Zusammenfassung
Brad wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Eine Wolke von kleinen Stechmücken schwirrte um seinen Kopf herum. Es war heiß. Brads bloßer Oberkörper glitzerte feucht vom Schweiß.
Brad war ahnungslos. Dennoch fragte er sich, was den Sheriff veranlasste, zu ihm zu kommen. Er lehnte die Axt an den Hackklotz und ging zum Brunnen in der Hofmitte. Die Winde knarrte, als er einen Eimer voll Wasser in die Höhe hievte. Brad trank aus einer Schöpfkelle, die an einem Nagel am Gerüst der Winde hing. Dann warf er sich einige Hände voll Wasser in das Gesicht, prustete und strich sich die nassen Haare aus der Stirn.
Indes lenkte der Sheriff sein Pferd in den Ranchhof. Er wirkte angespannt und wachsam, seine Miene war seltsam verschlossen, und als er zwei Pferdelängen vor Brad anhielt, sagte er hart und ohne jede Freundlichkeit: „Man hat mir heute Tom Ballard in die Stadt gebracht, Winslow. Er war kalt und steif. Jemand hat ihm in der vergangenen Nacht ein Stück Blei zwischen die Schulterblätter geknallt.“
Durchdringend musterte er, während er sprach, Brad. In dessen Gesicht zuckte es. Er zeigte Betroffenheit, schluckte hart und trocken. „Tom Ballard – tot?“, entfuhr es ihm. „Gütiger Gott. Von hinten erschossen. Wie - wie hat es Nancy aufgenommen?“
Der Sheriff legte die Hände übereinander auf den Sattelknopf. „Sie fand ihn. In den Bergen westlich ihrer Ranch. Er ritt gestern Nachmittag fort, um Rinder, die sich im Felsgewirr verlaufen hatten, zurückzutreiben. Als er heute morgen noch immer nicht zurück war, suchte Nancy ihn. Sie brachte ihn auch in die Stadt.“
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Im Schatten der Mörder-Ranch: Pete Hackett Western Edition 74
Western von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 136 Taschenbuchseiten.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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COVER EDWARD MARTIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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1
Brad Winslow senkte die Axt, als er den Reiter wahrnahm, der sich langsam der kleinen Ranch näherte. Der Reiter kam von Osten. Die Sonne stand im Westen. Der Stern auf der linken Brustseite des Ankömmlings reflektierte das Sonnenlicht.
Brad wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Eine Wolke von kleinen Stechmücken schwirrte um seinen Kopf herum. Es war heiß. Brads bloßer Oberkörper glitzerte feucht vom Schweiß.
Brad war ahnungslos. Dennoch fragte er sich, was den Sheriff veranlasste, zu ihm zu kommen. Er lehnte die Axt an den Hackklotz und ging zum Brunnen in der Hofmitte. Die Winde knarrte, als er einen Eimer voll Wasser in die Höhe hievte. Brad trank aus einer Schöpfkelle, die an einem Nagel am Gerüst der Winde hing. Dann warf er sich einige Hände voll Wasser in das Gesicht, prustete und strich sich die nassen Haare aus der Stirn.
Indes lenkte der Sheriff sein Pferd in den Ranchhof. Er wirkte angespannt und wachsam, seine Miene war seltsam verschlossen, und als er zwei Pferdelängen vor Brad anhielt, sagte er hart und ohne jede Freundlichkeit: „Man hat mir heute Tom Ballard in die Stadt gebracht, Winslow. Er war kalt und steif. Jemand hat ihm in der vergangenen Nacht ein Stück Blei zwischen die Schulterblätter geknallt.“
Durchdringend musterte er, während er sprach, Brad. In dessen Gesicht zuckte es. Er zeigte Betroffenheit, schluckte hart und trocken. „Tom Ballard – tot?“, entfuhr es ihm. „Gütiger Gott. Von hinten erschossen. Wie - wie hat es Nancy aufgenommen?“
Der Sheriff legte die Hände übereinander auf den Sattelknopf. „Sie fand ihn. In den Bergen westlich ihrer Ranch. Er ritt gestern Nachmittag fort, um Rinder, die sich im Felsgewirr verlaufen hatten, zurückzutreiben. Als er heute morgen noch immer nicht zurück war, suchte Nancy ihn. Sie brachte ihn auch in die Stadt.“
Brad blickte versonnen zu Boden. Er schüttelte den Kopf, als wollte ihm die Eröffnung nicht in den Sinn.
Der Sheriff fuhr fort. Seine Stimme klirrte wie zerspringendes Glas. „Nancy hält dich für den Mörder, Brad. Und nicht nur sie. Auch ich bin der Meinung, dass du als Mörder Toms in Frage kommst.“
Brad japste nach Luft wie ein Erstickender. Seine Augen hatten sich ungläubig geweitet. Er stand beim Brunnen wie vom Donner gerührt. Die Worte des Sheriffs hallten durch seinen Verstand wie höllisches Geläut. Seine Gedanken wirbelten, er ächzte, seine Lippen bewegten sich, aber seine Stimmbänder versagten.
Knarrend schwang die Haustür auf und eine junge, blonde Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren trat ins Freie. Verwundert und fragend fixierte sie den Sheriff, dann ließ sie ihre Stimme erklingen: „Hallo, Mister Wagner. Was führt Sie zu uns auf die Ranch?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, sprach sie sogleich weiter: „Ich bereite gerade das Abendessen. Wenn Sie unser Gast sein möchten ...“
Ein blondhaariges, sommersprossiges Mädchen von etwa vierzehn Jahren und ein Junge von ungefähr zwölf drängten hinter der jungen Frau aus dem Haus. Das Mädchen lächelte unbefangen. Der Junge jedoch schaute verunsichert von Brad auf den Sheriff, und von diesem wieder auf Brad, als spürte er instinktiv, dass etwas nicht in Ordnung war.
Der Sheriff kniff kurz die Lippen zusammen, wie ein Mann, der sich nicht wohl fühlte in seiner Haut, dann presste er fast widerwillig hervor: „Tut mir leid, Virginia. Tom Ballard wurde ermordet, und es spricht viel dafür, dass es euer Bruder war. Ich muss ihn mit in die Stadt nehmen und arretieren, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Sollte sich seine Unschuld herausstellen, wird er bald wieder bei euch sein. Wenn nicht, nun ...“
John Wagner brach vielsagend ab und zuckte mit den Achseln. In seinem Schweigen lag eine düstere Verheißung.
Das freundliche Lächeln des Mädchens erstarb. Virginias Herz übersprang einen Schlag, ihr Atem ging schneller, eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Gehirn ließ sie taumeln. Aus der Kehle des Jungen brach ein erschreckter Ton, maßloses Erschrecken prägte das Knabengesicht. Fassungslosigkeit griff um sich.
„Du bist verrückt geworden, John!“, würgte Brad endlich hervor. „Ich - ich ...“
„Was?“, peitschte die Stimme des Gesetzeshüters.
Brad knirschte mit den Zähnen. Er duckte sich, und seine Haltung erinnerte an ein sprungbereites Raubtier. „Ich habe Ballard nicht erschossen, Wagner“, rief er rau, und in seinem Tonfall lag jetzt erzwungene Festigkeit. „Sehe ich vielleicht aus wie ein Mörder? Traust du mir einen Mord zu?“
„Meine Meinung ist unmaßgeblich“, murmelte John Wagner. „Es zählen nur die Fakten. Fakt ist, dass du hinter Nancy her bist wie der Teufel hinter der armen Seele. Seit Monaten versuchtest du, Tom die Frau abspenstig zu machen. Tom kam dir auf die Schliche und verprügelte dich. Jetzt ist er tot, und eine Menge spricht dafür, dass du ihn auf dem Gewissen hast. Also zieh dir ein Hemd über. Dann sattelst du dir ein Pferd und reitest mit mir nach Middle Well. Du bist verhaftet, Brad. Im Namen des Gesetzes.“
Brad schien den Worten hinterherzulauschen. Er starrte den Sheriff verständnislos an, es gelang ihm nicht, irgendeinen Gedanken zu formen oder sich auf irgendeine Weise zu artikulieren. Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Sein Hals war wie zugeschnürt, wie Fieber rann es durch seine Adern, es überstieg sein Begriffsvermögen.
Brad spürte die Augen seiner Geschwister auf sich gerichtet. Entsetzen und Angst wühlten in ihnen. Nachdem ihre Eltern vor zwei Jahren an einer Infektionskrankheit gestorben waren, hatten er und Virginia die Verantwortung für Benny und Mary Ann übernommen. Doch nun ...
„Sheriff ...“ So kam es brüchig von Virginia. „Mister Wagner! Brad war den ganzen Tag auf der Ranch und hat Holz gehackt. Er kann es nicht gewesen sein.“
Sie knetete ihre Hände, ihre Nasenflügel vibrierten, erregt pochte die Schlagader an ihrem schlanken Hals.
„Tom wurde in der vergangenen Nacht ermordet, Virginia“, versetzte John Wagner eisig, und plötzlich zog er den Colt, schlug ihn auf Brad an, mit dem Daumen spannte er den Hahn.
Das metallische Knacken riss Brad aus der Betäubung. Er schaute den Sheriff an, als erwachte er aus einem Alptraum. Er fing sich und murmelte erstickt: „Ich bin unschuldig. Allerdings ist es wohl so, dass tatsächlich alles gegen mich spricht. Und darum wird dich meine Behauptung nicht interessieren, John. Du kannst den Ballermann wegstecken. Ich komme freiwillig mit dir. Denn meine Unschuld wird sich herausstellen. - Virginia, reite zu Hunter und berichte ihm alles. - Du - du glaubst doch an meine Unschuld, Virgy?“
Virginia nickte. In ihren blauen Augen sammelten sich Tränen. Ihr war das Flehen in seiner Stimme nicht entgangen. „Ja, Brad. Ich - ich weiß, dass du unschuldig bist. Und wir werden alles daransetzen, um deine Unschuld zu beweisen.“
Aufweinend warf sich Mary Ann herum und rannte zurück ins Haus. Benny klammerte sich an seine große Schwester und kämpfte tapfer gegen die Tränen an. Seine schmalen Schultern erbebten wie unter einem inneren Krampf.
„Okay, John.“ Brad nickte entschlossen, ein Ruck durchfuhr ihn. „Du bist der Sheriff, und du erfüllst deine Pflicht. Keine Sorge. Ich mache dir keine Schwierigkeiten.“
„Das möchte ich dir auch nicht geraten haben“, versetzte John Wagner grimmig und unversöhnlich. In Situationen wie dieser schaltete er jegliches persönliche Gefühl aus. Es ging um gemeinen Mord - und er hatte dem Gesetz Geltung zu verschaffen.
Seine Unversöhnlichkeit berührte Brad wie eine eiskalte Hand. Sekundenlang blickte er in das willensstarke, hartkantige Gesicht des Sheriffs, in dessen dunkle, fordernde Augen, und er verspürte jähe Beklemmung. Von einer Minute zur anderen schien sein Schicksal sich in einer Sackgasse verfahren zu haben. Alles in ihm lehnte sich dagegen auf, er wollte seine Unschuld hinausschreien, aber die Erkenntnis, dass die Fakten eindeutig gegen ihn sprachen, versiegelte ihm die Lippen.
Brad setzte sich in Bewegung. Seine Schritte muteten hölzern, fast marionettenhaft an. Er ging zu dem Haufen Holz, den er am folgenden Tag noch zerkleinern wollte, und über den er achtlos sein Hemd geworfen hatte ...
Als er zwanzig Minuten später mit dem Sheriff von der Ranch ritt, drohte Virginia die Verzweiflung zu übermannen. Benny weinte jetzt bitterlich. Der innere Druck hatte ihn überwältigt. Mary Ann hatte sich irgendwo im Haus verkrochen. Sie wurde von ihren Gefühlen regelrecht weggeschwemmt. Angst und Verlorenheit griffen nach den Geschwistern.
2
Hunter Bailey unterbrach Virginia mit keinem Wort. Sie war, als sie den Aufruhr ihrer Empfindungen wieder unter Kontrolle hatte, sofort zu Hunter geritten. Hunters Brauen hatten sich finster zusammengeschoben, über seiner Nasenwurzel hatte sich eine steile Falte gebildet. Im Licht der Petroleumlampe mutete sein schmales, scharfgeschnittenes Gesicht düster und hohlwangig an.
„War Brad in der Nacht, als der Mord geschah, zu Hause?“, fragte er, als Virginia geendet hatte.
Bedrückt schüttelte sie den Kopf. „Nein. Und als er am frühen Morgen kam, war nicht aus ihm herauszubekommen, wo er die Nacht verbracht hatte. Auf all meine Fragen erntete ich nur ein hintergründiges Lächeln.“
Hunter nagte an seiner Unterlippe. Urplötzlich erhob er sich. Er war groß und hager, und als er jetzt eine unruhige Wanderung im Raum aufnahm, wirkten seine Bewegungen gleitend und geschmeidig. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Das war deutlich von seinen Zügen abzulesen. Virginia beobachtete ihn erwartungsvoll, fast schon ungeduldig.
Als Hunter vor ihr stehenblieb, fiel sein Schatten auf sie. „Nancy Ballard taugt nichts“, murmelte er. „Sie hat nicht nur deinem Bruder den Kopf verdreht, sondern einer ganzen Reihe anderer Burschen mehr. Vor einigen Wochen brüstete sich im Saloon Jim Russel damit, dass es ihm ein Lächeln kosten würde, Nancy ihrem Mann abspenstig zu machen.“
„Jim Russel!“, rief Virginia. „Er taugt nicht mehr als Nancy. Er ist der Sohn eines reichen und mächtigen Mannes, der nichts und niemand respektiert, der aber niemals das Format seines Vaters erreichen wird.“
Hunter lächelte flüchtig. „Ich werde zu Nancy reiten und mit ihr sprechen. Brad mag ein oftmals leichtsinniger Bursche sein, aber er schießt keinen Mann in den Rücken. Irgend etwas stinkt zum Himmel. Ich kriege es heraus. Mach dir also im Moment keine allzugroßen Sorgen Brads wegen. Vielleicht sind ein paar Tage hinter Gittern heilsam für ihn.“
Wieder deutete Hunter ein schmales Lächeln an.
Virginia erhob sich und trat einen Schritt auf ihn zu. Hunter legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie fest an. Er spürte, dass sie seine Zuversicht nicht teilte. Er sagte kehlig: „Ich setze alles daran, Virgy, um Brads Unschuld zu beweisen. Und jetzt bringe ich dich nach Hause. Mary Ann und Benny sind alleine, und das ist nicht gut. Vorher aber ...“
Er beugte sich zur ihr hinunter und küsste sie.
3
Am Vormittag des folgenden Tages ritt Hunter nach Middle Well. Obwohl überall auf den Gehsteigen und auf der breiten Main Street kleine Menschengruppen zusammenstanden und diskutierten, schien ihm die Atmosphäre in der Stadt bedrückend und bleischwer. Die Menschen verstummten, wenn er in ihre Nähe kam, und starrten ihn an. Die Stimmung mutete ihn feindselig und unheilschwanger an, das düstere Schweigen berührte ihn wie ein heißer Atem.
Er verhielt vor dem Sheriff’s Office und saß ab. Lose warf er die Leine über den Querholm, dann rückte er seinen Revolvergurt zurecht, nahm das Gewehr aus dem Scabbard und ging hinein.
Der Sheriff hatte ihn kommen sehen und erwartete ihn auf der Schreibtischkante sitzend. Die beiden Männer nickten sich ernst zu. John Wagner zog den Mund schief und knurrte: „Ich kann mir schon denken, was dich nach Middle Well getrieben hat, Hunter. Es ist wegen Brad, nicht wahr? Virginia hat sich ja mächtig beeilt, dich in Kenntnis zu setzen. Na schön. Spule deinen Lasso auf, erkläre mir, dass Brad kein Mörder ist, dass ich den falschen Mann verhaftet habe, dass man vielleicht einen Unschuldigen verurteilt. Ich werde dir geduldig zuhören und dir dann antworten, dass jedes deiner Worte in den Wind gesprochen war. Der Richter hat einen Haftbefehl gegen Brad erlassen, ich werde in der Sache ermitteln, und wenn ich zu einem Ergebnis gekommen bin, erhebe ich als Vertreter des Arizona-Territoriums entweder Anklage gegen Brad, oder ich lasse ihn laufen.“
Hunter winkte ab. „Der Anschein spricht gegen Brad. Ich bin nicht zu dir gekommen, um abgedroschene Phrasen zu klopfen, John. Dennoch bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass Brad nicht auf Tom Ballard geschossen hat. Aber das zählt nicht, schätze ich.“
„Warum bist du dann hier?“, schnappte der Sheriff, rutschte von der Tischkante, umrundete den Schreibtisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine weit von sich und verschränkte die Hände über dem Bauch.
„Ich will mit Brad sprechen.“
Der Sheriff nickte wiederholt. „Dagegen ist sicher nichts einzuwenden, Hunter. Allerdings wirst du deine Waffen hier im Office lassen.“ Er erhob sich wieder.
„Fürchtest du, dass ich Brad mit Gewalt aus deinem Käfig hole?“, fragte Hunter mit etwas spöttisch angefärbter Stimme.
„Nein, Hunter“, murmelte Wagner. „Es ist so Vorschrift.“
„Sicher.“ Hunter sagte es ernst und ohne die Spur von Spott, legte das Gewehr auf den Schreibtisch, zog den Colt aus dem Halfter und legte ihn daneben. Dann ging er hinter John Wagner her in den Zellentrakt.
Brad lag auf der Pritsche in der linken der drei Zellen und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Unheilvolle, unerfreuliche Gedanken und Empfindungen quälten ihn, er fühlte sich wie ein Hammel, der zur Schlachtbank geführt werden sollte. Je länger er über alles nachdachte, umso mehr kam er zu dem Schluss, dass er in diesem Spiel ausgesprochen schlechte Karten in der Hand hielt.
Jetzt hob er den Kopf. Als er Hunter erkannte, ruckte er hoch, schwang die Beine von der Pritsche und erhob sich schnell. „Hunter! Gott sei Dank!“, entfuhr es ihm.
Brad kam bis zur Gitterwand, seine Hände verkrampften sich um zwei der zolldicken Eisenstäbe, daß die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten.
Hunter entging nicht die Rastlosigkeit in den Zügen des Freundes. Er gab zu verstehen: „Virgy kam gestern Abend noch zu mir auf die Ranch. Ich versprach ihr, alles zu tun, um deine Unschuld zu beweisen, Brad.“ Durchdringend musterte er den Gefangenen. „Du bist doch unschuldig, nicht wahr?“
Brads Mundwinkel zuckten erregt, dann antwortete er: „Natürlich. Nicht mal als Tom mich vor einigen Wochen jämmerlich verprügelte, dachte ich daran, ihn umzubringen.“ Brads Stimme wurde um einige Nuancen schärfer. „Verdammt, Hunter, was soll diese Frage?“
Hunter ging nicht darauf ein. „Für dich geht es um Kopf und Kragen, Brad. Darüber musst du dir im Klaren sein. Es sieht nicht gut aus.“
„Heavens, das weiß ich selbst. Wie aber soll ich beweisen, dass ich Tom nicht umbrachte? Meinen Beteuerungen glaubt niemand. Selbst du scheinst voller Zweifel zu sein.“
Hunters Hand fuhr zwischen zwei Gitterstäben hindurch und legte sich auf Brads Schulter. „Sag dem Sheriff und mir, wo du in der Nacht warst, Brad.“ Zwingend fixierte er Brad, sein Blick übte regelrechten Druck auf Brad aus.
Brad zog den Kopf zwischen die Schultern, und dann schüttelte er jäh die Hand Hunters ab. „Auf keinen Fall“, stieß er hervor und schüttelte störrisch den Kopf. Sein flackernder Blick streifte das Gesicht des Sheriffs, dessen Züge von erwartungsvoller Anspannung geprägt waren.
Jetzt grollte Wagners Organ: „Dir steht das Wasser bis zum Hals, Junge. Wie soll dir jemand helfen, wenn du stur und bockig bist? Du hast auch mir diese wohl ausgesprochen wichtige Frage nicht beantwortet. Was ist der Grund?“
„Rede, Mann!“, drängte Hunter. „Wo hast du die Nacht verbracht?“
Mit fahriger Geste fuhr sich Brad über die Augen. In ihm war ein tiefer Zwiespalt aufgerissen - der Zwiespalt eines Mannes, bei dem es um Kopf und Kragen ging, in dem sich alles sträubte, sein Geheimnis preiszugeben, obwohl er damit das Blatt vielleicht zu seinen Gunsten hätte wenden können.
Aber er begann zu wanken. Er saugte die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum. Und schließlich entrang es sich ihm: „Okay. Es ist wohl besser so.“ Seine Stimme klang belegt, fast heiser. „Ich - ich verbrachte die Nacht bei Nancy. Ja, verdammt, ich war bei Nancy. Darum ist es mir auch unerklärlich, wie sie behaupten kann, dass ich der Mörder ihres Mannes wäre.“
Seine Eröffnung schlug beim Sheriff ein wie eine Bombe. Ungläubig stierte er Brad an.
Hunter hingegen zeigte kaum Überraschung. Er wandte sich an den Sheriff. „Du wirst Nancy in die Mangel nehmen müssen, John. Und wenn Brad die Wahrheit gesprochen hat - wovon ich überzeugt bin -, musst du ihn laufen lassen.“
„Ich kann es nicht glauben“, ächzte Wagner. „Sie war es doch, die den Verdacht auf Brad lenkte.“ Der Sheriff griff sich an die Stirn. „By gosh, wenn es so ist, dann hat sie ihren Mann betrogen, und in dieser Gegend nimmt nicht mal mehr ein räudiger Straßenköter von ihr ein Stück Brot. Aber - mein Gott -, was hat sie für einen Grund, Brad dem Henker auszuliefern? Sie muss doch befürchten, dass Brad den Mund aufmacht.“
„Und wenn sie alles abstreitet?“, warf Hunter ein. „Ihr als Frau wird man Glauben schenken und Brad noch mehr verdammen, weil er ihre Ehre mit Füßen tritt, weil er versucht, sie mit Schmutz zu bewerfen. Ich schätze, John, du musst ...“
Er brach ab, denn auf der Straße erklang das Pochen von Pferdehufen. Vor dem Office endete es. Absätze hämmerten über den Vorbau, die Eingangstür knarrte in den Scharnieren. John Wagner verließ den Zellentrakt. Gleich darauf erklang die tiefe Stimme eines Mannes: „Schnelle, saubere Arbeit, Wagner. Sie haben den Mörder Tom Ballards also hinter Schloss und Riegel. Es dürfte wohl nur noch eine reine Formsache sein, ihn abzuurteilen und aufzuknüpfen, wie?“
„Big Burt Russel!“, brach es rau über Brads Lippen. „Dieser alte Aasgeier. Als nächstes wird er versuchen, Virgy, Benny und Mary Ann von unserem Grund und Boden zu vertreiben, um sich die Winslow-Ranch unter den Nagel zu reißen.“
Im Office erwiderte der Sheriff: „In diesem Landstrich wird ein Mann erst dann gehängt, wenn seine Schuld hundertprozentig erwiesen und ein Richterspruch gefallen ist, Russel.“
Der Rancher lachte kehlig. „Ich kenne Ihre Einstellung, Wagner. Sorgen Sie dafür, dass der Mörder Tom Ballards seine gerechte Bestrafung erhält. Und jetzt lassen Sie mich zu Winslow. Ich muss mit ihm sprechen.“
Wieder erklangen die harten, selbstbewussten Schritte. Hunter nahm Front zur Tür ein. Eine hohe, breitschultrige Gestalt füllte den Türrahmen nahezu aus, ein Mann mit faltigem, ledrigem Gesicht und hellwachen, grauen Augen erschien. Als er Hunter sah, stockte sein Schritt, er kniff die Augen zusammen und sagte spöttisch: „Aaah, der zukünftige Schwager. Möchten Sie sich wichtig machen, Bailey, oder Eindruck vor Ihrer Verlobten schinden?“
„Sparen Sie sich Ihren Zynismus, Russel“, versetzte Hunter kühl. „Was wollen Sie überhaupt hier?“
Russel betrat den Zellenraum. John Wagner folgte ihm. Der Rancher schaute an Hunter vorbei auf Brad. Dieser erwiderte trotzig Russels Blick. Der Rancher begann ohne Umschweife: „Sie stecken bis zum Hals in der Klemme, Winslow. Auf Ihnen liegt sozusagen schon der Schatten des Galgens. Um Sie herauszupaucken, bedarf es eines routinierten Rechtsanwalts. Ein solcher aber kostet Geld - viel Geld, mehr Geld, als Sie aufbringen können. Also hören Sie zu: Ich habe Interesse an Ihrer Ranch und biete Ihnen zehntausend Dollar für alles tote und lebende Inventar, das Sie Ihr eigen nennen. Das ist ein guter Preis, und ihnen bietet sich die Chance, den Hals vielleicht aus der Schlinge zu ziehen.“
Brads Gesicht färbte sich dunkel, er schnappte nach Luft. „Zehntausend Dollar“, japste er dann. „Die Ranch ist gut und gerne das dreifache wert. Gehen Sie zum Teufel, Russel! Ihr Angebot ist eine Unverschämtheit. Außerdem verkaufe ich nicht - auch nicht, wenn Sie mir den reellen Preis für die Ranch böten. Ich könnte es meinen Geschwistern gegenüber nicht verantworten.“
„Mir kommen gleich die Tränen“, murmelte Burt Russel. Dann fügte er mit erhobener Stimme hinzu: „Um Ihre Geschwister geht es nicht, Winslow. Es geht nur um Sie und darum, ob Sie eines schönen Tages am Ende eines Lassos zappeln. Also überlegen Sie es sich. Mit zehntausend Bucks können Sie den besten Anwalt des Territoriums konsultieren.“
„Es gibt nichts zu überlegen!“, fauchte Brad.
„Ist das Ihr letztes Wort?“
„Yeah. Und jetzt verschwinden Sie.“
„Wie Sie wollen.“ Ein seltsames Flirren zeigte sich in den grauen Augen Russels. „Man wird Ihnen den Hals langziehen, Winslow, mein Wort drauf. Virginia wird nicht in der Lage sein, die Ranch zu halten. Und dann bin ich dran.“
„Sie vergessen, dass ich auch noch da bin!“, warf Hunter mit schneidender Stimme dazwischen. „Und jetzt sollten Sie wohl tatsächlich gehen, Russel.“
„Sie sind ein kleines Licht, Bailey“, schnarrte Burt Russel gehässig. „Yeah, ein kleines Licht, das ich auspuste, wann immer ich will.“ Der Rancher schnippte mit den Fingern, und es gab ein kurzes, trockenes Geräusch.
„Überschätzen Sie sich nur nicht, Russel“, konterte Hunter unbeeindruckt und kalt.
Der Rancher zeigte ein böses Grinsen, es war mehr ein Zähnefletschen, dem eines wütenden Kampfhundes ähnlich. „Sie haben sich Stiefel angezogen, die Ihnen einige Nummern zu groß sind, Bailey“, knurrte er dann. „Mir soll das aber recht sein. Kerle wie Sie wagen sich immer einen Schritt zu weit vor. Vielleicht warte ich nur auf eine günstige Gelegenheit, um Sie aus Ihren viel zu großen Stiefeln herauszuholen.“
„Raus!“ Brad hatte die Beherrschung verloren. Sein Nervenkostüm war durch den grässlichen Verdacht, dem er ausgesetzt war, ziemlich angeschlagen. Wilde Wut verzerrte seine Züge.
Abrupt machte der Rancher kehrt. Seine Schritte verklangen, und gleich darauf war wieder der Hufschlag zu vernehmen.
„Er hat außer seinem selbstherrlichen Sohn fast ein halbes Dutzend rauer Kerle mit in die Stadt gebracht“, erklärte der Sheriff. „Und da ich weiß, dass zwischen dir und den Reitern der Russel-Ranch nicht gerade ein freundschaftliches Verhältnis herrscht, Hunter, rate ich dir, den Burschen aus dem Weg zu gehen.“
„Ich fürchte sie nicht“, erwiderte Hunter und wandte sich Brad zu. „Wir werden die Wahrheit aus Nancy herausholen, Brad“, versprach er mit Bestimmtheit und Festigkeit im Tonfall.
Brad wankte wie im Trance zu der Pritsche und ließ sich schwer darauf fallen. Sekundenlang blickten die beiden Männer im Korridor vor den Zellen noch auf ihn. In ihren Mienen arbeitete es.
Als sie wieder im Office waren, sagte Hunter gedankenvoll: „Was steckt dahinter, John? Es ist wohl so, dass Brad nicht Tom Ballards Mörder ist. Aber wer hat Tom dann erschossen? Und welche Rolle spielt Nancy?“
Der Sheriff musste ihm die Antwort auf seine Fragen schuldig bleiben - auf all die Fragen, die sein Innerstes aufwühlten und seine Gedanken wirbeln ließen.
Hunter nahm seine Waffen vom Schreibtisch und verließ das Office.
4
Auf dem Gehsteig blieb er stehen. Versonnen schwenkte er seinen Blick die Main Street hinauf und hinunter. Vor dem Saloon standen sieben gesattelte Pferde am Holm. Auf einem Stuhl, den er auf den Vorbau getragen hatte, saß Jim Russel, der Sohn Big Burt Russels. Er hatte die Füße auf das Geländer gelegt und hielt ein halbvolles Bierglas in der Hand. Aus dem Schatten der Hutkrempe beobachtete er Hunter.
An einem Stützpfosten des Vorbaudaches lehnte Bill Garrett, der Vormann der B.R.-Ranch. Garrett war groß und wuchtig, ein wahrer Riese, der mit der bloßen Faust einen Bullen von den Beinen schlagen konnte, der ebenso hart wie unerbittlich und skrupellos war. Das Gesetz dieses Mannes war die brutale Gewalt, wie das Gesetz der Russels das des Stärkeren war. Sie ergänzten sich im wahrsten Sinne des Wortes - der unduldsame Big Burt Russel, sein Sohn Jim und der riesenhafte Vormann.
Etwas in Hunter regte sich, es war, als spürte er den Verdruss, der von den beiden ausging, körperlich. Garrett fixierte ihn unverhohlen, und selbst auf die entfernte Distanz glaubte Hunter wahrzunehmen, dass der Vormann eine böse, herausfordernde Bereitschaft verströmte.
Hunter ging zu seinem Pferd und stieß das Gewehr in den Scabbard.
Jetzt erhob sich Jim Russel. Er reckte seine Schultern, stieß sich den Stetson etwas aus der Stirn, und setzte sich in Bewegung. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er Garrett, ihm zu folgen. Sie traten auf die Fahrbahn und näherten sich Hunter. Dieser löste sich von all seinen nagenden und bohrenden Gedanken und konzentrierte sich nur noch auf die beiden. In ihm machte sich Anspannung bemerkbar.
Jim Russel grinste hämisch. Er zog die Mundwinkel dabei weit nach unten. Zwei Schritte vor Hunter hielt er an und begann auf den Fußballen zu wippen. „Hallo, Drei-Kühe-Rancher!“, kam es hohnvoll aus seinem Mund. „Jetzt ist es wohl so weit, dass ihr Hungerleider, die ihr euch an den Weidegrenzen der B.R.-Ranch breitgemacht habt, euch gegenseitig zerfleischt.“ Er lachte herausfordernd auf. „Macht weiter so. Dann erspart ihr der B.R. eine Menge Arbeit.“
Bill Garrett, der grobschlächtige, herkulische Vormann, starrte Hunter mit tückischem Ausdruck an. Seine Züge muteten an wie versteinert. Aber das hintergründige Glitzern in seinen kleinen, schwarzen Augen verriet Hunter, dass Garrett nur darauf wartete, von der Leine gelassen zu werden. Hunter hakte die Daumen in den Patronengurt. Seine Lippen sprangen auseinander, unbeeindruckt und furchtlos presste er hervor: „Ja, dass Big Burt Russel die Ranches rund um sein Weidegebiet ein Dorn im Auge sind, das pfeifen zwischenzeitlich die Spatzen von den Dächern. Er wird es aber akzeptieren müssen, dass er das Land mit anderen teilen muss. Die Zeit der Rinderbarone geht ihrem Ende entgegen. Vielleicht ist es schon bis zu euch Russels vorgedrungen, dass die Regierung das Land zu beiden Seiten des Tyson Wash und östlich der Castle Dome Berge für die Besiedlung freigegeben hat. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis die Siedler mit ihren Planwagen in diesen Landstrich vordringen und das Weideland der B.R. endgültig abriegeln. Ihr Russels solltet euch langsam umstellen. Andernfalls wird man euch auf die raue Tour klarmachen, dass auch ihr nur mit Wasser kocht.“
Jim Russels höhnisches Grinsen war wie weggewischt. Er belauerte Hunter, ein unsichtbarer Strom von Bösartigkeit und gieriger Leidenschaft ging plötzlich von ihm aus wie etwas Tierisches. Er stieß grimmig hervor: „Wir werden uns zu wehren wissen, Bailey. Und jedem, der rund um unsere Weidegründe seinen Planwagen anhält, blasen wir den höllischen Marsch. Mein Vater hat ein Rinderreich geschaffen - ein wahrhaftiges Imperium. Ich werde es übernehmen und nicht ruhen, sondern es vergrößern - verdoppeln und verdreifachen. Niemand wird mich daran hindern können. Leute wie du und Brad Winslow sind mir dabei allerdings im Weg. Aber es gibt Mittel und Wege ...“
Vielsagend verstummte er. Die Haltung, der er jetzt einnahm, war ebenso herausfordernd wie soeben seine Worte. Er musterte Hunter wie ein Reptil und wartete offensichtlich auf die Wirkung seiner unverhohlenen Drohung.
„Ich verstehe“, stieß Hunter hervor, und eine Welle des kalten Zorns überschwemmte sein Gemüt. „Big Burt ist bereit, an den Grenzen seines Besitzes mit eisernem Besen zu kehren. Er muss aber höllisch auf der Hut sein, sonst verbrennt er sich die Finger. Das gilt auch für dich, Jim. Dir verleiht doch nur der mächtige Schatten, den dein Vater wirft, das Gefühl von absoluter Überlegenheit und Unschlagbarkeit. Ohne Big Burt wärst du nichts - absolut nichts. Das einzige, was deine Arroganz noch übertrifft, sind deine Niedertracht und Verschlagenheit.“
Als das letzte Wort über seine Lippen war, schalt Hunter sich einen Narren, weil er sich hatte hinreißen lassen. Aber er konnte Jim Russel nicht ausstehen. Der überhebliche Ranchersohn war ihm unsympathisch bis in die Seele. Und Hunter machte aus seiner Abneigung kein Hehl. Jetzt war der Verdruss unabwendbar. Jim Russels Reaktion war eindeutig. Der jähe Hass zerlegte seine Gesichtszüge, sprach aus seinen Augen, wütete in seinem Verstand. Seine Gestalt krümmte sich nach vorn, geifernd entrang es sich ihm: „Für diese Worte schlage ich dich in Stücke, Bailey. Ich werde an dir ein Exempel statuieren, ich werde jedem vor Augen führen, was es heißt, sich mit mir anzulegen.“
Er setzte sich unvermittelt in Bewegung, um sich auf Hunter stürzen. In ihm loderte das verzehrende Feuer des Zorns, und diese Empfindung war stärker als alles andere. Vielleicht verlieh ihm auch die Anwesenheit Bill Garretts Sicherheit, vielleicht auch die Tatsache, dass sein mächtiger Vater und vier weitere Männer von der Ranch in der Stadt waren. Er, der im Grunde seines Herzens ein Feigling war, wurde von der Wut übermannt, und sein Verstand war nicht schnell genug, um ihn zu warnen und den aggressiven Impuls im Keim zu ersticken.
Seine Fäuste flogen auf Hunters Kopf zu. Hunter aber regierte kalt und nüchtern. Er duckte sich ab und trieb dem Ranchersohn die geballte Rechte in den Leib. Jim Russel presste dieser Schlag die Luft aus den Lungen, sein Oberkörper pendelte nach vorn, aus seiner Kehle brach ein dumpfes Gurgeln, die Wucht seiner eigenen Schläge, die wirkungslos verpufften, riss ihn halb herum.
Hunter ließ ihm nicht die Zeit, sich zu sammeln und sich auf die veränderte Situation einzustellen. Er schickte einen Schwinger auf die Reise, seine Faust landete auf Russels Jochbein und ließ die Haut aufplatzen. Der Kopf des Ranchersohnes wurde auf die Schulter gerissen, Jim Russels linkes Knie brach ein, sein Aufschrei voll Not und Schmerz gellte über die Fahrbahn. Und dann war nur noch sein trockenes Schluchzen zu vernehmen.
Seit seinem Angriff auf Hunter waren höchstens zehn Sekunden vergangen. Und genau das war die Zeit, die der geistig nicht sehr rege Bill Garrett benötigte, um zu reagieren. „Du elender Bastard!“, grollte sein Organ, und ein langer Schritt brachte ihn zwischen Jim Russel und Hunter.
Hunter ließ die Fäuste sinken und trat einen Schritt zurück. „Er hat es herausgefordert, Bill“, gab er zu bedenken. „Willst du nun etwa seine Stelle einnehmen und den sinnlosen Kampf fortführen?“
Aus dem Office kam John Wagner. Er hielt eine Schrotflinte in den Händen, die Doppelmündung deutete schräg zu Boden. Beim Saloon schlugen die Türpendel. Jim Russels gepeinigter Aufschrei lockte Big Burt und seine Garde ins Freie.
Jim Russel kniete im Staub. Der Schmerz und die Schmach der Niederlage trieben ihm die Tränen in die Augen. Über seine Wange rann Blut. Seine Lippen zitterten wie unter einem inneren Krampf, er atmete rasselnd und presste beide Hände auf den Leib, wo ihn Hunter empfindlich getroffen hatte. „Das zu entscheiden überlasse ich Big Burt“, knurrte Garrett. „Du kannst aber sicher sein, dass ich nicht zögern werde, dich auf seine Anordnung hin ungespitzt in die Erde zu rammen.“
Der Rancher und seine Männer näherten sich mit raumgreifenden Schritten, und als sie heran waren, bellte Big Burts Stimme: „Zur Hölle mit Ihnen, Bailey. Wie kommen Sie dazu, Jim auf offener Straße niederzuschlagen? Soll das eine Kampfansage an die B.R.-Ranch sein? Fürchten Sie nicht, dass ich den Fehdehandschuh aufhebe und Sie vernichte?“
Zwei der Weidereiter kümmerten sich um Jim und halfen ihm auf die Beine. Schwankend stand er zwischen ihnen. Er fühlte sich gedemütigt. Sein verletzter Stolz verlangte nach Rache. Wie ein Dämon beherrschte ihn nur noch der tödliche Hass. „Gib’s ihm, Bill“, hechelte er, und Speichel rann aus seinem linken Mundwinkel. „Trete ihn in den Staub ...“
„Schluss jetzt!“, rief John Wagner klirrend. „Ich habe vom Fenster aus alles beobachtet, Russel. Ihr Sohn hat den Ärger vom Zaun gebrochen. Und ich habe aus dem Mund Ihres Sohnes Dinge gehört, die mir ganz und gar nicht gefallen wollen. Er stieß Drohungen gegen die Smallrancher rund um Ihr Weideland aus. Drohungen, die sich sehr nach Weidekrieg anhörten. Ich beginne mich zu fragen, ob Tom Ballards Tod nicht doch aus einem vollkommen anderen Blickwinkel zu betrachten ist. Auch er gehörte zu den Kleinranchern, die an der Grenze Ihres Besitzes irgendwann Fuß fassten, und die Ihnen allem Anschein nach nicht mehr in den Kram passen.“
Big Burt war herumgezuckt, als wäre er von einer Tarantel gebissen worden. Sein wettergegerbtes Gesicht hatte sich verkniffen und dunkel verfärbt, die Zornesader an seiner Schläfe schwoll gefährlich an. „Was unterstellst du lausiger Sternschlepper mir da?“, polterte er los. „Willst du mir einen heimtückischen Mord in die Schuhe schieben? Die Pest an deinen Hals, Wagner. Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich es nicht nötig habe, mich mit unlauteren Mitteln durchzusetzen, meinem Willen mit Mord und Totschlag Geltung zu verschaffen. Entweder du nimmst deine Anschuldigung auf der Stelle zurück, oder ich reiße dir den Stern vom Hemd und jage dich mit der Peitsche aus dem Land.“
Seine wilden, leidenschaftlichen Worte verhallten. Auf der Main Street trat lastende Stille ein. Die Atmosphäre war wie mit Elektrizität aufgeladen. Im weiten Umkreis zeigten sich Neugierige. Gefährliche, unheilverkündende Impulse durchzogen die Stadt. Und jeden Moment konnte es zur Eskalation kommen.
Der Sheriff bewahrte die Ruhe. Nach wie vor wies die Doppelmündung der Shotgun auf den Boden. Die Rechte des Sheriffs umklammerte den Kolbenhals, sein Daumen lag auf den beiden Hähnen. Die Linke war um den Schaft verkrampft. John Wagner sagte ohne jeden Unterton: „Sie sind nicht groß genug, um mir den Stern vom Hemd zu reißen und mich aus dem Land zu jagen, Russel. Es ist an der Zeit, dass Sie begreifen, dass das Gesetz des Stärkeren ausgedient hat. Ich vertrete die Gesetze des Territoriums und der Vereinigten Staaten. Und weil das so ist, werde ich in der Mordsache Tom Ballard jede Spur verfolgen und jeder Möglichkeit nachgehen. Der Stern legitimiert mich dazu. Sie werden sich also eine Reihe unangenehmer Fragen gefallen lassen müssen.“
Big Burt Russel schäumte vor Wut. Er war nahe daran, zu explodieren. Sein Atem ging keuchend, sein mächtiger Brustkasten hob und senkte sich. Es sah aus, als wollte er sich im nächsten Moment auf Wagner stürzen, um ihn mit bloßen Händen zu erwürgen.
Die Hände der Weidereiter hatten sich auf die Revolverknäufe gelegt. Bill Garrett glotzte mit dümmlichem Ausdruck auf den Sheriff, und sein Verstand verarbeitete nur mühsam, was John Wagner soeben von sich gegeben hatte. Hunters Hand hing locker hinter dem Coltgriff. Wie eine drohende Gewitterwolke ballte sich über der Straße das Verhängnis zusammen. Die gewaltsame Auseinandersetzung schien unausbleiblich zu sein.
„Sie und Ihre Leute sollten nun die Stadt verlassen, Russel!“, peitschte die Stimme des Sheriffs. „Ihr Sohn hat den Verdruss angezettelt. Ich dulde das nicht. Mir obliegt es nämlich, in Middle Well für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Steigt auf eure Gäule und reitet. Und rechnen Sie mit mir, Russel. Im Zuge meiner Ermittlungen werde ich auch Ihnen und Ihrem Anhang auf den Zahn fühlen.“
John Wagner verströmte etwas Zwingendes, Kompromissloses, eine natürliche Autorität und Unnachgiebigkeit. Und als er jetzt blitzschnell die Shotgun hochnahm und sie auf Big Burt anschlug, gesellte sich diesen Merkmalen eine unerbittliche Entschlossenheit hinzu: „Ich sage es nicht noch einmal, Russel. Ich weise Sie und Ihren Anhang aus der Stadt. Ihr könnt Middle Well wieder betreten, wenn ihr Vernunft angenommen habt. Innerhalb der nächsten acht Tage aber will ich keinen von euch hier sehen. Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?“
Unwillkürlich bewunderte Hunter den Mut dieses Mannes. Das Verhalten des Sheriffs, seine Einstellung zu seinem Job, der Ernst, mit dem er sein Amt ausübte, das alles nötigte Hunter ein hohes Maß an Respekt ab. Er mischte sich ein: „Sie täten gut daran, der Anordnung des Sheriffs Folge zu leisten, Russel. Sehen Sie sich mal um. Es sieht aus, als stellten sich eine Reihe von Männern dieser Stadt hinter ihren Gesetzeshüter. Wollen Sie es wirklich drauf ankommen lassen?“
Tatsächlich. Aus den verschiedenen Richtungen schoben sich bewaffnete Männer näher. Sie ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie bereit waren zu verhindern, dass Gewalt und Terror in ihrer Stadt Einzug hielten. Hier und dort war ein metallisches Schnappen zu hören, wenn ein Gewehr durchgeladen wurde.
Die Weidereiter Burt Russels zeigten jähe Unsicherheit. Mit unruhig flackernden Blicken sahen sie sich um. Das körperliche Unbehagen war von ihren Gesichtern abzulesen. Aus Bill Garretts Brust stieg ein grollender Laut - dem zornigen Knurren einer Dogge nicht unähnlich, die Hände des grobschlächtigen, kantigen Burschen öffneten und schlossen sich wie in ohnmächtiger Hilflosigkeit.
Der Anblick der entschlossenen Schar, die die Männer vor dem Office langsam aber sicher einkreiste, brachte bei Big Burt die Ernüchterung. Zwischen den Zähnen presste er hervor: „Damit ist zwischen der B.R. und dieser lausigen Stadt das Kriegsbeil ausgegraben. Eines Tages werde ich mit meiner gesamten Mannschaft herkommen und sie niederreißen. Wir sind nicht fertig miteinander. Und auch du kriegst dein Fett ab, Bailey. Jeder, der sich gegen mich stellt, bekommt die Quittung von mir präsentiert. - Holt unsere Pferde!“
Diese letzte Aufforderung galt seinen Männern. Sie hasteten davon. Nur Big Burt, sein Sohn und Bill Garrett blieben zurück. Hunter ging zu seinem Pferd und leinte es los. Die Drohung, die der Rancher ausgestoßen hatte, hallte durch sein Bewusstsein. Big Burt war kein Mann leerer Versprechungen. Er war ein unduldsamer Despot, dessen Sprache die der Fäuste und der Waffen war, der Hindernisse rücksichtslos aus dem Weg räumte, der sich nur von seinem Hunger nach Macht leiten ließ.
Hunter spürte unvermittelt ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Er hatte Big Burt, Jim Russel und Bill Garrett den Rücken zugedreht. Fast körperlich spürte er den Blick voll schwelenden Hasses, der sich an ihm verkrallt hatte. Und als er über die Schulter nach hinten blickte, bemerkte er, dass es Jim Russels unterlaufene Augen waren, die ihn anstarrten und in denen eine höllische Prophezeiung zu erkennen war.
Hunter zog sich in den Sattel. Er nickte dem Sheriff zu, dann ritt er dem nördlichen Stadtausgang entgegen.