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Trevellian und die Gespielin des Todes: Action Krimi

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 250 Seiten

Zusammenfassung

Krimi von Pete Hackett

In New York werden tote Mädchen auf den Müllhalden gefunden. Bei allen w a ren Heroinspuren im Blut. Bald finden die FBI-Agenten Trevellian und Tucker heraus, dass die Mädchen entführt und gezwungen wurden, in Pornofilmen mitzuspielen. Es gelingt den Agents recht schnell, die dafür Verantwortlichen ausfindig und dingfest zu machen. Nur dem Haupttäter gelingt es zu entkommen. In dieser Situation bekommen Trevellian und Tucker eine erschreckende Nachricht von ihrem Chef. In New York ist ein Kilo Plutonium angekommen. Genug um hunderttausende Menschen umzubringen..

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Trevellian und die Gespielin des Todes: Action Krimi

Krimi von Pete Hackett



In New York werden tote Mädchen auf den Müllhalden gefunden. Bei allen w a ren Heroinspuren im Blut. Bald finden die FBI-Agenten Trevellian und Tucker heraus, dass die Mädchen entführt und gezwungen wurden, in Pornofilmen mitzuspielen. Es gelingt den Agents recht schnell, die dafür Verantwortlichen ausfindig und dingfest zu machen. Nur dem Haupttäter gelingt es zu entkommen. In dieser Situation bekommen Trevellian und Tucker eine erschreckende Nachricht von ihrem Chef. In New York ist ein Kilo Plutonium angekommen. Genug um hunderttausende Menschen umzubringen..



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Alfred Bekker

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Prolog

John Hanson ging durch den Wald, den Blick auf den Boden geheftet. In dem Korb, den der trug, befanden sich ein gutes Dutzend Pilze. Die Fichten und Föhren standen manchmal so dicht, dass ihre Kronen ein Dach bildeten, unter dem es düster war, obwohl die Sonne schien. Hier und dort fand jedoch ein Sonnenstrahl den Weg durch das Zweiggespinst und malte einen goldenen Kringel auf den braunen Teppich aus abgestorbenen Nadeln. Vögel zwitscherten, Hummeln summten, Schmetterlinge tanzten durch die Luft. Die friedliche Stimmung wirkte ansteckend. John Hanson hatte das Empfinden, alleine auf der Welt zu sein. Er liebte diese Atmosphäre. Es roch nach Harz und Fichtennadeln und Hanson dachte nicht daran, dass er schon am nächsten Tag wieder zur Arbeit musste, weil sein Urlaub zu Ende war. Er wollte diesen letzten Urlaubstag noch einmal richtig genießen, und das gelang ihm nirgendwo besser als im Wald.

Sein Blick erhaschte einen Pilz. Er sah aus wie gemalt. John Hanson schnitt ihn dicht über dem Waldboden ab und betrachtete ihn zufrieden von allen Seiten. Es war ein prächtiger Steinpilz, den die Schnecken verschont hatten und der auch nicht wurmig zu sein schien. Hanson legte ihn zu den anderen Pilzen in den Korb. Er schaute sich um, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass dort, wo ein Pilz wuchs, meistens weitere zu finden waren. Und tatsächlich stand neben einem Haufen Reisig, den wahrscheinlich die Waldarbeiter aufgeschichtet hatten, ein weiterer Steinpilz.

Der vergangene Winter hatte große Schäden in den Wäldern angerichtet. Bäume waren abgebrochen oder entwurzelt, und die Forstverwaltung musste zusehen, die Wälder zu säubern, da sich ansonsten der Borkenkäfer breit machte und gesunde Bäume schädigte. Dieses Stück Wald in der Nähe von Bronxville war bereits gesäubert worden. Am Waldrand waren die auf einen Meter zusammengesägten Stämme zu riesigen Holzstößen aufgeschichtet. Sie wurden als Brennholz verkauft.

Hanson bückte sich nach dem Pilz. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase. Er verharrte in seiner gebückten Haltung und schnupperte. Es war ein penetranter Geruch, als würde in unmittelbarer Umgebung ein Tier verwesen. Hanson ging um den Haufen Äste und Reisig herum und ließ seinen Blick schweifen. Zu sehen war nichts. Aber der ekelerregende Geruch war da und schien unter den Bäumen in der schwülen Luft zu stehen. Hanson zerrte einige der Äste von dem Haufen. Hatte sich unter dem Reisighaufen ein sterbendes Tier verkrochen und verrottete nun?

Hanson wollte es genau wissen. Er riss den Reisighaufen auseinander.

Und dann stand er vor dem nackten Leichnam einer Frau. Die Verwesung war noch nicht so weit fortgeschritten, dass man nicht mehr erkennen hätte können, dass es sich um eine sehr junge Frau handeln musste. Sie hatte dunkle, lange Haare. Ein Käfer kroch über das Gesicht. Das Gesicht spiegelte noch das letzte Entsetzen wider, dem die Frau vor ihrem Tod ausgesetzt gewesen war.

John Hanson drohte das Blut in den Adern zu gefrieren. Eine Woge des Entsetzens überspülte ihn. Eine unsichtbare Hand schien ihn zu würgen.

Er holte mit zitternden Fingern sein Handy aus dem Etui, das er am Gürtel trug …


*


Collin Dexter spazierte am Rand der Bauschuttdeponie in Staten Island entlang. Es war heiß. Kein Luftzug brachte Kühlung. Die Sonne stand im Südwesten und brannte das Land erbarmungslos aus. Das Klima spielte verrückt. Erst hatte es wochenlang geregnet, und jetzt herrschte seit vielen Tagen diese afrikanische Hitze.

Collin Dexter besaß eine Collie-Hündin. Sie trottete einige Schritte vor dem Mann her, die Zunge hing ihr aus dem Maul, die Hitze setzte nicht nur dem Mann, sondern auch dem Tier zu.

Motorengeräusche von der Bauschutthalde erreichte das Gehör des Mannes. Soeben hatte ein Lastwagen eine Fuhre Erdreich gebracht, das eine Raupe jetzt planierte. Dexter beneidete den Mann auf der Raupe nicht. Er saß mit nacktem Oberkörper auf seiner Maschine und der Schweiß rann ihm über das Gesicht.

Collin Dexter seufzte und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus den Augenhöhlen. Seine tägliche Strecke, die er mit dem Hund spazieren ging, betrug normalerweise fast drei Meilen, und diese Strecke legte er nahezu bei jedem Wetter zurück. Ob es regnete oder schneite oder ob die Sonne schien. Heute aber wollte er abkürzen. Die Temperatur lag bei fast vierzig Grad und Dexter sagte sich, dass es für den Hund eine Tortur wäre, drei Meilen durch diese Gluthölle laufen zu müssen.

Die Bauschutthalde wurde von Wegen zerteilt, auf denen die Lastwagen zu den Plätzen fuhren, an denen sie ihre Ladungen abkippten. Der Boden war dort von breiten Radspuren zerfurcht und stark verdichtet. Einen dieser Wege beschritt Collin Dexter. Zu beiden Seiten erhoben sich regelrechte Schuttberge. Irgendwann würde die Stadtverwaltung alles mit Erdreich abdecken lassen und Rasen ansähen, man würde Büsche und Bäume pflanzen, Spazierwege anlegen und Bänke aufstellen. Aber bis dahin würde noch viel Wasser den Hudson hinunterlaufen …

Plötzlich hielt die Hündin an und witterte. Dann bellte sie zweimal und rannte zwischen zwei Bauschutthaufen.

»Was ist denn, Asta? Hierher!«

Die Hündin hörte nicht. Sie verschwand um einen der Haufen. Ihr Bellen erreichte das Gehör des Mannes. Er folgte der Hündin zwischen die Bauschutthaufen. Der Untergrund war uneben und geröllübersät. Collin Dexter musste genau aufpassen, wohin er trat. Wie schnell konnte man sich einen Knöchel verstauchen oder gar brechen.

Die Hündin hatte vor einem Haufen aus Ziegelschutt angehalten und bellte wie von Sinnen. Collin Dexter trat neben das Tier und kraulte ihm den Kopf. »Was ist denn, Asta? War da vielleicht eine Katze?«

Da sah Dexter den Fuß, der aus dem Bauschutt ragte. Er traute seinen Augen nicht. Ein Laut der Betroffenheit kämpfte sich in seiner Brust hoch und stieg aus seiner Kehle. Er ging näher hin, denn er wollte nicht glauben, was er sah. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Es war der nackte Fuß einen Menschen. Die Haut hatte sich bereits dunkel verfärbt. Fliegen hatten sich darauf niedergelassen. Dexter schluckte. Den Knoten, der sich in seinem Hals gebildet hatte, vermochte er jedoch nicht hinunterzuwürgen.

Er lief zu dem Raupenfahrer und gestikulierte wild mit den Armen. Der Arbeiter hielt die Raupe an und stellte den Motor ab. Fragend musterte er Dexter. Diesem entrang es sich: »Da hinten liegt eine menschliche Leiche unter einem Haufen Ziegelsteinen. Sie – Sie müssen die Polizei verständigen.

Der Arbeiter sprang von der Raupe. »Zeigen Sie mir, was Sie gefunden haben.«

Dexter geleitete ihn zu dem Haufen Bauschutt. Und jetzt sah auch der Raupenfahrer den Fuß. Sein Gesicht entfärbte sich. Seine Lippen zuckten. »Großer Gott …«


*


Milo und ich saßen bei Mr. McKee in dessen Büro. Soeben sagte der Chef: »Bei den beiden toten Frauen handelt es sich um Kim Gilroy und Jane Miller. Kim Gilroy war einundzwanzig Jahre alt, Jane Miller war neunzehn. Sie stammt aus Philadelphia. Kim Gilroy verschwand vor vier Wochen spurlos, Jane Miller vor drei Wochen. Ihre Angehörigen haben sie als vermisst gemeldet. Beide Frauen wurden erwürgt. Die Handschrift lässt auf ein und denselben Täter schließen.«

Der Chef reichte mir zwei Schnellhefter. Ich schlug einen auf und sah die Bilder von der toten Frau. Es handelte sich um Kim Gilroy. Nach dem Bericht des Gerichtsmediziners war sie seit mindestens einer Woche tot. Ich klappte den Ordner wieder zu. Kim Gilroy stammte aus New York.

Mr. McKee ließ seine Stimme wieder erklingen. »Die Obduktion hat ergeben, dass beide Frauen zum Zeitpunkt ihres Todes unter Drogeneinfluss standen. Ich möchte, dass Sie sich des Falles annehmen, Jesse, Milo. Vielleicht steht illegale Prostitution im Hintergrund.« Der Assistant Director zuckte mit den Schultern. »Aber das ist natürlich reine Spekulation. Bringen Sie Licht in das Dunkel. Wer immer die beiden jungen Ladys auf dem Gewissen hat, er muss seiner gerechten Bestrafung zugeführt werden.«

Ich verspürte einen gallenbitteren Geschmack im Mund. Es ging auch an einem Mann wie mir, der fast tagtäglich mit der Brutalität des Todes konfrontiert wurde, nicht spurlos vorbei, wenn junge Menschen wie die beiden Frauen gewaltsam vom Leben zum Tod befördert wurden.

Milo und ich ließen den Chef allein und widmeten uns dem Studium der Gutachten und Protokolle, die die beiden Schnellhefter enthielten. Danach wurden im Blut der beiden Frauen Heroinspuren gefunden. Beide waren mit einer dünnen Schnur, einem Kabel oder einem Draht stranguliert worden.

Kim Gilroy hatte noch bei ihren Eltern in der 74th Street gewohnt. Wir suchten die Telefonnummer heraus und ich hatte wenig später die Mutter der jungen Frau an der Strippe. Ich erklärte ihr, dass wir einige Fragen an sie hätten und sie meinte, dass wir jederzeit kommen könnten.

Wir trafen eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren mit rotgeweinten Augen an. Sie bat uns in die Wohnung. Im Wohnzimmer saß ein Mann, von dem ich annahm, dass es sich um Kims Vater handelte. Er stellte sich uns auch tatsächlich als Fred Gilroy vor und sagte: »Ich ahnte gleich, dass meine Tochter einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, nachdem sie spurlos verschwunden war. Sie hatte keinen Grund, sang- und klanglos zu verschwinden.« Seine Augen füllten sich mit Tränen.

Die Frau bot uns Sitzplätze an. Wir ließen uns nieder.

Ich suchte nach Worten. Mein hilfesuchender Blick traf Milo. Aber da ergriff Fred Gilroy das Wort und half mir über meine Betretenheit hinweg. »Kim war ein gutes Mädchen«, sagte er. »Sie arbeitete als Verkäuferin und Kassiererin in einem Supermarkt. Ihr Freund heißt Sam Baldridge. Die beiden wollten heiraten. Aber jetzt …«

Der Mann schluchzte.

Ich verspürte Mitleid.

»Hatte Ihre Tochter Kontakt zu Drogen?«, fragte ich.

Der Mann prallt regelrecht zurück. »Nein!« Er atmete tief durch. »Wie kommen Sie darauf?«

»In ihrem Blut wurde Heroin festgestellt.«

Der Mann griff sich an den Kopf. Er schüttelte den Kopf. Das alles überstieg wohl sein Begriffsvermögen.

Mrs. Gilroy schluchzte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schniefte.

So sehr es mir widerstrebte. Ich konnte es den beiden Leuten nicht ersparen. Meine Stimme klang kehlig, als ich sprach: »Es ist so. Ihre Tochter hat zum Zeitpunkt ihres Todes unter Drogen gestanden.«

Die Frau sagte mit brüchiger Stimme: »Du solltest den beiden Agents vielleicht den Film zeigen.«

Ich heftete meinen Blick auf die Frau. »Gibt es etwas, was wir wissen sollten?«

Sie schaute ihren Mann an. Dessen Gesicht hatte sich düster verschlossen. Er nagte an seiner Unterlippe. »Die Schweinereien, die in dem Film dargestellt werden, werfen ein völlig falsches Bild auf Kim«, murmelte der Mann.

»Die Agents müssen Bescheid wissen«, beharrte die Frau auf ihrem Standpunkt.

Zwingend schaute ich Fred Gilroy an. »Spielen Sie uns den Film vor«, bat ich und ahnte bereits, was wir zu sehen bekommen würden.

»Verdammt!«, keuchte Fred Gilroy. »Das – das … Ach was!« Seine Rechte pfiff durch die Luft. »Es handelt sich um einen Pornostreifen, in dem Kim die Hauptrolle spielt. Aber das ist nicht unsere Tochter. Jetzt ist mir auch einiges klar geworden. Sie hat unter Drogeneinfluss gestanden, als sie den Streifen drehte.«

»Zeigen Sie uns den Film«, forderte ich.

Widerstrebend kam Fred Gilroy meiner Aufforderung nach. Er legte die DVD in den Recorder und schaltete den Fernseher ein. Zuerst kamen Vorschauen auf andere Filme, dann wurde ein Vorspann gezeigt, und dann bekamen wir eine dunkelhaarige, nackte Frau zu sehen, die sich auf einem Liegestuhl räkelte, der an Deck einer Yacht stand.

»Das ist Kim«, sagte Fred Gilroy heiser. Das Sprechen schien ihm Mühe zu bereiten. Er atmete stoßweise.

Es war ein Hardcoreporno. Kim Gilroy führte mit einem Mann so ziemlich alle Sexpraktiken vor, die man sich denken konnte. Mir drehte sich fast der Magen um. Mrs. Gilroy weinte leise aber herzergreifend, während der Film lief.

»Sie können wieder abschalten«, sagte ich, nachdem der Film eine ganze Weile gelaufen war. Es reichte. Meine eigene Stimme kam mir fremd vor. Und ich konnte mir vorstellen, wie sehr dieser Film den Eltern der jungen Frau zusetzte.

Fred Gilroy kam meiner Aufforderung nach. »Das war nicht unsere Kim«, murmelte er. »So etwas hätte sie niemals freiwillig getan.«

»Woher haben Sie den Film?«, fragte Milo.

»Er wurde uns mit der Post zugesandt. Ein Brief lag dabei. – Hol ihn, Barbara.«

Die Frau ging zu einem Schrank, zog die Schublade auf und reichte mir gleich darauf ein Blatt Papier. Ich faltete es auseinander. Es geht mir gut , stand da. Ich habe mich für dieses Leben entschieden. Ihr braucht nicht nach mir zu suchen. Solltet ihr die Polizei eingeschaltet haben, pfeift sie zurück. Ich bin glücklich. Kim.

Der Brief war mit einem Computer geschrieben worden. Auch der Name. Der Schreiber konnte also sonst wer sein.

»Hat Ihre Tochter vielleicht irgendwelche Andeutungen gemacht, dass ihr das Leben, das sie führte, nicht mehr behagte? War sie in letzter Zeit des Öfteren aus? Vielleicht sogar ohne ihren Freund. Hat Ihre Tochter neue Bekanntschaften gemacht? Hat sich ihr Freundeskreis geändert?«

»Nein. Kim ging fast nie aus, und wenn, dann nur mit Sam. Ich sagte es doch schon: Die beiden wollten im nächsten Jahr heiraten. Ganz selten traf sich Kim mit einer Freundin. Ihr Name ist Emmy. An dem Abend, als sie spurlos verschwand, war sie auch mit Emmy unterwegs. Aber Emmy hat Ihren Kollegen vom Police Departement bereits alles erzählt. Sie waren an dem Abend bis gegen 11 Uhr in Lance's Lounge …«

Ich nickte. »Ja, ich habe das Aussageprotokoll gelesen. Emmy und Ihre Tochter haben sich vor dem Lokal getrennt.«

»Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass Kim entführt wurde«, stieß Fred Gilroy hervor. Er presste sekundenlang die Lippen zusammen. Dann fuhr er fort: »Dass man in ihrem Blut Heroin fand, passt ins Bild. Man hat sie mit Drogen gefügig gemacht.«

»Das ist natürlich nicht auszuschließen«, murmelte ich.

»Wo wohnt Sam Baldridge?«, fragte Milo.

Fred Gilroy sagte uns die Adresse. Dann presste er hervor: »Man hat sie gefügig gemacht und schamlos ausgenutzt. Und als man ihrer überdrüssig war, hat man sie eiskalt umgebracht. Was sind das bloß für Schweine?«

Er schlug beide Hände vor das Gesicht. Seine Schultern zuckten. Ein Beben durchlief seine Gestalt. »Mein armes Mädchen«, entrang es sich ihm.

»Wir werden Kims Mörder stellen und ihn seiner gerechten Bestrafung zuführen«, versprach ich.

Wir stellten die DVD und den Brief sicher. Dann fuhren Milo und ich zu Sam Baldridge. Er befand sich in der Arbeit. Von einem Nachbarn erfuhren wir, dass er als Lagerist bei einem Baumarkt in Queens beschäftigt war. Also begaben wir uns nach Queens.

Baldridge war ein Mann von fünfundzwanzig Jahren, dunkelhaarig, etwa eins achtzig groß, und er verfügte über offene Gesichtszüge. »Das ist alles so furchtbar«, murmelte er, als wir uns im Aufenthaltsraum des Baumarktes gegenüber saßen. Mit fahriger Geste fuhr er sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. »Es will mir noch immer nicht in den Kopf.«

»Ja«, pflichtete ich ihm bei, »es ist furchtbar. Sie und Kim wollten heiraten.«

»Im nächsten Jahr. Ich – ich habe sie geliebt. Doch nun …«

»Im Blut von Kim wurden Spuren von Heroin festgestellt«, sagte ich.

Baldridge starrte mich an. »Sie hat weder geraucht noch getrunken noch hatte sie etwas mit Drogen am Hut.«

»Wissen Sie etwas von dem Film?«

»Wovon reden Sie?«

Er wusste also nichts. »Kim hat in einem Film mitgewirkt.« Es widerstrebte mir, es auszusprechen. Aber es musste sein. Ich räusperte mich, dann fuhr ich fort: »In einem Pornostreifen. Wir nehmen aber an, dass man sie mit Drogen gefügig machte. Der Film wurde ihren Eltern zusammen mit einem Brief zugeschickt.«

Sam Baldridge starrte mich an, als hätte ich etwas vollkommen Blödsinniges gesagt. »In – einem – Pornofilm?«, stammelte er.

»Ja.«

»Und - sie hat ihren Eltern einen Brief geschrieben?«

»Wahrscheinlich stammt er nicht von Kim«, erwiderte Milo. »Wir denken, dass der Brief geschrieben wurde, um die Eltern Glauben zu machen, dass Kim das Leben als Pornodarstellerin freiwillig gewählt hatte, damit die Polizei aus dem Spiel genommen wurde.«

»Ich – weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«

»Hat Kim je geäußert, dass ihr das Leben, das sie führte, nicht mehr behagen würde?«, fragte ich.

»Kim war glücklich«, antwortete Baldridge mit Nachdruck. Jeder Zug seines Gesichts drückte Fassungslosigkeit aus. Es überstieg wohl seinen Verstand.


*


Mit Emmy Billinger brauchten wir nicht mehr zu sprechen. Sie war Kim Gilroys Freundin und hatte mit ihr den Abend verbracht, an dem Kim schließlich verschwunden war. Emmy hatte den Kollegen vom Police Departement alles erzählt. Sie und Kim waren an diesem Abend bis gegen 23 Uhr in Lance's Lounge und hatten sich vor dem Lokal voneinander verabschiedet. Danach war Kim nicht wieder aufgetaucht – bis ihr Leichnam gefunden wurde.

Ich las die Aussagen durch, die Jane Millers Eltern in Philadelphia gemacht hatten. Auch Jane hatte nie etwas mit Rauschgift zu tun. Sie war neunzehn Jahre alt gewesen und hatte Volkswirtschaft studiert. Einem jähen Impuls folgend rief ich ihre Eltern an. Es war der Vater, Stan Miller, der den Hörer abnahm und sich meldete. Ich nannte meinen Namen, meinen Dienstgrad und die Dienststelle und erklärte ihm, dass ich mit der Klärung der Morde an Jane und Kim Gilroy beauftragt war. Dann stellte ich die Frage, die mir auf der Zunge brannte:

»Hat man Ihnen einen Film mit Ihrer Tochter in der Hauptrolle zugesandt?«

Sekundenlang herrschte Stille. Dann fragte der Mann: »Woher wissen Sie?«

»Weil es im Fall der verschwundenen und später ermordeten Kim Gilroy einen solchen Film gibt und wir vermuten, dass sie denselben Leuten zum Opfer fiel wie Ihre Tochter. Gibt es einen solchen Film?«

»Ja.«

»Warum haben Sie das der Polizei nicht gesagt?«

»Weil ich mich geschämt habe.«

»War der DVD ein Brief beigefügt?«

»Ja. Danach geht es Jane gut, wir sollten nicht nach ihr suchen, und wir sollten die Vermisstenanzeige bei der Polizei zurückziehen.«

Ich dachte es mir. Damit war klar, dass beide jungen Frauen auf das Konto ein und desselben Mörders gingen. Der Mörder wollte, dass die Polizei aus dem Spiel genommen wurde. Niemand sollte nach den jungen Frauen suchen. Es war wohl so, dass er sie mit Rauschgift gefügig gemacht hatte, dann hatte er einige Filme mit ihnen gedreht und sie sich dann vom Leib geschafft, weil er – der Gedanke elektrisierte mich -, sich nach neuen Hauptdarstellerinnen umschaute, um für Abwechslung in seinen Schmuddelstreifen zu sorgen.

Ich verlieh, nachdem ich das Gespräch beendet hatte, meinem Gedanken Ausdruck, indem ich sagte:

»Die armen Dinger werden gekidnappt, an die Nadel gehängt, für drei oder vier Filme missbraucht und dann – hm, entsorgt. Der Kerl, der die Filme produziert, muss verhindern, dass sie ins normale Leben zurückkehren, clean werden und bei der Polizei eine Aussage machen. Wir müssen damit rechnen, dass in nächster Zeit weitere Frauen verschwinden. Außerdem sollten wir uns mal um die Vermisstenanzeigen kümmern, die in den vergangenen Wochen bei der Polizei eingegangen sind.«

Gesagt, getan.

Wenig später wussten wir Bescheid. Innerhalb der letzten vier Wochen waren insgesamt fünf Frauen um die zwanzig bei der Polizei als vermisst gemeldet worden. Es handelte sich um Frauen aus gutbürgerlichen Verhältnissen, und jede von ihnen war verteufelt hübsch. In drei Fällen waren die Vermisstenanzeigen zurückgezogen worden. Im Falle einer der jungen Frauen, ihr Name war Jenny Bannister, rief ich deren Eltern an. Der Vater wollte mir erst keine Auskunft erteilen. »Die Sache hat sich erledigt«, sagte er. »Jenny hat uns einen Brief geschrieben. Ihr geht es gut. Sie hatte das Leben, das sie führte, einfach satt. Nun, jeder ist seines Glückes Schmied. Wenn meine Tochter meint …«

Ich ahnte es bereits. »Lag dem Brief eine DVD bei?«

Am anderen Ende der Leitung herrschte betroffenes Schweigen.

»Antworten Sie«, drängte ich.

»Ja«, presste der Mann hervor. Seine Stimme hörte sich an wie fernes Donnergrollen. Hart sagte er: »Ich will mit meiner Tochter nichts mehr zu tun haben. Meine Frau und ich haben sie im christlichen Glauben erzogen und …«

Ich unterbrach Jim Bannister, indem ich sagte: »Ihre Tochter war nicht mehr sie selbst, als sie diesen Film drehte. Man hat die jungen Frauen vom Heroin abhängig gemacht. Und als sie so weit waren, dass sie für einen Schuss ihre Seele dem Teufel verkauft hätten, hat man mit ihnen diese Schmuddelfilme gedreht.«

»Dann hat Jenny also nicht freiwillig …«

»Nein.« Ich machte eine kurze Pause. Was ich jetzt sagen musste, gefiel mir ganz und gar nicht. Als ich begann, hatte ich das Gefühl, dass die Worte in meinem Mund tonnenschwer wogen. Ich sagte: »Wir haben zwei der Mädchen gefunden. Sie waren tot. Weitere sind vermisst. In einigen Fällen, wie auch im Falle Ihrer Tochter, wurden die Vermisstenanzeigen zurückgezogen. Das bezweckten die Gangster mit den Briefen und den Filmen.«

»O mein Gott! Dann – dann kann es sein, dass Jenny schon gar nicht mehr lebt.«

»Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen.«

»Sie – Sie müssen alles tun, um meine Tochter zu finden.«

»Wir tun unser möglichstes. Wir kommen in einer Stunde bei Ihnen vorbei, um den Film und den Brief abzuholen. Ist das in Ordnung?«

»Ja.«

Nachdem wir den Film geholt hatten, schauten wir ihn uns an. Die zweite Hauptrolle spielte ein Mann um die dreißig. Es war derselbe Bursche, der auch in dem Film mit Kim Gilroy mitwirkte. Es gab sogar einen Vorspann. Als Regisseur war ein Bursche namens Jack Mortimer genannt.

Ich rief Lew Harker von der New York Times an. Er schrieb unter anderem Kolumnen über die neuesten Werke, die auf dem Broadway aufgeführt wurden und war ein Insider. Einen Regisseur mit Namen Jack Mortimer kannte er nicht. Aber er versprach, sich in der Szene umzuhören und uns in Kenntnis zu setzen, wenn er irgendetwas hörte, was uns interessieren könnte.

Unsere Spezialisten kopierten ein Bild vom Gesicht des männlichen Hauptdarstellers der Pornostreifen und verglichen es mit den im Archiv gespeicherten Fotos. Und sie wurden fündig. Der Bursche hieß Paul Boulder und wohnte in der 41st Street. Er war wegen eines Drogendelikts vorbestraft. Wir fuhren zu seiner Wohnung. Das Apartment lag in der vierten Etage. Ich legte den Daumen auf die Klingel. Gleich darauf ertönte es aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage: »Wer sind Sie und was wollen Sie?«

»FBI«, sagte ich. »Die Spezial Agents Tucker und Trevellian. Öffnen Sie, Mr. Boulder. Wir haben ein paar Fragen an Sie.«

Gleich darauf ging die Tür auf. Boulder war um die dreißig, groß und schlank. Ein gutaussehender Typ, dem ich eine gewisse Ausstrahlung nicht absprechen konnte. Er schaute fragend.

»Es geht um Kim Gilroy, Jane Miller, Jenny Bannister …«

Ich zählte noch einige Namen auf, alles Namen von Mädchen, die verschwunden und von denen zwei als Leichen wieder aufgetaucht waren.

»Ich kenne eine Menge Frauen«, sagte Boulder und legte die Stirn in Falten. »Aber die Namen, die Sie mir eben aufgezählt haben, sagen mir nichts. Was hat es mit den Ladys auf sich?«

»Sie spielten in Pornofilmen, in denen Sie als Protagonist agierten.«

»Ist das ein Fall fürs FBI?«, fragte Boulder spöttisch.

»An und für sich nicht«, erwiderte ich. »Aber da zwei der Frauen ermordet wurden, interessieren wir uns dafür. Dürfen wir reinkommen?«

Im Gesicht des Schauspielers arbeitete es. Schließlich nickte er und gab die Tür frei. »Treten Sie näher.«

Wir betraten die Wohnung. Es sah ein wenig unaufgeräumt aus. Der Fernseher lief. Ich wandte mich Boulder zu: »Sie leben alleine?«

»Ja. Bitte, nehmen sie Platz.«

Er wies auf die Sitzgruppe mitten im Raum. Wir ließen uns nieder, und auch Boulder setzte sich. Ich beobachtete ihn. Er schien nicht im Geringsten nervös zu sein.

»Was wissen Sie über die Frauen, deren Namen wir Ihnen nannten?«

»Nichts. Ich kenne lediglich die Vornamen der Ladys, die man mir als Filmpartnerinnen zur Seite stellt. Die Namen wiederholen sich. Oft frage ich mich, ob es überhaupt die richtigen Namen der Girls sind. Es ist mir auch egal. Ich bin Profi und stelle keine Fragen. Wir drehen die Filme ab und hinterher geht jeder seiner eigenen Wege.«

»Regisseur ist Jack Mortimer.«

»Jack – ja. Ich arbeite seit einiger Zeit mit ihm zusammen.«

»Wo wohnt er?«

»Ich habe keine Ahnung. Wenn es gilt, einen Film zu drehen, ruft er mich an. Er hat dann irgendeine Wohnung angemietet und dort läuft die Sache. Meine Gage bekomme ich von Fall zu Fall bar ausgezahlt. Wenn das Projekt abgedreht ist, geht jeder seiner eigenen Wege.«

»Wie sieht Mortimer aus?«

Boulder musste nicht lange überlegen. »Wie hunderttausend andere Amerikaner auch. Mitte vierzig, dunkelhaarig, etwa eins achtzig groß. Jack weiß, worauf es ankommt. Er sorgt für Abwechslung bei den Girls. Das will der Kunde.« Boulder lachte.

»Ist Ihnen aufgefallen, dass die Mädchen während der Dreharbeiten unter Heroineinfluss standen?«

»Selbst wenn es mir aufgefallen wäre«, knurrte Boulder. »Solange sie ihre Rolle professionell spielten, war das für mich in Ordnung. Privat hatte ich mit den Ladys nichts zu tun. Das deutete ich bereits an. Wir zogen unsere Show ab, und das war's dann auch schon.«

»Sie wissen also nichts. Sie wissen nicht, woher die Mädchen stammen, Sie wissen nichts von ihrer Heroinsucht, und sie wissen nicht, was aus den jungen Frauen wurde, sobald sie ihren Part für Mortimer erfüllt hatten?«

»Nein. Es interessierte mich auch nicht. Mir war es nur wichtig, dass sie …«

»… ihr Rolle professionell spielten, wir wissen. – Sie müssen mit uns kommen.«

»Warum?« Seine Brauen schoben sich zusammen, über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei steile Falten.

»Wir werden nach Ihrer Beschreibung von Mortimer die Bilder in Frage kommender Männer aus dem Archiv filtern, und Sie werden sich diese Bilder ansehen müssen. Das ist doch nicht zu viel verlangt.«

Boulder verzog das Gesicht. »Sicher habe ich keine andere Chance. Ist etwas dagegen einzuwenden, wenn ich ohne Sie zum Bundesgebäude fahre. Es ist meinem Ruf sicher nicht förderlich, wenn ich in Ihrer Begleitung das Haus verlasse.«

»Niemand weiß, wer wir sind.«

»Man kann es Ihnen von der Nasenspitze ablesen, dass es sich bei Ihnen um Polizisten handelt. Ihr seid euch alle ähnlich.«

Ich musste lachen. »Na schön. Kommen Sie in zwei Stunden ins Field Office. Federal Building, dreiundzwanzigste Etage.« Ich gab Boulder eine von meinen Visitenkarten. Dann verabschiedeten wir uns.

»Was hältst du von ihm?«, fragte Milo, als wir im Sportwagen saßen. »Ob er wirklich so unbedarft ist, wie er sich gibt?«

»Er hat sich zumindest mit keinem Wimpernzucken verraten. Entweder er ist kalt wie eine Hundeschnauze, oder es ist so, wie er sagt.«

»Du meinst, er macht seinen Job, kassiert seine Gage und fährt nach Hause.« Milo hob die Schultern. »Nun, auszuschließen ist das in diesem Geschäft sicherlich nicht.«


*


»Bei mir waren zwei FBI-Agenten«, sagte Boulder in den Telefonhörer.

»Was wollten sie.«

»Sie fragten mich wegen der Filme und der Frauen aus. Ich muss in zwei Stunden im FBI Field Office antreten und soll versuchen, dich zu identifizieren.«

»Hast du mich ihnen beschrieben.«

»Mit der Beschreibung, die ich ihnen geliefert habe, können sie kaum etwas anfangen.«

»Gut. Du weißt von nichts. Dir können sie nichts anhaben. Ich bin in ihrem Archiv nicht erfasst, also kannst du dir guten Gewissens die Bilder ansehen, die sie dir vorführen.«

»Ich melde mich wieder und halte dich auf dem Laufenden.«

»In Ordnung. Und mach keinen Fehler, Paul. Du würdest dir dein eigenes Grab schaufeln.«

»Ich weiß.«


*


Zwei Stunden später saß Paul Boulder vor einem Bildschirm. Aufgrund seiner Beschreibung hatten wir einige hundert Bilder von Männern herausgefiltert, die Jack Mortimer hätten sein können. Geduldig schaute sich Boulder die Konterfeis an. Immer wieder schüttelte er den Kopf.

Dann waren wir am Ende.

»Tut mir leid«, sagte Boulder und hob wie bedauernd die Hände. »Aber wie es scheint, ist Mortimer bei Ihnen nicht registriert.«

»Er wird wieder an Sie herantreten«, sagte ich.

»Gewiss.« Boulder grinste anzüglich. »Ich bin sein bestes Pferd im Stall.«

»Mag sein. Meine Visitenkarte haben Sie. Ich bitte Sie, mich anzurufen, sobald Mortimer mit Ihnen Verbindung aufnimmt.«

»Mach ich. Sie denken also, dass er der Mörder der Frauen ist.«

»Wir wissen es nicht, er steht allerdings als Verdächtiger ganz weit oben auf unserer Liste.«

»Ich kann das kaum glauben«, murmelte Boulder. Dann verabschiedete er sich.

Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Hände über dem Bauch. »Mist.«

»Vielleicht weiß Boulder wirklich nichts«, meinte Milo.

»Wir müssen abwarten«, sagte ich. »Dieser Mortimer wird wieder einen Film drehen. Wenn Boulder der ist, für den er sich ausgibt, dann ruft er an. Und dann haben wir Mortimer. Er wird uns eine Reihe von Fragen zu beantworten haben.«

Wir kehrten in unser Büro zurück. Als wir es betraten, läutete mein Telefon. Mit zwei Schritten war ich beim Schreibtisch, pflückte den Hörer vom Apparat und hob ihn vor mein Gesicht. »Trevellian, FBI New York.«

»McKee. Jesse, vor wenigen Minuten wurde mir ein neuer Entführungsfall gemeldet. Der Name der Frau ist Julie Martens. Sie ist zwanzig Jahre alt und seit etwa vierzig Stunden spurlos verschwunden. Julie war mit einem Freund, sein Name ist Clinton Harper, vorgestern Abend zum Essen aus. Er brachte sie nach Hause und verabschiedete sich vor ihrer Haustür von Julie. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen von ihr.«

»Wo wohnt dieser Clinton Harper?«, fragte ich.

Der Chef nannte mir die Adresse.

Auch Harper trafen wir nicht in seiner Wohnung an, sondern an seinem Arbeitsplatz bei einer Import- und Exportfirma im Norden Manhattans.

»Wir waren im El Rio Grande in der 38th Street«, erzählte uns Clinton Harper. »Um halb zehn Uhr brachte ich Julie nach Hause. Sie wollte an diesem Tag bald zu Bett gehen, weil sie am folgenden Tag um 8 Uhr morgens einen Test schreiben musste. Sie winkte mir noch zu, dann ging sie ins Haus. Ich fuhr weg. Gestern am Nachmittag rief ich sie an, aber sie meldete sich nicht. Als ich sie auch abends nicht erreichen konnte, fuhr ich zu ihrer Wohnung. Ein Nachbar erzählte mir, wo ihre Eltern wohnen. Ich nahm Verbindung mit ihnen auf. Auch sie hatten keine Ahnung, wo Julie sein könnte. Ihr Vater kam mit einem Schlüsseldienst und ließ die Wohnung öffnen. Dann ging er zur Polizei.«

Milo und ich fuhren zu Julies Eltern. Von Julie gab es kein Lebenszeichen. Die beiden Leute waren voller Sorge. Wir erfuhren, dass Julie an der Fordham University studierte. Nebenbei jobbte sie im Callcenter eines bekannten Textilunternehmens.

Wir bekamen ein Bild aus neuerer Zeit von Julie. Sie war eine sehr schöne junge Frau mit langen, blonden Haaren.

Ich verspürte ein ziemlich ungutes Gefühl.



Kapitel 1

Es war 23 Uhr vorbei. Es klopfte an die Tür des Hotelzimmers, das Nikolaj Lermontow gemietet hatte. Der Russe lag auf dem Bett und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er trug bereits Nachtkleidung. Der Fernsehapparat lief.

Lermontow richtete seinen Blick auf die Tür, als könnte er von ihr ablesen, wer draußen stand. Als es erneut klopfte, erhob er sich. »Wer ist draußen?« Der Russe sprach mit hartem Akzent.

»Douglas.«

Lermontow schloss auf und öffnete. Ein dunkelhaariger Mann um die vierzig stand vor der Tür. Er lächelte. »Hallo, Nikolaj.«

»Komm herein, Douglas.«

Als Douglas das Zimmer betreten hatte, schloss der Russe die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Was führt dich um diese Zeit zu mir? Wir waren erst für morgen Abend verabredet. Wo sind deine beiden Freunde?«

»Die brauchen wir nicht. Wir machen das Geschäft alleine.«

Lermontow schaute verdutzt drein. »Ich verstehe nicht.«

Douglas winkte ab. »Wo befindet sich die Ware?«

»Sie ist sicher verwahrt in einem Schließfach im Grand Central Terminal.« Der Russe kniff die Augen zusammen. »Aber jetzt sprich Klartext mit mir. Was hat es zu bedeuten, wenn du sagst, wir machen das Geschäft alleine. Du …«

»Es ist ganz einfach«, sagte Douglas, griff unter seine Jacke, und als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer. »Wo hast du den Schlüssel für das Schließfach?«

»Du willst mich also betrügen?« Nach außen hin wirkte Lermontow ganz ruhig. Aber seine Augen straften diesen Eindruck Lügen. Er suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Seine Hände öffneten und schlossen sich.

»Du bist ein Narr, Nikolaj. Wo hast du den Schlüssel versteckt?«

Der Russe ging zum Schrank und öffnete ihn. Dann griff er unter einen Stapel Hemden.

Douglas schoss. Lermontow bekam die Kugel in den Rücken. Er brach sterbend zusammen. Die Waffe, die er unter dem Stapel Hemden hervorziehen wollte, polterte auf den Boden.

Douglas schoss dem Russen noch eine Kugel in den Kopf, dann ließ er die Pistole unter der Jacke verschwinden und begann, sämtliche Hosen und Jacken des Russen zu durchsuchen. Er fand den Schlüssel in einer Hosentasche. Ehe er die Tür öffnete, zog er Latexhandschuhe an, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Auf dem Korridor war es ruhig. Douglas machte das Licht aus und verließ das Zimmer.

Wenig später saß er in seinem Auto. Er nahm sein Handy, holte eine eingespeicherte Nummer aus dem elektronischen Telefonbuch und stellte eine Verbindung her. Dann sagte er: »Die Ware befindet sich in einem Schließfach im Grand Central. Ich habe den Schlüssel.«

»Was ist mit Lermontow?«

»Der hört die Engel singen.«

»Erstklassige Arbeit. Bring mir den Schlüssel.«


*


Julie Martens erwachte. Sie lag auf einem Bett in einem kleinen Zimmer. An der Wand stand ein Kleiderschrank mit zwei Türen. Durch ein Fenster fiel Tageslicht. Die junge Frau schaute sich um. Die Erinnerung stellte sich ein. Als sie das Haus betreten hatte, in dem sie wohnte, war ihr auf der Treppe ein Mann entgegengekommen. Sie hatte ihn nie vorher gesehen. In dem Moment, als er an ihr vorbeiging, packte er sie. Er presste ihr ein Tuch auf den Mund. Sie hatte die Besinnung verloren.

Als sie das erste Mal zu sich gekommen war, hatte sie in diesem Zimmer gelegen. Zwei Männer waren gekommen. Einer hatte sie festgehalten, der andere hatte ihr eine Spritze injiziert. In die Armbeuge. Julie wusste nicht, was ihr der Kerl gespritzt hatte. Sie war wieder eingeschlafen. Als sie zum zweiten Mal erwachte, war es finster in dem Raum. Sie hatte versucht, das Fenster zu öffnen. Aber es war mit einer Kindersicherung versehen. Die Tür war verschlossen. Julie hatte an der Türklinke gerüttelt. Wieder waren die beiden Kerle gekommen. Und wieder verpassten sie ihr eine Spritze. Sie hatte versucht, sich zu wehren. Aber sie hatte den beiden Kerlen nichts entgegenzusetzen gehabt. Eine Art Schwindel hatte sie befallen, und dann war sie wieder eingeschlafen.

Jetzt war es hell im Zimmer. Die Angst kam bei der jungen Frau kalt und stürmisch wie ein Schneesturm. Etwas ging in ihrem Körper vor. Sie schwitzte und zitterte leicht. Hing das mit den Spritzen zusammen, die ihr die beiden Kerle injiziert hatten? Die Frage nach dem Warum stellte sich ein. Warum wurde sie entführt? Warum wurde sie hier festgehalten?

Julie erhob sich und ging zum Fenster. Sie schaute in einen Garten. Er lag etwa fünfzehn Yards unter ihr. Sie befand sich also in der vierten oder fünften Etage eines Gebäudes. Sie ging zur Tür. Ihre Knie waren weich. Sie verspürte einen seltsamen, öden Geschmack im Mund. Die Tür war verschlossen. Es gab nichts in dem kleinen Raum, was geeignet gewesen wäre, um das Fenster einzuschlagen. Julie öffnete den Schrank. Er war leer. Sogar die Einlegeböden waren herausgenommen. Das Fenster mit den bloßen Händen einzuschlagen und nach Hilfe zu rufen wagte Julie nicht. Sie hätte sich wahrscheinlich verletzt und wäre vielleicht sogar hilflos verblutet.

Sie setzte sich wieder aufs Bett. Ihre Gedanken wirbelten. Leichtes Schwindelgefühl erfasste sie. Schließlich wurde sie von ihren Gefühlen übermannt. Sie ruckte hoch, erreichte die Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen. »Ich will raus! Lasst mich raus!« Ihre Stimme überschlug sich.

Weinend wandte sie sich wieder ab, wankte zum Bett und setzte sich. Was geschah mit ihr? Ihr Blick heftete sich auf ihre Armbeuge. Dort waren zwei Einstichstellen zu sehen. Julie hatte keine Ahnung, wie lange sie in diesem Raum schon festgehalten wurde. Sie trug zwar eine Uhr am Handgelenk, aber die verfügte über keine Datumsfunktion und so war es möglich, dass sie sich schon mehrere Tage in diesem kleinen, schmuddeligen Raum befand. Sie dachte an ihre Eltern, dachte an Clinton Harper. Sie kannte ihn noch nicht lange, aber sie mochte ihn.

Julie fasste sich, als sie Geräusche an der Tür hörte. Ein Schlüssel wurde herumgedreht, dann schwang die Tür auf. Die beiden Kerle, die sie schon kannte, betraten das Zimmer. Einer von ihnen grinste schief. »Na, wie geht es dir?« Er war ungefähr dreißig und sah gut aus.

»Was wollt ihr von mir?«, keuchte Julie.

»Mach dir keine Sorgen«, erwiderte der blondhaarige Bursche. »Du kriegst, was du brauchst.« Er packte Julie mit beiden Händen und drückte sie auf das Bett. Der andere Bursche stach ihr die Kanüle einer Spritze in die Armbeuge und drückte die Flüssigkeit in die Ader der jungen Frau.

»Was – was ist das?«

»Heroin.«

Julie erschrak. In ihren Mundwinkeln zuckte es, ihre Nasenflügel vibrierten. Ihre Stimmbänder wollten ihr kaum gehorchen. »Warum?«

»Das wirst du schon noch erfahren.« Der blondhaarige Bursche lachte. »Wir werden eine Menge Spaß miteinander haben.«

Ein seltsames Hochgefühl begann sich bei Julie einzustellen. Und sie spürte, dass sie müde wurde. Ihre letzten Gedanken waren, dass sie abhängig gemacht werden sollte. Dann schlief sie ein …


*


Spielende Kinder hatten in einem stillgelegten Steinbruch in der der Nähe von Nyack eine weibliche Leiche entdeckt. Sie hatte unter einem Haufen Steinen gelegen und es war wohl Zufall, dass sie gefunden wurde. Wir erfuhren von dem Leichenfund am Nachmittag dieses Tages. Der Kollege vom Police Departement, der mich informierte, sagte: »Bei der Toten handelt es sich um Jenny Bannister. Sie wurde mit einer dünnen Schnur oder einem Draht erdrosselt, und in ihrem Blut wurde Heroin festgestellt. Sie ist etwa zehn Tage tot.«

Wir hatten Leiche Nummer drei.

Es traf mich wie ein eisiger Guss. Ich war frustriert, denn ich fühlte mich so hilflos, so ohnmächtig. Es stürmte mit Macht auf mich ein und drohte mich zu erdrücken. Der Kollege wies mich noch darauf hin, dass sich der Leichnam in der Pathologie befand.

Milo und ich fuhren zur Gerichtsmedizin. Dort erfuhren wir nicht viel Neues. Ein Zweifel war jedoch ausgeschlossen. Es handelte sich um Jenny Bannister. Wir suchten ihre Eltern auf. Sie waren bereits informiert worden, und Jim Bannister hatte seine Tochter identifiziert. Außer den Eltern der Toten war noch Carry Bannister anwesend, die ältere Schwester der Ermordeten.

Wir trafen drei gebrochene Menschen an.

Jenny hatte sich an jenem Abend, an dem sie verschwunden war, in einer Diskothek in Manhattan befunden. Sie war dort gegen zwei Uhr zum letzten Mal gesehen worden. Der Name der Disco war Number One .

Das erste Lebenszeichen von Jenny nach ihrem spurlosen Verschwinden war der Film gewesen, den ihre Eltern zusammen mit dem Brief erhalten hatten.

Die Aussagen der Zeugen, die Jenny zuletzt in der Disco gesehen hatten, waren schriftlich fixiert worden. Es würde nicht viel Sinn haben, mit den Leuten noch einmal zu sprechen.

»Ich werde die Mörder finden«, stieß Carry Bannister hervor. »Ich werde alles daransetzen, um diese Schufte zu überführen.«

»Was wollen Sie denn tun?«, fragte ich.

»Das weiß ich noch nicht. Aber …« Carry verstummte. Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.

»Überlassen Sie es uns, dem Mörder Ihrer Schwester das Handwerk zu legen«, mahnte ich. »Sie würden sich nur unnötig in Gefahr begeben.«

Ich sagte es, obwohl ich keine Ahnung hatte, was sie vorhatte.

Carry schniefte. »Ich möchte Jenny noch einmal sehen. Können Sie das ermöglichen?«

»Sie bietet keinen schönen Anblick«, sagte ich. »Behalten Sie sie besser so in Erinnerung, wie …«

»Ich will sie sehen!«, beharrte Carry auf ihrem Standpunkt. »Bitte …« Zuletzt klang ihre Stimme fast jämmerlich. Tränen rannen ihr über die Wangen. Plötzlich sprang sie auf und lief in einen angrenzenden Raum. Ihre Psyche versagte. Mrs. Bannister folgte ihr.

Ich wandte mich an Jim Bannister. »Im Blut Ihrer Tochter wurde Heroin festgestellt.«

»Jenny hatte nie Kontakt zu Drogen«, murmelte Jim Bannister. »Das kann ich ruhigen Gewissens behaupten.«

Als wir wieder auf dem Weg zur Federal Plaza waren, meinte Milo: »Diese Schufte werden uns nach und nach die Leichen der Mädchen präsentieren, die sie entführt haben. Und wir stehen dem machtlos gegenüber. Verdammt, Jesse, wir können doch nicht herumsitzen und zusehen, wie diese Schufte eins der Girls nach dem anderen brutal ermorden.«

»Wir brauchen diesen Jack Mortimer.«

Im Field Office schaute ich mir noch einmal die Protokolle bezüglich der anderen Entführungsfälle an. Und mir fiel auf, dass auch eine junge Frau namens Amanda Stilwell zuletzt in der Disco Number One gesehen worden war.

Vielleicht gelang es uns, dort eine Spur aufzunehmen.

Wir begaben uns am Abend in die Disco. Da war ab 22 Uhr die Hölle los. Die Musik dröhnte, dass mir die Ohren schmerzten, im wilden Rhythmus bewegten sich junge Leute auf der Tanzfläche. Die Lichteffekte irritierten das Auge. Nebel wallte. Die Luft war stickig. Ich spürte wieder einmal ganz deutlich, dass ich einer anderen Generation angehörte. Irgendwie passten Milo und ich nicht in die Szene.

Ich staunte nicht schlecht, als ich gegen 23 Uhr an der Bar einen Mann sitzen sah, den ich kannte. Ich machte Milo auf den Burschen aufmerksam. Es war Paul Boulder. Er unterhielt sich angeregt mit einer schwarzhaarigen Schönheit. Scheinbar zog er eine recht witzige Nummer ab, denn die junge Lady lachte fast ununterbrochen.

Und noch ein bekanntes Gesicht sah ich. Es war Carry Bannister. Sie bewegte sich am Rand der Tanzfläche zur Musik, hatte die Augen geschlossen und schien voll und ganz in dem Tanz aufzugehen. Sie trug einen sehr kurzen Minirock und ein tief dekolletiertes Oberteil. Sie war wirklich sehr gut gewachsen und kaum ein Mann konnte sich wohl ihrer Ausstrahlung entziehen.

Siedendheiß wurde mir bewusst, was sie im Schilde führte.

Sie schien von dem Gedanken besessen zu sein. Anders war es nicht zu erklären, dass sie sich trotz der großen Trauer um ihre Schwester in dieses ausgelassene Getümmel warf und eine locker-lässige Show abzog.

»Sieh dorthin«, sagte ich zu Milo und wies mit der linken Hand in Carrys Richtung.

Milo furchte die Stirn. Auch er begriff auf Anhieb. »Sie treibt ein Spiel mit dem Feuer«, sagte er.

Paul Boulder erhob sich und drängte sich mit der Schwarzhaarigen zwischen die Tanzenden. Ich beobachtete ihn. Er bewegte sich geschmeidig. Gegen ein Uhr verließ er die Disco. Die schwarzhaarige Lady ging mit ihm. »Bleib du hier und beobachte Carry«, sagte ich zu Milo. »Ich folge Boulder.«

Der Schauspieler und seine Begleiterin stiegen in einen Pontiac und fuhren davon. Ich hängte mich an. Boulder fuhr zu seiner Wohnung in der 41st Street. Er und die Lady verschwanden in dem Gebäude.

Ich kehrte in die Disco zurück.

Carry saß jetzt mit einem Burschen an der Bar. Sie tranken Cola mit Whisky. Ich konnte es an den Gläsern, die vor ihnen standen, erkennen. Der Bursche war Mitte zwanzig und redete auf Carry ein.

Eine Stunde später verließen die beiden den Schuppen. Ich folgte ihnen nach draußen. Carry stieg zu dem Burschen in einen Ford. Sie fuhren weg. Ich notierte die Zulassungsnummer. Dann folgte ich den beiden. Der Bursche brachte Carry zur Wohnung ihrer Eltern. Sie stieg aus und der Ford fuhr weiter. Sie starrte ihm hinterher.

Ich fuhr rechts ran und verließ den Sportwagen.

Carry stand am Rand des Gehsteiges. »Sie?«

»Was Sie treiben, ist ein Vabanquespiel«, sagte ich.

»Sagen Sie mir nicht, was ich tun oder lassen soll«, stieß sie ungeduldig hervor.

»Das liegt mir fern«, versetzte ich. »Doch glauben Sie mir, Carry: Es ist eine Herausforderung an das Schicksal. Sie haben den Kerlen, die Ihre Schwester und zwei weitere junge Frauen auf dem Gewissen haben, nichts entgegenzusetzen.«

»Aber ich kann doch nicht zulassen, dass diese Schufte ungeschoren davonkommen«, brach es aus ihrer Kehle. »Ich – ich bin es meiner Schwester schuldig.«

»Überlassen Sie es uns«, sagte ich.

Carry warf sich herum und lief zur Haustür, schloss sie auf und verschwand im Haus. Ich verspürte Beklemmung. Voller gemischter Gefühle setzte ich mich in den Sportwagen und fuhr zu der Diskothek zurück. Ich sprach mit einem der Keeper und fragte ihn, ob er Paul Boulder kannte.

»Wer soll das sein?«, fragte der Mann.

»Er saß heute Abend mit einer schwarzhaarigen Frau hier an der Bar. Boulder ist achtundzwanzig Jahre alt und hat blonde Haare.«

»Ah, ja, Sie sprechen von Paul.« Der Keeper lachte. »Der kommt in der Woche drei- bis viermal her, und jedes Mal schleppt er eine andere Lady ab. Der hat einen Verschleiß – da kann unsereiner nur neidisch werden. Warum interessieren Sie sich für Paul?«

»Zwei junge Frauen, die in dieser Disco verkehrten, sind spurlos verschwunden. Amanda und Jenny. Jenny ist in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht – tot, ermordet. Kannten Sie die beiden Frauen?«

»Nein. Hierher kommen tagtäglich hundert und mehr junge Frauen. Ich kenne einige Dutzend von ihnen vom Vornamen. Darunter sind mehrere, die Amanda oder Jenny heißen.«

»Hat Paul mal eine von diesen Amandas und Jennys mit sich genommen?«

Der Keeper zuckte mit den Schultern. »Kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin hier ziemlich eingespannt. Wenn ich meinen Job nicht ordentlich mache, setzt mich mein Chef auf die Straße. Ich kümmere mich nicht darum, wer mit wem verschwindet.«

»Ich möchte Sie bitten, morgen um 10 Uhr ins Field Office zu kommen.«

»Warum?«

»Ich will Ihnen die Bilder der jungen Frauen zeigen, die verschwunden sind. Vielleicht erkennen Sie die eine oder andere.«

»Ich will in nichts hineingezogen werden.«

»Werden Sie nicht.« Ich beugte mich etwas weiter über die Theke. »Wir wollen einige Kapitalverbrechen klären. Ich muss Sie doch nicht an Ihre Staatsbürgerpflichten erinnern.«

Er verzog das Gesicht.

Aber am folgenden Tag stand er pünktlich um 10 Uhr auf dem Teppich. Ich zeigte ihm die Bilder der verschwundenen jungen Frauen. Er deutete auf die Bilder von Amanda Stilwell und Jenny Bannister. »Die beiden sind bei uns verkehrt. Amanda und Jenny. Boulder sah ich mal mit Jenny sprechen. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass die beiden zusammen die Disco verlassen hätten.«

»Kommt Boulder immer alleine in die Disco, oder befand er sich das eine oder andere Mal in Begleitung, wenn er kam?«

»Zwei- oder dreimal war ein Mann dabei. Ungefähr Mitte vierzig, dunkelhaarig. Den Kerl habe ich allerdings schon längere Zeit nicht mehr gesehen. He, halten Sie Boulder für einen Mörder?«

Darauf blieb ich dem Keeper die Antwort schuldig.

»Können Sie sich an den Namen des Mannes erinnern?«

»Nein. Er wirkte in der Disco wie ein Fremdkörper. Drum ist er mir auch aufgefallen. Fast so wie – wie …«

»… wir, nicht wahr?«

Der Keeper nickte. »Nichts für ungut. Aber das Durchschnittsalter liegt in unserem Betrieb bei zwanzig.«

»Keine Ursache«, versetzte ich.


*


Julie Martens wurde wieder wach. Sie blieb liegen und starrte zur weißgekalkten Zimmerdecke hinauf. Ihr Schicksal schien sich in einer Sachgasse verfahren zu haben. Sie fühlte Verlorenheit. Was hatten die Kerle mit ihr vor? Warum spritzten sie ihr Heroin? Sie glaubte nicht mehr daran, dass sie entführt wurde, weil ein Lösegeld erpresst werden sollte.

Nachdem sie fast eine Stunde nahezu reglos auf dem Bett gelegen hatte, kamen wieder die beiden Kerle ins Zimmer. Sie bekam wieder eine Spritze. Gleich fühlte sie sich besser. Wurde sie schon abhängig? Der Gedanke daran machte ihr Angst. Aber dieser Zustand verschwand schnell, und ein euphorisches Gefühl bemächtigte sich ihrer. Plötzlich empfand sie alles gar nicht mehr so schlimm. Im Gegenteil: Sie fühlte sich beschwingt und leicht, als würde sie schweben.

»Steh auf«, sagte der blondhaarige Bursche.

Julie erhob sich.

»Komm.«

Er ging voraus. Der andere Bursche, er war zwischen vierzig und fünfzig, blieb neben der Tür stehen und grinste. Julie folgte dem Blonden. Er führte sie in ein Badezimmer. Dort sagte er: »Zieh dich aus. Und dann geh unter die Dusche. Du findest in der Kabine alles, was du brauchst.«

»Was habt ihr mit mir vor?«

»Wir werden einige Filme mit dir drehen, Schätzchen. Vorher aber bringen wir dich soweit, dass du uns aus der Hand frisst. So etwas wie dich wollen die Kunden sehen. Jung, knackig, unverbraucht. Du bist die adäquate Besetzung.«

»Was – was sind das für Filme?«

»Pornos. Bald wirst du um einen Schuss Heroin betteln. Und wenn du dich fügst, bekommst du ihn. Wenn nicht, gehst du durch die Hölle. Es ist ganz einfach. Und jetzt zieh dich aus. Ich mache ein paar Fotos von dir.«

Die Kamera lag auf der Ablage über dem Waschbecken.

»Nein!«

Der Blonde starrte Julie ungläubig an. Er war es wohl nicht gewohnt, dass sich jemand seinen Anordnungen widersetzte. »Was?«

»Ich habe nein gesagt.«

»Du spinnst wohl.« Der Blonde lachte rasselnd auf. »Du hast hier keine Meinung. Also tu, was ich dir sage.«

Julie wirbelte herum und rannte aus dem Badezimmer. Sie warf die Tür hinter sich zu und hörte den blondhaarigen Burschen dagegenrennen. In einem Sessel saß der andere der beiden Kerle. Er erhob sich ruckartig und versuchte Julie den Weg zur Wohnungstür abzuschneiden. Die junge Frau warf sich gegen ihn. Er taumelte zur Seite und fluchte. Julie erreichte die Tür, ihre Hand umfasste den Knopf, drehte ihn – die Tür war verschlossen. Der Schlüssel steckte. Julie wollte ihn herumdrehen – da wurde sie an der Schulter gepackt und herumgerissen. Die flache Hand des Blonden landete brennend auf ihrer Wange, ihr Kopf wurde auf die Schulter gedrückt. Julie schrie auf. Das verzerrte Gesicht des Kerls war nun ganz dicht vor ihr. Sie erhielt einen Stoß und flog gegen die Tür, ihr Hinterkopf prallte dagegen. Ehe sie sich versah, wurde sie von der Tür weggerissen. Der Kerl zerrte sie zu einem der Sessel und schleuderte sie hinein. Dann beugte er sich über sie, und sein Atem streifte ihr Gesicht, als er sprach:

»Versuch das nie wieder! Nie wieder, hörst du?«

Heiß stieg es in Julie hoch. Die Panik kam wie eine alles verschlingende Flut. Sie war sich der Ausweglosigkeit ihrer Situation voll und ganz bewusst. Ihr Herz raste, ihr Atem flog. Ihre Brust hob und senkte sich unter den keuchenden Atemzügen. Mit tränenerstickter Stimme stieß sie hervor: »Warum machen Sie das mit mir? Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich – ich werde Sie auch nicht verraten.«

Der Blonde lachte nur höhnisch auf. »Erst wirst du einen guten Job machen. Und jetzt hoch mit dir. Du wirst jetzt duschen. Ich werde einige Bilder von dir schießen, und dann …«

Er schnippte mit Daumen und Mittelfinger.

»Was – was ist dann?«, fragte Julie beklommen.

»Dann werden wir ein wenig für unseren ersten Film üben. Und wenn du schön artig bist, bekommst du auch wieder deine Dosis. Es wird dir gut gehen. Du wirst es sehen.«


*


Wir hatten sowohl die sichergestellten Briefe als auch die DVD's samt Hüllen an unser Labor abgegeben, und nun teilte mir der Kollege telefonisch mit, dass er zwar einige Fingerabdrücke auf den Utensilien festgestellt habe, dass aber ein Abgleich keine Übereinstimmung mit registrierten ergeben habe. Auch die Fingerabdrücke der getöteten Frauen waren auf den Briefen nicht zu finden gewesen, was ein weiteres Indiz dafür war, dass sie die Briefe nie in der Hand hatten.

Wir meldeten uns bei Mr. McKee an, und als wir saßen, sagte der Chef: »Nun, Gentlemen, was gibt es Neues zu berichten?«

»Nicht viel«, erwiderte ich. »Wir haben eine dritte Leiche. Jenny Bannister, zwanzig Jahre, sie wurde mit einer dünnen Schnur oder einem Draht erwürgt und in ihrem Blut wurden Spuren von Heroin gefunden. Jenny wurde zuletzt in der Diskothek Number One gesehen. In dieser Disco hielt sich auch Amanda Stilwell an dem Abend auf, an dem sie verschwand.«

»Haben Sie sich dort mal umgesehen?«

»Natürlich, Sir. Und wir sind dort auf den Hauptdarsteller der Filme gestoßen, diesen Paul Boulder. Was aber nichts heißen will. Er verkehrt regelmäßig in dem Schuppen, und zwei- oder dreimal hatte er einen Begleiter dabei, von dem wir annehmen, dass es sich um Jack Mortimer handelte.«

»Haben Sie mit diesem Paul Boulder gesprochen?«

»Gewiss. Aber wir werden uns den Burschen noch einmal vorknöpfen. Er versuchte uns Glauben zu machen, dass ihn Mortimer anrief, wenn ein Film anstand, dass er den Film machte, seine Gage kassierte und sich verabschiedete. Wenn er mit Mortimer in der Disco war, dann kennt er ihn besser, als er uns gegenüber zugegeben hat. Und deswegen wird sich der Bursche ein paar Fragen gefallen lassen müssen.«

»Einige der Mädchen gelten nach wie vor als vermisst«, sagte Milo. »Ich befürchte, dass keines mehr am Leben ist. Es macht mich ganz krank, wenn ich daran denke, dass wir nicht den geringsten Ansatzpunkt haben, um diesen Schuften, die die jungen Frauen wie Verbrauchsgegenstände benutzen, das Handwerk zu legen.«

»Es ist frustrierend«, murmelte der Chef. »Was gedenken Sie als nächstes zu unternehmen?«

»Mein Gefühl sagt mir, dass wir an diesen Jack Mortimer nur über Paul Boulder herankommen«, murmelte ich. »Darum werden wir ihn in den Focus unserer Ermittlungen stellen. Wir haben, was die entführten jungen Frauen betrifft, die Fahndung eingeleitet und einen öffentlichen Aufruf gestartet. – Die Schwester der getöteten Jenny Bannister hat sich vorgenommen, den Mördern ihrer Schwester auf eigene Faust das Handwerk zu legen. Sie gibt sich in der Disco, in der ihre Schwester zum letzten Mal gesehen wurde, besonders lasziv. So, denkt sie, kann sie die Aufmerksamkeit der Verbrecher auf sich ziehen.«

»Die Idee ist gar nicht so dumm«, meinte der Chef. »Allerdings ist das Girl nicht der richtige Lockvogel für die Gangster.«

»Sie meinen, Sir …«

»Ich denke an Jennifer.«

»Es kann auch ins Auge gehen.«

»Irgendwie müssen wir versuchen, diese Halunken zu ködern. Reden wir mit Jennifer.«

Der AD griff zum Telefon, wählte eine Nummer, und sagte gleich darauf: »Kommen Sie doch bitte gleich einmal zu mir, Jennifer.«

Zwei Minuten später tanzte die Kollegin an. Sie trug eine Jeans, die ihre Formen so richtig zur Geltung brachte, dazu eine weiße Bluse, das blonde Haar hatte die Agentin hochgesteckt. Sie lächelte uns zu. Jennifer sah wie immer bezaubernd aus.

»Setzen Sie sich, Jennifer«, forderte sie der AD auf, und als die Agentin bei uns an dem kleinen Konferenztisch Platz genommen hatte, fuhr er fort: »Ich habe einen Sonderauftrag für Sie, Jennifer. Natürlich will ich Sie nicht zwingen. Aber ich denke, Sie erklären sich bereit, den Job zu machen.«

»Wenn Sie nicht gerade etwas Unmögliches von mir verlangen, Sir«, versetzte Jennifer lächelnd.

Auch Mr. McKee lächelte. Es war ein warmes, väterliches Lächeln. Er sagte: »Sie müssen für einige Zeit die Disco-Queen spielen und die Blicke der Männer auf sich ziehen.«

Jennifer blickte ziemlich verständnislos drein. »Bin ich über dieses Alter nicht hinaus?«

»Im Gegensatz zu Milo und mir - nein«, mischte ich mich ein.

»Warum geht es?«

»Übernehmen Sie es, Jennifer aufzuklären«, bat mich der AD.

Wenig später wusste Jennifer Bescheid.

Sie nickte und sagte: »Natürlich mache ich das. Das ist doch keine Frage. Wann beginnt der Einsatz?«

»Am besten heute noch.«


*


Wir fuhren in die 41st Street. Paul Boulder war nicht zu Hause. Sein Wohnungsnachbar konnte uns auch nicht sagen, wo er sich eventuell aufhielt. Einer geregelten Arbeit ging Boulder nicht nach. Ich hatte mir Abzüge von den Bildern gefertigt, die die verschwundenen und getöteten Mädchen zeigten, und diese Bilder zeigte ich dem Nachbarn.

Er schaute sie sich aufmerksam an.

»Haben Sie schon mal eines der Mädchen in Boulders Begleitung gesehen?«, fragte ich.

Der Nachbar spitzte die Lippen und wiegte den Kopf. »Kann ich Ihnen nicht sagen. Jedes Mal wenn ich Boulder mir 'ner Frau sehe, ist es 'ne andere. Wie der Kerl das macht, dass er die Weiber reihenweise rumkriegt, ist mir ein Rätsel. Vor allen Dingen frage ich mich, wo er die Ladys aufreißt. Ich habe ihn schon mal angesprochen, aber er hat nur gelacht.«

Von dem Mann erfuhren wir nichts.

Als wir das Haus verließen, fuhr Boulder vor. Er parkte den Pontiac am Straßenrand und stieg aus. Jetzt erst sah er uns, und seine Züge schienen zu versteinern. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sich sofort wieder in seinen Wagen setzen und die Flucht ergreifen. Aber dann gab er sich einen Ruck und er näherte sich uns.

»Wollen Sie zu mir?«

»Sehr richtig.« Ich nickte. »Ich hoffe, sie hatten eine angenehme Nacht.«

Boulder schaute mich irritiert an, ging aber nicht darauf ein. »Was wollen Sie?«

»Sie verkehren regelmäßig im Number One

Seine Brauen zuckten in die Höhe. »Ist das verboten?«

»Zwei der Frauen, die verschwunden sind und von denen eine tot aufgefunden wurde, nachdem Sie mit Ihnen einen Film drehte, wurden zuletzt im Number One gesehen.«

»Was schließen Sie daraus?« Boulder schaute mich herausfordernd an. »Sie versuchen doch nicht etwa, mir etwas in die Schuhe zu schieben?«

»Das würde mir nicht im Traum einfallen. Allerdings gibt mir eine Tatsache zu denken, Mr. Boulder.«

»Und das wäre?«

»Sie waren mindestens zweimal in Begleitung Jack Mortimers in der Disco.«

Ich stellte das einfach in den Raum, obwohl ich nicht mit letzter Sicherheit wusste, dass es sich bei dem Burschen, von dem uns der Keeper erzählt hatte, um den Regisseur der Schmuddelfilme handelte.

Boulder fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Seine Augen flackerten. Er verriet plötzlich Unsicherheit.

Ich fuhr fort: »Das passt nicht zu Ihrer Aussage, dass jeder seinen eigenen Weg geht, sobald die Filme abgedreht sind. Was haben Sie uns dazu zu sagen?«

»Es handelte sich um Bentley«, gab Boulder zu verstehen. »Natürlich treffen wir uns, bevor wir einen Film machen. Es gilt, einen Vertrag zu unterzeichnen. Außerdem händigt mir Bentley ein Drehbuch aus. Unsere Filme haben auch Handlung. Sie werden es zwar nicht glauben, aber das ist so.«

»Wer ist Bentley?«

»Der Produzent.«

»Um die Verträge abzuschließen treffen Sie sich in der Disco?«

»Warum nicht?«

»Ich würde gerne einige der Verträge haben.«

»Wozu?«

»Wir ermitteln in drei Mordfällen«, versetzte ich vielsagend. »Also …«

»Kommen Sie mit hinauf.«

Wir fuhren mit dem Lift in die vierte Etage. Boulder schloss die Wohnungstür auf und forderte uns auf, einzutreten. Er nahm aus einem Schrank einen Ordner. Er beinhaltete einige Bögen Papier. »Ich brauche die Verträge wieder«, sagte Boulder. »Es geht um Geld. Ich bin am Umsatz prozentual beteiligt.«

Ich schlug den Ordner auf und las den obersten Vertrag. Vertragspartner waren die Love-Film und Videoproduktions- und Vertriebsgesellschaft sowie Paul Boulder. Die Filmgesellschaft hatte ihren Sitz in der Barclay Street.

»Ist das auch die Wohnung von Bentley?«, fragte ich.

»Ich habe keine Ahnung, wo Bentley wohnt.«

»Haben sie die nette schwarzhaarige Lady, die Sie vergangene Nacht aus der Disco abschleppten, für einen Ihrer Filme verpflichtet?«

Boulder kniff die Augen zusammen und starrte mich an wie ein Raubvogel, der eine Beute erspäht hatte. »Sie beobachten mich also.«

»Nein«, antwortete ich, »es war mehr Zufall, dass ich Sie in der Disco sah.«

Es mutete mich an, als versuchte er, in meinem Gesicht zu lesen. Dazu nagte Boulder an seiner Unterlippe. Plötzlich fragte er: »Wann bekomme ich die Verträge zurück?«

»Sobald wir sie ausgewertet haben.«

Ich klemmte mir den Ordner unter den Arm, dann verließen wir die Wohnung.


*


Kaum, dass sich die Tür hinter den beiden Agents geschlossen hatte, schnappte sich Boulder den Telefonhörer. Er holte eine eingespeicherte Nummer aus dem elektronischen Telefonbuch, drückte den grünen Knopf und hob den Hörer vor sein Gesicht.

»Was willst du?«

»Sie waren wieder da.«

»Du scheinst ihr Interesse geweckt zu haben.«

»Sie haben mich gestern Abend im Number One beobachtet. Und sie haben die Verträge mitgenommen, die wir geschlossen haben.«

»Die werten Sie sicher auf Fingerabdrücke aus.«

»Deine Fingerabdrücke sind nicht registriert.«

»Du hast recht. Okay. Wir machen noch den einen Film, dann setzen wir für einige Zeit aus. Die Kleine lasse ich verschwinden. Wenn es an der Zeit ist, besorgen wir uns frisches Fleisch. Am besten ist es, wenn du die nächsten Tage nicht mehr herkommst. Ich werde schon alleine mit der Lady fertig.«

»Geht in Ordnung. Die Bullen verlieren sicher sehr schnell wieder das Interesse an mir, wenn sie merken, dass ich nichts zu verbergen habe.«

»Benimm dich ganz normal. Tu, was du sonst auch tust, bloß komm nicht hierher. Ich rufe dich wieder an.«

»Diese Dummköpfe erwischen uns nie. Wir sind schlauer als sie.«

Paul Boulder hatte keine Ahnung, dass in diesem Moment der Stab über seinem Kopf gebrochen wurde.

Sein Gesprächspartner unterbrach die Verbindung. Ein entschlossener Zug hatte sich in seinen Mundwinkeln festgesetzt. »Wenn sie dich einmal am Wickel haben, Junge, dann bist du ihnen ausgeliefert«, murmelte er für sich. »Und du würdest auch mich ans Messer liefern. Du hast dich zu einem Risiko entwickelt und bist nicht mehr tragbar für mich …«

An diesem Abend ging Boulder wieder in die Diskothek. Er setzte sich an die Bar. Sofort näherte sich ihm die Schwarzhaarige vom Vorabend. Sie zeigte ihm ein bezauberndes Lächeln und trat ganz dicht an ihn heran. »Ich habe nicht geglaubt, dass du kommst«, sagte sie.

»Eine wie dich vergisst man nicht so schnell«, versetzte er grinsend und schaute sich um. Er erwartete, Jesse Trevellian oder Milo Tucker zu sehen.

Die Schwarzhaarige schwang sich auf den Barhocker neben Boulder. »Du hast doch nichts dagegen?«

»Nein. Schließlich sind war ja verabredet.«

»Hast du schon mit deinem Produzenten gesprochen?«

»Noch nicht. Aber er hat ganz sicher 'ne Rolle für dich. Du wirst es sehen.« Boulder lachte blitzend. »Wir bringen dich ganz groß heraus.«

Ein dunkelhaariges Mädchen um die zwanzig, das sich am Rand der Tanzfläche mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze zur Discomusik bewegte, stach Boulder ins Auge. Irgendwie konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, die Kleine schon einmal gesehen zu haben. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das Girl sah einer der Ladys ähnlich – frappierend ähnlich – mit der er einen Film drehte. Jenny hatte die Kleine geheißen. Richtig! Er hatte sie vor einigen Wochen genau in diesem Schuppen kennengelernt und mit zu sich nach Hause genommen. Dort hatte Derek bereits gewartet …

»Gefällt dir die Kleine?«

Die ätzende Stimme der Schwarzhaarigen hieb in Boulders Denken. Er zuckte zusammen. Sein Blick schien wie aus weiter Ferne zurückzukehren. »Sie kommt mir bekannt vor«, murmelte er und schaute die junge Frau an, die bei ihm saß. »Was willst du trinken?«

»Einen Kir Royal.«

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738966558
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Oktober)
Schlagworte
trevellian gespielin todes action krimi

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: Trevellian und die Gespielin des Todes: Action Krimi