Zusammenfassung
Er ging zum Gewehrschrank und nahm eine Winchester heraus. Mechanisch prüfte er die Ladung.
Sekundenlang waren nur das asthmatisch-rasselnde Atmen des Bürgermeisters und das Bullern des Kanonenofens, der eine angenehme Wärme verbreitete, zu hören, dann erklang Cohans Stimme: „Salmon und seine Bürger schulden Ihnen Dank, Strong. Sie haben die Stadt mit eisernem Besen von Gewalt, Terror und Sünde gesäubert. Zwielichtiges Gesindel macht einen weiten Bogen um Salmon. Die Nennung Ihres Namens allein genügt, um die meisten gottlosen Kerle in Ehrfurcht erbeben zu lassen. Wenn Sie ...“
Fred Cohan verstummte, als Mortimer ungeduldig abwinkte. „Nur die meisten, Town Major“, knurrte er, und es klang genervt. „John Wilson, Will Stratton, Zack Taylor und Sam Shields gehören offensichtlich nicht zu der Sorte, die vor Ehrfurcht erstarrt. Im Gegenteil.“
Mortimer grinste scharf.
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COVER EDWARD MARTIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Mortimer Strong kämpft mit eiserner Faust: Pete Hackett Western Edition 65
von Pete Hackett
Mortimer Strong zog seinen Revolvergurt etwas in die Höhe, rückte das Holster mit dem 44er Remington-Colt zurecht, heftete seinen Blick auf Frederick Cohans fleischiges, gerötetes Gesicht und sagte ruhig: „Das ist mein letzter Job als Marshal dieser Stadt, Town Major. Ich habe ein Angebot aus Helena in der Tasche. Eine wilde Town drüben am Rande der Big Belt Berge. Wenn ich die Sache mit John Wilson und seinen Sattelstrolchen erledigt habe, schnüre ich mein Bündel.“
Er ging zum Gewehrschrank und nahm eine Winchester heraus. Mechanisch prüfte er die Ladung.
Sekundenlang waren nur das asthmatisch-rasselnde Atmen des Bürgermeisters und das Bullern des Kanonenofens, der eine angenehme Wärme verbreitete, zu hören, dann erklang Cohans Stimme: „Salmon und seine Bürger schulden Ihnen Dank, Strong. Sie haben die Stadt mit eisernem Besen von Gewalt, Terror und Sünde gesäubert. Zwielichtiges Gesindel macht einen weiten Bogen um Salmon. Die Nennung Ihres Namens allein genügt, um die meisten gottlosen Kerle in Ehrfurcht erbeben zu lassen. Wenn Sie ...“
Fred Cohan verstummte, als Mortimer ungeduldig abwinkte. „Nur die meisten, Town Major“, knurrte er, und es klang genervt. „John Wilson, Will Stratton, Zack Taylor und Sam Shields gehören offensichtlich nicht zu der Sorte, die vor Ehrfurcht erstarrt. Im Gegenteil.“
Mortimer grinste scharf.
Cohan zog den Kopf zwischen die massigen Schultern. Er spürte, dass er den Marshal mit seinen wohlvorbereiteten Lobhudeleien nicht beeindrucken konnte. Das machte ihn verlegen und färbte sein Gesicht um einen Ton dunkler. Er knetete seine Hände. Das Bedürfnis, dennoch etwas zu sagen, konnte er allerdings nicht unterdrücken. Also hub er noch einmal an: „Das muss einmal gesagt werden, Strong. Die Gelegenheit ist günstig. Sie haben diese Stadt sozusagen bekehrt. Ehe Sie hier mit eiserner Faust aufräumten, war Salmon ein Sodom und Gomorrha, ein ...“
Mortimer seufzte. „Bitte, Town Major, verschonen Sie mich damit. Wir beide wissen doch, was wir voneinander zu halten haben. Diese Stadt hat mich als Revolvermarshal beschäftigt - und die einzige Bindung zwischen den Bürgern Salmons und mir war der Vertrag, den wir vor genau einem Jahr geschlossen haben. Die Leute hier sind mir aus dem Wege gegangen. Ich habe nie dazu gehört. Ich bin immer ein Fremder geblieben. Die Stadt hat mich bezahlt - ich habe den Colt für sie geschwungen und die Ordnung hergestellt. Und jetzt, da die Stadt gezähmt ist, kann es die Bürgerschaft kaum erwarten, dass ich mein Bündel packe und verschwinde. Denn ich bin ein bezahlter Gunman, sonst nichts. Für die Leute Salmons nicht besser als die coltschwingenden Abenteurer und Glücksritter, die sich hier ein Stelldichein gaben. Sie als Sprachrohr der Bürgerschaft wissen das doch am besten, Cohan. Also machen wir uns nichts vor.“
Der Town Major konnte dem Druck, den Mortimers Blick auf ihn ausübte, nicht mehr standhalten. Er leckte sich über die Lippen.
Mortimer sagte: „Ich gehe jetzt in den Saloon. Bleiben Sie im Office, Cohan. Wie ich Wilson und seine zweibeinigen Wölfe einschätze, werden sie meine Aufforderung, aus der Stadt zu verschwinden, mit Pulver und Blei beantworten. Und Sie möchten doch sicherlich nicht von einer verirrten Kugel getroffen werden.“
„Gott bewahre“, entrang es sich dem Town Major fast entsetzt.
„Na sehen Sie“, murmelte Mortimer, zeigte ein kantiges Grinsen, hebelte eine Patrone in den Gewehrlauf und ging zur Tür. Er trat hinaus auf den Vorbau. Ein sonniger, aber eiskalter Wintertag empfing ihn. Als er ausatmete, hing der Atem sekundenlang als weiße Dampfwolke vor seinem Gesicht. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Der Bürgermeister war zusammengezuckt. In seine Stadt war eine Handvoll Banditen eingefallen. Der fast legendäre Ruf des Town-Marshals hatte sie hergelockt. Den Ruhm, ihn im Kampf besiegt zu haben, wollten sie sich an ihre Fahnen heften. Sie hatten Mortimer Strong herausgefordert. Es war der letzte Tag seiner vertraglich vereinbarten Zeit als Town-Marshal von Salmon. Und es sah so aus, als würde dieser Tag noch einmal rauchig werden.
Fast gemächlich schritt Mortimer über die breite Main Street. Unter seinen Sohlen knirschte gefrorener Schnee. Zu beiden Seiten der Straße hatten die Bürger die Gehsteige und Vorbauten vom Schnee freigemacht, jetzt türmten sich bis zu hüfthohe Schneehaufen an den Fahrbahnrändern.
Wie ausgestorben lag die Straße vor Mortimer. Die Männer und Frauen Salmons drückten sich an den Fensterscheiben die Nasen platt und beobachteten ihn. Die Atmosphäre, die ihn umgab, war wie mit Elektrizität geladen. Wie schon so oft im vergangenen Jahr schritt er einem Kampf auf Leben und Tod entgegen. Er war allein. Ein einsamer Wolf, dem die Stadt mit Respekt begegnete, an dessen Händen aber Blut klebte, was ihn zum Außenseiter stempelte.
Mortimer erreichte die Straßenmitte und wandte sich nach links. Hundert Yards trennten ihn vom Saloon, in dem John Wilson auf ihn wartete. Mortimer verströmte Ruhe und ein großes Maß an Sicherheit. Seine Züge waren wie versteinert. Der große, hagere Mann setzte einen Fuß vor den anderen. Die Stadt war seltsam ruhig. Es war, als hielte sie den Atem an. Doch ein jeder spürte den Pulsschlag der tödlichen Gefahr, diesen gefährlichen, unheilvollen Impuls, der Salmon durchströmte.
Noch fünfzig Yards ...
Als den Marshal noch zwanzig Yards vom Saloon trennten, flog die Pendeltür auf. John Wilson trat auf den Vorbau. Will Stratton und Zack Taylor flankierten ihn. Die drei Kerle waren nur mit den Colts bewaffnet. Die Eisen steckten in den Futteralen an ihren Gürteln. Ihre Arme pendelten locker, bei jedem ihrer Schritte streiften ihre Handgelenke die abstehenden Knäufe.
Es waren drei eisenharte, kampferprobte Männer, Gesetzlose, tödlich gefährlich, kompromisslos und besessen von der irrsinnigen Idee, die Legende von Mortimer Strong mit heißem Blei zu zerstören und sich damit unsterblichen Ruhm zu erwerben.
Mortimer registrierte, dass Sam Shields fehlte. Die drei Kerle bauten sich am Vorbaugeländer auf. Zehn Schritte von ihnen entfernt verhielt Mortimer im Schritt. Er nahm die Beine etwas auseinander, um einen festeren Stand zu haben. Sein Verstand arbeitete glasklar.
John Wilsons dünne Lippen zogen sich in Breite. Er zeigte die Zähne. Es erinnerte an das Zähnefletschen eines zornigen Schäferhundes. „Mut hast du, Strong“, rief Wilson. „In diesem Punkt scheinen die Geschichten, die man sich von dir erzählt, nicht übertrieben zu sein.“
Ihre Hände hingen neben den Knäufen. Ein jeder von ihnen hatte die Finger leicht gekrümmt und hielt sie gespreizt. Ihre Hände muteten an wie die Klauen von Greifvögeln. Es war eine herausfordernde Haltung, die sie einnahmen. Bitternis erfüllte Mortimer. Er hatte nichts übrig für diese Sorte von Männern. Zusammengesetzt aus Gewissenlosigkeit und Brutalität und allem, was unerbittlich und unmenschlich macht, waren sie die Parasiten dieses Landes, in dem das Gesetz noch auf ausgesprochen schwachen Beinen stand und ihnen kaum etwas entgegenzusetzen hatte.
„Ich vermisse euren Freund Shields“, gab Mortimer zu verstehen und ließ, ohne die drei Männer auf dem Vorbau so richtig aus den Augen zu lassen, seinen wachen Blick in die Runde gleiten. Sam Shields jedoch war nirgends zu entdecken.
Wilson ging nicht darauf ein. „Wir werden dich töten, Strong“, rief er schneidend und mit deutlicher Wildheit im Tonfall. „Dein Tod wird uns berühmt machen.“
Mortimers Schultern strafften sich etwas. „Noch lebe ich, Wilson. Im übrigen redest du Unsinn. Berühmtheit erlangt ein Mann nicht, indem er einen anderen erschießt. Traurige Berühmtheit vielleicht, und auch nur für kurze Zeit. Nur Dummköpfe kann ein schneller, tödlicher Colt beeindrucken. Hat euch drei Narren eigentlich schon einmal jemand gesagt, dass ...“
„Du beleidigst uns!“, schnaubte Will Stratton und ließ seine Rechte demonstrativ auf den Coltknauf fallen. „Darauf gibt es nur eine Antwort.“
„Im übrigen interessiert uns dein Geschwätz nicht im Geringsten!“, fauchte Zack Taylor und griff nach dem Eisen.
Es war eine einzige, fließende Bewegung von Hand, Arm und Schulter, der Colt schwang aus dem Halfter. Mit seiner Aktion überrumpelte Taylor sogar seine Kumpane. Inmitten des Aufbrüllens der Schüsse standen sie da wie gelähmt. Mortimer hatte aus der Hüfte gefeuert. Sein Schuss fiel einen Sekundenbruchteil vor dem Taylors. Mortimers Blei ließ Taylor zurücktaumeln. Die Revolverkugel pfiff zwei Handbreit über Mortimer hinweg, denn als er getroffen wurde verriss Taylor seine Revolverhand.
Hinter Mortimer peitschte ein Gewehr. Und jetzt wurden auch Wilson und Stratton aus ihrer Erstarrung gerissen. Mit dem trockenen Knall des Schusses stieß sich Mortimer ab, wirbelte in der Luft herum, landete zwei Schritte weiter rechts mit beiden Beinen gleichzeitig, und er erfasste den hinterhältigen Schützen auf dem Dach der Futtermittelhandlung. Eine Pulverdampfwolke trieb vor Sam Shields angespanntem Gesicht. Mortimer drückte ab, repetierte augenblicklich, sah, wie sich Shields nach vorn krümmte, schleuderte sich herum und warf sich zur Seite. Hart landete er auf dem festgetretenen und festgefahrenen Schnee. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, pfiff Blei aus Wilsons und Strattons Waffen durch die Luft. Taylor lag auf dem Vorbau. Mortimer schoss auf Wilson. Dem Burschen wurden die Beine vom Boden weggerissen, er schien für den Bruchteil einer Sekunde schräg in der Luft zu hängen, dann krachte sein Körper auf die Vorbaubohlen.
Das Krachen der Detonationen staute sich zwischen den Häusern. Der Tod griff mit grausig kalten Händen um sich. Die Stadt stand voll und ganz im Banne dieses sinnlosen Kampfes. Will Stratton schleuderte seinen Colt fort und riss die Arme in die Höhe. Mit schriller Stimme, in der das Entsetzen und die überwältigende Panik lagen, schrie er: „Aufhören! Nicht schießen, Marshal! Ich gebe auf!“
Mortimer wandte sich von ihm ab, rollte herum, denn er hatte keine Ahnung, ob Sam Shields auf dem Dach der Futtermittelhandlung noch kampffähig war. Aber Shields war außer Gefecht gesetzt. Er hing halb über den oberen Rand der Fassade des Gebäudes, seine Arme baumelten nach unten. Seine Gewehr lag auf dem Gehsteig unter ihm.
Die Echos der Schüsse waren verhallt. Stille senkte sich in die Stadt wie ein Leichentuch. Mortimer spürte einen galligen Geschmack im Mund. Er erhob sich. Auf dem Vorbau des Saloons stand mit erhobenen Händen Will Stratton. Im stoppelbärtigen Gesicht des Mannes zuckten die Nerven. Seine Hände zitterten. Er hatte dem Tod ins höhnisch grinsende Auge gesehen ...
Menschen verließen ihre Häuser. Schnee knirschte unter Mortimers Schritten. Dann nahm er die vier Stufen auf den Vorbau mit einem Satz. Er beugte sich über Taylor. Zack Taylor hatte seine Kugel in die rechte Seite bekommen und wimmerte leise. Mortimer rief: „Jemand soll den Doc holen!“ Er wandte sich John Wilson zu. Wilson war tot. Sein wächsern anmutenden Gesicht war verzerrt, der Mund wie zu einem stummen Schrei geöffnet. Die halb geöffneten, gebrochenen Augen erinnerten an glitzernde Glaskugeln.
Mortimer wandte sich an Will Stratton. „Du hast es gesehen, Stratton. Es führt zu nichts. Es gibt immer einen, der besser ist. Egal, auf welchem Gebiet. Jeder hat irgendwo seinen Meister. - Verschwinde, Stratton. Ich bin noch bis Mitternacht - also fast zwölf Stunden -, Marshal dieser Stadt. Wenn ich dich in einer Viertelstunde hier noch antreffe, sperre ich dich ein.“
Mortimer beobachtete, wie einige Männer Sam Shields vom Dach der Futtermittelhandlung holten. Jemand schrie: „Er ist tot. Die Kugel des Marshals hat ihn mitten ins Herz getroffen.“
Will Stratton setzte sich in Bewegung. Er ging wie im Trance. Dann verschwand er in der Seitenstraße, in der der Mietstall lag. Mortimer wurde mit einer Mischung aus Respekt und Anerkennung aber auch Ablehnung und Widerwillen angestarrt. Der Doc kam ...
*
Helena, Montana. Eine Goldgräbersiedlung westlich der Großen Belt Berge. Eine wilde Stadt, ein Sündenpfuhl. Als der Winter hereinbrach hatten die Digger ihre Camps in den Bergen und an den Flüssen verlassen und waren in die Stadt eingefallen wie eine Heuschreckenplage. Und in ihrem Fahrwasser kamen all jene, die auf die Schnelle reich werden wollten - jene, die dort zu ernten gedachten, wo andere gesät hatten; Spieler, Freudenmädchen, Geschäftemacher der übelsten Sorte sowie skrupellose Banditen, denen nichts weniger wert war als ein Menschenleben. Das Geschäft mit der Lasterhaftigkeit blühte in Helena. Und wer sich in diesem Strudel aus Verworfenheit und Sünde treiben ließ, der wurde ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.
Und dafür sorgte ein Mann. Sein Name war Josh Plummer. Er war der ungekrönte König von Helena. Ihm gehörten die meisten Saloons, Spielhöhlen, Tanzhallen und er war Besitzer mehrerer Goldminen in den Big Belt Mountains. Er war reich, mächtig und er ging über Leichen.
Ein kleiner, rattengesichtiger Bursche verließ die Telegraphenstation. Er rannte über die Straße, folgte dem Sidestep und lief schließlich in den ‘Last Chance Inn’, in dem Josh Plummer residierte, von dem aus er die Geschicke Helenas und des Umlandes bestimmte. Er hielt sozusagen die Fäden in der Hand, mit denen er jene, die in seinen Bannkreis geraten waren, dirigierte und manipulierte.
Obwohl es erst um die Mittagszeit war, war der Schankraum gerammelt voll. Stimmengewirr, Zigaretten- und Pfeifenqualm, der Geruch von Schweiß und verschüttetem Bier empfing den schmächtigten Burschen. Leichtbekleidete, grellgeschminkte Animiermädchen huschten zwischen den Tischreihen herum und bedienten die Gäste. Er drängte sich durch die Dreierreihe aus Leibern an der Theke und erkundigte sich nach Josh Plummer.
„Josh ist oben“, gab der Keeper dem wieselflinken Burschen mit der rattenhaften Physiognomie Bescheid. „Geh nur hinauf, Henry. Ich sehe es dir an, du hast sicher eine wichtige Nachricht für Josh.“
Eifrig nickte Henry Clayton und schwenkte ein Blatt Papier, das er aus der Jackentasche zog. Verschwörerisch flüsterte er: „Er kommt in zwei Wochen hier an. Hier steht es schwarz auf weiß. Es wird Josh sicherlich interessieren.“
„Wer kommt in zwei Wochen an?“, fragte der Keeper neugierig.
„Na wer schon! Mortimer Strong, der Revolvermarshal! Ken Reed und noch ein paar Narren haben ihn doch angeheuert, damit er Helena mit eisernem Besen fegt.“
„Also stimmt es doch“, murmelte der Keeper. Dann nickte er wiederholt. „Sicher, Henry, das wird Josh interessieren.“ Er bedeutete dem kleinen Mann mit den vorstehenden Zähnen, nach oben zu gehen.
Oben gab es eine Tür, an die ein kleines Schild mit der Aufschrift ‘Private’ genagelt war. Das Stimmendurcheinander, das vom Saloon heraufstieg, erinnerte hier oben an das monotone Rauschen eines Wasserfalles. Hinter der Tür zu den Privaträumen Plummers war es still. Henry Clayton klopfte. Ihm wurde geöffnet. Lee Morris, ein stiernackiger Mann, der fast 120 Kilo wog und dessen breitgeschlagene Nase Zeugnis dafür abgab, dass er früher einmal Faustkämpfer war, füllte den Türrahmen vollständig aus. „Was willst du?“, fragte er mit grollendem Bass.
„Ich bringe eine wichtige Nachricht für Plummer“, antwortete Henry Clayton. Er wedelte mit der Depesche vor Morris’ Nase herum. „Geh zur Seite, Muskelberg, und lass mich rein.“
Morris’ Brauen schoben sich düster zusammen. Seine Rechte - eine riesige Pranke, deren Rücken dicht behaart war -, wischte blitzschnell durch die Luft, und ehe Henry Clayton sich versah, hatte ihm der Schlägertyp das Telegramm aus der Hand gerissen. „Ich werde es Josh geben“, grunzte Morris. „Du kannst wieder verduften.“
„Aber, ich ...“
„Was?“
Henry Clayton hüpfte von einem Bein auf das andere. „Ich muss diese Nachricht doch zu Ken Reed bringen. Wie soll ich erklären, dass ...“
„Warte hier!“, ordnete Morris an, dann fiel vor Claytons Nase die Tür ins Schloss. Nervös knetete der kleine Mann seine Hände.
In der behaglich eingerichteten Wohnstube lümmelten drei Männer in den schweren Sesseln, die um einen massiven Tisch aus Eichenholz gruppiert waren. Die Zigarren und Zigarillos qualmten. In den Gläsern funkelte teurer Bourbon. Auf der Lehne des Sessels, in dem es sich Josh Plummer bequem gemacht hatte, saß eine Frau von geradezu vollendeter Schönheit. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf Lee Morris. Dieser hielt Plummer die Depesche hin und sagte zwischen den Zähnen: „Eine Nachricht an Ken Reed. Soeben angekommen.“
Plummer las und knirschte mit den Zähnen. „Ich habe es für ein Gerücht gehalten. Aber das ist der Beweis. Reed und seine Anhänger haben einen Schnellschießer angeheuert, um ihm den Stern anzustecken. Mortimer Strong! Er soll allererste Garnitur sein.“
Jim Russels linke Braue hob sich. Es verlieh seinem schmalen Gesicht einen arroganten Ausdruck. Er schürzte die Lippen: „Ich habe von ihm gehört. Ja, er soll ganz gut sein. Aber sicherlich kocht auch er nur mit Wasser. Ich denke, ich kann ihn schlagen.“
Clara Catlin, die schöne Frau auf der Sessellehne, flötete: „Ich habe schon viel von diesem Strong gehört. Er soll ein ausgesprochen interessanter Bursche sein. Ich bin schon richtig gespannt auf ihn.“
Plummer ruckte hoch. Er schaute finster auf sie hinunter. „Mach dir keine allzugroßen Hoffnungen, Honey“, knurrte er. „Ich werde Strong ein Empfangskomitee schicken, sobald er einen Fuß in diese Town setzt. Außerdem höre ich solche Sprüche nicht gerne, meine Liebe. Und wenn du nicht wieder Abend für Abend als eine von vielen in irgendeinem Saloon das Tanzbein schwingen willst, dann rate ich dir, künftig deine Zunge besser im Zaum zu halten.“
Beleidigt schmollte Clara.
Plummer wandte sich an Morris. „Gib Henry fünf Dollar und schick ihn wieder fort.“ Er reichte Morris die Depesche. „Und dann wollen wir überlegen, wie wir diesen vorlauten Ken Reed etwas auf seine richtige Größe zurechtstutzen. Ich will an ihm ein Exempel statuieren. Kerle wie Rankin, Lockhart und Mercer sollen sehen, wohin es führt, wenn man mir in den Rücken zu fallen versucht.“
*
Wie eine riesige Kerbe spaltete der Canyon Ferry die majestätisch-erhabene Gebirgslandschaft. Der Fluss, der auf dem Grund des Canyons nach Süden floss, war zugefroren. Das Eis war von einer zehn Zoll dicken, nahezu unberührten Schneedecke überzogen. Auch die Claims und die Zugänge zu den Minen waren verschneit. Die Erzmühlen, in denen das Rohmaterial, das aus den Bergen gebrochen wurde, kleingestampft wurde, standen still. Die Schmelzöfen waren erkaltet. Der strenge Montana-Winter hatte die Digger und Minenarbeiter gezwungen, die Arbeit einzustellen.
Hier und dort kräuselte aus dem Schornstein eines Blockhauses Holzrauch. Es handelte sich um jene Hütten, in denen eine kleine Besatzung den Winter verbrachte, die die großen Minen zu bewachen hatten. Einige Minenbesitzer hatten sich zur Canyon Ferry Association zusammengeschlossen, einer Genossenschaft, die sich große Ziele gesteckt hatte und deren Präsident Ken Reed war.
Am Himmel zogen dichte Schneewolken. Alles wirkte grau und diesig. Der Abend kam, und schnell fiel die Dunkelheit in den riesigen Canyon. In der Hütte, die zur Reed-Mine gehörte, brannte Licht. Das Rohr und die Platte des kleinen, runden Ofens mit den verschnörkelten Gussbeinen glühten. Die drei Männer, die hier hausten, hatten die Aufgabe, die Minen eine halbe Meile hinauf und eine halbe Meile den Canyon hinunter zu bewachen. Die Wachablösung fand wöchentlich statt.
„Ich reite jetzt die Runde“, sagte einer der Männer, die sich die Zeit mit pokern vertrieben. Er erhob sich und ging zur Wand, wo an einigen rostigen Nägeln ihre Mäntel und Mützen hingen. Er zog sich an. Tief drückte er sich die Mütze in die Stirn. Er schlang sich einen Wollschal um den Hals und die untere Gesichtshälfte, dann streifte er über seine Hände die dickgefütterten Fäustlinge, und schließlich griff er nach seinem Gewehr, das neben den Gewehren seiner Kameraden in dem grobgezimmerten Ständer stand.
Er verließ die Hütte. Draußen knarrte die Stalltür. Ein Pferd wieherte. Zehn Minuten später erklangen pochende Hufschläge. Einer der beiden zurückgebliebenen Männer ging zum Ofen und legte Holz nach. Dann saßen die beiden wieder am Tisch und der eine von ihnen mischte die Karten. Draußen senkte sich die Nacht endgültig in den Canyon. Wolfsgeheul wehte verschwommen heran.
„Street“, sagte einer der beiden Wachmänner und warf seine Karten auf den Tisch. „Vom Buben abwärts. Du musst schon ...“
Der Mann stutzte. Plötzlich stemmte er sich hoch. „Hast du das auch gehört?“, presste er zwischen den Zähnen hervor. „Ich glaube, da draußen schleicht jemand herum.“
Der andere Mann drehte sein Ohr zur Tür. Angespannt lauschten sie beide. „Vielleicht ist Hank schon zurückgekehrt“, murmelte jener, der nichts gehört zu haben schien. „Wer sonst sollte bei dieser mörderischen Kälte ...“
Krachend flog die Tür auf. Zwei Männer, die Gewehre im Anschlag, glitten in den Raum. Zwei weitere mit den Colts in den Fäusten folgten. Sie waren maskiert. Von ihren Gesichtern waren nur die Augen zu sehen. In den Brauen der Maskierten hingen Eiskristalle. Die Wirbelsäulen der beiden Wachleute wurden steif. Sie starrten erschreckt und fassungslos in die kreisrunden, schwarzgähnenden Mündungen der Waffen und waren zu keiner Reaktion fähig.
Einer der Eindringlinge sagte: „Euren Freund haben wir schon aus dem Verkehr gezogen. Wenn ihr vernünftig seid, wird euch nichts geschehen. Wenn ihr jedoch denkt, die Helden spielen zu müssen, dann werdet ihr ziemlich Federn lassen, denke ich. - Fesselt sie!“
Während sie weiterhin von zwei Gewehren in Schach gehalten wurden, banden ihnen zwei der Kerle, die mit den Colts, die ihre Waffen jetzt gehalftert hatten, die Hände auf dem Rücken zusammen. Dann mussten sie sich auf den Boden legen und ihnen wurden auch die Beine gefesselt. An Gegenwehr dachten sie nicht. Jeder von ihnen wusste, dass sein Leben keinen Cent wert war, wenn sie sich dem Willen ihrer Bezwinger nicht hundertprozentig unterwarfen.
„Rührt euch nicht!“, kam es noch einmal drohend von einem der Kerle, dann schloss sich die Tür hinter den vier Kerlen.
„Was soll das werden?“, flüsterte einer der gefesselten Wachmänner heiser, mit einer ihm selbst fremd klingenden Stimme. "Was haben diese Schufte vor? Und was um alles in der Welt haben sie mit Hank gemacht?“
Der andere schwieg. Die Angst und der Schock versiegelten seine Lippen.
Von draußen sickerte ein trockenes Krachen herein, als die Tür des Geräteschuppens aufgesprengt wurde. In diesem Holzverschlag wurden auch Zündschnüre und das Dynamit gelagert, das bis zum Wintereinbruch nicht verbraucht worden war. Es handelte sich gerade noch um eine halbe Kiste mit den hochexplosiven Patronen.
Einer der Kerle riss ein Streichholz an. Im vagen Licht gelang es ihnen, sich in dem kleinen Schuppen zu orientieren. Einer nahm die Kiste mit der eingebrannten Aufschrift ‘Danger - Dynamite’ unter den Arm, ein anderer schnappte sich eine Rolle Zündschnur, dann liefen sie zur Reed-Mine, deren Eingang mit Brettern verschlagen war, was aber für die vier Banditen kein besonderes Hindernis darstellte.
Es dauerte nicht lange. Ein greller Feuerblitz stieß wie ein Fanal aus dem Maul der Mine, Rauch und Qualm wälzten hinterher. Die Hölle schien aufzubrechen. Für Sekunden war der Canyon in seiner gesamten Breite in ein grelles, organgefarbenes Licht getaucht. Stützbalken und Bretter wurden von der Explosionswelle erfasst und durch die Luft gewirbelt. Der Krach war trommelfellzerreißend. Der Canyon schien zu erbeben, als würde sich der Weltuntergang ankündigen. Brüllendes Getöse wurde über den Fluss geschleudert, rollte zwischen den steilen Felswänden auseinander und wurde hundertfach von den Echos verstärkt.
Der Stolleneingang krachte in sich zusammen. Tonnen von Gestein füllten ihn in Sekundenschnelle. Es war wie ein Erdbeben. Staub schlug hoch und trieb in dichten Wolken über der Einsturzstelle. Geröll prasselte und polterte in die entstandene Kerbe. An manchen Stellen züngelten Flammen, wo ein brennendes Brett oder ein brennender Balken gelandet waren. Der Geruch von verbranntem Pulver erfüllte die klare Nachtluft.
Und dann war es still - tödlich still. Eine Stille, die die beiden hilflosen Männer in der Blockhütte schrecklicher anmutete als das infernalische Krachen der Explosion. Sie dauerte einige schreckliche, nervenzerrende Sekunden, dann kam Hufschlag auf, der sich aber schnell entfernte.
*
„Das ist Plummers Werk!“, stieß Ken Reed grimmig hervor. Hass flackerte in seinen Augen. „Dieser niederträchtige Hundesohn hat meine Mine in die Luft jagen lassen. Hank Bannister wurde brutal erstochen. O mein Gott, der Wolf schlüpft aus seinem Schafpelz und zeigt sein wahres Gesicht. Ich gehe zu ihm und ...“
„Was?“, fragte Joe Rankin betrübt. „Du hast nicht den geringsten Beweis, dass Plummer seine Männer zu deiner Mine geschickt hat. Er lacht dich höchstens aus, wenn du ihm mit irgend welchen Anschuldigungen kommst. Vielleicht lässt er dich von seinen Männern verprügeln. Möglicherweise wartet er nur darauf, dass du dich - dass wir uns aus der Reserve locken lassen.“
„Ganz meine Meinung“, stimmte Brian Lockhart zu. „Er bekämpft unsere Gesellschaft, seit wir sie gegründet haben. Nicht offen - nein. Dazu ist der Schuft viel zu clever. Bisher erschöpften sich seine Attacken in kleineren Aktionen. Mit deiner Mine hat er jetzt einen großen Coup gelandet. Ich weiß nicht, was dahintersteckt. Jedenfalls ist es etwas, das Plummer zu verbrecherischer Aktivität verleitete. Ist etwa durchgesickert, dass Strong auf unsere Veranlassung hin nach Helena kommt, um den Auswüchsen in der Stadt Einhalt zu gebieten?“
„Es war ein offenes Geheimnis, dass wir einen Marshalsposten geschaffen haben und auf der Suche nach einem geeigneten Mann für diesen Job waren“, flocht Gordon Mercer ein.
„Aber niemand wusste Genaueres“, konterte Ken Reed. „Doch nunmehr ist die Sache spruchreif. Mortimer Strong hat seine Ankunft angekündigt.“
„Wie sollte Plummer es erfahren haben?“, warf Joe Rankin dazwischen. „Von uns vieren ist wohl jeder über den Verdacht, es ihm gesteckt zu haben, erhaben. Kommt also nur Henry Clayton von der Telegraphenstation in Frage. Gott stehe ihm bei, wenn er für Plummer spioniert! Dann lasse ich ihm die Knochen brechen.“
Die vier Männer - es waren die Köpfe der Canyon Ferry-Gesellschaft -, hatten sich im Hinterzimmer des ‘Nugget Inn’ eingefunden. Zwei Männer mit Gewehren bewachten den Eingang. Der Saloon gehörte Joe Rankin, der daneben eine Mine im Canyon betrieb. In Helena besaß jeder von ihnen ein Haus. Es waren wohlhabende Männer, und ihr Plan war es, Helena in eine gesittete Stadt zu verwandeln, in der nicht wegen eines Goldklumpens oder einer Handvoll Dollars gemordet wurde, in der die Regeln städtischen Gemeinwesens, der Rechtschaffenheit, der Redlichkeit und die zwischenmenschliche Ordnung beachtet und geachtet wurden, in der Gesetzesmäßigkeit und Ruhe und Frieden herrschten.
Von all diesen Eigenschaften war die Stadt noch meilenweit entfernt. Sie war wild und gesetzlos. Hier galt das Recht des Stärkeren. Das Faustrecht zu praktizieren war an der Tagesordnung. Schießereien, Schlägereien und Messerstechereien gehörten zum täglichen Ablauf wie das Amen zum Gebet.
Am vergangenen Abend hatte die Gegenseite demonstriert, dass sie nicht spaßte. Es war Blut geflossen. Und um die Mine Ken Reeds wieder in Betrieb zu setzen, würden wochenlange Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten notwendig sein.
„Wir sollten Henry in die Mangel nehmen“, schlug Lockhart vor.
Reed winkte ab. „Nein“, stieß er grimmig hervor. „Ich gehe zu Plummer und sage ihm auf den Kopf zu, dass ich ihn für den Tod Hank Bannisters und die Zerstörung meiner Mine verantwortlich mache. Der Hundesohn soll nicht denken, dass wir vor ihm kneifen. Hinter uns steht die Organisation, der hunderte von Diggern und Minenarbeitern angehören. Wenn wir sie mobilisieren, jagen sie Plummer samt seinem niederträchtigen Anhang zum Teufel.“
Mercer schaute skeptisch. Er wiegte den Kopf, dann meinte er zweifelnd: „Sie haben sich der Organisation angeschlossen, um von ihr beschützt zu werden, nicht um womöglich mit der Waffe in der Faust die Organisation zu beschützen. Wenn es hart auf hart geht, dann werden sie uns ganz schnell den Rücken kehren, denke ich.“
„Sie sind die Gesellschaft!“, schnaubte Reed wütend. Er griff nach seinem Whisky und trank das Glas mit einem Zug aus. Er hüstelte. Die scharfe Flüssigkeit trieb ihm die Tränen in die Augen. „All right, ich werde also nicht zu Plummer gehen. Aber wir werden eine Versammlung einberufen. Fast alle Minenbesitzer, Digger und Arbeiter sind in der Stadt. Wir lassen verkünden, dass sie sich morgen Nachmittag auf der Straße vor dem Nugget-Inn einfinden sollen. Noch ist der Anschlag auf meine Mine frisch in den Köpfen. Der Mord an Bannister hat die Gemüter erhitzt. Hinter vorgehaltener Hand wird Plummer als Verantwortlicher gehandelt. Die aufgebrachten Männer werden leicht zu beeinflussen sein und geschlossen gegen Plummer und seinen Verein marschieren.“
„Das bedeutet Krieg, Ken. Offenen Schlagabtausch“, murmelte Brian Lockhart, und jedes Wort schien tonnenschwer in seinem Mund zu wiegen. „Krieg heißt Gewalt und Blutvergießen. Und genau das wollten wir ausschließen, als wir die Gesellschaft ins Leben riefen.“
„Auch Lincoln wollte keinen Krieg. Als es aber um die Befreiung der Sklaven ging, nahm er ihn in Kauf. Und erst auf dem Nährboden der Gewalt wurde ein dauerhafter Friede möglich gemacht.“
„Dein Vergleich hinkt“, murmelte Lockhart. „Aber wahrscheinlich hast du recht, Ken. Wir können derartige Übergriffe, wie sie in der vergangenen Nacht geschehen sind, nicht einfach hinnehmen.“ Er schaute in die Runde. „Denn wenn ihr mich fragt, dann war das erst der Anfang. Plummer ist drauf und dran, die Macht in Helena und im Canyon endgültig an sich zu reißen. Und dem müssen wir entgegentreten.“
„Also schicken wir unsere Männer durch die Saloons und Hotels, damit sie verkünden, dass für morgen Nachmittag eine Versammlung einberufen ist. Und dann sehen wir weiter.“
Sie verließen das Hinterzimmer. Im Schankraum gesellten sich jedem der vier Bosse einige Männer hinzu - Kerle mit tiefsitzenden Colts und schmalen, gepflegten Händen, die noch nie eine Schaufel gehalten oder eine Spitzhacke geschwungen hatten. Es waren die Leibwachen Reeds, Rankins, Lockharts und Mercers, zweibeinige Wölfe, die die vier Männer, die für Helena nur das beste im Auge hatten, aber hart an der Leine hielten.
Sie verließen den Inn. Jeder strebte seinem Haus irgendwo am Stadtrand zu. Es war Nachmittag und die Straßen waren voller Menschen. Ein Strom, der nicht abriss. Josh Plummer stand am Fenster in der Wohnstube über dem ‘Last Chance Inn’ und beobachtete die breite Straße. Er kniff die Augen eng, als er Ken Reed bemerkte, der von zwei Revolvermännern flankiert, den Gehsteig entlang schritt. Plummer zeigte die Zähne und knirschte: „Da ist Reed mit seinen Coltschwingern. Bin gespannt, was die vier Narren im Hinterzimmer des Nugget-Inn ausgeklügelt haben. Wir werden es sehen. Nun, Jim, du wirst dafür sorgen, dass Reed in der kommenden Nacht zum Teufel fährt. Wenn er nicht mehr ist, wird die Gesellschaft auseinanderfallen. Dann sind wir an der Reihe. Und wenn in einigen Tagen dieser Mortimer Strong aufkreuzt, werden wir ihm den entsprechenden Empfang bereiten, und keiner wird uns ins Handwerk pfuschen.“
Plummer ließ seinen zuletzt sehr höhnisch klingenden Worten ein widerliches Lachen folgen. Er war sich des Gelingens seines Planes sehr sicher.
*
Am Abend zogen Männer in derben Drillichanzügen durch Helena und gaben kund, dass die Canyon Ferry-Association für den Nachmittag des folgenden Tages eine Versammlung vor dem ‘Nugget Inn’ einberufen hatte. Die Einladung, an der Versammlung teilzunehmen, ging bald von Mund zu Mund und erreichte die letzten Digger oder Minenarbeiter in ihren schäbigen Unterkünften. Und während die Einladung die Runde machte, drang jemand unbemerkt in Ken Reeds Haus ein und erstach den Minenbesitzer in seinem Bett mit einem Dolch.
Rachel Reed, Kens Tochter, brach weinend zusammen. Wie ein Lauffeuer ging die Hiobsbotschaft vom Tod Ken Reeds durch die Stadt. Der Mord war Warnung und Drohung zugleich und verfehlte seine Wirkung nicht. Außer Rankin, Lockhart, Mercer und dessen Kompangnon, Banrey Rice, erschien zu der Versammlung am Nachmittag nicht ein einziger Digger oder Minenarbeiter.
Helena befand sich im Klammergriff des Terrors und der brutalen Gewalt. Niemand wagte sich zu widersetzen. Jene, die ein Gemeinwesen mit allem, was eine städtische Lebensgemeinschaft ausmacht, verhindern wollten, schreckten vor nichts zurück. Männer begannen um ihr Leben zu fürchten ...
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Es war Ende Januar. Die eisige Kälte hatte nachgelassen. Tauwetter hatte eingesetzt. Von den Dächern tropfte das Schmelzwasser. Die Straßen und Gassen von Helena waren aufgeweicht und schlammig. Schneegestöber wechselte sich ab mit kaltem Regen. Die Berge waren im Dunst verschwunden. Die Eisschicht auf dem Creek, der den Canyon Ferry durchströmte, war in der Flussmitte aufgebrochen. Der Fluss war angeschwollen und überspülte die Ufer.
Man jagte keinen Hund vor die Tür bei diesem Wetter, wie man so sagt. Und so zeigten sich, als Mortimer Strong nach Helena kam, kaum Menschen im Freien. Unter den Hufen seines Pferdes schmatzte und gurgelte es. Die Hufabdrücke füllten sich sofort mit Wasser. Mortimer trug über der dicken Mackinow-Jacke einen imprägnierten Regenumhang. Auf seinen Oberschenkeln war die Hose durchnässt. Seine Hände steckten in gefütterten Handschuhen. Unter dem Hut trug er gestrickte Ohrenschützer. Sein Gesicht war gerötet von Nässe und Kälte.
Ein Schild, auf das mit großen Lettern ‘Livery Stable’ gepinselt war, wies ihm den Weg. Die wohlige Wärme des Mietstalls empfing ihn. Es roch nach Heu und Pferdeausdünstung. In den Ecken woben Spinnennetze. In Mortimers Gesicht begann unter der Haut das Blut zu prickeln. Der Rappe schnaubte. Mortimer zog seine Handschuhe aus, legte dem Tier die Rechte auf den Hals und murmelte: „Schon gut, Alter, schon gut. Wir sind da. Das hier ist Helena. Wir sind am Ziel.“
Er hielt nach dem Stallmann Ausschau. Als sich nichts rührte, zog Mortimer den Regenumhang aus und begann, den Rappen abzusatteln. Er warf den Sattel mitsamt dem Packen auf einen dafür vorgesehenen Ablagebalken, hängte das Zaumzeug daneben an einen Nagel, dann führte er das Pferd in eine Box.
Als Mortimer zum Ausgang wollte, um einen Eimer voll Hafer und einen armvoll Heu zu besorgen, traten drei Kerle in das Tor. Gegen den helleren Hintergrund, der ihre hohen Gestalten scharf umriss, wirkten sie dunkel und gefährlich. Sie hatten die Jacken offen. Mortimer sah die breiten Revolvergurte und die tiefsitzenden Halfter, und er vermutete, dass diese drei Kerle nicht von ungefähr hier aufgetaucht waren. Wie eine Warnung vor drohendem Unheil durchzuckte es seinen Verstand, die Alarmglocken in seinem Unterbewusstsein läuteten Sturm.
Mortimer war stehengeblieben. Etwa fünf Schritte trennten ihn von den drei Kerlen. Im Revolverkampf eine absolut tödliche Distanz. Das Verhältnis stand drei zu eins. Und wer auch immer ihm diese drei Figuren geschickt hatte - er hatte gewiss nicht die Schlechtesten ausgewählt.
Stumm belauerten sie Mortimer. Ihre Gesichter lagen im Schatten. Ihre Augen glitzerten. Es war ein Abtasten, ein Einschätzen, ein regelrechtes Erforschen, dem Mortimer sich unterzogen fühlte. Und er konnte die wilde Strömung, die von ihnen ausging, spüren wie etwas Animalisches, etwas Raubtierhaftes.
„Was wollt ihr?“ Seine Stimme klang glasklar und präzise und wies nicht die Spur einer Erregung auf.
„Lautet dein Name Strong - Mortimer Strong?“, kam prompt die Gegenfrage.
Mortimer spannte seine Muskeln und aktivierte jeden seiner Sinne. Die Ahnung, dass sie seinetwegen hier waren, wurde schlagartig zur Gewissheit. „Yeah, mein Name ist Mortimer Strong“, dehnte er. „Was dagegen?“
Wie auf ein geheimes Kommando traten die drei Kerle etwas auseinander. Während der Bursche in der Mitte seine Arme lässig vor der Brust verschränkte, nahmen seine beiden Begleiter die Hände nicht aus der Reichweite der Revolvergriffe.
„Du bist hier nicht erwünscht, Strong!“, tönte der Sprecher des Trios. „Drum solltest du deinem Zossen auf der Stelle wieder den Sattel auflegen und aus Helena verschwinden. Andernfalls erwarten dich eine Menge unerfreulicher Dinge.“