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Kommissar Jörgensen und der Schalldämpfer: Hamburg Krimi

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2022 160 Seiten

Zusammenfassung

Kommissar Jörgensen und der Schalldämpfer

Gangs bekriegen sich in Hamburg im erbarmungslosen Kampf um Anteile im Drogengeschäft. Aber die Hintermänner sitzen ganz woanders ...

Eine Waffe spielt die Schlüsselrolle, denn die Ermittler wissen genau: Nur über diese Waffe führt die Spur zum Killer ...





Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Kommissar Jörgensen und der Schalldämpfer

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von Alfred Bekker

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1

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Ich schraubte den Schalldämpfer auf die Pistole, zielte - und traf.

Anschließend schoss ich noch dreimal in rascher Folge.

Man hört jeweils nur einen Laut, der an den dumpfen Schlag mit einer Zeitung erinnert.

»Der steht jedenfalls nicht mehr auf, Uwe«, war sich mein Kollege Kriminalhauptkommissar Roy Müller sicher.

Mein Name ist Kriminalhauptkommissar Uwe Jörgensen. Zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller gehöre ich zu einer in Hamburg angesiedelten Sonderabteilung, die sich ‘Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes’ nennt und sich vorwiegend mit organisierter Kriminalität befasst.

Einmal die Woche gehe ich auf den Schießstand. Und damit einem dabei nicht das Trommelfell zu Schaden kommt, benutze ich erstens einen Ohrenschutz und zweitens einen Schalldämpfer.

Jetzt war Uwe dran.

Und auch seine Trefferquote war gut.

Wer nichts mit Waffen zu tun hat, der bringt Schalldämpfer meistens mit Berufskillern der Mafia in Verbindung. Leute, die Schalldämpfer benutzen, um lautlos zu morden und weniger Aufsehen zu erregen.

Aber Tatsache ist, dass Schalldämpfer in Bereichen praktisch Standard sind. Insbesondere bei Jagdwaffen und beim Militär! Die Jäger wollen ja schließlich nur Wild schießen, aber nicht gleichzeitig Vögel beim Brüten stören. Oder es mit klagefreudigen Anliegern zu tun bekommen, die nicht bereit sind, die Lärmbelästigung durch Schussgeräusche in der Jagdsaison hinzunehmen.

Und für Bundeswehrsoldaten sind Schalldämpfer an Sturmgewehren einfach eine Maßnahm des Arbeitsschutzes.

Manchmal sind Schalldämpfer aber auch wichtige Beweismittel.

Beweismittel,  die einen Mörder überführen können.

Und genau das war in dem Fall so, von dem ich Ihnen jetzt berichte...

*

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Die Morgensonne kroch im Osten über die Dächer der Hochhäuser. Im Stadtpark, der grünen Lunge Hamburgs, zwitscherten die ersten Vögel. Hier und da fuhren ein paar Inline Skater oder Mountain-Biker die asphaltierten Wege entlang. 

Jogger nutzten die Ruhe des Morgens für ihr allmorgendliches Fitness-Programm. Die meisten würden in anderthalb Stunden ihre Sportfunktionskleidung mit einem dreiteiligen Anzug oder einem konservativen Kostüm vertauscht haben, um in Hamburg ihren Jobs nachzugehen. Aber für einen dieser Jogger galt das nicht. Sein Job musste genau hier erledigt werden – auf dem Weg, der durch den gesamten Park in den südlichen Teil des Stadtparks führte.

Er trug einen blau gestreiften Jogginganzug auf dessen Rücken die Aufschrift SUPER FIT zu lesen war.

Als er die Minigolfanlage erreichte, hielt er an. Er atmete tief durch, schüttelte die Arme aus und tat so, als würde er ein paar Lockerungs- und Dehnübungen durchführen. Dann blickte er auf die Uhr.

Sie haben etwas Verspätung, Herr Staatsanwalt, ging es ihm durch den Kopf.

Der vermeintliche Jogger griff kurz unter das Oberteil seines Jogginganzugs und umfasste den Griff der automatischen Pistole.

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Konstantin Klingberg war Mitte fünfzig, aber noch sehr gut in Form. Ein großer Mann, der als Staatsanwalt eisern durchzugreifen wusste. Er wohnte in einem schmucken Bungalow am Ende des Goldbekwegs. Von dort aus hatte er es nicht weit bis zum südlichen Teil des Stadtparks, um dort sein fast tägliches Pensum an Strecke zu joggen.

Ein Jogger, der am Wegrand nach Atem rang, erweckte kurzzeitig das Interesse des Juristen. Seine Gedanken waren jedoch zu sehr von Aufgaben des vor ihm liegenden Tages erfüllt, als dass er weiter auf den Jogger achtete.

Ein paar knifflige Fälle lagen auf Klingbergs Schreibtisch. Er hatte sich einen Namen als Hardliner gemacht. Seine Gegner allerdings sprachen davon, dass Klingbergs Vorgehensweise oft genug am Rande der Rechtsbeugung anzusiedeln war. Aber das störte den hageren Mann mit den ausgedünnten, grauen Haaren nicht.

Ab und zu warf er einen kurzen Blick nach rechts, wo der  Stadtparksee das Blickfeld beherrschte. Auf der Wasseroberfläche hielt sich hartnäckiger Frühdunst, aber die Sonne würde es in spätestens zwei Stunden zweifellos geschafft haben, die auf dem Wasser liegenden Dunstfelder zu verdrängen.

Konstantin Klingberg bemerkte den Jogger wieder, als er die von Norden nach Süden des Stadtparks durchziehende Otto-Wels-Straße erreichte. Der Kerl war ihm gefolgt und hatte es aus irgendeinem Grund vermieden, ihn zu überholen.

Klingberg rang nach Luft.

Der Jogger kam näher.

Plötzlich riss er eine Waffe mit aufgeschraubtem Schalldämpfer unter der Kleidung hervor. Sie verfügte über eine Zielerfassung durch Laserpointer. Ein roter Punkt tanzte durch die Luft.

Klingberg wich zurück und hob abwehrend die Hände.

Aber für die schnell hintereinander abgefeuerten Kugeln der Automatik war das kein Hindernis. Der vermeintliche Jogger feuerte ein Projektil nach dem anderen ab. Jedes Mal entstand dabei ein Geräusch, das an ein kräftiges Niesen oder den Schlag mit einer Zeitung erinnerte.

Klingbergs Körper zuckte. Mit weit aufgerissenen Augen und vollkommen fassungslosem Gesicht stand der Getroffene schwankend da. Weitere Treffer in den hageren Körper ließen ihn zucken. Sein Gesicht verzog sich wie unter großem Schmerz. Dann brach er in sich zusammen und schlug auf den Asphalt. Eine Blutlache bildete sich.

Der Killer drehte sich kurz um. Niemand schien bemerkt zu haben, was er tat.

Vorerst ...

Dann rannte er weiter. Er spurtete die Straße entlang und dort weiter nach links. Am Straßenrand wartete ein BMW. Der Fahrer startete den Motor. Der Killer riss die Beifahrertür auf und sprang hinein.

Mit Vollgas raste der BMW anschließend die Otto-Wels-Straße in südlicher Richtung entlang, verließ so den Stadtpark. Dann bog er nach links auf den Südring ab und fädelte sich ziemlich brutal in die gerade beginnende erste Welle des Berufsverkehrs ein.

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3

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Kriminaldirektor Jonathan D. Bock, der Chef unserer Abteilung, machte ein sehr ernstes Gesicht, als wir in seinem Besprechungszimmer eintrafen.

Ich hatte Roy am Morgen an der bekannten Ecke abgeholt. Es hatte in Strömen geregnet. Mein Kollege Roy Müller war pitschnass geworden und versuchte sich mit einem Becher von Mandys Kaffee wieder aufzuwärmen.

Außer Roy und mir nahmen noch eine ganze Reihe anderer Kollegen an der Besprechung teil, darunter unsere Kollegen Ludger Mathies und Tobias Kronburg. Ebenfalls anwesend war unser  Kollege Oliver 'Ollie' Medina und Stefan Czerwinski. Herr Bock wartete, bis alle sich gesetzt hatten. Die Hände hatte er tief in die Taschen seiner grauen Flanellhose vergraben. Eine Furche stand mitten auf seiner Stirn.

Seitdem seine Familie durch ein Verbrechen ums Leben gekommen war, hatte Herr Bock sich voll und ganz dem Kampf für das Recht gewidmet. Oft war er der erste von uns, der in den  Büros unseres Präsidiums anzutreffen war und abends der Letzte, der ging. Zweifellos war er ein Mann, der viel hatte einstecken müssen und den so schnell nichts erschüttern vermochte.

Umso mehr machte uns seine augenblickliche Verfassung deutlich, dass etwas wirklich Schlimmes geschehen sein musste.

»Ich bekam vor einer Viertelstunde die Nachricht, dass der Ihnen allen bestens bekannte Staatsanwalt Konstantin Klingberg beim Joggen im Stadtpark ermordet wurde.« Herr Bock atmete tief durch und erklärte uns dann, dass unser Kollege Fred Rochow bereits am Tatort wäre, um die Ermittlungen aufzunehmen. Die Erkennungsdienstler Frank Folder und Martin Horster waren ebenfalls auf dem Weg zum Tatort an der Otto-Wels-Straße, um die Kollegen des Erkennungsdienstes zu unterstützen.

Die Tür ging auf. Max Warter, ein Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung, trat ein.

Er hatte sich etwas verspätet, schien dafür aber einen entschuldbaren Grund zu haben. Jedenfalls nickte Herr Bock ihm lediglich zu, woraufhin Max sich zu uns an den Tisch setzte.

»Über die näheren Umstände am Tatort kann ich Ihnen natürlich noch nichts sagen«, erklärte unser Chef. »Es ist leider unvermeidlich, dass die Medien diesen Fall groß aufziehen werden, was unserer Arbeit, wie Sie sich alle denken können, nicht gerade erleichtern wird. Einen Aufruf für Zeugen, die eventuell sachdienliche Hinweise zu machen haben, hat Max bereits dankenswerter Weise an alle großen Zeitungen und Radiosender sowie die lokalen Fernsehkanäle herausgegeben. Herr Klingberg ist schließlich nicht der Einzige gewesen, der um diese Zeit in diesem Teil des Stadtpark seine Runden gedreht hat. Nach den bisherigen Angaben der Mordkommission unter der Leitung von Kommissar Danilo Richter, ist Klingberg wohl aus nächster Nähe erschossen worden. Es gibt einen Zeugen, der glaubt, einen BMW mit quietschenden Reifen davonfahren gesehen zu haben. Es handelt sich um einen Rentner, der um diese Zeit mit seinem Hund im Stadtpark spazieren geht. Der Hund hat den Toten übrigens gefunden. Alles Weitere wird man erst noch ermitteln müssen.« Nach einer kurzen Pause des Schweigens setzte Herr Bock noch hinzu: »Der Respekt vor dem Recht scheint auf einem Tiefpunkt angekommen zu sein, wenn jetzt schon Staatsanwälte fürchten müssen, von Gangstern einfach niedergestreckt zu werden. Es ist allgemein bekannt, dass ich mit Herr Klingberg nicht immer und in allen Fragen übereingestimmt habe. Aber die Leidenschaft für das Recht als wichtigste Waffe im Kampf gegen das Verbrechen haben wir geteilt. In letzter Zeit haben wir uns auch persönlich etwas näher kennengelernt. Herr Klingberg verlor seine Eltern bereits im Alter von vierzehn Jahren durch einen Amokschützen, der unter dem Einfluss der damals gerade aufkommenden synthetischen Drogen stand. Das hat seinem Kampf gegen das Verbrechen den nötigen Antrieb gegeben. Seit ich das erfuhr, konnte ich ihn noch um einiges besser verstehen.«

»Die Liste derjenigen, die mit Konstantin Klingberg noch eine Rechnung offen hatten, dürfte ziemlich lang sein«, brach Stefan Czerwinski als Erster das anschließende, etwas betretene Schweigen. Es kam nicht oft vor, dass unser Chef seine Emotionen nach außen dringen ließ. Wir hatten gerade einen dieser seltenen Momente erlebt und es erschien den meisten von uns wohl irgendwie unangemessen, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Aber genau das mussten wir tun, wenn wir den oder die Mörder von Konstantin Klingberg fassen wollten. Es war immer dasselbe. Die Zeit arbeitete zu Gunsten des Täters, und für uns begann jedes Mal ein Wettlauf. Spuren verschwanden oder zersetzten sich, Zeugen erinnerten sich nicht mehr richtig. Die Berichte in den Medien würden außerdem dazu führen, dass wir eine ganze Flut von vermeintlichen Hinweisen, Verdächtigungen und vielleicht sogar falschen Geständnissen von psychisch gestörten Wichtigtuern bekamen. Eine unserer kniffligsten Aufgaben war es dann immer, aus dem ganzen Wust das Wenige herauszufiltern, was wirklich relevant war.

Klingberg galt insbesondere in Fällen des organisierten Verbrechens als Hardliner, der sich nicht gerne auf einen Deal mit Verdächtigen einließ, die er für schuldig hielt.

»Max war so freundlich, schon mal ein paar Fälle herauszusuchen, in denen jemand blutige Rache gegenüber Staatsanwalt Klingberg geschworen hat oder ihn bedrohte«, erklärte Herr Bock. Er wandte sich an Max Warter und fragte: »Was haben Sie gefunden?«

»Da ist zum Beispiel Sven Kimbel, ein Gang-Leader aus St. Pauli, der jetzt eine halbe Ewigkeit im Gefängnis absitzen muss«, erläuterte Max. »Ein Komplize hat gegen Kimbel ausgesagt, nachdem Klingberg ihm ein Angebot gemacht hat. Das hat Kimbel ziemlich sauer gemacht.«

»Ausgerechnet der kompromisslose Klingberg!«, konnte sich Ollie eine Bemerkung nicht verkneifen. Unser Kollege trug einen modisch geschnittenen italienischen Anzug zu einer stilvollen Seidenkrawatte. Ollie galt allgemein als bestangezogenster Kollege unserer Abteilung. Doch das war beileibe nicht seine einzige Qualität. Er war darüber hinaus auch ein hervorragender Ermittler, wie er bei zahlreichen Fällen unter Beweis gestellt hatte. Ein Kollege, auf den man sich hundertprozentig verlassen konnte.

»Ich erinnere mich an den Fall«, sagte Herr Bock und nippte dabei an seinem Kaffeebecher. »Das ist gut fünf Jahre her. Wenn Klingberg diesem Komplizen – wie hieß er noch gleich?«

»Ullrich Jenning!«, gab Max nach einem kurzen Blick in seine Unterlagen Auskunft.

»... kein Angebot gemacht hätte, wäre Kimbel wieder auf freiem Fuß.«

»Jetzt sitzt er wegen Mordes und hat wohl keine Aussicht jemals wieder entlassen zu werden«, stellte Max fest.

»Und was ist mit Jenning?«, fragte ich.

»Ist seit einem halben Jahr auf Bewährung draußen«, erklärte Max. »Jedenfalls hätte Kimbel im Gerichtssaal bei der Urteilsverkündung beinahe den Staatsanwalt angefallen und musste trotz Handschellen von mehreren Beamten festgehalten werden. Da wir außerdem davon ausgehen müssen, dass Kimbel zumindest einen Teil seiner Drogengeschäfte aus dem Gefängnis heraus steuert und von seinen Gangbrüdern wie ein Held verehrt wird, gehört Kimbel auf jeden Fall auf die Liste der Verdächtigen.«

»Aber er dürfte nicht der einzige sein«, gab Ollie zu Bedenken.

Max nickte.

»Ganz zu Anfang seiner Karriere sorgten Klingbergs Ermittlungen für die Verurteilung eines Mannes namens Christoph Kettler für Aufsehen. Kettler war Zuhälter auf St. Pauli und wurde beschuldigt, eine der jungen Frauen, die für ihn anschafften, grausam ermordet zu haben. Die Beweise schienen eindeutig zu sein. Jahre später veranlasste sein Verteidiger eine erneute Untersuchung des damals sichergestellten DNA-Materials. Es gab inzwischen bessere Verfahren und so stellte sich heraus, dass Kettler vielleicht ein Zuhälter, aber kein Mörder war.«

»Wie hat er das hingenommen?«, hakte Herr Bock nach.

»Schlecht«, fuhr Max fort. »Er hat Klingberg mit Hassanrufen verfolgt, sich bei dessen Prozessauftritten ins Publikum gemischt, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Klingberg ließ ihm gerichtlich verbieten, dass er sich ihm auf mehr als hundert Meter näherte. Es gab in dieser Zeit eine Serie von zusammengeklebten Drohbriefen, die sowohl Klingbergs Büro als auch seine Privatadresse erreichten, aber Christoph Kettler konnte vor Gericht nicht nachgewiesen werden, der Urheber dieser Briefe gewesen zu sein.« Max deutete auf die vor ihm liegenden Ordner. »Es gibt noch eine Reihe weiterer Fälle, die ebenso mit Klingbergs Ermordung in Verbindung stehen könnten. Ganz zu schweigen von seinen aktuellen Ermittlungen gegen mehrere Drogengangs auf St. Pauli und ihre Hintermänner ...»

Roy seufzte hörbar.

»Es wird uns wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als diese Liste systematisch abzuarbeiten«, glaubte er, und damit lag er zweifellos richtig.

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Als Roy und ich am Tatort im Stadtpark ankamen, war dort das Meiste schon gelaufen.

Klingbergs regelrecht durchsiebter Leichnam lag längst in der Pathologie des Gerichtsmediziners und wurde einer Obduktion unterzogen.

Patronenhülsen, die mit einer Automatik vom Kaliber 45 abgeschossen worden waren, hatten sichergestellt werden können. Ob die Tatwaffe schon einmal verwendet worden war, würde sich erst nach den ballistischen Untersuchungen zeigen. Damit wir in diesem Fall nicht auf die im Moment stark überlasteten Labore des Erkennungsdienstes angewiesen waren, würde unser eigener Ballistiker David Ochmer die dafür notwendigen Untersuchungen durchführen. Weil wir David am Tatort mit Sicherheit nicht mehr antreffen würden, hatten wir während der Fahrt telefonischen Kontakt mit ihm. Er machte uns allerdings wenig Hoffnung darauf, dass die Testergebnisse schneller als in vierundzwanzig Stunden zur Verfügung standen.

Eine Untersuchung der Patronenhülsen auf Fingerabdrücke war bereits am Tatort geschehen und negativ ausgefallen.

Einige Kollegen hatten Jogger und Passanten befragt, ob sie etwas gesehen hatten. Die Ausbeute war mager.

Nachdem wir uns am Tatort umgesehen und uns ein Bild gemacht hatten, besuchten wir den  Kollegen Danilo Richter auf seiner Dienststelle, der die ersten Tatortermittlungen zu verantworten hatte und sprachen mit ihm über das Problem.

»Sie haben ja sicher selbst mitgekriegt, was für ein Wetter wir heute Morgen hatten. Immer wieder gab es heftige Schauer, die mit kürzeren trockenen Phasen abwechselten. Da sind natürlich nicht gerade viele Leute unterwegs. Außerdem hat der immer wieder einsetzende Regen dafür gesorgt, dass wir so gut wie nichts am Tatort gefunden haben, was irgendwelche Rückschlüsse auf den oder die Täter ergeben könnte – von den Patronenhülsen und einem Reifenprofil einmal abgesehen.«

»Sie gehen davon aus, dass es mehrere Täter waren«, stellte ich fest.

Richter nickte.

»So ist der Stand der Ermittlungen, wenn die Geschichte mit dem BMW stimmt, wovon ich aber ausgehe. Es gab einen, der die Waffe abgeschossen hat und einen Komplizen, der den Fluchtwagen gefahren hat. Der Rentner, der den Wagen gesehen hat, konnte sich sogar einen Teil der Zulassungsnummer merken.«

»Und?«, hakte ich nach.

Selbst wenn man eine Zulassungsnummer nur teilweise vorliegen hatte, dazu aber weitere Merkmale des gesuchten Fahrzeugs wie Typ, Farbe, Ausstattung, Bereifung und ähnliches vorliegen hatte, konnte man das betreffende Fahrzeug in den meisten Fällen ermitteln oder die Zahl der infrage kommenden Halter stark einschränken.

»Wir vermuten, dass der BMW mit einem Fahrzeug identisch ist, das vor zwei Tagen als gestohlen gemeldet wurde.«

»Ein gestohlener Wagen als Fluchtfahrzeug, keine Fingerabdrücke an den Patronenhülsen – spricht das nicht dafür, dass hier Profis am Werk waren?«, meinte Roy.

Danilo Richter zuckte die Schultern.

»Dass wir überhaupt Patronenhülsen gefunden haben, spricht allerdings dagegen«, gab er zu bedenken. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Kollege Müller. Klingberg hat sicher jede Menge Feinde gehabt.«

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Es war bereits Abend, als wir im Goldbekweg eintrafen, wo der in zweiter Ehe verheiratete Konstantin Klingberg in einem schmucken Bungalow gewohnt hatte.

Ich parkte den Sportwagen, den uns die Fahrbereitschaft des Kriminalpolizei zur Verfügung stellte, am Straßenrand. Wir stiegen aus, traten an die Haustür und klingelten.

Eine junge Frau öffnete uns.

Klingberg war sechsundfünfzig Jahre alt geworden, seine Frau war schätzungsweise zwanzig Jahre jünger als er.

Wir stellten uns vor und zeigten Frau Anne Klingberg unsere Ausweise.

Insgeheim war ich froh darüber, dass bereits ein Kollege hier gewesen war, um Anne Klingberg darüber zu informieren, dass sie nun Witwe war. Ihre Augen wirkten rot geweint.

»Kommen Sie herein!«, sagte sie. »Ich bin mit den Prozeduren, die auf einen Mord folgen, durchaus vertraut, wie Sie mir glauben können.«

»Natürlich, Frau Klingberg«, nickte ich.

Ich stutzte, als wir das Wohnzimmer betraten. In einem der breiten Ledersessel saß ein hagerer Mann mit hohen Wangenknochen und eisgrauen Augen. Das grau melierte Haar war voll, aber sehr kurz geschoren. Ich schätzte sein Alter auf Mitte fünfzig.

Ich hielt ihm meinen Ausweis entgegen.

»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei«, stellte ich mich vor und deutete dann auf Roy. »Dies ist mein Kollege Roy Müller. Darf ich fragen, wer Sie sind?«

Er reichte mir die Hand. Sein Händedruck war sehr fest. Wie bei einem Mann, der gleich klarmachen will, wer der Chef war.

»Mein Name ist Manfred Buchmann«, sagte er in einem ruhigen, tiefen Tonfall. »Ich bin ein Freund des Hauses. Vielleicht trifft es das am besten.«

»Woher kannten Sie Herrn Klingberg?«, fragte ich.

»Wir haben uns während des Jura-Studiums kennengelernt. Allerdings habe ich es nie bis zur Zulassung als Anwalt gebracht, sondern einen völlig anderen geschäftlichen Weg eingeschlagen. Aber es würde zu weit führen, Ihnen die ganze Story jetzt in ein paar Sätzen auseinanderzusetzen.«

»Sofern eine Verbindung zum Fall besteht, habe ich auch gegen längere Erzählungen nichts einzuwenden«, erwiderte ich.

Manfred Buchmanns Gesicht verzog sich zu einem dünnen Lächeln.

»Ich bin recht erfolgreich in der Immobilienbranche tätig. Vor ein paar Jahren trafen Konstantin und ich bei der gemeinsamen Vorstandsarbeit für eine gemeinnützige Stiftung wieder aufeinander, für die wir uns beide engagiert haben.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Im Moment bin ich hier, um Anne in ihrer schwierigen Situation beizustehen. Ich denke, sie braucht jetzt jemanden, der sich um sie kümmert.«

»Ganz sicher!«

»Wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihnen bei Ihren Ermittlungen zu helfen, dann lassen Sie es mich bitte wissen.«

»Oh, ich weiß Ihre Kooperationsbereitschaft zu schätzen, Herr Buchmann.«

»Meine geschäftlichen Verbindungen bilden ein exzellentes Netz, das sich natürlich auch zur Erlangung von Informationen eignet. Also, wenn Sie mal wollen, dass ich meine Verbindungen spielen lasse ...»

»... werden wir auf Sie zurückkommen«, mischte sich nun Roy ein. Der Tonfall, in dem er sprach, verriet, dass ihn die anbiedernde Art dieses Mannes einfach nur nervte.

Ich wandte mich an Anne Klingberg, die schweigend dasaß, den Blick in sich gekehrt und wie versteinert wirkend. Für sie musste das alles ein wahrer Albtraum sein.

»Im Moment sind wir dabei, eine Liste derjenigen zusammenzustellen, die vom Tod Ihres Mannes profitiert oder ihn sich gewünscht haben könnten«, sagte ich so sachlich mir dies in der gegenwärtig emotional ziemlich aufgeladenen Stimmung möglich war.

»Mein Mann war stolz darauf, den Ruf eines Hardliners zu haben und in kriminellen Kreisen gefürchtet zu werden«, flüsterte Anne Klingberg. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und brach schließlich in ein Schluchzen aus. Dann griff sie nach ihrem Taschentuch und wischte die Tränen weg, nur um sich wenig später noch einmal förmlich zu schütteln.

Manfred Buchmann legte den Arm ihre Schulter. Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und atmete tief durch.

»Vielleicht ist es einfach das Beste, Sie kommen ein anderes mal wieder«, glaubte Buchmann. »Bitte! Sie sehen ja, wie mitgenommen Anne im Moment noch ist.«

»Das würde vor allem den Tätern und ihren Auftraggebern nützen«, stellte ich fest.

Manfred Buchmann runzelte die Stirn.

»Sie gehen davon aus, dass es sich um einen Auftragsmord handelte?«

»Das ist eine Hypothese«, gab ich zu.

»Die meisten von denen, die mit Konstantin noch eine Rechnung offen hatten, dürften in irgendeinem Staatsgefängnis sitzen«, glaubte Manfred Buchmann.

»Einen Mord kann man leider auch aus einer Haftanstalt heraus in Auftrag geben – vorausgesetzt man hat die nötigen Verbindungen und entsprechende finanzielle Mittel«, gab Roy zu bedenken.

Ich wandte mich der Witwe zu.

»Bitte, Frau Klingberg, versuchen Sie darüber nachzudenken, wer Ihren Mann so sehr gehasst haben könnte, dass er ihn tot sehen wollte.«

Anne Klingberg zuckte die schmalen Schultern.

»Wie schon gesagt, es gab so viele, die ihn hassten. Es verging kaum ein Tag, an dem uns das nicht auf die eine oder andere Weise klargemacht wurde. Mal durch Drohbriefe, dann wieder durch obszöne Anrufe, die uns trotz unserer Geheimnummer erreichten. In letzter Zeit waren es vor allem E-mails, die ein krankes Hirn verfasste, das sich Rächer der Gerechten nennt ...»

»Davon steht nichts in den Unterlagen«, sagte ich. »Warum hat er sich damit nicht an die Polizei oder an uns gewandt?«

»Das hat er«, widersprach Frau Klingberg. »Die Kollegen fanden heraus, dass ein Mann namens Pascal Benitez dahinter steckte.«

»Der Name kommt mir bekannt vor«, meinte Roy.

»Er stand lange auf den Fahndungsseiten der Homepage des BKA«, fand Anne Klingberg dafür sofort eine plausible Erklärung. »Benitez war der Mann fürs Grobe eines Drogensyndikats von Albanern. Mein Mann brachte ihn für die nächsten dreißig Jahre ins Gefängnis. Irgendwie hat Benitez es geschafft, über den Internetzugang der Gefängnisbibliothek dafür zu sorgen, dass die private Mail-Adresse meines Mannes einige Zeit ständig verstopft war. Benitez bekam keinen Zugang mehr zum Bibliotheksrechner des Gefängnisses, nachdem die Sache aufgedeckt wurde.«

»Wann war das?« fragte ich.

»Vor drei Wochen hörte der Spuk auf.« Frau Klingberg schluckte und strich sich mit einer fahrigen Geste eine Strähne ihrer brünetten Haare aus den Augen. »Jedenfalls dachte ich das ...»

»Wir werden ohnehin die privaten Sachen Ihres Mannes durchsuchen müssen«, sagte ich und versuchte ihr damit schonend beizubringen, dass ein ganzes Team unserer Erkennungsdienstler eine Hausdurchsuchung durchführen würde. »Sie wissen sicher, dass das Routine in Mordfällen ist. Schließlich ...»

»... war ich lang genug die Frau eines Staatsanwalts!«, vollendete Anne Klingberg meinen Satz. Sie erhob sich aus ihrem Sessel. Mit verschränkten Armen stand sie einen Augenblick da, sah mich direkt an und sagte schließlich: »Tun Sie Ihren Job, Herr Jörgensen und ziehen Sie diejenigen zur Rechenschaft, die mir meine Mann genommen haben! Ich werde alles tun, was notwendig ist, um Sie zu unterstützen.«

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Später trafen noch unsere Erkennungsdienstler Martin Horster und Frank Folder sowie Kollege Fred Rochow ein. Die drei waren zuvor auch an der Durchsuchung von Konstantin Klingbergs Dienstzimmer im Amtssitz des Staatsanwalts beteiligt gewesen.

Der Mann musste ein Workaholic gewesen sein.

Klingbergs privates Arbeitszimmer nahm das gesamte Dachgeschoss des Bungalows ein. Es stellte sich heraus, dass Klingberg viele seiner dienstlichen Angelegenheiten zu Hause bearbeitet hatte und offenbar häufig auch am Wochenende und nach Feierabend noch an seinen Fällen tätig gewesen war. Was wir von Herr Bock über Klingbergs Schicksal erfahren hatten, machte das besondere, über das Normalmaß hinausgehende Engagement für die Strafverfolgung von Verbrechen verständlich – und auch die besondere Verbindung, die Herr Bock zu ihm gehabt zu haben schien.

An der Wand hing ein gerahmtes Kinoplakat, das Clint Eastwood als rächenden US-Marshal in HÄNGT IHN HÖHER zeigte.

»So hat sich Konstantin Klingberg wohl selbst gesehen«, meinte ich. »Der harte Kerl, der die Verbrecher gnadenlos zur Strecke bringt!«

»Ich denke, was als Nächstes ansteht, nachdem wir hier fertig sind, ist ein Besuch im Gefängnis«, meinte Roy.

Ich nickte. »Wenigstens haben wir da wahrscheinlich einige Dutzend Verdächtige an einem Ort versammelt.«

»Du sagst es!«

Fred Rochow meldete sich jetzt zu Wort.

»Seht euch das mal an!«, meinte er und zog einen Prospekt zwischen den im Arbeitszimmer herumliegenden Unterlagen hervor.  Er reichte ihn mir.

»LIGA FÜR RECHT UND ORDNUNG«, las ich da. Es handelte sich um eine gemeinnützige Stiftung, die Verbrechensopfern half. Der Prospekt enthielt einen Spendenaufruf. Ich deutete auf die Broschüre und fragte: »Was ist daran so außergewöhnlich?«

»Es ist nicht außergewöhnlich, nur interessant«, antwortete Fred Rochow. »In dem Prospekt ist der verantwortliche Vorstand dieser Stiftung angegeben. Klingbergs Name ist dabei.«

»Dass dieser Workaholic dazu überhaupt noch Zeit hatte«, staunte Frank Folder.

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Am folgenden Tag lag das ballistische Gutachten vor. Wir saßen in Herr Bocks Dienstzimmer und ließen uns die Ergebnisse von unserem Chefballistiker David Ochmer erläutern.

Ochmer hatte mit dem Beamer seines Laptops die Vergrößerung der Oberflächenstruktur eines der Projektile an die Wand projiziert, die aus Konstantin Klingbergs Körper stammten.

»Sie können hier deutlich zwei verschiedene Riefungen feststellen«, erläuterte Ochmer. »Eine ist etwas stärker. Sie stammt vom Lauf einer 45er Automatik, die aktenkundig ist. Diese Waffe wurde bei mehreren Schießereien zwischen rivalisierenden Banden auf St. Pauli verwendet. Sie gehörte dem Gang-Anführer Sven Kimbel, den wir ja bereits in der Liste der Verdächtigen führen. Er sitzt wegen Mordes im Gefängnis. Die Waffe, die er damals benutzte, galt als verloren.«

»Es haben wohl alle angenommen, dass Kimbel sie in die Elbe geworfen hat«, meinte ich.

Aber das war offensichtlich nicht der Fall gewesen.

David Ochmer ergriff jetzt wieder das Wort. Er markierte mit einem Laserpointer eine bestimmte Linie auf der Abbildung.

»Ich wollte eigentlich noch erläutern, was da sonst noch zu sehen ist«, erklärte er.

»Dann fahren Sie fort«, wies Herr Bock ihn an.

»Die schwächeren Riefungen, die man hier sieht, stammen vom Schalldämpfer. Der könnte ein Eigenbau sein, was vielleicht Rückschlüsse auf den Täter zulässt. Es müsste dann jemand sein, der sich in der Metallverarbeitung auskennt und über handwerkliches Geschick verfügt.«

»Gang-Mitglieder, die in der Lage sind, ihre Harleys zu tunen, sind nun wirklich keine Seltenheit«, seufzte Ollie. »Und irgendwelche Spoiler-Bleche an ihren aufgemotzten Wagen hinzubiegen, das bekommen auch die allermeisten von denen hin.«

»Aber eigentlich sollte man annehmen, dass die harten Jungs aus Kimbels Gefolge, die inzwischen für ihn die Geschäfte auf der Straße führen, genau wissen, dass man eine Waffe nicht mehrfach verwenden kann, wenn man nicht auffallen will«, sagte Fred Rochow.

»Vielleicht ist es ja gerade das, was die Täter wollen«, vermutete Herr Bock. »Kimbel wird doch von seinen Leuten noch immer als Held verehrt, wie ich den Berichten in dem Dossier entnommen habe, das Max uns dankenswerter Weise zusammengestellt hat.« Unser Chef hob die Schultern. »Es sieht fast so aus, als wollte hier jemand seine ganz persönliche Markierung hinterlassen ...«

»... die sich dazu noch auch auf Kimbel bezieht«, stimmte Roy zu. »Was will uns der Killer damit sagen? Seht her, wer einen Kimbel ins Loch bringt, dem ergeht es schlecht oder so ähnlich?«

Herr Bock atmete tief durch und nickte schließlich.

»Wäre nicht das erste Mal«, murmelte er düster vor sich hin. Er blickte in die Runde. »Ich denke, es liegt jetzt klar auf der Hand, was als Nächstes zu geschehen hat. Wir nehmen uns Kimbel und seine Komplizen vor, die noch immer frei herumlaufen. Im Übrigen möchte ich noch etwas in eigener Sache sagen.« Alle Blicke waren jetzt gespannt auf Herrn Bock gerichtet. »Es wird Ihnen allen nicht entgangen sein, wie nahe mir der Tod von Konstantin Klingberg gegangen ist. Ich denke, zu den Gründen habe ich genug gesagt. Mehr braucht niemand von Ihnen darüber wissen. Ich möchte, dass Sie verstehen, weshalb ich in diesem Fall mich persönlich weitgehend heraushalten werde. Ich war weder am Tatort, noch habe ich Klingbergs Haus betreten, um bei der Durchsuchung und Sicherung von Beweismitteln dabei zu sein. Das wird Sie vielleicht verwundern, aber ich denke, das Wichtigste ist, dass wir gute Arbeit leisten. Persönliche Interessen müssen dahinter zurückstehen. Mich würde nichts mehr reizen, als persönlich auf die Jagd nach dem Mörder von Konstantin Klingberg zu gehen, aber ich weiß, dass für erfolgreiche Ermittlungsarbeit eine professionelle Distanz nötig ist, die dann einfach nicht mehr gewahrt wäre. Und das kann im Extremfall bedeuten, dass man auf einem Auge blind ist und die entscheidenden Dinge zur Lösung eines Falls nicht sieht. Vielleicht auch gar nicht mehr sehen will. Wie auch immer, ich möchte nur, dass Sie verstehen, dass es kein Widerspruch ist, wenn ich mich einerseits bewusst zurückhalte und Sie Dinge tun lasse, von denn Sie vielleicht erwartet hätten, dass ich sie selbst tun sollte.« Herr Bock ließ noch einmal den Blick schweifen und sagte dann: »Das wäre alles.«

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Zusammen mit unseren Kollegen Stefan und Ollie fuhren Roy und ich zum Gefängnis.

In einem Verhörraum trafen wir uns mit Sven Kimbel, der in Begleitung von Christina Marquardt erschien, einer jungen, aufstrebenden Strafverteidigerin, die für die renommierte Kanzlei Richard, Frank & Partners arbeitete. Wer immer diese Kanzlei mit seinem Mandat betraute, durfte nicht arm sein. Zwar war Sven Kimbels Drogenvermögen seinerzeit beschlagnahmt worden, aber offenbar hatte er es doch irgendwie geschafft, einige seiner Drogengelder irgendwo in einem sicheren Drittland zu parken. Über Vertrauensleute konnte er dann an die Gelder heran. Es hätte mich persönlich nicht gewundert, wenn die Kanzlei Richard, Frank & Partners selbst ihre Finger in diesem Verschleierungsspiel gehabt hätte. Der seriöse Ruf dieser Kanzlei rührte vor allem aus jener Zeit, als Dietmar Richard senior noch persönlich die Geschäfte geführt hatte. Seit nunmehr fünf Jahren hatte der alte Richard sich jedoch aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und seine Kanzleianteile in die Hände seines Sohnes gelegt, der weit weniger Skrupel zu haben schien. Immerhin waren er geschickt genug, um sich nichts nachweisen zu lassen, aber es pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass die Anwälte dieser Kanzlei sich zumindest mittelbar an diversen Geldwäschegeschäften beteiligt hatten.

Sven Kimbel war ein großer, breitschultriger Mann, dem anzusehen war, dass er die Zeit im Gefängnis dazu genutzt hatte, seine Muskeln in den Fitnessräumen dieser Strafanstalt zu stählen. Sein Haar war kurz geschoren. Am Oberarm trug er eine Tätowierung, die ihn als Mitglied der TIGERS auswies, einer Gang, die er lange Zeit angeführt hatte, bis die Ermittlungen von Konstantin Klingberg dafür gesorgt hatten, dass er nun wohl den Rest seines Lebens hinter Gittern sitzen musste. Er hatte weder mit vorzeitiger Entlassung noch mit Bewährung zu rechnen. Das ging schon allein wegen seines Verhaltens während des Strafvollzugs nicht. Immer wieder war Sven Kimbel in Streitigkeiten verwickelt. Er hatte einen Mitgefangenen ins Koma geprügelt. Seit anderthalb Jahren lag der Mann, ein schwarzer Halbafrikaner aus St. Pauli – nun schon in der Intensivabteilung des Marienkrankenhauses, wo man die Möglichkeit hatte, sich umfassend um ihn zu kümmern.

Sven Kimbel ließ sich auf den bereitstehenden Stuhl fallen.

»Nehmen Sie ihm Handschellen und Fußfesseln ab!«, wandte sich Stefan Czerwinski an einen der Wächter, die ihn bis in den Gesprächsraum begleitet hatten, und kam sofort und ohne Umschweife zur Sache.

»Wir sind heute hier, weil Staatsanwalt Konstantin Klingberg gestern Morgen erschossen wurde.«

Sven grinste breit. Er entblößte dabei eine Reihe mit Metallzähnen.

»Ich habe davon gehört«, bekannte er und lachte heiser. »Gute Nachrichten sprechen sich schnell herum hier drinnen.«

»Wir suchen den Täter und ...»

Stefan wurde von Kimbel grob unterbrochen.

»Was soll der Mist hier?«, tönte der Mann, der sich noch immer für eine der größten Nummern  auf St. Pauli zu halten schien. »Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Konstantin Klingberg nicht leiden kann. Außerdem sollten Sie mal meine Akte genauer studieren, bevor Sie sich mit jemandem wie mir an einen Tisch setzen. Sie hätten dann feststellen können, dass in meinem Fall jeglicher Hafturlaub, und was es sonst noch so für Vergünstigungen gibt, ausgeschlossen wurde. Ich habe also ein wirklich wasserdichtes Alibi!« Kimbel erhob sich von seinem Platz und streckte dem Wachmann die Hände hin. »Ich nehme an, dass Gespräch ist damit beendet. Gehen wir besser jeder für sich zur Tagesordnung über!«

»Einen Moment bitte!«, mischte ich mich ein.

Der neben Kimbel stehende Wachmann legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn zurück auf den Stuhl.

»Was ist denn noch?«, brummte Sven Kimbel. Er verdrehte die Augen. »Zu dem Thema habe ich alles gesagt, was zu sagen ist. Punkt! Ende! Aus!«

»Nein, das ist nicht wahr«, widersprach ich und riss damit nun endgültig die Gesprächsführung an mich. »Sie haben uns noch nicht erklärt, wieso die Waffe, mit der Sie damals einen Menschen erschossen und mehrere weitere schwer verletzt haben, jetzt plötzlich wieder in Umlauf gebracht wurde.«

Sven Kimbel runzelte die Stirn und sah mich mit schiefen Blicken an.

»Wie bitte?«, fragte er, so als hätte er mich nicht verstanden.

»Sie haben richtig gehört«, ergänzte Ollie. »Die Waffe, die Sie damals nach Ihrer letzten Schießerei irgendwo versteckt haben müssen, ist wieder aufgetaucht.«

»Aber verdammt noch mal, geht das nicht in Ihren Schädel hinein? Ich war hier unter Aufsicht und habe die Waffe nicht abgedrückt!« Er kicherte. »Das werden auch all Ihre Untersuchungen beweisen.«

»Wo befand sich diese Waffe während der letzten Jahre?«, fragte ich.

»Keine Ahnung!«

»Ich weiß nicht, ob Sie hier drinnen alles haben, was Sie brauchen«, meinte ich. »Aber vielleicht ist es nicht schlecht, wenn die Staatsanwaltschaft weiß, dass Sie kooperieren wollen.«

»Den Teufel werde ich tun!«, erwiderte Sven Kimbel.

»Ganz wie Sie wollen!«, sagte Stefan. Der flachsblonde Kommissar schien genug von den Ausweichmanövern des ehemaligen Gang-Anführers zu haben. »Aber wenn sich herausstellt, dass Sie die Verbrechen aus den Mauern dieses Gefängnisses heraus geplant und in Auftrag gegeben haben, dann wird man Sie nicht hier in Hamburg lassen, sondern irgendwo anders hin verlegen. Ich weiß nicht, wie es mit Ihren Besuchsrechten dann noch steht ...»

»Glauben Sie wirklich, dass dieser Mord mit meiner alten Waffe begangen worden wäre, wenn ich hinter der Sache stecken würde?«, fragte Sven Kimbel zurück. Er lief dunkelrot an und machte eine wegwerfende Handbewegung, die so ausholend und heftig ausgeführt wurde, dass die in der Nähe postierten Wachmänner schon nervös wurden. »Ihr Bullen müsst mich für reichlich dämlich halten.«

»Dann sagen Sie uns doch einfach, wo Ihre Waffe die letzten Jahre aufbewahrt wurde und von wem!«, beharrte Stefan Czerwinski. »Wenn Sie wirklich jemand in die Pfanne hauen wollte, dann bekommen wir das heraus. Andernfalls hängen Sie nach der derzeitigen Beweislage mit drin, weil jeder glauben wird, dass Sie einen Ihrer Leute losgeschickt haben, damit er mit der alten Waffe ein Zeichen setzt.«

»Das ist doch Unsinn!«

»Rache aus dem Knast mit perfektem Alibi! Aber sobald wir den Kerl haben, der abgedrückt hat, wird der reden und Sie in die Pfanne hauen, bevor er die Schuld allein auf sich nimmt. Da können Sie sicher sein!«

»Hören Sie auf!«

»Mein Mandant könnte behaupten, die Waffe vor seiner damaligen Verhaftung einfach weiterverkauft zu haben«, mischte sich Kimbels Anwältin ein. »Und ich sehe nicht, wie Sie diese Behauptung widerlegen könnten.«

»Bravo, Schätzchen! Geben Sie den Ärschen Zunder!«, rief Kimbel. »Ich behaupte einfach, was meine Anwältin sagt, und Ihr könnt mich dann mal!«

»Wenn Ihr Mandant dämlich gewesen wäre und unter Geldmangel gelitten hätte, wäre das plausibel«, antwortete Stefan. »Aber beides wird niemand behaupten wollen. Außerdem stellt sich dann die Frage, wieso er uns den Käufer nicht nennt und mit uns kooperiert.« Stefan wandte sich wieder direkt an Kimbel. »Und sagen Sie nicht, dass es nicht auch für Sie nicht noch schlimmer kommen könnte!«

Kimbel lehnte sich zurück. Die Pose großspuriger Lässigkeit war jetzt von ihm abgefallen. Er schien mit sich selbst zu ringen und brauchte vielleicht nur noch einen kleinen Anstoß, um etwas zu tun, was für einen ehemaligen Gang-Anführer  so etwas wie den Verlust der Ehre bedeutete.

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738959185
ISBN (MOBI)
9783738959185
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (März)
Schlagworte
kommissar jörgensen schalldämpfer hamburg krimi

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Kommissar Jörgensen und der Schalldämpfer: Hamburg Krimi