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Trevellian und die lebende Ware: Action Krimi

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 240 Seiten

Zusammenfassung

Krimi von Pete Hackett

Als die FBI-Agenten Trevellian und Tucker in das Büro des Chefs gerufen werden, treffen sie dort auf Dr. Santoz. Er handelt im Auftrag von Unicef und informiert das FBI, dass ein Menschenhändlerring Kleinkinder und Säuglinge aus Südamerika nach New York bringt und an adoptionswillige Ehepaare verkauft. Er legt bereitwillig ein paar Anhaltspunkte offen, aber mit dem FBI zusammenarbeiten will er nicht. Er versucht auf eigene Faust eine heiße Spur zu finden. Während das FBI eine Nachrichtensperre verhängt, um die Täter nicht zu unberechenbaren Handlungen zu verleiten, wendet sich Dr. Santoz mit seinen Erkenntnissen an die Presse. Mit schlimmen Folgen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Trevellian und die lebende Ware: Action Krimi

Krimi von Pete Hackett



Als die FBI-Agenten Trevellian und Tucker in das Büro des Chefs gerufen werden, treffen sie dort auf Dr. Santoz. Er handelt im Auftrag von Unicef und informiert das FBI, dass ein Menschenhändlerring Kleinkinder und Säuglinge aus Südamerika nach New York bringt und an adoptionswillige Ehepaare verkauft. Er legt bereitwillig ein paar Anhaltspunkte offen, aber mit dem FBI zusammenarbeiten will er nicht. Er versucht auf eigene Faust eine heiße Spur zu finden. Während das FBI eine Nachrichtensperre verhängt, um die Täter nicht zu unberechenbaren Handlungen zu verleiten, wendet sich Dr. Santoz mit seinen Erkenntnissen an die Presse. Mit schlimmen Folgen.


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Kapitel 1

Die Yacht lag an einem der Piers von Greenpoint. Einige Lichter brannten. Auf Deck gingen zwei Kerle hin und her, die mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Sie trugen Sportschuhe, sodass ihre Schritte nicht zu hören waren, lediglich das leise Quietschen der Gummisohlen. Es ging auf 24 Uhr zu. In Queens und Brooklyn schliefen die meisten Menschen. Die Lichter Manhattans spiegelten sich auf dem East River.

Wir waren mit einem SWAT-Team angerückt. Von einem V-Mann hatten wir erfahren, dass an diesem Abend auf dem Boot ein immenser Deal durchgeführt werden sollte. Es ging um Heroin im Wert von mehreren Millionen Dollar. Lieferant war ein Mexikaner namens Josè Alvarez, Abnehmer ein Amerikaner, hinter dem wir schon längere Zeit her waren, der uns aber bisher noch keinen Hebel geboten hatte. Sein Name war Hendrik Sommerset. Ein Dealer der übelsten Sorte, dem wir in dieser Nacht das Handwerk legen wollten.

Auf dem Pier stand ein Oldsmobile. Dahinter parkte ein Ford. Während sich die drei Männer aus dem Oldsmobile auf der Yacht befanden, saßen in dem Ford zwei Kerle und warteten. Wir hatten uns hinter Lagerhallen und anderen Gebäuden verschanzt. Die Kent Street war abgeriegelt. Für den Einsatz waren wir entsprechend ausgerüstet; kugelsichere Westen, Helme, Headsets …

Ich leitete die Aktion. Zusammen mit Milo befand ich mich im Schatten einer Baracke mit flachem Dach, deren Fenster eingeworfen worden waren und in der nur noch Ratten und Mäuse ihr Unwesen trieben.

»Wir sind bereit«, kam es durch den Lautsprecher meines Headsets. Ich schaute auf die Uhr. Es war eine Minute vor vierundzwanzig Uhr. »Okay«, sagte ich ins Mikro. »Zugriff!«

Die Dunkelheit wurde lebendig. Schritte trampelten. Auf der Yacht schrie jemand etwas, dann begann eine MP zu rattern. Feuergarben tanzten vor der Mündung der Waffe. Die beiden Kerle im Ford sprangen heraus. Bei ihnen blitzte es auf. Sie schossen mit Pistolen. Geschrei wurde laut. Auf der Yacht bäumte sich einer der MP-Schützen auf und brach dann zusammen. Einer der beiden Kerle beim Ford kippte gegen den Wagen und rutschte daran zu Boden.

Die Gewalt eskalierte. Recht und Unrecht trafen aufeinander wie Feuer und Wasser. Es ging darum, dem Gesetz Geltung zu verschaffen …

Polizisten hetzten über das Deck. Schritte trampelten. Die Wachposten wurden überwältigt, niedergerungen und gefesselt. Der Mann beim Ford riss die Hände in die Höhe und brüllte: »Ich ergebe mich! Nicht schießen!« Zwei SWAT-Leute rissen ihn zu Boden. Die Polizisten drangen in die Yacht ein. Schließlich ertönte es aus dem Lautsprecher meines Headsets: »Sie können kommen Special Agent. Wir haben die Kerle.«

Wir gingen auf das Schiff und stiegen über eine schmale Treppe nach unten in den Bauch des Wasserfahrzeuges. Ein Polizist wies auf eine Tür und wir betraten einen Salon. Drei Amerikaner und zwei Latino-Typen befanden sich im Raum. Einige Polizisten hielten sie in Schach. Auf dem Tisch in der Raummitte stand ein Koffer. Er war geöffnet und ich sah sauber gebündelte Hunderter.

Ein Polizist trat an uns heran und sagte: »Wir haben zwei Männer überwältigt, die mit dem Heroin aus dem Maschinenraum kamen. Dieses Mal wird es Sommerset nicht gelingen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und der Mexikaner wird ihm Gesellschaft leisten in Rikers Island.«

Ich trat vor Sommerset hin. »Hallo, Mister Sommerset. So schnell kann eine Karriere den Bach runtergehen. Hat man Sie schon über Ihre Rechte aufgeklärt?«

Der Gangster presste die Lippen zusammen, dass sie nur noch einen dünnen, messerrückenscharfen Strich bildeten. Hart traten die Backenknochen in seinem Gesicht hervor. Hass glitzerte in seinen Augen.

»Bringen Sie Alvarez und Sommerset ins Field Office«, wies ich den Teamleiter des SWAT-Kommandos an. »Der Rest der Bande kann nach Rikers Island überführt werden. Stellen Sie bitte die Namen fest und fertigen Sie einen Bericht, den Sie uns zuleiten. Die weiteren Ermittlungen übernimmt das FBI.«

»In Ordnung, Special Agent.«

Wir hatten in dieser Nacht dem organisierten Verbrechen in New York einen empfindlichen Schlag versetzt. Ich verspürte ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit und der Genugtuung.


*


Am Morgen holte ich Milo ab. Wir fuhren gemeinsam zum Field Office. »Du siehst nicht gerade ausgeschlafen aus, Partner«, knurrte Milo und gähnte herzhaft.

»Du hast dich heute wohl noch nicht im Spiegel betrachtet?«, gab ich zurück. »Müder Blick, dunkle Ringe unter den Augen, hängende Unterlippe – du bist nur halbwertig, alter Freund. Was hast du denn in der Nacht getrieben?«

»Ha, ha«, machte Milo und verzog den Mund.

Ich grinste. Tatsächlich spürte ich Müdigkeit. Wir waren nach der Aktion auf den Greenpoint Piers erst gegen Morgen ins Bett gekommen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich mich überhaupt nicht niedergelegt hätte. Ich hätte mir einen starken Kaffee kochen und ihn trinken sollen. Jetzt war ich wie erschlagen.

Ich steuerte den Sportwagen durch das morgendliche Verkehrschaos von Manhattan und regte mich einmal mehr über das Unvermögen anderer Autofahrer auf. Es war ein grauer Tag. Tief hingen die Wolken über dem Big Apple. Wir hatten Ende März und der Frühling focht einen heftigen Kampf gegen den Winter aus. Das Wetter war deprimierend.

Nun, wir erreichten die Federal Plaza, ich fand in der Tiefgarage des Bundesgebäudes einen Parkplatz, mit dem Aufzug fuhren wir hinauf in den dreiundzwanzigsten Stock und suchten unser Büro auf. Ich zog meine Lederjacke aus und hängte sie über die Stuhllehne, lockerte den Knoten meiner Krawatte ein wenig und fuhr meinen Computer hoch. In dem Moment, als ich mein Kennwort eintippen wollte, läutete mein Telefon. Ich schnappte mir den Hörer, hob ihn vor mein Gesicht und nannte meinen Namen.

Es war Mandy. »Du und Milo, ihr sollt gleich mal zu Mr. McKee kommen.«

»Wir kommen.« Ich legte auf. »Zum Chef.« Mein Zeigefinger stach in Richtung Tür.

Zwei Minuten später betraten wir Mandys Büro. Die Verbindungstür zum Büro des Assistant Directors war geschlossen. Es roch nach frischem Kaffee. Mandy lächelte und sagte: »Geht nur hinein. Der Kaffee kommt gleich.«

Ich klopfte gegen die Tür, und ohne die Aufforderung, einzutreten, abzuwarten, öffnete ich sie. Mr. McKee und ein weiterer Mann saßen an dem kleinen Konferenztisch, um den einige gepolsterte Stühle gruppiert waren. »Treten Sie ein, Gentlemen«, sagte der Assistant Director. Und als wir das Büro betreten hatten, fuhr Mr. McKee fort: »Das ist Dr. Miguel Santoz aus Asunción, Paraguay.« Der schwarzhaarige Mann, der Mitte der vierzig sein mochte, erhob sich und lächelte. Der Chef wies auf Milo und mich und fuhr fort: »Das sind die Special Agents Trevellian und Tucker. Ich habe Ihnen von den beiden erzählt.«

Wir schüttelten Dr. Santoz die Hand, dann forderte der Chef uns auf, Platz zu nehmen. Als wir saßen, ergriff er sogleich das Wort. »Dr. Santoz ist Rechtsanwalt. Er ist im Auftrag von UNICEF in die Staaten gekommen. Bitte, Dr. Santoz, erklären Sie meinen Agents, in welcher Mission Sie hier sind.«

Mandy betrat das Büro. Sie brachte eine Thermoskanne voll Kaffee, schenkte uns ein und stellte die Kanne in die Tischmitte. Und während wir den Kaffee mit Milch und Zucker aufbereiteten, begann Dr. Santoz zu sprechen. Er sagte: »Es geht um illegale Adoptionen in den USA. In den letzten fünf Jahren wurden hunderte von Babys in Paraguay geraubt und entführt, man hat sie zum Teil buchstäblich aus den Leibern ihrer Mütter herausgerissen. Viele dieser Kinder sind an Paare in den Vereinigten Staaten verkauft worden. Meine Aufgabe ist es, die Hintermänner des Kinderhandels zu entlarven und ihnen mit Hilfe der örtlich zuständigen Polizei das schmutzige Handwerk zu legen.«

»Haben Sie schon eine Spur?«, fragte ich.

»Wir haben in Asunción das Büro eines Rechtsanwalts durchsucht. Er steht im Verdacht, Organisator des Kinderhandels in Paraguay zu sein.« Santoz machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Die Adoption eines Kindes aus Paraguay ist an eine Reihe von Anforderungen geknüpft. Paraguay ist einer der Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption. Die Staaten, die das Übereinkommen ratifizierten, haben sich auf einen rechtlichen Rahmen geeinigt, in dem die Ziele des Übereinkommens festgeschrieben wurden. Vorrangig sind Sicherstellung des Kindeswohls und die Wahrung der Grundrechte bei internationalen Adoptionen, außerdem die Verhinderung von Kinderhandel.«

Der Rechtsanwalt aus Paraguay ließ seine Worte kurze Zeit wirken.

»Von Juan Mendoza, das ist der Anwalt, den wir des Kinderhandels verdächtigen, führt die Spur in die Staaten. Wir sind auf einen Namen gestoßen: Jim Baldwin. Wir nehmen an, dass es sich bei Baldwin um den Verbindungsmann von Mendoza in den USA handelt.«

»Gibt es sonst irgendwelche Erkenntnisse?«, fragte ich.

»Baldwin lebt in New York«, erklärte Mr. McKee. »Er betreibt in der Wooster Street ein Im- und Exportgeschäft und verfügt über eine eigene Seite im Internet. Unter anderem verweist er auf seine Verbindungen nach Paraguay.«

»Wie laufen die Adoptionen ab?«, fragte Milo.

»Man versucht den Wünschen der potentiellen Eltern gerecht zu werden. Geeignete Kinder findet man zum Beispiel in Waisenhäusern. Es sind oft langwierige Prozesse, bis es zu einer Adoption kommt. Dieses Procedere versucht man zu umgehen. Die Babyhändler gehen in die Slums. Junge Mütter verkaufen ihre Neugeborenen, weil sie sie nicht ernähren können. Wenn sich kein geeignetes Baby auf diesem Weg findet, greift man zu kriminellen Methoden. Wie ich schon sagte: Es kommt zu Entführungen. Das geht soweit, dass die Babys sogar aus den Krankenhäusern geraubt werden. Die Adoptionspapiere werden gefälscht. Die Ehepaare, die die Kinder adoptieren, wissen wahrscheinlich gar nicht, woher die Kinder kommen.«

»Aber sie wenden sich doch an die Babyhändler, um legale Wege zu vermeiden«, sagte ich. »Also wissen sie auch, dass ihr Tun illegal ist.«

»Sicher wissen sie das«, antwortete Santoz. »Das nehmen sie in Kauf, Hauptsache ihr Wunsch nach einem Kind wird erfüllt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie keine Ahnung haben, woher das jeweilige Kind stammt. Es gibt Fälle, in denen junge Frauen, die kurz vor der Entbindung standen, entführt und ermordet wurden. Die Kinder hat man ihnen aus dem Leib geschnitten. Den Babyhändlern ist nichts heilig.«

»Ich möchte Sie bitten, Jesse, Milo, sich des Falles anzunehmen«, sagte Mr. McKee. »Bei Ihnen weiß ich die Sache in den besten Händen.«

»Haben Sie sonst noch irgendetwas?«, fragte ich an Santoz gewandt. »Die Adressen von Ehepaaren, die gegebenenfalls eines dieser Kinder adoptiert haben.«

»Mendoza schweigt verbissen. Die einzige Spur, die in die USA führt, endet bei diesem Jim Baldwin.«

»Dann werden wir uns diesen Mister wohl zur Brust nehmen müssen«, bemerkte Milo.

Mr. McKee nickte. »Kümmern Sie sich drum. Solche Missstände dürfen wir nicht dulden. - Wie verlief Ihr Einsatz in der Nacht?«

»Ein voller Erfolg«, versetzte ich. »Alvarez und Sommerset sind auf Nummer sicher, ihre Helfershelfer ebenfalls. Wir haben einige Millionen Dollar und eine große Menge von Heroin sichergestellt. Dieses Mal kommt Sommerset nicht mehr davon.«

»Gute Arbeit«, lobte der AD und heftete seinen Blick auf Dr. Santoz. »Eines unserer großen Probleme ist der Drogenhandel. New York ist ein Drogenumschlagplatz. Wir führen gewissermaßen einen Kampf gegen Windmühlenflügel, haben aber dennoch immer wieder gute Erfolge zu verzeichnen.«

Während wir unseren Kaffee tranken, sprachen wir über dieses und jenes. Dann begaben wir uns in unser Büro, ich holte die Homepage von Baldwins Im- und Export auf den Bildschirm und machte mich kundig. Milo schaute mir über die Schulter. Dann fuhr ich den Computer herunter, zog meine Jacke an und sagte: »Wooster Street 265. Es ist nur ein Katzensprung.«

»Wenn Baldwin Dreck am Stecken hat, wird er uns das nicht sagen«, gab Milo zu verstehen. »Wir werden seinen Betrieb und wahrscheinlich auch seine Wohnung durchsuchen müssen. Ich werde das Police Departement informierten und einige Leute anfordern.«

»Gute Idee.«

Milo telefonierte. Dann notierte er eine Telefonnummer. Den Zettel legte er in seine Brieftasche und dann sagte er: »Sie schicken ein Team in die Wooster Street. Über diese Nummer kann ich mit dem Einsatzleiter Verbindung aufnehmen.«

»Aha. Ich dachte schon, eine hübsche Kollegin hat dir ihre Telefonnummer gegeben.«

»Witzbold.«


*


Wir fuhren nach SoHo. Vor dem Gebäude Nummer 265 fand ich keinen Parkplatz, so dass wir ein Stück laufen mussten. Die Gehsteige waren voller Menschen. Es war nasskalt. Ich hätte wohl doch besser meinen Übergangsmantel angezogen. Es handelte sich um ein reines Geschäftshaus. Die Büroräume der Im- und Exportfirma befanden sich in der zweiten Etage. In der Halle des Gebäudes gab es eine Rezeption mit einem Doorman. Er musterte uns fragend.

»Zu Jim Baldwin«, sagte ich.

»Soll ich Sie anmelden?«

»Nicht nötig.«

Der Mann zuckte mit den Achseln. Wir nahmen die Treppe. Das Treppenhaus war hell und großzügig. Einige Leute kamen uns entgegen. Grußlos schritten sie an uns vorüber. Dann erreichten wir die zweite Etage. Baldwins Betrieb befand sich im rechten Flur. Eine doppelflügelige Tür aus Milchglas trennte den Korridor vom Treppenhaus. Ich stieß sie auf und dann standen wir in einem Flur, von dem mehrere Türen nach beiden Seiten abzweigten. An der Wand neben den Türen waren Namensschilder angebracht, eine Tür war mit der Aufschrift >Sekretariat< versehen. Milo klopfte. »Herein!«, ertönte eine Frauenstimme, mein Kollege öffnete die Tür. Eine Lady mittleren Alters saß an einem Computer. Sie war dunkelhaarig, die Brille, die sie trug, war schwarz eingefasst, ihr Lippenstift war dunkelrot und ihre Nägel waren schwarz lackiert. Sie schien ein Fabel für dunkle Farben zu haben.

»Was kann ich für Sie tun?«

Ich übernahm es, uns vorzustellen. Zur Untermauerung meiner Angaben zeigte ich ihr meine ID-Card. Dann trug ich unser Anliegen vor: »Wir möchten zu Mister Baldwin.«

»Sie haben keinen Termin«, stellte sie fest. Es klang ziemlich energisch.

»Wenn es trotzdem möglich wäre, ihn zu sprechen.« Milo lächelte die Lady entwaffnend an.

»Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit?«

»Das werden wir Mister Baldwin selbst erklären«, antwortete ich und verspürte Ungeduld. Schließlich wollten wir nicht den Präsidenten der Vereinigten Staaten, sondern lediglich den Chef einer Im- und Exportfirma sprechen. Und der hatte den Ermittlungen der Bundespolizei gefälligst zur Verfügung zu stehen.

»Mister Baldwin hat gerade Besuch. Warten Sie mal …« Die Sekretärin angelte sich den Telefonhörer, tippte eine Kurzwahl und sagte dann: »Hier sind zwei Special Agents vom FBI, Sir, die Sie gerne sprechen würden.« Sie lauschte kurze Zeit, dann sagte sie: »Ich werde es den beiden bestellen. Vielen Dank, Sir.« Sie legte auf und wandte sich an uns. »Wenn Sie sich noch eine Viertelstunde gedulden würden.«

»Was ist schon eine Viertelstunde gemessen am Alter des Sonnensystems?«, philosophierte Milo.

Die Lady warf ihm einen strengen Blick zu, dann sagte sie: »Warten Sie bitte draußen auf dem Flur. Da stehen Stühle.«

Wir verließen das Büro. Während Milo sich setzte, schaute ich mir die Bilder an den Wänden an. Es waren Kunstdrucke und zeigten die Werke moderner Maler. Hin und wieder schaute ich auf die Uhr. Ich war gespannt auf den Mann, von dem Dr. Miguel Santoz vermutete, dass er den illegalen Kinderhandel in den Staaten organisierte. Die Zeit schien stillzustehen.

Aber sie stand nicht still, und die Viertelstunde verstrich. Aus dem Zimmer der Sekretärin kamen zwei Männer, schossen uns einen schnellen Blick zu und wandten sich in Richtung Treppenhaus. Wir blickten ihnen hinterher, da erschien auch schon die Sekretärin und sagte: »Wenn ich bitten darf.«

Erneut betraten wir ihr Büro. Sie öffnete die Verbindungstür zum Büro von Jim Baldwin und vollführte eine einladende Handbewegung. Dabei lächelte sie starr. Ich konnte mich plötzlich des Eindrucks nicht erwehren, dass unser Besuch bei dieser Lady zu Unbehagen führte. Der Grund hierfür entzog sich jedoch meinem Verstand.

Jim Baldwin war ein dunkelhaariger Mann Mitte der vierzig; groß, schlank, solariengebräunt – ein Frauentyp. Er stand hinter seinem Schreibtisch, musterte uns durchdringend und fragte: »Was verschafft mir die Ehre, Special Agents?«

Ich stellte zunächst mich und Milo vor und wies mich aus. Baldwin forderte uns nicht auf, an dem Besuchertisch in der Ecke seines großen Büros Platz zu nehmen. Irgendwie wirkte er unruhig. Sein Blick war unstet. Sein Gesicht verriet Anspannung.

»Es dauert vielleicht länger«, sagte ich. »Und im Sitzen spricht es sich leichter.«

»Oh, sorry, bitte, nehmen Sie Platz.«

Wir ließen uns nieder und Baldwin setzte sich zu uns. Die Sekretärin war wieder verschwunden und hatte die Tür geschlossen.

Ich beugte mich ein wenig nach vorn. »Es geht um illegale Adoptionen.«

Baldwins Brauen schoben sich zusammen. Über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei senkrechte Falten. »Ich verstehe nicht.«

»Um Kinder aus Paraguay, die in die Staaten entführt und hier an adoptionsbereite Eltern vermittelt werden«, verdeutlichte Milo.

»Warum kommen Sie damit zu mir?« Baldwin lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Er hüllte sich in Arroganz. Ich war der Meinung, dass er sich zwang, ein hohes Maß an Ruhe zu verströmen, was ihm jedoch nicht so richtig gelingen wollte. Seine Augen flackerten.

»In Asunción wurde ein Rechtsanwalt namens Juan Mendoza hochgenommen. Er wird verdächtigt, Organisator des Kinderhandels in Paraguay zu sein. In seinen Unterlagen wurde Ihr Name entdeckt.«

»Na und? Ich besitze eine Im- und Exportfirma und stehe mit Kunden in Paraguay in Verbindung. Was ist daran außergewöhnlich?«

»UNICEF hat sich eingeschaltet«, erklärte Milo. »Ein Rechtsanwalt aus Asunción, sein Name ist Dr. Miguel Santoz, der im Auftrag der UNICEF auftritt, befindet sich in New York. Er soll dem Kinderhandel hier auf den Grund gehen. Er hat mit dem FBI Verbindung aufgenommen.«

»Was soll ich dazu sagen?«

»Sie brauchen dazu nichts zu sagen«, versetzte ich. »Wo wohnen Sie?«

»Warum wollen Sie das wissen?«

»Sagen Sie's mir.«

»Queens, 211 44th Avenue, gleich beim Park.« Die Unrast, die Baldwins Gesicht prägte, verstärkte sich. Er knetete jetzt seine Hände. Seine Überheblichkeit war wie weggeblasen. Er schluckte öfter als normal.

Ich nickte Milo zu. Der zog sein Handy aus der Jackentasche, holte den Zettel heraus, auf dem er sich die Nummer des Kollegen aus dem Police Departement notiert hatte, wählte sie und sagte: »Mister Baldwin wohnt in Queens, 44th Avenue Nummer 211. Schicken Sie ein Team zu der Adresse und lassen Sie die Wohnung auf den Kopf stellen? – Außerdem können Sie nun auch hier in Aktion treten. Kommen Sie in das Büro von Mister Baldwin. Da sind mein Kollege und ich anzutreffen.«

Wie von Schnüren gezogen hatte sich Baldwin erhoben. Er mutete sprungbereit an, wie ein Mann, der sich im nächsten Moment herumwerfen und die Flucht ergreifen würde. »Habe ich Sie richtig verstanden?«

»Ich denke schon.«

»Ich rufe meinen Anwalt an!«, presste Baldwin hervor.

»Das bleibt Ihnen unbenommen«, erklärte ich. »Allerdings wird er die Hausdurchsuchung nicht aufhalten können.«

In Baldwins Augen blitzte es auf. »Haben Sie überhaupt einen Durchsuchungsbefehl?«

»Bei Gefahr im Verzuge können wir den nachreichen.«

Die Kiefer des Burschen mahlten. Sein Blick irrte zwischen Milo und mir hin und her. Plötzlich durchfuhr ihn ein Ruck und er setzte sich in Bewegung, ging zu seinem Schreibtisch, nahm den Telefonhörer, tippte eine Nummer und sagte: »Clara, rufen Sie Warren Sinclair, meinen Rechtsanwalt an und stellen Sie das Gespräch durch. Gleich, Clara.« Er knallte den Hörer auf den Apparat und wandte sich uns zu. »Ich – ich werde mich über Sie beschweren!«

Es beeindruckte uns nicht im Geringsten. Fünf Minuten später wurde gegen die Tür geklopft. Milo öffnete. Der Mann, der den Raum betrat, stellte sich als Sergeant Wesley Taylor vor. Ich sagte: »Lassen Sie von Ihren Leuten sämtliche Büros durchsuchen, Sergeant. Worum es geht, wissen Sie. Unterlagen, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen, werden beschlagnahmt und ins FBI-Hauptquartier gebracht.«

Mein Handy läutete. Es war der Assistant Director. »Wie sieht es aus, Jesse?«, fragte er.

»Baldwin zeigt sich völlig unbedarft. Aber das war nicht anders zu erwarten. Wir haben das Team aus dem Police Departement mobilisiert. Es wird sowohl den Laden als auch die Wohnung von Baldwin auf den Kopf stellen lassen.«

»Gut«, meinte der AD. »Ach ja. Ich habe auf Sommerset und Alvarez zwei unserer Vernehmungsspezialisten angesetzt. Die werden die beiden in die Mangel nehmen. Ich denke, dass wir spätestens mittags ein Geständnis von ihnen haben.«

»Angesichts der Beweislage wird ihnen schon gar nichts anderes übrig bleiben«, antwortete ich.

»Melden Sie sich bei mir, sobald Sie ins Field Office zurückkehren.«

»Klar, Sir.« Ich unterbrach die Verbindung.


*


Wir fanden nichts. Weder in Baldwins Wohnung noch in seinem Betrieb gab es irgendwelche Hinweise, dass er die Finger im illegalen Adoptionsgeschäft hatte.

Wir mussten unverrichteter Dinge abziehen.

»Das hat ein Nachspiel«, drohte Baldwin. Sein Rechtsanwalt war immer noch nicht aufgetaucht.

»Ihrer Beschwerde sehen wir mit Gelassenheit entgegen«, erklärte ich. »Wir können nämlich unser Vorgehen rechtfertigen.«

Baldwin knirschte mit den Zähnen.

Zurück im Field Office begaben wir uns sofort in das Büro unseres Chefs. Viel gab es nicht zu berichten. Wortlos hörte Mr. McKee zu. Als ich geendet hatte, sagte er: »Es war also ein Schuss in den heißen Ofen. Fakt ist jedoch, dass die Ermittler in Paraguay in der Kanzlei dieses Anwalts … Wie war doch gleich wieder sein Name?«

»Juan Mendoza.«

»Genau. In seinem Büro sind die Ermittler auf den Namen Jim Baldwin gestoßen. Eine Geschäftsverbindung zu dem Rechtsanwalt konnte nicht festgestellt werden. Also muss Baldwin zu ihm in anderer Verbindung gestanden haben. Vielleicht betreibt er seine illegalen Geschäfte weder von seinem Betrieb noch von zu Hause aus.«

Ich wechselte mit Milo einen bedeutungsvollen Blick. »Eventuell sollten wir Jim Baldwin einige Zeit observieren«, regte ich an.

»Von Santoz weiß ich, dass Mendoza laufend verhört wird«, ergriff wieder Mr. McKee das Wort. »In Paraguay ist man vielleicht weniger zimperlich im Umgang mit Verdächtigen. Es besteht also Hoffnung, dass Mendoza redet. Apropos: Alvarez ist zusammengebrochen und hat ein Geständnis abgelegt. Er versorgt Sommerset seit über zwei Jahren mit Drogen, und zwar im großen Stil. Nun haben wir den Gangster am Haken. Die Freiheit wird er so schnell nicht wiedersehen.«

»Sehr gut«, sagte Milo.

»Ich verlasse mich lieber nicht darauf, dass Mendoza redet«, erklärte ich. »Darum werden wir Baldwin einige Zeit beobachten. Sein Verhalten und seine Körpersprache ließen den Schluss zu, dass er nicht ganz so unbedarft ist, wie er sich gibt. dass man im Büro des Rechtsanwalts in Paraguay auf seinen Namen gestoßen ist, hat sicher seinen Grund. Wenn Baldwin seine Finger in dem schmutzigen Spiel hat, dann kriegen wir ihn.«

»Das klingt wie ein Versprechen«, murmelte Milo.

»Es ist ein Versprechen. Mein Gefühl sagt mir, dass Baldwin in illegale Geschäfte verwickelt ist. Menschenhandel ist eines der schäbigsten Verbrechen, das ich mir denken kann. Und wenn sich die Gelegenheit ergibt, einem dieser skrupellosen Gangster das Handwerk zu legen, müssen wir sie beim Schopf ergreifen.«

Nur selten zeigte ich mich dermaßen emotional. In der Regel erledigte ich meinen Job mit kühler Sachlichkeit. Der Gedanke an das Leid und die Verzweiflung, die diese Verbrecher heraufbeschworen, ließ bei mir jedoch keine andere Reaktion zu. Diese Gangster gingen mit erschreckender Kaltblütigkeit und Gewissenlosigkeit vor. Ihre Habgier kannte keine Grenzen. Kein Land der Welt durfte den Handel mit Kleinkindern und Babys dulden. Jeder Mensch, egal welcher Rasse und Hautfarbe, musste Abscheu davor empfinden.

»Wenn er in dieser Inszenierung mitwirkt«, knurrte der AD, »dann klopfen Sie ihm auf die Finger, Agents. Dann ist er die Luft nicht wert, die er atmet.«


*


Dr. Miguel Santoz telefonierte. Er hatte sich im >Westpark< eingemietet, einem Hotel in der 58th Street, zwischen Eight und Ninth Avenue. Es war 19 Uhr vorbei. Draußen war es noch hell. Ein böiger Wind trieb Regentropfen gegen die Fensterscheiben.

Der Rechtsanwalt aus Paraguay machte sich einige Notizen. Dann sagte er auf Spanisch: »Nehmt Mendoza weiterhin in die Mangel. Vor allen Dingen will ich wissen, welche Rolle Jim Baldwin spielt. Ich habe hier in New York mit dem FBI Verbindung aufgenommen. Bei Baldwin gab es eine Hausdurchsuchung, doch sie brachte keine Erkenntnisse. Ich halte dich auf dem Laufenden.«

Nach diesen Worten verabschiedete er sich und legte auf. Dann zog Santoz seine Jacke an, warf noch einen Blick auf den Zettel, schob ihn ein und verließ das Zimmer. Wenig später trat er ins Freie. Er ging zur Eight Avenue und winkte einem Taxi, und als er im Fond des Wagens saß, sagte er: »132 East 17th Street bitte.«

Das Yellow Car brachte ihn nach Süden. Vor dem Gebäude Nummer 132 bezahlte Santoz den Taxifahrer, dann stieg er aus. Die Haustür war nicht verschlossen. Es handelte sich um ein zwölfstöckiges Gebäude, in dem auch eine Rechtsanwaltskanzlei und ein Steuerberater untergebracht waren. In der Halle gab es eine Rezeption, aber sie war verwaist. Neben der Treppe befanden sich zwei Aufzüge. Santoz entschied sich für die Treppe.

Einen Moment fragte er sich, ob es gut war, was er tat. Man war in Mendozas Unterlagen auf den Namen und die Adresse gestoßen. Vielleicht wäre es besser gewesen, das FBI zu involvieren.

Santoz warf seine Bedenken über Bord. Er war in New York, um der Sache auf den Grund zu gehen. Seiner Pflicht, die zuständige Polizeibehörde in Kenntnis zu setzen, war er nachgekommen. Seine Vorgehensweise wollte er sich jedoch nicht von irgendwelchen amerikanischen Beamten vorschreiben lassen.

In der zweiten Etage wurde Santoz fündig. Auf dem Türschild stand der Name T. Shannon. Santoz' Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Er legte seinen Finger auf den Klingelknopf. Der Klingelton war durch die geschlossene Tür zu hören. Durch die Linse des Spions glitzerte Licht. Jetzt verdunkelte sie sich, dann wurde die Tür einen Spaltbreit aufgezogen. »Was wünschen Sie?«, fragte der Mann, der geöffnet hatte. Sein halbes Gesicht wurde vom Türblatt verdeckt. Er mochte um die fünfunddreißig Jahre alt sein.

»Sind Sie Mister Tom Shannon?«

»Ja.«

»Mein Name ist Dr. Miguel Santoz. Ich bin im Auftrag der UNICEF in New York.«

Tom Shannon schluckte würgend. Jähe Unruhe prägte seine Miene. »Was wollen Sie?«, fragte er mit belegter Stimme.

»Sie haben ein Kind aus Paraguay adoptiert, nicht wahr?«

Shannon nickte. »Ramon. Er ist ein halbes Jahr alt. Warum fragen Sie?«

»Können wir in der Wohnung darüber reden?«

»Bitte, kommen Sie herein.«

Shannon ließ den Rechtsanwalt an sich vorbei. In einem Sessel saß eine junge, hübsche Frau mit dunklen Haaren. Der Fernseher lief. Tom Shannon sagte: »Das ist meine Frau Carrie. Carrie, das ist Dr. Santoz. Er kommt im Auftrag der UNICEF. Es – es ist wegen Ramon.«

Die junge Frau atmete tief durch, sagte aber nichts, sondern nickte dem Besucher lediglich zu.

»Nehmen Sie Platz, Dr. Santoz«, sagte Shannon. Und als er Rechtsanwalt saß, fragte er: »Was ist mit Ramon? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«

»Ich möchte die Adoptionspapiere sehen.«

»Sie sind von der Zentralen Adoptionsbehörde in Paraguay ausgestellt«, gab Shannon zu verstehen. »Wir haben den Antrag bei der Vermittlungsstelle eingereicht und …«

»Wir sind auf Ihren Namen im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen einen Rechtsanwalt in Paraguay gestoßen, den wir verdächtigen, Kinderhandel zum Zwecke der Adoption in Ländern wie Amerika zu betreiben.«

Von Carrie Shannon kam ein erschreckter Laut. Sie presste die linke Hand auf ihren Halsansatz. Als Santoz den Blick auf sie richtete, schaute sie schnell weg.

Tom Shannon erhob sich, verschwand in einem angrenzenden Raum und schloss hinter sich die Tür.

Betretenheit machte sich breit. Carrie Shannon sagte: »Leider war ich nicht in der Lage, Kinder zu gebären. Nachdem uns dies von zwei Ärzten bescheinigt wurde, entschlossen wir uns zur Adoption. Vor drei Monaten bekamen wir Ramon.«

»Wenn Sie ordnungsgemäße Papiere der Zentralen Adoptionsbehörde vorweisen können, brauchen Sie nichts zu befürchten, Mrs. Shannon«, erklärte Santoz. »Sie müssen wissen, dass die Zahl der illegalen Adoptionen von Jahr zu Jahr zunimmt. Die Menschenhändler werden immer dreister. Das betrifft nicht nur Paraguay, sondern auch Brasilien, Argentinien, Kolumbien …«

Tom Shannon kam ins Wohnzimmer zurück. Er hielt eine dünne Mappe in der Hand, die er Santoz reichte. »Sehen Sie selbst. Das sind die Adoptionspapiere. Alles hat seine Ordnung.«

Santoz nahm die Mappe, schlug sie auf und blätterte darin herum. Dann heftete er seinen Blick auf Shannon: »Kennen Sie einen Mann namens Jim Baldwin?«

In Shannons Mundwinkeln zuckte es. Er schoss seiner Frau einen gehetzten Blick zu. Nachdem er sich einige Male mit der Zungenspitze über die Lippen geleckt hatte, antwortete er: »Der Name sagt mir nichts. Wer ist Jim Baldwin? Was hat es mit ihm auf sich?«

Santoz winkte ab. »Auf den ersten Blick sehen die Papiere echt aus«, gab er zu verstehen. »Fraglich ist, ob sie tatsächlich echt sind. Ich muss sie mitnehmen und morgen mit der Zentralen Adoptionsbehörde in Paraguay Verbindung aufnehmen.«

»Sie werden verstehen, dass ich die Papiere nicht aus der Hand gebe«, stieß Shannon hervor. »Vor allen Dingen überlasse ich sie keinem, der sich nicht einmal ausgewiesen hat.« Shannon holte Luft. »Ramon stammt aus einem Waisenhaus in Asunción. Seine Eltern kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben, als er einen Monat alt war. Wir …«

Santoz unterbrach ihn. »Es besteht der Verdacht, dass die Adoption nicht auf legalem Weg durchgeführt wurde. Nun, ich kann Sie nicht zwingen, mir die Papiere auszuhändigen. Also werde ich morgen wiederkommen und zwei FBI-Agents mitbringen. Ein entsprechender Beschlagnahmebeschluss dürfte nur Formsache sein.« Santoz erhob sich und legte den dünnen Hefter auf den Tisch. »Falls Sie sich an einen Kinderhändler gewandt haben, um eine Reihe lästiger Vorschriften zu umgehen, dann sollten sie mir das sagen und mir Namen nennen. Es wäre einfacher für mich – und auch für Sie.«

»Was – was geschieht mit Kindern, die auf illegalem Weg in die Staaten gekommen sind?«, fragte Carrie Shannon mit brüchiger Stimme.

»Sie werden in ihre Herkunftsländer zurückgebracht. Wenn sie Eltern haben, werden sie diesen übergeben. Wenn nicht, kommen sie in ein Waisenhaus.«

Die Augen der Frau begannen feucht zu schimmern. Tom Shannon erhob sich schnell und trat hinter den Sessel, in dem seine Frau saß, legte ihr beide Hände auf die Schultern und stieß hart hervor: »Wir haben Papiere. Die Adoption erfolgte auf legalem Weg. Wir müssen keine Angst haben, dass uns Ramon weggenommen wird.«

»Dann können Sie mir die Papiere ja guten Gewissens überlassen.«

»Nein!« Es klang abschließend und endgültig.

»Dann muss ich morgen wiederkommen«, murmelte Santoz. »Wie es aussieht, haben Sie etwas zu verbergen.«

»Wo kann ich Sie gegebenenfalls erreichen?«, fragte Shannon.

»Sie wollen noch einmal drüber nachdenken?«

Shannon biss die Zähne zusammen und gab darauf keine Antwort.

»Sie sollten es sich noch einmal überlegen«, sagte Santoz eindringlich. »Es ist Menschenhandel. Man stiehlt jungen Müttern die Kinder und verkauft sie an Leute wie Sie, die gerne ein Kind haben würden aber keines bekommen können. Können Sie sich vorstellen, wie viel Leid man damit den Familien der Kinder bereitet? Möchten Sie mitschuldig daran sein, dass die Mutter des kleinen Ramon sich vielleicht irgendwo in Paraguay die Augen ausweint, weil man ihr das Kind geraubt und sie keine Ahnung über dessen Schicksal hat?«

Shannon schwieg.

Santoz verließ die Wohnung.

»Verdammt!«, brach es aus Tom Shannons Kehle. »Der Fluch der bösen Tat. Wenn Santoz in dem Waisenhaus in Asunción nachfragt, erfährt er, dass Ramon niemals dort war. Man wird uns den Kleinen wegnehmen.«

Tom Shannon nahm eine unruhige Wanderung auf. Entsetzt beobachtete ihn seine Frau. Ihre Lippen bebten. Plötzlich schlug sie beide Hände vor das Gesicht und begann haltlos zu weinen. »Aber Ramon hat es doch gut bei uns«, schluchzte sie.

»Er kam auf illegalem Weg in die Staaten«, versetzte Tom Shannon. »Man wird ihn uns nicht lassen. Ich – ich muss mit Baldwin sprechen.«

Shannon holte sich den Telefonhörer von der Ladestation, dann blätterte er in einem Telefonregister, fand, was er suchte, und tippte die Nummer. Eine dunkle Stimme meldete sich: »Baldwin.«

»Ich bin's, Baldwin – Tom Shannon.«

»Hallo, Shannon.«

»Bei mir war ein Rechtsanwalt aus Paraguay. Er kennt Ihren Namen, Baldwin. Und er will morgen mit zwei FBI-Beamten wiederkommen, weil er annimmt, dass Ramon illegal adoptiert wurde. Sie haben uns versprochen, dass alles in Ordnung geht.«

»Sie haben von mir Papiere erhalten, Shannon. Zeigen Sie die diesem Rechtsanwalt. Daran gibt es nichts zu rütteln. Für irgendwelche Unstimmigkeiten, die sich vielleicht im Nachhinein ergeben, sind Sie nicht verantwortlich. Stellen Sie sich einfach dumm und – nennen Sie auf keinen Fall meinen Namen.«

»Man wird uns Ramon wieder wegnehmen.«

»Sie wussten, worauf Sie sich einließen. Ich habe keinen Zweifel darüber offengelassen, dass die Sache auch ins Auge gehen kann. Sie haben es akzeptiert, Shannon.«

»Ich weiß. Verdammt! Wer konnte denn damit rechnen, dass die Sache auffliegt?«

»Ich kann nichts dafür.«

»Sie haben einen Batzen Geld kassiert.«

»Und Sie haben ein Kind dafür bekommen. Das war der Deal. Nicht ich bin an Sie herangetreten, sondern Sie an mich. Da Sie vorbestraft sind, befürchteten Sie, von der Zentralen Adoptionsbehörde in Paraguay einen ablehnenden Bescheid zu erhalten. Darum haben Sie meine Dienste in Anspruch genommen. Nun beklagen Sie sich nicht. Und nennen Sie auf keinen Fall meinen Namen. Sie würden sich Ihr eigenes Grab schaufeln. So können Sie sich darauf hinausreden, dass Sie betrogen worden sind.«

Kapitel 2

Es war zwei Uhr vorbei. Tom Shannon schreckte aus dem Schlaf hoch. Hatte er geträumt, oder hatte er tatsächlich an der Wohnungstür ein Geräusch gehört? Er lag da, starrte in die Dunkelheit hinein und wartete darauf, dass sich das Geräusch gegebenenfalls wiederholte.

Carrie drehte sich herum und seufzte im Schlaf.

Da ertönte das Geräusch erneut. Es war ein metallisches Kratzen.

Tom Shannons Herz schlug schneller. Er lauschte dem Geräusch hinterher. Carrie war wach geworden und richtete den Oberkörper auf. »Da ist jemand«, flüsterte sie beklommen.

»Ich sehe nach«, murmelte Tom Shannon und stand auf. Er ging ins Wohnzimmer und sah ein Schemen bei der Tür. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«, entfuhr es ihm.

Eine zweite schattenhafte Gestalt glitt in die Wohnung. Die Tür klappte. Das Licht ging an. Shannon war einen Moment geblendet. Die beiden Kerle waren maskiert. Tom Shannon erschrak bis ins Mark. Ein eiskalter Schauer rann ihm über den Rücken. Ihm war schlagartig klar, dass der Besuch mit Ramon und der Adoption in Zusammenhang stand. Und jetzt sah er auch die Pistolen in den Händen der beiden. Klobige Schalldämpfer waren auf die Mündungen geschraubt. Einer der Eindringlinge richtete die Waffe auf ihn. Shannons Augen weiteten sich, sein Mund sprang auf, er wollte etwas sagen, aber seine Worte erstickten in der Kehle. Er sah die handlange Mündungsflamme auf sich zustoßen und spürte den Einschlag. Im nächsten Moment riss sein Denken und er brach sterbend zusammen.

Die Killer glitten durch das Wohnzimmer, einer stieg über den Toten hinweg, seine Hand ertastete den Lichtschalter im Schlafzimmer, das Licht flammte auf. Carrie Shannon saß auf dem Bett und starrte den Maskierten mit dem stumpfen Ausdruck des absoluten Nichtbegreifens an. Und ehe sie die Situation erfassen konnte, wurde sie schon getroffen. Die Kugel warf ihren Oberkörper zurück. Ein ersterbender Laut quälte sich in ihrer Brust hoch und quoll über ihre Lippen. Ein letztes, unkontrolliertes Zucken ihrer Beine, dann war sie tot.

Einer der Maskierten ging ins Kinderzimmer …


*


Um acht Uhr rief uns der AD zu sich. Bei ihm war Dr. Santoz. Die beiden saßen am Besprechungstisch. Nachdem wir uns begrüßt und wir uns gesetzt hatten, sagte Mr. McKee: »Dr. Santoz hat eine neue Spur. Man ist in den Unterlagen des Rechtsanwalts Mendoza auf einen Namen gestoßen. Tom Shannon. Shannon und seine Frau leben in New York und haben vor einigen Monaten ein Kind aus Paraguay adoptiert. Dr. Santoz war gestern Abend bei dem Ehepaar. Shannon zeigte ihm die Adoptionspapiere, aber Dr. Santoz ist davon überzeugt, dass sie gefälscht sind. Er will die Papiere auf ihre Echtheit überprüfen. Shannon hat sich jedoch geweigert, sie ihm auszuhändigen. Ich habe schon einen entsprechenden richterlichen Beschluss veranlasst. Holen Sie ihn ab und fahren Sie dann in die 17th Street, um die Adoptionspapiere zu beschlagnahmen. Dr. Santoz kommt mit Ihnen.«

Da ich dem Rechtsanwalt aus Paraguay nicht zumuten wollte, auf dem unbequemen Rücksitz des Sportwagens zu sitzen, lieh ich mir im Fuhrpark des FBI einen Buick aus. Damit fuhren wir zum Criminal Courts Building, Milo holte den richterlichen Beschluss ab, dann lenkte ich den Buick in Richtung der 17th Street. Wir fanden einen Parkplatz in der Nähe des Hauses, in dem die Shannons wohnten, ich stellte den Buick ab, dann gingen wir in das Gebäude.

Schließlich standen wir zu dritt vor der verschlossenen Wohnungstür. Milo läutete noch einmal. In der Wohnung rührte sich nichts. Ratlos schauten wir uns an. Ich läutete bei einer Nachbarswohnung. Eine Frau von etwa vierzig Jahren öffnete die Tür. Ich grüßte und sagte: »Wir wollen zu den Shannons. Scheinbar sind sie ausgeflogen. Haben Sie sie die Wohnung verlassen sehen?«

»Nein. Aber Tom müsste in der Arbeit sein. Er ist Abteilungsleiter bei Woolworth. Vielleicht versuchen Sie es dort einmal.«

Wir verließen das Haus, gingen zum Buick und bemühten den Computer. Dann hatten wir die Nummer von Woolworth. Ich wählte sie, und eine Frauenstimme meldete sich. Ich bat, mit Tom Shannon verbunden zu werden. Ich wurde dreimal weiterverbunden, schließlich erklärte man mir, dass Shannon an diesem Tag nicht zur Arbeit erschienen sei und dass er auch nicht angerufen habe, um sein Fehlen zu entschuldigen.

Das erschien mir seltsam. In einer Position, wie sie Tom Shannon innehatte, blieb man nicht einfach ohne jede Entschuldigung der Arbeit fern. »Wir gehen in die Wohnung«, beschloss ich.

Wir begaben uns wieder in das Gebäude. Milo hatte immer ein Etui mit Spezialdietrichen dabei, und so kostete es ihn ein Lächeln, das Zylinderschloss der Wohnungstür zu öffnen. Er brauchte nicht mal fünfzehn Sekunden.

Wir fanden zwei Tote. Tom Shannon lag vor der Tür zum Schlafzimmer am Boden, seine Frau lag im Bett. Die Tür zu einem anderen Raum stand weit offen. Ich ahnte Schlimmes und betrat das Zimmer. Das Kinderbett, das da stand, war leer. Der Säugling war entführt worden.

Ich war erschüttert. Ein derart brutales Vorgehen löste Fassungslosigkeit und Betroffenheit in mir aus. Meine Kehle war wie ausgetrocknet.

Dr. Santoz war bleich wie ein Leinentuch. Seine Lippen bewegten sich, formten tonlose Worte, doch kein Laut drang aus seiner Kehle. Auf dem Grund seiner Augen spiegelte sich grenzenloses Entsetzen wider.

Und auch Milos Gesicht sprach Bände.

»Wir müssen die Mordkommission verständigen«, sagte ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd vorkam. Mit dem letzten Wort zog ich mein Handy aus der Jackentasche und stellte eine Verbindung her. Man sagte mir zu, ein Team zu schicken.

Wir bewegten uns kaum in der Wohnung und berührten nichts, um nicht irgendwelche Spuren zu zerstören. Es dauerte seine Zeit, bis die Kollegen vom Detective Bureau ankamen. Die Beamten der SRD, die aus der Bronx anreisen mussten, ließen noch auf sich warten.

Wir überließen der Mordkommission das Feld, kehrten ins Field Office zurück und erstatteten Mr. McKee Bericht. Als ich geendet hatte, meinte der AD: »Das heißt, dass wir den Kinderhändlern ziemlich nahe gekommen sind. Jetzt versuchen Sie, ihre Spur zu verwischen.«

Ich wandte mich an Dr. Santoz. »Gibt es noch weitere Adressen hier in New York? Sie sollten nicht versuchen, die Ermittlungen auf eigene Faust zu führen, Doktor. Was dabei herauskommen kann, haben Sie gesehen.«

»Ich habe keine weitere Adresse«, erklärte Dr. Santoz. »Sie müssen es mir glauben. Ich würde es Ihnen sagen.«

Da läutete das Telefon auf dem Schreibtisch von Mr. McKee. Er schnappte sich den Hörer und nannte seinen Namen, horchte einen Moment und reichte mir den Hörer über den Schreibtisch. »Für Sie, Jesse.«

»Trevellian.«

»Hier ist Detective Lieutenant Miller. Wir befinden uns in der 17th Street. Die Spurensicherung ist noch nicht abgeschlossen. Eines haben wir jedoch herausgefunden. Das letzte Telefongespräch, das Shannon führte, war mit einem Jim Baldwin.«

Es durchfuhr mich wie ein Stromstoß. »Interessant«, murmelte ich. »Vielen Dank, Detective Lieutenant. Wir kümmern uns darum.«

Ich setzte Mr. McKee, Milo und Dr. Santoz in Kenntnis. In den Gesichtern arbeitete es. Man konnte von den Mienen geradezu ablesen, was hinter den Stirnen vorging.

»Womit sich ein Kreis schließt«, murmelte Dr. Santoz. »Mendoza – Baldwin – Shannon. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihnen zu Baldwin fahre?«

Milo und ich wechselten einen schnellen Blick, Milo nickte kaum merklich, ich sagte: »Keine Einwände, Doktor.« Ich richtete den Blick auf Mr. McKee. »Wir fahren in die Wooster Street, Sir. Bin neugierig, was Baldwin im Hinblick auf das Telefonat mit Shannon zu berichten hat.«

Wir verließen das Büro, fuhren mit dem Aufzug in die Tiefgarage, und wenig später trug uns der Buick hinaus auf die Federal Plaza. Ich fädelte uns in den vorbeifließenden Verkehr ein, und schließlich fuhren wir nach Norden in Richtung SoHo.

Wir suchten zunächst das Büro der Sekretärin auf. Sie sagte: »Tut mir leid, Special Agents, aber Mr. Baldwin hat heute Morgen angerufen und erklärt, dass er sich nicht wohl fühle. Er wollte einen Tag zu Hause bleiben.«

»Sagen Sie mir seine Privatnummer«, bat ich.

»Ich kann ihn anrufen«, erklärte die Sekretärin.

»Bitte.«

Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer, die sie im Kopf zu haben schien. Eine ganze Weile wartete sie, wir konnten das Freizeichen hören, aber niemand nahm ab. Die Frau legte auf. »Er scheint nicht zu Hause zu sein. Vielleicht hat er einen Arzt aufgesucht.«

»Wissen Sie, wer sein Hausarzt ist?«

»Dr. Henderson. Ich rufe ihn an. Moment.«

Wieder telefonierte die Sekretärin. Schließlich sagte sie: »Hier spricht Clara Sanders aus dem Büro von Jim Baldwin. Er hat sich für heute krank gemeldet. Hat er gegebenenfalls Ihre Praxis aufgesucht? – Nicht! Danke.« Die Sekretärin legte auf. »Fehlanzeige.«

»Sind Sie sicher, dass es Ihr Chef war, der heute Morgen angerufen hat?«, fragte ich.

Die Sekretärin schaute nachdenklich drein. »Ich weiß nicht …«, murmelte sie und zuckte mit den Schultern. »Wenn ich es mir richtig überlege, dann klang er schon ein wenig seltsam. Ich dachte mir nichts dabei.«

»Fahren wir«, sagte ich zu Milo.

Wir nahmen die Williamsburg Bridge, um den East River zu überqueren. In Queens war der Verkehr weitaus ruhiger als in Manhattan. Ein ganzes Stück konnten wir den Interstate Highway 278 benutzen, dann befuhren wir die Roosevelt Avenue und kamen direkt zum Flushing Meadow Corona Park. Wir verließen die Roosevelt Avenue, fuhren durch ein Wohngebiet und gelangten in die 44th Avenue. Sie endete am Park. Auch südlich der Straße dehnte sich die riesige Grünanlage aus.

Das Haus, das Baldwin bewohnte, lag in einem großen Garten, der von einer etwa zwei Yard hohen Hecke begrenzt wurde. Das breite Gartentor aus Stahlblech war geschlossen. Die Pforte daneben ebenfalls. Milo läutete. Der Lautsprecher der Gegensprechanlage blieb ruhig.

Mir schwante Schlimmes. »Hilf mir mal hinüber«, bat ich Milo. Er lehnte sich gegen das Tor und verschränkte die Hände vor dem Leib. Ich stellte meinen rechten Fuß hinein, meine Hände packten Milos Schultern, mit Hilfe der >lebenden Leiter< gelangte ich auf das Tor und sprang auf der anderen Seite hinunter. Vor mir lag eine geteerte Garagenzufahrt, daneben war ein Kiesweg, der zur Haustür führte. Zwischen Zufahrt und Kiesweg war eine Rosenrabatte angelegt. Die Blätter begannen bereits auszutreiben.

Ich erreichte die Haustür. Sie war verschlossen. Die Jalousien vor den Fenstern waren heruntergelassen. Ich verspürte Beklemmung. Das Haus mutete wie ausgestorben an. Auch die Terrassentür auf der Rückseite des Gebäudes war mir versperrt, die Jalousie war auch hier nach unten gelassen. Ich nahm mein Handy und rief Milo an. »Alles versperrt«, gab ich zu verstehen.

»Ich komme hinein«, erklärte Milo kurzentschlossen. »Dr. Santoz wird mir über das Tor helfen.«

Kurz darauf eilte Milo heran. Sekunden später hatte er die Tür geöffnet. Wir betraten das Haus. Und wieder fanden wir zwei Leichen. Jim Baldwin und seine Ehefrau lagen erschossen in ihren Betten. Die Mörder mussten sie im Schlaf überrascht haben.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden verständigten wir die Mordkommission.

An diesem Tag wollten wir anfangen, Baldwin zu überwachen. Das hatte sich nun erübrigt. Uns war klar, dass er eine Schlüsselposition in der Mafia eingenommen hatte, die sich mit Kinderhandel beschäftigte. Nun, da sich das FBI für ihn zu interessieren begann, hatte er sich zu einem Risiko entwickelt. Man hatte ihn kurzerhand eliminiert.

Die Bande überließ nichts dem Zufall. Die Brutalität, mit der sie vorging, war erschreckend.


*


Mit dem Tod von Jim Baldwin schien sich die Spur zu den Menschenhändlern im Sand zu verlaufen. Die ballistische Analyse hatte ergeben, dass Shannon und seine Frau mit einer anderen Waffe getötet wurden als Baldwin und seine Ehegattin. Es waren also verschiedene Killer am Werk gewesen.

Ich nahm mit der Polizei in Asunción Verbindung auf. Der Mann, mit dem ich sprach, stellte sich mir als Capitán Rodriguez vor. Er sprach vorzügliches Englisch. Ich erstattete ihm Bericht und erklärte ihm, dass wir mit unseren Ermittlungen in einer Sackgasse angelangt waren. Rodriguez sagte mir, dass Juan Mendoza schwieg. Man sei zu keinerlei neuen Erkenntnissen gekommen.

Milo saß an seinem Schreibtisch und hatte die Times vor sich ausgebreitet. Er blätterte um und vertiefte sich in einen Bericht. Ich nahm es nur am Rande wahr. »Vielen Dank, Capitán Rodriguez«, sagte ich und verabschiedete mich. Als ich auflegte, sagte Milo:

»Sieh dir das an. Dr. Santoz hat sich an die Times gewandt und ein Interview gegeben. Er hat jedoch keine Namen genannt, sondern sich nur ganz allgemein über illegale Adoptionen und Kinderhandel geäußert. Ein erschütternder Bericht.«

Milo reichte mir die Zeitung, ich drehte sie um und las. >Kinderhandel aktuell wie nie zuvor<, hieß die Überschrift. Der Bericht selbst war eine bittere Anklage. Am Ende des Artikels definierte der Reporter den Begriff des Kinderhandels. Die Publikation schloss mit den Worten: >Der Handel mit Kindern dient unter anderem zum Zwecke der Ausbeutung durch Arbeit, der sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung durch illegale Tätigkeiten und in einem hohen Maße des Adoptionshandels.<

»Was bezweckt Santoz damit?«, fragte ich, nachdem ich alles gelesen hatte.

»Vielleicht erhofft er sich Hinweise aus der Bevölkerung«, erwiderte Milo.

Ich nagte an meiner Unterlippe. »So dumm ist das gar nicht. Die Zeitung erhält sicher eine Reihe von Anrufen mit Hinweisen auf Familien, die ein Kind adoptiert haben. Es ist zwar eine Sisyphusarbeit, diesen Hinweisen nachzugehen, aber sie kann auch zu einem Ergebnis führen.«

Ich rief Lew Harker an, den pferdegesichtigen Reporter der Times, und bat ihn, herauszufinden, aus wessen Feder der Artikel stammte. Wenig später erfolgte der Rückruf. »Es handelt sich um Gloria Boulder. Ich kann dich mit ihr verbinden.«

»Sei so gut.«

Sekunden später hatte ich die Lady an der Strippe. Sie nannte ihren Namen und klang ein klein wenig reserviert. Nachdem ich mich ihr vorgestellt hatte, kam ich auf den Grund meines Anrufs zu sprechen. »Sie haben das Interview mit Dr. Santoz geführt, Miss Boulder.«

»Das ist richtig. Ein heikles Thema.«

»Gewiss. Ihr Artikel wird sicher für eine gewisse Resonanz in der Bevölkerung sorgen.«

»Das denke ich auch. Dr. Santoz hat mich gebeten, ihn über das Ausmaß der – hm, Resonanz in Kenntnis zu setzen.«

»Sicher wird der eine oder andere Name genannt werden«, sagte ich. »Da wir in Sachen Baby- und Kinderhandel ermitteln, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch uns in Kenntnis setzen würden.«

»Das ist kein Problem, Special Agent.«

»Wenn Sie sich meine Telefonnummer notieren möchten.«

»Sagen Sie sie mir.«

Ich diktierte sie ihr, dann bedankte ich mich und legte auf. »Jetzt können wir nur abwarten.«

In mein letztes Wort hinein läutete mein Telefon. Ich angelte mir den Hörer. »Trevellian.« Es war ein Kollege von der SRD. Er sagte: »Wir haben eine DNA in der Wohnung in der 17th Street festgestellt. Sie gehört einem Mann namens Richard Aldridge. Die letzte bekannte Anschrift von Aldridge ist Bronx, 69 Wilson Avenue.«

Wir verloren keine Zeit. Der Navigator führte uns nach Norden. Schließlich langten wir in der Wilson Avenue an. Eine wenig belebte Straße. Bei dem Gebäude Nummer 69 handelte es sich um einen Wohnblock, in dem sich schätzungsweise zwanzig Wohnungen befanden. Ein Altbau, von dessen Wänden der Putz großflächig abfiel und dessen Fenster längst eines neuen Anstrichs bedurft hätten. Einige Treppen führten zur Haustür hinauf. Das eiserne Geländer war verrostet. In der Ecke zwischen Treppe und Hauswand standen zwei große Müllcontainer. Unrat lag rundherum auf dem Boden.

Die Haustür ließ sich öffnen. Im Treppenhaus war es düster, es roch nach Bohnerwachs. Eine Reihe von Briefkästen hing an der Wand. Viele von ihnen ließen sich nicht mehr schließen.

Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Dann erschien auf dem Treppenabsatz ein Halbwüchsiger. Er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben. Auf seinem Kopf saß eine Baseballmütze mit dem Schild nach hinten. Wir gaben es auf, die Namen auf den Briefkästen zu studieren und wandten uns dem Burschen zu. Als er an uns vorbei wollte, sagte ich: »Einen Moment, junger Mann.«

Er blieb stehen, rümpfte die Nase, schniefte und sagte: »Was ist?«

»Wir suchen in dem Haus einen Mann namens Richard Aldridge. Wohnt er noch hier?«

»Rich, sicher.« Er trat einen Schritt zurück, maß mich von oben bis unten, fixierte auch Milo und stieß dann hervor: »Ihr seid Bullen, nicht wahr?«

»Bundesbullen«, erwiderte Milo.

Ich zog meine ID-Card, hielt sie dem Burschen hin und sagte: »FBI. In welcher Etage finden wir Rich?«

Der Bursche verzog den Mund. »Er wird nicht sehr erfreut sein. Vierte Etage.« Er wies mit dem Daumen nach oben. »Rich ist sicherlich zu Hause.«

»Arbeitet er denn nicht?«

»Gelegenheitsjobs. Wenn er geregeltes Einkommen hat, will seine getrennt lebende Alte von ihm Unterhalt. Rich sieht aber nicht ein, weshalb er ihr auch nur einen Cent bezahlen sollte. Schließlich hat sie ihn sitzen lassen.«

Wir konnten uns ein erstes Bild von Richard Aldridge machen. Ich bedankte mich bei dem Halbstarken, dann stiegen wir die Treppe hinauf. Manche Stufe knarrte unter unserem Gewicht. Die Wände waren vollgekritzelt. Wer hier wohnte, gehörte sicher nicht zur gesellschaftlichen Oberschicht. Die Fensterbretter auf den Treppenabsätzen waren übersät von toten Fliegen. Die Fensterscheiben waren dreckig.

An eine Tür in der vierten Etage war mit durchsichtigem Klebeband ein kleiner Zettel angebracht, auf dem der Name Richard Aldridge stand. Ich läutete. Nichts rührte sich in der Wohnung. Deshalb klopfte Milo gegen die Tür. Es dauerte nicht lange, dann wurde die Tür geöffnet. Ein etwa vierzigjähriger Mann mit tagealten Bartstoppeln im Gesicht, der mit Jeans und T-Shirt bekleidet war, öffnete. Er starrte uns fast feindselig an. »Wenn ihr von der Jugendbehörde kommt, dann war euer Weg umsonst. Ich habe kein Geld, um Unterhalt für den Indianerbalg zu zahlen. Sperrt mich von mir aus ein, aber …«

Ich hielt ihm meinen Ausweis hin, er verschluckte sich beinahe und sagte fast ergriffen: »FBI!«

»Sehr richtig. Mein Name ist Trevellian. Ich bin Special Agent, das ist mein Kollege Tucker. Können wir Sie sprechen?«

»Was wollt ihr denn von mir?«

»Es geht auf jeden Fall nicht um Unterhaltspflichtverletzungen«, versetzte ich.

Aldridge kratzte sich am Kinn. »Kommen Sie herein.« Und nachdem wir die Wohnung betreten hatten, sagte er: »Entschuldigen Sie die Unordnung hier. Aber ich lebe allein und Ordnung war noch nie meine Stärke. Setzen Sie sich.«

Es war ein Wohnzimmer aus bunt zusammengewürfelten Möbeln, in dem es in der Tat aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall lagen Kleidungsstücke herum. Auf dem Tisch standen leere Flaschen und Bierdosen. Staub hatte Aldridge wahrscheinlich noch nie gewischt. Er hauste – um es auf einen Nenner zu bringen -, in einem Dreckloch. Darum verzichteten wir darauf, uns zu setzen. Ich winkte ab. »Danke, nicht nötig. Wir haben Hinweise darauf, dass Sie sich in der Wohnung der Shannons in der 17th Street, Manhattan, aufgehalten haben.«

Aldridge legte die Stirn in Falten. Er schien angestrengt nachzudenken. »Shannon«, flüsterte er wie im Selbstgespräch vor sich hin. »Ja, der Name sagt mir was. 17th Street …« Plötzlich schlug er sich mit der flachen Hand leicht gegen die Stirn. Es mutete mich ausgesprochen theatralisch an. »Jetzt weiß ich's wieder. Es ist allerdings schon einige Zeit her. Ich war bei Shannon, um ihn um Geld anzupumpen.«

»Sie wollten ihn anpumpen? Das heißt, Sie kannten ihn besser, als Sie uns eben glauben machen wollten?«

»Na ja …« Der Bursche hob die Schultern. »Mir stand das Wasser wieder einmal bis zum Hals. Shannon gab mir einen Hunderter.« Aldridge grinste. »Ich war ihm sehr dankbar dafür. Der Hunderter hielt mich für ein paar Tage über Wasser.«

»Er gab Ihnen hundert Dollar, einfach so?«

»Ja. Ich habe ihm und seiner Frau zu einem Kind verholfen.«

Ich horchte auf. »Erzählen Sie.«

Aldridge ließ sich in einen Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. »Wollen Sie sich wirklich nicht setzen?«

»Es geht auch so. Erzählen Sie«, drängte ich.

»Nun, ich arbeitete damals bei Woolworth und Shannon war mein Vorgesetzter. Meine Frau und ich hatten ein Kind aus Paraguay adoptiert. Eines Tages ließ mich Shannon antanzen und fragte mich, wie so eine Adoption abläuft. Ich erklärte ihm, dass dies ein langwieriger Prozess sei, nannte ihm aber die Adresse eines Mannes, der in der Lage war, schnell und unbürokratisch ein Kind zu beschaffen.«

»Jim Baldwin, nicht wahr?«

Aldridge schaute mich verblüfft an. »Woher wissen Sie?«

»Wir wissen es eben. Sie und Ihre Frau haben auch ein Kind adoptiert?«

»Ja, aber auf legalem Weg. Baldwin muss irgendwie Wind davon bekommen haben, denn er trat an uns heran und bot uns ein Kind an. Allerdings hatten wir nicht die 30.000 Dollar, die er forderte.«

»Kam von Shannon eine Rückmeldung?«

»Nein. Aber ich habe Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass das Ehepaar ein Kind aus Paraguay adoptiert hat. In dieser kurzen Zeit war es unmöglich, eine Adoption auf legalem Weg durchzuführen. Nachdem mich vor etwas über drei Monaten meine Frau aus der Wohnung warf und ich gewissermaßen vor dem Nichts stand, wandte ich mich an Shannon. Er verschaffte mir diese Wohnung hier, ab und zu half er mir mit Bargeld aus.«

»Sie haben ihn erpresst«, erklärte ich mit Bestimmtheit im Tonfall.

»So kann man das nicht bezeichnen«, stieß Aldridge hervor und hob die rechte Hand, zeigte mir die Handfläche. »Keine falschen Schlüsse, G-man. Shannon und seine Frau waren mir sehr dankbar. – Gibt es ein Problem, weil das FBI plötzlich mitmischt? Himmel, ich hab Shannon lediglich den Namen Baldwin genannt. Mehr habe ich mit der Sache nicht zu tun. Das müssen Sie mir glauben.«

»Shannon wurde ermordet«, sagte ich. »Das Kind wurde entführt. Auch Baldwin wurde ermordet. Wir sind einem Ring von Kinderhändlern auf die Spur gekommen. Gibt es irgendwelche Namen im Zusammenhang mit der Adoption von Kindern in Südamerika, die Sie uns nennen können?«

Aldridge prallte regelrecht zurück. »Sie wurden ermordet?«, stammelte er entsetzt und starrte mich an, als hätte ich kompletten Blödsinn von mir gegeben. Seine Augen waren zwei Fragezeichen.

»Ja. Wahrscheinlich stecken Baldwins Hintermänner dahinter.«

»Großer Gott.« Mit fahriger Geste fuhr sich Aldridge über die Augen. »Das – das konnte ich doch nicht ahnen.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Milo.

Aldridge schaute ihn an wie ein Erwachender. »Ich habe Shannon doch den Namen Baldwin genannt. Ich – ich konnte doch nicht ahnen, dass Baldwin zu einem Kinderhändlerring gehört.«

»Fallen Ihnen in diesem Zusammenhang Namen ein?«, drängte ich.

Aldridge dachte kurz nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Namen nannte Baldwin nicht.«

»Besitzen Sie eine Waffe?«, fragte ich.

»Sie meinen eine Pistole oder ein Gewehr?«

»Eine Pistole, Kaliber .45 ACP.«

»Ich habe keine Pistole. Warum fragen Sie?«

»Ihre DNA wurde in Shannons Wohnung sichergestellt. Und Shannon wurde ermordet. Haben Sie für die Nacht vom 27. auf den 28. März ein Alibi?«

»Ich – ich lebe alleine. Die Abende verbringe ich in meiner Wohnung. Woher sollte ich ein Alibi haben.« Aldridge ruckte in die Höhe und beugte sich vor. »Sie denken doch nicht, dass ich …« Er brach ab und tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. »Ich bin kein Mörder, G-men. Außerdem hatte ich keinen Grund …«

»Bleiben Sie ruhig, Mister Aldridge«, sagte ich. »Ich halte Sie nicht für den Mörder Shannons. Wir sind lediglich einer Spur nachgegangen. Lebt Ihre Ehefrau in New York?«

»Ja. Sie will ständig Unterhalt für sich und den Indianerbalg. Dabei war es ihr Wunsch, ein Kind zu adoptieren. Ich sehe doch nicht ein, weshalb ich für ein Kind, das gar nicht von mir ist, Unterhalt zahlen soll. Und meine Alte – die soll sich an ihren Liebhaber wenden. Der soll sie unterstützen. Er hat schließlich auch das Vergnügen mit ihr.«

»Sie haben mit der Adoption den Jungen an Kindesstatt angenommen«, erklärte Milo. »Damit sind Sie in die Pflichten eines leiblichen Vaters eingetreten. Dies beinhaltet auch die Pflicht zum Unterhalt.«

»Das sehe ich nicht ein.«

»Sagen Sie uns, wo Ihre Ehegattin lebt.«

Er nannte uns die Adresse. Auch sie wohnte in der Bronx, und zwar in der 239th Street.

»Brauchen wir eine Aussage der Ehefrau?«, fragte Milo, als wir im Sportwagen saßen.

»Ich glaube zwar nicht, dass sie uns weiterhelfen kann, aber wir sollten es nicht versäumen, sie dennoch anzuhören. Wir wollen doch nichts außer Acht lassen.«

Weil wir schon in der Bronx waren, fuhren wir auch gleich in die 239th Street. Wir trafen Mrs. Aldridge zu Hause an. Als sie hörte, dass wir von Richard Aldridge kamen, begann sie sogleich zu schimpfen: »Ich lebe von Gelegenheitsjobs und Sozialhilfe. Und der elende Hundesohn weigert sich kategorisch, Unterhalt für mich und Pedro zu zahlen. Man müsste ihn einsperren, bis er schwarz wird und ihn verpflichten, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Er …«

Ich hob die rechte Hand und unterbrach mit dieser Geste ihren Redestrom. »Wir können Ihnen nicht helfen, eine Unterhaltszahlung gegen Ihren getrennt lebenden Ehemann durchzusetzen«, gab ich zu verstehen. »Wir haben mit ihm gesprochen. Sie haben einen Jungen aus Paraguay adoptiert. In diesem Zusammenhang nannte uns Ihr Mann zwei Namen. Jim Baldwin und Tom Shannon.«

»Shannon war Richards Vorgesetzter, als er kurze Zeit bei Woolworth arbeitete.«

»Das wissen wir. Tom Shannon und sein Frau haben ebenfalls ein Kind aus Paraguay adoptiert.«

»Das ist richtig. Rich hat mir davon erzählt. Aber die näheren Umstände kenne ich nicht. Dieser Baldwin ist an uns herangetreten. Er wollte uns helfen, schnell und unbürokratisch ein Kind zu adoptieren. Aber er wollte 30.000 Dollar für seine Dienste. Wir mussten ablehnen. – Nun muss ich sehen, wie ich Pedro durchbringe. Die Sozialhilfe, die ich erhalte, ist zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Und Richard, dieser elende Hurensohn, denkt nicht daran, Arbeit aufzunehmen und Unterhalt zu zahlen.«

Diese Tiraden wollten wir nicht hören und verabschiedeten uns.

Das Schicksal der Frau war typisch für das Leben in der Bronx, einem der ärmsten Stadtteile New Yorks. Nördlich der 160th Street scheinen die glitzernden Fassaden Manhattans eine Weltreise entfernt zu sein. Die Bronx ist der Hinterhof New Yorks …


*


Es war 20 Uhr. Gloria Boulder betrat das >Life Bait< in der 23rd Street und schaute sich um. Sofort kam ein Ober heran und fragte, ob sie einen Platz reserviert habe. Gloria sagte: »Dr. Miguel Santoz hat reserviert.«

Der Ober ging schnell zur Theke, unterhielt sich mit einem südländischen Typ, nickte und kam zurück. »Bitte, folgen Sie mir.« Er führte Gloria zum Tisch Nummer 12. Dr. Santoz war bereits da. Er erhob sich. Der Ober half Gloria aus dem Trenchcoat, Santoz nahm ihm den Mantel ab und trug ihn zu einer Garderobe, hängte ihn an den Haken und kehrte zum Tisch zurück. Jetzt erst begrüßten sich Dr. Santoz und Gloria Boulder. Sie setzten sich. Der Ober brachte die Speisenkarte und entfernte sich wieder.

Sie wählten Getränke und etwas zu essen aus, dann heftete Gloria den Blick auf Dr. Santoz und sagte lächelnd: »Ich bin auf die Geschichte gespannt, Dr. Santoz. Darf ich Miguel zu Ihnen sagen?«

»Natürlich. Sie heißen Gloria, nicht wahr? Es ist eine interessante Geschichte. Das FBI will diesbezüglich zwar eine Pressekonferenz geben, aber durch mich erfahren Sie sie gewissermaßen aus erster Hand. Hat es schon Resonanzen auf den Artikel gegeben?«

Gloria nickte. »Einige Zeitgenossen haben angerufen. Sie kennen Leute, die ein Kind aus Südamerika adoptiert haben und vermuten jetzt natürlich hinter den Adoptionen illegale Machenschaften. Ich habe Namen und Adressen. Sie erhalten sie im Tausch gegen Ihre Geschichte, Miguel.«

Gloria war eine attraktive Frau von zweiunddreißig Jahren, dunkelhaarig, erstklassig gewachsen, von einer besonderen Rasse. Längst hatte Dr. Santoz registriert, dass sie weder an der linken noch an der rechten Hand einen Ring trug, der vermuten lassen konnte, dass sie verlobt oder verheiratet war. Diese Frau gefiel ihm.

»Sie sind eine ausgesprochen selbstbewusste Frau, Gloria.«

»Selbstbewusstsein muss man in meinem Job mitbringen«, lachte sie. »Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen, und ein hohes Maß an Zähigkeit. Andernfalls geht man baden.«

»Das kann ich mir denken.«

Der Ober kam und sie gaben ihre Bestellung auf. Sie tranken kalifornischen Weißwein. Der Ober brachte die beiden Gläser und sie prosteten sich zu.

»Sie sind sicher sehr viel unterwegs, auch nachts«, ergriff wieder Santoz das Wort. »Das gefällt Ihrem Mann sicher nicht.«

»Ich habe keinen Mann«, erwiderte Gloria. »Es gibt derzeit überhaupt keinen Mann in meinem Leben«, setzte sie hinzu. »Meine letzte Beziehung ging vor einem halben Jahr in die Brüche. Schuld war mein Beruf.« Sie seufzte und lächelte. »Man muss Prioritäten setzen. Mir geht mein Job über alles andere. Sind Sie verheiratet, Miguel?«

»Geschieden. Wir lebten uns auseinander. Ich habe aber ein gutes Verhältnis zu meiner ehemaligen Frau. Wir sind Freunde.«

Santoz sah das Feuer in ihren dunklen Augen, sie zog ihn in ihren Bann, er war von ihr fasziniert. Etwas regte sich in ihm. Er war ein Mann in den besten Jahren …

Er gab sich einen Ruck. »Darf ich Sie nach dem Essen noch in eine Bar auf einen Drink einladen, Gloria?«

»Gerne. Nachdem Sie mir die Geschichte erzählt haben.«

»Natürlich. Deswegen sind wir ja hier.«

»Wenn ich Ihnen die Namen gebe – werden Sie das FBI einschalten?«

Sekundenlang presste er die Lippen aufeinander. Dann erwiderte er: »Ich weiß nicht, ob das gut wäre. Zuerst will ich mit den Leuten sprechen. Und dann sehe ich weiter. Als sich das FBI für Jim Baldwin zu interessieren begann, wurde er ermordet. Ebenso Shannon.« Santoz machte eine kurze Pause. »Ich werde zunächst versuchen, ohne das FBI dem Kinderhandel auf den Grund zu gehen und die Hintermänner hier in den Staaten zu entlarven«, sagte er dann entschieden. »Die Polizei kann ich immer noch einschalten, wenn ich Fakten in Händen habe.«

»Trevellian hat mich angerufen«, erklärte Gloria. »Er will, dass ich das FBI mit denselben Informationen wie Sie versorge.«

»Und?«

»Sie möchten doch nicht, dass das FBI mitmischt.«

Santoz nickte. »Sie werden die Namen also zurückhalten.«

»Sie versprechen mich dafür auf dem Laufenden zu halten, Miguel.«

»Eine Hand wäscht die andere.«

»Dann erzählen Sie mal.« Gloria holte aus ihrer Handtasche einen Block und einen Kugelschreiber.

Dr. Santoz begann zu reden. Gloria machte sich fleißig Notizen. Das Essen kam und sie aßen. Danach sprach Santoz weiter. Schließlich endete er mit den Worten: »Die Spur, die mich in die Staaten geführt hat, endete bei Jim Baldwin. Es sah so aus, als müsste ich unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren. Jetzt aber gibt es wieder Hoffnung. Ich werde mit den Leuten sprechen, deren Namen Sie mir geben werden, Gloria. Doch jetzt wollen wir damit Schluss machen. Gehen wir zum gemütlichen Teil des Abends über. Ich kenne eine nette Bar in der 44th Street. Dorthin möchte ich Sie einladen.«

»Ich habe einen besseren Vorschlag, Miguel. Meine Wohnung liegt in der 56th Street. Ich habe einige Flaschen vorzüglichen Clos Du Val zu Hause. Was halten Sie davon?«

»Ein Narr, wer da nein sagen würde«, erwiderte Dr. Santoz mit einem süffisanten Grinsen um die Lippen.

Kapitel 3

Mein Telefon läutete und ich nahm ab. Es war kurz vor neun Uhr. Milo und ich erledigten Schreibtischarbeit. Eine weibliche Stimme sagte: »Ich habe den Artikel in der Zeitung bezüglich illegaler Adoptionen gelesen. In dem Artikel steht, dass eine legale Adoption oft viele Monate in Anspruch nimmt.«

»Das ist richtig. Warum wenden Sie sich an das FBI.«

»Ich kenne einen Fall, in dem hat die Adoption gerade mal sechs Wochen gedauert. Ich dachte mir nichts dabei. Erst als ich den Artikel gelesen hatte, kamen mir Zweifel. Ich wende mich deshalb an Sie …«

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738967654
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Schlagworte
trevellian ware action krimi

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: Trevellian und die lebende Ware: Action Krimi