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Die schöne Tochter: Jenseits der Großen Mauer 1: Historischer Roman Anno 1644

von W. A. Hary (Autor:in) Alfred Bekker (Autor:in)
©2022 100 Seiten

Zusammenfassung

Die schöne Tochter

Jenseits der Großen Mauer 1

Historischer Roman Anno 1644

von Wilfried A. Hary & Alfred Bekker

nach einem Exposé von Alfred Bekker





Die Ming-Dynastie geht ihrem Ende entgegen. Im Jahr 1644 gehen Rebellen und Mandschuren gegen den Kaiser und seine Truppen vor, aber noch wird Peking gehalten. Mitten in diesen Wirren ist ein Liebespaar, die schöne junge Chen und der holländische Händler John van Aarden, auf der Flucht. Als John gefangen genommen wird, muss er den Rebellen helfen, um sein Leben zu retten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Die schöne Tochter

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Jenseits der Großen Mauer 1

Historischer Roman Anno 1644

von Wilfried A. Hary  & Alfred Bekker

nach einem Exposé von Alfred Bekker

––––––––

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Die Ming-Dynastie geht ihrem Ende entgegen. Im Jahr 1644 gehen Rebellen und Mandschuren gegen den Kaiser und seine Truppen vor, aber noch wird Peking gehalten. Mitten in diesen Wirren ist ein Liebespaar, die schöne junge Chen und der holländische Händler John van Aarden, auf der Flucht. Als John gefangen genommen wird, muss er den Rebellen helfen, um sein Leben zu retten.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

nach einem Exposé von Alfred Bekker

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Die Große Mauer...

Das größte je von Menschen erbaute Bauwerk.

Ein Schutzwall des Reiches der Mitte gegen die Barbaren des Nordens.

Das befestigte Fort direkt an der Küste des Gelben Meeres, dort, wo die große Mauer endete, mochte auf einen Unbedarften wenig furchteinflößend wirken. Doch hier hatte es in seiner Rolle als wichtigstes Bollwerk gegen die immer wieder versuchte Invasion der Mandschuren bislang seine Stellung immer erfolgreich verteidigen können.

Immerhin war dieses Fort der ganze Stolz seines Kommandanten von Kaisers Gnaden Wu. Und weil die Kaiserstadt Peking nicht besonders weit entfernt lag, war sich natürlich auch der Kaiser der ganz besonderen Bedeutung dieses Forts im China des Jahres 1644 bewusst. Es war also überhaupt kein Wunder, dass der amtierende Ming-Kaiser immer wieder einen seiner persönlichen Adjutanten auf die Reise schickte, um Kommandant Wu zu einer Audienz an seinem Hofe einzuberufen.

Eine Aufgabe, der Kommandant Wu natürlich ganz besonders gern nachkam. Wurde ihm dadurch ja auch jedes Mal aufs Neue seine eigene Bedeutung zum Schutze des Ming-Kaiserreichs bewusst.

Er machte sich sogleich weisungsgemäß auf den Weg, dies mit jenem Prunk, der noch angemessen erschien, der dabei jedoch deutlich genug blieb, um seine eigene Bedeutung für jedermann sichtbar bleiben zu lassen.

Kommandant Wu war in diesen Dingen sehr bemüht. Es war ja auch kein Wunder, dass ausgerechnet ihn der Ming-Kaiser zum Kommandanten dieses auch für die Kaiserstadt Peking besonders wichtig erscheinenden Forts am Ende der großen und nach Willen des Kaiserreiches ewigen Mauer zum Kommandanten ernannt hatte. Wohl wissend, dass dieses Fort in seinen Händen sicherlich bestens aufgehoben war.

Bislang war es den Mandschuren zwar noch niemals gelungen, die große Mauer zu überwinden, trotz aller Bemühungen dieser schier unermüdlichen Invasoren aus der Mandschurei, aber das Jahr 1644 war auch in anderer Hinsicht ein sehr bedeutsames Jahr. Denn es war ein Jahr des endgültig drohenden Umbruchs. Beziehungsweise das Jahr, in dem dieser drohende Umbruch ganz besonders deutlich zu werden begann.

Mit anderen Worten: Die bislang ewig erscheinende Ming-Dynastie war deutlich am Bröckeln. Aufstände erschütterten schon seit Jahren das Reich, wichtige Provinzen waren abgefallen. Nicht nur das: Ausländische Händler, darunter vor allem Holländer und Portugiesen, sowie christliche Missionare mit europäischen Wurzeln, versuchten hier Fuß zu fassen. Und das, obwohl gleichzeitig in Europa selbst der später so genannte Dreißigjährige Krieg seit nun schon so vielen Jahren voll im Gange war.

Der Ming-Kaiser allerdings sah die Ausländer bisher nicht als Bedrohung an, sondern eher als Bereicherung, denn sie brachten natürlich auch Handel und Wandel der positiven Art. Man musste bloß aufpassen, dass ihr Einfluss nicht ein erträgliches Maß überschritt. Vor allem musste sehr darauf geachtet werden, dass es keinerlei Unterstützung seitens der Rebellen gab.

Aber die ausländischen Händler, ebenso wie die Missionare, wussten selbst, dass sie lediglich geduldet waren und sich in ihrer Gastrolle kaisertreu geben mussten, um nicht in Ungnade zu fallen, was ihnen wohl recht schlecht bekommen wäre.

Einer von ihnen war der junge holländische Händler John van Aarden, der in Peking trotz seiner relativen Jugend bereits ein Kontor der Ostindischen Handelskompanie leitete und sich bestens in China auskannte. Aufgrund seiner Bedeutung innerhalb der ausländischen Händler ging er gewissermaßen ein und aus, unter anderem im Hause eines der wichtigsten Handelsherren der Dynastie mit Namen Wah. So blieb es nicht aus, dass er irgendwann dabei auch Wahs Tochter Chen begegnete.

John, der sich voll und ganz auf seine Aufgaben konzentrierte und mit Leib und Seele eben das war, was man einen erfolgreichen Händler in einem eigentlich völlig fremden Land nennen durfte, erlebte dabei zum ersten Mal so etwas wie eine unbeschreibliche Faszination allein beim Anblick Chens. Was er sich selbst in keiner Weise erklären konnte. Eine Faszination zumal, die nicht nur ihn erfasste, sondern tatsächlich auch auf Chen selbst überzuspringen schien.

Chen, die sich bislang nie sonderlich für das männliche Geschlecht interessiert hatte und sich stattdessen redlich bemühte, den hohen Ansprüchen ihres Vaters Wah an eine Tochter im Hause eines hohen Handelsherrn gerecht zu werden, war nach der ersten eher flüchtigen Begegnung doch ziemlich irritiert ob der eigenen Reaktion.

Irgendwie bangte ihr von nun an regelrecht vor der nächsten Begegnung, die unweigerlich erfolgen musste, weil es John im Rahmen seiner Aufgaben oft genug in dieses Haus führte.

Obwohl Chen sich redlich bemühte, diesem jungen Mann lieber nicht mehr zu begegnen, weil sie ansonsten befürchten musste, sein Anblick allein schon würde sie zu sehr von ihren täglichen Pflichten ablenken, kam es doch erneut zu Begegnungen.

Jedes Mal zwar eher der flüchtigen Art, doch mit bleibendem Eindruck auf beiden Seiten. Was sie sich beide nicht erklären konnten, weil sie es sich nicht erklären wollten.

Durchaus spürte auch John van Aarden jene deutliche Scheu vor jeder weiteren Begegnung dieser Art, zumal er es als höchst unschicklich erachtete, sich als Ausländer doch tatsächlich einer hohen Tochter von solcher Bedeutung annähern zu wollen, sozusagen auch noch mit der falschen Hautfarbe sogar, doch er konnte sich andererseits nicht gegen die leise Freude wehren, die er bei jeder dieser Begegnungen verspürte. Sie entstand tief in seinem Innern, und ihren Funken bewahrte er sich bereits, wenn er nur schon seinen nächsten Besuch im Hause des Handelsherrn Wah vorbereitete, wohl wissend, dass aus diesem Funken kurzfristig ein wahres Feuer entflammte, wenn sich auch nur ihrer beider Blicke trafen. Wonach sie jedes Mal allerdings beide regelrecht die Flucht ergriffen  voreinander.

An diesem Tag jedoch, als John van Aarden den Handelsherrn aufsuchte, gab es keine weitere Begegnung. Eher beiläufig erfuhr John, dass Chen abwesend war. Auf Wunsch des Ming-Kaisers, der sowohl die Anwesenheit ihres Vaters als auch ihre eigene Anwesenheit verfügt hatte, weil er wohl der gegenwärtigen Audienz für Kommandant Wu eine besondere Bedeutung beimaß.

Welcher Art diese Bedeutung sein konnte, wurde allerdings John nicht mitgeteilt. Er wagte auch nicht, speziell danach zu fragen, um nicht allzu interessiert am Verbleib von Handelstochter Chen zu erscheinen.

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Zum großen Erstaunen von Kommandant Wu herrschte am Palast des Kaisers ungewohnt hektische Betriebsamkeit, und das hatte offensichtlich nicht nur mit seinem Erscheinen zu tun.

Seine eigenen Leibgardisten blieben zurück, als er tiefer in das Allerheiligste des Palastes ging, jetzt von Palastwachen begleitet, die extra seinetwegen abgestellt worden waren. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch zum ersten Mal, dass er nicht allein zur Audienz berufen worden war, sondern der heutige Tag nach dem Willen des Ming-Kaisers ein ganz besonderer werden sollte, als einer der besonderen Tage, die da anscheinend noch folgen sollten.

Kommandant Wu begann zu ahnen, worum es ging und wieso dabei auch seine Anwesenheit so dringend erforderlich war. Immerhin war er hier als Sinnbild des Widerstandes gegen alle bisherigen Bemühungen der Mandschuren, in das Kaiserreich einzufallen, um die Ming-Dynastie ein für allemal zu beenden. Aber was suchte beispielsweise Handelsherr Wah im Palast bei einer solchen Gelegenheit?

Und dieser war nicht allein gekommen: Was war das für ein göttliches Geschöpf da an seiner Seite?

Kommandant Wu war total fasziniert bei ihrem Anblick, bis ihm dämmerte, dass es sich wohl nur um die Tochter des Handelsherrn Wah handeln konnte. Wie hieß sie noch gleich? Chen? Während die Gattin des Handelsherrn nicht nur für ihre besondere Anmut, sondern auch für ihre stete Zurückhaltung bekannt war, schien Tochter Chen von ganz anderem Kaliber zu sein. Obzwar sie die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte. Ganz eindeutig sogar.

Eigentlich hatte sich der Handelsherr, so wurde zumindest gemunkelt, einen Sohn als Nachfolger für sein Handelshaus gewünscht. Es war jedoch bei Tochter Chen geblieben, die allerdings dem Hause alle Ehre machte, indem sie nicht etwa in die Fußstapfen ihrer für ihre vornehme Zurückhaltung gerühmte Mutter getreten war, sondern eher in die Fußstapfen ihres Vaters. Auch was dessen Handelsgeschick betraf. Kein Wunder also, dass sie ihren Vater hier am Hofe begleitete.

Wobei die Motive des Kaisers für diese Einladung – oder sollte man doch eher Vorladung sagen? – Kommandant Wu in diesem Zusammenhang nicht einmal in erster Linie interessierten. Hatte er doch dadurch endlich Gelegenheit, Chen einmal persönlich zu begegnen, und er war dermaßen entzückt von ihr, dass er schon Pläne zu schmieden begann, wie er sich ihr geschickt genug annähern könnte, ohne gleich allzu aufdringlich zu wirken. Er war schließlich ein erfolgreicher Soldat und nicht gerade als Charmeur bekannt geworden.

Chen ging ihm jedenfalls nicht mehr aus dem Sinn. Soviel stand fest. Ebenso sicher war allerdings auch die Tatsache, dass er umgekehrt Chen noch nicht einmal aufgefallen war, geschweige denn, dass sie sein Interesse an ihrer Person bemerkt hätte. Ihr Vater musste sie erst darauf aufmerksam machen, denn Handelsherr Wah empfand es eher als ungehörig, dass der Kommandant seine Tochter einfach nicht mehr aus den Augen lassen wollte.

„Wer soll das sein? Kommandant Wu?“, wunderte Chen sich indessen. „Also der Kommandant vom Fort am Gelben Meer?“

Ihr Vater nickte nur und warf erneut einen betont grimmigen Blick hinüber zu Kommandant Wu, den dieser geflissentlich übersah. Weil er sowieso mit all seinen Sinnen eher bei Tochter Chen war als bei deren Vater.

Chen selbst empfand das tatsächlich auch als eher unangenehm. Nicht deshalb, weil Kommandant Wu etwa nicht ansehnlich genug gewesen wäre, denn eigentlich war eher das Gegenteil der Fall, was nicht nur von seiner prunkvollen Uniform herrührte, sondern auch mit seinem besonders stolzen Auftritt zusammenhing; aber seit Chen den holländischen Händler John van Aarden kannte, schien es so, als könnte es niemals einen anderen Mann geben, der sie auch nur im Entferntesten interessiert hätte.

Obwohl sie mit John van Aarden bislang nicht einmal ein einziges Wort gewechselt hatte. Sie waren sich immer nur kurz begegnet, waren aneinander vorbeigegangen, ohne allerdings die Blicke voneinander lösen zu können. Aber das war bereits mehr, als jeglicher andere Mann auf der ganzen Welt Chen hätte bieten können, wie sie empfand.

Es war einfach ein Gefühl.

Ein Gefühl, das jeglicher Vernunft widersprach.

Aber andererseits ein Gefühl, dass ihr richtig erschien.

So, dachte sie, sollte es sein.

Es war genau auch das, was Chen in diesem Augenblick so überdeutlich bewusst wurde, dass sie sich nicht mehr länger dagegen wehren konnte. Da half alles Leugnen nichts mehr: Sie wusste definitiv, dass sie sich total in John van Aarden verliebt hatte, und es war mehr als klar, dass diese Liebe tatsächlich von ihm erwidert wurde.

Was war dagegen die Aufmerksamkeit eines Kommandanten Wu mehr als nur eben lästiges Beiwerk während einer wichtigen Audienz beim Ming-Kaiser, an der allerlei Persönlichkeiten mit Rang und Namen teilnahmen?

Und endlich machte der Ming-Kaiser deutlich, wieso er sie alle einberufen hatte. Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln und den vorgeschriebenen Ehrerbietungen der Gäste, die er ungeduldig über sich ergehen ließ:

„Es ist mir zu Ohren gekommen, aus berufener Quelle, dass sich die Lage verschlimmert hat!“ Bedeutungsschwangere Worte, die jeden aufhorchen ließen. „Die verhassten Mandschuren haben offensichtlich einen Weg gefunden, den Aufruhr durch Aufständische und Abtrünnige für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Mit anderen Worten: Sie versuchen, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen, um das Kaiserreich anzugreifen und den Einfall ins Reich vorzubereiten.“

Sein Blick fiel auf Kommandant Wu.

„Deshalb ist Kommandant Wu ebenfalls hier. Er ist die erste und wichtigste Bastion am Ende der Großen Mauer, um jeglichen Einfall auch von dieser Seite her zu vereiteln. Dennoch müssen wir erkennen, dass die Rebellen nunmehr alles tun werden, um vielleicht einen anderen Weg zu ebnen für die Invasoren, um gemeinsam mit diesen eine Dynastie zu vernichten, die Jahrhunderte überdauert hat.

Um es hier und heute noch einmal deutlich zu machen: Sie wollen erreichen, dass ich der letzte aller Ming-Kaiser sein werde. Und deshalb sind jetzt alle Persönlichkeiten von Bedeutung hier versammelt. Ihr alle seid die Grundfesten meiner Dynastie. Wenn das Kaiserreich untergehen sollte mit mir als dem letzten Ming-Kaiser, geht ihr alle mit unter. Unweigerlich.

Dessen bewusst muss euer Kaiser nicht an euch appellieren, alles zu tun, was in eurer Macht steht, um jeglichen Schaden vom Kaiserreich auch noch weiterhin abzuwenden. Ihr werdet das in eurem eigenen Interesse tun müssen.“

Das waren ja völlig neue Töne aus dem Munde des für sein rigoroses Vorgehen berüchtigten Ming-Kaisers. Keine mit Drohungen untermauerte Befehlsausgabe mithin, sondern tatsächlich ein Appell an die Vernunft aller, die hier anwesend waren? Und es war dies darüber hinaus auch noch eine ungewöhnlich lange Rede gewesen für einen Kaiser der knappen Worte, wie sonst bei ihm üblich.

Offenbar empfand er die sich nur seiner persönlichen Meinung nach anbahnende Übereinstimmung der Mandschuren ausgerechnet mit den Feinden im eigenen Kaiserreich für ganz besonders alarmierend, und da gab es jetzt tatsächlich auch niemanden unter den Anwesenden, der seine Auffassung in dieser Frage nicht hätte teilen wollen.

Einmal abgesehen davon, dass es sowieso nicht ratsam gewesen wäre, ausgerechnet in Anwesenheit des Kaisers eine abweichende Meinung zu vertreten.

Chen und ihr Vater sahen sich erschüttert an. Sie hatte schon munkeln hören, dass die Rebellen an Boden gewonnen hatten, zumal ja bereits wichtige Provinzen vom Reich abgefallen waren. Aber dass sie jetzt auch noch gemeinsame Sache machen sollten mit dem Erzfeind, rief auch in ihnen ein deutliches Gefühl der Beklommenheit hervor. Wobei zunächst einmal gleichgültig erschien, ob es tatsächlich stimmte oder nicht.

Kommandant Wu hingegen sah seine Zeit als gekommen, um sich ein weiteres Mal persönlich in den Vordergrund zu bringen, mit einem Auftritt, der niemandem entgehen konnte, der an dieser ganz besonderen Audienz teilnahm.

Er trat vor, natürlich mit aller geforderten Ehrerbietung. Um zunächst deutlich zu machen, dass er um das Wort bat. Das natürlich nur der Kaiser selbst erteilen konnte.

Der Ming-Kaiser brauchte nur mit einem Finger zu deuten, um Kommandant Wu zu ermächtigen, sich den anderen Gästen zuzuwenden, um stolz aufgerichtet in der Geste des großen Feldherrn, der er eigentlich gar nicht war als Kommandant eines Forts, egal welche Bedeutung dieses Fort auch haben mochte, und mit donnernder Stimme zu verkünden: „Die Angriffe der Mandschuren sind heftiger denn je. Die große Mauer bleibt nach wie vor unüberwindbar für sie und wird dies auch bis in alle Ewigkeit so bleiben, und so lange das Fort am Gelben Meer unter meinem Kommando steht, ist der Schutz des Kaiserreiches unverbrüchlich. Dafür garantiere ich mit meinem eigenen Leib und mit meinem Leben!“

Alle sahen sich bemüßigt, ihm für diese zuversichtlichen Worte Anerkennung zu zollen. Mit der gegebenen Zurückhaltung natürlich in Anwesenheit des Kaisers.

Sogar der Kaiser selbst zeigte sich höchst zufrieden über seinen Auftritt, und Kommandant Wu konnte sicher sein, dass sein Stand innerhalb der Verteidigungsallianz des Kaiserreiches unangefochten bleiben würde, falls er sich nicht sogar auch noch weiter gefestigt hatte.

Er sah sich auffordernd in der Runde um, was jedem Anwesenden klar machte, dass es von nun an tatsächlich auch an jedem selbst liegen würde, die Verteidigung im Innern des Reiches verantwortlich voranzutreiben. Nur so würde die Ming-Dynastie erhalten bleiben können, auch wenn die Feinde aus dem Innern sich mit den Feinden aus dem Äußeren verbündet haben sollten.

Inwiefern diese vorerst ja nur vermuteten Verbindung überhaupt erfolgreich werden sollte, wusste sowieso niemand zu sagen, und anscheinend wusste es der Kaiser selbst auch nicht so genau, sonst hätte er das ganz speziell angesprochen.

Nachdem Kommandant Wu wieder an seinen Platz zurückgekehrt war, hatte er nach wie vor beinahe ausschließlich Augen für Chen, was deren Vater so aufbrachte, dass Chen ihn zwischendurch sogar beruhigen musste, bevor er noch auf die Idee kam, etwas Unbedachtes zu unternehmen.

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Es kam, wie es kommen musste und wie es Chens Vater letztlich sowieso nicht verhindern konnte, ohne sich selbst dabei in erhebliche Schwierigkeiten zu bringen: Kommandant Wu nutzte die erstbeste Gelegenheit, um sich der Frau zu nähern, die er behehrte. Natürlich in gebührlicher Weise, indem er einen aus der Reihe der Palastwachen, die ihm zugeteilt waren, genauestens instruierte und vorschickte, um sich dabei dezent im Hintergrund halten zu können. Wie es sich gehörte für einen Mann von so hohem Rang wie Kommandant Wu. Immerhin derjenige, auf den der Ming-Kaiser große Stücke hielt, sonst hätte er bei dieser Zusammenkunft nicht ausgerechnet ihm so viel Raum geboten, um sein Ego in den Vordergrund zu bringen.

Sicherlich hatte er diese Gelegenheit auch deshalb so gut genutzt, um damit Chen zu imponieren. Ohne jedoch zu ahnen, wie wenig ihm dies bei ihr nutzte.

Der verlegene junge Mann, der im Auftrag des Kommandanten Chen seine Aufwartung machte, ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht aus eigenem Willen so handelte, sondern nur deshalb, weil er dem Kommandanten zugeteilt worden war. Wenngleich nicht gerade deshalb, um dessen Werber zu spielen ...

Chens Vater wollte bereits aufbrausen, doch Chen legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. Ihr Vater ahnte ja noch nicht einmal, dass Chens Herz sowieso längst einem anderen gehörte, und Chen wollte sich vorerst gar nicht vorstellen, wie er wohl auf John van Aarden reagieren würde, sobald er davon erfuhr, und das war derzeit ja auch nicht unbedingt schon aktuell genug.

Chen nickte dem Werber nur freundlich zu und sah dabei hinüber zu Kommandant Wu, der gespannt abwartete, dabei wie verschämt ihren Blick erwiderte.

„Sage deinem Herrn, dass es mir eine ganz besondere Ehre ist, sein Interesse geweckt zu haben. Es wird auch fürderhin mir eine besondere Ehre bleiben, die ich tief in meinem Herzen tragen werde, obschon dieses Herz ihm leider niemals gehören kann. Jetzt nicht und auch nicht in Zukunft. – Kannst du dir das alles überhaupt merken?“

Der Soldat nickte irritiert und versprach: „Sehr wohl, das werde ich!“

Er deutete eine Verbeugung an, von der er wohl annahm, sie sei der Situation angemessen, und zog sich rückwärts von Chen zurück, um sich sogleich stolz aufzurichten und zu seinem Auftraggeber zurückzugehen.

Chen lächelte nur flüchtig und wandte sich ab von der Szene, dabei vortäuschend, dass sie inzwischen schon wieder ganz anderes im Sinn hatte. Obwohl sie durchaus noch heimlich beobachtete, wie der Kommandant auf die Ablehnung reagieren würde.

Der junge Soldat, der es offenbar eher als Belastung ansah, für den Schutz des Kommandanten abgestellt worden zu sein denn als Ehre, redete viel zu viel und viel zu lang. Das waren bei Weitem nicht die gleichen Worte, die ihm Chen mit auf den Weg gegeben hatte, aber doch hoffentlich deren Inhalt?

Chen konnte es auf diese Entfernung leider nicht kontrollieren. Sie wandte sich an ihren Vater.

„Ein besonders lästiger Kerl!“, beschwerte sich dieser.

„Ach was“, meinte Chen dazu leichthin.

„Findest du nicht?”

„Was sollte es dich aufregen, wenn ein Mann von hohem Rang wie der Kommandant sein Interesse an deiner Tochter kundtut? Ich weiß mich ja durchaus zu wehren gegen Avancen, die mir nicht passen, und wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass sich Kommandant Wu nicht unschicklich benimmt.“

„Das ist wahr...”

„Es wäre nicht die Schlechteste aller Verbindungen für dich!”

„Auch das ist wahr.”

„Oder willst du... noch höher hinaus?”

Chen schluckte.

„Nein”, flüsterte sie mit belegter Stimme.

„Er wird allerdings nicht so schnell aufgeben, fürchte ich!“, brummte Handelsherr Wah missmutig.

Chen riskierte einen verstohlenen Blick hinüber und sah die Befürchtung ihres Vaters als durchaus berechtigt.

Kommandant Wu war ob der Abweisung nicht gerade amüsiert. Aber sein Zorn hielt sich in Grenzen. Noch! Denn man konnte ihm förmlich ansehen, wie er bereits Pläne schmiedete, um Chen doch noch zu erobern.

Beinahe hätte Chen darüber den Kopf geschüttelt, aber das wäre allzu auffällig geworden. Sie dachte über die besondere politische Rolle des Kommandanten nach. Es würde auf die Dauer gesehen wahrlich nicht leicht werden, ihn sich vom Leib zu halten. Insofern teilte sie den Pessimismus ihres Vaters durchaus. Aber was nicht leicht war, musste ja nicht auch noch unmöglich werden. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass ihr ein Mann Avancen machte, dem sie in geeigneter Form ihr Desinteresse klar machen musste.

Zwar würde Kommandant Wu ein besonders harter Brocken werden, aber Chen war zuversichtlich, dass alles dennoch glimpflich ablaufen konnte, solange sich ihr Vater heraushielt und nicht doch irgendetwas Unbedachtes tat, in der Annahme, seiner Tochter damit eine Hilfe zu sein.

Und dann dachte Chen wieder an John. Weil sie sowieso meistens an ihn dachte. Jetzt erst recht, nach diesem Erlebnis mit Kommandant Wu.

Niemand ahnte auch nur, dass sie beide in Liebe füreinander entflammt waren. Eine Liebe, die so offensichtlich geworden war, dass sie von ihnen nicht mehr länger geleugnet werden konnte. Nicht vor sich selbst jedenfalls. Denn vor allen anderen mussten sie es ja noch gar nicht leugnen. So lange sowieso niemand auch nur etwas davon zu ahnen begann.

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John van Aarden indessen benutzte eine, wie er meinte, geschickte Ausrede, um nicht gleich wieder das Handelshaus Wah unverrichteter Dinge verlassen zu müssen. Um hier in Wahrheit nur auf Chen zu warten. Wenn er sie wenigstens einen kurzen Augenblick sehen würde. Das würde ihm bereits genügen.

Würde es im Grunde ja ganz und gar nicht, aber mehr war ihm ja sowieso nicht gegönnt. Ihnen beiden nicht.

Vor allem, weil sie aus völlig verschiedenen Kulturen stammten. Er immerhin aus einem Europa, das derzeit schon so lange von einem nicht enden wollenden Krieg erschüttert wurde, auch wenn die Niederlande darin eine Art Insel des Wohlstands waren -  und sie aus einem Peking, das offensichtlich ebenfalls im Umbruch begriffen war. Wobei derzeit niemand zu sagen vermochte, wie das noch enden würde. Etwa im Chaos, wenn die Aufständischen doch noch die Oberhand gewannen? Doch auch wenn es nach dem Willen des Kaisers gelang, die Aufstände blutig niederzuschlagen und damit den Fortbestand der Ming-Dynastie auch noch weiterhin zu sichern, würde das weitere gravierende Folgen haben für die Bevölkerung.

Wie man es auch drehen und wenden wollte: Die Bevölkerung würde auf jeden Fall leidtragend sein. Und die ausländischen Händler wie John van Aarden waren indessen hier, um die Auswirkungen direkt und indirekt zu minimieren. Indem sie mit dem einst so reichen Kaiserreich Handel und Wandel trieben. Zum beiderseitigen Vorteil. Einen so bedeutsamen Handelspartner zu haben würde einerseits das zerrüttete Europa stützen helfen, wenngleich über den Umweg der Ostindischen Handelskompanie, um gleichzeitig auch dem kaum minder zerrütteten Kaiserreich Vorteile zu bringen, weil durch den Wegfall von Provinzen einiges an Warenverkehr zwangsläufig hatte einbrechen müssen. Um Lücken zu schaffen, die nur mittels Außenhandel einigermaßen geschlossen werden konnten.

John war sich seiner Rolle dabei durchaus bewusst und auch all der Schwierigkeiten, die diese mit sich brachte. Denn jeden Tag musste er einen wahren Balanceakt wagen, um einerseits den Eindruck zu erhalten, seine Arbeit wäre besonders nützlich für das Kaiserreich – um andererseits dem stetigen Misstrauen zu begegnen, das ihm von den Chinesen als Holländer und somit Europäer entgegengebracht wurde.

Und in dieser Situation auch noch eine mögliche Liebschaft zur Tochter eines hohen Handelsherren wie Wah?

Das würde dies alles enorm erschweren. Was sicherlich nicht nur ihm selbst klar war, sondern auch Chen.

Und doch fühlten sie sich zueinander in einem Maße hingezogen, dass sie sich dem nicht erwehren konnten. Trotz aller zur Schau getragenen Zurückhaltung. Eine Scheu immerhin, in der Vernunft geboren, deren Sieg über all diese Gefühle eher fraglich erschien, die scheinbar tief in der Brust ihren Ursprung hatten, mitten im Herz, um genauer zu sagen, und ihnen nachhaltig die Sinne vernebelten.

Fraglich zumindest auf Dauer gesehen.

Schließlich, als John beinahe schon aufgegeben hätte, kehrte Chen an der Seite ihres Vaters doch noch rechtzeitig genug zurück.

John, der vorgetäuscht hatte, nur wegen Handelsherr Wah hier zu sein, konnte ein erleichtertes Aufatmen nicht verhindern.

Details

Seiten
Jahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738959017
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (März)
Schlagworte
tochter jenseits großen mauer historischer roman anno

Autoren

  • W. A. Hary (Autor:in)

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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