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Uksak Top Western-Roman 8: Zwei wie Dynamit und Feuer

von Timothy Stahl (Autor:in)
©2022 130 Seiten

Zusammenfassung

"Mama Rosita's Roses" war weit über die Grenzen von Fresno hinaus berühmt und berüchtigt. Manche sahen in dem Etablissement einen Sündenpfuhl ohnegleichen, andere hielten es für ein Geschenk des Himmels.

Randy Chase zählte zu Letzteren, und gerade jetzt meinte er, die Engel singen zu hören – wieder einmal…

Woche für Woche haute Randy einen beträchtlichen Teil seines Lohns, den er als Cowboy draußen auf der Four-T-Ranch verdiente, unter Mama Rositas Dach – oder genauer gesagt in ihren Betten – auf den Kopf. Kameraden und Kollegen waren sich einig darüber, dass Randy Chase deshalb so ein mageres Bürschlein war – weil er sein Geld, anstatt sich regelmäßig ein ordentliches Stück Rindfleisch zu gönnen, lieber für fleischliche Gelüste ausgab.

Vielleicht hatten sie Recht. Es kümmerte Randy nicht. Denn für sein warmes Stammplätzchen zwischen Lauras Schenkeln würde er sogar für alle Zeit aufs Essen verzichten! Damned, es würde ihn nicht einmal kratzen, in den Armen dieses Mädchens zu sterben!

Das dachte Randy Chase jedenfalls…

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Uksak Top Western-Roman 8: Zwei wie Dynamit und Feuer

Timothy Stahl


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"Mama Rosita's Roses" war weit über die Grenzen von Fresno hinaus berühmt und berüchtigt. Manche sahen in dem Etablissement einen Sündenpfuhl ohnegleichen, andere hielten es für ein Geschenk des Himmels.

Randy Chase zählte zu Letzteren, und gerade jetzt meinte er, die Engel singen zu hören – wieder einmal…

Woche für Woche haute Randy einen beträchtlichen Teil seines Lohns, den er als Cowboy draußen auf der Four-T-Ranch verdiente, unter Mama Rositas Dach – oder genauer gesagt in ihren Betten – auf den Kopf. Kameraden und Kollegen waren sich einig darüber, dass Randy Chase deshalb so ein mageres Bürschlein war – weil er sein Geld, anstatt sich regelmäßig ein ordentliches Stück Rindfleisch zu gönnen, lieber für fleischliche Gelüste ausgab.

Vielleicht hatten sie Recht. Es kümmerte Randy nicht. Denn für sein warmes Stammplätzchen zwischen Lauras Schenkeln würde er sogar für alle Zeit aufs Essen verzichten! Damned, es würde ihn nicht einmal kratzen, in den Armen dieses Mädchens zu sterben!

Das dachte Randy Chase jedenfalls…

In der Zimmerluft hing noch der süße Duft von Lauras Parfüm, den ihr heißer Körper auf dem Gipfel der Lust verströmt hatte, verschwenderisch wie eine Blume, die in voller Blüte stand. Randy Chase spürte noch immer den Nachklang des Kribbelns in seinen Lenden und den fordernden Druck von Lauras samtweichen, schlanken Beinen, die sie ihm um die Hüfte geschlungen hatte wie einem wilden Hengst, den es zuzureiten galt.

Eigentlich wäre es für Chase danach an der Zeit gewesen, sich anzuziehen und zu gehen. Aber er hatte noch ein paar Scheine zusammengekratzt für eine zweite Runde.

Herrgott, für Laura hätte er seinen letzten Dollar gegeben und sein letztes Hemd versetzt!

Nicht nur, weil es für ihn nichts Schöneres geben konnte, als mit diesem Mädchen zusammen zu sein. Nicht nur, weil es ihm jedes Mal fast das Herz brach, wenn er seinen Hut aufsetzte und sich mit einem galanten Handkuss verabschiedete.

Sondern, vor allem, weil es ihm in der Seele wehtat, sich vorzustellen, dass Laura nach ihm andere Kunden empfing.

Und an nichts anderes konnte Randy Chase denken, wenn er nach einem Besuch bei "Mama Rosita's" durch die Nacht zurück zur Four-T ritt, Lauras Duft noch auf seiner Haut, aber in der Gewissheit, dass ihn gerade jetzt, in diesem Augenblick ein anderer atmen durfte. Irgendein stinkender Kerl, der des Girls nicht würdig war!

Also verbrachte Randy Chase so viel Zeit wie nur möglich (und wie er sich leisten konnte) mit Laura. Was leider Gottes nicht so viel war, wie er es sich wünschte…

Genau genommen wünschte er sich nichts sehnlicher, als seine ganze Zeit mit Laura zu teilen. Dass sie ihren Job aufgab und nur noch ihm gehörte, in guten wie in schlechten Zeiten.

O ja, er würde sie lieben und ehren, bis dass der Tod sie schied. Und, nein, es würde ihn stören, niemals, dass sie eine Hure war. Er würde sie zu einer ehrbaren Frau machen.

Und wenn sie fürchtete, ihre anrüchige Vergangenheit würde ihr anhängen, so lange sie in oder auch nur in der Nähe von Fresno blieb, dann könnten sie anderswo hingehen. Randy Chase sah sich selbst als tüchtigen jungen Mann, und es gab ganz sicher schlechtere Cowboys als ihn; er würde überall Arbeit finden.

Die Zukunft hätte so schön sein können. Randy sah sie in strahlendem Glanz und prächtigen Farben.

Laura brauchte nur noch zuzugreifen, nur "Ja, ich will!" zu sagen…

…aber sie lachte nur. Ihr herrliches, erfrischendes Lachen. Hell wie das Klingeln eines Silberglöckchens. So rein und unschuldig wie Laura tief in ihrem Herzen immer noch war, trotz ihres Jobs.

"Ach Randy", seufzte sie dann, "du bist so süß, wenn du träumst."

Chase lag bäuchlings und nackt auf den seidigen Laken des Betts.

Laura saß, gleichfalls nackt, auf seinem Rücken – er fühlte die feuchte Wärme ihres Schoßes – und massierte seine knochigen Schultern, an ihren Händen ein Öl, dessen Duft mit ihrem Parfüm harmonierte.

"Es könnte unser Traum sein", sagte Randy. "Warum nur willst du ihn nicht mit mir träumen?"

"Ich kann nicht", sagte Laura, und der mädchenhafte Ton schwand aus ihrer Stimme. "Vielleicht… weil ich das Träumen verlernt habe."

Das Mädchen war gut und gerne fünf Jahre jünger als Randy. Trotzdem, manchmal klang sie so alt, als könne sie seine Mutter sein. Und er wusste nur zu gut, dass Lauras hübsches Gesicht diese Verwandlung jedes Mal ein Stück weit mitmachte. Dass dann dunkle und harte Linien darin auftauchten wie hineingemalt.

"Das verlernt man nicht", behauptete er. "Man muss nur wollen, dann kann jeder Traum wahr werden – oder wenigstens so nahe rücken, dass er greifbar wird."

"Wenn ich dich so reden höre…"

Laura beugte sich vor und schmiegte sich gegen Randy. Er spürte ihre kleinen festen Brüste im Rücken, ihren warmen Atem im Nacken und dann ihre Lippen ganz nah an seinem Ohr

"…dann möchte ich dir so gerne glauben."

"Das kannst du." Randys Stimme klang mit einem Mal rau. "Du kannst mir vertrauen, Laura. Ich meine es ernst, jedes Wort. Ich würde dich auf Händen durchs Leben tragen –"

"Das weiß ich –"

"Aber?", fragte Randy.

Laura zögerte, und als sie endlich antwortete, tat sie es so leise, dass Chase Mühe hatte, sie zu verstehen, obwohl ihr Mund dicht an seinem Ohr war.

"Ich weiß nicht, ob ich es wert bin, Randy. Ob ich einen Mann wie dich überhaupt verdiene."

"Red keinen Unsinn!"

Randy wurde so laut, dass man ihn vermutlich noch in den Zimmern nebenan hören konnte. Schließlich bestanden die Wände aus kaum mehr als ein paar Brettern, dünner Tapete und ein bisschen Spucke.

Entrüstet drehte er sich um.

Laura rutschte von seinem Rücken, kam neben ihm zu liegen, und Chase schob sich über das Mädchen, sein Gesicht nur mehr eine knappe Handbreite von ihrem entfernt.

"Sag das nicht, Laura, bitte. Ich bin es, der sich fragen muss, ob er gut genug für dich ist."

"Jetzt redest du Unsinn", meinte Laura, aber es klang nicht so leichthin, wie sie es beabsichtigt hatte. Es wollte ihr nicht gelingen, den Ernst der Lage herunterzuspielen.

Den Ernst der Lage… Laura schauderte. Wohlig.

Ja, dachte sie, die Sache ist ernst. Sie wusste, dass sie einen Schritt in eine Richtung getan hatte, in die es sie insgeheim zog, seit Randy Chase ihr seine Gefühle offenbart hatte. Und sie war sich fast sicher, dass sie diesen einen Schritt nicht mehr zurückgehen wollte – im Gegenteil…

"Laura, ich bin nur ein einfacher Cowboy und ich habe keine Reichtümer, aber –"

Jetzt schaffte sie doch ein kleines Lächeln.

"Natürlich hast du die nicht, Süßer. Weil du dein ganzes Geld bei mir lässt."

"Und du bist jeden Cent wert", grinste Randy und küsste ihre Nasenspitze.

"Aber auch ehrlich genug, mir jeden Cent hart zu verdienen", gab Laura zurück. "Und weil wir gerade von 'hart' sprechen…"

Ihre Hand ging auf Wanderschaft und fand, wonach sie suchte.

"Oh", machte Randy. "Hätte ja beinah vergessen, dass ich noch einmal gut habe." Er grinste jungenhaft.

Laura verstärkte ihren Griff um eine Winzigkeit. Randys Männlichkeit reagierte.

"Dann sollten wir keine Zeit verlieren, so lange der kleine Mann willig ist." Laura schnurrte wie ein Kätzchen. "Reden können wir hinterher…"

"Oh, ich hab nichts dagegen, wenn du zwischendurch ein bisschen redest", sagte Randy und glitt zwischen Lauras einladend geöffnete Knie. "Ein paar schmutzige Worte spornen mich zu Höchstleistungen an."

"Ich weiß", gurrte ihm das Mädchen ins Ohr. "Aber die kosten extra. Obwohl –"

"Ja?"

"Ich überlege, ob ich mich mit dir in Zukunft nicht umsonst vergnügen soll – und exklusiv."

Randy hielt inne. "Heißt das –?"

Laura schenkte ihm ein Lächeln, wie sie es noch niemandem geschenkt hatte.

"Hinterher", flüsterte sie. "Erst musst du mir deine Liebe beweisen, Randy Chase."

Und das tat er. Er liebte Laura, wie sie noch ein Mann geliebt hatte.

Sie vergaßen die Welt um sich her.

Vergaßen, wo sie und wer sie waren. Nicht länger Hure und Freier in einem abgenutzten Bordellbett, sondern frei und glücklich im siebten Himmel.

Lust und Leidenschaft machten sie taub für den Tumult, der jenseits ihrer Tür und drunten im Salon ausbrach.

Sie spürten glühende Hitze und hielten sie für das Feuer ihrer just entfachten Liebe zueinander.

Erst als sie schweißnass und keuchend nebeneinander lagen, hörten sie die Schreie und das Prasseln der Flammen, das Krachen, mit dem Wände und Decken einstürzten.

Sekunden später machte sengender Gluthauch jeden Atemzug zur Höllenqual. Und schon leckte das Feuer mit gierigen Zungen auch in dieses Zimmer. Breitete sich rasend schnell aus, verwandelte das Separee in eine Falle, aus der es kein Entkommen gab.

Randy Chase und Laura versuchten es. Aber sie kamen nicht einmal bis zur Tür.

Ihr junges Glück verging, kaum dass es begonnen hatte.

Doch nicht einmal der Tod vermochte sie zu scheiden.

Sie starben Arm in Arm, eng umschlungen in der Feuerhölle, die "Mama Rosita's" in Schutt und Asche legte.


*


Die Sonne berührte fast schon den Horizont hinter Remy Deveraux. Sein Schatten streckte sich lang zwischen den ersten Häusern hin, tief und schwarz wie eine Grube – als stünde er vor seinem eigenen Grab.

Ein sachter, aber steter Wind wirbelte feinen Staub auf und ließ ihn wie schmutzigen Bodennebel über der Straße wogen.

Aus den dunklen Fenstern in den Fassaden und den Schatten unter den Vordächern links und rechts schienen ihn unsichtbare Augen kalt und starr zu mustern.

Wieder einmal fragte sich Remy Deveraux, was er hier eigentlich verloren und zu suchen hatte.

Und wieder einmal wünschte er sich zurück nach Paris.

Wo er nicht über staubige Straßen geschlichen war wie ein Jäger auf der Pirsch, die Hand nicht ständig auf Hüfthöhe, die Finger nicht dauernd am Griff eines Revolvers. Wo die Sonne nicht wie durch ein Brennglas vom Himmel gestochen und nicht bei jedem Atemzug Sand zwischen seinen Zähnen geknirscht hatte.

Nein, daheim in Paris war er am Ufer der Seine entlang und über die Boulevards mit ihren Cafés flaniert, hatte dort mit den hübschen Mademoiselles geflirtet, und die einzigen Abenteuer, in die er sich gestürzt hatte, waren durch die Bank amouröser Natur gewesen.

Und vor allem hatte Remy Deveraux dort nie jemand nach dem Leben getrachtet.

Oh, naturellement, ab und an hatte er den Unmut eines Nebenbuhlers auf sich gezogen, wenn er sich in dessen Liebste verguckte (und in den allermeisten Fällen waren seine Avancen auf Gegenliebe gestoßen). Aber niemals hatte einer dieser Gentlemen versucht, ihm eine Kugel zu verpassen.

Hier jedoch, Remy seufzte still, war das an der Tagesordnung.

Nicht von ungefähr sprach man in seiner alten Heimat meist nur vom Wilden Westen, wenn die Rede auf die Neue Welt kam…

Wie um Himmels willen also war er nur hierher geraten? Und warum blieb er hier, anstatt in die Stadt der Liebe zurückzukehren?

Auf beide Fragen ließ sich dieselbe Antwort geben.

Er hatte Paris den Rücken gekehrt und war Hals über Kopf nach Amerika gereist – einer betörend schönen Miss wegen… und ihretwegen war Remy Deveraux immer noch hier. Letzteres indes hätte er nie und nimmer zugegeben, nicht einmal in Gedanken und sich selbst gegenüber.

Seine Liaison mit dem hübschen Fräulein aus Amerika war vorbei gewesen, kaum dass er ein paar Wochen in ihrer Heimat zugebracht hatte.

Sie hatten nicht zueinander gepasst, oder vielmehr, die Mademoiselle hatte sich letztlich doch nicht als das anschmiegsame Kätzchen erwiesen, das Remy in ihr sehen wollte – nein, eine Wildkatze war sie, mit Krallen und Zähnen, und beides hatte er zu spüren gekommen.

Und das nur, weil ihn fürderhin sein altes Leiden geplagt hatte – jenes, das ihn dazu zwang, jedem Weiberrock nachzuschauen und bisweilen auch –zustellen, wenn sich unter besagtem Rock ein Paar langer Beine und ein knackiger Hintern verbargen.

Remys Erklärung des Unterschieds zwischen wahrer Liebe und harmloser erotischer Neugierde hatte die einzige Dame seines Herzens leider nicht nachvollziehen können… Er schob es der anderen Mentalität der Amerikaner zu.

Ein prüdes Völkchen, wahrlich!

Aber andererseits jederzeit zur Gewalt bereit und schnell mit der Waffe bei der Hand –

Rechts von ihm krachte ein Schuss.

Aus dem Augenwinkel registrierte er das Mündungsfeuer.

Das Geräusch war noch nicht verklungen, als Remy Deveraux schon lang gestreckt nach vorne sprang. Noch in der Bewegung zog er den Revolver und abdrückte.

Er rollte über die Schulter ab, kam in die Hocke und warf sich nach links, wo zwei weitere Schüsse krachten.

Deveraux lupfte seine zweite Waffe aus dem Holster und feuerte zwei Kugeln zurück.

Aber der Tanz ging jetzt erst so richtig los – und es war nicht Remy Deveraux, der den Takt vorgab!

Ein Gewitter aus Schüssen brach über ihn herein.

Zwar fielen sie nicht so schnell hintereinander, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, sie voneinander zu unterscheiden und ihre Richtung zu orten, aber er konnte nicht auf jeden einzelnen reagieren. Auch die Trommeln seiner Revolver fassten nur je sechs Patronen. Im Schlagschatten einer Pferdetränke lud er mit fliegenden Fingern nach, derweil das Krachen ringsum unvermindert anhielt. Beißender Pulverschmauch senkte sich auf die Straße herab wie giftiger Nebel.

Deveraux spannte sich, atmete tief durch. Dann schnellte er hoch und warf sich nach hinten. Im Flug feuerte er aus beiden Waffen. Die Revolver ruckten in seinen Fäusten.

Hart prallte er mit dem Rücken auf die Bretter eines Sidewalks. Die komplette Konstruktion schien unter seinem Gewicht aufzuächzen und zu schwanken. Ihm selbst trieb der Aufprall pfeifend die Luft aus den Lungen.

Trotzdem brachte er es fertig, seinen Schwung zu nutzen und eine Rückwärtsrolle zu vollführen, die ihn direkt bis an den Fuß der Gebäudewand brachte.

Hier war er sich vor den Schüssen, die entlang dieser Seite der Straße fielen; er befand sich im toten Winkel.

Die gegenüberliegende Seite bestrich Deveraux mit weitgefächerten Salven, die er so dosierte, dass ihm Zeit blieb, bis zur offenen Tür des Hauses zu robben. Erst als er über die Schwelle und in die trügerische Sicherheit der Schatten jenseits davon rollte, schlugen die Hämmer seiner Revolver klickend ins Leere.

Im Dunkeln hinter ihm sagte jemand gelassen und eiskalt:

"Peng!"

Und: "Du bist tot, Deveraux."


*


"Merde!", knirschte Remy Deveraux inbrünstig, stand auf und rammte die Revolver zurück in die Holster.

Aus den Schatten hinter ihm löste sich ein einzelner, hoch gewachsen und massig, und trat vor. Eine Hand, schwer wie aus Blei, fiel auf Deveraux' Schulter.

"Well, Frenchman, wer überleben will, sollte auch im Arsch Augen haben", dröhnte Hedge Bensons Bass-Stimme.

Sie gingen hinaus und blieben auf dem Sidewalk stehen, der entlang der Häuserzeile verlief. Die Sonne war inzwischen tiefer gesunken, eine Riesenorange, die vom Horizont schon zur Hälfte gefressen worden war. Die Schatten ringsum wurden zusehends länger.

"Aber bis hierher", Benson wies mit dem Daumen über die Schulter zur Tür, wo Remy Deveraux das Schicksal ereilt hätte, wenn's denn wirklich ernst gewesen und blutig zugegangen wäre, "hast du dich wirklich gut geschlagen. Warst du drüben in eurem Tuntenland Ballett-Tänzer oder sowas? Bewegst dich nämlich wie einer."

Deveraux schüttelte den Kopf. "No, bin wohl einfach nur ein Naturtalent."

Sein Blick wanderte an den Fassaden auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlang.

Die schwarzverrußten Flecken auf dem Holz waren in der Dämmerung kaum mehr zu sehen, geschweige denn zu zählen. Aber Deveraux schätzte, dass Benson über fünf Dutzend dieser kleinen Sprengladungen – die ihren Zweck, Schüsse zu simulieren, erstklassig erfüllten – dort drüben angebracht gehabt hatte; und sicher die gleiche Zahl noch einmal an der diesseitigen Gebäudereihe. Das ergab eine Gesamtzahl von 120 "Schüssen", die wiederum gleichzusetzen war mit mindestens zehn "Gegnern".

Wenn Benson ihm also bescheinigte, dass er in dieser Trainingsrunde eine gute Figur gemacht hatte, dann konnte Deveraux mit diesem Urteil durchaus zufrieden sein.

Was freilich nichts daran änderte, dass er am Ende leichtsinnig geworden war. Und im Ernstfall hätte Remy Deveraux diese Unvorsichtigkeit mit dem Leben bezahlt…

Hedge Benson war der Leiter des Ausbildungstrupps der Special Agency. Ein Kerl von der Statur eines Schmiedes, gesegnet mit dem Gemüt eines tollwütigen Grizzlys, dem Grips eines Harvard-Professors und der Mentalität eines Sklaventreibers, die ihm schon im alten Rom eine Traumkarriere garantiert hätte.

Kurzum, ein Mann wie geschaffen für die Agency.

Der Angriffs-Simulator, durch den er Deveraux eben geschickt hatte, war komplett auf Bensons Mist gewachsen. Er hatte ihn selbst gebaut, löste die Mini-Detonationen höchstpersönlich per Kabelzündung aus und beobachtete die Reaktionen und Reflexe des trainees.

Dass sich Hedge Bensons Stimmvolumen nach dem absolvierten Durchgang in ohrenverträglichen Grenzen hielt, durfte Deveraux obendrein noch als Auszeichnung werten.

War Benson nämlich nicht zufrieden mit dem, was ihm geboten wurde, verfiel er in ein Brüllen, das übers ganze Agency-Gelände hin problemlos zu verstehen war.

Bensons Pranke lag immer noch auf Deveraux' Schulter, und dem Franzosen kam es vor, als sei ihm ein Halbzentnergewicht aufgebürdet worden, das sich allmählich unangenehm bemerkbar machte.

"Tja, ich hätte dich gerne noch ein bisschen schikaniert, Frenchman", sagte Benson, "aber leider muss ich dich abgeben."

"Ach ja?", machte Remy.

Benson nickte. "Der Chief will dich sehen. Soll dich rüber zu ihm schicken."

Deveraux verzog das Gesicht zu einer unfrohen Grimasse. "Stellt sich die Frage, was angenehmer ist – von dir gemartert oder vom Alten wieder mal in die Hölle gejagt zu werden."

"Gar keine Frage", meinte Hedge Benson mit breitem Grinsen, "die Jungs und Mädels, die ich durch die Mangel drehe, haben es noch allesamt überlebt – aber von den Leuten, die der Chief mit 'nem Job losschickt, kommt nicht jeder zurück."

Er versetzte dem Franzosen einen Klaps, den er für kameradschaftlich halten mochte, der Deveraux allerdings vom Sidewalk hinab auf die Straße stolpern und um sein Gleichgewicht ringen ließ.

"Aber du hast's ja noch immer geschafft, deinen Hintern irgendwie zu retten", sagte Benson.

"Es gibt für alles ein erstes Mal", wandte Deveraux ein.

"Falsche Einstellung", kritisierte Benson. "Schon mal was von positivem Denken gehört? Schlauköpfe meinen, das sei die halbe Miete."

"Du hast gut reden", winkte Deveraux ab. "Sitzt hier schön im Trockenen, darfst Leute quälen, während wir draußen den Kopf hinhalten."

"Mein Plätzchen hier habe ich mir redlich verdient", antwortete Benson, "und teuer bezahlt." Er klopfte mit den Knöcheln seiner Faust gegen sein rechtes Bein. Ein dumpfes, hölzernes Pochen ertönte.

"Was meinst du, wo ich mir das eingefangen habe?", fragte er, und plötzlich klang er nicht mehr so aufgekratzt wie eben noch.

"C'est la vie", grinste Deveraux, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und ging.

Den Chief ließ man besser nicht zu lange warten.


*


"…der sechste und jüngste Brandfall ereignete sich vor vier Tagen drüben in Fresno. Der letzten Meldung zufolge gab es dort sechsundzwanzig Tote. Aber es ist davon auszugehen, dass einige der schwer verletzten Opfer nicht durchkommen werden und die Zahl der Toten noch steigen wird."

Der Chief hieß Mort Morgan, und er war von Kopf bis Fuß so unscheinbar und grau, dass Remy Deveraux ein ums andere Mal in Versuchung kam, einen Lappen zur Hand zu nehmen, um Morgan abzustauben.

Nichtsdestotrotz genoss der Chief allen Respekt, den Deveraux aufzubringen im Stande war. Was nicht nur daran lag, dass man in bestimmten Kreisen – und auch dort nur hinter vorgehaltener Hand – munkelte, Mort Morgan gehöre zu jener Hand voll Männern, die insgeheim mächtiger und einflussreicher seien als der Präsident der Vereinigten Staaten.

Die Agency unterstand zwar offiziell – so weit ihre Existenz offiziell bekannt war – dem Befehl des Präsidenten, aber Remy Deveraux – und mit dieser Ansicht stand er nicht allein da – bezweifelte, dass das Zepter fest und einzig in Morgans Hand lag; Deveraux' Zweifel reichte sogar noch weiter – er hätte nicht einmal seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass Monsieur President überhaupt von der Agency wusste…

…was Deveraux jedoch in letzter Konsequenz weder etwas anging noch wirklich interessierte. Für ihn hatte nur von Belang zu sein, was Mort Morgan tat und anordnete.

Die beiden Männer saßen sich in Morgans Büro mit den schießschartenkleinen Fenstern gegenüber, der Chief hinter seinem Schreibtisch, steif wie aus Holz geschnitzt, Deveraux leger in einem Sessel davor, die Beine überkreuzt, ein Gläschen Cognac in der Hand.

Davon hatte er bedächtig genippt, das feine Stöffchen seine Geschmacksknospen kitzeln lassen und dann geschluckt.

Während er die flüssige Wärme genoss, die sich in seinem Magen ausbreitete, rezitierte er in Gedanken, was Morgan ihm eben mitgeteilt hatte.

"Ich verstehe nicht ganz, Sir", sagte er schließlich, "warum die Agency in diesen Fällen aktiv werden sollte." Er nippte wieder von seinem Cognac, dann fuhr er fort: "Natürlich, sechs Brandanschläge auf Bordelle, insgesamt über einhundert Todesopfer – das ist sicher eine furchtbare Angelegenheit, aber…"

Remy Deveraux hob in hilfloser Geste die Schultern und sah Mort Morgan mit einem so verzeihungsheischenden wie verständnislosen Lächeln an.

Der Chief zeigte keine Regung, starrte nur unverwandt zurück, aus grauen Augen, deren Lider stets geschmält waren, was ihrem Blick etwas Bohrendes verlieh.

Im Laufe der Zeit war Remy Deveraux auf die obskursten Fälle und delikatesten Angelegenheiten angesetzt worden. Zwar gab es kein klares Muster, nach dem die Agency in der Auswahl der Fälle, die sie übernahm, vorging. Aber es lag doch auf der Hand, dass Mort Morgans Truppe stets dort zum Einsatz kam, wo sich andere Staatsdiener und Behörden nicht für zuständig hielten oder an ihre Grenzen stießen.

Beides schien Remy Deveraux jedoch nicht zuzutreffen auf eine Serie von Brandstiftungen, die im südlichen Texas begonnen und sich binnen einiger Wochen über New Mexico und Arizona bis hinüber nach Kalifornien gezogen hatte; dass es sich in all diesen Fällen auch noch um Freudenhäuser handelte, die in Flammen aufgegangen waren, machte ihm die Sache nicht begreiflicher, im Gegenteil…

"Warum kümmern sich nicht die örtlichen Gesetzesvertreter darum?", fragte er klipp und klar.

"Aus zwei Gründen", erwiderte der Chief und fuhr fort, ehe Deveraux nachhaken konnte.

Morgans knöcherne Finger berührten einen Papierstapel auf seinem Schreibtisch.

"Die Untersuchungsberichte weisen eine sonderbare Gemeinsamkeit auf – in jedem Fall liegt zwar zweifelsfrei Brandstiftung vor. Doch das Feuer wurde jedes Mal im betreffenden Gebäude entzündet, jeweils an einer Stelle, von der es für den Brandstifter offensichtlich keinen Fluchtweg mehr gab –"

"Das heißt, die Brandstifter waren entweder strohdumm oder sie haben Selbstmord begangen", warf Remy ein. Seine Miene allerdings verriet, dass ihn Morgans Eröffnung durchaus befremdete.

"Das wissen wir nicht", sagte der Chief. "Die Ermittlungen ließen auf Grund der in jedem Fall hohen Zahl von Todesopfern keine eindeutige Identifizierung des Täters zu."

"Wie auch immer", meinte Deveraux. "Wenn die Täter selbst krepiert sind, dann kann man ja wohl kaum von einer Brandanschlags-Serie sprechen, nicht wahr? Immerhin steckten verschiedene Feuerteufel dahinter."

Morgan zuckte kaum sichtbar die schmalen Schultern. "Das gilt es herauszufinden."

"Sie sprachen von zwei Gründen, aus denen die Agency sich der Sache annimmt", erinnerte der Franzose.

"Der andere Grund ist… ich wurde darum gebeten, diese Fälle aufzugreifen."

"O la la, das ist ja mal was Neues", entfuhr es Deveraux unwillkürlich.

Bislang hatte er es für ausgeschlossen gehalten, dass Mort Morgan die Agency benutzte, um jemandem einen persönlichen Gefallen zu erweisen. Vetternwirtschaft passte nicht zu ihm beziehungsweise nicht zu dem Bild, das Deveraux von ihm hatte; auf der anderen Seite jedoch – was wusste er denn schon von Morgan? Wie gut hatte er seinen Vorgesetzten in all der Zeit wirklich kennen gelernt?

Nicht sehr gut, musste er sich eingestehen. Im Grunde wusste er kaum mehr, als dass Morgan das Hauptquartier der Agency kaum einmal verließ, dass er offenbar kein Privatleben führte und… nichts weiter.

"Na schön", kam Deveraux wieder aufs Thema zurück. "Und warum soll ausgerechnet ich mich um die Angelegenheit kümmern?"

Immerhin, er war es gewohnt, auf Fälle von mitunter nationaler Bedeutung angesetzt zu werden! Dass er jetzt auf einmal nach kleinen Fischen angeln sollte, kam ihm nicht nur seltsam vor, sondern stieß ihm auch ein bisschen sauer auf.

Mort Morgan tat etwas von höchstem Seltenheitswert: Er lächelte. Ein kaum wahrnehmbares Heben der Mundwinkel, ein ganz feines Kräuseln seiner blassen, fast unsichtbaren Lippen.

"Auch darum wurde ich gebeten."

"Schön", sagte Deveraux, "darf ich fragen, wer Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt hat?"

Morgan nickte. "Sie dürfen. Und Sie dürfen sogar noch mehr – nämlich Ihre Spürnase unter Beweis stellen." Sein Lächeln wurde um eine Nuance mokanter, ehe er weitersprach: "Bei dem Feuer in Fresno kam ein junger Mann namens Randy Chase ums Leben."

"Chase?", echote Deveraux. "Etwa Chase wie –?" Er ließ den Rest unausgesprochen. Wenn er richtig lag mit seiner Vermutung, wusste Morgan ohnehin Bescheid.

Und der Chief nickte. "In der Tat. Miss Chase ersuchte mich darum, die Agency für diesen Zweck zu 'missbrauchen', wie sie es nannte."

Remy verzog das Gesicht, als habe sich der Cognac in seinem Magen plötzlich in Zitronensaft verwandelt. Oder in Salzsäure…

"Lassen Sie mich weiter raten, Sir – ich werde diese Geschichte nicht allein angehen, richtig?"

Morgan nickte abermals. "So ist es. Miss Chase wird Sie begleiten. Ich muss sicher nicht ausdrücklich erwähnen, dass sie das als gleichwertige Partnerin tun wird und nicht etwa als – nun ja, Sie wissen schon… als Ihre Gespielin auf Zeit oder etwas in der Art."

"Natürlich nicht", murrte Deveraux unlustig.

"Miss Chase!", rief Mort Morgan laut und klar in Richtung einer Tür, die zu einem Nebenzimmer führte. "Kommen Sie bitte herein!"

Die Tür wurde geöffnet, und Abigail Chase trat ein – in einer verhalten lasziven Art und Weise, als hätte sie diesen Auftritt bis in die kleinste Bewegung und Geste einstudiert. Und wenn sie es getan hatte, dann hatten sich diese Proben gelohnt.

Remy Deveraux fand Abby Chase immer noch so attraktiv und aufregend wie damals in Paris…


*


Remy Deveraux sah zum Abteilfenster hinaus und hatte das Gefühl, der Zug krieche im Schneckentempo durch die karge Landschaft aus Sand und Fels.

Das monotone Rumpeln und die gleichförmige Schaukelbewegung förderten seine Müdigkeit, verhinderten aber zugleich, dass er wirklich erholsamen Schlaf fand; genau genommen hatte er kaum ein Auge zugetan, seit sie die lange Zugfahrt angetreten hatten, allenfalls immer wieder einmal für ein paar Minuten gedöst.

Umso mehr wurmte es ihn, dass Abby Chase frisch wie der strahlende Morgen schien, der draußen angebrochen war. Sie hatte tief und fest geschlafen wie ein Murmeltier – und dabei ausgesehen wie ein Engel…

"Warum ich?", fragte Deveraux nach einer Weile, in der er schweigend Abbys Reflexion im Glas des Zugfensters beobachtet hatte. "Warum ziehst du ausgerechnet mich in deinen kleinen Rachefeldzug hinein?"

Abby hob die Schultern, ohne von der Karte aufzusehen, die sie studierte.

"Weil du ein fähiger Agent bist."

"Das sind andere auch."

"Und weil ein Typ wie du in einem Puff überhaupt nicht auffallen wird." Sie gab sich Mühe, ihren Zynismus nicht allzu offen durchklingen zu lassen.

"Merci", knirschte Deveraux.

Abby verzichtete darauf, ihm weitere Bosheiten an den Kopf zu werfen, vorerst jedenfalls, und sagte stattdessen: "Wenn unsere Vermutungen und Schlüsse richtig sind, dann steht Sacramento als Nächstes auf der Abschussliste."

Noch in Morgans Büro hatten sie die Städte, in denen bislang Freudenhäuser abgefackelt worden waren, auf einer Karte markiert. Anhand dieser Marken war eine Richtung erkennbar gewesen, in die sich das ominöse "Feuerteufel-Phantom" – oder wie man es auch nennen wollte – bewegte.

Und das nächste Bordell in der Größe jener, die ihm bisher zum Opfer gefallen war, befand sich in Sacramento, Kalifornien.

Trotzdem, Deveraux hielt diese Spekulation für einen ziemlich gewagten Schuss ins Blaue. Andererseits war es die einzige Spur, die sie hatten, der einzige Punkt, an dem sie den Hebel ansetzen konnten. Wie genau sie das vor Ort tun würden, hatten sie während der Zugfahrt besprochen.

Remy ließ sich neben Abby auf die gepolsterte Sitzbank fallen. Sie rückte ein klein wenig von ihm ab. Er grinste säuerlich.

"Keine Sorge", knurrte er, "ich tu dir schon nichts."

"Nicht, wenn dir deine Gesundheit am Herzen liegt", warnte sie ihn dennoch.

Er sparte sich eine Antwort darauf. Aber er wusste um Abbys Schlagfertigkeit – aus leidvoller Erfahrung. Als sie ihn damals in flagranti erwischt hatte… Er seufzte und verscheuchte die Erinnerung daran. Auf jeden Fall hatte es verdammt wehgetan – und das verdammt lange.

"Ich wusste nicht, dass du einen Bruder hast", versuchte er ein unverfängliches Gespräch in Gang zu bringen.

"Es gibt eine Menge, das du nicht über mich weißt", gab sie zurück, "und das dich außerdem nichts angeht."

Remy zählte in Gedanken bis Zehn und verschluckte die bissige Antwort, die ihm schon auf der Zunge gelegen hatte.

Dann sagte er, und es gelang ihm, nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen: "Teuerste Abigail, dein Verhalten ist ausgesprochen non professionell. Es hilft weder uns noch der Sache, wenn wir uns gegenseitig bekriegen. Und dir ist ganz sicher mehr daran gelegen als mir, dass wir diesen Fall aufklären."

Wenn es denn überhaupt einen Fall gibt, schränkte er ein, sprach es aber nicht aus.

Abby Chase lachte humorlos auf.

"Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Es hat keinen Sinn, in alten Wunden zu bohren – wenigstens jetzt nicht."

Sie warf ihm ein giftiges Lächeln zu.

"Hattest du ein enges Verhältnis zu deinem Bruder?", nahm Deveraux den Faden wieder auf.

"Wir hatten einander gern", antwortete sie, beinah zu Remys Überraschung. "Aber eng war unser Verhalten wohl nicht mehr. Immerhin hatte er sich in Kalifornien niedergelassen und ich… na ja, du weißt ja selbst – ich bin mal hier, mal da und meistens nirgendwo zu finden. Wo immer mich Morgan eben hinschickt."

Deveraux nickte.

Ja, im Dienste der Agency kam man ziemlich weit herum. Leider blieb in aller Regel keine Zeit zu ausgedehntem Sightseeing, und meistens lernte man auch nur die Schattenseiten der Einsatzorte kennen.

"Randy hatte damals irgendwie von der Agency erfahren und mir davon erzählt. Wir hielten die Vorstellung, für eine solche Organisation zu arbeiten, für furchtbar aufregend, bewarben uns beide und wurden angenommen."

"Oh", machte Remy, als Abby innehielt. "War er denn noch als Agent tätig, als es ihn erwi… – ich meine, als er –?"

"– starb?", half Abby aus. Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, schon lange nicht mehr. Er warf das Handtuch, kaum dass er seinen ersten Auftrag für Morgan erledigt hatte. Meinte, dass kein Geld der Welt wert sei, solcherart seinen Arsch zu riskieren."

"Tja, das kann man sehen wie man will", meinte Deveraux.

Er sah es anders.

Die Erfolgsprämien, die Mort Morgan seinen Agenten zahlte, waren keineswegs zu verachten. Wäre Remy Deveraux eine sparsame Natur gewesen, hätten seine Honorare inzwischen sicher schon für ein eigenes Schiff gereicht, mit dem er zurück nach Frankreich hätte schippern können.

Leider war seine zweite Leidenschaft neben der Schürzenjagd das Glücksspiel, und darin war ihm Fortuna weit weniger hold als gegenüber dem schönen Geschlecht. Dazu kam noch, dass er nicht etwa in irgendwelchen Bars um ein paar Dollar zockte, sondern in den Hinterzimmern einschlägiger Klubs und in elitärer Gesellschaft der so genannten high rollers, die um "richtiges" Geld spielten. Mit Einsätzen im unteren vierstelligen Bereich durfte man sich mit diesen Leuten gar nicht an einen Tisch setzen…

"Damals", fuhr Abby fort, "ließ er sich in Kalifornien nieder. Seitdem verdingte er sich als Cowboy, und ich glaube, er war glücklich."

Auf jeden Fall dürfte er glücklich gestorben sein, dachte Remy. Aber auch diesen Gedanken behielt er wohlweislich für sich.

"Das ist alles so lange her, und seither ist so vieles passiert, hat sich so viel verändert", sagte Abby mit Wehmut in der Stimme und den Blick ins Nichts gerichtet.

Wenn man ihr so zuhörte, konnte man meinen, sie würde von unvorstellbar lang vergangenen Zeiten reden und schon Jahrzehnte auf dem Buckel haben.

Dabei lag der Fall, der sie seinerzeit nach Paris geführt hatte und einer ihrer ersten im Auftrag der Agency gewesen war, nur wenig mehr als drei Jahre zurück. Und altersmäßig hatte Abby noch kaum die Dreißig erreicht.

"Ich kann ja verstehen, dass du herausfinden willst, was hinter diesen Brandstiftungen steckt, und warum du den oder die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen willst", sagte Deveraux nach einer Weile. "Aber es geht mir nicht ein, warum Morgan die Sache offiziell zu einem Fall für die Agency macht. Wie um alles in der Welt hast du ihn dazu überredet?"

Er sah Abby Chase an. In ihrem Gesicht, das eben noch voller mädchenhafter Unschuld gewesen war, ging eine Veränderung vor.

Das Gesicht jener Abigail Chase, die Tod und Teufel trotzte und der Gefahr ins Gesicht lachte, kam wieder zum Vorschein, wie eine Maske, die blitzschnell gegen eine andere ausgetauscht wurde.

Ein anzügliches Grinsen verzog ihre Lippen, als sie sich Deveraux zuwandte, und in ihre Miene hatte sich ein fast verschlagener Ausdruck eingeschlichen.

"Auch Mort Morgan ist nur ein Mann aus Fleisch und Blut", sagte sie mit rauchiger Stimme, "und auch sein Fleisch ist schwach, und sein Blut lässt sich in Wallung bringen."

"Du meinst – ?", entfuhr es Deveraux.

Abby hob die Schultern.

"Manchmal heiligt der Zweck eben die Mittel."

"O Mann, du – ", er brach kopfschüttelnd ab.

Er fand es unglaublich, dass Mort Morgan für weibliche Reize empfänglich war; für ihn war Morgan bislang stets irgendwie ein Neutrum gewesen. Und die Vorstellung, dass Abby und Mort Morgan…

Nein, das wollte sich Remy Deveraux gar nicht vorstellen. Er blinzelte heftig, als könne er das Bild der beiden, das seine Fantasie ihm zeichnete, damit vertreiben.

Aber es kehrte zurück, wieder und wieder, und was Remy daran vor allem erstaunte, war, dass es… wehtat. Dass er… Eifersucht verspürte?

Das war absurd! Oder…?

Er fand keine Antwort darauf, und die Erklärung, die sich ihm aufdrängte, ignorierte er.

Aber er war froh, als endlich Sacramento am Horizont auftauchte. Das nahe Ziel lenkte seine Gedanken zurück auf das Wesentliche, auf ihren Job, die Aufgabe, die vor ihnen lag.

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738967470
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (November)
Schlagworte
uksak western-roman zwei dynamit feuer

Autor

  • Timothy Stahl (Autor:in)

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Titel: Uksak Top Western-Roman 8: Zwei wie Dynamit und Feuer