schattenzone der SWORD FISH und wurde für einige Augenblicke vom Mondlicht beschienen, ehe sie vom nächsten Schatten verschluckt wurde.

Jeannet runzelte die Stirn. Seid Ihr jetzt vollkommen verrückt geworden Mylord?, ging es ihr ärgerlich durch den Kopf.

Sie erhob sich, stemmte die Arme in die Hüften, während sie dem herannahenden Boot entgegensah.

Es war eine ganze Weile nur als ein vager Schattenriss erkennbar. Wenn man nicht genau darauf achtete, war es überhaupt nicht zu sehen.

Was ist nur in dich gefahren, Donald? Ist das Risiko nicht schon groß genug? Musst du unbedingt im trockenen Boot übersetzen, nur damit du dir deine edlen Füße nicht nass machen musst? Du Narr...

Das Boot näherte sich und wurde jetzt besser erkennbar.

Ein einzelner Mann saß darin und ruderte mit kräftigen, ruhigen Schlägen.

Geliebter Narr...

Selbst auf dieser Entfernung war Jeannet sich vollkommen sicher, dass es niemand anderes als Donald sein konnte. Zu typisch waren die Bewegungen und der schattenartige Umriss.

Schließlich erreichte die Barkasse das Ufer.

Donald sprang hinaus, das Wasser spritzte auf. Er packte das Tau am Bugende und zog das Boot noch ein Stück an Land. So weit es ging.

Jeannet lief hinzu, fasste mit an.

"Da bist du!", rief sie.

"Jeannet!"

"Ich hatte schon gedacht, diese wunderschöne Nacht heute doch allein verbringen zu müssen -—wie so viele Nächte zuvor!"

"Du Ärmste!"

"Ich hoffe nicht, dass du dich über die ehrlichen Gefühle einer Frau lustig machen willst", sagte sie in gespielter Empörung.

Donald schüttelte den Kopf. "Das würde ich nie wagen, Jeannet. Speziell bei dir nicht. Schließlich hast du mir ja bereits einmal das Messer buchstäblich an die Kehle gesetzt und ich weiß nicht, ob du beim nächsten Mal möglicherweise erfolgreicher wärst."

"Das war ein einmaliger Vorfall", verteidigte sich Jeannet. "Und inzwischen bereue ich ihn zutiefst, das weißt du."

"Sicher weiß ich das."

"So wäre es höflich, wenn du ihn nicht mehr erwähnen würdest."

"Höflichkeit -—oder das Vergnügen, die Zornesröte in dein Gesicht steigen zu lassen! Du stellst mich vor eine sehr schwere Wahl, Jeannet!"

"Schuft!"

Zu einer Erwiderung kam er nicht mehr, denn ihre Lippen verschlossen ihm den Mund mit einem leidenschaftlichen, fordernden Kuss.

Seine Hand strich ihr über das noch immer noch feuchte Haar. Sie sanken gemeinsam in den weichen Sand. Jeannet spürte, wie eine Welle fiebriger Hitze sie durchlief. Sie nestelte an der Schnalle von Donalds Degenschärpe herum, schaffte es schließlich sie zu öffnen. Der Waffengurt glitt zu Boden. Sein Hemd ebenfalls. Sie umfasste seinen muskulösen Nacken, zog ihn zu sich herab, küsste ihn. Erst auf den Mund, dann glitt sie tiefer. Seine Hände berührten sie derweil zärtlich, öffneten das unförmige Männerhemd, das sie lediglich mit einem Knoten vor der Brust geschlossen hatte. Ihre Brüste schimmerten matt im Mondlicht.

"Donald", hauchte sie. "Ich bin so froh, dass du hier bist."

"Hör zu, Jeannet. Ich möchte dir etwas sagen..."

"Nein, jetzt nicht. Jetzt ist nicht Zeit zu reden. Lass uns diese Nacht als Geschenk eines gnädigen Schicksals nehmen..."

Sie fuhr fort ihn zu küssen und zu liebkosen. Der sinnliche Rausch, dem sie verfallen war, riss nun auch Lord Cooper mit. Es gab kein Halten mehr. Nach und nach entledigten sie sich ihrer restlichen Kleidung. Jeannet stöhnte lustvoll auf, als er zärtlich in sie eindrang. Ihre Vereinigung war nicht ganz so ungestüm wie beim ersten Mal, aber nicht weniger beglückend. Jeannet schwang sich rittlings auf ihn. Gemeinsam strebten sie einem überwältigenden Höhepunkt entgegen. Ermattet sank sie schließlich auf ihm nieder, legte ihren Kopf an seine breite Schulter. Sie hielten sich fest. Jeder spürte den Atem und den pochenden Herzschlag des anderen.

"Ich muss sagen, Ihr wisst Euren Degen wohl zu führen, Mylord", hauchte Jeannet schließlich, als sie wieder in der Lage war zu sprechen. "Ich werde Euch allerdings nicht fragen, wo Ihr das gelernt habt und will das auch gar nicht wissen."

"Jeannet..."

"Etwas anderes würde mich schon interessieren."

"So?"

"Warum bist du das Risiko eingegangen, mit dem Boot hier her zu kommen? Die Wachen deines Schiffes können doch kaum gleichermaßen blind und taub sein..."

"Nein, aber in dieser Nacht sind sie unaufmerksam."

"So? Wie kommt das? Handelt es sich nicht um wackere englische Offiziere? Obwohl ich von manchen dieser Offiziere weiß, dass sie es mit der Treue zu ihrer Königin weit weniger genau nehmen, als Ihr das tut, Mylord."

"Wie kommst du darauf?"

"Einige meiner besten Leute standen früher im Dienste Englands."

"Ah, das meintest du."

Sie stützte sich mit dem Arm auf. Er betrachtete ihre Gestalt im Mondlicht.

"Du weichst meiner Frage aus", stellte sie fest.

"Nun, meine Wächter sind deswegen unaufmerksam, weil ich dafür gesorgt habe, dass sie Zugang zu unseren Brandweinvorräten bekommen. Sie schnarchen vor sich hin!"

"Dann wäre dein Schiff jetzt eine leichte Beute für meine Männer!"

"Aber deine Männer wissen nichts davon und halten die SWORD FISH für gut bewacht."

Jeannet atmete tief durch.

Ihre wohlgeformten Brüste hoben und senkten sich dabei.

Sie strich sich mit einer beiläufigen Geste ihr widerstrebendes, eigenwilliges und ziemlich zerzaustes Haar zurück in den Nacken.

"Dennoch, ich verstehe nicht, dass du einen derartigen Aufwand treibst, um hier zu gelangen."

"Wie du siehst, bist du mir jedes Risiko wert."

"Aber dieses Risiko war unnötig."

Donald setzte sich nun ebenfalls auf. Er sah ihr in die Augen.

"Ich muss dir ein Geständnis machen."

"So?"

"Ich kann nicht schwimmen."

Jeannets Mund stand offen und vor Staunen vergaß sie vorerst, ihn wieder zu schließen. 

"Wie bitte?", stieß sie hervor.

Er lachte. "Dieser Anblick deines erstaunten Gesichts war die Überwindung wert, die mich dieses Geständnis gekostet hat!"

"Aber -—wie ist das möglich?", fragte sie.

Er zuckte die breiten Schultern. "Es hat sich nie die Gelegenheit ergeben, es zu lernen."

"Aber -—Ihr seid in der Marine Ihrer Majestät tätig."

"Und wenn schon! Wenn man einen schweren Harnisch trägt, ersäuft man ohnehin, sobald man ins Wasser fällt! Da können einen noch so gute Schwimmkünste auch nicht mehr retten!"

"Ein Grund für dich, solche Dinger nicht zu tragen und dafür eher die Gefahr eines Degentreffers in Kauf zu nehmen!"

"Bislang hatte ich immer das Glück, auf Schiffen zu reisen, die sich während meiner Anwesenheit über Wasser befanden!"

"Auf dieses Glück solltest du nicht in alle Ewigkeit vertrauen, Donald!"

"Ich werde es wohl müssen -—und da Ihre Majestät inzwischen ganz gute Schiffbauer beschäftigt, sehe ich darin auch kein Problem."

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738967685
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Schlagworte
piratenliebe meeresrauschen zwei liebesromane

Autoren

  • Alfred Bekker (Autor:in)

  • W. A. Hary (Autor:in)

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Titel: Piratenliebe und Meeresrauschen: Zwei historische Liebesromane