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Kubinke und das einsame Grab: Kriminalroman

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2022 150 Seiten

Zusammenfassung

Kubinke und das einsame Grab: Kriminalroman

Harry Kubinke Roman

von Alfred Bekker



Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.



Lorenzo D'Alessi, Kriminalhauptkommissar in Hamburg, wurde als verdeckter Ermittler unter dem Namen Fabio Ascioti in die kalabrischen Arcuri-Familie in Hamburg eingeschleust. Nun hat man ihn aus einem stillgelegten Hafenbecken im alten Hafen gefischt. Wurde seine Tarnung aufgedeckt? Oder gab es einen anderen Grund, dass man D'Alessi abserviert hat?

Die beiden Kriminalinspektoren Kubinke und Meier werden beauftragt, den Fall zu lösen und kommen zu einem erstaunlichen Ergebnis …



Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Kubinke und das einsame Grab: Kriminalroman

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Harry Kubinke Roman

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.

Lorenzo D'Alessi, Kriminalhauptkommissar in Hamburg, wurde als verdeckter Ermittler unter dem Namen Fabio Ascioti in die kalabrischen Arcuri-Familie in Hamburg eingeschleust. Nun hat man ihn aus einem stillgelegten Hafenbecken im alten Hafen gefischt. Wurde seine Tarnung aufgedeckt? Oder gab es einen anderen Grund, dass man D'Alessi abserviert hat?

Die beiden Kriminalinspektoren Kubinke und Meier werden beauftragt, den Fall zu lösen und kommen zu einem erstaunlichen Ergebnis ...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

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1

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Sein Name war Helmut.

Er war uralt. So alt, dass er die 1930er Jahre noch bewusst erlebt hatte.

Mit zunehmendem Alter war er redseliger geworden. Und so redete er auch über Dinge, über die er einmal geschworen hatte, zu schweigen.

Aber so ist das, wenn man uralt wird.

Manche Dinge vergisst man.

Und an manche Dinge erinnert man sich um so lebhafter.

Helmut hatte vergessen, dass er schweigen sollte.

Umso lebhafter erinnerte er sich daran, worüber er eigentlich hätte schweigen sollen.

Er erzählte jetzt andauernd von dem, worüber nicht hätte reden dürfen.

Das Tragische war, dass es ihm jetzt, nach all den vielen Jahren, sowieso niemand mehr glaubte.

Man hielt ihn für einen Spinner.

Einen alten Mann, der wunderliche Geschichten erzählte.

Bei Helmut war es immer dieselbe Geschichte.

Die Geschichte von dem Schatz im See - und von den Männern mit Maschinenpistolen.

„Helmut, erzähl nicht immer solche Sachen”, hieß es dann. “Du erschreckst die Kinder damit!”

„Aber es ist doch wahr!”

„Ja, sicher!”

„Ich habe gesehen, wie sie den Schatz zum Wasser trugen! Es waren so viele Kisten...”

„Bitte nicht nochmal, Helmut!”

„Ich war noch ein kleiner Junge damals...”

„Hm...”

„Manchmal denke ich, es wäre erst gestern gewesen.”

Erinnerungen stiegen in ihm auf...

*

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Viele Jahre in der Vergangenheit...

Der Junge verharrte im dunklen Schatten knorriger, verwachsener, gespenstisch wirkender Bäume, deren Wurzelwerk an dem sehr steilen Hang teilweise hervortrat. Er bog ein paar stachelige Sträucher zur Seite und blickte auf den glitzernden See. Männerstimmen drangen zu ihm herüber. Da waren ein paar Kerle, die Kisten trugen.

Plötzlich knackte dann hinter ihm etwas.

Der Junge schrak jetzt zusammen und drehte sich um.

Ein Mann stand dort.

Breitbeinig.

Schmallippig.

Sein Hut war tief ins Gesicht gezogen, so dass sein Gesicht zum größten Teil im Schatten lag. In den Händen hielt er eine Maschinenpistole.

Es war eine Maschinenpistole mit rundem Magazin. Der Lauf zeigte jetzt in Richtung des kleinen Jungen. „Rühr dich nicht, Kleiner!”

Der Junge wollte etwas sagen, aber er konnte nicht. Er war wie erstarrt. Nicht einmal atmen konnte er. Der Puls schlug ihm bis zum Hals.

„Was machst du hier, Junge?”

„Nichts.”

„Verarsch mich nicht!”

„Ich...”

„Was?”

Der Junge schluckte. Seine Augen traten hervor. Sein Gesicht hatte den letzten Rest an Farbe verloren und wirkte totenblass.

Der Mann mit der Maschinenpistole kam auf ihn zu, musterte ihn eingehend.

„Du wirst nichts darüber erzählen, was du hier gesehen hast, klar?”

„Ja, klar.”

„Niemals!”

„Nein, niemals!”

„Kapiert?”

„Ja...”

„Andernfalls müsste ich dich erschießen. Hast du das verstanden?”

Der Junge nickte und presste die Lippen aufeinander, damit sie nicht zitterten.

„Ich werde niemandem etwas sagen!”, versprach er.

„Okay...”

„Wirklich!”

Der Junge zitterte.

Der Mann hob den Lauf der Maschinenpistole ein Stück.

„Wenn du es doch tun solltest, werde ich davon erfahren und dich finden. Hast du verstanden?”

„Ja”, flüsterte der Junge.

Der Mann hob die Maschinenpistole, lud sie einmal mit einem ratschenden Laut durch und legte sich den Lauf mit dem runden Teller-Magazin dann lässig auf die Schulter.

„Verschwinde jetzt, Junge!”

„Ja.”

„Und lass dich nicht wieder blicken!”

„Nein!”

„Los, weg mit dir!”

„Ja!”

„Bevor ich es mir anders überlege!”

Der Junge wagte es nicht einmal mehr, sich noch einmal umzudrehen, als er ging.

Er lief immer schneller.

Schließlich so schnell er nur konnte.

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2

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Hamburg ...

Viele, viele Jahre später...

„Ich bin Kriminalhauptkommissar Kalle Brandenburg. Und dies ist mein Kollege Kriminalhauptkommissar Hansi Morell.”

Der Polizeimeister warf einen kurzen, stirnrunzelnden Blick auf die Dienstausweise der beiden Kommissare und nickte dann.

„Sie werden schon erwartet.”

„Wo spielt die Musik?”

„Da hinten!” Der Polizeimeister gestikulierte mit der linken Hand. „Hinter dem Gebäude dort sehen Sie das stillgelegte Hafenbecken. Da hat man ihn rausgezogen.”

„Danke”, sagte Kalle Brandenburg.

„Der Gerichtsmediziner war übrigens noch nicht hier. Dr. Heinz hat durchgegeben, dass es noch etwas dauern kann.”

Kalle seufzte: „Der übliche Stau um diese Zeit, nehme ich an.”

„Ist eben ein ziemlich weiter Weg vom Labor in Eppendorf bis hierher zum alten Hafen an der Elbe”, ergänzte Kommissar Hansi Morell.

„Einmal durch fast ganz Hamburg”, nickte der Polizeimeister. „Und seit ein paar hochintelligente Bürokraten im Rathaus auf die Idee gekommen sind, die Verbindungen zwischen Langenhorn und Meckelfeld gleichzeitig anstatt nacheinander zu sanieren, steht unserer ‘Stadt, die niemals schläft’ ohnehin immer kurz vor der Komplett-Einschläferung.” Der Polizeimeister machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich weiß, wovon ich rede, ich wohne nämlich in Fuhlsbüttel und bin kurz davor, über die Nebenstraßen zum Dienst zu fahren.”

„Ich glaube kaum, dass das wirklich eine gute Idee wäre”, meinte Kalle.

Die beiden Kommissare gingen den Weg, den der Polizeimeister ihnen gezeigt hatte und erreichten wenig später das stillgelegte Hafenbecken, in dem die Leiche gefunden worden war.

Mehrere Taucher begaben sich in das dunkle Wasser. Offenbar, um weitere Spuren zu sichern.

Kollegen der Mordkommission des zuständigen Polizeireviers standen an der Kaimauer des Hafenbeckens.

Kalle und Hansi gingen auf die Gruppe zu und präsentierten erneut ihre Ausweise. Ein stark übergewichtiger Mann mit gelockten Haaren schien die Einsatzleitung zu haben.

„Polizeiobermeister Koschinski, Mordkommission”, stellte er sich vor. „Sie müssen Brandenburg und Morell sein.”

„Sind wir”, bestätigte Kalle.

„Einem Obdachlosen, der hier in der Gegend haust, ist der Tote aufgefallen. Er trieb im Hafenbecken. Wir warten immer noch auf die Gerichtsmedizin und die Spurensicherer von der Gerichtsmedizin, deshalb ist das, was ich Ihnen jetzt sage, auch nicht offiziell.”

„Was denn?”, fragte Kalle.

„Ich glaube nicht, dass der Kerl schon länger als 24 Stunden im Wasser gewesen ist. Aber das ist nur meine Schätzung. Ist schließlich nicht die erste Wasserleiche für mich und ich weiß, wie man aussieht, wenn man länger in dieser Brühe schwimmt.”

„Also Erfahrungswissen”, sagte Kalle. „Sollte man nie unterschätzen.”

„Sehe ich auch so. Die fachlich korrekte Version kriegen Sie ja ohnehin noch. Kommen Sie!”

Koschinski führte Kalle und Hansi zu der Bahre, auf die der Tote gebettet worden war. Man hatte die Leiche komplett bedeckt. Koschinski bückte sich und deckte Gesicht und Oberkörper ab.

„Er war nackt?”, fragte Kalle.

„Kleidung haben wir nirgends gefunden. Vielleicht finden die Taucher noch was.”

Kalle deutete auf die nicht zu übersehende Verletzung am Oberkörper.

„Sieht aus wie eine Schusswunde, würde ich auch sagen.”

„Würde ich auch sagen”, nickte Koschinski. „Dass wir die Identität bereits festgestellt haben, hat man Ihnen schon gesagt, oder?”

„Nein, man hat uns nur gesagt, dass wir herkommen und den Fall übernehmen sollen. Es war noch keine Zeit, um Einzelheiten zu besprechen”, sagte Kalle.

Koschinski machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist mal wieder eine Super-Koordinierung. Na ja, egal.”

„Um wen handelt es sich?”, fragte Kalle.

„Wir haben sein Gesicht durch die Bilderkennungssoftware laufen lassen. Es hat einen Treffer gegeben. Der Kerl heißt Fabio Ascioti und gehört zur Arcuri-Familie hier in Hamburg.”

„Mafia”, murmelte Hansi Morell. „Kalabrische ‘Ndrangheta - die größte Mafia-Organisation in Europa!”

„Damit dürfte klar sein, dass das ein Fall für das BKA ist”, ergänzte Kalle.

„Nach allem, was man so hört, soll die Organisation des ‘Ndrangheta-Paten Remo Arcuri überall auf dem aufsteigenden Ast sein”, meinte Koschinski. „Vielleicht gefällt das ja nicht jedem.”

Kalle nickte.

„Oder da hat jemand am großen Paten vorbei in die eigene Tasche gewirtschaftet ... Ich nehme an, dass die Ergebnisse des ballistischen Berichts uns weitere Aufschlüsse geben.”

„Schon möglich.”

„Sie sprachen von einem Obdachlosen, der die Leiche gefunden hat.”

Polizeiobermeister Koschinski kratzte sich am Kinn.

„Wenn Sie mit Ihm sprechen wollen ... Er sitzt gerade bei den Kollegen im Wagen und bekommt einen warmen Kaffee.”

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3

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Klaus-Reiner Dietmund war ein hagerer, hohlwangiger Man mit dunklen Augen. Er saß in einem Van aus den Fahrzeugbeständen des LKA und ließ sich schon den dritten Becher mit Kaffee einschütten. Ein Polizeimeister war bei ihm.

Kalle und Hansi stiegen dazu und zeigten dem Zeugen ihre Ausweise.

„Wir haben gehört, dass Sie den Toten gefunden haben.”

„Ja, so war es”, nickte Klaus-Reiner Dietmund mit großer Bestimmtheit. „Er schwamm im Wasser. Und da habe ich mir gedacht, ich rufe besser die Polizei an.”

„Von welchem Anschluss aus haben Sie angerufen?”

„Mit meinem Handy.”

„Sie haben ein Handy?”

„Ist das verboten?”

„Nein, natürlich nicht.”

„Es ist ein Prepaid-Handy. In den Toiletten der U-Bahn lade ich es auf. Da gibt es Steckdosen. Und es gibt eine Menge Orte mit freiem W-Lan, wo man ins Internet kann.”

„Es heißt, Sie seien öfter hier am alten Hafen”, mischte sich nun Hansi ein.

„Ja, ich weiß, das ist nicht gestattet. Eigentlich darf niemand auf dem Gelände sein. Aber hier habe ich meine Ruhe. Und niemand belästigt mich.”

„Meine Frage zielte in eine andere Richtung, Herr Dietmund”, sagte Hansi.

„Und in welche?”

„Haben Sie vielleicht mitbekommen, wie der Tote ...”

„Meinen Sie, wie er umgebracht wurde?”, unterbrach Dietmund den Kommissar.

„Oder wie jemand die Leiche hierher gebracht hat. Ich meine, wir wissen ja noch nicht, ob er wirklich hier gestorben ist.”

Dietmund wich Hansi Morells Blick aus.

„Nein”, sagte er. „Ich habe keine Ahnung.”

„Der Mann starb höchstwahrscheinlich durch einen Schuss.”

„Ich habe keinen gehört.”

„Und der Kollege nimmt an, dass er nicht sehr lange im Wasser gelegen hat. Maximal vierundzwanzig Stunden bevor Sie ihn gefunden haben.”

„Was diesen Zeitraum betrifft: Da war ich zum größten Teil gar nicht hier.”

„Wo waren Sie dann?”

„Im Park. Man will ja auch mal was anderes sehen. Außerdem sehe ich immer zu, dass ich die Mülleimer abklappere, um zu schauen, ob dort irgendetwas weggeworfen wurde, was ich noch gebrauchen könnte.”

In diesem Augenblick klingelte das Smartphone von Kalle Brandenburg. Er nahm das Gerät ans Ohr. Schon an der Anzeige des Displays hatte Kalle gesehen, wer ihn sprechen wollte. Es war Dienststellenleiter Stefan Czerwinski, Kalles direkter Vorgesetzter.

„Was gibt es, Stefan?”, fragte Kalle. Da Czerwinski, Brandenburg und Morell für lange Jahre Seite an Seite als Kollegen zusammengearbeitet hatten, bevor Stefan Czerwinski schließlich die Leitung des Büros übernahm, verzichteten sie auch heute noch auf jegliche Förmlichkeiten.

„Der Fall ist uns gerade wieder entzogen worden”, erklärte Stefan Czerwinski.

Kalle glaubte schon, sich verhört zu haben.

„Wieso das denn? Gehören Mafia-Morde neuerdings nicht mehr zum Ermittlungsbereich organisiertes Verbrechen?”

„Das schon, aber der Tote ist nicht der, für den wir ihn erst gehalten haben.”

„Fabio Ascioti, Mitglied der Arcuri-Familie. Koschinski von der Mordkommission sagte uns, dass die Bilderkennungssoftware ihn eindeutig identifiziert hat!”

„Fabio Ascioti ist in Wirklichkeit Kriminalhauptkommissar Lorenzo D'Alessi, ein BKA- Kollege, der von der Zentrale in Berlin als Undercover-Kommissar in die Ascioti-Familie eingeschleust und dort aufgebaut wurde. Das habe ich gerade erst erfahren.

„Und weshalb wussten wir davon bisher nichts?”

„Weil wir davon nichts wissen sollten. D'Alessis Mission war hochgeheim. Und jetzt werden die Ermittlungen durch Berlin übernommen.”

„Dann sag bloß, dass wir mal wieder mit Harry und Rudi zusammenarbeiten werden!”

„Ist keineswegs ausgeschlossen, Kalle”, meinte Stefan Czerwinski.

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Mein Kollege Rudi Meier und ich waren an diesem trüben, regnerischen Morgen nach Quardenburg gefahren. Von unseren Büros im Hauptpräsidium von Berlin war Quardenburg ungefähr eine Dreiviertelstunde entfernt. Abgesehen von der bekannten BKA-Akademie befanden sich dort auch die Labore des Ermittlungsteam Erkennungsdienstes, dessen Dienste Rudi und mir in unserer Eigenschaft als BKA-Kriminalinspektoren zur Verfügung standen.

Nachdem wir meinen Dienst-Porsche auf einem der zum Akademie-Gelände gehörenden Parkplätze abgestellt hatten, begaben wir uns geradewegs zu den Räumlichkeiten von Dr. Gerold M. Wildenbacher, dem Gerichtsmediziner des Teams.

„Guten Morgen Harry!”, begrüßte er mich. „Und Ihnen natürlich auch einen guten Morgen, Rudi - nicht, dass Sie sich am Ende diskriminiert oder gemobbt fühlen.”

„Ich habe eine robuste positive Grundstimmung, Gerold”, meinte Rudi. „Die ist von solchen Kleinigkeiten nicht zu erschüttern.”

„Das freut mich zu hören”, sagte Wildenbacher. „Und ich gehe davon aus, dass Sie gut gefrühstückt haben. Wenn Sie trotzdem meinen, dass Sie im Angesicht einer aufgeschnittenen Wasserleiche vielleicht doch lieber einen Kotzbeutel dabei haben möchten, sagen Sie es bitte gleich. Ich kann Ihnen da weiterhelfen.”

„Wir kommen schon klar”, sagte ich.

„Gut. Niemand soll mir nachsagen, ich sei nicht sensibel gegenüber fachfremden Laien.” Er hob seine Hände, die in Schutzhandschuhen steckten, an denen offensichtlich jede Menge Blut klebte. „Das tropft ein bisschen. Sie geben mir bitte ein paar Sekunden, um das etwas abzuwaschen, dann bin ich voll und ganz für Sie da.”

„Sicher”, sagte ich.

Der Akzent, mit dem Wildenbacher sprach, ließen keinen Zweifel an seiner bayerischen Herkunft. Wenn man ihm zum ersten Mal begegnete, konnte man denken, dass er das Gemüt eines Schlachtergesellen hatte. Aber das war eine Täuschung. In Wahrheit konnte Dr. Wildenbacher viel sensibler sein, als es im ersten Augenblick den Anschein hatte.

Nachdem Wildenbacher seine Hände etwas gereinigt hatte, führte er uns zu seinem Seziertisch. Auf dem lag der Mann, um den es ging und dessen Tod wir aufklären sollten.

„Lorenzo D'Alessi, 36 Jahre alt, Kriminalhauptkommissar in Hamburg und vom BKA hier in Berlin mit einer Sondermission betraut”, resümierte Wildenbacher. „Wenn ich mir das richtig gemerkt habe, war er als verdeckter Ermittler in die Hamburger Arcuri-Familie eingeschleust worden.”

„Und jetzt hat man ihn aus einem stillgelegten Hafenbecken im alten Hafen gefischt”, ergänzte ich.

Wildenbacher nickte.

„Todesursache ist der Schuss. Die Kugel steckte im Körper und unser geschätzter Kollege Förnheim hatte eigentlich versprochen, pünktlich zu Ihrem Besuch mit den ballistischen Tests fertig zu sein ...”

Der aus Hamburg stammende Dr. Friedrich G. Förnheim - von uns allen einfach nur FGF genannt - war der Naturwissenschaftler und Ballistiker unseres Ermittlungsteam Erkennungsdienstes.

„Wir werden uns noch mit FGF unterhalten”, kündigte Rudi an.

Wildenbacher atmete tief durch.

„Tja, womit fange ich jetzt an ... Dieser Fall strotzt nur so vor Merkwürdigkeiten. Also zunächst mal: Der Tote hat nur etwa 24 Stunden im Wasser gelegen. Laut den Unterlagen, die ich habe, war das bereits die als Vermerk niederlegte Schätzung des zuständigen Kommissars der Mordkommission in Hamburg. Guter Mann. Hat vielleicht den falschen Job und hätte besser die altehrwürdige Wissenschaft der Pathologie für seinen beruflichen Werdegang in Betracht ziehen sollen. Für den Umgang mit Leichen muss man schließlich Talent haben.”

„Es wird Gründe dafür geben”, meinte ich.

„Es ist nie zu spät, den richtigen Weg einzuschlagen”, meinte Wildenbacher. „Aber zurück zu diesem bedauernswerten Kollegen, dessen hochgefährliche Geheimmission offenbar ein ziemlich abruptes Ende gefunden hat. Die erste Merkwürdigkeit an der Sache ist schon mal, dass es überhaupt ein Projektil gibt, beziehungsweise es im Körper des Toten gefunden wurde.” Er drehte den Körper um, so dass wir den Rücken sehen konnten und klopfte dann mit dem Zeigefinger an eine bestimmte Stelle. „Eigentlich hätte hier eine Austrittswunde sein müssen, die etwa die Größe einer Kinderfaust hat. Aber da ist nichts.” Er drehte den Leichnam mit einer kraftvollen, aber sehr geschickten Bewegung wieder herum und deutete auf die Brust. „Von der Eintrittswunde können Sie jetzt nichts mehr sehen, weil ich den Körper dort aufschneiden musste. Aber natürlich ist alles sehr sorgfältig dokumentiert worden. Die spezielle Form der Eintrittswunde lässt Rückschlüsse auf den Abstand zu, den der Schütze gehabt haben muss. Durch das gefundene Projektil kennen wir den Waffentyp. Es war eine Pistole. Eine Kurzwaffe also. Die sind auf lange Distanzen nicht mehr treffsicher. Mit anderen Worten: Wir kennen einen minimalen und einen maximalen Abstand, den der Schütze hatte. Schmauchspuren gibt es nicht, sonst wäre eine präzisere Aussage möglich. Aber es steht fest, dass Lorenzo D'Alessi von der Kugel eigentlich hätte durchschlagen werden müssen, es sei denn, es wäre ein Teilmantelgeschoss verwendet worden.”

„Und?”, fragte ich.

„FGF hat mir bestätigt, dass es keins war. Das konnte sogar ich erkennen. Dazu muss man kein Ballistiker sein. Teilmantelgeschosse verformen sich beim Eintritt und werden auf diese Weise gebremst. Aber dieses Projektil war nicht verformt.” Dr. Wildenbacher zeigte uns anschließend ein paar Röntgenaufnahmen. Ich muss gestehen, dass ich darauf nicht viel zu erkennen vermochte. Für unseren Pathologen schienen sie aber außerordentlich aussagekräftig zu sein. „Sehen hier die Position, wo sich das Projektil befand”, erklärte er und schüttelte dabei den Kopf. „Es befand sich inmitten von weichem Organgewebe. Es kann immer mal sein, dass ein Geschoss durch einen Knochen aufgehalten wird. Das Rückgrat und oder die Rippen kämen in diesem Fall dafür infrage. Je nachdem, wie das Projektil auftrifft, wird dann der Knochen entweder durchschlagen oder das Geschoss bleibt stecken. Aber bis dahin ist das Ding ja nicht gekommen! Verstehen Sie jetzt, was ich meine?”

„Sie haben wirklich keine Erklärung?”, wunderte ich mich. Denn das kam bei Wildenbacher wirklich selten vor.

„Vielleicht findet unser Fischkopp ja eine”, knurrte er, womit er Förnheim meinte. „Er hat ja schließlich zwei Doktortitel und ich nur einen. Zu irgendwas muss das ja gut sein!” Er deutete noch einmal auf die Stelle, an der die Kugel gesessen hatte. „Es gibt einfach keinen physikalischen oder sonst irgendeinen Grund dafür, weshalb das Geschoss nicht einfach seinen Weg fortgesetzt hat. Bei der Geschwindigkeit, die die Dinger heute haben ...” Er schüttelte den Kopf. „Da war doch nichts, was einen nennenswerten Widerstand hätte leisten können!” Er wandte den Blick in meine Richtung. „Tut mir leid, aber im Moment kann ich Ihnen dazu eigentlich nur Folgendes sagen: Die bisherigen Untersuchungsergebnisse lassen sich bislang einfach nicht auf einigermaßen stimmige Weise auf einen Nenner bringen. Sie passen schlicht nicht zusammen.”

„Der Mann war nackt”, begann nun Rudi einen anderen Aspekt anzusprechen.

Wildenbacher hob die Augenbrauen.

„Ja, aber zu diesem Punkt kann ich Ihnen glücklicherweise mehr sagen.”

„So?”, fragte Rudi.

Wildenbacher verzog das Gesicht.

„Ich weiß nämlich, was er getragen hat. Ich habe in seinem Körper Fetzen eines Gewebes sichergestellt. FGF hat für mich herausgefunden, was es ist: Neopren.”

„Der Stoff, aus dem Taucheranzüge und Anzüge für Windsurfer sind!”, stellte ich fest.

„Genau. Hätte Kommissar D'Alessi normale Kleidung getragen, dann hätten wir buchstäblich nichts in der Hand. Aber Neopren ist ein dicht gewebter Hightech-Stoff. Ähnlich wie die Gewebeschichten, aus denen das Kevlar der kugelsicheren Westen besteht. Nur deswegen hat das Projektil den Stoff  nicht einfach durchdringen können, sondern einen Fetzen davon in die Schusswunde hineingestanzt.”

„Könnte das Neopren nicht dafür verantwortlich sein, dass der Schuss offenbar abgebremst wurde und den Körper nicht durchschlagen hat?”, fragte ich.

Wildenbacher schüttelte den Kopf.

„Förnheim sagt, dass das ausgeschlossen ist. Die abbremsende Wirkung sei minimal, und auf jeden Fall nicht stark genug, um einen Durchschuss zu verhindern. Nein, auf diese Weise kriegen wir die Befunde leider nicht stimmig.”

„Die viel interessantere Frage ist für mich, wieso D'Alessi einen Taucheranzug getragen hat”, meinte Rudi. „Ich meine, die alten Hafenbecken des Hafen sind mir gut bekannt. Selbst die Fische halten sich von der trüben Brühe fern. Ein Tauchparadies sieht definitiv anders aus.”

„Wir werden in Erfahrung bringen müssen, ob das etwas mit seinem Auftrag zu tun hatte”, meinte ich.

„Es gibt noch eine andere Frage, die ich interessant finde”, meinte Wildenbacher. „Nach allem, was wir wissen, ist die Tat folgendermaßen abgelaufen: Es gab einen Schuss aus nächster Nähe durch das Neopren, der D'Alessi getötet hat. Aber danach hat sich jemand die Mühe gemacht, ihm den Taucheranzug auszuziehen. Ich frage mich, warum.”

„Eine interessante Frage”, gab ich zu.

Wildenbacher ging noch einmal zum Seziertisch zurück.

„An der Leiche gibt es diverse Hämatome und andere Spuren, die sehr gut dazu passen. Hat einer von Ihnen mal versucht, einen Toten zu entkleiden?”

„Ich nehme an, Sie haben da mehr Erfahrung, Gerold”, sagte ich.

„Ich sage Ihnen eins: Das ist schon bei normaler Straßenkleidung eine Schweinearbeit! Aber bei einem hauteng anliegenden Neoprenanzug ist das wirklich ziemlich schwierig.”

„Die Frage ist, wieso der Täter sich dieser Mühe unterzogen hat”, meinte ich.

„Zumal er sich dadurch einem erheblichen Risiko der Entdeckung ausgesetzt hat”, gab Wildenbacher zu bedenken. „Ich meine, ganz gleich, wo sich das ganze Drama nun abgespielt hat, ob ab direkt auf dem Hafen oder an einem anderen Ort, der Killer wird eine ganze Weile gebraucht haben, bis er damit fertig war.”

Ich sah auf mein Smartphone. Wir hatten natürlich alle Berichte zu dem Fall bekommen, die bisher existierten und die Fahrt von Berlin nach Quardenburg hatte noch nicht so ganz ausgereicht, damit wir uns wirklich in die Materie hatten einarbeiten können. Vor allem ich nicht, denn ich hatte ja am Steuer gesessen. Aber mir war noch in Erinnerung, dass es ein Verzeichnis der Gegenstände gab, die von den Kollegen am Tatort sichergestellt worden waren. Dinge, von denen man zumindest annehmen konnte, dass sie in irgendeinem Zusammenhang mit dem Verbrechen standen.

Ein Neoprenanzug oder Teile einer Taucherausrüstung waren nicht darunter. Dafür hatte man ein paar andere Gegenstände gefunden, von denen allerdings nicht klar war, ob sie überhaupt in irgendeiner Beziehung zum Verbrechen standen. Unter anderem ein einzelner Turnschuh von unklarer Herkunft und eine Packung Kaugummi sowie ein zerrissenes Stück Stoff, das vielleicht mal Teil eines T-Shirts gewesen war.

„Nach einem Neoprenanzug hat natürlich niemand gesucht”, meinte ich.

„Der - oder meinetwegen auch die - Täter könnten ihn im Hafenbecken versenkt haben”, meinte Rudi.

„Da liegt sicher so einiges auf dem Grund. Wahrscheinlich werden da noch einmal ein paar Erkennungsdienstler ins Wasser steigen müssen.”

„Wie gesagt, wir wissen nur, dass der Kerl ausgezogen worden ist, aber nicht, wo das geschah”, gab Wildenbacher zu bedenken.

„Es scheint, als würden sich diesmal aus Ihren Erkenntnissen mehr Fragen ergeben, als dass sie beantwortet worden wären”, wandte ich mich an den Pathologen aus Bayern.

Wildenbacher zuckte mit den breiten Schultern.

„Manchmal ist das so. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich nicht so schnell aufgebe. Irgendeinen Faktor haben wir falsch beurteilt oder einfach noch nicht genügend berücksichtigt. Das Gute an der Naturwissenschaft ist ja, dass sie immer und überall gilt! Es muss also zusammenpassen, auch wenn das Ganze an sich im Augenblick noch so aussieht wie Sack voll unvereinbarer Widersprüche.”

„Sie arbeiten da dran”, sagte ich.

„Worauf Sie sich verlassen können!”, versicherte Wildenbacher.

„Alles klar”, sagte ich.

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In diesem Moment betrat Dr. Dr. Förnheim die Leichenhalle. Er sah kurz auf die Uhr an einem Handgelenk.

„Ich bin etwas spät, aber Sie werden das sicher entschuldigen. Ich musste noch ein paar Dinge überprüfen und wirklich wasserdicht machen.”

„Ist schon in Ordnung”, versicherte ich.

„Ich hoffe, dass bei Ihrer Arbeit auch etwas herausgekommen ist”, knurrte Wildenbacher. „Trotz Ihrer Trödelei!”

„Sorgfalt sollte niemals mit Trödelei verwechselt werden, Gerold!”

„Ist das wahr?”

„Aber vielleicht sieht man das in Bayern ja etwas anders.”

„Der hamburgische Humor soll aber auch schon mal subtiler gewesen sein, als die armseligen Kostproben, mit denen Sie uns heute in dieser Hinsicht mal wieder abspeisen.”

Förnheim hob die Augenbrauen.

„Humor? Das war nicht mal Ironie.”

„Jetzt sagen Sie mir nicht, dass Sie das alles auch noch ernst gemeint haben!”

„Was wird in Ihrem ballistischen Bericht stehen?”, versuchte ich das Geplänkel der beiden zu beenden. Und wie es schien, hatte ich damit sogar Erfolg. Vorübergehend zumindest. Aber mehr war in dieser Hinsicht wohl auch nicht wirklich zu erwarten.

„Die Waffe, mit der Lorenzo D'Alessi erschossen wurde, ist schon mal benutzt worden”, erklärte er. „Und zwar nicht nur einmal.”

„Wann und wo?”

„Alles Schießereien, die mit der Arcuri-Familie in Hamburg mutmaßlich zusammenhängen, was bis heute leider niemand gerichtsfest beweisen konnte. Aber die Liste der Opfer spricht für sich. Da ist einer, der als Unterführer tätig war und für den Drogenhandel der Familie in Altona zuständig war - erschossen. Ein Clubbesitzer auf St. Pauli, von dem gemutmaßt wurde, dass er vielleicht in Zukunft Drogen für eine andere Gang vertreiben wollte - erschossen. Mehrere Unterführer, von denen man annimmt, dass sie gegen das gegenwärtige Familienoberhaupt Remo Arcuri eine Koalition schließen wollten - erschossen.”

„Und alle wurden mit dieser Waffe erledigt?”, vergewisserte ich mich.

Förnheim gab mir die Mappe, die bis dahin unter seinem linken Arm geklemmt hatte.

„Das ist ein Ausdruck aus dem Dossier, das man über unser Datenverbundsystem abrufen kann. Ja, und ich gebe zu, Lin-Tai hat mir mit ein paar Daten ausgeholfen, die eigentlich Top Secret waren und nur denen bekannt waren, die in Lorenzo D'Alessis verdeckter Operation eingeweiht gewesen sind.”

„Und das waren ja bekanntlich nicht viele”, sagte Rudi.

„Haben Sie schon mit D'Alessis Vorgesetzten gesprochen?”, fragte Förnheim. „Oder mit seinem Verbindungsmann?”

„Soweit sind wir noch nicht”, erklärte ich, während ich mir Förnheims Aufstellung ansah. Bei den Verbrechen, die da aufgelistet waren, war jedes Mal ein Vermerk angegeben, wonach eine Verbindung zur Arcuri-Familie und ihren weit verzweigten Geschäften bestand.

„Sieht fast so aus, als würde die Waffe, mit der Lorenzo D'Alessi ermordet wurde, jemandem gehören, den man als einen Mann fürs Grobe von Remo Arcuri bezeichnen könnte”, stellte ich fest.

„Ich würde es nicht einmal ausschließen, wenn Arcuri ein paar davon selbst auf dem Gewissen hätte”, ergänzte ich.

„Haben die Mafiosi von heute dafür nicht mehr ihre Leute?”, fragte Wildenbacher stirnrunzelnd. „Im Zeitalter des Outsourcing kann ich mir nicht vorstellen, dass tüchtige Geschäftsleute wie die Arcuris ausgerechnet so schmutzige Sachen wie Mord nicht an irgendwelche Lohnkiller auslagern.”

„Es kommt vor, dass Chefs so etwas selbst erledigen, um innerhalb ihrer Organisation die nötige Autorität zu gewinnen”, gab Rudi zu bedenken.

„Und Remo Arcuri will ganz nach oben”, ergänzte ich. „Aber es wäre schon ein unverschämt großes Glück, wenn wir ihm die direkte Beteiligung an einem Verbrechen nachweisen könnten.”

„Beteiligung an einem Mordplan reicht ja auch schon”, meinte Rudi. „Und im Moment kann mir schwer jemand plausibel machen, dass Remo Arcuri selbst mit all diesen Morden gar nichts zu tun hat.”

Was wir hatten, war ein erster Hinweis.

Mehr nicht.

Aber es war ein Anfang.

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Bevor wir Quardenburg verließen, sprachen wir noch mit Dr. Lin-Tai Gansenbrink und Charlotte Ferretz. Lin-Tai war die IT-Expertin und Mathematikerin des Teams, während sich Charlotte als Betriebswirtschaftlerin vor allem um das Verfolgen von verdächtigen Geldströmen und wirtschaftliche Verflechtungen von kriminellen Banden und legaler Wirtschaft kümmerte. Die Grenze zwischen legalen und illegalen Geschäften war da nicht selten fließend. Und genau das machten sich Leute wie Remo Arcuri zunutze.

Uns ging es vor allem darum, einen ungefähren Überblick über die Geschäfte der Arcuris zu erhalten.

„Sie sehen, Remo Arcuri steht im Zentrum dieses dubiosen Netzwerkes”, erklärte uns Charlotte. „Wie die berühmte Spinne, die darauf wartet, dass Beute kommt. Es gibt ein ganzes Konglomerat an Firmen und Beteiligungen, die zu diesem Komplex dazugehören. Manche dieser Firmen dienen mutmaßlich der Geldwäsche. Einige der Beteiligungsgesellschaften sind als Eigentümer von Briefkastenfirmen in diversen Steuerparadiesen eingetragen.”

„Wieder mal ein Konto in der Schweiz?”, meinte Rudi.

„Nein, diesmal eher Luxemburg und Lichtenstein”, widersprach Charlotte Ferretz. „Falls Sie es nicht gewusst haben: Die beiden sind gerade im Begriff, einer Reihe von bekannten Off-Shore-Oasen den Rang abzulaufen.”

Charlotte erläuterte uns anhand eines Diagramms eingehend die Strukturen des Arcuri-Imperiums. Der springende Punkt war dabei, dass legale und illegale Geschäfte sich ergänzten. Der Übergang zwischen beiden Bereichen war fließend. Und das hatte es bisher auch sehr schwer gemacht, irgendeine Handhabe gegen die Familie zu finden.

„Selbstverständlich ist die Arcuri-Familie Teil eines kartellartigen Verbundes von Mafia-Familien im Norden von Deutschland. Und die wiederum stehen in loser Verbindung zu anderen Gruppierungen und ergeben gemeinsam ein kriminelles Netzwerk von beachtlicher Ausdehnung und Effektivität.”

Natürlich waren Rudi und ich die Strukturen des organisierten Verbrechens gut bekannt. Schließlich hatten wir täglich damit zu tun. Aber Charlottes Ausführungen verdeutlichten uns die Rolle, die die Arcuris darin spielten. Was ihre Verbindungen anging, die Charlotte uns aufzeigte, trafen wir dabei natürlich auf viele bekannte Namen, die zu Personen und Organisationen gehörten, von denen das BKA seit langem mutmaßte, dass sie in kriminelle Machenschaften verwickelt waren. Allerdings ist es leider oft zweierlei für ermittelnde Behörden wie unserer, etwas in Erfahrung zu bringen oder diese Sachverhalte auch gerichtsfest beweisen zu können.

„Wir nehmen an, dass das strategische Ziel von Remo Arcuri darin besteht, die Position der Familie innerhalb des kriminellen Netzwerkes, dem sie angehört, so zu verbessern, dass sie eine dominante Position bekommt”, erklärte Charlotte.

„Dazu passt übrigens auch die statistische Analyse von zahlreichen Beteiligungsgeschäften, die die Arcuris in letzter Zeit abgewickelt haben”, mischte sich nun Lin-Tai Gansenbrink ein.

„Wie können Sie aus wirtschaftlichen Beteiligungen an Fremdunternehmen eine derartige Aussage herausdestillieren?”, fragte ich. „Ist das nicht ein bisschen gewagt?”

„Keineswegs”, widersprach Lin-Tai. „Man muss einfach nur ein paar Merkmale hinzunehmen und das Ganze dann auf Korrelationen abklopfen.”

„Was Lin-Tai damit sagen will ist, dass wir auf diese Weise ziemlich genau herausgefunden haben, wer in Zukunft die Verbündeten von Remo Arcuri sein werden”, ergänzte Charlotte Ferretz. „Remo sammelt Bundesgenossen, die ihm dabei helfen können, eine beherrschende Stellung zu erreichen.”

„Würde mich nicht wundern, wenn die Konkurrenz das nicht unbedingt gerne sieht”, meinte ich.

„Es gibt ein arabisches Drogenkartell, mit dem die Arcuri-Familie über Jahre hinweg eine regelrechte Fehde ausgetragen hat”, berichtete Charlotte. „In Hamburg, Frankfurt, München und Düsseldorf hat man sich gegenseitig auf breiter Front die Clubs kurz und klein gehauen und die Kleindealer umgebracht, die die Drogen auf der Straße verteilen sollen. Der Konflikt ist nie wirklich beigelegt worden. Und dann gibt es natürlich die Konkurrenz anderer Familien, die sich gerne selbst an der Position sehen würden, die Remo Arcuri anstrebt.”

„Leider wissen wir bislang kaum etwas Genaues über die Mission, die Kommissar Lorenzo D'Alessi genau hatte”, ergänzte Lin-Tai Gansenbrink. „Ich habe zwar einiges an gut gesichertem Material dazu heranziehen können ...”

„Gut gesichert heißt, Sie waren gar nicht autorisiert für einen Zugriff?”, hakte Rudi nach.

Lin-Tai sah meine Kollegen mit ihrem mehr oder minder unbewegten Gesicht einen Augenblick an.

„Ich nehme doch stark an, dass sich die nötigen Autorisationen nur verzögert haben und mir sicherlich in Kürze zugegangen wären - meinen Sie nicht auch?”

„Nun ...”, meinte Rudi.

„Ich dachte, es wäre im Sinne einer effektiven Ermittlungsarbeit, dass wir so wenig Zeit wie möglich verlieren”, fügte sie noch hinzu.

„Ich glaube, so genau wollte mein Kollege das gar nicht wissen”, mischte ich mich ein. „Und unser Vorgesetzter auch nicht.”

„Schön, dass wir da einer Meinung sind, Harry”, sagte Lin-Tai.

„Rudi und ich treffen uns nachher mit dem zuständigen Mann im Hauptpräsidium, der Kommissar Lorenzo D'Alessi geführt hat”, ergänzte ich.

„Geführt?”, meinte Lin-Tai. „Ein ziemlich starkes Wort, würde ich sagen.”

„Wie meinen Sie das?”

„Nach allem, was ich bisher anhand der Auswertung von Bewegungsprofilen, Verbindungsdaten und ein paar anderen Dingen über D'Alessis Mission innerhalb der Arcuri-Familie herausbekommen konnte, war das eine Führung an extrem langer Leine.”

„Ich gehe davon aus, dass uns der betreffende Mitarbeiter dazu Näheres sagen wird.”

„Wundert mich, dass er nicht sofort für Sie Zeit hatte.”

„Er war verreist.”

„Dubios ist die ganze Angelegenheit schon. Wenn ich alleine die Anzahl der nachweisbaren Telekommunikationsverbindungen mit dem Hauptpräsidium in Berlin vergleiche, dann ergibt sich im Fall Lorenzo D'Alessi eine deutliche statistische Abweichung nach unten gegenüber anderen, vergleichbaren Einsätzen verdeckter Ermittler.”

„Diese Mission war eben hoch geheim”, gab ich zu bedenken. „Nicht einmal das zuständige Büro in Hamburg war eingeweiht.”

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738959369
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (März)
Schlagworte
kubinke grab kriminalroman

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Kubinke und das einsame Grab: Kriminalroman