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Blut an Sallys Händen: Pete Hackett Western Edition 5

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 150 Seiten

Zusammenfassung

Jackson Baker war voll Hass. Nach zwei Jahren öffnete sich ihm das Tor in die Freiheit. Zwei Jahre Yuma - zwei Jahre Hölle lagen hinter ihm. Ein Mann war in Yuma regelrecht lebendig begraben. Die glühende Hitze, die Arbeit in den Steinbrüchen und die Peitschen der Aufseher ließen fast jeden zerbrechen. Wer nicht hart genug war, verschwand in einem namenlosen Grab.

Jackson Baker hatte der Hass am Leben erhalten.

Mit Jack Baker wurde Matt Brady entlassen. Brady war ein dunkelgesichtiger, indianerhafter Bandit, der vor drei Jahren nach Yuma gekommen war und seine Strafe bis auf den letzten Tag abgesessen hatte. Die beiden Männer beschlossen, zusammenzubleiben. Zwei Freunde Bradys erwarteten sie vor dem Zuchthaus. Ihre Namen waren Jim Thompson und James Swanton. Sie hatten Pferde und Waffen für die beiden ehemaligen Sträflinge mitgebracht.

„Reiten wir nach Stoval zu meiner Farm!“ sagte Jack Baker. Tiefe Linien und Furchen zerschnitten sein hohlwangiges Gesicht. Sein kurzes Haar war grau, der Blick seiner Augen stechend. „Sally wartet darauf, dass ich nach Hause komme. Wir werden uns ein paar Tage erholen.“

„Vorwärts!“ rief Brady und ruckte im Sattel.

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​Blut an Sallys Händen: Pete Hackett Western Edition 5


von Pete Hackett

***



Jackson Baker war voll Hass. Nach zwei Jahren öffnete sich ihm das Tor in die Freiheit. Zwei Jahre Yuma - zwei Jahre Hölle lagen hinter ihm. Ein Mann war in Yuma regelrecht lebendig begraben. Die glühende Hitze, die Arbeit in den Steinbrüchen und die Peitschen der Aufseher ließen fast jeden zerbrechen. Wer nicht hart genug war, verschwand in einem namenlosen Grab.

Jackson Baker hatte der Hass am Leben erhalten.

Mit Jack Baker wurde Matt Brady entlassen. Brady war ein dunkelgesichtiger, indianerhafter Bandit, der vor drei Jahren nach Yuma gekommen war und seine Strafe bis auf den letzten Tag abgesessen hatte. Die beiden Männer beschlossen, zusammenzubleiben. Zwei Freunde Bradys erwarteten sie vor dem Zuchthaus. Ihre Namen waren Jim Thompson und James Swanton. Sie hatten Pferde und Waffen für die beiden ehemaligen Sträflinge mitgebracht.

„Reiten wir nach Stoval zu meiner Farm!“ sagte Jack Baker. Tiefe Linien und Furchen zerschnitten sein hohlwangiges Gesicht. Sein kurzes Haar war grau, der Blick seiner Augen stechend. „Sally wartet darauf, dass ich nach Hause komme. Wir werden uns ein paar Tage erholen.“

„Vorwärts!“ rief Brady und ruckte im Sattel.

Der Pulk setzte sich in Bewegung. Rötlicher Staub wogte. Hass und Tod zogen nach Osten, wo am Rande des San Cristobal Valleys die Farm Jackson Bakers lag.


*


Zwei Tage später.

Sally Baker entging es nicht, dass sich vier Reiter der Farm näherten. Sie kam gerade aus dem Stall, wo sie die beiden Ziegen gefüttert hatte. Ein halbes Dutzend Hühner badeten im heißen Staub. In der Fence neben dem Stall weidete eine Milchkuh.

Es war später Nachmittag. Die Sonne stand schon weit im Westen. Schnell wanderten die Schatten der Gebäude über den Hof. Sally musste in das grelle Sonnenlicht blicken, denn die Reiter näherten sich von Südwesten. Sie beschattete ihre Augen mit der flachen Hand. Groß, schwarz und drohend erschienen ihr Pferde und Reiter im flirrenden Glast. Die Hufe rissen Staubfahnen in die flimmernde Luft.

Sally hatte zwei Jahre lang diese Farm bewirtschaftet. Sie war zweiundzwanzig und ein hübsches Mädchen; mittelgroß, schlank, dunkelhaarig, mit braunen Rehaugen. Um ihren schönen Mund lag allerdings ein herber Ausdruck, ihr Blick war der einer reifen Frau, der das Leben nichts geschenkt hatte, ihre Art, zu handeln, wurde von den Erfahrungen eines ständigen Daseinskampfes dirigiert. Auch heute handelte sie danach, wo sich vier Reiter der Farm näherten und sie noch nicht erkennen konnte, um wen es sich handelte. Sie lief in das flache Farmhaus aus Baumstämmen und Brettern und holte ihr Gewehr.

Unter der Tür, die schussbereite Waffe an der Hüfte im Anschlag, erwartete sie den Pulk. Einer der Reiter winkte. Noch erkannte sie ihn nicht. Dann wehte seine Stimme heran: „Sally, Mädchen, ich bin zurück. Dein Dad ist wieder da!“

In Sallys Augen blitzte es auf. Sie ließ das Gewehr sinken und sicherte es. Sie konnte mit dieser Waffe umgehen wie kaum ein Mann. In den zwei Jahren, in denen sie alleine auf der Farm gewesen war, musste sie lernen, sich durchzusetzen.

Die Reiter trabten in den Farmhof. Gackernd, mit vorgestreckten Hälsen und schlagenden Flügeln, flohen die Hühner. Die Kuh in der Fence glotzte dem kleinen Rudel entgegen. Sally sah ihren Vater. Sie wusste, dass er entlassen worden war, aber sie hatte nicht erwartet, dass er Begleitung mitbrachte.

Sie hatte ihn anders in Erinnerung. Alles an ihm wirkte irgendwie grau. Er war hagerer, sehniger geworden. Tiefe Linien zerfurchten sein Gesicht. Grauer, ungepflegter Bart wucherte in seinem Gesicht. Als er breit grinste sah sie, dass ihm die beiden vorderen Schneidezähne fehlten.

Die drei Kerle, die ihn begleiteten und die sie neugierig und unverhohlen und mit einer gewissen Gier anstarrten, waren jung. Noch keiner von ihnen hatte das 30. Lebensjahr erreicht. Sie sahen verwegen und draufgängerisch aus. Jetzt, als sie Sallys abschätzenden, forschenden Blick auf sich ruhen sahen, tippten sie mit lässigen Gesten an die Krempen ihrer Hüte, grinsten blitzend, und Matt Brady sagte: „Hallo, Sally, dein Vater hat mir viel von dir erzählt. Er kam regelrecht ins Schwärmen, wenn er von dir sprach. Und jetzt muss ich feststellen, dass er nicht übertrieb, als er dich als das schönste Mädchen weit und breit bezeichnete.“

Diese drei Kerle gefielen Sally nicht sonderlich. Das waren Typen, die keine Ruhe kannten, denen es nie gelang, an einem Platz Fuß zu fassen, die immer wissen wollten, was sich ihnen hinter dem nächsten Hügel bot. Sie gab zur Antwort: „Dann waren Sie also zusammen mit Dad in Yuma, Mister. Wie sonst sollte er mit Ihnen über mich sprechen?“

„So ist es. Aber sei nicht so förmlich, Kleine. Nenn mich Matt. Das hier sind meine Freunde Jim und James.“

Jackson Baker saß ab. Er führte sein Pferd zum Brunnen. Sally ging auf ihn zu. Als sie aufeinander trafen, legte Baker den Arm um die schmalen Schultern des Mädchens. „Wie ist es dir ergangen während ich fort war, Sally? Haben dich die Schufte von der Circle-R in Ruhe gelassen?“

Das Gesicht des ehemaligen Sträflings verzerrte sich vor Hass.

„Hin und wieder tauchte einer der Cowboys auf und schlich ums Haus herum wie der Fuchs um den Hühnerstall. Sie wollen es einfach nicht begreifen, diese Narren, dass ich für sie kein Freiwild bin. Aber ich habe den Kerlen mit meinem Gewehr schon die Waden eingerenkt. Ihre Besuche wurden seltener.“

Sally lächelte.

Baker sagte: „Wenn du lächelst siehst du aus wie deine Mutter. Sie war schön, Sally. Du bist ihr Ebenbild.“

Die drei jüngeren Männer folgten ihnen zum Brunnen.

„Was hast du vor, Dad?“ fragte Sally mit einem viel sagenden Blick auf die drei Burschen, als sie die abgetriebenen Pferde tränkten.

Eine steile Falte bildete sich über Bakers Nasenwurzel. In seine Augen trat ein frostiges Glitzern, seine Stimme klang aggressiv und gehässig, als er hervorstieß: „Wegen drei Longhorns hat mich Owen Richards angezeigt, und Richter Gaines schickte mich für zwei Jahre nach Yuma. Zwei Jahre, Sally. Ich wurde gedemütigt, man hat versucht, mich zu zerbrechen, mit ihren Peitschen haben sie alles darangesetzt, Stolz und Ehre in mir zu zerschlagen. Das schreit nach Rache. Ich habe geschworen, Richards und Gaines umzubringen dafür. Und diesen Schwur halte ich. Wenn die beiden der Teufel geholt hat besorgen wir uns Geld und gehen nach Mexiko. Im Greaserland werden wir dann in Ruhe leben, Sally.“

Wie besessen war es aus Bakers Mund gequollen. Seine Augen leuchteten. Die triebhafte Mordgier in seinen glitzernden Augen traf Sally wie ein eisiger Guss. Sie prallte zurück.

„Dad!“ entrang es sich ihr entsetzt. „Als du Richards die Rinder stahlst und er dich auf frischer Tat ertappte, hätte er dich nach dem Gesetz der freien Weide aufhängen können. Willst du ihn dafür büßen lassen, dass er dich am Leben ließ? Und der Richter - er konnte nicht anders. Wir haben Gesetze, die es zu befolgen gilt, Dad, und die Strafen vorsehen für jedwedes Vergehen oder Verbrechen. Das hat Richter Gaines nicht erfunden. Aber es ist sein Job, dem Recht Geltung zu verschaffen.“

„Ich hasse Richards und Gaines“, knirschte Baker, und in seinen Zügen wütete die tödliche Leidenschaft. „Du bist meine Tochter, Sally, und du wirst tun, was ich dir befehle. Wir geben diese Farm auf. Es bringt nichts, sich den Rücken krumm zu schuften und am Ende mit der Gewissheit in die Grube zu sausen, sein Leben vergeudet zu haben. Hast du was zum Trinken im Haus? Ich meine etwas Richtiges zum Trinken, Sally. Whisky oder so was.“

„Ja“, murmelte sie niedergeschlagen und geistesabwesend. „Brandy. Ich habe ihn in Stoval gekauft, weil ich ahnte, dass du danach verlangen würdest, wenn du aus Yuma heimkehrst. Du findest ihn im Küchenschrank.“

„Bist ein prima Mädchen. Du und die drei Jungs, die ich mitgebracht habe, ihr werdet sicher Freunde werden. Es sind drei prächtige Burschen, Sally, Burschen, die dem Teufel ins Maul spucken. Du wirst es sehen. Zwei, drei Monate, dann haben wir genug Geld, und wir setzen uns nach Mexiko ab. Da drüben werden dir die Senores zu Füßen liegen. Glaub es mir.“

„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Dad“, murmelte Sally und fuhr sich über die Augen. Was ihr Vater soeben von sich gegeben hatte, überstieg ihr Begriffsvermögen. Ihre Gedanken drifteten auseinander. Da war die Vergangenheit, in der sich ihr Vater gelegentlich als Viehdieb betätigte, weswegen er verurteilt und eingesperrt worden war. Da war die Gegenwart. Ihr Vater war heimgekehrt, sie hatte sich auf diesen Tag gefreut, denn ein Teil der Verantwortung und der knochenbrechenden Arbeit würde dann von ihr genommen. So dachte sie. Ihre Hoffnung, dass die beiden Jahre im Zuchthaus ihren Vater geläutert und auf den richtigen Weg geführt hatten, fielen zusammen wie ein Kartenhaus. Übrig blieb nur die Aussicht auf eine trübe Zukunft.

Denn eines hatte Sally mit untrüglichem Instinkt gespürt: Worten war ihr Vater nicht zugänglich. Er würde seine verbrecherischen Vorsätze in die Tat umsetzen, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Der Hass zeigte bei ihm sein wahres Gesicht. Zwei Jahre Yuma hatten ihn nicht gezähmt - sie hatten seinen vernichtenden, unversöhnlichen Hass geschürt, und jeder Peitschenschlag, jede Demütigung, hatte ihm neue Nahrung gegeben.

Baker winkte den drei Kerlen. Sie staksten hinüber zum Wohnhaus. „Feiern wir meine Heimkehr, Jungs“, hörte Sally ihren Vater sagen. Er rief: „Schlag uns ein paar Eier in die Pfanne, mein Mädchen. Und dann setz ein freundlicheres Gesicht auf. Du willst deinem alten Vater und seinen drei Freunden doch nicht mit deinem sauertöpfischen Gesichtsausdruck die Freude verderben.“

Die vier Kerle lachten.

„Er ist noch schlimmer geworden“, flüsterte das Mädchen und erschauerte. „Sein Hass hat ihn um den Verstand gebracht.“


*


Palo Verde! 120 Meilen nordöstlich von Yuma, 14 Stunden, nachdem Jackson Baker und seine Kumpane die Farm am Rand des San Cristobal Valley erreicht hatten. Es war kurz nach acht Uhr morgens. Auf den Gräsern außerhalb des kleinen Ortes vier Meilen nördlich des Gila River lag noch der Tau. Die Gipfel der Berge in rauchiger Ferne lagen im bläulichen Dunst, die Sonne stand über den Zinnen und Graten der Sierra Estrella im Osten.

Zwei Reiter passierten die ersten Häuser von Palo Verde. Es waren bärtige Kerle mit verwegenen Gesichtszügen, hager wie Wüstenwölfe, narbig, abgerissen und wenig vertrauenerweckend. Das einzige gepflegte an ihnen waren die Colts, die in offenen Holstern steckten, und die Gewehre, deren polierte Kolben aus den Scabbards ragten.

Die beiden Männer kamen von Norden. Sie sahen sich um. Palo Verde war eine kleine, saubere Town. Es gab eine Kirche, einen Saloon, ein Hotel, den General Store, den Barber Shop und natürlich Wohnhäuser mit falschen Fassaden. Und es gab das Depot der Wells & Fargo Company, das in einem Gebäude mit der Telegraphenstation untergebracht war. Die Postkutschen, die von Phönix herüber kamen, wechselten hier zum ersten Mal die Pferde.

Die beiden Fremden wechselten einen bedeutungsvollen Blick, einer von ihnen nickte, dann lenkten sie ihre Pferde zum Saloon hinüber. Am Tränketrog vor dem Inn tränkten sie die Tiere, sie füllten ihre Wasserflaschen und knüpften sie wieder an die Sättel. Ein streunender Hund strich um sie herum, beschnupperte sie, dann trollte er wieder davon. Neugierige Blicke beobachteten die beiden Fremden.

Sie betraten den Saloon. Die Türpendel knarrten. Die Luft im Schankraum war stickig. Es roch penetrant nach verschüttetem Bier und kaltem Tabakrauch. Außer einem glatzköpfigen Oldtimer, der den Fußboden kehrte, war niemand anwesend. Die beiden näherten sich auf sattelsteifen Beinen dem Tresen. Staub rieselte von ihren Hutkrempen und ihren Schultern. Der Glatzköpfige runzelte missmutig die Stirn. Sein Organ grollte: „Eigentlich hat der Saloon um diese Zeit noch geschlossen, Gents.“

Sie bauten sich am Tresen auf. Der größere der beiden zeigte die Zähne und rief rau: „Wir haben Durst, Hombre. Das ist ein Saloon. Die Tür war offen. Willst du uns etwa wieder hinauswerfen?“

Seine Frage klang drohend. Der Oldtimer zog den Kopf zwischen die Schultern und lehnte den Besen zur Seite. „Möchten Sie Kaffee, Bier oder Limonade?“ fragte er. Er spürte, dass er diese beiden Kerle besser nicht herausforderte oder in anderer Art und Weise reizte.

„Mach uns Kaffee. Vorher aber eine Frage, Oldman. Wo kann man in diesem Nest Geld deponieren? Wir sahen keine Bank.“

Der Glatzköpfige hatte sich hinter den Tresen begeben. Unter der Tür, die in die Küche führte, verhielt er. Misstrauisch musterte er die beiden. Sie sahen nicht aus, als verfügten sie über große Reichtümer. Aus seiner Sicht waren es Sattelstrolche, Kerle, denen man besser aus dem Weg ging. „Habt ihr denn soviel Geld?“ fragte er.

Der Kleinere der beiden Fremden grinste fast freundlich. „Wir sind Geschäftsleute, Oldman, und auf dem Weg nach Mexiko. Zu beiden Seite der Grenze wimmelt es nur so von Banditen. Da es uns zu gefährlich erscheint, unser Geld mit uns herumzuschleppen, würden wir es gerne an einem sicheren Ort hinterlegen. Und was ist sicherer als eine Bank?“

Er lachte meckernd nach diesen Worten.

Der Oldtimer musterte die beiden Kerle noch kurze Zeit schweigend und abschätzend, dann murmelte er: „Wir bringen unser Geld hinüber zu Wells Fargo. Da gibt es einen Safe. Und einmal oder zweimal im Monat wird es nach Phönix zur Bank geschafft.“

„Und wenn ihr Geld braucht? Ihr könnt doch nicht jedes Mal bis Phönix reiten, um Geld abzuheben.“

Wieder durchflutete eine Woge des Misstrauens den Salooner. Wieder zögerte er mit der Antwort. Aber die beiden Fremden verströmten etwas, das ihn warnte und ihn mahnte, ihre Fragen zu beantworten. Er sagte: „Im Wells Fargo-Office befindet sich immer ein gewisser Barbestand. Wenn wir Geld brauchen, lassen wir es uns auszahlen und ermächtigen Wells Fargo, den Betrag mit unserem Guthaben bei der Bank of Arizona in Phönix zu verrechnen.“

„Eine gute Einführung“, lobte der Kleinere der beiden am Tresen, spitzte die Lippen und fügte hinzu: „Sie denken also, unser Geld ist bei Wells & Fargo gut aufgehoben?“

„Es hat noch nie ein Problem gegeben“, versetzte der Salooner und verschwand in der Küche.

Die beiden grinsten sich viel sagend an. Draußen rumpelte ein Pferdefuhrwerk vorbei. Durch das Frontfenster konnte sie ihre Pferde am Holm stehen sehen. Die Tiere ließen die Köpfe hängen und peitschten mit den Schweifen nach den blutsaugenden Bremsen an ihren Flanken. Schräg gegenüber war die Postkutschenstation zu sehen. Ein junger, hochgewachsener Mann mit hellen Haaren und gebräuntem Gesicht stand in der Tür, hielt die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete, wie die Town zum Leben erwachte.

Dann kam der Kaffee. Der Salooner stellte große Porzellantassen vor die beiden hin und goss ihnen ein. Die dunkle Flüssigkeit dampfte. Die beiden Männer tranken. Dann zahlten sie, gingen hinaus, führten ihre Pferde über die Fahrbahn und stellten sie beim Wells & Fargo-Gebäude ab. Der Salooner stand hinter der Pendeltür und beobachtete alles über die Ränder der grüngestrichenen Batwings. Sie wechselten mit dem Officer ein paar Worte, dann verschwanden sie alle in dem Bau.

Der Salooner kratzte sich am Kopf. Das gefiel ihm irgendwie nicht. Eine innere Stimme, die er nicht zum Schweigen zu bringen vermochte, hämmerte ihm ins Bewusstsein, dass die beiden Fremden nichts Gutes planten.

„Also, Gentleman“, sagte in diesem Moment drüben im Wells Fargo-Office Milton Lockhardt, der blondhaarige Mann mit dem gebräunten Gesicht, „wie viel möchten Sie einzahlen und auf welchen Namen soll ich das Konto einrichten.“

Er zog ein Formular aus einer Schublade. Als er sich den beiden zuwandte, blickte er in die Mündungen ihrer Colts. Sie fixierten ihn kalt und drohend, und der große, dunkelhaarige Bursche zischte: „Wir haben es uns anders überlegt, Amigo. Ganz so sicher scheint es uns doch nicht zu sein, dir unser Geld zu überlassen, vorausgesetzt, wir hätten welches. Spiel jetzt nicht den Helden, mein Freund. Sei vernünftig und sperr den Safe auf.“

Milton Lockhardt war einen Moment lang ziemlich perplex, Unverständnis und Verwirrung prägten seine Mimik und lagen in seinen Augen, aber dann setzte sich das Begreifen schlagartig durch, er duckte sich und knirschte: „Es rentiert sich kaum, Leute. Im Safe befinden sich nicht einmal tausend Dollar. Ein Betrag, der es nicht wert ist, dafür lange Jahre ins Zuchthaus zu gehen.“

„Für zwei, die blank sind wie wir, sind tausend Bucks ein Haufen Geld, Amigo“, höhnte der kleinere der beiden Banditen. „Also, stell dich nicht an, und versuch nicht, uns über Sinn und Unsinn dieses Überfalls aufzuklären. Wir können nämlich auch höllisch ungemütlich werden. Und für tausend Dollar sind wir sogar fähig, dir ein Stück Blei in die Figur zu jagen.“

Er sprach es in einer Art, die keinen Zweifel am Ernst seiner Drohung aufkommen ließ. Er winkte mit dem Sechsschüsser. Sein Daumen lag auf dem Hahn.

Milton Lockhardt hatte keine Chance. Er war unbewaffnet und kein Selbstmörder. Selbstmord hätte es aber bedeutet, den beiden Banditen die Stirn zu bieten, selbst wenn er eine Waffe gehabt hätte. Denn sie brauchten nur abzudrücken. Dazu benötigten sie die Spanne eines Augenzwinkerns.

„Ihr werdet nicht weit kommen“, versprach er.

Die beiden grinsten. Ihre Zähne blitzten.

Milton schloss den Safe auf. Die Schufte bekamen große Augen. Der Große zischte: „Das sind mehr als tausend Bucks! Verdammt, du kleiner Bastard hast uns angelogen!“

Er schlug mit dem Colt zu. Vor Miltons Augen schien der Raum zu explodieren. Schwärze schlug über ihm zusammen, den Aufschlag am Boden merkte er schon nicht mehr.


*


Als die beiden Banditen mit einem prallgefüllten Leinenbeutel voll Geld aus dem Wells & Fargo-Gebäude stürmten, stand auf dem Vorbau des Saloons der glatzköpfige Oldtimer mit einem Gewehr.

Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Er sah den Beutel mit der Aufschrift ‚Wells & Fargo Co.‘, ihm entging nicht die Unrast der beiden, ihre unsteten Blicke, mit denen sie die Umgebung abtasteten, er legte an und schrie: „Ich dachte es mir doch! Stehen bleiben, ihr Schufte, hands up! Ich...“

Weiter kam er nicht. Sie rissen die Colts heraus und schossen ohne zu zögern. Ihre Geschosse nagelten den Oldtimer regelrecht gegen die Saloonwand, und als er langsam an ihr niederrutschte, war er schon tot.

Die beiden Mörder sprangen in die Sättel, rissen die Pferde herum und droschen ihnen die Sporen in die Weichen. Als man in der Stadt begriff, was sich zugetragen hatte, waren sie schon am südlichen Ortsrand. Über eine Bodenwelle verschwanden sie.

Das Peitschen der Schüsse hatte Milton Lockhardt aus der Besinnungslosigkeit gerissen. Er schaute sich mit dem Ausdruck der Verständnislosigkeit und des Nichtbegreifens um. Er lag am Boden. Die Tür des Safe stand offen. Die Erinnerung setzte ein, und es riss Milton in die Höhe. Stöhnend griff er sich an den Kopf. Wo ihn der Outlaw mit dem Colt getroffen hatte, fühlte er eine Beule und Blut, das aus einer kleinen Platzwunde sickerte. Sekundenlanges Schwindelgefühl veranlasste Milton, sich am Tisch aufzustützen. Als der Schwächeanfall vorüber war, taumelte er zur Tür. Das Sonnenlicht blendete ihn. Menschen liefen zum Saloon, ihre erregten Stimmen hingen in der Luft und erfüllten die Main Street von Palo Verde.

Einige Männer näherten sich der Postkutschenstation. Sie hielten Waffen, auf der Brust des einen blitzte der Stern eines Deputys. Der Distriktsheriff hatte seinen Sitz in Buckeye. Die Gesichter der Männer verrieten, dass sie voll und ganz im Banne des blutigen Überfalls standen.

„Bist du verletzt, Milt?“ entrang es sich dem Deputy.

„Nur eine Beule“, erwiderte der Gefragte und verzog das Gesicht. „Diese elenden Banditen! Sie haben das ganze Geld geraubt. Über dreitausend Dollar. Ich versuchte, die Höhe der Summe, die bei mir deponiert war, ihnen gegenüber herunterzuspielen und sie so zu bewegen, von ihrem Vorhaben abzulassen. Es war sinnlos. Sie hätten den hold up wahrscheinlich wegen einer Handvoll Dollars durchgezogen.“

„Das Geld ist zur Nebensache degradiert“, murmelte der Deputy. „Sie haben bei ihrer Flucht Tom Duncan erschossen. Du guter Gott! Wir müssen die Halunken erwischen.“ Die Stimme des Deputys hob sich, schallte weit und sprach jeden an: „Vorwärts, Männer, wir müssen eine Posse bilden und die Mörder verfolgen. Weit sind sie noch nicht. Besorgt euch Pferde und Waffen.“

Sie rannten auseinander.

„Kommst du mit, Milt?“ fragte der Deputy.

Milton schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich habe eine Gehirnerschütterung davongetragen. Mein Schädel schmerzt, als wäre ich damit gegen eine Ziegelwand gerannt. Tut mir leid, Roy, aber ich wäre euch wohl mehr ein Klotz am Bein als eine echte Hilfe.“

„Schon gut, Milt. Es war nur eine Frage.“

Der Deputy rannte über die Straße, wo sich zwischenzeitlich eine ganze Horde Neugieriger vor dem Saloon eingefunden hatte. Der Leichenbestatter und sein Gehilfe erschienen.

Einer der Männer, die wie Milton Lockhardt bei der Wells & Fargo Company beschäftigt waren, näherte sich Milton. Als er ihn erreicht hatte, gab er zu verstehen: „Du siehst schlecht aus, Milt. Der Bursche hat sich nicht sehr zurückgehalten, als er dir das Ding auf den Kopf verpasste. Geh heim und leg dich hin, kuriere dich aus. Ich halte hier für dich die Stellung.“

Milton kniff die Lippen zusammen. „Danke, Lancy“, murmelte er lahm. „Ich fühle mich tatsächlich nicht gut. Ich habe das Gefühl, in meinem Kopf sitzt einer und schlägt mit einem Hammer gegen meine Schädeldecke.“

Er verließ das Gebäude. Jeder Schritt war mit hämmernden Schmerzen in seinem Kopf verbunden.

Gegen Abend kam das Aufgebot zurück. Die beiden Banditen waren ihnen entwischt. Sie hatten die Spur irgendwo südwestlich von Palo Verde, in den Ausläufern der Gila Bend Berge, verloren.

Milton Lockhardt hörte es. Er knirschte: „Diese beiden Aasgeier müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich werde sie mir holen. Und ich bringe das Geld zurück, das sie den Bürgern von Palo Verde gestohlen haben.“

Milton sprach es mit Entschiedenheit. Es klang wie ein Schwur. Und diesen Schwur wahrzumachen würde für ihn Gesetz sein.


*


Die Circle-R Ranch lag in Dunkelheit. Aus einem Fenster des Haupthauses fiel Licht. Ebenso aus den vier Fenstern der Mannschaftsunterkunft. Es war trüber, gelber Lichtschein, der die Dunkelheit im Hof nicht zu lichten vermochte. Mond und Sterne waren hinter Wolken verborgen.

Dunkle Gestalten gingen in Stellung. Ein Schemen huschte durch die Nacht. Bei der Veranda wurde ein Streichholz angerissen. Das Flämmchen zerrte den Mann aus der Finsternis. Es war Jackson Baker. Lichtreflexe zuckten über sein verkniffenes Gesicht, um seinen Mund hatte sich ein brutaler, fast sadistischer Zug festgesetzt.

Die Fackel, die der hasserfüllte Mann mitgebracht hatte, loderte und qualmte. Er schleuderte sie. Ein Fenster zerbarst mit hellem Klirren. Es war jenes Fenster, hinter dem Licht brannte. Die Fackel blieb im Vorhang hängen, der sofort Feuer fing. Raues Geschrei war zu hören.

Jackson Baker kicherte und verschwand in den tintigen Schatten. Das Feuer kroch an dem Vorhang in die Höhe. Er wurde heruntergerissen, der Umriss eines Mannes verdunkelte das Fenster. Ein Schuss peitschte. Zwischen Stall und Remise zerschnitt ein greller Feuerblitz die Nacht. Der Mann, der den Vorhang heruntergerissen hatte und der nun die Flammen austreten wollte, erhielt einen Stoß und wurde von der Wucht der Kugel umgeworfen.

Die Haustür flog auf.

Auch die Tür der Mannschaftsunterkunft wurde aufgerissen. Auf der Veranda des Haupthauses erschien ein Mann. Das herausströmende Licht umriss scharf seine hochgewachsene Gestalt. Dichte, graue Haare fielen ihm bis in den Nacken. Er hielt den Colt in der Faust.

Es war nur ein heiseres, vom Hass verzerrtes Geflüster, als Jackson Baker hervorpresste: „Big Owen!“ Und dann voll irrer Besessenheit: „Stirb!“

Das Gewehr in den Fäusten des alternden Banditen brüllte auf. Owen Richards wurde getroffen. Er schwankte, plötzlich kippte er nach vorn über das Vorbaugeländer, sein Oberkörper und seine Arme pendelten schlaff nach unten. Sein Colt klatschte in den Staub des Hofes.

Überall wurde die Nacht jetzt von auseinanderplatzenden Feuerblumen erhellt. Die Cowboys drängten zurück ins Bunkhouse. Zwei von ihnen blieben getroffen liegen. Im Ranchhaus loderten wieder die Flammen in die Höhe, leckten über den Fußboden und über die Wand, züngelten an den verschnörkelten Beinen eines Sekretärs in die Höhe. Der Vormann der Circle-R, der mit seinem Boss den Arbeitsplan für die kommende Woche festgelegt hatte, starrte mit gebrochenen Augen hinauf zur Decke.

Die Waffen schwiegen. Die Cowboys hatten sich an den Fenstern in der Mannschaftsunterkunft verteilt. Schweißnasse Hände saugten sich an Revolverknäufen und Gewehren fest.

Hufschlag kam auf. Mit rasendem Tempo entfernte er sich. Schnell verlor er an Lautstärke. Die Cowboys rannten hinaus. „Eimer! Wir brauchen Eimer oder andere Gefäße! Bildet eine Eimerkette! Wir müssen versuchen, die Flammen unter Kontrolle zu bringen, oder die ganze Ranch brennt ab.“

Einer der Männer übernahm das Kommando. Die anderen folgten seinem Befehl. Die Nacht, die der Flammenschein aus dem Ranch Office erhellte, wurde lebendig. Der Mann, der es übernommen hatte, Ordnung in die drohende Kopflosigkeit zu bringen, rannte zur Veranda. Entsetzt, mit erschütterter, fassungsloser Stimme brüllte er: „Big Owen ist tot. Gütiger Gott! Das war kein anderer als Jack Baker, der vor zwei Tagen aus Yuma zurückgekehrt ist und der eine Bande von Sattelstrolchen mitgebracht hat.“

Fauchend stieß im Ranchhaus das Feuer durch das Office und hinaus in den Flur. Überall loderten jetzt die Flammen. Rauch trieb durch das Haus...

Die Bande donnerte nach Stoval. Sie brachte Tod und Verderben in die schlafende Stadt. Richter Gaines besaß ein kleines Haus am südlichen Ortsrand. Ein weißgestrichener Zaun grenzte es zur Gasse ab, die fast zweihundert Yards weiter in die Main Street mündete. Ein Kiesweg führte von der Gartentür zum Hauseingang.

Hunde bellten in der Town. Einer begann, als er die Handvoll Männer wahrnahm, die sich der Stadt von Süden näherte. Und immer mehr Hunde stimmten ein. Irgendwo schrie jemand aus einem Fenster: „Eines Tages vergifte ich sämtliche Köter in diesem Drecknest. Kann diese räudigen Biester denn niemand zur Räson bringen?“

Kies knirschte unter harten Stiefelsohlen. Ein Schemen huschte auf die Haustüre des Richterhauses zu. Schattenhaft mutete er unter dem Vordach an, das von zwei geschnitzten Balken getragen wurde. Die anderen Kerle hatten sich im Garten verteilt. Hart und fordernd pochte der Mann an die Haustür. Die Schläge hallten nach innen. Es dauerte nicht lange, dann sickerte das Geräusch von Schritten nach draußen. Lichtschein kroch unter der Tür hindurch. Eine verschlafene Stimme erklang: „Was gibt es denn? Es ist weit nach Mitternacht. Um diese Zeit...“

„Judge, bei Gott, Richter Gaines, machen Sie auf. Es ist etwas Schreckliches geschehen. Jackson Baker hat die Circle-R überfallen und Big Owen ermordet.“

Drinnen erklang ein Ton, der sich anhörte, als würde einem Blasebalg schlagartig die Luft entweichen. Ein Riegel knirschte. Der Schlüssel drehte sich im schloss. Der Mann vor der Tür trat zur Seite, damit ihn das herausflutende Licht nicht blendete, wenn der Richter die Haustür aufzog.

Das Licht fiel auf den Kiesweg und ließ die feinen Kristalle der Steine glitzern wie Diamanten. Judge Gaines wurde vom Tierrechteck eingerahmt. Seine Stimme klang gehetzt. „Noch einmal, Mann, was ist geschehen draußen auf der Circle-R?“

Der Richter ahnte nicht, dass der Tod bereits die knöcherne Hand nach ihm ausstreckte. Er dachte nicht im Traum an Gefahr für sein Leben. Noch nicht einmal, als neben der Haustür Jackson Baker hohnvoll kicherte. Gaines drehte den Kopf. Und jetzt erkannte er den Banditen. Seine Augen weiteten sich im maßlosen Erschrecken. Der Mann war wie gelähmt.

„Es ist so, Gaines. Richards wartet in der Hölle auf dich. Das ist die Quittung für zwei Jahre in Yuma.“

Das Mündungsfeuer verbrannte das weiße Nachthemd des Richters über der Brust. Mit hartem Schlag fuhr ihm die Kugel ins Herz. Der Richter sackte zusammen. Es war der Irrsinn der brutalsten Gewalt, der in dieser blutigen Nacht eskalierte. Die Laterne, die Gaines hielt, rollte über den Boden. Er roch nach ausgelaufenem Petroleum.

In der Stadt verhallte die Detonation des Schusses. Sogar die Hunde hatten von dem peitschenden Knall erschreckt aufgehört zu bellen. Die Stadt schien den Atem anzuhalten. Umso vehementer setzte der Lärm nach kurzer Zeit wieder ein. Und jetzt mischte sich in das Gebell der Klang erregter Stimmen. Als einige Bürger der Stadt beim Haus des Judge ankamen, waren die Mörder verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Nur aus der Ferne wehte verklingendes Hufgetrappel an die Ohren.

Für die fünf Meilen bis zum Gila River brauchte die Bande etwa eine Stunde. Hier wartete Sally auf sie. Jackson Baker hatte es ihr so befohlen. In dem Mädchen stritten sich die Gefühle. Ihr Vater war ein Verbrecher geworden. Die Zuchthausstrafe hatte das Gegenteil von dem bei ihm bewirkt, was sie eigentlich bewirken sollte. Im Endeffekt aber war und blieb es ihr Vater. Sie hatte sonst niemand auf der Welt.

Die vier Banditen saßen am Rande des Ufergebüsches ab. Sie ließen sich einfach zu Boden fallen und streckten sich aus. „Sally, du bist ausgeruht“, kam es von ihrem Vater. „Versorge unsere Pferde. He, willst du gar nicht wissen, was war?“

„Nein!“ versetzt Sally knapp und mit spröder Stimme.

„Auch gut“, murmelte Baker. „Weck uns, wenn die Sonne aufgeht. Wir müssen nach Sentinel.“

„Sentinel?“ kam es fragend von Sally. „Das ist doch eine Postkutschenstation an der Überlandstraße. Was wollen wir denn dort?“

Jackson Baker lachte nur widerlich.

Sally ahnte Schlimmes. Sie ahnte, dass ihr Vater seine Rachepläne verwirklicht hatte. Das bedeutete, dass man ihn im ganzen Arizona-Territorium bald jagen würde wie einen reißenden Wolf - und in seinem Fahrwasser auch sie. Sie waren Geächtete, Ausgestoßene, Verfemte, und man würde sie für vogelfrei erklären.

Der Gedanke daran war derart monströs, derart ungeheuerlich, dass Sallys Herz einen Schlag übersprang und eine jähe Blutleere im Gehirn sie taumeln ließ. Großer Gott! durchzuckte es sie wie ein Stromstoß. Teil eins seines blutigen Planes ist erfüllt. Wahrscheinlich leben Big Owen und der Judge nicht mehr. Teil zwei bedeutet Geld erbeuten. Die Postkutschenstation. Er will die Kutsche ausrauben...

Die abgetriebenen Pferde drängten zum Fluss. Zweige brachen. Es raschelte und knackte, die Gebissketten klirrten. Sally folgte den Pferden zum flachen Ufer. Sie spann ihre düsteren Gedanken weiter, und sie kam zu dem Schluss, dass ihr Vater den Verstand verloren hatte. Sein Hass, seine tödliche Leidenschaft, hatten ihn verrückt werden lassen.

Die Eingeweide des Mädchens krampften sich zusammen.


*


Sie zogen am nächsten Tag in gerader Linie nach Osten. Dunkle Ringe lagen unter Sallys Augen. Sie hatte nicht eine Minute geschlafen, sie hatte seit 24 Stunden kein Auge mehr zugemacht. Sie war müde, um nicht zu sagen erschöpft. Ihr Vater nahm keine Rücksicht darauf. Er nahm sein Durchhaltevermögen zum Maßstab. Dabei bedachte er nicht, dass ihn die zwei Jahre in den Steinbrüchen bei Wassersuppe und Brot gestählt hatten, dass er in der Nacht wenigstens zwei Stunden schlafen konnte - zwei Stunden, in denen Sally Wache hielt.

Es waren fünfzehn Meilen, die sie durch ein Gebiet zogen, das der Satan persönlich erschaffen habe musste. Die Wüste schien nur aus totem Gestein, Wind und Staub zu bestehen, war trocken und zerklüftet wie eine Mondlandschaft. Die Vegetation bestand in undurchdringlichen Sumac-Dickichten, in riesigen Kakteen, Inseln braunverbrannten Büffelgrases, dornigen Comas und Mesquitesträuchern. Es war heiß wie in der Hölle. Die Lungen füllten sich beim Atmen wie mit Feuer.

Es war Mittag, als die Relaisstation vor ihnen lag. Alles wirkte grau in grau, verwahrlost und verfallen. Der heiße Südwind trieb Tumbleweds vor sich her. Staub wirbelte. In dem Corral standen zehn Pferde. Auf der Bank vor der Agentur saß ein Mann. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt, die Mütze weit in die Stirn gezogen und die Hände über dem Bauch verschränkt. Er schien vor sich hinzudösen.

Die Bande hatte die Pferde gezügelt. Aus engen Lidschlitzen beobachteten die vier Männer die Station. Unruhig traten die schwitzenden Pferde auf der Stelle. Stechmücken peinigten Mensch und Tier. Staub knirschte zwischen ihren Zähnen und rieb unter ihrer Kleidung auf der Haut. Ihre Augen brannten und waren gerötet.

„Bleibt zwischen den Hügeln“, presste Jackson Baker staubheiser zwischen den Zähnen hervor. Die Schicht aus Schweiß und Staub in seinem Gesicht brach. Er leckte sich über die trockenen, rissigen Lippen.

Er ritt hinüber zur Station. Der Stationer wurde erst aufmerksam, als der Bandit vor ihm das Pferd verhielt. Er schreckte hoch. Baker zwang das Tier mit eiserner Faust ruhig zu stehen. Dann beugte er sich im Sattel vor und krächzte: „Hallo, Station. Ich komme aus dem Westen und will ab hier die Stagecoach benutzen. Mein Gaul ist am Ende. Ich lasse ihn hier.“

„Welche Stagecoach?“ fragte der Oldtimer auf der Bank fast gelangweilt. Er gähnte. Dann rieb er sich die Augen. „Die Stagecoach nach Yuma, nach Phönix oder nach Tucson?“

„Die nach Phönix?“ fragte der Bandit etwas irritiert.

Der Stationer nickte. „Es ist die, die von Yuma zurückkommt. Morgen oder übermorgen. Wer weiß das schon.“

„Ich werde die Kutsche nach Yuma nehmen, schätze ich“, murmelte der Bandit und beobachtete den Oldtimer.

„Nach Yuma fahren zwei Linien“, gab der Stationer zu verstehen. Er zog die Beine an und setzte sich gerade. Er schabte sich am faltigen Hals. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, als er schluckte. „Die eine kommt von Tucson herauf, die andere von Phönix herunter. Allerdings werden Sie bis morgen warten müssen. Dann erwarte ich die Stagecoach aus Phönix.“

„Das ist in Ordnung, Oldtimer. Kannst du mir was zu trinken geben. Ich sterbe vor Durst.“

Jackson Baker lächelte. Der Alte nickte und erhob sich ächzend. „Verdammte Hitze.“ Er fasste sich an den unteren Rücken und schlurfte nach vorne gebeugt zur Tür, die weit offen stand. „Folgen Sie mir, Hombre. Es ist gut, dass Sie bleiben. So habe ich wenigstens für einen Tag einen Menschen, mit dem ich reden kann. Ich schätze, ich bin der letzte Verrückte, der sich hierher versetzen lässt und dann über 15 Jahre in dieser verdammten Hölle aus Sonne, Wüste und giftigem Ungeziefer die Gäule aus- und einschirrt und dazwischen mit sich selber redet.“

Baker ließ sich vom Pferd gleiten. Er folgte dem Alten in die Hütte hinein.

Als er zehn Minuten später wieder ins Freie zurückkehrte, trug er die Kleidung des alten Mannes. Auf seinem Kopf saß die verknautschte, durchschwitzte Mütze des Oldtimers. Auch er hatte graue Haare, Kinn und Wangen wurden von einem wuchernden Bart verdeckt. Auch Baker war hager und groß, und so war er auf einige Distanz überhaupt nicht von dem Stationer zu unterscheiden.

Er winkte.

Die drei jungen Outlaws und Sally ritten hinüber zur Station. Matt Brady grinste und rief: „Steht dir gut, Jack. Hast den Beruf verfehlt. Würdest dich gut machen auf einer Postkutschenstation. Bewirb dich mal bei Wells & Fargo. Wetten, dass sie dich nehmen.“

Jim Thompson und James Swanton lachten belustigt.

Sallys Blick tastete sich durch die offene Tür ins Hütteninnere. Sie fragte sich, was ihr Vater mit dem alten Mann angestellt haben mochte. Da sagte Baker auch schon: „Geh jetzt nicht hinein, Sally. Ich will dir den Anblick des Alten ersparen. Ich habe das Messer benutzt. Es ist wirklich kein schöner Anblick. Also warte, bis wir den Alten hinter die Station gebracht haben, wo wir ihn verscharren werden. - Jim, James, helft mir mal. Kümmere du dich mit Matt um unsere Pferde, mein Mädchen.“

Seine Worte fielen zuletzt fast sanft. Er lächelte sie an. In diesem Moment erinnerte er sie wieder an früher, als er noch der Farmarbeit nachging, an eine Zeit, die sie sich sehnsüchtig wieder herbeiwünschte, denn da lebte Mutter noch, da war ihr Vater noch nicht auf die schiefe Bahn geraten, da war alles noch gut und schön und gewaltlos. Jetzt aber...

„Was ist mit dir, Sally?“

Sie zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. „Ich frage mich, wohin das alles führen soll“, versetzte sie, und ihre Stimme klang brüchig. „Wieso hast du diesen harmlosen alten Mann getötet, Dad? Er...“

Er veränderte sich von einer Sekunde auf die andere. Das Böse hielt wieder Einzug in seinen Zügen, in seinen Augen irrlichterte es, er zischte wie eine Schlange: „Wir lassen keinen auf unserer Fährte, der irgendwann einmal gegen uns aussagen kann. Keine Zeugen, Sally!“

Jackson Baker kannte keine Gnade mehr, kein Erbarmen. Für ihn gab es nur noch die tödliche Leidenschaft. Die Art, wie er es sprach, war erschreckend in ihrer Unmissverständlichkeit. Es traf Sally wie ein Schock. Angst und Verzweiflung stiegen in dem Mädchen hoch, krallten sich in ihm fest und ließen es nicht mehr los. Die jähe Angst vor der Zukunft fraß in Sally wie schleichendes Gift...

Der Tag verstrich. Nur einmal war hoch im Norden eine Staubfahne auszumachen, sie bewegte sich aber in westliche Richtung. Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle. Hier draußen in der Wüste sagten sich tatsächlich Fuchs und Hase gute Nacht.

Das Warten zerrte an Sallys Nerven. Die Banditen vertrieben sich die Zeit mit Würfeln und Kartenspiel. Ihr Lachen versetzte dem Mädchen jedes Mal einen Stich. Sally saß vor der Hütte auf der Bank, genau dort, wo der alte Mann gesessen hatte. Ihr Vater und die beiden Banditen hatten ihn hinter der Station verscharrt wie ein Stück Vieh. Sally dachte an Flucht. Aber sie besaß keinen rostigen Cent. Seit Tagen war sie zusammen mit ihrem Vater auf der Flucht, und dessen Steckbrief hing zwischenzeitlich in allen Ortschaften und Ansiedlungen des Territoriums aus.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738957396
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Januar)
Schlagworte
blut sallys händen pete hackett western edition

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: Blut an Sallys Händen: Pete Hackett Western Edition 5