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​Lone Star Kelly: Pete Hackett Western Edition 27

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 130 Seiten

Zusammenfassung

Die Peitsche knallte. Die Zügel klatschten immer wieder auf die Rücken der vier Gespannpferde, die sich mächtig ins Zeug legten. Die großen, eisenumreiften Räder der Stagecouch zermalmten mit grässlichem Knirschen bis zu faustgroße Kieselsteine, rumpelten über felsigen Untergrund, dann mahlten sie wieder durch Inseln fußtiefen Schwemmsandes, den Schneeschmelze und Regen von den Felsmassiven gespült hatten. Die Kutsche ächzte in der Federung. Auf ihren rotgestrichenen Seitenwänden stand in großen, weißen Lettern geschrieben: ‘Wells & Fargo Co., Stageline’.

Rocky Donovan, der Kutscher, wischte sich mit dem Hemdärmel über die Augen, in deren Höhlen der Schweiß perlte und sie entzündete, spuckte dann zur Seite aus und fluchte: „Verdammte Hitze. Bin froh, wenn wir endlich in Nolan sind und uns ein kaltes Bier hinter die Binde kippen können.“

„Und ich kann es kaum erwarten, das verdammte Geld loszuwerden“, entgegnete Hank Wingate, der Begleitmann, ohne Rocky dabei anzusehen. „Erinnerst du dich an die schwarze Katze, die uns in Lubbock, als wir aufbrachen, über den Weg lief. Es war ein schlechtes Omen. Irgend etwas in mir sagt, dass wir ...“

Rocky lachte amüsiert auf. „Du und dein Aberglaube, Hank. Glaubst du denn wirklich an solchen Unsinn? Spinne am Abend, erquickend und labend!“ Rocky lachte schallend. „Spinne am Morgen, bringt Kummer und Sorgen!“ Er schüttelte sich regelrecht vor Lachen und ließ die Peitsche fliegen.

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​Lone Star Kelly: Pete Hackett Western Edition 27

Western von Pete Hackett


Über den Autor

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.

***


Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author (Peter Haberl)

© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

www.AlfredBekker.de




Die Peitsche knallte. Die Zügel klatschten immer wieder auf die Rücken der vier Gespannpferde, die sich mächtig ins Zeug legten. Die großen, eisenumreiften Räder der Stagecouch zermalmten mit grässlichem Knirschen bis zu faustgroße Kieselsteine, rumpelten über felsigen Untergrund, dann mahlten sie wieder durch Inseln fußtiefen Schwemmsandes, den Schneeschmelze und Regen von den Felsmassiven gespült hatten. Die Kutsche ächzte in der Federung. Auf ihren rotgestrichenen Seitenwänden stand in großen, weißen Lettern geschrieben: ‘Wells & Fargo Co., Stageline’.

Rocky Donovan, der Kutscher, wischte sich mit dem Hemdärmel über die Augen, in deren Höhlen der Schweiß perlte und sie entzündete, spuckte dann zur Seite aus und fluchte: „Verdammte Hitze. Bin froh, wenn wir endlich in Nolan sind und uns ein kaltes Bier hinter die Binde kippen können.“

„Und ich kann es kaum erwarten, das verdammte Geld loszuwerden“, entgegnete Hank Wingate, der Begleitmann, ohne Rocky dabei anzusehen. „Erinnerst du dich an die schwarze Katze, die uns in Lubbock, als wir aufbrachen, über den Weg lief. Es war ein schlechtes Omen. Irgend etwas in mir sagt, dass wir ...“

Rocky lachte amüsiert auf. „Du und dein Aberglaube, Hank. Glaubst du denn wirklich an solchen Unsinn? Spinne am Abend, erquickend und labend!“ Rocky lachte schallend. „Spinne am Morgen, bringt Kummer und Sorgen!“ Er schüttelte sich regelrecht vor Lachen und ließ die Peitsche fliegen.

Hank schoss ihm einen vernichtenden Seitenblick zu und starrte dann wieder verkniffen nach vorn. Die Luft flirrte in der Hitze, die Konturen verschwammen, die gleißende Sonne stand hoch im Zenit, der Himmel war ungetrübt blau.

Rocky wurde wieder ernst. „Das ist doch alles Schwachsinn, Hank, Humbug, an den man zur Zeit der Hexenverbrennungen glaubte.“

„Du kannst mir meinen Glauben nicht nehmen, Rocky“, brabbelte Hank grimmig. „Ich will dir mal erzählen, was meinem Großvater widerfuhr, nachdem ihm ein schwarzer Kater über den Weg lief. Hör zu ...“

Rocky verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen und stöhnte: „Ich kenne die Geschichte schon in- und auswendig, Amigo. Wie oft willst du mich noch mit diesem Unsinn nerven?“

Hanks Mund klappte zu, beleidigt schwieg er.

In der Kutsche befanden sich zwei Passagiere, außer ihnen ein Sack mit Post für Empfänger bis hinunter zur mexikanischen Grenze. Im verschlossenen Wagenkasten stand die eisenbeschlagene Kiste mit zwanzigtausend Dollar, die für den Ausbau der neugegründeten Wells & Fargo Station in Nolan bestimmt waren.

Noch etwa fünf Meilen bis Nolan lagen vor ihnen. Um sie herum war karges, zerklüftetes Land mit himmelstürmenden Felsen, einem Labyrinth von Schluchten und Canyons, mit spärlicher Vegetation, heiß und staubig.

„Du bist ein unverbesserlicher Pessimist, Hank“, nahm Rocky nach einiger Zeit das Gespräch wieder auf. „Niemand wird es wagen, seine schmutzigen Finger nach dem Geld der Wells & Fargo Gesellschaft auszustrecken. Niemand, sage ich dir, denn Wells & Fargo verfügt über ihre eigenen Detektive, über eisenharte und erfahrene Spürhunde, die jedem Hundesohn, der sich mit finsteren Machenschaften an die Gesellschaft heranwagt, gnadenlos auf die Hacken treten.“

Das Terrain stieg sachte an. Die Felswände traten immer enger zusammen, und nach etwa hundert Yards bohrte sich die alte Poststraße in einen Canyon, der nicht breiter als fünfzig Schritte war. Zwischen den Felswänden schien die Luft zu stehen. Kein Windhauch regte sich. Die Kutsche knarrte und ächzte, die Sielen waren gestrafft wie die Saiten einer Gitarre. Die Pferde schnaubten und prusteten, ihr Fell war feucht vom Schweiß, von ihren Nüstern tropfte weißer Schaum.

Hanks Blick glitt an den Felswänden in die Höhe, tastete Vorsprünge, Felsterrassen und -spalten ab, richtete sich wieder nach vorn. Er griff nach der Wasserflasche, die er zwischen seinen Oberschenkeln stehen hatte, schraubte sie auf, trank einen Schluck und schüttelte sich, denn das Wasser war warm und schmeckte ekelhaft.

Von Hanks runzligem, wind-, regen- und sonnengegerbtem Gesicht war nicht viel abzulesen. Er glaubte an schwarze Katzen. Wenn ihm eine über den Weg lief, spuckte er dreimal aus und murmelte eine Beschwörung, und weil er das drohende Verhängnis tief in seinem Innersten zu spürte glaubte, war er hellwach und aufmerksam.

Es gab zwei Jahre nach Kriegsende noch immer Kerle, die sich zu Banden zusammengeschlossen hatten, da es ihnen nicht mehr gelungen war, nach der Niederlage des Südens fußzufassen, die sich in der Gesetzlosigkeit treiben ließen und die, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, reich werden wollten.

Hank umfasste härter das Gewehr, das er mit dem Kolben neben sich auf dem Fußbrett abgestellt hatte. Und weil er ein Bündel angespannter Aufmerksamkeit war, sah er zuerst den Reiter, der um einen Knick in der Schlucht bog und sich ihnen langsam näherte. Auf Hanks Stirn verdoppelten sich die Runzeln, und er zischte: „Gosh, Rocky, da kommt einer.«

Ein scharfes Geräusch lag sekundenlang in der kochenden Luft, als Hank repetierte.

Aber Rocky hatte den Reiter ebenfalls wahrgenommen. Er zerrte an den Zügeln. Die Räder rollten aus, das Gespann stand. Schnell wickelte Rocky die Leinen um den Bremshebel, mit einem Ruck zog er seine Shotgun aus der Halterung neben dem Kutschbock.

„Gütiger Gott!“, entfuhr es dem Postkutschenbegleiter erstaunt, er blinzelte und kniff dann die Augen eng. „Das ist ja eine Frau. Was hat sie hier in der Einöde zu suchen? Warum reitet sie allein?“

Vergessen war die schwarze Katze, die in Lubbock vor der Concord über die Straße huschte.

Es war eine Grulla-Stute, die im Schritt auf sie zukam. Und auf ihr saß tatsächlich eine Frau. Sie trug zwar Hose, Hemd und Weste wie ein Mann, war knabenhaft schlank und mutete klein und zierlich auf dem hochbeinigen Pferd an. Aber es war eine Frau, wahrscheinlich sogar noch ein Mädchen. Ihr flacher Hut war weit in die Stirn gedrückt, so dass von ihrem schmalen Gesicht nur der untere Teil zu erkennen war. Unter dem Stetson quollen lange, gelockte und rabenschwarze Haare hervor.

„In der Tat, es ist eine Frau“, quoll es über Rockys rissige Lippen. „Und sie scheint ein ziemliches Problem zu haben.“

Der Oberkörper der Reiterin sank immer wieder nach vorn, pendelte zurück, kippte zur Seite, und es hatte den Anschein, als könnte sie sich nur noch mit letzter Kraft auf dem Pferderücken halten.

Die Gespannpferde traten auf der Stelle. Ihre Schweife peitschten. Misstrauisch beobachteten die beiden Männer auf dem Kutschbock die Frau, die offensichtlich gegen eine große Not ankämpfte und die sie überhaupt nicht wahrzunehmen schien.

„Was ist denn? Warum halten wir?“ Einer der Passagiere streckte seinen Kopf aus dem Kutschenfenster, seine Stimme klang ungeduldig. Und als ihn Rocky mit knappen Worten informierte, sprang er aus der Kutsche. Er ging auf die sechzig zu und war trotz der mörderischen Hitze mit einem dunklen Anzug bekleidet. Unter der Jacke trug er ein weißes Hemd und eine weinrote Weste, über seinen Bauch spannte sich eine schwere, goldene Uhrkette.

Und jetzt zog er einen Colt unter der Jacke hervor. In seinem harten, kantigen Gesicht zuckte kein Muskel. Sekundenlang fixierte er mit helläugiger Reglosigkeit die Frau, die im Sattel schwankte wie ein Schilfrohr im Wind, dann tastete sein Blick argwöhnisch die Umgebung ab.

Auch der andere Passagier verließ die Kutsche. Er war nicht mehr ganz jung, etwa fünfunddreißig, und er war gekleidet wie ein Cowboy. Um seine Hüften wand sich ein patronengespickter Revolvergurt, an seinem rechten Oberschenkel hing das Halfter mit dem schweren Colt-Revolver. Er zog die Waffe zwar nicht, aber er legte seine Hand auf den Knauf aus poliertem Holz. Sein Handrücken wies eine Reihe alter Lassonarben auf.

„Wahrscheinlich hat sie sich in der Felswildnis verirrt“, vermutete er, plötzlich aber wirkte er nachdenklich, so, als grübelte er angestrengt. „Kommt sie Ihnen nicht auch irgendwie bekannt vor, Boss?“

Der Ältere zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht“, presste er zwischen den Zähnen hervor und sicherte ununterbrochen um sich.

Die Reiterin war jetzt so nahe, dass selbst durch das Pochen der Hufe auf dem harten Untergrund ihr Stöhnen und Röcheln zu hören war.

„Pass auf, Hank“, knurrte Rocky kurzentschlossen, erhob sich und sprang vom Bock. Steifbeinig stakste er der Reiterin entgegen.

„Vorsicht, Mister“, warnte der Mann im dunklen Anzug argwöhnisch. „Es kann ein gemeiner Trick sein.“

Rocky winkte ab. In diesem Moment kippte die Reiterin zur Seite. Sie rutschte mehr als sie fiel vom Pferd, ihre Hände umklammerten das Sattelhorn, ihre Füße berührten den Boden, ihre Hände lösten sich, sie fiel und rollte auf den Rücken. Mit einem verlöschendes Gurgeln entrang es sich ihr: „Wasser ... Gebt mir zu trinken. Ich - ich ...“

Die Grulla-Stute war stehengeblieben. Rocky beugte sich über die am Boden Liegende, deren Lider flatterten und deren Hände fahrig durch den Staub und über rauen, felsigen Untergrund wischten. Ihr schmales Gesicht war mit einer Schicht aus Schweiß und Staub überzogen, ihre Brust hob und senkte sich unter röchelnden Atemzügen.

Rocky lehnte sein Gewehr an einen Felsblock und beugte sich über sie. „Es ist gut, Mädchen“, murmelte er voll Mitgefühl. „Du bist bei uns in guten Händen.“ Er tätschelte ihr die Wange, den Kopf wendend, jedoch ohne sich aufzurichten, rief er: „Bring mir die Flasche, Hank. Sie ist total am Ende. Himmlischer Herr, was mag sie bloß in die Einöde getrieben haben?“

Jetzt starrte die Frau den Kutscher mit klarem Blick an. Wilder Triumph glühte in ihren Augen auf. Rocky entging es. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Hank, dessen Gestalt auf dem Kutschbock in die Höhe wuchs.

Der Mann im dunklen Anzug näherte sich. Er bewegte sich trotz seines Alters gleitend und geschmeidig, was verriet, dass er einen großen Teil seines Lebens auf dem Pferderücken verbracht hatte.

Da erschallte eine schneidende Stimme: „Stehenbleiben! Die Waffen weg! Das ist ein Überfall! Wer nicht gehorcht, der stirbt!“

Ein Gewehr wurde repetiert. Das Geräusch kam aus einer Felsspalte halblinks vor der Kutsche.

Und vom Felsen rechterhand ertönte es klirrend: „Das waren gutgemeinte Ratschläge. Also weg mit den Waffen und dann hoch mit den Flossen.“

Und auch diesen drohenden Worten folgte das metallische Geräusch, mit dem eine Patrone in den Lauf eines Gewehres gehebelt wurde.

Hank Wingate dachte an die schwarze Katze und ein eisiger Hauch schien ihn zu streifen.

*


Sekundenlang herrschte lähmende Stille. Der Schreck ging tief und musste erst überwunden werden. Doch dann reagierte der Mann im dunklen Anzug. „In Deckung!“, schrie er mit kippender Stimme. „Schnapp dir das elende Weibsbild, Kutscher, und ...“

Da brüllte ein Schuss auf. Mit einem harten Schlag fuhr die Kugel dem Mann im Anzug in die Brust. Die Beine wurden ihm regelrecht unter dem Körper weggerissen. Und als er am Boden aufschlug, war in ihm kein Funke Leben mehr.

Die Detonation schien zwischen den Felswänden hin und her zu springen, bis sie über den Felsrändern zerflatterte.

Die Frau zauberte plötzlich einen Bullcolt unter ihrer Weste hervor und richtete sich katzenhaft gewandt auf, zielte auf Rocky, der völlig perplex und wie vom Donner gerührt dastand und zu keiner Reaktion fähig war.

Fassungslosigkeit griff um sich. Der eiskalte Mord zeugte vom Irrsinn brutalster Gewalt. Auch der Mann in Cowboykleidung und Hank Wingate waren wie gelähmt. Erschütterung und Grauen nahmen ihnen jede andere Empfindung. Und ehe sie sich von ihrer Erstarrung lösen konnten, ertönte wieder aus den Felsen die kaltklirrende Stimme: „Ihr seht, es ist uns höllisch ernst. Lass die Knarre fallen, du auf dem Bock, und steig ab! Und du, Cowboy, lass die Kanone lieber im Halfter! Streckt die Flossen zum Himmel. Vorwärts, sonst kracht’s!“

Der Bann fiel. Sporen klirrten leise, Stiefelleder knarrte, die Köpfe Hanks, Rockys und des Mannes in Cowboykleidung ruckten herum. Aus dem dunklen Felsspalt trat ein Maskierter mit dem Gewehr im Hüftanschlag. Sein Zeigefinger lag am Abzug.

Plötzlich schien es dem Cowboy, dessen Hand sich vom Coltknauf gelöst hatte, als wäre dieser unvermittelt glühend heiß geworden, wie Schuppen von den Augen zu fallen.

„Das sind die Summerhayes-Geschwister. Ja, ich erkenne sie jetzt.“ Sein ausgestreckter Arm zuckte auf die Frau zu, die Rocky bedrohte. „Sie ist Carry Summerhayes ...“

Der Bursche, der soeben aus dem Felsspalt getreten war, feuerte ohne jede Warnung. Die Hände des Cowboys verkrampften sich vor der Brust, er wankte, und plötzlich brach er zusammen.

„Hast du Dreck in den Ohren, Begleitmann?“ So tönte es von einer der Felsterrassen, und über einen hüfthohen Felsblock erhob sich die Gestalt eines Mannes. Er hielt das Gewehr im Anschlag. „Waffen weg und hands up!“

Ein deutlicher Strom von Skrupellosigkeit und Brutalität ging von den Outlaws aus. Doch Hank dachte nicht daran, dem Befehl nachzukommen. Er verfluchte die schwarze Katze und riss das Gewehr hoch. Er feuerte auf den Burschen, der in dem Felsspalt gelauert hatte, verfehlte ihn aber. Der Kerl auf der Felsterrasse drückte ab. Hank erhielt einen Stoß und stürzte kopfüber vom Kutschbock. Die Gespannpferde scheuten und tänzelten auf der Stelle. Ein Ruck ging durch die Concord.

Rocky griff nach der Shotgun. Da traf ihn das Geschoss des Kerls in der Schlucht. Und als er fiel, löste sich sein Schuss. Eine Ladung gehacktes Blei streute aus dem Lauf, es donnerte, als würden jeden Moment die Berge einstürzen, und Rockys letzte Wahrnehmung im Leben war, dass die Frau herumgeschleudert wurde, einen kläglichen Schrei ausstieß, und dann zusammenbrach.

„O verdammt!“, brüllte der Bursche in der Schlucht, als der Schusslärm verebbt war. „Er hat Carry getroffen, mein Gott, Byram, er hat Carry niedergeknallt.“

Schnell kletterte der andere von dem Felsabsatz in die Tiefe. Er kniete bei Carry ab und riss sich mit einem Ruck die Maske vom Gesicht. „Schwester“, flüsterte er heiser, erschüttert, mit bebenden Lippen. Sie blutete aus vielen Wunden. Ihr Atem ging rasselnd. In ihrem verfallenden, totenbleichen Gesicht zuckten die Nerven. Sie wollte etwas sagen, auf dem Grund ihrer Augen schwamm die Todesangst, plötzlich aber rollte ihr Kopf zur Seite. In ihren Blick trat die endlose Leere des Todes.

„Carry“, brach es aus dem Mund des Mannes, der bei ihr abkniete. Und dann füllten sich seine Augen mit Tränen.

Den anderen Burschen erfasste trotz seiner Fassungslosigkeit hektische Erregung. „Byram“, drängte er, „wir müssen verschwinden. Die Schüsse waren sicherlich meilenweit zu hören. Ich hole die Pferde. Wir nehmen Carry mit. Los, Byram, reiß dich zusammen.“

„Sie ist tot“, stöhnte Byram unter Tränen, und eine unsichtbare Hand schien ihn zu würgen. „Jed, Carry ist tot. Wie können wir jemals Ma wieder unter die Augen treten? Und der Alte - gütiger Gott ...“

Jed schluckte mühsam beim Gedanken an seinen Vater. Auch er zerrte das Halstuch nach unten, das er sich bis über die Nase gezogen hatte, als fürchtete er plötzlich, darunter zu ersticken. „Ich hole die Pferde!“, wiederholte er, und es klang brüchig. Er rannte davon, verschwand um den Knick der Schlucht.

Als er die drei Tiere heranführte, kam ihm Byram schon entgegen. Er trug Carry auf seinen Armen, und unaufhaltsam rannen ihm die Tränen über die Wangen.

Der Schock saß tief bei Jed und Byram Summerhayes. Und sie dachten gar nicht mehr daran, dass sie hier waren, um die Kutsche auszuplündern. Sie luden Carry auf ihr Pferd, saßen auf und verschwanden im Felsgewirr.

Die Stille des Todes senkte sich zwischen die Felsen.


*


Die Stagecouch war seit zwei Stunden überfällig. Kevin Scott, der Stationsvorsteher von Wells & Fargo in Nolan, begab sich zum Sheriff Office. Sheriff Kelly Burnett saß im Schaukelstuhl auf dem Vorbau, hatte die Beine auf dem Geländer liegen, und döste vor sich hin. Hin und wieder schlug er mit der flachen Hand nach den lästigen Fliegen, die seinen Kopf umkreisten und sich manchmal in seinem Gesicht niederließen.

Der Schatten des Vorbaudaches fiel auf den Sheriff. Matt glänzte der fünfzackige Stern an seiner Weste - der sogenannte Lone Star, mit dem die Texaner nach der Unabhängigkeit von Mexiko schon ihre erste Nationalfahne schmückten. Als Sheriffstern war der Fünfzack nicht üblich. Doch Kelly Burnett hatte darauf bestanden, ihn zu tragen. Und darum gab man ihm den Beinamen Lone Star, man nannte ihn Lone Star Kelly.

Kelly war neunundzwanzig Jahre alt, während des Krieges kämpfte er in der Texas-Brigade, er war dunkelhaarig und besaß ein kühn geschnittenes Gesicht. Sein breites, kantiges Kinn verriet, dass er ein energischer, willensstarker Mann war.

Nun schwang er die langen Beine vom Geländer, erhob sich, und jetzt wurde deutlich, dass er fast einsneunzig war, breitschultrig und schmal in den Hüften, um die er den Gurt mit dem langläufigen Navy-Colt geschnallt trug. Ihm entging nicht der sorgenvolle Ausdruck in Kevin Scotts Blick, und ehe der Agent etwas sagen konnte, erklärte er nickend: „Ich habe es schon registriert, Kevin, die Postkutsche ist überfällig.“

„Ja, verdammt. Und es ist ausgerechnet die Kutsche, mit der zwanzigtausend Dollar für den Bau von Magazinen und einem Store und dem Ankauf einer Grundausstattung an Waren befördert werden.“

Kellys Brauen zuckten überrascht in die Höhe. Er pfiff leise zwischen den Zähnen, stemmte seine Arme auf das Geländer und beugte sich vor. „Das ist ja interessant“, murmelte er. „Du solltest einige deiner Leute in die Sättel jagen und der Stagecouch entgegenschicken“, fügte er dann hinzu. „Wenn jemand Wind von dem Geldtransport bekommen hat ...“ Er ließ den Rest offen.

„Wells & Fargo hat gewiss nicht an die große Glocke gehängt, dass sich in der Kutsche ein Haufen Geld befindet. Dennoch mache ich mir Sorgen. Kommst du mit, Kelly?“

Der Sheriff grinste mit herabgezogenen Mundwinkeln. „Nein. Man hat es nicht für nötig befunden, mich von dem Geldtransport in Kenntnis zu setzen, also kümmert er mich auch nicht. Ihr Burschen von Wells & Fargo seid doch sonst recht großspurig und nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Ihr backt doch eure eigenen Brötchen. Wieso also sollte ich mich bei dieser Bullenhitze auf ein Pferd schwingen und mir den Hintern wundreiten?“

„Und was ist, wenn die Kutsche überfallen wurde?“, maulte Kevin Scott wütend.

Kelly verzog den Mund. „Dann bin ich gefordert. Aber erst dann - keine Sekunde vorher.“

Der Agent wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, besann sich aber eines anderen, schwang abrupt herum und stapfte davon. Staub wirbelte um seine Schuhe und puderte sie. Kelly grinste und ließ sich wieder in den Schaukelstuhl fallen.

Wenig später beobachtete er, wie Kevin Scott an der Spitze einer Handvoll Reiter die Stadt verließ. Lässig winkte er ihnen zu, und er erntete dafür von Kevin Scott einen vernichtenden Blick.

Kelly lehnte sich im Schaukelstuhl zurück, legte die Füße wieder auf das Geländer und verschränkte die Hände über dem Bauch. Und obwohl nichts darauf schließen ließ, machte er sich wegen der Kutsche Sorgen. Denn er wusste jetzt, dass sie zwanzigtausend Dollar beförderte ...


*


Jed und Byram Summerhayes standen wie geprügelte Hunde mitten im schmutzstarrenden Raum, kneteten ihre schweißnassen Hände und erinnerten an zerknirschte Halbwüchsige, die bei einem üblen Streich ertappt worden waren, und die ihrer Bestrafung harrten.

Carry lag leblos auf der Bank. Heather Summerhayes saß zusammengesunken auf einem wackligen Hocker und weinte leise. Calem Summerhayes, ein hagerer Mann mit ungesunder, gelblicher Hautfarbe und kleinen, stechenden Augen, die jetzt namenlose Wut versprühten, ging vor seinen Söhnen auf und ab wie ein gereizter Löwe in seinem Käfig. Die beiden jungen Banditen hatten die Köpfe zwischen die Schultern gezogen, beobachteten argwöhnisch lauernd jede Bewegung ihres Vaters.

Als er abrupt vor Byram stehenblieb, nahm dieser sofort eine abwehrende Haltung ein. „Du Narr!“, zischte Calem. „Du gottverdammter, hirnloser Narr! Du hast also den Überfall geplant. Warum hast du mich nicht eingeweiht? Ich wäre mit euch geritten, und Carry würde leben. Aber so ...“

Er schlug Byram blitzschnell die flache Hand ins Gesicht. Der junge Outlaw prallte zurück. „Schlag mich nicht noch einmal!“, hechelte er und rieb sich die brennende Wange. „Oder ich vergesse, dass du mein ...“

Wieder schlug Calem nach ihm. Und wieder geschah es gedankenschnell und ansatzlos und die Hand klatschte auf Byrams andere Wange. „Willst du kleine Ratte mir drohen?“, fuhr ihn sein Vater an. „Du würdest tatsächlich die Hand gegen mich erheben?“

Und sein dritter Schlag traf Byram. Der junge Bandit schrie auf und wich zurück.

„Du bist schuld an Carrys Tod!“, keuchte Calem und folgte ihm langsam. „Sie ist für nichts gestorben. Du bist ein kläglicher Versager.“

Wieder klatschte es, als seine Hand auf Byrams Wange landete. Jetzt stolperte Byram rückwärts, er prallte gegen die Wand und hob die Arme, um sein Gesicht zu schützen. Hass und Angst mischten sich in seinem Blick. Ja, er hasste seinen Vater, aber die Angst vor ihm war noch größer, noch monströser als der Hass.

„Wenn Big Joe nicht verrückt gespielt hätte, dann ...“

Es war Jed, der sich einmischte, der aber zutiefst erschrocken abbrach, als sein Vater zu ihm herumschnellte und auf ihn zuglitt.

„Für dich gilt das selbe!“, knirschte der Alte. Und dann prügelte er auch auf Jed ein. Schließlich aber ließ er von ihm ab und knurrte: „Okay, ich kann es nicht mehr ändern. Ich kann auch Carry nicht mehr zum Leben erwecken. Ich kann euch zwei Dummköpfe auch nicht erschlagen. Ich muss einen klaren Kopf behalten. Lasst mich nachdenken.“

Er nahm seine unruhige Wanderung in dem düsteren Raum wieder auf. Dabei knetete er seine Hände auf dem Rücken.

„Seid ihr euch sicher, dass ihr keinen Zeugen hinterlassen habt?“, murmelte er plötzlich. „Habt ihr euch davon überzeugt, dass keiner mehr reden konnte?“

Sie vermieden es, ihn anzusehen. Byram presste kleinlaut hervor: „Untersucht haben wir sie nicht mehr. Aber ...“

Calems Rechte wischte ungeduldig durch die Luft. „Stümper!“, giftete er. „Ihr wurdet erkannt. Und es ist nicht auszuschließen, dass ihr den einen oder anderen nur verwundet habt. Also müssen wir damit rechnen, dass der Sheriff und ein Aufgebot hier antanzen. Ihr müsst verschwinden. Verkriecht euch in dem kleinen Gebirgstal, in das wir immer die Rinder getrieben haben, die wir von Joe Carsons Weide klauten. Und bleibt dort, bis ich euch hole. Habt ihr mich verstanden?

„Ja“, murmelte Byram tonlos. Jed nickte und ging zur Tür. Sie wechselten nervöse Blicke, aber wieder einmal mehr waren sie nicht stark genug, sich dem gewalttätigen und sie beherrschenden Vater zu widersetzen.

Als sie fortgeritten waren, fuhr Calem grob seine Frau an: „Weine nicht, Alte! Es ist alles viel zu lange gutgegangen hier. Schlimm, dass es ausgerechnet Carry erwischte. - Weißt du was wir tun werden - wir verschwinden. Ja, wir geben hier alles auf. Nichts mehr hält uns hier. Wir warten ein paar Tage, bis sich die Gemüter einigermaßen beruhigt haben, und dann verlassen wir diese Gegend. Wir finden einen anderen Platz, an dem wir ... Verdammt, Heather, schau mich nicht so an. Gibst du vielleicht mir die Schuld an Carrys Tod? Ja, du machst mich dafür verantwortlich, stimmt’s?“

Drohend beugte er sich zu ihr hinunter. Mit bösem, gehässigem Ausdruck starrte er sie an. Anklagend erwiderte die verhärmte Frau: „Du hast sie zu dem gemacht, was sie geworden sind. Erst waren es nur kleine Diebereien, dann stahlt ihr Vieh, und jetzt sind Morde geschehen. Es musste so kommen, Calem, und im Endeffekt bist du schuld an Carrys Tod. Du hast auch unsere Söhne auf dem Gewissen. Du hat sie zu haltlosen, verdorbenenen Menschen erzogen. Und jetzt bricht die Strafe des Himmels über dich herein. Ich spüre es, Calem. Alles Schlechte, alles was du an Niedertracht und Verworfenheit gesät und an Byram und Jedidiah weitergegeben hast, fällt nun auf dich zurück. Ihr drei seid nicht mehr zu retten. Das weiß ich.“

Seine Zähne knirschten vor unterdrückter Wut. „Du bist irr im Kopf!“, presste er hervor. „Verrückt bist du, Alte. Warum habe ich dich nicht schon vor Jahren zum Teufel gejagt?“

Er ging zu einem Schrank an der Wand und nahm eine angebrochene Flasche billigen Fusel heraus. Mit den Zähnen entkorkte er sie, dann trank er. Und dann kehrte er mit der Flasche in der Hand zu Heather zurück. „Hüte deine Zunge, Alte!“, knirschte er. „Meine Stimmung ist nach allem, was geschehen ist, sowieso auf dem Nullpunkt.“ Und wieder setzte er sich die Flasche an die Lippen, schluckte glucksend, der Schnaps brannte in seiner Kehle und ließ seine Augen wässrig werden.

„Du hast auch mich auf dem Gewissen, Calem“, murmelte die Frau unbeirrt. „Das Leben an deiner Seite war die Hölle auf Erden. Aber ich habe es gelernt, all das Leid, das du über uns gebracht hast, zu ertragen. Ich habe zu allem geschwiegen, und das macht mich mitschuldig. Es ist zu spät, zu bereuen - es ist zu spät ...“

Die letzten Worte brachen nur noch als unzusammenhängendes Gestammel über ihre welken Lippen. Sie schien plötzlich durch Calem hindurchzusehen, es war, als hätte sich ihr Geist von ihr entfernt und nur die Hülle aus Haut und Knochen wäre in der schäbigen Behausung zurückgeblieben.

„Du hast den Verstand verloren“, keifte Calem und drehte ihr den Rücken zu. Ihr starrer Blick verursachte ihm jähes, körperliches Unbehagen. Er trank die Flasche leer und schleuderte sie in die Ecke, wo sie klirrend zersprang.


*

Als der Abend dämmerte, als der Widerschein der Sonne den Himmel im Westen in purpurnem Rot erglühen ließ, kamen sie zurück. Sie brachten die Kutsche mit. Kelly, der sich zu dieser Zeit im Office befand, trat ins Freie. Der Pulk kam vor seinem Büro zum Halten. Und Kelly spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Und er konnte es auch an einigen Details erkennen. Auf dem Kutschbock saß einer von Kevin Scotts Männern. Es gab keinen Begleitmann. Und ein Blick in die düsteren, ernsten Gesichter der Reiter verriet ihm den Rest. Da erklang auch schon Kevin Scotts kratzendes, staubheiseres Organ: „Ja, Kelly, die Kutsche wurde überfallen. Big Joe Carson, sein Vormann Josh Greeley, der Kutscher und der Begleitmann sind tot - erschossen - sie sind brutal ermordet worden. Allerdings starb Josh Greeley erst auf dem Weg in die Stadt. Er hat die Mörder erkannt. Es waren Byram, Jedidiah und Carry Summerhayes.“ Er ließ seine Eröffnung sekundenlang auf Kelly wirken, dann betonte er: „Es waren die Summerhayes-Geschwister. Carry mimte den Köder.“ Und wieder ließ er einige Zeit verstreichen, ehe er endete: „Aber nachdem der Überfall blutiger ausging, als sie es sich wahrscheinlich ausgerechnet hatten, bekamen sie Angst vor ihrer eigenen Courage und suchten das Weite. Sie ließen die Kutsche jedenfalls unangetastet. - Du hörst schon richtig, Kelly. Die Kiste mit dem Geld nahmen sie nicht mit.“

Vier tote Männer! Das musste der Sheriff erst einmal verarbeiten. Der Schock ging tief. Es überstieg fast das Begriffsvermögen. Doch dann nahmen seine Züge einen entschlossenen Ausdruck an, wurden hart und kantig, und er stieß rau hervor: „Ich brauche Männer für ein Aufgebot, Kevin. Stellst du mir deine Leute zur Verfügung?“

„Mich und meine Leute. Und sicher erklären sich auch Männer aus der Stadt bereit, mit uns zu reiten, um das Gesindel auszuräuchern.“

Kelly winkte ab. „Ich weiß, die Summerhayes’ werden gemieden wie Aussätzige. Sie lassen aber umgekehrt auch keinen an sich heran. Ich kenne sie kaum. Ich war noch nie bei ihnen draußen. Angeblich hausen sie auf ihrer Farm wie wilde Tiere. Sei es wie es will, der alte Calem und seine Frau Heather interessieren uns nicht. Es geht nur um Carry, Jed und Byram.“

Zuletzt sprach Kelly hart und abgehackt, und er unterstrich seine Worte mit abschließenden Gesten seiner Linken. Und ehe er sich umwandte, um ins Office zu gehen und sein Gewehr zu holen, erklärte er: „Wir reiten in zwanzig Minuten. Findet euch bewaffnet und mit euren Pferden hier vor dem Office ein.“

Die Kutsche wurde fortgebracht. Die Nachricht von dem Überfall ging wie ein Lauffeuer durch Nolan. Über ein halbes Dutzend Bürger nahmen ihre Waffen, holten ihre Pferde und erschienen vor dem Sheriff Office. Kevin Scott kam mit acht Mann. Sie hatten sich bis an die Zähne bewaffnet. Kelly zog seinen Braunen aus dem Hof auf die Main Street und saß auf. In seinem Sattelhalfter steckte eine Henry Rifle, in den Satteltaschen befanden sich Handschellen.

Im Trab verließen sie die Stadt.

Der rotglühende Widerschein der Sonne am Westhimmel verblasste. Die Dämmerung senkte sich über das Land. Das Aufgebot ritt durch Schluchten und folgte den Windungen zwischen den Hügeln, dann ging es wieder über weite Flächen sonnenverbrannten Graslandes, und nach zwei Stunden, als es längst finster und der Mond aufgegangen war, erreichten sie den Sweetwater Creek, der auch der Countyhauptstadt ihren Namen gegeben hatte.

Sie trieben die Pferde in den Fluss. In der trockenen Jahreszeit war er nicht sehr tief und reichte in der Mitte den Pferden gerade bis an die Bäuche. Drüben brannte ein einsames Licht. Das war ihr Ziel. Minuten später verhielten sie. Die Farm lag unmittelbar vor ihnen.

Trotz der Dunkelheit war zu erkennen, dass hier Verwahrlosung und Verfall weit fortgeschritten waren. Es roch nach Tierdung, nach moderndem Holz und nach fauligem Stroh oder Heu. Das Dach eines Schuppens war eingebrochen. Unrat, der auf dem Hof herumlag, war im fahlen Mondlicht deutlich zu sehen.

Die Reiter nahmen ihre Waffen zur Hand und spannten sie oder repetierten. Niemand kam aus dem Haus. Kelly gab Kevin Scott einen Wink, und als sie auf der Erde standen, rief er halblaut: „Umstellt die Farm. Und passt auf wie die Schießhunde.“

Er und der Wells & Fargo Agent betraten das Haus. Es gab keinen Korridor, sie befanden sich sofort im Wohnraum. Auf einem grobgezimmerten Tisch stand die Lampe, deren Licht sie durch das Fenster gesehen hatten. Auf einer Bank, die in die Raummitte gerückt worden war, lag eine stille Gestalt unter einer zerschlissenen Decke, die nur den Kopf freiließ. Vor der Bank standen Calem Summerhayes und seine Frau Heather.

Die Frau schien die Eintretenden gar nicht wahrzunehmen. Doch der Mann drehte sich langsam zu ihnen herum. Teilnahmslos musterte er Kelly und Kevin Scott. Dann löste es sich dumpf von seinen Lippen: „Sie haben mir Carry tot vor die Füße gelegt. Hören Sie, Sheriff, Carry, mein Mädchen ist tot. Eine Ladung Schrot löschte sie aus. Einfach so. Rummms - aus.“

Kelly und der Agent waren betroffen. Kelly fasste sich zuerst und sagte: „Carry und Ihre beiden Söhne haben die Stagecouch überfallen, Calem. Vier Männer wurden ermordet. Dass Ihre Tochter ebenfalls starb, wussten wir nicht. Es ist schlimm, sicher, aber es hat Carry sicherlich den Strick erspart. Wo sind Ihre Söhne, Calem? Ich bin mit einem Aufgebot hier, um sie zu verhaften.“

„Carry ist tot“, murmelte Calem Summerhayes, und es mutete an, als wäre er in Gedanken weit fort, als hätte er die Frage Kellys überhaupt nicht registriert. Aber der Ausdruck seiner Augen strafte sein seltsames Gebaren Lügen. Sie funkelten und glitzerten voll Tücke und Boshaftigkeit. „Sie war zweiundzwanzig, sie war hübsch, die Welt wäre ihr offengestanden.“ Er schluchzte. „Doch - nun - ist - sie - tot.“

Kelly und Kevin sahen sich an. Heather Summerhayes betete leise, ohne den leblosen, erloschenen Blick vom bleichen, eingefallenen Gesicht Carrys zu nehmen. Sie nahm die Anwesenheit des Sheriffs und des Agenten gar nicht wahr.

„Wo sind Ihre Söhne, Calem?“, fragte Kelly unerbittlich.

Der heruntergekommene Farmer starrte ihn an wie ein Erwachender: „Fort“, knirschte er. „Über alle Berge.“ Seine Stimme bekam einen höhnischen Klang. „Ihr seid zu spät gekommen, Sheriff. O ja, sie haben versucht, die Postkutsche auszurauben. Sie wollten endlich raus aus dem Dreck, in dem wir bis zum Hals stecken. Irgendwo haben sie aufgeschnappt, dass sich in der Kutsche zwanzigtausend Dollar befinden. Doch als sie das Geld nur noch zu nehmen brauchten, hatten sie die Hosen voll und nahmen Reißaus. Sie sind abgehauen. Ihr könnt sie nicht aufhängen, Sheriff. Sie verlassen Texas. Ich habe sie fortgeschickt. Denn noch kein Summerhayes endete schmählich am Strick. Ihr habt das Nachsehen.“

Er lachte plötzlich irr.

Prüfend und forschend musterte ihn Kelly. „Wir kriegen sie“, versprach er. „Und dann baumeln sie. Mein Wort drauf, Calem.“

„Noch kein Summerhayes endete am Strick!“, kam es als heiseres, besessenes Geflüster über Calem Summerhayes’ Lippen.

Und dann war eine Zeitlang nur noch das gemurmelte Gebet Heather Summerhayes’ zu vernehmen.

„Gehen wir“, sagte Kelly, und er spürte eine seltsame Art von Unbehagen. Er zweifelte plötzlich an Calem Summerhayes’ Verstand, andererseits aber sagte er sich, dass der verkommene Farmer absolut klar im Kopf war. Und er war ein elender Heuchler. Am Anfang spielte er den leidgeprüften, am Boden zerstörten Vater, um wenig später geradezu überschäumend vor Hohn von der Flucht seiner Söhne zu berichten.

Sie verließen die Stube und drückten die Tür zu.

„Er ist verrückt“, knurrte Kevin Scott, als sie wieder im Dunkeln standen.

„Gefährlich verrückt“, verbesserte Kelly, und dann rief er: „Durchsucht jeden Winkel auf der Ranch nach den beiden Summerhayes-Jungs. Lasst nichts außer acht.“


*


Daß der Alte die Wahrheit gesprochen hatte, war jedem nach spätestens einer Viertelstunde klar, nachdem sie auf der Ranch sozusagen jeden Stein auf der Suche nach Byram und Jed umgedreht hatten. Als sich die Männer des Aufgebots im Farmhof versammelten, rief Kelly laut: „Es hat keinen Sinn, zu versuchen, ihre Spur aufzunehmen. Ich fertige einen Bericht an den County Sheriff, und dieser wird veranlassen, dass Steckbriefe von den beiden Banditen gedruckt und überall im Land verteilt werden. Mehr kann ich im Moment nicht tun.“

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738959802
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Schlagworte
star kelly pete hackett western edition

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: ​Lone Star Kelly: Pete Hackett Western Edition 27