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​Bleib hier und kämpfe! Pete Hackett Western Edition 53

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 120 Seiten

Zusammenfassung

Jesse erreichte San Antonio, passierte die Ruinen von Alamo und wandte sich, ohne die große Stadt zu betreten, nach Süden. Er kam nur langsam voran. Das Pferd war am Ende. Es war später Nachmittag, und Jesse beschloss, noch eine Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Als der Morgen graute, saß er wieder im Sattel. Und gegen Mittag lenkte er das Tier in die Main Street von Losoya.

Er war zu Hause. Ein Taumel erfasste ihn. Nach fast fünf Jahren war er wieder daheim. Ein warmes Glücksgefühl durchströmte den Mann. Er zügelte das Pferd und schaute sich um. Losoya hatte sich kaum verändert. Es war eine kleine, freundliche Stadt mit mexikanischem Einschlag. Die Häuser waren aus Adobeziegeln und Holz erbaut und hatten falsche Fassaden. Der Krieg hatte in Losoya keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Alles war noch so, wie Jesse es in der Erinnerung trug.

Viele blieben stehen und musterten ihn seltsam, weil er noch die mausgraue Hose der Rebellenuniform anhatte, und er bot den Menschen das Erscheinungsbild eines Satteltramps; stoppelbärtig, verstaubt, verschwitzt, hager und hohlwangig. Misstrauen und Abneigung flackerte in so manchem Augenpaar. Niemand erkannte ihn. Aus dem Jungen, der gleich ganz am Anfang dem Ruf General Lees folgte, war ein Mann geworden.

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Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER EDWARD MARTIN

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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​Bleib hier und kämpfe! Pete Hackett Western Edition 53


Western von Pete Hackett


Über den Autor

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G. F. Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie “Texas-Marshal“ und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: “Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G. F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung.“

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie “Der Kopfgeldjäger“. Sie erscheint exklusiv als E-Book bei CassiopeiaPress.



Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author www.Haberl-Peter.de

© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de



Jesse erreichte San Antonio, passierte die Ruinen von Alamo und wandte sich, ohne die große Stadt zu betreten, nach Süden. Er kam nur langsam voran. Das Pferd war am Ende. Es war später Nachmittag, und Jesse beschloss, noch eine Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Als der Morgen graute, saß er wieder im Sattel. Und gegen Mittag lenkte er das Tier in die Main Street von Losoya.

Er war zu Hause. Ein Taumel erfasste ihn. Nach fast fünf Jahren war er wieder daheim. Ein warmes Glücksgefühl durchströmte den Mann. Er zügelte das Pferd und schaute sich um. Losoya hatte sich kaum verändert. Es war eine kleine, freundliche Stadt mit mexikanischem Einschlag. Die Häuser waren aus Adobeziegeln und Holz erbaut und hatten falsche Fassaden. Der Krieg hatte in Losoya keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Alles war noch so, wie Jesse es in der Erinnerung trug.

Viele blieben stehen und musterten ihn seltsam, weil er noch die mausgraue Hose der Rebellenuniform anhatte, und er bot den Menschen das Erscheinungsbild eines Satteltramps; stoppelbärtig, verstaubt, verschwitzt, hager und hohlwangig. Misstrauen und Abneigung flackerte in so manchem Augenpaar. Niemand erkannte ihn. Aus dem Jungen, der gleich ganz am Anfang dem Ruf General Lees folgte, war ein Mann geworden.

Müde zog das Pferd die Hufe durch den Staub. Die taxierenden Blicke berührten Jesse wie giftiger Atem und irritierten ihn. Er lenkte das Tier auf den Saloon zu. Am Haltebalken standen vier Pferde. Sie schlugen mit den Schweifen nach den blutsaugenden Bremsen an ihren Flanken. Das Brandzeichen, das die Tiere trugen, kannte Jesse nicht. Es waren zwei ineinander verschlungene, verschnörkelte Bs, ein Brand, den es in der Gegend früher nicht gegeben hatte.

Jesse saß ab und leinte den knochigen Braunen an. Sattelsteif betrat er den Saloon. Die vier Männer, die zu den Pferden am Hitchrack gehörten, lehnten an der Theke. Ben Foley, dem der Saloon auch schon vor dem Krieg gehörte, unterhielt sich mit ihnen. An den Tischen saßen vereinzelt Bürger. Knarrend schlugen hinter Jesse die Türflügel aus. Schlagartig brachen die Unterhaltungen ab. Die Gäste wandten sich ihm zu und fixierten ihn mit stechenden Blicken.

Es war düster im Schankraum. Unter Jesses Schritten ächzten die Fußbodendielen. Finster starrten ihn die vier Kerle am Tresen an. Sie waren gekleidet wie Cowboys. Jesse hatte die vier nie zuvor in seinem Leben gesehen. Um ihre Hüften lagen Patronengurte, in den Futteralen steckten schwere, großkalibrige Colts. Etwas in den Augen der vier hätte Jesse warnen müssen. Aber er konzentrierte sich auf Ben Foley, legte beide Hände flach auf den Schanktisch, grinste schief und sagte: „Hallo, Ben, die Heimat hat mich wieder.“


*


Ben Foleys Augen weiteten sich. Ungläubiges Staunen war in seiner Miene zu lesen, seine Lippen klafften auseinander, er holte tief Luft, dann presste er hervor: „McKinney! Jesse McKinney! Ich kann‘s nicht glauben.“

Er blinzelte, starrte Jesse an wie einen Geist und murmelte schließlich mit brüchiger Stimme: „Der Krieg ist seit einem halbem Jahr zu Ende, Jesse. Du trägst noch immer die graue Uniformhose. Wo bist du so lange geblieben?“

Die vier Weidereiter musterten Jesse mit einer Mischung aus Ironie, Herausforderung und Verachtung.

„Ich war im Gefangenenlager bei Pittsburgh, Ben. Ohne einen rostigen Cent schickten die Yanks mich nach Hause. Lediglich einen alten, ausrangierten Gaul gaben sie mir. Was die Hose anbetrifft, so wandert sie in den Ofen, sobald ich auf der Ranch bin. - Himmel, Ben, ich habe Durst. Gib mir ein Bier, und schreib es bei meinem Vater an.“

Foleys Miene verschloss sich. Jesse entging diese jähe Veränderung nicht. Seine Stirn legte sich in Falten. Instinktiv spürte er plötzlich, dass hier nichts mehr beim Alten war. Der erste Eindruck, den Losoya vermittelte, hatte ihn getäuscht.

Plötzlich mischte sich einer der Weidereiter ein. Er schnappte gehässig: „Es gibt Fanatiker, die die Sache des Südens noch lange nicht für verloren halten, Amigo. Diese Sorte kann sich einfach nicht trennen von der Rebellenuniform. Kerle, die den Krieg auf eigene Faust weiterzuführen versuchen, wie dieser verrückte Will Quantrill. Vielleicht gehörst du auch zu diesen - hm, sagen wir: Patrioten.“

Zuletzt triefte seine Stimme vor bissigem Zynismus.

Jesse lachte lahm auf, winkte ab und versetzte: „Nein, Mister, o nein. Der Krieg ist vorbei, und der Norden hat ihn gewonnen. Das ist so, und ich habe es längst akzeptiert. Ich will nur noch heim und raus aus den grauen Lumpen.“

Ben Foley stellte seine Ellenbogen auf den Tresen und stützte das breite Kinn auf seine ineinander verschränkten Finger. „Wir alle hier hielten dich für tot, Jesse. Jeder dachte, du wärst gefallen wie tausend andere auch. O verdammt, Jesse, es ist - es ist …“ Der Salooner brach ab und wich Jesses Blick aus.

In Jesse verkrampfte sich etwas. Er musste zweimal ansetzen, dann entrang es sich ihm: „Was ist geschehen. Ben? Ich habe das Gefühl, du wolltest mir eben sagen, dass ich am besten nie nach Hause zurückgekehrt wäre. Ist es wegen Laura? Hat sie sich einem anderen Mann zugewandt? Oder ist etwas mit meinen Eltern?“

Ben Foley knetete nervös seine Hände. Er konnte Jesses beschwörendem, fast flehendem Blick nicht länger standhalten. Er ächzte und sagte dann heiser: „Es gibt hier keine McKinneys mehr, Jesse. Deine Eltern sind vor einem Jahr gestorben, als hier eine Cholera-Epidemie grassierte. Dein jüngerer Bruder kehrte gleich nach Kriegsende heim, verließ aber die Gegend sofort wieder und hat sich irgendwo im Norden einer Bande Desperados angeschlossen. Und Laura - nun, auch sie dachte, du wärst tot. Sie hat sich mit einem anderen Mann verlobt. Im Frühjahr will sie ihn heiraten.“

Jesse stand da wie vom Donner gerührt. Er lauschte den Worten Foleys hinterher und begriff den niederschmetternden Inhalt nur ganz langsam. Seine Eltern waren tot, Wade ritt mit Banditen, Laura war mit einem anderen Mann verlobt. Es überstieg sein Fassungsvermögen. Sein Verstand blockierte.

In den Mienen der vier Cowboys regte sich nichts. Mitleidlos fixierten sie Jesse. Seine Fassungslosigkeit ließ sie kalt. Einer von ihnen erklärte: „Brad Barlow hat nach Kriegsende die McKinney-Ranch übernommen. Sie ist einfach aufgegangen in all dem Land, das Barlow erwarb. Du wirst dich damit abfinden müssen, Amigo.“

Jesse sah ihn an und schien durch ihn hindurch zu starren. Es war, als habe er das, was der Bursche von sich gegeben hatte, gar nicht registriert.

„Brad Barlow ist auch der Mann, den Laura heiraten wird, Jesse“, ließ sich Ben Foley vernehmen.

Noch eine ganze Zeit versiegelte die Fassungslosigkeit Jesses Lippen. Der Stau aus Erschütterung, Betroffenheit und Enttäuschung drohte ihn zu ersticken. Aber dann brach es aus ihm heraus.

„Brad Barlow! Wer ist das?“

Der Cowboy grinste überlegen. „Ein Gewinner, Amigo, einer, der nach dem Krieg nach Texas gegangen ist, weil er im Rindergeschäft ein Vermögen verdienen möchte. Ihm gehört die Double-B, und wir reiten für ihn.“

Die Worte trafen Jesse wie Peitschenhiebe. Er schaute drein wie ein Erwachender. In der Tiefe seiner Augen schwamm das Entsetzen.

„Ja“, hakte der Weidereiter nach, „Brad Barlow ist der große Mann im County. Die Double-B hat den McKinney-Besitz geschluckt. Du solltest dich wieder auf deinen Zossen schwingen und verduften. Wir haben nichts übrig für Leute wie dich.“

Bei Jesse kam der Zorn. Seine Züge verkniffen sich, seine Zähne knirschten übereinander. Aber da erklang Ben Foleys Organ. Er murmelte: „So ist es, Jesse. Und du solltest es akzeptieren. So bitter es auch sein mag für dich.“

„Es akzeptieren!“, schnaubte Jesse. Er wischte sich fahrig über die Stirn. „Es einfach schlucken?“ Er stieß die Luft aus. „Dass meine Eltern nicht mehr leben, damit muss ich mich abfinden. Wahrscheinlich auch damit, dass Laura sich diesem Brad Barlow an den Hals geworfen hat. Aber dass ein Weidepirat aus dem Norden einfach die McKinney-Ranch kassiert hat - das werde ich nicht hinnehmen. Es gibt verbriefte Rechte auf den Besitz. Barlow konnte das Land nach dem Tod meiner Eltern nicht einfach erwerben, denn da sind noch wir, mein Bruder und ich. Das McKinney-Land ist unser Erbe.“

Die Cowboys lachten höhnisch. Ben Foley verzog säuerlich das Gesicht. Der Wortführer der vier Kerle sagte laut und herausfordernd: „Ein Erbe, McKinney, an dem du dir die Finger verbrennen wirst, wenn du sie danach ausstreckst.“

Jesse funkelte ihn wild an. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Seine Miene drückte all das aus, was er empfand. Ben Foley entging nicht, dass Jesse dicht davor stand zu explodieren. Hastig gab er zu verstehen: „Die Verhältnisse haben sich geändert, Jesse. Wenn du unvernünftig bist, bekommst du mehr Verdruss an den Hals, als du vertragen kannst. Lass es, wie es ist, und reite weiter. Reite nach Norden, und kümmere dich um deinen kleinen Bruder. Er zieht mit der Bande Rod Carseys durch das Land, überfällt Banken und Postkutschen, und wenn sie ihn schnappen, hängen sie ihn auf. Das letzte Lebenszeichen von ihm kam aus Tascosa am Canadian River. Dort hat er mit Carsey, Perkins, Hunter und Dawson die Bank ausgeraubt. Es gab einen Toten.“

„Einen Toten?“, wiederholte Jesse krächzend.

„Yeah, sie haben den Clerk niedergeknallt. Auf jeden der fünf Banditen ist eine Belohnung von fünfhundert Dollar ausgesetzt.“

Jesse stand dicht davor, den Verstand zu verlieren. Das alles war einfach zu viel. So niederschmetternd hatte er sich seine Heimkehr nicht vorgestellt. Ein Schlag nach dem anderen war ihm versetzt worden. Ein Zittern durchlief ihn, seine Nasenflügel bebten, in seinen Mundwinkeln zuckten die Muskeln. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen fragte er rau und brüchig: „Steht die Ranch noch, Ben?“

Foley nickte stumm. Der Cowboy schürzte die Lippen. „Ja, sie steht noch, McKinney. Aber du scheinst nicht begriffen zu haben. Für dich gibt es dort keinen Platz mehr. Und solltest du trotz meiner Warnung hinreiten, musst du damit rechnen, dass wir dir auf die raue Art und Weise die Realität in den Kopf hineinhämmern.“

Die kalte Drohung traf Jesse wie ein Guss Eiswasser. Der hämische Ausdruck im Gesicht des anderen brachte sein Blut zum Sieden. Und plötzlich brannten bei ihm die Sicherungen durch. Die Vernunft blieb auf der Strecke. Die mörderische Wut befiel Jesse wie ein Rausch. Wie eine Katze sprang er den Weidereiter an.

Er überrumpelte ihn und knallte ihm einen linken Schwinger in den Magen. Als der Bursche sich mit einem erschreckten Aufschrei nach vorne beugte, traf ihn Jesse mit einem stahlharten Uppercut am Kinn, der den Cowboy wieder aufrichtete und zurücktaumeln ließ. Seine Augen wurden glasig, er ruderte unkontrolliert mit den Armen, stolperte über seine hohen Absätze, und hätten ihn zwei seiner Gefährten nicht aufgefangen, wäre er gestürzt.

Mit einem schnellen Schritt war der vierte der Kerle zwischen ihn und Jesse getreten. Aber Jesse war wie von Sinnen. Er ließ die Fäuste fliegen. Sie krachten gegen den Kopf des Cowboys, dieser quittierte die beiden Haken mit einem gurgelnden Aufschrei, riss die Arme hoch, um sein Gesicht zu decken, da aber donnerte eine kerzengerade Rechte Jesses gegen sein Brustbein und nahm ihm die Luft. Er japste wie ein Erstickender, röchelte, hustete und krümmte sich nach vorn. Sein Gesicht lief dunkel an.

Jetzt traten die anderen in Aktion. Ihr Kumpan, den sie vor dem sicheren Sturz bewahrt hatten, stand wieder fest auf den Beinen. Ungezügelte Wut blitzte in ihren Augen und verzerrte ihre Gesichter. Sie warfen sich beide gleichzeitig auf Jesse. Der trat und schlug um sich, wurde empfindlich getroffen, und der Schmerz entrang ihm ein Ächzen. Er wehrte, so gut es ging, die auf ihn einprasselnden Schläge ab, traf selbst immer wieder, und es war bald nur noch übermenschlicher Durchhaltewille, der ihn auf den Beinen hielt. Er war viel zu ausgelaugt, um ihnen länger standhalten zu können. Er sank auf die Knie, erhielt einen furchtbaren Schwinger von der Seite her gegen den Kopf und kippte um. Ein Tritt in die Rippen ließ ihn aufbrüllen. Nur noch verschwommen konnte er die Gestalten um sich herum ausmachen.

Von den übrigen Gästen mischte sich niemand ein. Ben Foley hatte sich halb abgewandt, als wollte er in die Küche fliehen, stand aber wie angenagelt hinter dem Tresen und verzog bei jedem Treffer, den Jesse einsteckte, schmerzlich das Gesicht. Schweiß lief über seine Wangen.

Ein Fuß stellte sich in Jesses Nacken und drückte sein Gesicht gegen die rauen Dielen. Vor seinen Augen hing ein farbiger Nebel. Aus etlichen Platzwunden in seinem Gesicht rann Blut. Er nahm den Schmerz nur noch unterbewusst wahr. Da war nur noch eine alles verschlingende Benommenheit, und schließlich schwemmte eine gnädige Bewusstlosigkeit die letzten Eindrücke hinweg.

Sie ließen von ihm ab, traten keuchend zurück, wischten sich die Hände an den Hosen ab und massierten sich die schmerzenden Knöchel.

„Der braucht so schnell nichts mehr“, stieß einer zwischen zwei tiefen Atemzügen hervor. „Werfen wir ihn auf die Straße, in den Dreck, wo er hingehört.“

Sie packten ihn an den Beinen und schleiften ihn hinaus. Neben dem Gehsteig ließen sie ihn liegen. Einer der Kerle spuckte neben ihm in den Staub.


*


Niemand kümmerte sich um den Besinnungslosen. Niemand wagte, Jesse zu helfen. Keiner wollte den Zorn der Double-B auf sich lenken. In Losoya gab Brad Barlow den Ton an. Wer gegen den Strom zu schwimmen versuchte, musste darin untergehen.

Jesse regte sich. Seine Lider flatterten und zuckten in die Höhe. Zunächst schaute er verständnislos hinauf zum blauen Himmel, vor dem weiße Wolken trieben. Nur langsam setzte die Erinnerung ein. Und mit der Erinnerung meldeten sich auch die Schmerzen in seinem ganzen Körper. Er bewegte sich leicht, und die Qualen eskalierten. Ein abgerissener Ton brach aus seiner Kehle.

Jesse blieb fast eine Viertelstunde reglos liegen. Warm schien die Mittagssonne auf ihn herunter und trocknete das Blut in seinem Gesicht. Übelkeit rumorte in seinen Eingeweiden. Sein Mund war ausgedörrt, die Zunge klebte wie trockenes Leder an seinem Gaumen.

Er versuchte sich hochzukämpfen. Zunächst schien in seinem Körper nichts mehr zu funktionieren. Die Signale, die sein Gehirn aussandte, blieben unbeantwortet. Schließlich aber kam er auf die Knie. Sein Oberkörper schwankte vor und zurück, die Welt schien sich um ihn zu drehen wie ein Karussell. Er kippte nach vorn und fing einen Sturz auf das Gesicht instinktiv mit den ausgestreckten Armen ab. Auf allen Vieren lag er da, haltlos pendelte sein Kopf nach unten. Die Schwäche kroch wie flüssiges Blei durch seinen Körper.

Der Schwindel ließ nach. Jesse schöpfte minutenlang Kraft und versuchte, mit tiefen Atemzügen neue Energien in sich hineinzusaugen. Er kämpfte sich in die Höhe. Auf zitternden Beinen stand er da. Schweiß rann ihm in Bächen über das verschwollene Gesicht und brannte in den Wunden wie Feuer. Jesse taumelte zu seinem Pferd. Er bemerkte, dass die vier Tiere mit dem Double-B-Brand weg waren. Kurze Zeit lehnte er sich gegen das knochige Pferd, das den Kopf herum nahm und seine Nase an seinem Oberarm rieb. Dann löste Jesse mit zittrigen Fingern die Leine, griff mit beiden Händen nach dem Sattelhorn und stellte den linken Fuß in den Steigbügel. Er bot alle Kraft auf, um sich in den Sattel zu ziehen. Er rutschte ab. Seine Beine knickten ein wie Streichhölzer, er hing am Sattelknauf, und die Sehnen seiner Arme drohten, nicht standzuhalten.

Gütiger Gott, zuckte es durch sein zerrissenes Bewusstsein, was nun? Du hast kein Zuhause mehr, keinen Freund, kein Ziel. Du weißt einfach nicht mehr weiter …

Er drückte die Knie durch, und es gelang ihm, wieder aufrecht zu stehen. Von allen Seiten wurde er beobachtet. Es kümmerte ihn nicht. Sein Atem ging rasselnd. Mit tauben Fingern knüpfte er die Wasserflasche vom Sattel. Er schraubte sie auf und trank. Sein Hals war wie zugeschnürt. Doch das lauwarme Wasser belebte ihn. Beim zweiten Versuch gelang es ihm aufzusitzen. Es war eine Anstrengung, eine Überwindung, die all seinen Willen erforderte. Er angelte sich die Zügel und zog das Tier herum. Da trat Ben Foley aus dem Saloon.

„Jesse, he, Jesse!“, rief der Salooner.

Jesse zog die Zügel straff. Teilnahmslos musterte er den Mann, der einmal sein Schwiegervater werden sollte. Dieser sagte mit unsicherer Stimme: „Es tut mir leid, Jesse. Was McGuire und seine Kumpane mit dir gemacht haben, war eine Niedertracht. Es - es ist so, dass Brad Barlow und seine Leute Losoya beherrschen. Die Stadt lebt im Schatten der Double-B-Ranch. Wer sich Barlow nicht fügt, erhält eine bittere Rechnung präsentiert. Was wirst du tun, Jesse?“

„Ich weiß es nicht, Ben. Was hat ein Mann ohne Geld und Waffen auf einem halblahmen Pferd für Chancen?“

„Keine, mein Junge, darum nimm meinen Rat an und reite fort. Versuch irgendwo auf einer Ranch als Cowboy unterzukommen. Du bist mit Longhorns groß geworden und ein guter Rindermann. In Texas stehen Millionen Longhorns auf den Weiden herum. Weidereiter aber sind rar.“

„Ist das alles, Ben?“

Der Salooner schaute verdutzt. „Ich verstehe nicht.“

„Ich brauche etwas Geld, vernünftige Kleidung, einen Colt und ein Gewehr, ein besseres Pferd … Du bekommst alles zurück, Ben, sobald ich …“

„Verdammt, Jesse!“, unterbrach ihn Foley. „Verlang das nicht von mir. In zwei Stunden wüsste Brad Barlow, dass ich dir geholfen habe. Er wird meine Tochter heiraten. Ich habe ein gutes Verhältnis zu ihm. Das - das kann ich nicht aufs Spiel setzten.“

„Und das nur, weil ich ein McKinney bin, der ihm ein Stück Land streitig machen könnte“, versetzte Jesse voll Bitterkeit, aber auch mit einem nicht zu überhörenden Unterton von Verachtung. Er ritt an. Dem Fegefeuer seiner wirbelnden Gedanken ausgesetzt ließ er das Pferd die Main Street hinuntergehen. Losoya blieb zurück. Jesse ritt über das wellige Land, in das der Medina River sein Bett gegraben hatte. Der Fluss rauschte und gurgelte. Durch das herbstlich verfärbte Ufergestrüpp konnte Jesse das Flusswasser glitzern sehen. Tief im Süden waren die Gipfel der Berge auszumachen.

Jeder Schritt des Pferdes bereitete Jesse eine Hölle von Qualen. Die Schmerzen waren kaum zu ertragen. Verlorenheit schlich sich in sein Gemüt. Seine Heimkehr hatte sich als ein schrecklicher Alptraum entpuppt. Fünf lange Jahre hatte er diesen Tag herbeigesehnt. Und nun war er zum schlimmsten Tag in seinem Leben geworden.

Er brauchte für die fünf Meilen bis zur ehemaligen McKinney-Ranch über zwei Stunden. Es war ein altvertrauter Anblick, der ihm in die Augen sprang. Doch der Verfall war deutlich sichtbar. Es gab hier kein Leben. Wie ausgestorben lagen die grauen Gebäude vor ihm. Das Herz drohte ihm in der Brust zu zerspringen, er spürte, wie es ihm heiß in die Augen stieg. Jesse schluckte würgend.

Im Ranchhof saß er ab. Er schaute sich um. Die meisten der Fenster waren eingeschlagen. Blendläden hingen schief oder fehlten gänzlich. Die Stalltür stand offen, ebenso die Haustür. Auf dem Dach des Wohnhauses fehlten Schindeln. Kette und Winde des Ziehbrunnens waren völlig verrostet. Nur das klappernde Geräusch des Windrades war noch wie vor fünf Jahren. Ein kalter Schauer durchrann Jesse.

Mit unsicheren Schritten betrat er das Ranchhaus. Im Flur war es düster. Er ging an der Treppe vorbei, die zum Obergeschoss führte, und betrat die Wohnstube. Abgestandener Geruch von Verfall stieg ihm überall in die Nase. Überall lagen Haufen von Unrat herum. Staub wirbelte in dem Luftzug, den er mit der Tür verursachte. Einige Spuren ließen darauf schließen, dass das Haus im vergangenen halben Jahr immer wieder heimkehrenden Soldaten als Unterschlupf gedient hatte. Von den Möbeln war fast nichts mehr da. Das Sofa war aufgeschlitzt, Seegras quoll daraus hervor.

Jesse besichtigte die anderen Räume. Das Bild von Verfall und Zerstörung war im ganzen Haus das gleiche. Zuletzt suchte Jesse sein Zimmer auf. Seine Bettstatt stand noch dort, wo sie immer gestanden hatte, an der Wand unter dem Fenster. Die Matratze war zerschlissen und verdreckt. Bettzeug gab es nicht mehr. Die Türen des Kleiderschranks fehlten. Der Schrank war gähnend leer.

Jesse verließ das Haus wieder. Er führte das Pferd zum Brunnen, hievte einen Eimer voll Wasser nach oben und gab dem Tier zu trinken. Anschließend wusch Jesse sich Blut und Schweiß aus dem Gesicht. Die Wunden brannten höllisch, aber nach und nach ebbte der Schmerz ab und zurück blieb nur ein unangenehmes, aber erträgliches Ziehen und Stechen.

Jesse brachte das Pferd in den verfallenen Stangencorral, sattelte und zäumte es ab und schaute versonnen zu, wie das Tier am Gras zu rupfen anfing. Er erwachte aus seiner dumpfen Trübsinnigkeit, überließ das Pferd sich selbst, begab sich wieder in sein Zimmer und warf sich auf das Bett. Die Erschöpfung übermannte ihn. Er schlief ein.


*


Jesse wurde aus seinem tiefen Schlaf gerissen, als er im Hof Geräusche vernahm, die er nicht sogleich zuordnen konnte. Er saß auf dem Bett und lauschte. Dann wusste er, dass es dumpfer, pochender Hufschlag und das Rattern eines Wagens waren. Um ihn herum war es stockfinster. Nur das Viereck des Fensters zeichnete sich heller ab. Die Geräusche im Hof brachen ab, ein prustendes Schnauben ertönte. Jesse schwang die Beine vom Bett, stemmte sich hoch und war mit zwei Schritten beim Fenster. Jemand rief: „Jesse!“

Es durchfuhr ihn wie ein Stromstoß. Der Klang der Stimme war ihm vertraut. Es war eine Frauenstimme - Lauras Stimme.

Jesse verschlug es die Sprache. Sein Puls begann zu rasen.

Da ertönte es wieder: „Jesse, ich weiß, dass du auf der Ranch bist. Das Pferd im Corral verrät es mir.“

„Laurie“, ächzte er mühsam, überwältigt von seinen Empfindungen. Er konnte die Konturen von Pferd und Wagen sehen. Es war ein leichter Buggy mit einem Verdeck. Mit der Finsternis darunter verschmolz Laura. Ihre Stimme echote durch sein Gemüt. Wie ein Beilhieb aber fuhr ihm unvermittelt in den Verstand, dass sie nicht auf ihn gewartet, sondern sich mit einem anderen Mann verlobt hatte. Er verhärtete innerlich und rief: „Was willst du hier, Laura?“ Er wählte mit Bedacht nicht die Koseform ihres Namens. „Duldet es dein Verlobter überhaupt, dass du mich mit deinem Besuch beehrst? Was wird dein Vater dazu sagen, der es sich mit Brad Barlow auf keinen Fall verscherzen möchte?“

Er konnte den schmerzlichen Zug nicht sehen, der über ihr Gesicht lief. Laura war der grimmige Sarkasmus in seinem Tonfall nicht entgangen. Sie erwiderte herb: „Ich bin hier, Jesse, weil ich dich sehen und mit dir sprechen will. Als ich heute am Abend erfuhr, dass du zurückgekehrt bist, hat sich für mich schlagartig vieles verändert.“

Jesse lachte bitter auf. „Wenn du gekommen bist, um mir zu sagen, dass ich wieder verschwinden soll, dann war dein Weg umsonst, Laura. Fahre zurück und bestelle deinem Verlobten, dass ich um die McKinney-Ranch kämpfen werde.“

Das Mädchen seufzte. „Bitte, Jesse, gib mir eine Chance. Ich muss dir einige Dinge erklären und …“ Sie sprang vom Wagen. Langsam näherte sie sich dem Haupthaus.

Jesse kämpfte mit sich. Gefühl und Verstand lagen in ihm in zäher Zwietracht. Schließlich siegte das Gefühl. Er rief rau: „Okay, Laura, ich komme hinunter.“

Dann stand er vor ihr. Mondlicht lag auf ihrem Gesicht. Sie war sehr ernst. Aus dem Mädchen, das er vor fünf Jahren zurückließ, war eine reife Frau geworden. Laura war jetzt dreiundzwanzig. Wie hypnotisiert starrten sie sich gegenseitig durch das Licht des Mondes an. Laura sah einen Mann, den die Jahre des Krieges und der Gefangenschaft geprägt hatten. Er wirkte älter als fünfundzwanzig. Entbehrungen, Strapazen und tausend Gefahren hatten tiefe Linien in seine Züge gegraben.

„Jesse“, flüsterte sie erstickt. Plötzlich aber straffte sich ihre Gestalt. Fest gab sie von sich: „Dad hat mir erzählt, was in der Stadt vorgefallen ist, Jesse.“

Er nickte. „Es war eine bittere Lektion.“ Er grinste verzerrt, grimassenhaft. „Meine Heimkehr hat unter keinem besonders glücklichen Stern gestanden.“

Laura senkte den Kopf. „Wir hörten anderthalb Jahre nichts von dir, Jesse, nicht ein Lebenszeichen kam von dir. Mit der Zeit glaubte auch ich daran, dass du gefallen seist.“

„Ja“, entrang es sich ihm kratzend. „Aber du bist sehr schnell darüber hinweggekommen. Und als dir nach dem Krieg dieser verdammte Yankee den Hof machte, hast du ihn erhört. Nun, Laurie -“, unbewusst redete er sie wieder so an wie früher, „- ich mache dir keinen Vorwurf. Der Krieg hat alles auf den Kopf gestellt. Wahrscheinlich war es sogar richtig, dass du nicht länger auf mich gewartet hast. Ich liege sozusagen mit der Nase im Dreck. Dein zukünftiger Mann aber ist reich und mächtig.“

Seine Worte trafen sie. Ein trockenes Schluchzen kämpfte sich in ihrer Brust hoch und brach über ihre Lippen. Sie stammelte: „Du bist wieder da, Jesse. Du bist nicht tot. Und solange du lebst, gibt es für mich keinen anderen Mann als dich.“

Seine Lippen sprangen auseinander. „Wie - wie soll ich das verstehen?“, keuchte er.

Sie sah ihn fest an. „Ich löse meine Verlobung mit Brad Barlow. Ich hätte es erst gar nicht so weit kommen lassen dürfen. Ich habe Brad keinen Augenblick lang geliebt. Gewiss, er ist ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, seine Absichten waren ehrlich, und ich könnte an seiner Seite das Leben einer Königin führen. Dennoch hätte ich seinem Werben nicht nachgegeben, wenn mich Dad nicht so gedrängt hätte. Er rechnete sich eine Menge Vorteile aus. Sicher ist daran nichts auszusetzen, und die Schuld liegt im Endeffekt bei mir. Ich war einfach nicht hart genug.“

Spontan legte Jesse ihr beide Hände auf die Schultern. „Nein“, flüsterte er rau. „Du kannst jetzt nicht alles hinschmeißen, Laurie. Barlow …“ Seine Stimme erstarb, denn ihm kam in den Sinn, dass er Brad Barlow den McKinney-Besitz wieder abjagen wollte. Das bedeutete Kampf. Laura würde zwischen den Fronten stehen. Hölle!, schoss es ihm durch den Kopf. Das ist ein Teufelskreis …

„Was, Jesse?“

„Es ist wohl das Beste, wenn ich fortreite“, erklärte er, einer jähen Eingebung folgend. Seine Hände rutschten von ihren Schultern.

„Es wäre am einfachsten für alle - für dich, mich und Brad Barlow“, pflichtete sie ihm bei. „Aber wenn du gehst, dann nicht ohne mich. Ich verlasse mit dir das Land. Ziehen wir in den Westen. Dort …“

„Ich habe nichts, Laurie. Wir würden beide vor die Hunde gehen. Ein Leben an meiner Seite wäre für dich die Hölle. Das kann ich dir nicht zumuten.“

„Dann bleib hier und kämpfe, Jesse!“, stieß sie hart hervor. „Nimm auf mich keine Rücksicht.“

„Mit den bloßen Händen?“, fragte er sarkastisch.

„Dad hat sich dir gegenüber schäbig benommen. Er ist ein Feigling, aber er kann nicht aus seiner Haut. Ich habe fünfhundert Dollar für dich dabei, Jesse. Mit dem Geld kannst du dich in San Antonio vernünftig ausrüsten.“

„Ich kann dein Geld nicht annehmen, Laurie“, sagte er kehlig.

„Das wäre falscher Stolz“, murmelte sie. „Du brauchst Geld. Andernfalls bist du chancenlos. Betrachte es als Darlehen, aber nimm es. Und dann reite nach San Antonio.“

Er war hin- und hergerissen. Aber es gibt Augenblicke im Leben eines Mannes, in denen er sich überwinden und seinen Stolz besiegen muss. Ein solcher Moment war in Jesses Leben eingetreten. Er sagte abgehackt: „Gut, Laurie. Ich nehme das Geld. Was deinen Entschluss anbetrifft, dich von Barlow zu trennen, so solltest du dir das noch einmal gut überlegen. Zwischen heute und dem Versprechen, das wir uns gaben, liegen fünf Jahre. Ich entbinde dich von deinem Wort. Du bist mir zu nichts verpflichtet.“

„Soll ich mich an Brads Seite gegen dich stellen?“, entrüstete sie sich.

„Ich frage mich, ob es Sinn hat, den Kampf um die McKinney-Ranch aufzunehmen.“ Jesse machte eine Pause, als formuliere er seine nächsten Worte zuerst im Kopf, ehe er sie aussprach. Dann meinte er: „Du hättest nicht herkommen dürfen, Laurie. Es hätte mir den Entschluss einfacher gemacht.“

„So darfst du nicht sprechen, Jesse. Triff deine Entscheidung, damit ich mich danach richten kann.“ Es war drängend und fast ein wenig ungeduldig aus ihrem Mund geströmt. Ihre Augen erforschten sein Gesicht und lasen darin, als wollte sie seine geheimsten Gedanken ergründen.

Jesse hob die Hände, ließ sie resignierend wieder sinken und zuckte mit den Achseln. „Zunächst folge ich deinem Rat und reite nach San Antonio, um mir alles, was ich brauche, zu besorgen. Dann mache ich mich auf den Weg, um Wade zu finden. Er ist drauf und dran, ein Outlaw zu werden und …“

„Er ist ein Outlaw!“, schnitt Laura ihm schroff das Wort ab. „Auf das Konto der Bande geht bereits ein Mord. Dein Bruder und seine Kumpane sind für vogelfrei erklärt.“

„Ich muss Wade finden“, murmelte er betrübt. „Vielleicht war es nicht seine Kugel, die den Clerk getötet hat. Für Postkutschen- und Bankraub kann er nicht gehängt werden. Ich kann Wade nicht sich selbst überlassen.“

„Und wenn du ihn gefunden hast?“

„Dann entscheide ich mich, ob ich zurückkehre und kämpfe oder ob ich anderswo versuche, Fuß zu fassen.“

„Diesmal warte ich auf dich, Jesse. Und solltest du nicht wieder zurückkehren, dann lass es mich wissen, wo du dich niederlässt, damit ich dir folgen kann.“

Er konnte nicht mehr anders. Er schlang seine Arme um sie und drückte sie an sich. Und dann küsste er sie. Sie erwiderte seine Küsse; innig und voll brennender Leidenschaft.


*


Jesse erholte sich in San Antonio drei Tage lang, dann verließ er die Stadt in nordwestlicher Richtung. Jesses Ziel war Tascosa. Dort war Wade, sein jüngerer Bruder, zuletzt in Erscheinung getreten. Dort wollte er seine Fährte aufnehmen.

Jesse ritt einen hochbeinigen Rotbraunen mit breiter Brust, die kräftige Lungen verriet. Er hatte sich neu eingekleidet. Im Scabbard steckte ein Remington Karabiner, um seine Hüften schlang sich ein Revolvergurt mit einem Navy Colt im Holster. Es war ein Colt vom Single-Action-Prinzip, also ein Vorderlader, der umständlich zu laden war und erst abgeschossen werden konnte, wenn der Hahn vorher gespannt wurde. Patronenrevolver gab es in den Jahren nach dem Sezessionskrieg noch nicht.

In verschiedenen kleinen Ledertaschen am Gurt befanden sich Pulver, Verdämmungspfropfen, fertig gegossene Bleikugeln und Zündhütchen. In Jesses Satteltaschen waren außerdem noch eine Reihe anderer Dinge, die ein Mann auf einem langen Trail benötigte. An seinem Sattel hingen zwei filzumnähte Feldflaschen aus Blech. Er war gerüstet für den Ritt quer durch Texas.

Vor ihm lagen fünfhundert Meilen Wildnis und Gefahr. Wenn auch die Tage noch ziemlich warm waren, so war es in den Nächten schon bitterkalt. Rastlosigkeit trieb ihn voran. Die Last der Tatsache, dass Wade ein steckbrieflich gesuchter Bandit geworden war, drohte ihn zu erdrücken. Finstere Ahnungen quälten ihn, und er hatte immerzu das Gefühl, zu spät zu kommen.

Nach über drei Wochen gelangte er in Tascosa an. Es war um die Mittagszeit. Es handelte sich um einen mittelgroßen Ort am Canadian River mit allem, was eine Stadt ausmachte. Als Jesse das einstöckige Gebäude der „Bank of Texas“ passierte, verspürte er ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern, und sein Herz schlug einen heftigeren Rhythmus. In der Bank war ein Mann von einer Banditenkugel getötet worden, und es war nicht auszuschließen, dass es Wades Kugel gewesen war.

Jesse schaute sich um. Die Passanten auf den Gehsteigen beachteten ihn kaum. Er machte einem Fuhrwerk Platz, der Mann auf dem Kutschbock bedankte sich, indem er an die Krempe seines Hutes tippte, und dann traf Jesses Blick ein riesiges Schild mit der Aufschrift ‚Sheriff‘s Office und Jail‘. Auf dem Vorbau döste ein Mann in einem Schaukelstuhl vor sich hin. An seiner Weste funkelte der Sechszack. Jesse ritt hin. Als er absaß, hob der Sheriff den Kopf und musterte ihn unter halb gesenkten Lidern hervor. Jesse stieg auf den Vorbau, nickte dem Gesetzeshüter zu und widmete sich der Anschlagtafel mit öffentlichen Bekanntmachungen und einigen Steckbriefen. Wades Steckbrief konnte er nicht entdecken.

Die Vorbaudielen ächzten, Stiefelleder knarrte. Jesse schaute über die Schulter und blickte in das gestraffte, ausdruckslose Gesicht des Sheriffs.

„Suchen Sie was Bestimmtes, Stranger?“, fragte der Gesetzeshüter und studierte aufmerksam Jesses Züge.

Jesse wandte sich um und sah ihn an. „Wollte nur mal einen Blick auf die Steckbriefe werfen.“ Er schob die Hände flach hinter den Revolvergurt. „Sind ja einige ziemlich große Fische unter den Kerlen, die gesucht werden. Allerdings vermisse ich die Steckbriefe von Wade McKinney und seinen Kumpanen.“

Misstrauen flackerte in den Augen des Sheriffs. Für Jesse war Vorsicht angesagt. Er durfte sich auf keinen Fall als Wades Bruder zu erkennen geben.

„Kennen Sie McKinney?“, fragte der Sheriff.

„Nicht direkt. Ich weiß nur, dass jeder der Kerle fünfhundert Bucks wert ist. Tot oder lebendig.“

„Es sind Bankräuber und Mörder“, dehnte der Sternträger. „Vor einigen Wochen stattete die Carsey-Bande Tascosa einen höllischen Besuch ab. Als sie die Stadt wieder verließ, war die Bank um zwanzigtausend Bucks ärmer, und der Clerk war verblutet.“

Jesse wandte sich wieder den Steckbriefen zu. Der Sheriff trat neben ihn und fragte lauernd: „Weshalb interessieren Sie sich für diese Kerle?“

„Nun ...“ Jesse wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

Der Sheriff betrachtete sein Gesicht vom Profil. „Ist es wegen der Prämien?“

Jesse verzog den Mund. „Von etwas muss der Mensch schließlich leben“, murmelte er.

Die Miene des Sheriffs verschloss sich. Er grunzte verächtlich: „Sie sind Kopfgeldjäger. Ein schmutziger Job, Stranger.“

Jesse drehte sich ihm wieder zu. „Ein Job wie jeder andere auch. Also, Sheriff, weshalb hängen keine Steckbriefe von Carsey, McKinney und den anderen Banditen aus?“

„Es bedarf keiner Fahndung mehr. Man hat den Schuften die Flügel gehörig gestutzt. Sie sitzen in Borger im Gefängnis und warten auf den Strick.“

Jesse erschrak. Der Sheriff deutete seine Reaktion falsch. Er knurrte: „Ich weiß zwar nicht, woher Sie kommen, Mister, aber ich denke, Sie haben einen verdammt langen Trail hinter sich. Nun, die Mühe war umsonst. Carsey und seine Banditen sind rechtskräftig verurteilt, und das Urteil wird - soweit ich weiß - nächste Woche vollstreckt.“

Jesse verspürte einen dicken Kloß im Hals. Er verließ den Vorbau. Es gelang ihm nicht, den Aufruhr seiner Empfindungen unter Kontrolle zu bringen. Borger!, hämmerte es durch sein Bewusstsein. Er erinnerte sich an einen Wegweiser, den er draußen vor der Stadt gesehen hatte.

Borger, 45 miles, stand auf dem verwitterten Schild, und es wies nach Nordosten.

Der Sheriff rief ihm hinterher: „Nehmen Sie‘s nicht tragisch, Mister. Es laufen noch genügend Kerle frei herum, die nach dem Krieg auf die schiefe Bahn geraten sind. Wenn Sie gut sind, können Sie sich als Menschenjäger ein Vermögen verdienen.“

Die Verachtung in den Worten des Sheriffs berührte Jesse nicht. Gedankenvoll stapfte er zu seinem Pferd.


*


Gegen Abend des darauffolgenden Tages war Jesse in Borger. Die Stadt glich einem Ameisenhaufen. Überall am Fahrbahnrand standen leichte Wagen, hier und dort sah Jesse ein schwereres Gefährt, wie es auf Farmen und Ranches verwendet wurde. An den Haltebalken drängten sich Pferde. Die Gehsteige waren dicht bevölkert. Stimmengebrodel hing in der Luft. Aus einem Saloon drang wüster Lärm. Der einzelne Reiter wurde nicht beachtet. Düstere, unheilvolle Ahnungen durchströmten Jesse. Nur wenn ein Schauspiel besonderer Art bevorstand, zog es eine derartige Menschenmenge in eine Stadt.

Bald konnte er den Grund erkennen. Mitten auf der Main Street, direkt vor dem Sheriff‘s Office, waren einige Handwerker damit beschäftigt, einen Galgen aufzubauen. Die Plattform mit den Stufen stand schon. Durch eine etwa drei Yards lange, rechteckige Öffnung, in die die Falltür noch nicht eingesetzt war, sollten die Delinquenten fallen. Gerade wurden die dicken Seitenstempel aufgestellt. Der schwere Querbalken lag auf dem Podest. Viele Gaffer standen Schulter an Schulter und schauten zu.

Schnell wurden die Schatten länger. Sie krochen über die Fahrbahn und stießen gegen die Häuserfronten. Jesse lenkte seinen Blick zum Sheriff‘s Office. Das Jail musste im Rückgebäude untergebracht sein. Vom Vorbau aus überwachte der Sheriff die Arbeit der Zimmerleute. Zwei mit Colts und Gewehren bewaffnete Männer befanden sich bei ihm. Die drei wechselten ab und zu ein Wort. Jesse saß ab und zog den Rotbraunen zu einem Holm, stellte ihn in die Reihe der anderen Tiere und leinte ihn lose an.

„Wann soll die Hängepartie stattfinden?“, erkundigte er sich bei einem Mann, der aus dem Schatten eines Vorbaudaches den Aufbau des Galgens beobachtete.

„Übermorgen früh“, erhielt er zur Antwort „Die vier Hundesöhne sollen gleichzeitig hängen. Das hat es hier noch nie gegeben. Die Menschen kommen von überall her, sogar aus Oklahoma und New Mexico. Sind Sie nicht wegen der Hinrichtung nach Borger gekommen, Stranger?“

„Nein“, murmelte Jesse heiser. „Ich bin zufällig hier.“

Hammerschläge erreichten sein Gehör. Sie klangen wie ein Gruß aus der Hölle, und Jesse verspürte eine Gänsehaut auf dem Rücken. Er fragte: „Was haben die vier ausgefressen?“

Entgeistert schaute ihn der Mann von der Seite an. „Sie sind wohl vollkommen ahnungslos, Mister. Es handelt sich um die Carsey-Gang. Bankraub, Postkutschenüberfall, Mord - das alles geht auf das Konto dieser Bluthunde.“

Jesse fühlte in sich eine tiefe Beklemmung. Er sprach aus, was ihm auf den Lippen brannte: „Ich dachte, die Carsey-Bande besteht aus fünf Mitgliedern.“

Der Mann lachte klirrend auf. „Einer der Schufte schmort bereits in der Hölle. Er bekam ein Stück Blei zwischen die Augen, als unsere Falle zuschnappte. Er war verrückt genug zu versuchen, sich den Weg aus der Stadt freizuschießen.“ Wieder lachte der Bursche.

Eine Welle der Erregung durchlief Jesse. „Welchen der Kerle hat es erwischt?“, fragte er mit einer Stimme so trocken wie Wüstensand.

„Tom Hunter. Die anderen Strolche waren klug genug aufzugeben. Aber wahrscheinlich beneiden sie Hunter jetzt. Der Tod durch eine überraschende Kugel ist gewiss leichter, als sich am Ende eines Strickes den Hals zu brechen.“

Langsam atmete Jesse aus. Irgendwie war er erleichtert, weil Wade noch lebte. Wenn auch die Lage für ihn ziemlich aussichtslos war. Jesse wusste nicht, was er tun sollte, er hatte keine Ahnung, was er tun konnte. Er wusste nur, dass er nicht zusehen würde, wie sein Bruder aufgehängt wurde. Eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht hatte er Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Nicht ganz sechsunddreißig Stunden.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738963038
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juli)
Schlagworte
pete hackett western edition

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: ​Bleib hier und kämpfe! Pete Hackett Western Edition 53