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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
© Roman by Author / COVER EDWARD MARTIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Dakota: Pete Hackett Western Edition 51
Western von Pete Hackett
Der ehemalige Scout Broken Feather findet auf dem Heimweg eine brennende Ranch mit mehreren Toten. In einer Buschgruppe liegt allerdings ein unversehrtes Kleinkind. Broken Feather nimmt den Jungen, Jim Logan, mit zu seinem Stamm, den Dakotas, und erzieht ihn als seinen Sohn. Ungefähr zwanzig Jahre später erzählt Broken Feather dem jungen Mann seine Geschichte, denn in der Zwischenzeit hat er die Identität der Mörder und Brandstifter - mittlerweile haben alle sich ein Leben in Wohlstand in der Stadt Sheridan aufgebaut - herausgefunden. Jim zögert nicht lange und macht sich auf den Weg, um Rache an den Mördern seiner Familie zu nehmen.
Über den Autor
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G. F. Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G. F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-Book bei CassiopeiaPress.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress
Broken Feather, der Sioux, der bis vor wenigen Tagen Scout bei den Blauröcken in Fort Collins gewesen war, hielt seinen Rappwallach an. Witternd hob er den Kopf. Das Mond- und Sternenlicht vermochte die Nacht kaum aufzuhellen. Ringsum waren die dunklen, drohend anmutenden Silhouetten der Hügel. Linker Hand floss der Michigan Creek. Das Rauschen und Gurgeln des Flusses erfüllte die Finsternis.
Der laue Nachtwind trieb dem Indianer Brandgeruch entgegen. Auch das Pferd schien ihn wahrzunehmen. Es schnaubte mit geblähten Nüstern.
Broken Feather ruckte im Sattel und schnalzte mit der Zunge. Der brenzlige Geruch wies ihm den Weg. Der Rappwallach trug ihn zwischen die Hügel, weg vom Fluss.
Es ging eine langgezogene Anhöhe hinauf. Seit der Scout den Brandgeruch wahrgenommen hatte, war ungefähr eine halbe Stunde vergangen. Oben, auf dem Scheitelpunkt der Bodenerhebung, parierte Broken Feather das Pferd. Unten, in der Senke, brannte es. Die Flammen züngelten nur noch aus dem Haufen Schutt, der einmal ein Haus mit Ställen und Scheunen gewesen war. Überall glomm und glühte es. Der gemauerte Kamin ragte wie ein Mahnmal des Verderbens aus dem Brandschutt.
Broken Feather ritt hinunter. Der Sioux sah den aufgewühlten Staub rings um die niedergebrannten Gebäude. Hier und dort glänzte matt eine Patronenhülse. Die Hitze, die von den glühenden Überresten ausging, streifte das zerfurchte Gesicht des Indianers.
Er saß ab. Da lag ein Mann auf dem Gesicht, ein Mann in Cowboykleidung. Broken Feather drehte ihn auf den Rücken. Der Tote war höchstens Mitte Zwanzig. Maßloser Schrecken verzerrte die erstarrten Züge.
Broken Feather ging weiter. Er fand einen weiteren Toten. Es handelte sich um einen älteren Mann, dessen Gesicht große Ähnlichkeit mit dem des jüngeren aufwies. Der Indianer sagte sich, dass es sich wohl um Vater und Sohn gehandelt hatte. Er richtete seinen Blick auf die verkohlten Trümmer. Wer nicht mehr aus dem Haus gekommen war, hatte darunter sein Grab gefunden. Hier musste der Satan persönlich am Werk gewesen sein. Broken Feather spürte, wie das Grauen in ihm hochkroch.
Er vernahm ein Stöhnen. Es klang abgerissen, ersterbend. Der Sioux duckte sich ab, nach allen Seiten sichernd. Das Röcheln wiederholte sich. Vorsichtig glitt Broken Feather auf eine Buschgruppe zu, die sich von einem der Corrals aus nach Süden erstreckte. Er fand einen Mann. Der Bursche war bärtig und warf seinen Kopf hin und her. Unartikulierte Laute brachen über seine Lippen. Sofort war dem Sioux klar, dass er sich in der Halbwelt der Trance befand, dass es Fieberträume waren, die ihn schüttelten.
Broken Feather lief zu seinem Pferd und holte die Wasserflasche. Behutsam träufelte er etwas von dem Wasser zwischen die zuckenden Lippen des Verwundeten, der plötzlich zu schlucken begann. Im unwirklichen Licht der züngelnden Flammen, das über sie hinweg geisterte, sah Broken Feather den Mann die Augen aufreißen. Seine Lippen sprangen auseinander. »Lee - nimm mich mit - Lee, du kannst mich hier nicht vor die Hunde gehen lassen - Atkins …«
Der Sterbende fiel zurück. Seine Lider flatterten. Broken Feather wusste nun, dass es sich um einen der Banditen handelte, den seine Komplizen zurückgelassen hatten, weil er sie nur behindert hätte. Dass sie ihn nicht töteten, um Verrat auszuschließen, war wohl darauf zurückzuführen, dass sie ihn für tot hielten.
Plötzlich zuckte der Sioux herum. Er glaubte, ein leises Wimmern vernommen zu haben. Er verharrte in seiner kauernden Stellung und horchte angespannt. Da, wieder! Es war ein kaum wahrnehmbares, verzweifeltes Weinen.
Es riss den Scout förmlich hoch. Er verschraubte die Flasche, hängte sie sich an dem langen Lederriemen über die Schulter und hastete über den vom zuckenden Lichtschein erhellten Platz auf eine Gruppe von Zedern zu, unter denen dichtes Gestrüpp wucherte. Das Weinen wurde lauter. Es schnitt den Indianer ins Herz. Und dann fand er einen kleinen Jungen, der sich in den Büschen verkrochen hatte wie ein junges, angsterfülltes Tier.
Er hob den Knaben auf seinen Arm. Er war höchstens zwei Jahre alt und hatte wahrscheinlich schon so viel geweint, dass seine Stimmbänder nur noch ein jämmerliches Wimmern zuließen. Das Kind klammerte sich an den Mann. Die kleinen Fäuste verkrampften sich regelrecht in der Wildlederjacke des Scouts.
Was mochte das Kind in dieser Nacht an Schrecklichem, an Grauenhaftem durchgemacht haben?
»Schon gut, Kleiner«, murmelte Broken Feather und hatte Mühe, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Es wird wieder gut …«
Seine Worte klangen banal angesichts des Grauens, das ihn und den Knaben umgab. Aber irgendwie musste er dem Kleinen beruhigend zureden. Er sollte spüren, dass er nicht mehr allein war. Der Indianer drückte den Jungen fest an sich und strich ihm unablässig über die zerzausten dunklen Haare. Das Kind grub sein Gesicht in den weichen Stoff der Jacke des Roten. Die schmalen Schultern bebten, der Kleine zitterte.
In der Ferne erklang Hufschlag und schwoll schnell an.
Broken Feather lief zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel, setzte das Kind vor sich zurecht, hielt es mit dem linken Arm fest und griff mit der Rechten nach den Zügeln.
Der ehemalige Scout trieb den Wallach die Hügel hinauf und lenkte ihn in eine Buschgruppe. Er wollte abwarten. Wenn dort Männer aus der Stadt kamen, würde er sich ihnen zeigen und den Jungen übergeben. Waren es aber die Banditen, die zurückkehrten, nun, dann würden sie niemals auf die Idee kommen, dass sich hier oben jemand versteckt hielt.
Der Sioux saß ab und hob das Kind aus dem Sattel. Den Jungen auf dem Arm, bezog er am Rande der Buschgruppe Stellung und beobachtete. Der Hufschlag prallte immer deutlicher heran. Es war ein ganzer Trupp, der sich der zerstörten Ranch näherte. Der Junge schien sich beruhigt zu haben. Aber er klammerte sich nach wie vor an den Mann, als wollte er ihn nie wieder loslassen.
Unten zogen die Reiter in das Blickfeld des Sioux. Licht und Schatten flossen über sie hinweg. Betroffene Rufe erschallten, eine raue Stimme schrie einen Befehl, und dann brach der pochende Hufschlag ab. Die Männer - es waren über ein halbes Dutzend - sprangen von den Pferden. Gewehre flogen aus den Scabbards. Die Metallteile reflektierten das Licht der flackernden Flammen.
Die Männer verteilten sich, schwärmten auseinander. Einmal glaubte Broken Feather, das Abzeichen eines Sheriffs oder Marshals an der Brust eines der Reiter blinken zu sehen. Aber er war sich nicht sicher. Also hielt er sich zurück. Er sah zu, wie der Bandit, dem er zu trinken gegeben hatte, in die Helligkeit getragen wurde. Sie legten ihn auf den Boden.
Stimmengemurmel erreichte sein Gehör. Es brach ab, kam wieder auf, und dann sprach nur noch ein Mann. Was er von sich gab, konnte der Indianer nicht verstehen. Die Entfernung war zu groß, außerdem stand der Wind ungünstig. Aber er ahnte, dass die Reiter sich berieten.
Broken Feather beschloss, sich den Männern zu zeigen. Er ging zu seinem Pferd und zog es am Zügel hinter sich aus dem Gebüsch. Das Tier schnaubte. Ein Zweig peitschte vom Körper des Indianers zurück und traf es empfindlich auf die Nase. Ein trompetendes Wiehern erhob sich über den Hügel. Unten wirbelten die Männer herum. Waffen flogen in den Anschlag. Die Reiter waren nervös und angespannt. Der kalte Hauch des Todes hatte sie berührt, und nun brachen sich Anspannung und Nervosität unwillkürlich Bahn. Ohne mit der Wimper zu zucken, eröffneten sie das Feuer. Lichtblitze zuckten hangaufwärts, das Hämmern der Schüsse verschmolz zu einem explosionsartigen Donner.
Aber sie schossen blindlings, denn Broken Feather und das Pferd waren vor der schwarzen Kulisse der Buschgruppe nicht auszumachen. Schnell zog sich der Indianer zurück. Er hörte in das Verrollen der letzten Salve hinein einen Mann brüllen: »In die Sättel, Leute, das ist einer von den Schuften. Wir holen ihn uns!«
Broken Feather ahnte, dass diese Kerle zuerst schießen und dann die Fragen stellen würden. Also zog er es vor, zu verschwinden. Er überlegte, ob er den Knaben nicht einfach zurücklassen sollte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, weil er befürchtete, dass die Possenreiter auf alles schossen, was sich in der Dunkelheit bewegte.
Broken Feather kletterte in den Sattel und trieb sein Pferd den der Ranch abgekehrten Hang hinunter. Nördlich begannen die Medicine Bow Berge, und in diesen Bergen lebte der Stamm des Roten, lebten die Dakotas.
*
Weit hinter dem Rücken des Indianers trommelte der Hufschlag der Verfolgertiere. Er ließ den Rappwallach laufen. Fest hielt er den Knaben vor sich. Es ging hügelauf und hügelab, an langgezogenen Buschgürteln entlang, durch Senken und über Hochebenen. Broken Feather musste Rücksicht auf den Jungen nehmen. Oftmals hielt er an, um hinter sich zu lauschen. Sie kamen wie die wilde Jagd. Aber manchmal versank ihr Hufgetrappel in der Stille, wenn sie anhielten, um sich an den Geräuschen zu orientieren, die sein Pferd verursachte und die weit durch die Nacht zu hören waren.
Je länger er durch die Nacht fegte, umso schriller durchpeitschte den ehemaligen Scout die unerbittliche Stimme, die ihn einen elenden Narren schalt. Durch seine Flucht hatte er für den Fall, dass sie ihn erwischten, seine Glaubwürdigkeit vollkommen erschüttert. Denn wer floh schon vor dem Gesetz, wenn er keinen Dreck am Stecken hatte. Dass es sich bei den Reitern, die auf seiner Spur klebten wie die Kletten, um Männer des Gesetzes handelte, davon war er inzwischen überzeugt.
Aber da war noch etwas. Da war der Junge. War es richtig gewesen, ihn mitzunehmen? Er war ein Indianer, wenn er auch viele Jahre für die Armee gearbeitet hatte. Das änderte nichts daran, dass er eine rote Haut hatte. Und in den zurückliegenden Indianerkriegen waren oftmals die Eltern weißer Kinder umgebracht, die Kinder aber entführt worden. Sie wurden in den Dörfern zu Kriegern erzogen und gegen ihre eigene Rasse in den Kampf geschickt. Man lernte sie zu hassen und zu töten.
Sah seine Flucht mit dem weißen Knaben nicht ebenfalls nach Entführung aus?
Er kam zu dem Ergebnis, dass es sein zweiter Fehler gewesen war, den Jungen mitzunehmen. Aber nun war es zu spät, um seine Fehler rückgängig zu machen.
Die Gegend wurde immer hügeliger und unwirtlicher. Der Junge saß still vor dem Indianer auf dem Pferd. Wahrscheinlich war er noch zu klein, um das Unglück, das in dieser Nacht über seine Familie hereingebrochen war, zu erfassen. Er würde die schrecklichen Bilder vergessen.
Der Indianer stob in eine Senke, die von terrassenförmigen Höhenzügen umschlossen war. Der Geruch von blühendem Salbei hing in der Luft. Es gab hier keine Bäume, nur riesige Dogwoodbüsche und hartes, trockenes Gras.
Der Blick des Sioux streifte über den östlichen Horizont. Der neue Tag kündigte sich noch nicht an. Da war nur millionenfaches Sternengeflimmer. Broken Feather parierte das Pferd. Er drehte seinen Oberkörper und lauschte. Sie ritten nach wie vor auf seiner Fährte. Der Hufschlag war deutlich zu vernehmen.
Der Sioux durchritt das Tal, folgte dann einem ansteigenden Weg zu einem Bergsattel, lenkte das Pferd darüber hinweg und hielt sich im Schattenfeld eines steilen Hanges.
Erneut öffneten sich die Hügel, weiteten sich zu einem Becken. Es wurde zu beiden Seiten von bewaldeten Anhöhen begrenzt. Weit oben im Norden liefen diese Hügelketten zusammen und schlossen in einem weiten Halbkreis das Tal ab.
Darauf hielt der Scout zu. Er spürte, wie der Junge vor ihm erschauderte. Nun, die Nacht war kühl, und der Kleine trug nur dünne Kleidung. Wahrscheinlich fror er erbärmlich. Broken Feather zügelte, sprang vom Pferd, zog seine Wildlederjacke aus und schlug sie um den mageren, knochigen Körper des Knaben. Durch die Dunkelheit sah er die großen Kinderaugen auf sich gerichtet, und ein seltsames Gefühl durchströmte diesen harten Mann. Er tätschelte dem Kind die Wangen.
»Bald bist du in Sicherheit, mein Junge«, murmelte er mit belegter Stimme. »Bald …«
Er schwang sich wieder auf das Pferd und ritt weiter. Die Kälte kroch durch sein Hemd. Er ignorierte sie.
Die Spur des Pferdes war im hohen Gras deutlich auszumachen. Es würde Stunden dauern, bis die Halme sich wieder aufrichteten. Die Verfolger aber waren nur Minuten hinter ihm. In der Ferne, irgendwo im Gewirr der staubigen Senken, bewaldeten Höhenkämme und schattigen Canyons hausten seine Leute. Broken Feather dachte daran. Er fragte sich, warum das Schicksal ausgerechnet ihn zu der brennenden Ranch geführt hatte. Fünf Jahre hatte er bei den Langmesser-Soldaten gedient. Er war ein hervorragender Scout gewesen. Dann hatte er seinen Dienst quittiert, um zu seinem Stamm zurückzukehren. Er hatte viel gelernt bei den Weißen, Dinge, die auch für das Überleben der Indianer von großer Wichtigkeit waren.
Er trieb das Pferd an. Die Hufe wirbelten. Der Weg bohrte sich zwischen die bewaldeten Hügel im Norden. Er führte durch mannshohes Gestrüpp, dessen Ranken und Geäst so dicht ineinander verflochten waren, dass sie fast undurchdringliche Hecken bildeten. Dann kam der Wald. Eine schwarze, drohende Front. Zwischen den Stämmen wob tintige Finsternis. Die dichten Kronen der Bäume filterten das Mond- und Sternenlicht so sehr, dass kaum ein Lichtkringel den Boden, diesen weichen Teppich aus abgestorbenen Nadeln, erreichte, der den Hufschlag nahezu verschluckte.
Es ging immer tiefer in den Wald hinein. Irgendwo schrie ein Kauz. Schrill und durchdringend. Das Terrain stieg an. Der Boden wurde immer fester, und dann tackten die Hufe wie über blankes Gestein. Die Kiefern, Fichten und Tannen wurden spärlicher, und schließlich ließ Broken Feather sie ganz hinter sich.
Der Hang schwang sich immer steiler nach oben. Der Aufstieg bereitete dem Rappwallach Probleme. Wie Säulen stemmte er seine Hinterbeine gegen das Zurückgleiten. Seine Lungen pumpten. Er röchelte und röhrte, seine Flanken zitterten von der Anstrengung, sein Fell war nass vom Schweiß. Und dann war der Weg zu Ende. Denn der Hang war von einer etwa acht Yards hohen, senkrechten Felswand unterbrochen. Oberhalb dieser zerklüfteten Wand, die sich wie ein Gürtel nach Osten und Westen zog, erhoben sich wieder sturmzerzauste Nadelbäume.
Broken Feather folgte der Felswand nach Westen. Dann ritt er in eine finstere Schlucht, die die Felswand spaltete. Kalte Luft strömte Broken Feather entgegen. Noch einmal horchte er hinter sich. Minutenlang. Aber von den Verfolgern war nichts mehr zu hören. Der Sioux atmete tief durch. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. Wahrscheinlich hatten sie in der Finsternis unter den Bäumen, spätestens aber auf dem felsigen Untergrund seine Spur verloren.
Er drückte den Kinderkörper eng an sich. Der Kopf des Knaben baumelte vor der Brust. Der Junge war vor Erschöpfung eingeschlafen. Ein Gefühl der Rührung, aber auch des Mitleids wurde in dem Roten übermächtig.
*
Er verkroch sich an einer windgeschützten Stelle in der Schlucht, wickelte das Kind in seine Decken und legte es auf ein weiches Lager, das er aus Zweigen und Blättern bereitet hatte.
Der Junge wimmerte im Halbschlaf, dann verkündeten ruhige Atemzüge, dass er tief und traumlos schlief. Der kleine Körper verlangte einfach sein Recht.
Broken Feather setzte sich mit dem Rücken gegen den Fels, bohrte die Fersen in die Erde und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Auch er war müde. Er fühlte sich zerschlagen. Seit fast vierundzwanzig Stunden hatte er im Sattel gesessen. Das zehrte auch an den Kräften des härtesten Mannes. Er spürte die Erschöpfung bleischwer in den Gliedern.
Der letzte Eindruck, den er mit in das Reich der Träume nahm, war sein Pferd, das er schemenhaft in einigen Schritten Entfernung unter einer Felsleiste am Boden liegen sah und das rasselnd schnaubte. Um Broken Feather herum versank die Welt.
Ein durchdringendes Fauchen riss ihn hoch. Um ihn herum war es hell. Der Rappwallach gebärdete sich wie verrückt. Außer Rand und Band zerrte er an der Leine, die der Sioux um den Ast eines Busches geschlungen hatte. Er brach auf der Hinterhand ein und wieherte. Und wieder ertönte das wütende Fauchen. Das Pferd steilte und schleuderte den rassigen Kopf in den Nacken.
Dann sah Broken Feather die Katze, die sprungbereit auf der Felsleiste lag, deren Schweif peitschte, die die gefährlichen Reißzähne zeigte und deren Fauchen dem Mann durch Mark und Bein drang.
Ein Berglöwe! Er hatte gelbrotes Fell. Seine Nackenhaare waren gesträubt. Der Indianer sah das funkelnde grünliche Augenpaar und griff nach dem Gewehr, dessen Kolben aus dem Sattelpacken ragte, der neben ihm lag. Die Waffe schwang aus dem Scabbard, Broken Feather riss den Ladebügel durch. In diesem Moment stieg der Rappwallach. Er kreiselte völlig außer sich vor Angst auf der Hinterhand herum. Der Puma schnellte von dem Felsvorsprung. Der Sioux glaubte das Schnappen seiner gierigen Fänge zu hören. Mit giftigem Fauchen landete er auf dem Rücken des Pferdes. Die scharfen Krallen bohrten sich in das Fell des Tieres. Der Strauch hielt dem Zug durch den schweren Pferdekörper nicht mehr stand. Mit einem Ruck wurde er entwurzelt.
Broken Feather riss den Gewehrkolben an die Schulter, zielte kurz und schoss. Der Schussdonner staute sich in der Schlucht, stieg an den Felswänden hoch und verhallte in vielfältigen Echos.
Aber das Pferd hatte sich von grenzenloser Panik erfasst herumgeworfen, die Kugel verfehlte ihr Ziel. Der Puma verlor den Halt und landete auf allen Vieren am Boden, duckte sich ab und schnellte erneut auf das Pferd zu. Wiehernd stob das Tier davon. Der Busch hüpfte wie ein riesiger Ball nebenher. Die Katze wirbelte herum, ein langgezogenes, giftiges Fauchen kam aus ihrem aufgesperrten Rachen. Es steigerte sich zu einem schrillen Misston, brach jedoch jäh ab, als der Indianer erneut schoss. Die Katze überschlug sich in dem Moment, als sie sich vom Boden abstieß, um den Mann anzufallen. Ihr Schwanz peitschte den Boden, und plötzlich lag sie still.
Broken Feather setzte das rauchende Gewehr ab und wandte sich dem Kind zu, das auf den Decken saß und sich schlaftrunken die Augen mit den kleinen Fäusten rieb. Der Sioux kniete bei ihm ab.
»Alles okay, Kleiner«, murmelte er sanft und legte dem Knaben die Hand auf die Schulter. »Sag mal, Junge, kannst du schon sprechen? Hast du einen Namen?«
Das Kind schaute argwöhnisch. Es hatte diesen dunkelgesichtigen Mann mit den zerklüfteten Zügen nie zuvor bei Tageslicht gesehen. Und das kindliche Gemüt begriff nicht, dass dieser fremde Mann nichts Böses wollte. Der Junge fing plötzlich an zu weinen. »Mom.« Er heulte. »Mom …«
Der Hufschlag des fliehenden Pferdes war verklungen. Broken Feather strich dem Jungen beruhigend über den bebenden Rücken. »Ich werde dich Little Feather nennen«, murmelte er, und seine Stimme klang brüchig. »Ja, Kleine Feder. Ich werde dich als meinen Sohn erziehen.«
Dann aber kam die Ratlosigkeit. Er befand sich mitten in der Wildnis der südlichen Ausläufer der Medicine Bow Berge. Er war ohne Pferd. Weit oben im Norden waren die Dörfer der Dakotas. Und er wusste nicht, ob seine Verfolger wirklich aufgegeben hatten. Vielleicht ritten sie kreuz und quer durch die schweigsame Bergwelt, bemüht, seine Spur wieder aufzunehmen. Wenn das so war, dann konnte er davon ausgehen, dass die beiden Schüsse gehört worden waren. Sie würden dem Aufgebot den Weg weisen.
Der Junge beruhigte sich nur langsam. Broken Feather rollte die Decke zusammen. Dann holte er aus seiner Satteltasche trockenes Brot und Dörrfleisch. Er schnitt ein Stück Brot ab und gab es dem Jungen. In dem kleinen, schmutzigen Gesicht hatten die Tränen helle Spuren hinterlassen. Das Kind nahm das Brot und führte es automatisch zum Mund. Fest hatte sich die zierliche Faust um den harten Kanten geschlossen.
»Mehr kann ich dir leider nicht bieten, mein Kleiner«, flüsterte Broken Feather. »Aber so klein bist du nicht mehr, dass du nur von Milch und Brei leben könntest.« Er schnitt einen dünnen Streifen Fleisch ab, zerteilte ihn auf seinem Sattel in kleine Stücke und fütterte nach und nach das Kind. Dann ließ er es Wasser trinken. Als der Junge den Kopf schüttelte und sich abwandte, dachte der Indianer an sich. Hastig aß auch er, dann warf er sich das Deckenbündel und die Satteltaschen über die Schulter, hob den Jungen auf seinen Arm und griff nach dem Gewehr.
Er folgte der Schlucht und wandte sich dann in einem Seitencanyon nach Norden.
*
Nach einer Stunde hörte er krachenden Hufschlag. Entsetzt schaute Broken Feather auf seiner Fährte zurück. In dem Schwemmsand, den die Frühjahrsschmelze in die Schluchten und Spalten getragen hatte, waren seine Fußabdrücke gut auszumachen. Er war der Meinung gewesen, die Verfolger abgeschüttelt zu haben. Dass dies ein Trugschluss war, musste er nun mit Bestürzung feststellen. Er schalt sich einen blutigen Anfänger, weil er nicht darauf geachtet hatte, seine Spuren zu verwischen. Aber Grübeln brachte ihn nicht weiter. Er musste handeln.
Schwer spürte er die Last des Jungen auf seinen Armen. Sein Rücken hatte sich verspannt. Seine Füße schmerzten vom ungewohnten Laufen. Er überlegte. Die unmittelbare Gefahr verlangte einen schnellen Entschluss.
Hundert Yards vor ihm öffnete sich ein enger Canyon. Broken Feather beschleunigte seine Schritte. Der Junge, der allmählich Zutrauen zu ihm fasste, tastete in seinem Gesicht herum. Der Indianer hatte alle Hände voll zu tun, um sich auf seine Jäger zu konzentrieren. Unaufhaltsam kam der Hufschlag näher; dumpf, unterdrückt, und dennoch deutlich. Einige Lidschläge lang dachte Broken Feather daran, sich den Verfolgern zu stellen und ihnen die Geschichte zu erzählen. Aber er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Eine einzige, vorschnelle Kugel würde genügen, um ihn für alle Zeiten zum Verstummen zu bringen. Und die Possenreiter würden nach Hause zurückkehren mit der Gewissheit, einen der Mörder der Rancherfamilie seiner gerechten Strafe zugeführt zu haben.
Er rannte in den engen Canyon hinein. Um seinen Mund lag ein angespannter Ausdruck. Sein Atem ging keuchend. Drohend kam das Verhängnis näher. Der Hauch tödlicher Gefahr sprang Broken Feather an. Er blieb stehen, drehte sich halb und lauschte. Steif und vornübergeneigt stand er da, als schien die Spannung seine Gestalt zu krümmen.
Der Hufschlag hallte in seinen Ohren wider wie der Klang von Todestrommeln. Er setzte sich wieder in Bewegung. Der Junge auf seinem Arm lachte glucksend, als der Mann den Kopf zurückwarf, um seine große, gebogene Nase aus dem Bereich der kleinen Hände zu bringen.
»Wir spielen schon noch, Little Feather«, flüsterte der Sioux zwischen zwei tiefen, rasselnden Atemzügen. »Aber jetzt geht es darum, mein Fell zu retten.«
Er glitt an der Felswand entlang tiefer in die Schlucht hinein und hoffte, dass er in keinen Sackcanyon geraten war. Plötzlich brach hinter ihm der Hufschlag ab. Wieder einmal schaute Broken Feather zurück. Der Weg, auf dem er sich befand, war ansteigend und steinig. Seine Spuren endeten also am Maul dieses Canyons. Auf ihren Pferden würden sie ihm hier herauf kaum folgen können. Das Wissen um diese Tatsache beflügelte ihn wieder.
Stimmen waren zu vernehmen. Sie verstummten, ertönten aufs Neue, brachen wieder ab …
Broken Feather setzte seinen Weg fort. Über ihm war ein Streifen des blauen, wolkenlosen Himmels zu sehen. Es ging immer höher hinauf. Seine Bronchien begannen zu pfeifen. Das Gewicht des Jungen schien sich verdoppelt zu haben. Drückende Wärme begann zwischen den Felswänden zu nisten.
Der Sioux gelangte auf ein Plateau. Es wurde von Felsen und Hügeln begrenzt. Die Felsen waren näher. Sie waren von Schluchten und Spalten zerklüftet. Broken Feather blieb stehen, um Atem zu schöpfen.
Wieder erreichten ihn die Stimmen seiner Verfolger. Wahrscheinlich feuerten sie sich gegenseitig an. Er gab sich einen Ruck, bot alle Willenskraft auf und rannte am Fuß eines Geröllhanges entlang. Ein beinahe übermächtiger Selbsterhaltungstrieb peitschte ihn vorwärts. Er erreichte einen Gürtel dichtbelaubter Stauden, warf sich auf den Bauch und kroch, den Knaben fest an sich drückend, durch das Gebüsch. Scharfes Gestein zerkratzte ihm die Hände, schnitt ihm die Knie auf und hinterließ brennende Schmerzen. Aber dann rollte er in eine Felsrinne und atmete stoßweise. Als spürte der Knabe, dass es um Leben und Tod ging, schaute er verängstigt den Mann an.
Die Kehle des ehemaligen Scouts, der Männer sterben sah und der selbst oft genug gezwungen gewesen war, zu töten, war plötzlich wie zugeschnürt.
Der Atem des Indianers beruhigte sich. Der Junge verhielt sich still. Er lag auf der Brust des Mannes und hatte das Ohr an seinen Beschützer gepresst, als lauschte er dessen rasenden Herzschlägen. Aber dann beruhigte sich die Atmung des Scouts nach und nach. Der Aufruhr seiner Empfindungen legte sich. Schweiß rann ihm über das zerfurchte Gesicht, über seinen Hals und in den Kragen seines zerschlissenen Hemdes.
Von den Verfolgern war nichts mehr zu hören. Sicher kamen sie zu Fuß. Dass sie kamen, war sich Broken Feather sicher. Durch das Geflecht der Zweige und das staubige Blattwerk starrte er in die Mündung der engen Schlucht auf das Plateau. Resignation wollte ihn befallen. Er fühlte sich wie ein in die enge getriebener Wolf. Durfte er notfalls auf diese Männer schießen, die nichts anderes wollten, als dem Gesetz Geltung verschaffen? Mussten sie ihn nicht zwangsläufig für einen der skrupellosen Mörder halten?
Erst waren es nur nagende Zweifel, die in ihm wühlten wie schleichendes Gift, aber dann kam die Hoffnungslosigkeit, und plötzlich erschien ihm die Rinne, in der er kauerte, wie eine tödliche Falle. Sein Kopf flog herum. Er kam taumelnd hoch, auf tauben Beinen kämpfte er sich vorwärts, glitt um einen Felsvorsprung, rutschte über die Kante einer Mulde und landete in weichem Treibsand.
Stimmen erklangen. Eine davon befehlsgewohnt und barsch, eine zweite zweifelnd, eine dritte einlenkend. Broken Feather staute den Atem. Der vorspringende Fels versperrte ihm die Sicht auf die Canyonmündung. Fest hielt er das Kind an sich gedrückt. Er hoffte, dass der Junge still hielt und ihn nicht verriet. Er legte die Winchester auf die Seite und zog seinen Colt. Die Furcht tief in seinem Innersten, die aus der Aussichtslosigkeit seiner Lage geboren worden war, war wie verraucht. Alle seine Sinne waren darauf ausgerichtet, seine Haut so teuer wie nur möglich zu verkaufen. Sein dunkles Gesicht war hart und kantig geworden und mutete an wie aus Erz gegossen. Nur die Augen darin schienen zu leben. Sie zeigten das unheimliche Glühen einer eisernen Entschlossenheit.
Winzige Steine wurden unter den Schritten der Näherkommenden zermalmt. Feinkörniger Sand knirschte unter ihren harten Ledersohlen. Das helle, melodische Klirren ihrer Radsporen wehte heran.
Sie kamen eng an der Felswand entlang. Wahrscheinlich hatten sie sich aufgeteilt. Das Gesicht des Sioux' verriet die Anspannung. Sein scharfes Gehör sagte ihm, dass es drei Kerle waren, die auf seiner Seite anpirschten. Der Colt lag wie hineingewachsen in seiner nervigen Faust. Little Feather saß auf seinem Oberschenkel. Der starke Arm des Indianers lag um seinen Oberkörper. Die Sonne brannte auf sie hernieder, der Gejagte spürte den Schweiß aus allen Poren brechen. Langsam hob Broken Feather den Colt über den Rand der Mulde. Er legte das Ende des Laufes mit der Mündung auf die Felskante. Über Kimme und Korn hinweg starrte er auf die Stelle, an der sie um den Fels biegen mussten.
Ein ganzes Stück entfernt rief ein Mann irgendetwas. Das Mahlen der Schritte brach ab. In unmittelbarer Nähe ertönte eine staubheisere, angegriffene Stimme: »Was, zum Teufel ist los? Habt ihr was gesehen von dem Skunk?«
»Nein!«, schallte es zurück. »Es ist nur, weil hier oben der Boden so verdammt steinig ist. Zum Teufel, Sheriff, wenn der Hundesohn in einer der Schluchten drüben in den Felsen verschwunden ist, dann können wir hinter ihm her beten. Dort gibt es fünfzig und noch mehr Möglichkeiten, unterzutauchen.«
»Ach was! Sucht nur weiter. Er hat keinen Gaul mehr und kann nicht weit sein.« Und leise fügte der Mann hinzu: »Miller, dieses faule Stinktier. Er hat die Nase voll. Er ist der Meinung, dass wir unserer Pflicht Genüge getan hätten. Dabei …«
»Dieser Meinung sind wir auch, Sheriff«, unterbrach diesen einer seiner Begleiter, und sein Tonfall klang verdrossen. »Wir sind die ganze Nacht nicht von den Pferden gekommen, und die Müdigkeit steckt uns höllisch in den Knochen. Wir sind keine Menschenjäger, Sheriff, denen die hundert Strapazen, denen wir in den vergangenen zehn Stunden ausgesetzt waren, nichts ausmachen würden. Wir sind Handwerker und Kaufleute.«
»Die Hölle verschlinge euch!«, fluchte der Sheriff.
Broken Feather konnte jedes Wort deutlich verstehen. Er wagte kaum zu atmen. Die Beine begannen einzuschlafen, denn er kauerte in einer ausgesprochenen Zwangshaltung in der Mulde, und er durfte sich nicht bewegen, denn schon das Schaben von Stoff hätte ihn verraten können.
»Ihr seid stinkfaul, Leute«, fuhr der Sheriff grimmig fort. »Und ihr habt Schiss vor seinem Gewehr. Das ist es. Ich merke es schon die ganze Zeit. Wir sitzen dem niederträchtigen Bastard ganz dicht auf den Fersen. Sollen wir so dicht vor dem Ziel aufgeben?«
Zwei, drei Schritte waren zu hören, der Schatten eines Mannes wuchs hinter dem Felsvorsprung hervor. Wenn er noch einen Schritt machte, musste er den Indianer und das Kind unweigerlich sehen. Hart krümmte sich der Zeigefinger Broken Feathers um den Abzug. Der Daumen lag quer über der Hammerplatte.
Der Sioux fieberte dem Augenblick entgegen, in dem der Mann, der seinen Schatten vorauswarf, in sein Blickfeld geriet. Sie würden ihm keine andere Wahl lassen. Allerdings würden seine Schüsse den übrigen Possenreitern, die irgendwo herumschlichen, seinen Standort verraten. Und sie würden ihn weiterhetzen, bis er am Ende tot war.
»Wir kehren um, Sheriff«, sagte eine erschöpft klingende Stimme hinter dem Felsen. »Wer weiß, wo dieser Satan auf der Lauer liegt und uns über die Zieleinrichtung seiner Winchester beobachtet. Er wird reagieren wie ein in der Falle sitzendes Raubtier. Diese Sorte tötet ohne Skrupel, um das eigene Fell zu retten. Jeder von uns hat Familie, Sheriff. Frau und Kinder. Wir lassen uns nicht abknallen. Das kann niemand von uns verlangen.«
Der Schatten des Mannes wanderte nicht weiter. Aber er bewegte sich, als würde der Mann zornig um seine Achse wirbeln. »Ihr seid vereidigte Hilfssheriffs, Benedikt!«, grollte die Stimme, die Broken Feather inzwischen als die des Sheriffs identifizieren konnte. »Und deshalb ist es eure verdammte Pflicht und Schuldigkeit, so lange nach dem Banditen zu suchen, bis wir ihn entweder haben oder er uns endgültig durch die Lappen gegangen ist.«
»Wir haben unsere Pflicht erfüllt«, stieß der andere Sprecher, es war wohl dieser Benedikt, trotzig und abschließend hervor. »Kein Eid der Welt kann uns zwingen, uns einer Kugel aus dem Hinterhalt auszusetzen. Der Bandit ist uns entwischt, Robards. Finde dich damit ab. Im Übrigen war der Halunke, den wir bei der Logan-Ranch gefunden haben, noch am Leben. Vielleicht haben Kennedy und Talbott etwas aus dem Burschen herauskitzeln können, vielleicht sogar die Namen seiner Kumpane, die ihn so schmählich im Stich gelassen haben.«
Es trat Stille ein. Broken Feather vernahm nur den gepressten Atem der Männer. Der Sheriff sprengte das Schweigen, indem er grimmig schnappte: »All right, kehren wir um. Es ist wohl tatsächlich so, dass der Schuft in der Felswildnis untergetaucht ist. Dort kann ein Mann verschwinden wie ein Sandkorn in der Sonora. Die Idee mit dem verwundeten Banditen ist gar nicht mal so dumm.«
Die Geräusche entfernten sich, der Schatten verschwand. Loses Gestein kollerte, und dann rief der Sheriff die anderen Possenreiter zurück. Schnelle Schritte hämmerten, fragende Rufe wurden laut. Das Durcheinander ihrer Stimmen entfernte sich. Hart stieß Broken Feather die Luft durch die Nase aus. Für das Erste war die Gefahr gebannt. Er zog den Colt zurück, legte seine Wange gegen den Kopf des Jungen und meinte gerührt: »Warst ein tapferer Junge, Little Feather. Yeah, ein tapferer, kleiner Krieger …«
Er lächelte. Eine Welle der Erleichterung spülte in ihm hoch, ließ die Erstarrung in ihm zerfließen und löste die ungeheure Spannung in ihm.
*
Tagelang kämpfte Broken Feather sich nordwärts. Für Proviant sorgte die Natur, Wasser gab es in dieser Bergregion genug. Aber die vielen Meilen, die er täglich mit dem Kind auf dem Arm zurücklegte, forderten das Letzte von dem Mann. Der Junge hatte derweil Zutrauen zu ihm gefasst. Er plapperte anfangs und lachte viel, aber dann machten sich auch bei ihm die Strapazen bemerkbar. Er wurde weinerlich und unzufrieden. Aber der Sioux brachte trotz seiner eigenen Angeschlagenheit und Erschöpfung alle Geduld der Welt für ihn auf. Seine Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, als würde sie kein bewusster Wille mehr steuern. Ein trüber Schleier schien sich über seine Augen gelegt zu haben. Sein Gesicht war staub- und schweißüberzogen, und wenn er sprach, fielen seine Worte lahm und krächzend.
Der Zufall wollte es, dass ihn vom Rand eines dichten Waldes aus ein Trupp junger Sioux-Krieger ausmachte. Es waren fünf Indsmen. Sie befanden sich auf der Jagd. Nun beobachteten sie den Mann, der sich durch eine grüne Senke schleppte und der jeden Moment zusammenzubrechen drohte. In ihren dunklen Augen glommen Misstrauen und Unsicherheit. Der einsame Mann war viel zu weit entfernt, so dass sie nicht erkennen konnten, was er fast verzweifelt an seine Brust drückte. Ihnen entging aber nicht, dass er etwas trug und es festhielt wie einen kostbaren Schatz.
Einer der jungen Krieger rief mit kehliger Stimme und in der Sprache seines Stammes, der Dakotas: »Er trägt die Kleidung des weißen Mannes. Was hat er in unseren Jagdgründen zu suchen? Gold? Er ist ohne Pferd. Und wie es scheint, am Ende seiner Kraft. Reiten wir hin, Brüder, und sehen wir ihn uns aus der Nähe an.«
Sie hieben ihren Mustangs die Fersen in die Seiten und fegten auf den verloren wirkenden, taumelnden Mann zu, in dessen hohlwangigem Gesicht die Strapazen der vergangenen Tage unübersehbare Zeichen hinterlassen hatten.
Wie aus weiter Ferne vernahm Broken Feather den trommelnden Hufschlag. Albtraumhaft langsam wandte er sich um und nahm Front zu den heranjagenden Indianern ein. Sie kamen in loser Ordnung, er sah ihre nackten, muskulösen Oberkörper und die flatternden Tücher um ihre Köpfe, die die wehenden schwarzen Haare zusammenhielten. Er setzte den Jungen ab, stellte sich breitbeinig vor ihn und hob das Gewehr. Er wankte wie ein Schilfrohr im Wind. Und er war viel zu fertig, um Angst oder Erschrecken empfinden zu können. Aus glanzlosen Augen, die tief und entzündet in ihren Höhlen lagen, starrte er den Reitern entgegen. Little Feather klammerte sich mit beiden Armen an seinem linken Bein fest.
Die Indianer fegten heran. Broken Feather wusste nicht, ob er über die Begegnung glücklich sein sollte. Die Krieger konnten auch feindselig gesinnt sein. Es gab immer wieder Fehden unter den einzelnen Stämmen der Sioux. Seine schweißnassen Hände saugten sich förmlich am Gewehr fest.
Die Krieger parierten ihre Pferde, als sie sich auf fünfzig Yards dem Mann und dem Kind genähert hatten. Nun erst schienen sie den Knaben zu bemerken. Sie schauten betroffen und verwirrt, dann fingen sie an zu palavern und zu gestikulieren. Broken Feather entging nicht, dass sie selbst noch halbwüchsig waren.
In der Sprache der Dakotas rief er abgehackt: »Ich bin Broken Feather, der Sohn von Black Elk. Wenn ihr zu seinem Stamm gehört, so bringt mich zu ihm.« Zuletzt raschelte seine Stimme wie trockenes Herbstlaub. Ihn überfiel eine jähe, bleierne Erschöpfung, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Vor seinen Augen begann sich die Welt zu drehen, schneller, immer schneller, und unvermittelt verließ ihn die Kraft. Willenlos kippte er nach vorn. Lang schlug er hin.
Und nun begann Little Feather leise zu weinen …
*
Es waren Krieger aus dem Dorf Black Elks, des greisen Häuptlings, des Vaters des Scouts. Sie brachten Broken Feather und den Jungen ins Dorf. Little Feather fand Aufnahme bei den Dakotas. Bald senkte sich Vergessen in das Bewusstsein des Knaben.
Eines Tages suchte Broken Feather seinen Vater im Häuptlingszelt auf. Der Greis saß auf einer farbigen, kunstvoll gearbeiteten, großen Decke am Boden. Sein langes Haar war schlohweiß, sein zerklüftetes Gesicht erinnerte an die Borke einer hundertjährigen Linde. In seinen dunklen Augen lohte noch das Feuer früherer Jahre, aber es begann sich bereits Asche auf die Glut zu legen. Und obwohl er auf der großen Decke verloren und zerbrechlich anmutete, ging von ihm etwas aus, das Ehrfurcht gebot, das Sicherheit verlieh und Vertrauen einflößte.
Broken Feather sagte kehlig: »Die Zeit ist gekommen, da ich wieder reiten muss, Vater. Denn eines Tages werde ich Little Feather erzählen müssen, unter welchen Umständen ich ihn fand. Er wird mir Fragen nach den Mördern seiner Angehörigen stellen. Ich werde sie ihm nicht beantworten können, wenn ich nicht versuche, es herauszufinden. Den Namen eines der Mörder kenne ich. Er lautete Lee Atkins. Aber er war sicher nicht allein.«
»Es ist gut«, murmelte der Greis mit dünner Stimme. »Es ist dein Wille, und ich respektiere ihn.«
Broken Feather kniete ab und umarmte den alten Mann. Dann verließ er das Tipi. Bald ritt er aus dem Dorf.
*
Die Jahre vergingen - Jahre, in denen Broken Feather immer wieder aus den Medicine Bow Mountains ritt, um durch das Land zu ziehen. Er war auf der Suche nach den Männern, die für die Blutnacht am Michigan Creek verantwortlich waren. Ihre Namen kannte er. Er hatte sie in Walden, der kleinen Stadt in der Nähe der zerstörten Logan-Ranch, erfahren. Der sterbende Bandit hatte sie in jener schrecklichen Nacht noch den Possenreitern verraten, ehe er die Augen für immer schloss.
Broken Feather hatte sich als Armeescout ausgegeben. Der Sheriff und die Männer der Posse waren ahnungslos, dass er der Mann war, den sie gejagt hatten. Man war in der Stadt der Meinung, dass der kleine Jimmy Logan in den Flammen umkam. Mit den Namen, die sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten, zog Broken Feather los. Und es gelang ihm nach Jahren, eine Spur aufzunehmen.
Black Elk war längst gestorben. Häuptling der Dakotas war ein Bruder Broken Feathers geworden. Der ehemalige Scout hatte sich eine Squaw genommen, und Little Feather wuchs in deren Obhut zu einem Mann heran. Äußerlich war er ein Weißer geblieben, wenn er auch indianerhaft und wild wirkte und sein dunkles Haar lang trug. In seinem Herzen aber und in seinem Gemüt war er ein echter Dakota. Die Blutnacht am Michigan Creek hatte er vergessen.
Doch dann kam der Tag, an dem Broken Feather den Zeitpunkt für gekommen hielt, den Jungen aufzuklären. Sie saßen sich im Wigwam des alten Mannes gegenüber. Irgendwie fühlte Little Feather, dass ein Wendepunkt in seinem Leben bevorstand. Und er fürchtete sich tief in seinem Innersten vor dem, was er nun erfahren sollte. Es würde sein Leben verändern. Er spürte das Unheil tief in seiner Seele.
»Du weißt, mein Sohn, dass du kein Dakota bist«, begann Broken Feather mit dunkler Stimme. »Es ist jetzt zwanzig Sommer her, da fand ich dich in einer Nacht bei den Ruinen einer niedergebrannten Ranch, unten in Colorado, in der Nähe einer Ortschaft, die den Namen Walden trägt. Deine Eltern und Großeltern waren tot - ermordet. Weiße Banditen haben es getan.«
Little Feather stöhnte auf. Der Kampf, der sich jäh in seinem Bewusstsein abspielte, war deutlich von seinen Zügen abzulesen.
»Dein richtiger Name ist Jim Logan«, sprach Broken Feather weiter. »Ich erfuhr ihn in Walden, nachdem ich dich in unser Dorf gebracht hatte und herauszufinden begann, wer für die grässlichen Morde an deinen Angehörigen verantwortlich war. Für die Menschen dort unten bist du tot. Ich beließ sie in dem Glauben.«
Eine Welle von Gemütsbewegungen überlief das schmale Gesicht des Jungen. Da waren Verwirrung, Unglaube, aber auch Erschütterung und Entsetzen zu erkennen. Wie hypnotisiert hing sein Blick an den willensstarken, scharf geschnittenen Zügen des alten Sioux.
»Weiter«, flüsterte Little Feather, und seine Stimme fieberte vor Erregung. Die Dinge, die er hörte, krallten sich in sein Gehirn, als würden sie ihm eingebrannt.
»Der Anführer der Mörder heißt Lee Atkins.« Der Name fiel wie ein Hammerschlag. Broken Feather nahm die plötzliche, ungehemmte Wildheit in den Augen seines Ziehsohnes wahr. Er hob die Hand, als wollte er damit dem Jungen bedeuten, Ruhe zu bewahren. »Aber es gab noch fünf Banditen, die mit ihm ritten. Einer, Erroll Hicks, starb bei eurer Ranch. Vorher aber verriet er noch die anderen Namen - wohl aus Rache, weil seine Gefährten ihn schmählich im Stich ließen.«
»Sag mir die Namen, Vater!«, forderte Little Feather. Er erzitterte kurz wie unter einem Kälteschauer. Der Sturm, der in ihm tobte wie ein Wind des Todes, wollte sich nicht mehr legen. Zu ungeheuerlich waren die Eröffnungen des ehemaligen Scouts.
Dessen dunkle Augen verrieten tiefes Verständnis. Er sagte: »Ich will dir die Namen nennen, mein Sohn. Du wirst dich entscheiden müssen. Das Gesetz der Weißen hat diese Männer, die damals eine blutige Spur durch Arizona, New Mexico und Colorado zogen, niemals eingeholt. Sie leben heute angesehen und in Wohlstand oben in der großen Stadt, die Sheridan heißt. Sie haben sich mit dem Vermögen, das sie zusammengeraubt haben, dort oben solide Existenzen aufgebaut.«
Little Feather zog die Schultern zusammen, als wehte ihn ein kalter Hauch an. Er stand vollkommen unter dem Eindruck dessen, was er gehört hatte. »Die Namen!«, platzte es über seine bebenden Lippen. Seine Stimme klang rau und belegt.
Broken Feather nickte. Seine Miene strahlte zwingende Ruhe aus. Die Wildheit, die Impulsivität der Jugend hatte er hinter sich. Er zählte fast sechzig Sommer. Die Erfahrung hatte ihn weise werden lassen.
»Von Lee Atkins sprach ich schon. Er besitzt in Sheridan zwei Saloons, eine Spielhalle und ein großes Hotel. Der zweite Mann heißt Griffith - Tony Griffith. Ihm gehört die Triangle-G-Ranch westlich von Sheridan. Eine große Ranch mit vielen tausend Rindern und zwei Dutzend Cowboys. Du siehst schon, es handelt sich um einflussreiche Männer. Sie haben ihre Vergangenheit abgeschüttelt, haben sich nach ihren Verbrechen im Süden viele Jahre hoch oben in Montana herumgetrieben und sind schließlich in Wyoming sesshaft geworden.«
»Es fehlen noch drei Namen.« Die Stimme Little Feathers war nur noch ein heiseres Geflüster. Hinter seiner Stirn wirbelten die Gedanken; finstere Gedanken an Rache und Vergeltung. Die Flamme des Hasses in ihm war entfacht. Als Krieger der Dakotas hatte er zu hassen gelernt. Aber der Hass, der in dieser Stunde in ihm geboren wurde, war von ganz anderer Art. Er war persönlicher Natur und hatte nichts mit dem Daseinskampf der Sioux und ihren Gefühlen den Weißen gegenüber, die sie mehr und mehr zurückzudrängen versuchten, zu tun.
»Gewiss«, murmelte Broken Feather. »Du sollst sie alle erfahren.« Er machte eine kleine Pause, als müsste er sich die anderen Namen erst in Erinnerung bringen. Aber dann murmelte er dumpf und kehlig: »Der nächste Mann heißt Chris Thatcher. Er führt die Bank in der Stadt. Der vierte Killer heißt Barry Weller. Ihm gehören der General Store und die Futtermittelhandlung, außerdem der größte Mietstall des Ortes. Der letzte der Mörder - er hat den Namen John Hamlin. Er - nun -«, der Indianer kniff kurz die Lippen zusammen, »- Hamlin trägt den Sheriffstern und befehligt einen ganzen Trupp von Deputies. Er ist ein reicher Mann, denn er treibt auch die Steuern ein und darf einen gewissen Satz davon für sich behalten.«
Die beiden Männer schwiegen. Broken Feather beobachtete seinen Ziehsohn. Tief in den Augen Little Feathers glühte ein seltsames Licht. Es waren Leidenschaft und fanatische Gier. Im Herzen des jungen Weißen war etwas erwacht, das tödlicher war als eine schleichende Seuche.
»Du musst entscheiden, wohin dein Weg führen soll, mein Sohn«, gab Broken Feather nach einiger Zeit zu bedenken. »Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du bleibst hier im Dorf und versuchst wieder zu vergessen, was du soeben erfahren hast, oder du reitest nach Sheridan und ziehst die Mörder deiner Familie zur Verantwortung.«
»Würdest du mitkommen, Vater?«
Die Blicke der beiden Männer tauchten ineinander. Unter der Oberfläche von Little Feathers Stimme hatten Rastlosigkeit und nervöse Ungeduld gelegen.
Broken Feather schüttelte den Kopf. »Ich bin alt, und ich habe eine rote Haut. Ein junger Weißer und ein alter Indianer würden überall auffallen und auf Misstrauen stoßen. Ich wäre dir keine Hilfe, Little Feather, eher eine Last. Darum musst du alleine reiten, wenn du dich für Vergeltung entscheidest.«