Zusammenfassung
Colonel Lester Grawford hatte Befehl erhalten, das letzte große Waffen- und Munitionslager bei Nocogdoches, Westtexas, zu räumen. Er sollte das gesamte in Nocogdoches gelagerte Kriegsgerät nach Richmond, Virginia, schaffen, um die Schlagkraft der in der Hauptstadt konzentrierten Truppen noch einmal anzukurbeln und den drohenden Einmarsch der Yankees zu verhindern.
Es war ein letztes Aufbäumen, das letzte Aufflackern eines fanatischen Widerstandswillens, und die Generäle scheuten sich nicht, die letzten verfügbaren Reserven an Menschen- und Kriegsmaterial in die Waagschale zu werfen.
Sie verschlossen ganz einfach die Augen vor der bitteren Realität.
Sechs Männer, Yankees, die als Saboteure weit hinter den Linien der Konföderierten tätig waren, hatten Wind von dem Waffentransport bekommen. Sechs harte, entschlossene Männer, die zivile Kleidung trugen, die von der Sache des Nordens überzeugt waren, und in deren Herzen die Bereitschaft lebte, dafür ihr Leben einzusetzen.
Sie ritten nach Nocogdoches. Und vor ihnen lag die Hölle …
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John Warwick - durch die Hölle des Südens: Pete Hackett Western Edition 66
Wildwestroman von Pete Hackett
Über den Autor
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Vorwort
September des Jahres 1864.
Der Süden lag in den letzten Zügen. Der Nachschub zu Lande und vom Meer her war blockiert. Auf den Schlachtfeldern wurden die Männer hingemetzelt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis General Lee kapitulieren musste. Es fehlte an Kriegsmaterial, Gütern und Geld, es fehlte einfach an allem. Die Kampfmoral der Soldaten in der mausgrauen Uniform sank mit jedem Tag, denn der verheißene glorreiche Sieg des Südens rückte in immer weitere Ferne.
Colonel Lester Grawford hatte Befehl erhalten, das letzte große Waffen- und Munitionslager bei Nocogdoches, Westtexas, zu räumen. Er sollte das gesamte in Nocogdoches gelagerte Kriegsgerät nach Richmond, Virginia, schaffen, um die Schlagkraft der in der Hauptstadt konzentrierten Truppen noch einmal anzukurbeln und den drohenden Einmarsch der Yankees zu verhindern.
Es war ein letztes Aufbäumen, das letzte Aufflackern eines fanatischen Widerstandswillens, und die Generäle scheuten sich nicht, die letzten verfügbaren Reserven an Menschen- und Kriegsmaterial in die Waagschale zu werfen.
Sie verschlossen ganz einfach die Augen vor der bitteren Realität.
Sechs Männer, Yankees, die als Saboteure weit hinter den Linien der Konföderierten tätig waren, hatten Wind von dem Waffentransport bekommen. Sechs harte, entschlossene Männer, die zivile Kleidung trugen, die von der Sache des Nordens überzeugt waren, und in deren Herzen die Bereitschaft lebte, dafür ihr Leben einzusetzen.
Sie ritten nach Nocogdoches. Und vor ihnen lag die Hölle …
*
Es war Nacht. Das Lager Nocogdoches lag im Mondschein. Rund um die flachen Bauten zog sich ein undurchdringlicher Stacheldrahtverhau. Das hohe Galgentor war streng bewacht. Zwei Soldaten mit geschulterten Karabinern standen davor. Auf der anderen Seite war die Wachbaracke. Licht fiel aus einem der Fenster. Innerhalb des Zauns zogen Doppelposten ihre Runden. Die Wachbaracke wurde von einem überdachten Holzturm überragt, der über der Brustwehr nach allen Seiten offen war. Eine Gatling-Kanone war oben installiert worden, eine jener Maschinenwaffen, die auf ein schweres Kugelgelenk montiert und nach allen Seiten schwenkbar waren, deren Mechanik mit einer Kurbel in Gang gesetzt wurde, und die über zehn Läufe vom Kaliber 45 verfügten. Zwei Wachen waren bei dieser tödlichen Waffe postiert. Und es gab noch drei solcher Türme …
In vielen der Unterkünfte brannte Licht. Auf dem Paradeplatz des Stützpunkts waren vierzig Schlutter-Wagen aufgefahren. Schnarrende Stimmen erschallten. Laternenlicht geisterte über Barackenwände und Wagen und ließ die hellen Planen wie Segel leuchten. Im Lager Nocogdoches herrschte rege Betriebsamkeit.
Die sechs Männer aus dem Norden lagen gut gedeckt an der Böschung eines ausgetrockneten Grabens und beobachteten mit glitzernden Augen, was sich abspielte. Ihre Pferde hatten sie eine halbe Meile weiter nördlich in einem Nadelwald zurückgelassen. Sie waren mit Henry Rifles und schweren Colts bewaffnet.
»Sieht schlecht aus«, sagte einer von ihnen. »Es ist fast unmöglich, in das Lager einzudringen. Selbst wenn es uns gelingen sollte, die Posten auszuschalten - mit den Gatling-Guns schießen sie uns in tausend Fetzen.«
»Wir müssen hinein«, entgegnete Captain John Warwick entschlossen. »Wenn sie erst mal auf dem Trail sind, können wir sie nicht mehr aufhalten. Wir müssen hinein, koste es, was es wolle.«
Er sprach es mit aller Entschiedenheit und mit Nachdruck. Davon rückte er nicht ab.
»Dass sie bereits die Fuhrwerke beladen, lässt darauf schließen, dass sie im Laufe des morgigen Tages aufbrechen werden«, bemerkte Sergeant Jim Linhardt.
»Sicher«, pflichtete ihm der Captain leise bei. Durch die Finsternis konnten die anderen sein Gesicht nur als bleichen Fleck ausmachen. »Und darum muss es in dieser Nacht geschehen. Wir retten damit Hunderten, vielleicht sogar Tausenden unserer Kameraden das Leben. Und wir versetzen diesen verdammten Rebellen vielleicht endgültig den Todesstoß.«
Er stieß es hervor, und seine Augen glommen im vagen Mondlicht fanatisch.
Kurze Zeit herrschte bedrücktes Schweigen.
»Sie werden ja nicht durcharbeiten bis zum Morgen«, knurrte plötzlich Cliff Sorrento. »Wenn es im Lager nicht mehr zugeht wie in einem Ameisenhaufen, können wir es versuchen.«
»Ja«, sagte der Captain. »Wir schneiden eine Gasse in den Stacheldrahtverhau. Sollten wir gestört werden, nehmt die Messer. Es muss alles völlig lautlos vor sich gehen. Der Sergeant und ich dringen ins Magazin ein, in dem die Waffen lagern. Ihr anderen kümmert euch um die Fuhrwerke. Nehmt ausreichend lange Zündschnüre, damit wir noch Zeit finden, abzuhauen. Wir treffen uns hier und setzen uns dann gemeinsam ab. Verstanden?«
»Verstanden!« kam es gepresst zurück.
Die Zeit schien stillzustehen. Die Wachen wechselten. Die Nordstaatler teilten Dynamit und Zündschnüre, die sie in einem Leinensack verstaut hatten, unter sich auf.
Diese sechs Männer waren ein Elitetrupp. Jeder für sich war Experte im Umgang mit Sprengstoff, mit Colt und Gewehr und auch mit dem Messer. Sie waren aus Stahl und Stein und allem, was hart, unbeugsam und unerbittlich macht, zusammengesetzt. Sie waren allererste Garnitur. Jeder von ihnen hatte sich freiwillig dem Himmelfahrtskommando im Feindesland zur Verfügung gestellt.
Dennoch lief es dem einen oder anderen kalt den Rücken hinunter, wenn er daran dachte, dass er beim geringsten Fehler, den sie begingen, wahrscheinlich den Morgen nicht mehr erlebte. Auf jeden von ihnen wartete ein namenloses Grab, an dem niemand betete, in das hinein ihnen nur die Flüche der Rebellensoldaten folgen würden.
Es war Mitternacht vorbei, als im Lager ein schriller Pfiff ertönte. Eine gellende Stimme brüllte einen scharfen Befehl, die Soldaten schlossen die Bordwände der Fuhrwerke und nahmen in Reih' und Glied Aufstellung. Die üblichen Befehle erschallten, ein Zug- oder Truppführer meldete, dass die Gruppe angetreten sei, und dann schnarrte das befehlsgewohnte Organ eines Offiziers: »Okay, Männer. Der Rest wird morgen verladen. Haut euch aufs Ohr, denn der Trail nach Richmond wird alles andere als ein Spaziergang. Ich will morgen keinen erwischen, der nach Alkohol riecht. Von uns wird viel abhängen. In Richmond setzt man die letzten Hoffnungen in uns. Wir wollen Jefferson Davies und General Lee doch nicht enttäuschen. - Wegtreten!«
Schritte trappelten, als sich der Trupp auflöste. Die Männer verschwanden in ihren Unterkünften. Die vierzig Schlutter-Wagen lagen im Dunkeln. Auch in den Unterkünften verloschen nach und nach die Lichter.
Die sechs Männer huschten im Schutz der Böschung davon. Sie verließen den Graben, als sich eine Wolke vor den Mond schob und sie von den Wachtürmen aus nicht mehr gesehen werden konnten. Sie näherten sich dem Stacheldrahtverhau von Osten. Die Wachtürme waren durch die Dunkelheit nur als riesige, verschwommene Klötze auszumachen. Die sechs Männer bewegten sich lautlos und geschmeidig. Ihre Gestalten verschmolzen mit der Dunkelheit. Bei den übereinander getürmten Stacheldrahtrollen warfen sie sich flach auf den Boden. Corporal Brad Lesley und Reiter Bill Calhoun fingen an, einen schmalen Durchgang in das Drahtgeflecht zu schneiden. Sie arbeiteten fast geräuschlos mit den Drahtscheren. Nur leises, metallisches Klicken war zu vernehmen, das sich aber schon nach wenigen Yards in der Stille verlor. Es dauerte etwa zwei Minuten, dann krochen die Saboteure schlangengleich durch die entstandene Gasse. Die Drahtscheren blieben zurück. Sie huschten in den Schlagschatten einer Hütte, verharrten geduckt und wagten kaum zu atmen.
Da ertönten knirschende Schritte. Stiefelleder knarrte, rauer Hosenstoff schabte übereinander. Und dann schälten sich die Konturen zweier Wachtposten aus der Finsternis. In diesem Moment zog die Wolke am Mond vorbei, und silbriges Licht legte sich auf das Land. Die schattenhaften Gestalten der Wachtposten nahmen Formen an. Sie hatten die Karabiner geschultert, und der Stahl der Läufe reflektierte das Mondlicht.
»Sorrento, Vanderbildt!«, zischelte Captain Warwick.
Sprungbereit standen sie im tiefen Schatten, wie lauernde Raubtiere.
Die beiden Posten näherten sich. Nur noch einige Schritte, und sie mussten die in den Stacheldraht geschnittene Bresche wahrnehmen. Sie würden sofort Alarm schlagen. Doch ehe es soweit war, wirbelten zwei schwere Messer durch die Luft. Mit dumpfem Schlag bohrten sie sich in die Körper der Wachtsoldaten. Ein leises Stöhnen, ein Ächzen, und die beiden sackten haltlos zusammen.
»Gut gemacht«, lobte Warwick flüsternd. »Holt sie in den Schatten!«
Linhardt und Calhoun lösten sich aus der absoluten Finsternis, glitten zu den leblosen Gestalten hin und zogen sie an die Schuppenwand. Sorrento und Vanderbildt nahmen ihre Messer wieder an sich und holsterten sie im Stiefelschaft.
»Weiter!«, drängte der Captain.
Sie erreichten den Rand der Lagerstraße. In einer Passage zwischen zwei flachen Gebäuden kauerten sie nieder. Sie sicherten vor sich sowie die Lagerstraße hinauf und hinunter. Das Mondlicht streute über den großen, staubigen Exerzierplatz, der jenseits der Straße begann, und umfloss die Umrisse der Wagen, die in Dreierreihe aufgefahren worden waren.
»Wir beide, Sergeant, begeben uns in das Magazin«, erklärte der Captain. »Ihr vier kümmert euch um die Fuhrwerke. Es reicht, wenn ihr zehn, zwölf Wagen mit Dynamit bestückt. Die anderen fliegen mit in die Luft oder verbrennen.«
Im Lager war es ruhig. Nur aus der Kommandantur und der Wachbaracke am Ende der Lagerstraße fiel noch Licht. Die beiden Soldaten vor dem Tor waren durch das Drahtgitter schattenhaft wahrzunehmen.
Sie warteten, bis der Mond wieder von einer Wolke verdunkelt wurde.
»Seid ihr bereit?«, murmelte Warwick.
»Ja«, kam es leise und mehrstimmig.
»Vorwärts! Hals- und Beinbruch!«
Geduckt hetzten sie los. Sie mussten alles auf eine Karte setzen. Ihre Hände, die die Dynamitpacken hielten, waren schweißnass. Ihre Nerven vibrierten vor Anspannung. Der Schatten zwischen den Wagen nahm sie auf. Der Captain und Sergeant Linhardt schlichen im Schutz der Fuhrwerke zum Eingang des Waffen- und Munitionsmagazins. Über Linhardts Schulter hing eine dünne Rolle Zündschnur. Die Tür ließ sich öffnen. Sie drangen in den Korridor ein und pirschten ihn entlang. In der Finsternis verband Warwick eine Lunte des Dynamitpakets mit der Zündschnur, deren Ende ihm der Sergeant reichte. Er legte die Ladung in der Mitte des Flures nieder. Es waren zehn zusammengebundene Dynamitstangen, und sie reichten aus, um das ganze Gebäude in die Luft zu jagen. Den Rest musste das Feuer erledigen.
Draußen deponierten die anderen ihre Sprengladungen auf jedem dritten Wagen. Viele waren schon beladen mit Kisten voller Gewehre und Munition, auf einigen waren sogar leichte Feldhaubitzen verladen.
Die Yankees arbeiteten mit stummer Verbissenheit. Jeder Handgriff saß. Die Ladungen wurden mit Zündschnüren verbunden, zuletzt verlängerte Corporal Brad Lesley die Lunte und huschte, das Ende der Zündschnur in der Hand, zurück in den Schutz des Schattens zwischen den Gebäuden. Auch die anderen glitten heran, zuletzt kamen Warwick und der Sergeant. Sie hatten die Zündschnur in das Magazin mit einer der Lunten bei den Fuhrwerken verknüpft.
Sie zogen sich zurück. Vorsichtig rollte Brad Lesley die Zündschnur aus, bis sie sich straffte. Sie befanden sich wieder an der Rückwand jener Baracke, bei der die beiden getöteten Wachtsoldaten lagen.
Plötzlich erklang ferner Hufschlag. Er kam von Norden und näherte sich schnell, und den sechs Blauröcken wurde augenblicklich klar, dass sich eine ganze Kavalkade in gestrecktem Galopp näherte. Unruhe und Ratlosigkeit befielen sie.
»Wahrscheinlich eine Patrouille, die zurückkehrt«, meinte Jim Linhardt.
Unschlüssig hielt Corporal Lesley das Ende der Zündschnur in der Hand.
»Sie kommen von Norden«, knirschte Cliff Sorrento. »Und im Norden stehen unsere Gäule.«
»Hölle, wenn sie die Pferde gefunden haben, dann gnade uns Gott!«, kam es erregt von Josh Vanderbildt.
»Etwas stimmt nicht!«, stieß Cliff Sorrento hervor. »Sie reiten nicht ohne Grund wie der Teufel.«
Beim Tor brach der Hufschlag ab. Ein Schuss krachte, und dann brüllten raue Stimmen. Auf den Wachttürmen flammten Karbidscheinwerfer auf, die grellen Lichtfinger huschten durch das Lager und rissen das Gelände zu beiden Seiten der Stacheldrahtsperre aus der Nacht, tasteten sich Yard für Yard durch die Dunkelheit.
In den Unterkünften wurde es lebendig.
»Der Himmel steh' uns bei!«, entrang es sich Captain Warwick. »Zünde die Lunte an, Lesley!«
»Sie verläuft über die Lagerstraße und …«
Warwick unterbrach den Corporal. »Zünde sie an! Sonst war alles umsonst.«
»Ob sie uns ein Denkmal setzen in Washington?«, fragte Sorrento sarkastisch.
Ein Streichholz flammte auf. Die Zündschnur begann zu sprühen.
»Raus jetzt!«
Sie rannten los. In diesem Moment aber erfasste sie einer der Suchscheinwerfer. Eine sich überschlagende Stimme brüllte: »An der Ostseite …« Und dann begann die Gatling-Gun zu hämmern. Das Laufbündel spuckte in rasender Folge ellenlange Lichtblitze, das donnernde Stakkato verschlang alle anderen Geräusche.
Die Yankees hechteten zu Boden, rollten herum und robbten auf den Durchlass im Stacheldrahtverhau zu. Um sie herum spritzte Erdreich unter den Einschlägen. Brad Lesley bäumte sich plötzlich auf und fiel im nächsten Moment hart auf das Gesicht.
Jäh brach der höllische Lärm ab. Hufgetrappel brandete heran, zwischen die Baracken rannten halbbekleidete, bewaffnete Soldaten. Gewehrschlösser rasselten. Die Kavalleristen parierten ihre Pferde und nahmen jenseits des Zauns eine auseinander gezogene Linie ein.
»Ergebt euch!«, donnerte eine gellende Stimme.
Indes zischte der Lichtpunkt der Lunte über die Lagerstraße. Ehe er jedoch zwischen den Wagen verschwinden konnte, wurde er entdeckt. Er wurde ausgetreten, mit einem Ruck wurde die Zündschnur abgerissen.
»Du lieber Himmel«, stöhnte einer der Rebellensoldaten. »Das hätte sicher ein höllisches Feuerwerk gegeben.«
Angesichts der drohend auf sie gerichteten Gewehre erhoben sich Captain Warwick und seine Männer. Nur Brad Lesley war dazu nicht mehr in der Lage. Er war tot.
Josh Vanderbildts Oberschenkel war durchschossen. Sein Gewehr lag am Boden. Mit beiden Händen umklammerte er die Wunde.
In Bill Calhouns Schulter steckte eine Kugel. Er presste die Linke auf die Verletzung. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. Der Schmerz krümmte seine Gestalt.
Soweit sie dazu in der Lage waren, hoben sie die Hände. Das Licht zweier Karbitscheinwerfer von den beiden Türmen auf dieser Seite des Lagers umriss scharf ihre Gestalten. Schweiß glitzerte in ihren bleichen, zuckenden Gesichtern. Die Herzen drohten ihnen in der Brust zu zerspringen.
*
Sie wurden entwaffnet. In den Mienen der Soldaten, die sie umringten, lag eine böse Verheißung. Einen grässlichen Augenblick lang sah es für die Yankees aus, als wollte man mit ihnen kurzen Prozess machen. Die beiden getöteten Wachtposten wurden in den Kreis getragen und zu Boden gelegt. Ein großer blonder Mann, der sich die Uniformjacke mit den Achselstücken eines Lieutenants nur über den bloßen Oberkörper geworfen hatte, knirschte voll Hass: »Dafür werden wir euch hängen? Das verspreche ich euch Bastarde, ihr hängt!«
Captain John Warwicks Schultern strafften sich. Er stieß hervor »Wir sind Soldaten. Angehörige des …«
Der Lieutenant schnitt ihm schroff das Wort ab. »Soldaten? Ich sehe keine Uniformen an euch. Ihr tragt Zivil, und deshalb werden wir euch behandeln wie gemeine Mörder und Saboteure.«
Jemand bahnte sich eine Gasse in den Pulk. Es war Colonel Grawford. Sein düsterer Blick ruhte für kurze Zeit auf den beiden toten Wachsoldaten, dann sprang er von einem der Gefangenen zum anderen, und in seinen Augen flackerte es unheilvoll.
»Wer ist euer Anführer?«, fragte er schließlich grollend.
»Ich, Sir!« meldete sich Warwick. »Captain John Warwick vom 3. Kavallerieregiment der Ohio-Brigade.«
Der Colonel musterte ihn abschätzend. Seine Augen glitzerten wie Gletschereis. Er schürzte die Lippen und stieß hervor: »Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, Mister, dass Sie und Ihre Kumpane als Kriegsgefangene zu behandeln sind? Captain - 3. Kavallerieregiment - Ohio-Brigade!« Er lachte frostig auf, aber seine Züge verloren nichts von ihrer Härte. »Ich sehe keine Rangabzeichen an Ihnen, Mister. Und sicherlich haben Sie auch keine Papiere bei sich. Das gleiche gilt schätzungsweise für Ihre Leute. Also seid ihr keine Kriegsgefangenen, sondern gemeine Banditen, und ihr werdet vor dem Standgericht landen. - Bringt die beiden Verwundeten ins Lazarett! Die anderen führt ab!«
Harte Hände packten sie und bugsierten sie davon. Jim Linhardt erhielt einen derben Stoß mit einem Gewehrkolben. Man fasste sie nicht mit Samthandschuhen an. Sie wurden auf die Lagerstraße getrieben, und immer wieder trafen sie Stöße mit den Karabinern. Gnade oder Mitleid durften sie nicht erwarten. Sie hatten zwei Kameraden dieser erzürnten Männer getötet, und wenn ihr Anschlag geglückt wäre, würden viele der Soldaten hier den Tod gefunden haben.
Das Tor wurde geöffnet, und die Patrouille ritt mit klirrendem Trab ins Lager. Sie führte sechs ledige Sattelpferde mit sich. Der Zufall hatte Schicksal gespielt. Der Erkundungstrupp hatte die Pferde entdeckt und die richtigen Schlüsse gezogen. Für die konföderierten Soldaten im Lager eine göttliche Fügung, für die fünf Yankees der erste Schritt in die Hölle. Vielleicht beneideten sie in diesen Augenblicken Corporal Brad Lesley, dem eine Kugel alles das erspart hatte, was sie auf sich zukommen sahen.
Sie wurden vom Wachhabenden und fast einem Dutzend wachfreier Soldaten in Empfang genommen. Man dirigierte sie in die Wachbaracke. Es ging eine Steintreppe hinunter, und eine halbe Minute später befanden sie sich hinter Schloss und Riegel. Die Schritte auf dem Korridor entfernten sich. Oben wurde eine Tür zugeworfen.
Dunkelheit umfing die drei Yankees. Nur langsam gewöhnten ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse. Unter ihren Stiefeln raschelte fauliges Stroh. Die Luft war abgestanden, es roch nach Moder. Durch ein kleines, vergittertes Fenster dicht unter der niedrigen Decke fiel etwas Mondlicht und zeichnete einen fahlen, viereckigen Klecks auf den Boden.
Ihre aufgewühlten Empfindungen ließen sie verbissen schweigen. Einsamkeit, Verlorenheit und Resignation hatten sich in die Gemüter gesenkt, und nur nach und nach gelang es ihnen, den Aufruhr ihrer Empfindungen unter Kontrolle zu bringen.
»Das war's«, ließ sich nach einer ganzen Weile Cliff Sorrento vernehmen. »Morgen wird ein Standgericht zusammentreten, und nach dem Schuldspruch knüpfen sie uns entweder auf, oder sie stellen uns an die Wand.« Sorrento seufzte ergeben. »Na schön«, fügte er dann hinzu. »Damit mussten wir rechnen.«
Sie hatten sich ins Stroh gesetzt oder kauerten auf den Hacken. Der Boden war feucht, und Kälte kroch daraus hervor. Ein jeder wusste, was ihnen blühte, und das Innerste eines jeden lehnte sich gegen den Gedanken auf, schon in wenigen Stunden vielleicht wie ein Hammel zur Schlachtbank geführt zu werden. Sie waren Soldaten, und wenn sie schon sterben sollten, dann kämpfend und nicht hilflos mit gefesselten Händen und verbundenen Augen.
John Warwick sprach es aus. »Wir müssen raus hier. Hilfe von außerhalb können wir nicht erwarten. Also müssen wir zusehen, wie wir uns selbst helfen.«
»Eine prächtige Idee«, knurrte Jim Linhardt. »Sagen Sie uns nur noch, wie wir uns selbst helfen können, Sir.«
In seinem Tonfall schwang bitterer Sarkasmus.
Der Captain erhob sich. Er ging zum Fenster, das Mondlicht legte sich auf sein Gesicht und schien die Linien und Kerben darin zu vertiefen. Seine Hände legten sich um die zolldicken Gitterstäbe und rüttelten daran. Sie hielten stand, und wahrscheinlich hätte es nicht mal ein Pferd geschafft, sie herauszureißen. Warwick gab auf und starrte hinaus in die Dunkelheit. Im ganzen Lager herrschte Hektik. Die Tatsache, dass es einer Handvoll Feinde gelungen war, sämtliche Hindernisse zu überwinden und nur der Zufall die Katastrophe verhinderte, hatte die Besatzung des Stützpunkts Nocogdoches aufgeschreckt.
Wiehern schallte heran. Befehle wurden gerufen. Männer mit Laternen durchsuchten die Schlutter-Wagen nach Sprengladungen. Das Lager stand kopf.
Warwick registrierte es. Er wandte sich langsam um und murmelte gepresst: »Morgen früh, wenn sie uns holen kommen, schlagen wir zu. Eine andere Chance haben wir nicht. Entweder oder …«
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Josh Vanderbildt in die Zelle gestoßen wurde. Vanderbildt humpelte zur Wand, setzte sich mit dem Rücken dagegen und streckte das verwundete Bein von sich. »Sie haben Calhoun im Lazarett gelassen«, erklärte er mit schmerzverzerrter Stimme. »Oh, verdammt, sie sind mit uns umgesprungen wie mit räudigem Vieh.«
*
Harte Schritte dröhnten durch den Korridor. Vor dem kleinen, ebenerdigen Gitterfenster hing das Morgengrau. Im Lager herrschte seit einer halben Stunde rege Betriebsamkeit. Die restlichen Fuhrwerke wurden beladen, Zugpferde wurden herangeführt und eingespannt. Cliff Sorrento glitt zur Wand neben der soliden Tür aus Eichenholz. Warwick und die anderen standen in einem Pulk zusammen.
Ein Schlüsselbund rasselte, Riegel knirschten, die Tür schwang knarrend auf, das Türblatt verdeckte Sorrento. Lichtschein flutete in die Zelle. Ein Mann mit dem Colt in der Rechten und der Lampe in der Linken setzte seinen Fuß in die Zelle, vier Wachsoldaten mit entsicherten Karabinern bauten sich an der der Zelle gegenüberliegenden Wand im Korridor auf.
Der Mann mit dem Colt machte den zweiten Schritt. Sein Daumen lag quer über der Hammerplatte, sein Zeigefinger um den Abzug. Er verströmte kalte Feindschaft. Seine Lippen sprangen auseinander, sein Organ blaffte: »Raus mit euch Banditen! In einer Stunde wollen wir auf dem Trail nach Richmond sein. Vorher aber …«
Er ließ den Rest offen, schwenkte das Schießeisen über die Gruppe der Gefangenen - und stutzte. »Hölle, wo …«
Er kam nicht mehr weiter. Cliff Sorrento sprang ihn an, gleichzeitig stieß er mit dem Fuß die Tür zu. Sein rechter Arm legte sich stahlhart um den Hals des Soldaten. Die Lampe entglitt diesem, schepperte auf den Boden und verlosch. Schlagartig war es wieder düster in der Zelle. Reflexartig wollte der überrumpelte Mann den Hahn spannen, aber da war schon Warwick bei ihm und entwand ihm den Colt. Der Wachsoldat japste erstickend, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Von draußen erscholl durch die geschlossene Tür ein lästerlicher Ruch, die Tür flog wieder auf, doch Sorrento drängte den schon halb besinnungslosen Soldaten vor das Türrechteck. Warwick hatte den Colt gespannt und drückte die Mündung dem Soldaten an die Schläfe. »Runter mit den Gewehren!«, fauchte er. »Sonst stirbt euer Kamerad.«
Sie hielten die Mündungen auf das Türrechteck gerichtet. Wenn sie abdrückten, erschossen sie einen von ihnen. Der Soldat hing mehr als er stand in Sorrentos Klammergriff. Schwer trugen die Wachsoldaten an ihrer Unschlüssigkeit.
»Ich blase ihm das Hirn aus dem Schädel!«, drohte Warwick kalt. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er es genauso meinte, wie er es sagte. Sie hatten nichts mehr zu verlieren, sie konnten nur noch gewinnen. Das machte sie unberechenbar und würde sie jede Hemmschwelle überschreiten lassen.
Plötzlich ließ einer der vier den Karabiner sinken. Er stieß eine Verwünschung aus. Die anderen zögerten noch sekundenlang, dann aber senkten auch sie widerwillig die Gewehre. In ihren Mienen spielte sich deutlich ab, was sie empfanden. Sie befanden sich wahrscheinlich in der schlimmsten Gemütsverfassung ihres Lebens.
»Entwaffnet sie!«, befahl Warwick.
Linhardt und Vanderbildt drängten an Sorrento und dessem lebendigen Schutzschild vorbei und rissen den Wachsoldaten die Karabiner aus den Händen. Der Sergeant reichte eines der Gewehre John Warwick. Sie nahmen den Soldaten auch die Colts ab und schoben sie in den Hosenbund. Sorrento ließ seine Geisel los. Der Mann sank zu Boden, griff sich an den Hals, hustete, röchelte und gurgelte. Wenig sanft wurden seine vier Kameraden in die Zelle getrieben, dann warf Linhardt die Tür zu und verriegelte sie.
Sie stürmten durch den Korridor und die Treppe hinauf. Vanderbildt spürte stechenden Schmerz, als die Oberschenkelwunde wieder aufbrach. Er hinkte stark und atmete gepresst. Schweiß brach ihm aus, der Schmerz trieb ihm das Wasser in die Augen. Die eingesperrten Wachen begann Alarm zu schlagen. Sie schrien sich regelrecht die Seelen aus dem Leib.
Oben flog die Tür krachend auf. Warwick feuerte. Die Gestalt, die im Türrahmen erschien, wurde von der Wucht der Kugel zurückgeschleudert. Der Donner des Schusses staute sich zwischen den Wänden. Dann waren sie oben. Die Soldaten, die erst so richtig begriffen, was los war, als ihr Kamerad zusammenbrach und der Donner der Detonation die Wachbaracke in ihren Fundamenten erschütterte, wurden überrumpelt.
»Wer sich rührt, stirbt!«, peitschte Warwicks Stimme. »Lasst die Waffen fallen und hebt die Hände!«
Zähneknirschend folgten sie der Aufforderung. Der nächste scharfe Befehl kam: »Mit den Gesichtern an die Wand!«
Der Wachhabende stieß heiser und abgehackt hervor: »Glaubt ihr, damit durchzukommen? Aus Nocogdoches kommt ihr …«
»Halt's Maul!«, herrschte ihn Warwick barsch an und richtete das Gewehr auf ihn.
Draußen war Laufschritt zu vernehmen. Ein gellendes Organ gab Befehle. Konföderierte gingen rund um die Wachbaracke in Stellung. Warwick trat neben das Fenster und zertrümmerte die Scheibe mit dem Gewehrlauf, dann rief er: »Wir haben ein Dutzend Geiseln! Und wir werden nicht zögern, sie der Reihe nach zu erschießen, wenn ihr nicht auf unsere Forderungen eingeht!«
Linhardt und die anderen hielten die Soldaten in Schach. Diese hatten sich nebeneinander an der Wand aufgestellt und wussten, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing.
»Was sind das für Forderungen?«, rief jemand aus sicherer Deckung.
»Der Colonel soll ins Wachlokal kommen! Und zwar alleine und unbewaffnet.« Glashart rief es John Warwick.
»Und dann?«
»Dann will ich, dass Bill Calhoun vom Lazarett hergebracht wird, dass sechs gesattelte Pferde mit unseren Gewehren vor die Wache gestellt werden und sämtliche Soldaten in ihre Unterkünfte zurückkehren. Ich warte zehn Minuten auf den Colonel, wenn er dann nicht hier ist, erschießen wir die erste Geisel.«
Es dauerte gerade fünf Minuten, dann erschien ein Mann in John Warwicks Blickfeld. Colonel Lester Grawford. Aufrecht näherte er sich, das kantige Gesicht verschlossen, jedoch furchtlos und unerschrocken. Er war waffenlos.
Das Morgengrau lichtete sich, und die ersten Sonnenstrahlen griffen nach dem Lager.
Der Colonel betrat das Wachlokal. Jim Linhardt nahm ihn in Empfang, warf die Tür hinter ihm zu und drückte ihm die Mündung des Karabiners gegen die Wirbelsäule. Warwick wandte sich ihm zu. Grawfords Mundwinkel sackten geringschätzig nach unten. Er sagte rau: »Wir werden Ihre Forderungen erfüllen. Aber freuen Sie sich nicht zu früh, Mister. Meine Leute werden Sie hetzen, bis Ihnen die Zungen zum Hals heraushängen. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.«
Warwick grinste. »Sie kommen mit uns, Colonel. Wenn Sie auch gegenteilige Order gegeben haben, Ihre Leute werden Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen. - Sperrt die jämmerlichen Figuren dort zu den anderen in den Keller!«
Der letzte Satz war an seine Leute gerichtet.
»Rechts um, ihr lausigen Rebellen!«, kommandierte Linhardt mit spottgetränkter Stimmer. »Gut so. Vorwärts, Marsch, diese Richtung …«Er deutete mit dem Gewehrlauf auf die Tür.
»Colonel«, ächzte der Wachhabende, »Sir, wir …«
Grawford winkte ab. »Schon gut, Lieutenant. Wir unterhalten uns darüber, wenn die Sache hier ausgestanden ist.« Sein harter Blick richtete sich auf Warwick. »Sie werden Texas nicht lebend verlassen, Mister …«
»Ich bin Captain!«, fuhr ihn Warwick an.
Unbeirrt sprach der Colonel zu Ende: »In Texas ist für Sie und Ihre Männer Endstation.«
»Aber Sie fahren mit uns in die Grube, Colonel!«, versprach John Warwick. Er warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster und bemerkte, dass sich der Belagerungsring um das Wachgebäude auflöste. Er wandte sich wieder dem Colonel zu. »Es ist sowieso nur noch eine Frage der Zeit, bis die Konföderation kapitulieren muss. Sie denken doch nicht im Ernst, Colonel, dass der Waffen- und Munitionstransport jemals Richmond erreicht. Unsere Truppen haben die Stadt in der Zange. Lees Kapitulation ist nur noch eine Frage der Zeit.«
Der Colonel gab darauf keine Antwort. Wieder warf Warwick einen schnellen Blick aus dem Fenster. Auf der Kellertreppe waren Schritte zu hören. Linhardt, Sorrento und Vanderbildt kamen zurück. Auf der Lagerstraße näherte sich Bill Calhoun auf unsicheren Beinen. Sein Hemd war weit offen, und so war der weiß leuchtende Verband um seine Brust zu sehen, den ihm ein Sanitäter angelegt hatte, nachdem der Arzt die Kugel aus der Schulter entfernt hatte. Calhouns Gesicht war von Schmerz und Blutverlust gezeichnet, seine Augen glänzten fiebrig, dennoch lächelte er verzerrt, als er den Wachraum betrat.
»Fein gemacht, Leute«, presste er anerkennend hervor, nickte dem Captain zu und bewaffnete sich.
Hufschlag kam auf. Sechs gesattelte und gezäumte Pferde wurden herangeführt. In den Sattelschuhen steckten die Henry Rifles der Yankees. Die Soldaten ließen die Tiere vor dem Wachlokal stehen und entfernten sich wieder. Das Tor wurde weit geöffnet. Die beiden Posten blieben stehen. Ihre Karabiner waren geschultert.
»Werden Sie durchhalten, Reiter Calhoun?«, fragte Warwick.
»Ich reite mit dem Loch in der Schulter bis zum Nordpol, wenn es notwendig werden sollte, Captain«, erwiderte Calhoun.
»Okay. Wir nehmen den Colonel in die Mitte.« Warwick fixierte Grawford prüfend. »Und sollten Ihre Leute mit irgendeinem Trick aufwarten, fahren Sie in die Hölle, Colonel. - Gehen wir.«
Linhardt und Sorrento drückten dem Lagerkommandanten die Mündungen ihrer Gewehre in den Rücken. Vanderbildt und Calhoun flankierten ihn. Warwick ging voraus. Langsam schob sich der Pulk zu den Pferden hin. Die Augen der Nordstaatler waren unablässig in Bewegung. Aus dem Fenster der Arrestzelle ertönte das kratzende Organ des wachhabenden Lieutenants: »Was werdet ihr verdammten Yanks mit dem Colonel machen, wenn ihr in Sicherheit seid?«
Er erhielt keine Antwort. Colonel Grawford musste sich auf das Pferd setzen, dessen Sattelholster leer war. Die Nordstaatler schwangen sich in die Sättel. Die Tiere tänzelten und schnaubten, als würde sich die angespannte Erregung ihrer Reiter auf sie übertragen.
»Reiten wir!«, befahl Warwick.
Langsam verließ die kleine Kavalkade das Lager.
Den Soldaten im Lager waren die Hände gebunden. Das Leben ihres Offiziers durften sie auf keinen Fall gefährden.
Ohne Hast ritten die Yankees mit ihrer Geisel nach Norden. Warwick hatte sich an die Spitze gesetzt. Ihm folgte der Colonel, Linhardt und Sorrento flankierten ihn auf ihren Pferden. Den Schluss bildeten Calhoun, der vorgebeugt im Sattel saß, und Josh Vanderbildt. Dessen Hose war am Oberschenkel feucht vom Blut, das den Verband durchtränkte.
Bald verschwand der Trupp hinter einer Bodenwelle aus dem Blickfeld der grauuniformierten Soldaten, die zum Lagertor liefen und sich dort versammelten, die in ohnmächtiger Hilflosigkeit die Hände ballten.
Ein mittelgroßer, drahtiger Major, sein Name war Wade Greenwood - er war Stellvertreter des Colonels -, schnarrte mit brechender Stimme: »Lieutenant Murray, Sie übernehmen das Kommando bei der Wagenkolonne! Sie wissen Bescheid. Behalten Sie unter allen Umständen die festgelegte Route bei. - Sergeant McIntosh!«
»Sir!« Der Sergeant eilte herbei und knallte die Hacken zusammen.
»Suchen Sie die zehn besten Männer aus, die Sie hier im Lager finden können! Sie sollen in zwanzig Minuten feldmarschmäßig antreten. Und lassen Sie mein Pferd satteln, Sergeant!«
»Jawohl, Sir!«
McIntosh reckte seine Gestalt und begann, Namen zu rufen.
*
Zwei Stunden waren seit ihrer Flucht aus dem Lager vergangen. Das Land, durch das sie ritten, war hügelig. Viele der Hügel waren bewaldet. Sie hielten sich in den Senken und ritten in Intervallen. Sie wollten so schnell wie möglich viele Meilen zwischen sich und Nocogdoches bringen, aber sie versuchten dabei, so gut es ging, die Pferde zu schonen. Dass ihnen eine Horde hartnäckiger Verfolger an den Fersen klebte, war ihnen klar. Und so konnte am Ende viel von der Schnelligkeit, Ausdauer und Zähigkeit ihrer Pferde abhängen. Also ritten sie abwechselnd raumgreifenden Galopp, dann ließen sie die Pferde wieder im Schritt gehen. So kamen sie gut voran.
Bill Calhouns Gesicht veränderte sich mehr und mehr zu einer Maske des Schmerzes und der Erschöpfung. Die Schulterwunde bereitete ihm höllische Qualen. Wellen der Benommenheit überspülten sein Bewusstsein in immer kürzeren Abständen.
Linhardt machte den Captain darauf aufmerksam. Er rief in den pochenden Hufschlag hinein: »Ich glaube, Captain, Calhoun macht schlapp.«
Warwick ließ sich zurückfallen. Als er mit Bill Calhoun auf einer Höhe war, fragte er: »Sieht schlimm aus, Calhoun, wie?«
Bügel an Bügel ritt er neben dem Soldaten. Calhouns Oberkörper schwankte mit jedem Schritt des Pferdes vor oder zurück. Aus glasigen, entzündeten Augen schaute er Warwick an. Sein Gesicht zeigte rote Flecken und war eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen. Schweiß rann aus Calhouns Haaren und lief über seine hohlen Wangen.
»Ich - schaffe es - schon, Captain«, sagte Calhoun, und er bemühte sich, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen. Es misslang kläglich. Die Worte kamen abgerissen, schwach und krächzend.
Warwick war skeptisch. Er sagte: »Halten Sie wenigstens noch zwei Stunden durch, Calhoun. Bis Mittag haben wir etwa zwanzig Meilen geschafft. Und wenn wir Glück haben, schütteln wir etwaige Verfolger ab.«
Er drehte den Kopf und sah Josh Vanderbildt an. Der Soldat blickte starr nach Norden. Auch er wirkte mitgenommen und ausgelaugt. »Wie geht es Ihnen. Vanderbildt?«, erkundigte sich der Captain. »Werden Sie durchhalten?«
»Natürlich, Sir!«, stieg es aus Vanderbildts Kehle.
»Reitet weiter!«, rief Warwick, drückte seinem Pferd die Hacken in die Seite und jagte es einen kahlen Hügel hinauf. Von der Kuppe aus blickte er auf ihrer Fährte zurück. So weit sein Auge reichte, konnte er deutlich die Spur im kniehohen Gras verfolgen, die ihre Pferde getreten hatten. Bis sich das Gras wieder aufrichtete, vergingen Tage, es sei denn, es würde regnen. Aber danach sah es nicht aus. Der Himmel war seidenblau, nur hier und dort zogen weiße Wolken.
Warwick trieb sein Pferd wieder den Abhang hinunter und schloss zu den anderen auf. Zusammengekrümmt saß Calhoun im Sattel.
»Unserer Fährte könnte ein Blinder folgen!«, erklärte Warwick verdrossen. Er schaute nach Westen, wo sich in rauchiger Ferne verschwommen die Umrisse einer Felsenkette abzeichneten. Und in jähem Entschluss stieß er hervor: »Wir ändern die Richtung. Wenn wir die Berge erreichen, haben wir alle Vorteile auf unserer Seite.«