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Mein Killer, dein Killer: Drei Krimis

von Alfred Bekker (Autor:in) Pete Hackett (Autor:in) Thomas West (Autor:in)
400 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Trevellian und der Handlanger des Todes (Pete Hackett)

Drei Tonnen tödliches Gold (Thomas West)

Jesse Trevellian und der Polizistenmörder (Alfred Bekker)

Ein Police Lieutenant in Queens wird tot aus dem East River geborgen. Ermittler Jesse Trevellian und sein Kollege Milo Tucker ermitteln in diesem Fall. Die Kugeln, die ihren Kollegen niedergestreckt haben, stammen aus einer Waffe, die zuvor bereits einmal in einer Schießerei im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen benutzt wurde.Und dann wird plötzlich der nächste Polizist ermordet...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Mein Killer, dein Killer: Drei Krimis

Alfred Bekker, Thomas West, Pete Hackett

Dieser Band enthält folgende Krimis:


Trevellian und der Handlanger des Todes (Pete Hackett)

Drei Tonnen tödliches Gold (Thomas West)

Jesse Trevellian und der Polizistenmörder (Alfred Bekker)





Ein Police Lieutenant in Queens wird tot aus dem East River geborgen. Ermittler Jesse Trevellian und sein Kollege Milo Tucker ermitteln in diesem Fall. Die Kugeln, die ihren Kollegen niedergestreckt haben, stammen aus einer Waffe, die zuvor bereits einmal in einer Schießerei im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen benutzt wurde.Und dann wird plötzlich der nächste Polizist ermordet...


Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de


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Trevellian und der Handlanger des Teufels


Krimi von Pete Hackett


Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.


Das FBI verfolgt weiterhin den Gangster Fitzgerald, der zunächst spurlos verschwunden war. Doch er meldet sich mit einem Paukenschlag zurück, und die Agenten müssen feststellen, dass er sich mit Terroristen zusammengetan hat, die vor nichts zurückschrecken. Boden-Luft-Raketen sollen bei der Erreichung ihrer Ziele helfen.



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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1

Der Mann hatte sich auf das rechte Knie niedergelassen. Auf seiner Schulter lag eine SA-18/Igla 2. Vom Gesicht des Mannes waren nur Mund und Kinn zu sehen. Augen und Nase waren hinter dem getönten Visier eines schwarzen Helms verborgen.

Das Passagierflugzeug war gestartet und schob sich – fast schwerfällig anmutend – in schräger Bahn zum Himmel empor. An Bord befanden sich über 160 Menschen. Männer, Frauen und Kinder.

Der Raketenschütze hatte sich auf der Ladefläche eines Lastwagens verschanzt. Die Plane war am Heck zurückgeschlagen. Durch die Öffnung zielte er. Die Entfernung zum J. F. K.-International Airport betrug etwa zwei Meilen. Der Mann zielte sorgfältig.

Das Leben von 160 Menschen war in diesen Minuten keinen rostigen Cent wert. Es hing an einem seidenen Faden!

Der Mann drückte ab. Es war wie bei einem Schuss mit einer Panzerfaust. Die Treibladung detonierte. Aber die Rakete versagte. Das Geschoss verließ die Waffe nicht. Aus welchen Gründen auch immer. Sekundenlang verharrte der Mann mit der Rakete bewegungslos. Er schien irritiert. Dann atmete er aus und sagte in das Bügelmikrofon, das mit einer Lautsprecheranlage in seinem Helm verbunden war:

„Zu Hölle damit! Ein Rohrkrepierer. Man sollte den Kerl, der uns diese Dinger verkauft hat, im Hudson versenken.“

„Was ist los, verdammt?“, kam es aus dem im Helm integrierten Lautsprecher. „Das Flugzeug fliegt davon. Warum feuerst du nicht, Abdul?“

„Weil das Scheißding, das uns dieser Hundesohn als ganz besonders effektive Waffe angedreht hat, nicht funktioniert. Weiß der Teufel, warum sie nicht losgegangen ist. Sie hat schon einmal versagt …“

Er hob die schwere Waffe von der Schulter und legte sie in eine Kiste, nahm den Helm ab, legte ihn dazu und warf den Deckel der Kiste zu. Dann sprang er von der Ladefläche, verschnürte die Plane und stieg auf der Beifahrerseite ins Führerhaus. Der Motor sprang an, der Laster begann zu rollen. Der Fahrer lenkte ihn von dem Feldweg, auf dem er gestanden hatte, und wandte sich auf dem Nassau Expressway nach Westen.

Der Kleinlaster kam gerade 300 Meter weit, dann erfolgte eine dumpfe Explosion. Die Plane wurde regelrecht weggeblasen. Bordwände wirbelten durch die Luft, Scheiben barsten. Das Fahrzeug kam von der Straße ab und kippte um. Flammen schlugen hoch, Rauch wölkte dicht. Die Explosion hatte den Tank zerrissen. Das Benzin hatte Feuer gefangen. Im Nu hüllte den Laster eine Wand aus Feuer ein.

Autos hielten an, Männer mit Handfeuerlöschern näherten sich dem Brandherd. Aber die Hitzeentwicklung war zu stark. Sehr schnell wurde jedem auf dem Expressway klar, dass es hier nichts mehr zu retten gab.

Die Passagiermaschine verschwand am Himmel hinter den Wolken, die an diesem Tag drohend über New York hingen. Die Passagiere ahnten nichts von ihrem sagenhaften Glück …

Als Feuerwehr und Polizei kamen, war der Lastwagen ausgebrannt. Die beiden Männer im Führerhaus waren tot.



2

Sarah und ich hatten einen Autoschieberring zerschlagen. Leider hatten wir nur die kleinen Fische und Statisten erwischt. Der Hai war uns durchs Netz gegangen. Sein Name war Dave Fitzgerald.

Bei uns, beim FBI also, überschlugen sich im Moment wieder einmal die Ereignisse. Terroristen hatten versucht, auf dem La Guardia Flughafen ein israelisches Flugzeug abzuschießen. Gott sei dank war die Rakete explodiert, ehe sie ihr Ziel erreichte. Krisensitzung beim Chef, bei Mr. Jonathan D. McKee also, dem Special Agent in Charge des FBI New York.

Während wir beim SAC waren, kam Steeles Anruf. Der verschwundene Kopf der Autoschiebermafia, Dave Fitzgerald, hatte sich bei ihm gemeldet.

Du hast mich nicht fertig gemacht, Steele. Ich habe neue Freunde gefunden. Ich mache dich fertig. Ganz langsam. Mit deinem hübschen Töchterchen fange ich an, dann hole ich mir deine Frau, und am Ende bist du dran. Und ich erweise damit nicht nur mir einen Dienst, sondern der menschlichen Gesellschaft.

Das waren die Worte des Gangsters.

Nun hatte Steele Angst.

Wir mussten ihm Schutz gewähren. Und da wir den Fall bearbeitet hatten, wählte der Chef Sarah und mich aus, zu Steele zu fahren und ihn zu beschützen.

Wir waren natürlich nicht begeistert von der Aussicht, im Haus des Mafiabosses herumzuhocken, dessen Schandtaten wir kannten, die wir ihm aber nicht beweisen konnten. Offensichtlicher konnte Steele uns gar nicht verhöhnen. Beim Gedanken daran wurde bei mir eine Menge Adrenalin freigesetzt. Ich konnte mich aber auch nicht dagegen wehren. Ich war Gefangener meiner Unzufriedenheit und einer tiefschürfenden Frustration.

Das war die eine Seite. Andererseits durfte die Drohung Fitzgeralds, dem in New York sozusagen die Basis entzogen worden war, nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Dass er nicht unterschätzt werden durfte, hatte er bewiesen. Was das Geschäft mit den gestohlenen Nobelkarossen anbetraf, hatte er eine besonders kriminelle Energie an den Tag gelegt. Auf sein Konto gingen aber auch einige Morde!


*


Es war finster. Der Himmel über New York war eine helle Kuppel, die der Widerschein der Lichter des Big Apple produzierte. New York ist die Stadt, die sich nie zur Ruhe begibt, sagt man. Man sagt es nicht ohne Grund. New York schläft nie!

Steele wohnte in der Nähe des Prospect Parks in Brooklyn. Sein Haus war eine Luxusherberge. Alleine das schmiedeeiserne Gartentor musste ein Vermögen gekostet haben. Die asphaltierte Zufahrt zum Haus, die bei einem Rondell mit Springbrunnen endete, war videoüberwacht. Möglicherweise waren auch in dem parkähnlichen Garten Videokameras installiert.

Ich stand mit der Nase des Dienstbuicks, den wir genommen hatten, fast am Tor. Mein Sportwagen befand sich in der Werkstatt, nachdem ein paar bezahlte Schläger ihr Mütchen an ihm gekühlt hatten. Sarah, meine Teampartnerin, die mir nach Milos Ausscheiden aus dem FBI zugeteilt worden war, stieg aus und läutete. Ich sah sie etwas in die Gegensprechanlage sagen, dann schwang das Tor, wie von Geisterhand bewegt, auf.

Sarah setzte sich wieder auf den Beifahrersitz. Ich fuhr an. Zwischen Bäumen und Hecken rollten wir der Villa entgegen. Vor dem Haus stand ein schwerer Bentley. Ich stellte den Buick dahinter ab, wir stiegen aus. Eine halbrunde, breite Treppe mit vier Stufen führte hinauf zur Haustür. Diese schwang jetzt auf. Ein Mann in Jeans, einem grünen Hemd und einer weinroten Jacke zeigte sich im Türrahmen.

Es war einer von Steeles Leibwächtern.

Beim Henker!, durchfuhr es mich, frustriert bis in die Knochen. Wo leben wir denn? Steele kontrolliert den Drogenhandel, die illegale Prostitution und die Schutzgelderpressung in Südmanhattan. Er beschäftigt eine Hand voll Kerle zu seinem persönlichen Schutz und – für besondere Aufgaben. Männer fürs Grobe, Kerle, die mit der Waffe schnell zur Hand sind. Zur Hölle mit ihm. Dass wir hier sind, um ihn zu beschützen, ist lächerlich. Er hat uns angefordert, um sich über uns lustig zu machen. Nein, er will über uns triumphieren. Er will uns uns seine Überlegenheit beweisen!

Und wir waren dagegen machtlos. Sein Recht als Staatsbürger konnten wir ihm nicht verwehren. Und das nutzte er eiskalt aus. Das stand plötzlich zu meiner Überzeugung fest, und ich hasste Steele dafür. Denn wir hatten ihn verhaftet, der Haftrichter ließ ihn jedoch 12 Stunden später schon wieder laufen?

Der Mister in der Tür forderte uns auf, einzutreten. Steele kam uns entgegen. Von Mrs. Steele oder Loretta, der hübschen 17-jährigen, war nichts zu sehen.

„Fitzgerald machte noch eine Andeutung“, empfing uns der Herr des Hauses, „die ich vergaß Mr. McKee mitzuteilen. Er meinte, er werde zuletzt mich samt meinem Haus in die Hölle blasen. Können Sie sich vorstellen, was er meinte?“

Ich dachte an den missglückten Raketenanschlag auf dem La Guardia Flughafen, verdrängte den Gedanken daran aber sofort wieder, weil mir ein Zusammenhang doch recht weit hergeholt schien. Dennoch konnte ich mich nicht von dem Gedanken lösen, dass er seine Worte nicht von ungefähr derart gewählt hatte, als er von wegblasen sprach.

„Es wäre vielleicht ganz gut“, sagte ich deshalb, „wenn Sie und Ihre Familie für ein paar Tage in ein Hotel ziehen würden. Was halten Sie davon, Steele?“

„Ich habe vor, Frau und Tochter für einige Wochen nach Europa zu schicken, Trevellian“, versetzte der Mafioso, der ziemlich mitgenommen und überhaupt nicht überheblich wirkte. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Unrast beherrschte jeden Zug seines Gesichts. Hatte er wirklich Angst vor Fitzgerald, und war es ihm damit, dass wir ihn und seine Familie beschützen sollten, ernst?

Er wies einladend mit der Rechten auf einige Sessel. Sarah und ich ließen uns nieder. Steele setzte sich auf die Couch. Er nickte. „Ja, in die Schweiz. Etwas Erholung wird vor allem Loretta gut tun nach allem, was sie durchgemacht hat. Ich habe schon buchen lassen. Die Maschine fliegt morgen Vormittag ab. Ich dachte mir, Trevellian, dass unter anderem Sie und Ihre Teamgefährtin meine Frau zum J.F.K.-Airport begleiten und sicher ins Flugzeug verfrachten.

„Was heißt unter anderem?“

„Einige meiner Männer werden dabei sein.“

„Kein Problem, Steele“, sagte Sarah, und etwas schnippisch fügte sie hinzu: „Wer beschützt aber Sie in der Zeit, während wir unterwegs sind?“

„Ich komme ebenfalls mit“, erwiderte Steele kühl.



3

Mein Telefon dudelte. Ich nahm es vom Tisch und hielt es mir ans Ohr. „Trevellian, Special Agent, FBI New York.“

Es war Mr. McKee. „Bei Ihnen und im Hause Steele alles klar, Jesse?“, fragte er.

Ich saß mit Sarah in einem kleinen Kaminzimmer. Ein Fernsehapparat lief. Die Familie Steele befand sich im Livingroom. Wo sich Steeles Leibwächter verkrochen hatten, wussten wir nicht und interessierte uns auch nicht.

Sarah machte per Fernbedienung den Fernseher leise.

„Alles klar, Sir“, bestätigte ich. „Steele will morgen Frau und Tochter in ein Flugzeug setzen und in die Schweiz schicken. Sarah und ich werden sie zum Flughafen begleiten. Steele will mitkommen. Nun, wir haben nichts dagegen einzuwenden.“

„Schlechte Nachricht, Jesse“, sagte der Chef, als ich geendet hatte. „Heute am Abend ist etwas über zwei Meilen vom Kennedy Airport entfernt ein Lastwagen explodiert und ausgebrannt. Fahrer und Beifahrer konnten nur noch tot geborgen werden. Die Kollegen vom NYPD fanden auf der Ladefläche des Wagens eine Boden-Luft-Rakete, wahrscheinlich vom Typ SA-18. Soeben wurde ich informiert. Die Ursache der Explosion ist allerdings noch ausgesprochen unklar.“

„Großer Gott, Sir“, entfuhr es mir. „Der Anschlag auf die israelische Maschine wurde mit einer Boden-Luft-Rakete durchgeführt. Nun taucht ein weiteres Exemplar auf, und zwar ganz in der Nähe des J.F.K.-Flughafens. Woher kommen diese Waffen? Wie gelangten sie in die USA?“

„Die Frage ist, wie viele von den Raketen sich noch in terroristischer Hand befinden, Jesse“, kam es von Mr. McKee. „Mögen zwei Attentate, aus welchen Gründen auch immer, fehlgeschlagen sein. Das dritte, vierte oder fünfte wird ganz sicher nicht mehr fehlschlagen. Himmel, Jesse, wir ahnen, dass es weitere Boden-Luft-Raketen in terroristischer Hand gibt – doch wir können nichts tun, als die Flughäfen besser zu bewachen und die Sicherheitsvorkehrungen zu intensivieren. Ansonsten sind wir machtlos.“

„Wer ermittelt in der Sache mit der israelischen Maschine?“, fragte ich.

„Clive Caravaggio und ein Stab von sechs G-men. Es gibt einige Adressen, von denen man weiß, dass es sich um Al-Quaida Sympathisanten oder Anhänger von Ansar el Islam handelt. Dort wollen Clive und seine Leute den Hebel ansetzen.“

Ich dachte an Farad Darya, den Terroristen, dessen Bande wir vor einigen Monaten zerschlagen und dem wir zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verholfen hatten. Der Gangster saß auf Rikers Island ein, und ich fragte mich, ob er wohl aufs Neue von seiner Zelle aus den Terror in New York steuerte.

Ich verlieh meinen Gedanken Ausdruck: „Sollte etwa wieder Farad Darya die Finger im Spiel haben, Sir? Und während Clive und die Kollegen irgendwelchen imaginären Leuten hinterher hecheln, putzen seine Handlanger mit einer SA-18 irgendwo ein Flugzeug aus der Luft oder einen Zug von den Schienen.“

„Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Jesse. Es sieht jedenfalls im Moment so aus, als hätte man unsere Stadt wieder mal zum Ziel terroristischer Anschläge gemacht. Wir müssen jedenfalls alles daran setzen, um zu verhindern, dass sich die Ereignisse des elften September zweitausend-eins wiederholen, und sei es auch nur im verkleinerten Maßstab. Die Bevölkerung verlässt sich auf uns, sie vertraut uns, und wir wollen und dürfen dieses Vertrauen nicht enttäuschen.“

„Wir wären unser Geld nicht wert“, knurrte ich.

„Okay, Jesse“, sagte Mr. McKee, „Ich wollte Sie nur informiert haben. Wir halten uns gegenseitig auf dem Laufenden.“

„Klar, Sir. Vielen Dank für den Anruf.“

Dann war die Leitung tot.

Ich erklärte Sarah, was Sache war, und ich verschwieg ihr auch nicht, was es mit Farad Darya auf sich hatte. Er hatte vom Gefängnis aus die Entführung Joanna Miles, der Tochter des Stadtverordneten Gilbert Miles, organisiert, um seine Freilassung zu erpressen. Dieser Mann war in seinem islamischen Fanatismus extrem gefährlich und auf keinen Fall zu unterschätzen.

„Vielleicht sollten wir uns mal mit ihm unterhalten“, meinte Sarah. „Eventuell können wir ihn aus der Reserve locken …“

Ich lachte fast belustigt auf. „Das ist ein Profi, Kollegin“, gab ich zu verstehen. „Eiskalt, abgebrüht, mit allen schmutzigen Wassern gewaschen, und das Schlimmste, er ist hochintelligent. Den locken wir nicht aus der Reserve. Der macht sich höchstens über uns lustig.“

Als ich das sagte, hatte ich noch keine Ahnung, wie sehr vor allem Sarah Anderson in das engmaschige Netz aus Hass, Fanatismus und Besessenheit verstrickt werden sollte, dass sie in den kommenden Tagen dem Tod in seiner ganzen Unersättlichkeit und Brutalität hautnah gegenüberstehen würde.



4

Drei Bodyguards und ich sicherten in die Runde, als Mrs. Steele und die 17-jährige Loretta das schlossähnliche Haus verließen und zum Bentley schritten, dessen Türen offen standen. Zwei Bedienstete schleppten Koffer und Reisetaschen, die in den Kofferraum des Wagens verladen wurden. Mrs. Steele und Loretta nahmen im Fond des Wagens Platz. James Steele setzte sich auf den Beifahrersitz, einer der Leibwächter schwang sich hinter das Lenkrad.

Sarah und ich gingen zu unserem Dienstbuick. Wir wollten dem Bentley folgen. Voraus fuhren zwei weitere Bodyguards des Mafioso in einem Ford.

Der Ford rollte an. Der Bentley folgte, dann gab ich etwas Gas. Wir fuhren langsam die Ausfahrt hinunter, passierten das Tor und wandten uns nach Osten, um um J.F.K.-Airport zu gelangen. Wir benutzten den Eastern Parkway.

Die New York Avenue kreuzte. Die Ampel stand auf rot. Wir hielten hintereinander an. Der Ford war das vierte Fahrzeug in der wartenden Kolonne. In der New York Avenue rollte der Verkehr vorüber. Nach Süden und nach Norden. Die Zeit der morgendlichen Rushhour war längst vorbei, und so hielt sich das Verkehrsaufkommen in Grenzen.

Ich schaute in den Rückspiegel. Hinter mir hielt ein Toyota, bei dem Fahrzeug dahinter handelte es sich, soweit ich es im Seitenspiegel erkennen konnte, um einen Chevy. Der Fahrer telefonierte mit seinem Handy. Ich dachte mir nichts dabei und schaute wieder nach vorne.

Die Ampel schaltete auf gelb, dann auf grün. Die Autos vor uns rollten an. Der Ford mit den beiden Bodyguards des Mafiabosses, den und dessen Familie wir zu beschützen hatten, fuhr auf die Kreuzung. Plötzlich fegte von rechts ein 5er BMW heran. Der Fahrer musste bei Rot über die Ampel auf der New York Avenue gerast sein. Der BMW schob sich zwischen den Ford und den Bentley und wurde hart abgebremst.

Die Bremslichter des Bentley glühten auf.

Zwei Kerle sprangen aus dem BMW. Sie hielten Pistolen in den Fäusten!

Alles in mir schaltete auf Alarm. Unwillkürlich warf ich einen Blick in den Außenspiegel. Aus dem Chevy, dessen Fahrer eben noch telefoniert hatte, sprangen ebenfalls zwei Kerle.

Erkennen und Reagieren waren bei mir eine Sache des Augenblicks. Sie hatten uns in die Zange genommen, und ich zischte: „Achtung, Sarah, eine Falle!“ Dann riss ich meine Tür schon auf und sprang ins Freie. Die SIG Sauer P226 sprang wie durch Zauberei in meine Hand.

Vorne krachten einige Schüsse. In den sich vermischenden Knall hinein schlug eine Autotür. Ich richtete die SIG auf den Kerl, der auf der Fahrerseite aus dem Chevy gesprungen war. Da sah ich es bei ihm schon aufglühen. Ich warf mich zur Seite. Eine peitschende Detonation wurde über mich hinweggeschleudert, ich spürte den Luftzug der Kugel an meiner Schläfe und feuerte.

Der Bursche bei dem Chevy zuckte zusammen.

Der Mann im Toyota zwischen unserem Dienstbuick und dem Chevy gab Gas. Er gehörte also auch dazu. Er scherte aus der Fahrspur aus und ich hatte den Eindruck, als machte der Wagen einen Satz auf mich zu.

Auf der anderen Seite des Buick hörte ich das Bellen von Sarahs P228. Das Motorengeräusch des Toyota erschien mir plötzlich überlaut, wie das Aufbrüllen eines Ungeheuers, das mich im nächsten Moment verschlingen oder in Grund und Boden stampfen würde. Der Lärm um mich herum mutete an wie ein höllischer Choral.

Ich rollte herum, zweimal, dreimal, etwas streifte mich und raste an mir vorbei, ich wälzte mich weiter und sah, dass es die Räder des Toyota gewesen waren, die mich gestreift hatten. Aber ich spürte keinen Schmerz. Ich sah bei dem Chevy einen der Kerle knien. Er hatte die Pistole verloren und verkrampfte beide Hände vor dem Leib.

Hinter dem Steuerrad des Chevy aber saß einer. Wahrscheinlich jener Bursche, der zunächst als Beifahrer fungierte. Der Toyota verschwand mit kreischenden Rädern in der New York Avenue. Bremsen quietschten. Es krachte dumpf, weil ein Wagenlenker eine Vollbremsung hinlegen musste und das nachfolgende Fahrzeug auffuhr. Glas klirrte. Wasserdampf von einem geplatzten Kühler hüllte die Szene ein.

Ich riss den Kopf zu dem 5er BMW herum, der den Bentley mit Steele und seiner Familie von dem Ford mit den Bodyguards abgeschnitten hatte. Zwei Kerle waren bei dem Fahrzeug und versuchten, Mrs. Steele und Loretta aus dem Fond des Wagens zu zerren. Von James Steele sah ich nichts, ebenso wenig trat der Fahrer des Bentley in Erscheinung.

Der Chevy fuhr an. Die Räder drehten durch, das Fahrzeug bäumte sich geradezu auf. Ich feuerte. Auch Sarahs Waffe auf der anderen Seite des Buicks dröhnte. Die Windschutzscheibe des Chevy splitterte, der Wagen brach nach links aus und jagte schräg über die Straße, krachte auf der anderen Straßenseite gegen eine Peitschenmast und stellte sich schräg. Der Glaszylinder der Lampe fiel in die Tiefe und zerschellte auf dem Asphalt. Der Fahrer des Chevy sprang aus dem Fahrzeug, feuerte zweimal in unsere Richtung und flüchtete zu Fuß.

Ich kam hoch und rannte zu dem Bentley hin. Die beiden Frauen schrien und kreischten. Die Fahrertür stand offen. Einer der Kerle sah mich kommen und wandte sich mir zu. Der andere zerrte Mrs. Steele aus dem Fahrzeug.

Um den 5er BMW kamen die beiden Bodyguards herum, die im Ford vorausgefahren waren. Warum sie jetzt erst in Aktion traten, war mir ein Rätsel, jedoch beschäftigte mich diese Frage auch nicht länger. Ich schnellte auf den Burschen zu, der sich mir in den Weg stellen wollte. Da er beide Hände benötigt hatte, um Loretta aus dem Wagen zu ziehen, hatte er die Pistole geholstert. Ich ließ ihm nicht die Zeit, sie zu ziehen. Seine Rechte fuhr zwar unter die Jacke, aber da war ich schon über ihm.

Ich prallte gegen ihn. Er flog gegen den Bentley. Meine Linke kam blitzartig aus der Hüfte und bohrte sich ihm in den Leib. Er quittierte den Schlag mit einem verlöschenden Aufschrei und verdrehte die Augen. Mein nächster Schwinger explodierte an seinem Kinn. Sein Kopf flog in den Nacken …

Plötzlich waren die beiden Bodyguards James Steeles da. Sie warfen sich auf den Burschen und rissen ihn zu Boden. Auf der anderen Seite des Bentley sah ich Sarah mit dem anderen Gangster kämpfen. Ja, kämpfen! Im wahrsten Sinne des Wortes. Auch er hatte die Waffe geholstert und jetzt, da er keine Chance mehr sah, Mrs. Steele aus dem Wagen zu zerren, attackierte er meine Kollegin mit beiden Fäusten. Er trieb sie regelrecht vor sich her. Sarah hatte zwar die Pistole in der Faust, aber entsprechend der Verhältnismäßigkeit der Mittel setzte sie die Waffe gegen die Fäuste ihres Gegners nicht ein.

Geschickt wich Sarah Anderson den Schwingern des Gangsters aus. Er schlug von der Seite nach ihrem Kopf. Behände tauchte Sarah ab. Der Schlag wischte über sie hinweg, sie kam hoch und schlug mit der Pistole zu. Der Kopf des Gangsters wurde auf die linke Schulter gedrückt. Sarah rammte ihm die Waffe in den Leib, der Kerl machte eine unfreiwillige Verbeugung, und dann bekam er Sarahs Faust mit der SIG auf den Hinterkopf. Er stürzte wie ein gefällter Baum auf das Gesicht.

Der Kampf war vorbei. Der Bursche, dem ich ein Stück Blei verpasst hatte, lag jetzt auf dem Gesicht. Sein Kumpan, der sich an seiner Stelle ans Steuer des Chevy gesetzt und die Flucht ergriffen hatte, hatte ihn eiskalt über den Haufen gefahren.

Der Toyota war verschwunden, ebenso der Bursche, der zuletzt am Steuer des Chevy gesessen hatte. Die beiden Kerle aus dem BMW waren überwältigt. Auf dem Eastern Parkway und der New York Avenue staute sich der Verkehr. Es ging nichts mehr vorwärts.

Ich lief um den Bentley herum. Mein Blick begegnete dem Sarahs.

„Alles in Ordnung?“, rief ich ihr zu.

Sie zeigte mir den erhobenen Daumen. Ich war beeindruckt. Irgendwie hatte sie den Kerl ziemlich locker fertig gemacht. Ja, sie hatte es drauf.

Sarah wandte sich der Beifahrertür zu und öffnete sie. James Steele presste die rechte Hand gegen seine linke Schulter. Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch. Er war bleich, seine Augen flackerten, seine Lippen formten tonlose Worte.

Loretta saß weinend auf dem Rücksitz. Mrs. Steele schien einen Schock erlitten zu haben. Sie zitterte an Leib und Seele, wimmerte und heulte und war nicht ansprechbar.

Der Fahrer des Bentley rührte sich nicht. Er saß zusammengesunken über dem Lenkrad. Blut sickerte aus einer Wunde an seinem Hinterkopf und färbte seinen Hemdkragen rot.

Ich angelte mein Handy aus der Jackentasche und stellte eine Verbindung zu Mr. McKee her. „Sir“, sagte ich nach einem kurzen Gruß, „wir sind auf dem Weg zum Flugplatz überfallen worden …“ Ich schilderte dem Chef den Ablauf des Überfalls.

In der Nähe war Sirenengeheul zu vernehmen. Sicher hatte jemand das nächste Revier verständigt, und von dort aus waren die Patrolcars in der Umgebung informiert worden, dass auf der Kreuzung Eastern Parkway/New York Avenue der Teufel los war.

Mr. McKee zeigte Erleichterung, weil weder Sarah noch mir noch den beiden Frauen ein größeres Leid zugestoßen war, schränkte aber ein, indem er sagte: „Für Loretta muss es ganz besonders schlimm sein. Sie befand sich erst in Entführerhand und erlebte den Irrsinn brutaler Gewalt, als die Leute ihres Vaters sie mit Waffengewalt befreiten. Und jetzt das!“

„Ja“, versetzte ich, „das Mädchen kann einem Leid tun. – Hinter dem Überfall steckt meiner Meinung nach Fitzgerald. Er hat gedroht, sich an Steele zu rächen.“

„Sie haben ja zwei der Kerle auf Nummer Sicher, Jesse“, meinte Mr. McKee. „Vielleicht sind die beiden bereit, zu reden. Sie können uns sicher verraten, wo sich Fitzgerald verkrochen hat. Lassen Sie die Burschen ins Field Office schaffen. Und dann nehmen Sie und Sarah die beiden in die Mangel.“

„Sarah hat sich übrigens prächtig geschlagen, Sir“, sagte ich. „Sie hat einen der Kerle ausgeknockt, dass ich nur so gestaunt habe. Die Handschrift der jungen Lady ist nicht zu verachten.“

„Nun“, meinte der Chef, „sie ist FBI-Agentin und hat dasselbe Ausbildungsprogramm durchlaufen wie Sie, ich und jeder andere G-man.“

Ich dachte an einen Satz, den mir Sarah einmal sagte. Ich bin Special Agent, losgelöst von geschlechtlichen Attributen, waren ihre Worte gewesen. Dabei war es unmöglich, sich ihrer fraulichen Faszination zu entziehen. Sie hatte alles, was ein Mann von einer Frau erwartet. Schönheit, Intelligenz, Charakter …

Ich lächelte unwillkürlich. „Natürlich, Sir. Ich ließ mich wahrscheinlich von dem Gedanken leiten, dass sie zum sogenannten schwachen Geschlecht gehört. Mein Fehler.“

Der SAC lachte. Dann beendeten wir das Gespräch.

Ein Streifenwagen raste heran. Der Lichtbalken auf dem Autodach schleuderte rote und blaue Reflexe in die Umgebung. Mit quietschenden Bremsen verhielt der Buick am Straßenrand. Zwei Cops sprangen heraus. Weitere Patrolcars kündigten sich mit heulenden Sirenen an.

Sarah kümmerte sich um den Fahrer des Bentley. Ihn hatte eine Kugel am Hinterkopf gestreift, und sie schien die Wirkung eines Keulenhiebes gehabt zu haben. Die beiden Kerle, die überwältigt worden waren, hockten am Boden. Die Bodyguards Steeles bedrohten sie. Der BMW stand nach wie vor quer vor dem Bentley.

Ich ging zu den beiden Cops hin und wies mich aus. Dann klärte ich sie auf. Indessen kamen zwei weitere Streifenwagen an. Zwei Officer gingen daran, den Verkehr zu regeln. Eine Ambulanz wurde angefordert. Außerdem wurde das Police Department verständigt.

Ich holte Handschellen aus dem Dienstbuick und fesselte die beiden Gefangenen. Sie sprachen kein Wort. Mir war längst klar geworden, dass uns die Besatzungen des Toyota und des Chevy beobachtet hatten, und zwar von dem Augenblick an, als wir das Grundstück Steeles verlassen hatten. Sie waren uns gefolgt, und der Chevyfahrer hatte mit den Kerlen im BMW telefonisch in Verbindung gestanden, damit das Timing funktionierte.

Die Kollegen vom Department kamen nach etwa einer dreiviertel Stunde und übernahmen. Der Mann, den ich niedergeschossen und den sein Komplize mit dem Chevy überfahren hatte, war tot. Der Coroner wurde angefordert, ein Vertreter der Staatsanwaltschaft erschien. Zwei Ambulanzen kamen und kümmerten sich um Steele und den verwundeten Bodyguard. Sie wurden abtransportiert.

Daran, dass Mrs. Steele und Loretta in die Schweiz düsten, war natürlich nicht mehr zu denken. Mrs. Steele war noch immer nicht ansprechbar und musste ebenfalls stationär untergebracht werden. Um Loretta würde sich ein Polizeipsychologe kümmern müssen, wahrscheinlich musste aber auch sie sich in stationäre Behandlung begeben.

Der BMW wurde beschlagnahmt. Schließlich war die Kreuzung geräumt, und der Verkehr konnte wieder fließen.

Sarah und ich fuhren nach Manhattan und begaben uns ins Field Office. Die beiden Kerle, die wir verhaftet hatten, waren von den uniformierten Kollegen zur Federal Plaza transportiert und hier in Gewahrsam genommen worden.

Sarah und ich wollten sie erst etwas schmoren lassen, ehe wir sie einvernahmen. Himmel, dass der Autoschieber-Fall solche Ausmaße annehmen würde, hätte ich mir niemals träumen lassen. Aber dass Dave Fitzgerald ein kaltschnäuziger, skrupelloser Verbrecher war, hatte er bewiesen, als er Edric Brown, Allan Webb und Abe Bogard von seinem Killer ermorden ließ. Brown hatte einen Fehler begangen, Webb und Bogard wollten in eigener Regie Geschäfte machen, als sie Loretta Steele entführten. Alle drei bezahlten mit dem Leben.

Fitzgerald hatte neue Verbündete gefunden. Und er hatte nicht lange auf sich warten lassen, nachdem er Steele ziemlich massiv gedroht hatte.

Sarah und ich begaben uns zunächst mal zu Mr. McKee, um ihm ausführlich Bericht zu erstatten – und in der Hoffnung, eine Tasse von Mandys hervorragendem Kaffee angeboten zu bekommen.



5

Der Frachter machte an den Greenpoint Piers fest. Eine Gangway wurde ans Festland geschwenkt. Aus einem Laster, der bei den Piers gewartet hatte, stiegen zwei Männer. Sie waren dunkelhäutig und hatten schwarze Haare. Der eine von ihnen war nicht älter als 30 Jahre, der andere mochte Mitte 40 sein.

Über die Gangway schritt ein mittelgroßer, untersetzter Mann an Land. Unter seiner Mütze schauten graue Haare hervor. Tiefe Linien und Falten zerfurchten sein Gesicht. Die drei trafen am Rand des Piers aufeinander und begrüßten sich, indem sie sich umarmten. Der Mann vom Schiff sagte: „Allah sei mit euch.“

Auf dem Frachter wurde die Ladeluke geöffnet. Der Haken eines Krans verschwand im Leib des Schiffes. Wenig später wurde eine Kiste von etwa zwei Metern Länge ins Freie gehievt. Zwei weitere Kisten folgten. Einige Matrosen trugen die Kisten von Bord und verluden sie auf dem Kleinlaster. Die Plane wurde geschlossen und verschnürt.

Der mittelgroße Mann verabschiedete sich von den beiden Kerlen, die mit dem Lastwagen gekommen waren, und kehrte auf den Frachter zurück. Die Gangway wurde wieder eingeholt.

Der Lastwagen rollte in Richtung Norden davon. Der Beifahrer nahm sein Handy zur Hand.

„Daud“, kam es durch den Äther.

„Hallo, Aman“, sagte der Mann im Laster. „Wir haben die Ware übernommen und sind jetzt auf dem Weg zum Queens Midtown Tunnel. In einer Stunde etwa sind wir im Versteck.“

„In Ordnung, ich werde kommen. Sag Rahman Bescheid. Ich will ihn sprechen.“

„Verstanden.“

Damit war das Gespräch beendet.

Rashid rief Ullah Rahman an. Der Waffenhändler sagte sein Erscheinen zu und fragte mit dem nächsten Atemzug, ob Interesse an C-4-Plastiksprengstoff bestünde.

„Wie viel könntest du uns liefern“, wollte Rashid wissen.

„Eine halbe Tonne, eine Tonne …“ Ohne die Stimme zu senken brach Rahman ab.

„Ich weiß nicht“, sagte Rashid. „Am besten sprichst du mit Aman Daud drüber. Er wird auch da sein, wenn du kommst.“

Die beiden Männer durchfuhren etwas später die Röhre des Queens Midtown Tunnel und waren in Manhattan. Auf der Second Avenue wandten sie sich nach Süden, bogen 20 Minuten später in die East Houston Street ein und erreichten schließlich SoHo.

Dieses SoHo hat nichts mit dem berühmten Stadtteil in London zu tun. Der Name erklärt sich durch die Lage und steht für South of Houston Street. Es handelt sich um ein Stadtviertel zwischen Broadway und Avenue of the Americas. In dem Viertel wurden im Laufe der Zeit leerstehende Fabrikhallen in Wohnungen, Geschäfte und Ateliers verwandelt. Cast-Iron Buildings bestechen durch Fassaden aus kunstvoll gegossenen Metallteilen. SoHo war sich in den vergangenen 25 Jahren zu einem der bevorzugten Einkaufsviertel New Yorks avanciert.

Aber es gab auch noch leerstehende Gebäude, und in den Hof eines dieser Bauwerke chauffierte Mohammed Elamin den Kleinlaster. Ein großes Grundstück umgab es. Es handelte sich um eine alte Fabrikhalle mit einem angebauten Bürogebäude. Zwischen den Betonplatten im Hof wuchs das Unkraut hüfthoch. Von den Gebäuden fiel der Putz großflächig ab. Die Mauer, die das Areal eingrenzte, war aus blanken Backsteinen errichtet, zwischen denen sich der Kalkmörtel im Laufe der Jahre zu Sand und Staub zersetzt hatte. Graffiti-Künstler hatten sich hier überall ausgetobt.

Achmed Rashid und Mohammed Elamin steigen aus dem Führerhaus.

Die Hintertür des ehemaligen Bürogebäudes wurde aufgezogen, ein Mann schob seinen Kopf ins Freie. „Habt ihr die Ware?“

„Sicher“, antwortete Achmed Rashid. „Drei Kisten, getarnt als medizinisches Material.“

Der Mann in der Tür rief etwas über die Schulter, dann kam er ins Freie. Er war blond und Amerikaner. Sein Name war Wilson Dexter. Im Gefängnis hatte er sich mit einem Mann angefreundet, der der Al-Quaida-Zelle New York angehört hatte. Nach seiner Freilassung wandte er sich an Aman Daud, den Führer der Untergrundorganisation Ansar el Islam in New York, die eng mit der Al-Quaida zusammenarbeitete und deren Interessen dieselben waren.

Zwei weitere Männer folgten Wilson Dexter. Die drei Kisten wurden abgeladen und ins Haus getragen. Im Keller wurden sie abgestellt. Achmed Rashid öffnete eine der Kisten. Sie beinhaltete zehn SA-18 Raketen.

Die SA-18 ähnelt den russischen Sam-7 und den amerikanischen Stinger-Raketen, die während des Afghanistankrieges in den 80er Jahren von den Mudschaheddin gegen die sowjetischen Besatzer eingesetzt wurden.

„Neue Raketen“, gab Rashid zu verstehen und nahm eine der Waffen aus der Kiste, wog sie in beiden Händen und grinste. „Frei Haus aus St. Petersburg. Keine alten Lagerbestände, wie mir Ullah Rahman versichert hat. Damit können wir jedes landende oder startende Flugzeug im Umkreis von fast drei Meilen abschießen. Die Tschetschenen haben es vorgeführt.“ Rashid lachte auf. „Sie heizen den Russen mit diesen Dingern ganz schön ein.“

„Wir sollten Aman Daud Bescheid sagen“, regte Wilson Dexter an. „Er wollte informiert werden, sobald die Ware eingetroffen ist.“

„Habe ich schon“, erklärte Achmed Rashid. Er legte die gefährliche Waffe zurück in die Kiste und schloss sie. Dann verließen die Männer den Keller. Mohammed Elamin schloss hinter sich die Tür zu dem Raum mit den drei Kisten ab.

Zuerst kam Aman Daud, ein etwa 50-jähriger Iraker, der seit 12 Jahren in den USA lebte. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, das am Hals von einer grün-rot gestreiften Krawatte zusammengehalten wurde. Zwei Männer begleiteten ihn, geschmeidige Burschen mit breiten Schultern und wachsamen Augen.

„Ist Rahman schon da?“, wollte Daud wissen.

„Nein“, antwortete Achmed Rashid. „Aber er hat prompt geliefert. Dreißig Raketen. Und es soll sich dieses Mal nicht um alte Lagerbestände handeln, deren Funktionsfähigkeit Glückssache ist. – Rahman hat C-vier-Plastiksprengstoff angeboten. Brauchen wir so etwas?“

„Nein. Wir machen keine Geschäfte mehr mit Ullah Rahman. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Agenten des russischen Geheimdienstes und von der CIA hinter Rahman her sind. Das FBI und der Secret Service sind ebenfalls eingeschaltet. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Rahman auffliegt.“

„Rahman muss sterben“, knurrte Mohammed Elamin. „Nur so ist sichergestellt, dass er uns nicht verpfeift.“

Aman Daud nickte. „Rahman wird heute noch eliminiert. Er ist nicht mehr tragbar für uns.“

Im Hof des heruntergekommenen Gebäudes fuhr ein Auto vor. Daud wandte sich an einen seiner Bodyguards. „Geh hinunter, Yussef, und geleite Rahman herauf.“

Der Bursche nickte und verließ den Raum, in dem es einen Tisch und einige Stühle gab. An der Wand neben der Tür stand ein Schrank. Das Mobiliar war alt. Es war deutlich, dass das Gebäude seit Langem verlassen war.

Aman Daud stand am Fenster. Er hatte es vorgezogen, sich nicht zu setzen. Die anderen Kerle hockten um den Tisch herum. Einige rauchten. Der Tabakqualm zog unter der Decke dahin.

Auf der Treppe erklangen Schritte, dann betrat Ullah Rahman den Raum. Ihm folgte Aman Dauds Leibwächter. Ullah Rahman war ein mittelgroßer, dicklicher Mann mit Halbglatze. Er schwitzte und betupfte sich unablässig mit einem weißen Taschentuch das feiste Gesicht.

„Hallo, Mr. Daud“, rief er und bewegte sich mit vorgestreckter rechter Hand auf den Anführer der Terroristen zu. „Es ist für mich immer wieder ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.“

„Das Vergnügen ist ganz meinerseits“, lächelte Aman Daud – es war ein hintergründiges Lächeln. Er ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie. „Die Ware, die Sie uns beim ersten Geschäft lieferten, hat sich allerdings als Schrott entpuppt. Eine der Raketen ging zu früh los, die andere sprengte unsere eigenen Leute in die Luft. Die heutige Lieferung, so haben Sie versichert, soll einwandfrei sein.“

„So ist es, Mr. Daud“, sagte Rahman und nahm seine Hand aus der seines Gesprächspartners. Er betupfte sich wieder das Gesicht. „Sie haben mir für die dreißig Raketen eineinhalb Millionen Dollar angezahlt. Ich bekomme also noch neunhunderttausend Dollar von Ihnen. Stückpreis achtzigtausend Dollar. So wurde es vereinbart.“

Aman Daud musterte ihn durchdringend. Rahman fühlte sich plötzlich unbehaglich. Warum starrte ihn Daud so seltsam an? Er hob die Schultern, trat von einem Fuß auf den anderen.

Aman Daud stieß unvermittelt hervor: „Abzüglich hundertsechzigtausend Dollar für die beiden Blindgänger, die Sie uns lieferten, Rahman. Minus siebenhundertvierzigtausend für den Lastwagen und die Männer, den wir verloren haben. Das heißt, wir sind quitt, Rahman.“

Aman Daud prallte regelrecht zurück. In seinem Gesicht zuckten plötzlich die Nerven. Er schluckte würgend, japste nach Luft und stammelte erregt: „Sie – Sie wollen mich also betrügen, Daud. Bei Allah, und ich Narr bin darauf hereingefallen. Man sollte eben niemals Geschäfte mit …“

Der Mann hinter Rahman hatte seine Pistole unter der Jacke hervorgeholt und schlug zu. Wie vom Blitz getroffen sackte Ullah Rahman zusammen. Hart schlug er am Boden auf.

„Fesselt und knebelt ihn“, kommandierte Aman Daud. „Achmed, Mohammed, ihr lasst ihn in der Nacht verschwinden. Nach ihm wird kein Hahn krähen. Die Geheimdienste und das FBI werden die Akte Ullah Rahman schließen und die Sache wird ihr Bewenden haben.“

„In Ordnung, Aman“, sagte Achmed Rashid. „wo setzen wir die erste Rakete ein?“

„Mein Freund, Dave Fitzgerald, hat mich um einen Gefallen gebeten. Da können wir gleich testen, ob das Material, das wir heute bekommen haben, in Ordnung ist.“

Mohammed Elamin verzog das Gesicht. „Wir sollten dem Amerikaner nicht so tiefe Einblicke gewähren“, murmelte er.

„Keine Sorge“, versetzte Aman Daud. „Fitzgerald kann nur von Nutzen für uns sein. Er ist im Moment einer der am dringlichsten gesuchten Männer in New York. Er frisst mir sozusagen aus der Hand. Und er hat durch seine Autoschiebereien gute Beziehungen in uns freundlich gesonnene Länder; Saudi Arabien, Libyen, Irak – nur um einige zu nennen. Das kann für uns von Nutzen sein.“

„Du musst es wissen“, knurrte Achmed Rashid. Er schoss Wilson Dexter einen schrägen Blick zu. „Fitzgerald ist kein überzeugter Anhänger unserer Sache. Er wird von persönlichen Motiven geleitet, und das ist nicht in unserem Sinn. Aber du bist der Boss, Aman.“

„Dann sind wir uns ja einig“, sagte Aman Daud. „Gut, ihr wisst Bescheid. Wenn es zum Einsatz kommt, werdet ihr informiert. Wir werden unseren Feinden großen Schaden zufügen. Rache für die Taliban, Rache für den Irak, Rache, Rache, Rache. Wir sind Gotteskrieger in einem heiligen Krieg. Allah ist mit uns.“

Die Besessenheit ließ seine Augen glühen. Etwas Bösartiges schien Aman Daud zu umgeben.



6

Der Bursche saß am leeren Tisch im Vernehmungsraum, das weiße, kalte Neonlicht umriss seine Gestalt.

Ich hatte ihm gegenüber am Tisch Platz genommen. Auf der Tischplatte vor mir stand ein Aufnahmegerät.

Sarah hatte sich am Stirnende des Tisches aufgebaut. Sie stemmte sich mit beiden Armen auf die Tischkante. „Wie heißen Sie?“, begann sie das Verhör.

Ich drückte den Aufnahmeknopf. Der Bursche verzog das Gesicht. Dann sagte er: „Smith.“

„Vorname?“

„Harry.“

„Na schön, Harry Smith, dann erzählen Sie uns mal, wer Sie losschickte, damit Sie und einige Komplizen verhindern, dass Mrs. Steele und ihre Tochter den Flughafen erreichen. Für wen arbeiten Sie?“

Smith war einer der Kerle, die wir bei dem Überfall am Morgen dieses Tages festgenommen hatten, und zwar jener Bursche, den Sarah in nahezu unnachahmlicher Manier ausgeschaltet hatte.

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, streckte die Beine weit von sich und dehnte: „Was springt für mich heraus, wenn ich das Maul aufmache?“

„Ich kann Ihnen sagen, was für Sie herausspringt, wenn Sie das Maul nicht aufmachen“, presste ich hervor. „Vielleicht können Sie es sich selber ausrechnen. Versuchter Mord, versuchte Entführung, unerlaubter Waffenbesitz, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und noch ein paar Dinge mehr, die Ihnen der Staatsanwalt zum Vorwurf machen wird. Ich schätze mal, dass man auf eine Gesamtstrafe von zwanzig Jahren kommen wird. Wenn man Sie wieder laufen lässt, sind Sie alt und grau, Harry Smith.“

„Ich will für mich die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen. Das heißt, ich erzähle, was ich weiß, und gehe straffrei aus. Eines Kapitalverbrechens habe ich mich nicht schuldig gemacht …“

„Sagen Sie uns den Namen des Mannes, der Sie und Ihre Kumpane bezahlt hat, Smith“, knurrte ich ungeduldig, „und ich werde beim District Attorney ein gutes Wort für Sie einlegen. Oder machen wir es so. Ich nenne Ihnen ein paar Namen, und Sie nicken, wenn ich den Ihres Auftraggebers nenne. Vielleicht fällt Ihnen das leichter.“

„Na, denn nenn mal einen Namen, Trevellian“, knirschte der Gangster.

„Wie wär‘s mit Fitzgerald? Dave Fitzgerald?“

„Scheiß Spiel!“, fauchte Smith. „Okay. Treffer. Du hast es auch ohne mich gewusst. Jetzt hast du Gewissheit. Was willst du noch?“

„Wo steckt Fitzgerald?“, schnappte Sarah und fixierte den Gangster fragend, vielleicht auch erwartungsvoll.

„Warum nennen Sie mir nicht einfach ein paar Adressen, Lady?“, knirschte Smith. „Und wenn Sie die richtige erraten, nicke ich.“

„Weil mir das zu blöde ist, mein Freund“, versetzte Sarah kühl. „Also raus mit der Sprache: Wo hat sich der Schuft verkrochen?“ Mit gesenkter Stimme fügte meine Teamgefährtin hinzu: „Sie sollten die Zähne auseinandernehmen, Smith. Möglicherweise können wir nämlich im Einvernehmen mit dem Staatsanwalt Ihre zu erwartende Haftstrafe auf die Hälfte verringern. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Vor allem wenn sie vor einem liegen und man die dreißig schon weit überschritten hat.“

Sarah spielte darauf an, dass Smith gut und gerne 40 Jahre alt war.

„Ich weiß es nicht“, kam es von Smith. Wahrscheinlich nahm er den zweifelnden Ausdruck in Sarahs Miene war, denn er wiederholte mit Nachdruck: „Ich weiß wirklich nicht, wo sich Fitzgerald versteckt hat. Er ist auf der Flucht. Ich habe mich mit ihm, nachdem er mich um ein Treffen gebeten hat, in einer Kneipe in East Harlem verabredet. Wir kannten uns von früher. Er wollte sich an Steele rächen. Den Grund hierfür kenne ich nicht. Fitzgerald hat einen von Steeles Bodyguards gekauft. Von ihm erfuhr er, dass heute morgen die beiden Ladys zum Flughafen gebracht werden sollten.“

„Er hat einen von Steeles Leibwächtern gekauft?“, wiederholte ich ungläubig.

„Ja.“ Smith nickte wiederholt.

„Welchen?“

„Keine Ahnung?“ Smith wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und erwiderte meinen Blick, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken.

„Sagte euch der Verräter denn nicht, dass zwei FBI-Agenten im Haus Steeles sind?“

„Doch.“ Smith grinste verächtlich. „Und zwar genau die beiden Agenten, die Fitzgerald hasst wie die Pest. Trevellian und Anderson. Er versprach uns eine Sonderprämie, wenn wir euch ein wenig die Flügel stutzen.“

Sekundenlang war ich wie vor den Kopf gestoßen. Dann fragte ich: „Was verstehen Sie darunter?“

„Soll ich mir selbst die Schlinge um den Hals legen, indem ich diese Frage beantworte?“

Ich winkte ab. „Sie haben wirklich keinen Schimmer, wo Fitzgerald untergeschlüpft ist?“

„Nicht den blassesten. Das musst du mir glauben, Trevellian.“

„Seit wann sind wir per du miteinander, Smith?“, wies ich ihn endlich zurecht. „Also halten Sie sich an die Regeln. Wie heißt Ihr Gefährte, den wir hops genommen haben?“

„Sag ruhig du zu mir, Trevellian.“

Ich ging nicht darauf ein. „Den Namen Ihres Gefährten!“

Smith verzog den Mund. „Jonathan Frawley. Er weiß auch nicht mehr als ich. Wir bekamen jeder hundert Dollar, weitere hundert sollten wir erhalten, wenn wir Mrs. Steele und ihre Tochter zu einem gewissen Ort gebracht hätten.“

„Welchen Ort?“, fragte Sarah mit scharfer, schneidender Stimme.

„Zu einer leerstehenden Wohnung in der Upper East Side. Sechsundsiebzigste Straße, Hausnummer dreihundertsechzehn. Die Wohnung liegt in der dritten Etage.“

„Wer waren die anderen Kerle, die geflohen sind? Und wer ist der Bursche, der gestorben ist?“

„Der Tote heißt Lenny Carter. Conrad McGrady, Guy Brannigan und Milt Jackson sind euch durch die Lappen gegangen.“

„Was können Sie uns sonst noch sagen? Wissen Sie etwas über die neuen Freunde Fitzgeralds?“, wollte Sarah wissen.

„Ich weiß gar nichts. Am allerwenigsten weiß ich etwas über seine Freunde. Wie ich schon sagte, kenne ich Fitzgerald von früher. Ich arbeitete mal für ihn als Mechaniker in seiner Tankstelle. Er erinnerte sich meiner und rief mich an. Da ich keinen Job habe und auf jeden Cent angewiesen bin, sagte ich nicht nein.“

„Und ähnlich war es bei Ihren Kumpanen?“

„Yeah.“

„Haben Sie ‘ne Ahnung, was Fitzgerald meint, wenn er sagt, dass er zuletzt Steele samt seinem Haus in die Hölle blasen werde?“

„Bei Gott, nein! Das ist wahrscheinlich so daher gesagt. Nein …“ Smith schüttelte den Kopf. „Ich kann mir darauf keinen Reim machen.“

Ich dachte wieder an den missglückten Anschlag mit der Boden-Luft-Rakete. Etwas regte sich in den Tiefen meines Bewusstseins, doch es blieb unbestimmbar. Dennoch zuckte es wie eine Warnung vor drohendem Unheil durch mein Gehirn. Ich wusste nicht, worauf es sich bezog. Ich wusste nur, dass es immer wieder an die Oberfläche schwemmte und sich nicht verdrängen ließ.

Eine Stimme klang in mir nach. Mr. McKees Stimme. Sie sagte: Schlechte Nachricht, Jesse. Heute am Abend ist etwas über zwei Meilen vom Kennedy Airport entfernt ein Lastwagen explodiert … Die Kollegen vom NYPD fanden auf der Ladefläche des Wagens eine Boden-Luft-Rakete, wahrscheinlich vom Typ SA-18 …

Auch der Laster wurde von der Straße geblasen.

Was braute sich über unseren Köpfen zusammen? Dumpfe Ahnungen drängten in den Vorgrund, Ahnungen, die mich frieren ließen. Was wurde vorbereitet? Osama Bin Laden hatte gedroht, nicht zu ruhen. Bereitete hier in New York seine Anhängerschaft den großen Coup vor, der vielleicht die Ereignisse des 11. September in den Schatten stellte? Sollte ein neuer Schlag gegen die amerikanische Gesellschaft im Allgemeinen und New York im Besonderen den Nullpunkt der neuen Angriffswelle, den Ground Zero, markieren? O verdammt! Seit dem 11. September lebt man in New York nicht mehr so wie früher, nicht mehr wie in den anderen Metropolen der Welt. Sicher, das Leben hat sich wieder normalisiert. Aber Ground Zero lebt in den Köpfen. Man hat das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen, dessen Lunte schon brennt.

Smith schien wirklich nichts mehr zu wissen. Ich schaltete das Aufnahmegerät ab und läutete nach dem Wachmann. Der Gangster wurde wieder in die Arrestzelle zurückgebracht.

„Upper East Side, sechsundsiebzigste Straße, Hausnummer dreihundertsechzehn, dritte Etage“, sagte Sarah Anderson, meine Teamgefährtin, die jetzt Milo Tuckers Platz einnahm, nachdem Milo dem FBI den Rücken gekehrt hatte. „Worauf warten wir?“

Sie war noch voller Tatendrang, die junge Lady, an der ich mehr und mehr Gefallen fand. Ich ertappte mich dabei, dass bei ihrem Anblick oder beim Gedanken an sie meine Phantasie in eine Richtung galoppierte, die unserer Zusammenarbeit sicherlich nicht zuträglich war. Aber Sarah war von einer Attraktivität, die mich bannte, sie verströmte etwas, dem ich mich nicht entziehen konnte. Und ich sah in ihr immer öfter nichts anderes als nur die schöne und begehrenswerte Frau, die sie war, und nicht die Kollegin, die man mir im Kampf gegen das Verbrechen auf New Yorks Straßen zur Seite gestellt hatte. Wenn Sarah mich ansah, hatte ich das Gefühl, dass der Blick ihrer Augen in die verborgensten Winkel meines Gehirns eindrang.

Sie brachte mich aus der Fassung.

Reiß dich am Riemen, Jesse!, peitschte eine Stimme tief in meinem Innern.

Diese fünf Worte sagte ich mir immer öfter, und jedes Mal mit etwas mehr Nachdruck.

Wir verließen den Vernehmungsraum und fuhren in die Tiefgarage. Wenig später waren wir auf dem Weg nach Norden.



7

Es war um die Mitte des Nachmittags. Zwischen den Buildings mutete alles grau und diesig an. Die schöne Zeit mit 14 Stunden Sonne am Tag war vorbei. Hin und wieder setzte Nieselregen ein. Durch die langanhaltende Trockenheit war schon viel Laub von den Bäumen und Büschen abgefallen, das der Wind vor sich hertrieb und an den Bordsteinen aufhäufte.

Ich fuhr auf der Park Avenue. Beim Grand Central Terminal teilte sich die Straße und wir ließen den Bahnhof linker Hand liegen, passierten das Graybar Building und kamen eine Viertelstunde später in die Upper Eastside. Die Hausnummer 316 fanden wir zwischen Second und First Avenue. Ich hielt Ausschau nach einem Parkplatz und fand ihn ein Stück entfernt. Es ging ziemlich eng zu, aber es gelang mir, den Buick zwischen einen Golf und einen Toyota zu platzieren.

Dann standen wir vor dem Gebäude. Es war ein fünfstöckiges Haus mit vielen Fenstern, die von einem ehemals kunstvollen Stuck eingerahmt waren, der jedoch teilweise abgesprungen war und von dem die Farbe abblätterte. Hinter wenigen Fenstern waren Vorhänge zu sehen. Die anderen waren nur staubblind.

„Nicht gerade einladend“, meinte Sarah.

„Ganz und gar nicht“, stimmte ich zu. „Sieht ziemlich unbewohnt aus.“

Wir stiegen die Treppe bis zur Haustür empor. Sechs Stufen. Das Geländer aus Eisen war völlig verrostet. Die Haustür war aus Holz, verwittert und von dunklen Fäulnisflecken übersät. Sie ließ sich öffnen. Ein düsteres Treppenhaus empfing uns. Es roch nach Moder und Staub. Meine Hand tastete nach dem Schalter der Treppenhausbeleuchtung. Es knackte, als das Licht anging. In dem zersprungenen, verstaubten Plastikgehäuse an der Decke lagen wohl 1000 tote Fliegen. Sie bedeckten den Boden so dicht, dass fast kein Licht mehr hindurchdringen konnte.

„Himmel, wo sind wir da hingeraten?“, flüsterte Sarah und ließ ihren Blick kreisen.

„Komm.“

Wir stiegen die Treppe hinauf. In jedem Stockwerk gab es zwei Apartments. Die Holztreppe knarzte. Die Wände waren vollgekritzelt. Bei jedem Treppenabsatz gab es ein Fenster, in deren Ecken sich Spinnenwegen zogen und deren Fensterbretter ebenfalls mit toten Fliegen übersät waren.

In der zweiten Etage streckte ein Mann seinen Kopf aus einer der Türen. Als wir die Treppe hinaufkamen, zog er ihn schnell wieder zurück. Die Tür klappte zu.

Dritte Etage. Ich atmete tief durch. Welche der beiden Türen war die Tür zu der Wohnung, in die Mrs. Steele und ihre Tochter gebracht werden sollten?

Ich ging zur Tür auf der rechten Seite. Es gab ein Namensschild. Shannon stand darauf. Ich legte den Daumen auf den Klingelknopf. Der durchdringende Ton der Glocke war durch die Tür zu vernehmen.

Sarah war bei der anderen Tür. Sie blickte zu mir her. In der Wohnung waren Schritte zu vernehmen. Dann wurde die Tür eine Hand breit geöffnet, ein Teil von einem weiblichen Gesicht wurde sichtbar, die etwas schrille Stimme einer Frau fragte: „Was wollen Sie denn?“

„Wer wohnt in der Wohnung nebenan?“, erkundigte ich mich.

„Niemand. Sie steht seit ewigen Zeiten leer. Hin und wieder kommt mal jemand vorbei, manchmal sind es mehrere Leute. Sie verschwinden aber alle nach einiger Zeit wieder. Im Moment …“

Da hörte ich Sarahs fordernde Stimme: „Aufmachen! FBI!“

Sie war neben die Tür an die Wand geglitten und hielt die Rechte mit der SIG in die Höhe.

„Gehen Sie schnell in Ihre Wohnung und schließen Sie die Tür“, sagte ich zu der Frau, dann zog ich meine Waffe und war mit wenigen Schritten auf der anderen Seite der Tür, die Sarah belagerte.

„Da ist jemand drin“, raunte mir meine Kollegin zu. „Ich habe an der Tür Geräusche gehört.“

Ich klopfte mit dem Knauf der SIG von der Seite gegen die Türfüllung. Dumpf hallten die Schläge nach innen und im Treppenhaus. Die Geräusche versanken in der Stille, als ich inne hielt. Ich lauschte. In der Wohnung war ein Schaben zu vernehmen, dann ein Knarren.

Ich trat von der Wand weg, hob das Bein und rammte es gegen das Türblatt. Berstend und splitternd flog es nach innen auf. Im selben Augenblick stand ich schon wieder im Schutz der Wand.

In dem Apartment war ein heiserer Fluch zu vernehmen, dann erklang eine Stimme: „Was soll das werden? Warum tritt man mir die Tür ein? Was wollt ihr von mir?“

„Kommen Sie mit erhobenen Händen ins Treppenhaus!“, rief ich und äugte um den Türstock in die Wohnung. Ich sah ein paar Möbelstücke, die sicherlich vom Sperrmüll stammten.

„Es gibt keinen Grund, mit erhobenen Händen hinauszukommen!“, rief die Stimme in der Wohnung. „Ich hab nichts getan, was das FBI auf den Plan rufen müsste.“

„Wie ist Ihr Name?“

„Warum kommen Sie nicht herein? Wir können reden. Kommen Sie in die Wohnung.“

Ich schob mich etwas um den Türstock herum. Mein Blickfeld in die Wohnung war jetzt weiter, und – ich sah den Kerl in einer der Türen, die in einen Nebenraum abzweigte. In seiner Hand lag eine Pistole. Er feuerte. Der Knall stieß ins Treppenhaus, die Kugel klatschte gegen die der Tür gegenüberliegende Wand und meißelte ein faustgroßes Loch in den Putz. Mauerwerk spritzte. Die Detonation drohte das Haus in seinen Fundamenten zu erschüttern.

Drin wurde eine Tür zugeworfen.

Der Schuft wollte uns in die Wohnung locken, um uns mit zwei schnellen Schüssen kaltzustellen. Aber diese Suppe hatte ich ihm versalzen. Und nun saß er wie eine Ratte in der Falle. Es sei denn, er hatte von dem Raum aus Zugang zu einer Feuerleiter.

„Halt du hier die Stellung!“, stieß ich hervor und rannte zur Treppe. Immer drei Stufen auf einmal nehmend fegte ich sie hinunter und läutete an der Wohnungstür in der 2. Etage. Ich wartete genau drei Atemzüge lang, und als sich nichts rührte, warf ich mich mit der Schulter gegen die Tür. Sie flog auf. Ich stürmte in die Wohnung, riss die Tür zum nächsten Raum auf und war mit wenigen Schritten beim Fenster, schob es hoch und – wartete ab.

Nichts geschah.

Ich beugte mich vorsichtig nach draußen, und atmete auf. Es gab keine Feuerleiter. Und jetzt stellte ich auch fest, dass ich in eine leerstehende Wohnung eingedrungen war.

Ich kehrte in die 3. Etage zurück.

Sarah lauerte nach wie vor bei der Apartmenttür.

Ich nickte ihr zu, dann sagte ich: „Ich gehe hinein. Gib mir im Falle des Falles Feuerschutz.“

Ehe ich den Livingroom betrat, spähte ich um den Türstock, dann wirbelte ich um ihn herum und schwenkte die SIG in einem Halbkreis. Der Kerl aber hatte sich im Nebenraum verschanzt. Ich glitt zur Wand neben der Tür und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Dann pochte ich mit der Linken gegen das Türblatt. „Geben Sie auf, Mann. Sie sitzen in der Falle. Ihre Chance, uns zu entkommen, ist gleich Null.“

„Was wollt ihr von mir?“

„Wem gehört diese Wohnung?“

„Keine Ahnung. Ich habe mich hier einfach eingenistet, weil sie verlassen schien.“

„Wie ist Ihr Name?“

„Frank Stilwell.“

„Warum haben Sie auf uns geschossen?“

Er schwieg.

„Kommen Sie heraus!“, forderte ich ihn erneut auf. „Und zwar mit erhobenen Händen und waffenlos.“

„In Ordnung, ich komme.“

Die Tür wurde aufgezogen, und schließlich stand der Bursche im Livingroom. Er hatte die Hände in Schulterhöhe erhoben. Ich trat von der Seite an ihn heran und drückte ihm die Mündung der SIG gegen die Rippen.

„Ich war in Panik“, murmelte der Bursche, „als ihr einfach die Tür eingeschlagen habt. Darum habe ich geschossen. Ich – ich wollte niemand verletzen.“

Sarah trat in den Raum.

Ich sagte: „Erzähl das deiner Großmutter, Mister. Du wolltest uns aufs Kreuz legen, nachdem du uns aufgefordert hast, einzutreten. Was du vorhattest, was kaltblütig geplanter Mord an zwei Polizeibeamten. Und nun raus mit der Sprache: Wer bist du wirklich?“

Der Bursche zog den Kopf zwischen die Schultern. „Ich sagte es schon. Ich bin Frank Stilwell. Das einzige, womit ihr mich dran kriegen könnt, ist die Pistole. Ich habe sie gefunden. Gestern. Im Central Park. Da lag sie zwischen den Büschen. Ihr …“

Plötzlich griff der Bursche hinter sich unter seine Jacke. Mit dem linken Arm schlug er meine Hand mit der Pistole zur Seite. Im nächsten Moment hielt er wieder seine Waffe in der Faust. Er hatte sie unter der Jacke im Hosenbund stecken, und jetzt setzte er alles auf eine Karte. Er rannte geduckt zur Tür und schlug die Waffe auf Sarah an.

Ich war wie gelähmt. Ein winziger Sekundenbruchteil nur, der zwischen Erkennen und Reagieren liegt, ein winziger Augenblick, der vielleicht über Leben und Tod entschied.

Der Tod streckte die knöcherne Klaue nach meiner Partnerin aus!



8

Sarah konnte nicht schießen, denn sie hätte mich gefährdet. Also sprang sie gedankenschnell, wahrscheinlich mehr instinktiv als von einem bewussten Willen geleitet, einen Schritt zur Seite. Und das rettete ihr das Leben. Der Bursche, der sich Frank Stilwell nannte, drückte nämlich eiskalt ab. Ja, er wollte sich den Weg freischießen. Sein Geschoss hämmerte in die Wand. Ich sah Sarah straucheln und niedergehen. Und ich nahm das Ziel auf.

Aber da flitzte der Mister schon zur Tür hinaus. Im nächsten Moment hörte ich ihn auf der Treppe.

Drei kraftvolle Sprünge brachten mich an die Tür heran. Der Kerl fegte gerade um die Kehre des Treppenabsatzes und verschwand. Seine Füße trommelten ein hämmerndes Stakkato auf den Holzstufen.

Ich nahm die Verfolgung auf. Doch ich ließ die gebührende Vorsicht nicht außer Acht. Denn gegen ein Stück heißes Blei wollte ich nicht anrennen. Dass der Bursche vor einem kaltblütigen Mord nicht zurückschreckte, hatte er unter Beweis gestellt. Die Unverfrorenheit, mit der er Sarah und mich zweimal hereinzulegen versuchte, war durch nichts zu überbieten.

Hinter mir hörte ich Sarah die Treppe hinunter jagen. Als ich einen schnellen Blick über die Schulter riskierte, sah ich sie gerade um den Treppenabsatz über mir wirbeln. Sie raste die Treppe nach unten wie ein zorniger Derwisch …

Unten schlug die Haustür.

Ich legte einen Zahn zu. Dann stand ich auf der Straße. Ich schwenkte meinen Blick nach links, dann nach rechts – und ich sah den Fliehenden in Richtung Second Avenue rennen. Seine Füße schienen kaum den Boden zu berühren.

Und aufs Neue nahm ich die Verfolgung auf. Der Vorsprung betrug allenfalls zwanzig Schritte. Auf dem Gehsteig bewegten sich einige Passanten. Darum sprang ich auf die Fahrbahn und hetzte los.

Der Kerl schaute zurück, sah mich, drehte den Oberkörper halb herum und feuerte. Dass er Autofahrer und Fußgänger gefährdete, schien ihm nichts auszumachen. Es ging ihm nur darum, sein Fell in Sicherheit zu bringen.

Ich biss die Zähne zusammen und ließ nicht locker. In der rechten Hand hielt ich nach wie vor die SIG. Wieder feuerte der Gangster auf mich, aber er schoss blindwütig und ungezielt, und seine Kugel flog weit an mir vorbei. Und dann kam weder ein Auto, noch war ein Fußgänger in meiner Schussbahn. Ich hielt an, hob die Faust mit der SIG und folgte über die Zieleinrichtung den Bewegungen des Flüchtenden. Seine Beine wirbelten.

Ich staute den Atem und zog durch. Die Kugel röhrte mit einem trockenen Knall aus dem Lauf. Der Bursche stürzte. Im hohen Bogen flog seine Pistole durch die Luft. Scheppernd landete sie fünf Schritte weiter auf dem Pflaster.

Ich setzte mich in Bewegung!

Hinter mir waren trappelnde Schritte.

Der Gangster schaute sich gehetzt um, sah seine Waffe und begann zu kriechen.

„Keine Bewegung mehr!“, rief ich rau zwischen fliegenden Atemzügen. „Sehen Sie ein, dass Sie verloren haben.“

Er nahm nicht die geringste Notiz von meinen Worten. Unbeirrt kroch er auf seine Waffe zu. Noch einen Yard. Er streckte den rechten Arm aus …

Meine SIG erhob ihre Donnerstimme. Ich feuerte einen Warnschuss in die Luft ab. Der Knall schien von den Gebäuden zu beiden Seiten festgehalten zu werden. Plötzlich war Sarah neben mir. Ihr Atem flog. Sie hielt die P228 auf den Burschen angeschlagen.

Der warf sich nach vorn, und seine Fingerspitzen berührten die Pistole. Doch jetzt donnerte Sarahs Pistole. Der Gangster brüllte schrill auf. Seine Hand öffnete sich und ließ die Pistole wieder sausen, als hätte er sich die Finger daran verbrannt. Seine Linke zuckte zum rechten Oberarm und umklammerte ihn.

Sarah hatte ihn mit ihrer Kugel kampfunfähig geschossen.

Ich war restlos beeindruckt. Heiliger Strohsack! Was war das für eine Frau!

Der Gangster setzte sich auf und hielt seinen Oberarm fest. Blut färbte seine linke Hand rot. Seine Mundwinkel zuckten. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er uns an. „Fahrt zur Hölle!“, knirschte er.

Ich hob seine Pistole auf und verstaute sie in meinem Hosenbund. Dann klopfte ich ihn nach weiteren Waffen ab, schließlich wandte ich mich an Sarah und sagte: „Halt ihn in Schach. Ich hole den Buick und verständige den Emergency Service. Gib Acht, denn es ist nicht auszuschließen, dass er noch ein paar Tricks auf Lager hat.“

Sarah nickte.

Ich rannte den Weg zurück. Fußgänger kamen näher. Ihnen zuzurufen, dass sie weitergehen sollten, weil es hier nichts zu sehen gäbe, wäre sinnlos gewesen. Vom Dienstwagen aus forderte ich eine Ambulanz an, dann fuhr ich dorthin, wo Sarah den Gangster in Schach hielt. Ich holte den Verbandskasten hervor und leistete dem Verwundeten erste Hilfe.

„Es – es war wirklich ein Versehen“, ächzte er. „Ich befürchtete …“

„Schweigen Sie!“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Alles, was Sie von sich geben, kann gegen Sie vor Gericht verwendet werden. Nur für den Fall, dass es Ihnen entgangen sein sollte: Sie sind verhaftet.“

Während ich dem Burschen einen Verband anlegte, forderte Sarah einige Streifenwagen an, damit uns diese die Neugierigen vom Hals schafften. Dann kam die Ambulanz. Der Gangster wurde fachmännisch versorgt. Währenddessen rief ich beim Police Department an und bat, einige Kollegen von der SRD in die 76. Straße zu schicken, damit sie die Wohnung auf den Kopf stellten.

Meine Frage, ob eine stationäre Versorgung des Mannes notwendig sei, verneinte der Notarzt. Es handle sich sowohl am Arm als auch am Bein um glatte Durchschüsse ohne Verletzung der Knochen, die Wunden seien desinfiziert und verbunden, und mehr könne man im Krankenhaus auch nicht für den Betroffenen tun. Und unter Schock stand der Bursche nicht.

Also verfrachteten wir den Burschen in den Buick und brachten ihn zur Federal Plaza. Er wurde in den Raum mit der einseitig transparenten Glaswand gebracht, in dem Gegenüberstellungen stattfanden, dann ließen wir Harry Smith holen. Er wurde auf jene Seite der Glaswand gebracht, durch die er den Blick auf den Verhafteten frei hatte. Umgekehrt konnte der Verhaftete ihn nicht sehen.

„Kennen Sie diesen Mann, Smith?“, fragte ich.

Harry Smith musterte den Burschen durch die Glaswand lange und eingehend, dann schüttelte er den Kopf. „Nie gesehen diesen Typ. Was hat es mit ihm auf sich?“

„Er befand sich in der Wohnung, zu der Sie Mrs. Steele und ihre Tochter nach geglückter Entführung bringen sollten.“

Noch einmal schüttelte Smith den Kopf. „Den kenne ich nicht. Keine Ahnung, wer er ist.“

Wir ließen Smith wieder abführen. Den angeblichen Frank Stilwell ließen wir in den Vernehmungsraum schaffen.

„Nennen Sie uns Ihren richtigen Namen“, forderte ich.

Sein Kinn sank auf die Brust. „Abdullah Mezdah. Ich bin Inhaber der Wohnung in der sechsundsiebzigsten Straße …“

Abdullah Mezdah! Es klang in mir nach und brachte etwas in mir zum Schwingen. „Staatsangehörigkeit?“, fragte ich.

„Amerikanisch. Ich bin im Irak geboren. Und jetzt will ich einen Rechtsanwalt verständigen. Solange kein Anwalt meine Interessen vertritt, werde ich kein Wort mehr zu euch sprechen.“

Ein geborener Iraker. Mir schwante plötzlich Schlimmes, und ich wechselte mit Sarah einen vielsagenden Blick.

„Sie kriegen Ihren Anwalt“, versprach ich, dann nahmen wir die Personalien des Burschen auf.

„In Ihrer Wohnung sollten zwei Frauen festgehalten werden“, sagte ich und stellte sogleich die Frage: „Kennen Sie einen Mann namens Dave Fitzgerald?“

Mezdahs Augenbrauen zuckten in die Höhe. „Nein. Von welchen Frauen ist die Rede?“

„Von Mrs. Steele und ihrer Tochter Loretta.“

„Ich weiß von nichts.“

Wir ließen den Gefangenen abführen.

Eine Viertelstunde später wussten wir, dass Abdullah Mezdah polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten war. Wir gaben seine Personalien an die Fahndungsabteilung und auch an das Police Department weiter, damit sie erkennungsdienstlich erfasst werden konnten.



9

Wir fanden uns bei Mr. McKee zum Rapport ein.

Es war morgens, kurz nach acht Uhr. Bezüglich der Explosion des Lastwagens in der Nähe des J.F.K.-Airports lagen dem Chef die neuesten Ermittlungsergebnisse vor. Ja, das Material, das auf der Ladefläche des ausgebrannten Fahrzeuges gefunden wurde, gehörte zu einer SA-18/Igla. Der Leichnam eines der Getöteten konnte identifiziert werden. Es handelte sich um einen afghanischen Staatsangehörigen namens Abdul Idriz, geboren 1969 in Kabul. Idriz wurde 1995 wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung verhaftet, aber nach zehn Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach dem 11. September 2001 war Idriz spurlos verschwunden gewesen. Nach ihm wurde gefahndet.

„Das ist nicht alles, Jesse, Sarah“, sagte der Chef. „Ein Colonel Foster vom CIA hat mit mir Verbindung aufgenommen. In New York soll ein Waffenhändler sein Unwesen treiben. Sein Name ist Ullah Rahman. Rahman ist gebürtiger Ägypter, besitzt aber einen amerikanischen Pass. Er soll versucht haben, in Moskau Kriegswaffen anzukaufen. Später soll er seine Aktivitäten nach St. Petersburg verlegt haben. Ein Verbindungsmann zum FSB, dem russischen Geheimdienst, Oberst Petr Smirnov, hat um Zusammenarbeit mit der CIA, der NSA und dem FBI gebeten. Zoll und Secret Service sind informiert.“

„Liegen nähere Erkenntnisse über diesen Ullah Rahman vor?“

„Er kam vor vier Wochen von einer Russlandreise zurück. Seitdem soll er sich nicht mehr aus New York hinaus bewegt haben. Sein Telefon wird abgehört, aber er hat bisher von seinem Wohnungsanschluss aus noch kein verräterisches Gespräch geführt.“

„Für welche Art von Waffen interessierte sich Ullah Rahman in Moskau und St. Petersburg?“, fragte Sarah.

Der SAC kniff kurz die Lippen zusammen, dann stieß er hervor: „SA-18/Igla.“

„Und genau eine solche Rakete hat man auf dem Wrack des Lastwagens gefunden“, presste ich hervor.

„Unsere Spezialisten haben den Vorfall derart rekonstruiert“, erklärte der Chef, „dass mit der Rakete ein startender Flieger abgeschossen werden sollte. Doch die Treibladung versagte, der Schütze legte die Waffe in ein Behältnis auf der Ladefläche des Lasters zurück und wollte das Gebiet, in dem er postiert war, verlassen. Feuchtigkeit in der Treibladung war möglicherweise der Grund, der die Verzögerung der Zündung herbeiführte. Jedenfalls wurde die Rakete gezündet, als der Lastwagen schon auf dem Rückweg war. Sie zertrümmerte das Führerhaus, die Explosion zerfetzte den Tank …“

Den Rest kannten wir. Darum brach der Chef ab.

„Wo wohnt dieser Ullah Rahman?“

„Lincoln Square, 67. Straße. Das seltsame ist, dass er seit gestern spurlos verschwunden ist.“

„Wird seine Wohnung überwacht?“, fragte ich.

Der SAC nickte. „Man hat zwei Leute vom Secret Service auf ihn angesetzt. Irgendwie muss er sich aus seiner Wohnung geschlichen haben, ohne dass es die beiden bemerkten. Als abends kein Licht anging, wurden sie aufmerksam.“

„Hat man seine Wohnung durchsucht?“

„Bis jetzt noch nicht. Man wollte ihn in Sicherheit wiegen, man hat sogar in Erwägung gezogen, mit ihm über verdeckte Ermittler Kontakt aufnehmen, und ihm den Ankauf von Waffen anzubieten. Etwas Genaues war allerdings noch nicht geplant.“

„Dieser Oberst Smirnov – agiert er in New York?“, erkundigte sich Sarah.

„Er befindet sich seit zwei Wochen in der Stadt“, erwiderte Mr. McKee.

Ich lachte sarkastisch auf. „Das ist ein ja fast ein historisches Ereignis, Sir, dass sich nach Beendigung des Kalten Krieges die Geheimdienste der Russen und Amerikaner einander um Amtshilfe angehen.“

Der Chef lächelte. „So kann man es ganz sicher sehen, Jesse.“ Dann wurde er wieder ernst. „Vielleicht besteht ein Zusammenhang zwischen der SA-18, die wir auf dem Laster fanden, und den Aktivitäten dieses Ullah Rahman. Vor einigen Tagen wurde auf ein israelisches Flugzeug ein Anschlag mit einer Boden-Luft-Rakete verübt. Möglicherweise besteht auch hier ein Zusammenhang. Es wäre nicht auszudenken, wenn sich weitere dieser äußerst gefährlichen Waffen in den Händen von Terroristen befänden. Darum bitte ich Sie, Jesse und Sarah, sich des Falles anzunehmen und eng mit CIA, NSA und Secret Service zusammenzuarbeiten.“

„Das machen wir gerne, Sir“, sagte ich, dann berichtete ich dem SAC von der Festnahme Abdullah Mezdahs und dem Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung. Ich hatte, bevor wir zu Mr. McKee gegangen waren, beim SRD angerufen und mich erkundigt, ob die Durchsuchung der Wohnung Abdullah Mezdahs etwas ergeben hatte. Die Antwort war nein. Da hatte nicht einmal ein Computer gestanden, der irgendwelche verräterischen Dateien aufzuweisen gehabt hätte. Es gab in der Wohnung auch keinen Telefonanschluss. Ich war daher zu dem Schluss gekommen, dass dieses Apartment lediglich als Schlupfwinkel dienen sollte.

„Einer von beiden lügt“, meinte Mr. McKee, als ich geendet hatte. „Entweder dieser Harry Smith, oder Mezdah. Aber wir werden die beiden unseren Vernehmungsspezialisten überlassen. Ebenso diesen Jonathan Frawley. Der eine oder andere wird sicherlich nicht standhalten und reden.“

„Ich denke, dass Smith die Wahrheit gesprochen hat, Sir. Für den Fall, dass die Entführung geklappt hätte, wären Mrs. Steele und ihre Tochter in die sechsundsiebzigste Straße gebracht worden.“ Ich sprach es im Brustton der Überzeugung. „Aber hier fehlt mir irgendwie der Zusammenhang. Welche Verknüpfung gibt es zwischen Dave Fitzgerald und einem Iraker mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, der seit über zwei Jahren spurlos verschwunden war und im Verdacht steht, in einem engen Zusammenhang mit den Ereignissen des elften September zu stehen?“

Ich sorgte mit meinen Worten für Betroffenheit bei Mr. McKee und Sarah. Entgeistert schauten sie mich an. Und ich sprach aus, was mich beschäftigte: „Fitzgerald drohte, dass er Steele samt seinem Haus in die Hölle blasen werde. Ich wiederhole: In die Höl-le bla-sen!“ Ich zerlegte die beiden letzten Worte in ihre Silben. „Hört sich das nicht nach Sprengung, nach Explosion an?“

„Interpretierst du in diese Redewendung nicht etwas hinein“, meinte Sarah, „das gar nicht zum Ausdruck kommen sollte?“

Ich wiegte den Kopf. „Fitzgerald sprach auch von neuen Freunden. Dann seine Drohung, und die Tatsache, dass Mrs. Steele und Loretta in die Wohnung des Irakers entführt werden sollten. Irgendwie gibt mir das zu denken.“

„Sie vermuten, dass Fitzgerald möglicherweise mit den Leuten gemeinsame Sache macht, die versucht haben, die israelische Verkehrsmaschine abzuschießen und zu denen wahrscheinlich Abdul Idriz gehörte, der mit dem Kleinlaster in die Luft flog.“

„Ich weiß es nicht, Sir. Es ist nur so ein unbestimmtes Gefühl, etwas, das sich meiner Vorstellung entzieht, das mich aber unablässig beschäftigt. – In Ordnung. Wir werden uns mit Ullah Rahman befassen, und sollten wir etwas über ihn herausfinden, erhalten Sie Bescheid, Sir.“

Ich erhob mich.

Auch Sarah stand auf.

Mr. McKee hob die rechte Hand. „Morgen wird im Übrigen James Steele aus dem Krankenhaus entlassen. Mrs. Steele und Loretta bleiben in stationärer Behandlung. Beide Frauen haben einen Schock davongetragen. Bei Loretta bleibt möglicherweise ein Dauerschaden. James Steele wird darauf bestehen, dass Sie ihn wieder bewachen, Jesse und Sarah.“

„Unter seinen Leibwächtern befindet sich ein Mann Fitzgeralds“, knurrte ich. „Das wissen wir von Smith. Diesem Burschen gilt es die Maske vom Gesicht zu reißen. Überdies habe ich mir geschworen, Steele das schmutzige Handwerk zu legen, Sir. Ich werde ein waches Auge auf ihn werfen.“

Der Chef heftete seinen Blick auf mich und lächelte. „Ullah Rahman überprüfen, den Mann Fitzgeralds in Steeles Gefolge demaskieren, Steele bewachen und ihm gleichzeitig das Handwerk legen … Haben Sie sich nicht etwas viel vorgenommen, Jesse?“

„Alles der Reihe nach, Sir“, grinste ich vage zurück.

„Na, dann Hals- und Beinbruch, ihr beiden.“

Damit waren wir entlassen.



10

Wir fuhren in die 67. Straße. Bei dem Gebäude, in dem die Wohnung Ullah Rahmans lag, handelte es sich um ein vierstöckiges Brownstone-Haus. Das Apartment befand sich in der 2. Etage. Niemand öffnete uns. Wir überlegten kurz, ob wir die Wohnung einfach betreten sollten, sahen aber dann davon ab, denn wir wollten der CIA oder dem Secret Service nicht ins Handwerk pfuschen.

Als wir uns umwandten, kam ein hochgewachsener, schlanker Mann die Treppe herauf. Er maß erst mich, dann Sarah von oben bis unten, dann sagte er scharf und fordernd: „Sie wollten zu Ullah Rahman. Wer sind Sie, und was wollen Sie von Rahman?“ Während er sprach, griff er in seine Jacke und holte eine ID-Card hervor, die ihn als Mann des Secret Service auswies. Sein Name war Lane Cutterfield, sein Dienstrang Captain.

Ich langte meinerseits in die Tasche und holte mein Etui hervor, aus dem ich meine ID-Card zog. „Trevellian, FBI New York. Meine Kollegin Sarah Anderson. Der Special Agent in Charge des Field Office New York, Mr. McKee, hat uns auf Ullah Rahman angesetzt. Er ist nicht zu Hause, wie es scheint.“

Wir schoben unsere Ausweise wieder ein. Cutterfield gab erst Sarah die Hand, dann mir, dann sagte er: „Er ist seit gestern spurlos verschwunden. Irgendwie muss er bemerkt haben, dass er überwacht wurde. Jedenfalls ist es ihm gelungen, das Haus unbemerkt zu verlassen. Die Tatsache, dass er nicht mehr zurückgekehrt ist, lässt vermuten, dass er sich abgesetzt hat. Das ist fast mit einem Schuldanerkenntnis gleichzusetzen.“

„Weiß man, ob es Rahman in Russland gelungen ist, SA-18 anzukaufen?“, wollte Sarah wissen.

„Nein“, sagte der Captain. „Es wird aber angenommen.“

„Wie soll das Zeug nach Amerika gelangen?“, fragte ich. „Die Kollegen beim Zoll schlafen doch auch nicht gerade.“

„Es gibt immer Mittel und Wege …“

„Man sollte die Wohnung durchsuchen“, schlug ich vor. „Vielleicht findet sich ein Hinweis auf die illegale Tätigkeit Rahmans.“

„Wenn er bis heute Abend nicht auftaucht, dringen wir in die Wohnung ein“, gab der Captain zu verstehen. „Möchten Sie dabei sein? Ich könnte Sie verständigen.“

„Es reicht, wenn das FBI vom Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung Bescheid erhält“, versetzte ich.

Wir verabschiedeten uns von Cutterfield und verließen das Haus. Als wir wieder auf die Straße traten, dudelte mein Handy. Ich nahm es aus der Tasche. Bei dem Anrufer handelte es sich um Mr. McKee. Er sagte: „Sitzen Sie, Jesse? Wenn nicht, dann halten Sie sich gut fest. Soeben bekomme ich einen Anruf vom Police Department. Man hat vor zwei Stunden etwa die Leiche eines zunächst unbekannten Mannes aus dem West Channel gefischt. Jetzt weiß man, dass es sich um Ullah Rahman handelt. Er wurde erschossen und in den Fluss geworfen.“

„Wie hat man das so schnell herausgefunden?“

„Ein Polizist hat ihn erkannt. Im Zug der Ermittlungen gegen Rahman wegen der illegalen Waffengeschäfte wurden an die Polizeidienststellen Fotos von ihm verteilt. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.“

Die Festplatte in meinem Kopf begann zu rattern. Dann verlieh ich meinen Gedanken Ausdruck, indem ich sagte: „Wahrscheinlich haben seine Freunde spitz gekriegt, dass die Geheimdienste und das FBI hinter Ullah Rahman her waren. Und da bekamen seine Geschäftspartner kalte Füße und haben ihn eliminiert. Anders kann es nicht sein, Sir.“

„Das war auch mein erster Gedanke, Jesse“, kam es von Mr. McKee. „Aber wer sind seine Geschäftspartner? Gehört Dave Fitzgerald dazu? Oder dieser Abdullah Mezdah? Gehören sie zur Al-Quaida? Sind es amerikanische Extremisten? Was kommt auf uns zu? Gelang es Rahman, in St. Petersburg SA-18 anzukaufen und in die USA zu schmuggeln? Großer Gott, Jesse, wir stehen vor einem Berg von Fragen, uns läuft womöglich die Zeit davon, und wir wissen nichts – gar nichts.“

Der Chef klang fast verzweifelt.

Ich konnte ihm die Antworten auf seine Fragen auch nicht geben. „Wer immer seine Geschäftspartner sind, Sir“, sagte ich, „wir werden ihnen den nächsten Zug überlassen müssen. So frustrierend das für uns auch sein mag. Wir haben keine andere Chance. Wir können nur beten, dass der nächste Zug nicht wieder hunderte oder gar tausende von Menschen ins Verderben reißt.“



11

Rice Benbow und Hank Saddler holten James Steele vom Krankenhaus ab. Sie brachten ihn zu seinem Haus beim Prospect Park. Natürlich hatte er bei Mr. McKee Personenschutz für sich angefordert. Und der SAC hatte wieder Sarah und mich damit beauftragt.

Wir wollten noch einmal Smith, Frawley und Abdullah Mezdah einvernehmen und dann nach Brooklyn fahren. Der Chef war damit einverstanden.

Also waren wir nicht in dem Haus anwesend, als James Steele dort ankam. Lediglich einer seiner Angestellten stand auf der Treppe vor der Haustür und beobachtete die Heimkehr seines Bosses.

Der Wagen wurde vor dem Haus abgebremst. Hank Saddler sprang heraus und öffnete die Fondtür. James Steele kämpfte sich ins Freie. Sein linker Arm lag in einer Schlinge. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, seufzte und rief: „Ich sehe nichts von den beiden FBI-Agenten, die ich angefordert habe. Sind sie noch nicht eingetroffen?

Rice Benbow, der am Steuer des Wagens saß, fuhr an, um das Fahrzeug in die Garage zu bringen, die ein Stück vom Haus entfernt als Doppelgarage errichtet worden war.

„Nein“, erwiderte der Mann auf der Treppe. „Aber wenn Sie sie angefordert haben, dann werden sie wohl jeden Moment ankommen. Herzlich willkommen zu Hause, Mister Steele. Ich hoffe, es geht Ihnen den Umständen entsprechend gut.“

„Danke der Nachfrage“, knurrte Steele. Er stieg die Treppe empor, der Angestellte lief zur Tür, öffnete sie und hielt sie für seinen Boss auf. Hank Saddler sicherte in die Runde und folgte Steele. Der Mafioso war schon im Haus verschwunden. Jetzt trat Saddler über die Schwelle.

Benbow hatte den Wagen in die Garage gefahren. Er griff nach seinem Handy, klickte eine Nummer her und drückte den Verbindungsknopf. Dann sagte er: „Sie sind im Haus. Feuer frei!“

Das war alles. Benbow beendete das Gespräch wieder und ließ das Mobiltelefon in der Jackentasche verschwinden.

Einige Zeit geschah gar nichts. Dann erklang in der Ferne das Dröhnen eines Hubschraubermotors. Benbow trat vor die Garage und schaute zum Himmel hinauf. Der Helikopter näherte sich vom Südende des Parks. Er flog in einer Höhe von vielleicht 600 Fuß. Der Lärm schluckte alle anderen Geräusche. Benbow konnte sehen, dass die Luke des Hubschraubers geöffnet war. Er konnte sogar den Mann erkennen, der da kniete und etwas, das aussah wie ein langes Rohr, auf der Schulter liegen hatte.

Und dann sah Benbow die Rakete. Eine Rauchspur hinter sich herziehend näherte sie sich mit irrsinniger Geschwindigkeit dem Haus Steeles.

Benbow rannte in die Garage und kauerte sich zwischen Auto und Garagenwand nieder. Er hielt sich die Ohren zu. Im nächsten Moment sprengte eine ohrenbetäubende Explosion die Atmosphäre. Alle anderen Geräusche gingen unter. Der Donnerknall verebbte und das Rattern der Rotoren und das Brummen des Hubschraubermotors waren wieder zu hören.

Benbow rannte aus der Garage. Eine Wolke von Staub hüllte das Haus ein. Flammen, die aus dem Gemäuer schlugen, waren durch den wabernden Staubvorhang zu sehen.

Benbow hob den Blick und beobachtete, wie der Helikopter eine Kurve flog, zur Seite wegsackte und dann ostwärts in Richtung Queens verschwand.

Benbow schluckte würgend.

Im Hubschrauber sagte der Copilot ins Mikrofon des Bordfunks: „Dieser Test hat funktioniert, Aman. Du kannst deinem Freund Fitzgerald ausrichten, dass wir Steele samt seinem Haus von der Erde geblasen haben. Allah sei mit uns!“

„Hervorragend“, kam es zurück. „Dann hat Rahman diesmal also gute Ware geliefert. Friede seiner Seele.“

Die letzten Worte waren an bösartigem Zynismus kaum zu überbieten.

Benbow blickte dem Hubschrauber hinterher. Er wurde kleiner und kleiner, die Geräusche, die er verursachte, waren kaum noch zu hören. Dann trat lastete, bleierne Stille ein. Sie hing wie ein Leichentuch über dem zerstörten Gebäude, aus dem die Flammen schlugen und das sich mehr und mehr aus dem sich auf die Erde zurücksinkenden Staub schälte. Die Wucht der Explosion hatte die Fenster aus den Höhlungen gedrückt. Wo die Rakete ins Dach eingeschlagen war, zeigte sich ein riesiges Loch. Sie hatte das Obergeschoss durchschlagen und war im Erdgeschoss explodiert.

Rice Benbow holte noch einmal sein Handy aus der Tasche und tippte die Nummer des Notrufs, dann sagte er mit gehetzt klingender Stimme: „Soeben wurde von einem Hubschrauber aus das Haus James Steeles beim Prospect Park mit einem Raketenwerfer beschossen. Himmel, hier sieht es aus wie nach einem Krieg. Wahrscheinlich lebt niemand mehr von denen, die im Haus waren. Guter Gott, ich – ich hab den Wagen in die Garage gefahren. Es – es ist furchtbar …“

Er gab die genaue Adresse durch.

Der Mann vom Notdienst versprach, sofort das FDNY, das Fire Department also, und die Polizei zu benachrichtigen. Benbow beendete das Gespräch. „Zehntausend Dollar“, murmelte er. „Und einen Job bei Fitzgerald. Tja, mein guter James, es ist alles eben nur eine Frage des Geldes.“

Auf der Straße hielten die ersten Autos an. Menschen erschienen im Gartentor.


*


Wir erfuhren Bescheid, während wir Abdullah Mezdah in der Mangel hatten. Ich war wie elektrisiert. „Sieht aus, als wäre das Haus mit einer Boden-Luft-Rakete weggebombt worden“, sagte Mr. McKee ins Telefon. „Und es würde mich nicht wundern, wenn es sich um eine SA-18/Igla handeln würde. Jesse, wir sind gefordert. Wenn wir nicht bald der Öffentlichkeit positive Ergebnisse präsentieren können, wird man uns in der Luft zerreißen.“

„In mir verfestigt sich der Eindruck mehr und mehr, Sir, dass Fitzgerald Kontakte zu irgendeiner extremistischen Organisation unterhält. Das sind seine neuen Freunde. Und seine Drohung, Steele in die Hölle zu blasen, hat er auf brutale Art und Weise mit Hilfe seiner Freunde umgesetzt.“

„Sieht ganz so aus, Jesse. Und Abdullah Mezdah gehört dazu, ebenso wie Smith und Frawley. Mit den dreien haben wir etwas in der Hand, Jesse. Vor allem Mezdah scheint mir ein Schlüssel zu der Organisation zu sein.“

„Mit dem befassen wir uns gerade, Sir. Das Gespräch entspricht dem, was ich ahnte. Er weiß von nichts. Die Wohnung in der sechsundsiebzigsten Straße habe er als Geldanlage erworben. Er selbst wohnt in Midtown South. Ullah Rahman kennt er nicht. Den Namen hat er noch nie gehört. Bei Dave Fitzgerald verhält es sich ebenso. Er hat nichts mit der versuchten Entführung zu tun und kann sich keinen Reim darauf machen, wie Smith dazu kommt, seine Wohnung als Schlupfwinkel für die Entführer und Versteck für die entführten Frauen anzugeben.“

„Wenn er einer der fanatischen Gotteskrieger ist, als die sich diese Terroristen bezeichnen, werden wir auch nichts aus ihm herauskriegen, Jesse“, gab Mr. McKee zu bedenken. „Er ließe sich eher vierteilen, als die Sache des Heiligen Krieges zu verraten.“

„Das glaube ich auch, Sir. Nun gut, wir brechen das Verhör ab und fahren hinüber nach Brooklyn. Sieht aus, als hätten wir einen Schutzengel gehabt, der uns zurückhielt. Wenn wir sofort zu Steeles Haus gefahren wären – dann gute Nacht.“

Das sah Sarah auch so. Als wir zehn Minuten später im Dienstwagen saßen und ich das Fahrzeug in Richtung Brooklyn Bridge steuerte, sagte sie: „Bisher hielt ich es für Humbug, Jesse. Aber ab heute glaube ich auch an die Fügung des Schicksals und an – Schutzengel.“

Ich nickte.



12

Die Feuerwehr war bereits anwesend. Die Brandherde waren gelöscht. Einige Streifenwagenbesatzungen hatten den Garten abgesperrt. Die Kollegen von der SRD waren vor Ort. Ebenso die Reporter von Presse, Funk und Fernsehen. Sogar ein Übertragungswagen stand vor dem Garten auf der Straße.

Einer dieser Kerle schien mich zu kennen, denn er stürzte sich sofort auf mich wie ein Aasgeier. „Soeben erscheint ein Vertreter des FBI New York. – Mister Trevellian, einen Augenblick! Was, denken Sie, steckt hinter dem Anschlag? Ein terroristischer Gewaltakt, oder handelt es sich um einen Bandenkrieg? Man sagt James Steele doch einer Reihe krimineller Machenschaften nach, allerdings war ihm noch nie etwas zu beweisen.“

Der Mann sprach es und hielt mir ein Mikro vor das Gesicht.

„Kein Kommentar“, sagte ich knapp. „Sicher wird es eine Pressekonferenz geben, zu welcher Sie alle herzlich eingeladen sind. Ich kann Ihnen allerdings nichts sagen. Tut mir Leid.“

Ich schob die Hand mit dem Mikro beiseite und ging weiter. Sarah blieb an meiner Seite.

„Im Haus wurde so ziemlich alles zerstört“, erklärte etwas später einer der Männer vom Police Department. „Insgesamt waren drei Männer im Haus. Zwei wurden getötet. James Steele hat schwerverletzt überlebt. Er ist bereits auf dem Weg ins Krankenhaus.“

Sarah und ich gingen herum und schauten uns alles an. Im Haus waren einige Wände eingestürzt, was bewirkte, dass ein Teil des Bodens des oberen Stockwerks eingebrochen war. Es sah hier wirklich aus wie nach einem Krieg.

„Von Mr. Benbow wissen wir, dass sich außer Mr. Steele, Hank Saddler und Curt Banks niemand im Haus befand“, fuhr der Kollege vom Police Department fort. „Er hat uns berichtet …“

Ich fuhr halb herum zu dem Mann. „Benbow! Wo ist er?“

Der Kollege schaute sich suchend um. „Er steht dort bei dem Löschfahrzeug.“ Er deutete in eine bestimmte Richtung.

Ich sah Benbow. Er schaute her zu uns.

War er der Mann, den Fitzgerald bezahlte?

Ich setzt mich ruckartig in Bewegung. Benbow blickte mir entgegen. Er gab sich wie ein Mann, den nichts erschüttern konnte. Benbow nickte mir zu und sagte: „Glück gehabt, Trevellian, wie? Ich hatte ebenso großes Glück, denn ich brachte gerade den Wagen in die Garage, als den Knall gab. Als ich ins Freie rannte, sah ich nur noch Feuer und Staub. Ich habe sofort den Notruf verständigt.“

„Was haben Sie beobachtet, Benbow?“, fragte ich. Sarah trat neben mich.

„Ich sah einen Helikopter wegfliegen“, erwiderte Rice Benbow. „Er flog in einer Höhe von etwa zweihundert Yards. Wobei ich nicht behaupten möchte, dass in dem Hubschrauber die Rakete abgeschossen wurde. Es ist zwar ziemlich wahrscheinlich, aber gesehen habe ich es nicht.“

„Wussten Sie, dass Dave Fitzgerald einen von Steeles Leuten bezahlt, damit er Steele bespitzelt?“ Ich beobachtete das Mienenspiel Benbows, hoffte, eine verräterische Reaktion erkennen zu können, doch Benbow hatte sein Pokerface aufgesetzt. Er zuckte mit keiner Wimper.

„Wusste ich nicht. Wer soll der Spitzel sein?“

„Das wissen wir nicht. Saddler vielleicht, oder Banks, oder – Sie, Benbow.“

Der Bodyguard lachte fast belustigt auf. „Ich?! Guter Gott, wie käme ich dazu?“

Darauf gab ich keine Antwort. „Geben Sie mir Ihr Handy“, forderte ich stattdessen.

Benbow prallte zurück. „Mein Handy? Wieso?“

„Geben Sie‘s mir.“

„Ich – ich hab keines.“

„Und womit haben Sie den Notruf verständigt?“

Benbow biss sekundenlang die Zähne aufeinander, dann stieß er hervor: „Mit der Freisprechanlage im Wagen. Er steht in der Garage.“

„Kommen Sie mit mir.“

Wir stapften nebeneinander zur Garage und betraten sie. Da standen ein Rolls Royce und ein Ford. Benbow wies auf den Ford. Ich ging zu dem Fahrzeug hin. Als ich über die Schulter schaute, war Benbow verschwunden. Mit drei kraftvollen Sätzen war ich beim Garagentor. Benbow ging schnell in Richtung Straße.

„Wohin, Benbow?“, rief ich.

Er begann zu laufen. Sarah, die sich in der Nähe des zerstörten Hauses aufhielt und aufmerksam geworden war, spurtete los und versuchte, Benbow den Weg zum Gartentor abzuschneiden. Auch ich schwang die Beine …

Benbow erreichte das Gartentor vor Sarah. Er verschwand hinter der Hecke, die zu beiden Seiten der Einfahrt gepflanzt war und den Zaun verdeckte. Sarah lief durch das Tor. Ich beeilte mich. Dann lag vor mir die Straße. Benbow lehnte am Zaun, presste die Rechte auf seinen Leib und atmete stoßweise. Sarah stand bei ihm.

„Was hat er?“, fragte ich.

„Es – es hat mich übermannt“, stieß Benbow zwischen gepressten Atemzügen hervor. „Ich hab mir vorgestellt, dass ich im Haus gewesen wäre. Beim Gedanken daran ist mir speiübel geworden. Ich – ich wäre tot, Trevellian, mausetot, so tot wie Hank und Curt.“

Ich wechselte mit Sarah einen schnellen Blick.

„Sie ziehen doch eine Show ab, Benbow“, knurrte ich. „Machen Sie jetzt bloß nicht auf depressiv. Das kauft Ihnen nämlich kein Mensch ab. Außerdem bestand kein Grund für Sie, auf die Straße zu laufen. Sie sehen auch gar kein bisschen bleich aus. Ich denke vielmehr …“

Ich sprach nicht zu Ende, sondern ging in den Garten und suchte den Boden unter den Hecken ab. Und ich fand, wonach ich suchte. Ein Handy. Ich holte es unter dem dichten Zweiggespinst hervor, kehrte damit auf die Straße zurück und hielt es hoch wie eine Trophäe. „Na, was haben wir denn da? Daher Ihre Eile, Benbow. Was wird wohl zum Vorschein kommen, wenn ich die Wahlwiederholung drücke?“

Jetzt sah Rice Benbow aus, als wäre es ihm wirklich speiübel. Er nahm um die Nase herum eine fast grünliche Färbung an. Und plötzlich handelte er. Er griff unter die Jacke, zog seine Pistole und war mit einem Satz bei Sarah. Ehe sie sich versah, wirbelte der Gangster sie herum und legte ihr von hinten den linken Arm um den Hals. Die Mündung seiner Waffe drückte er ihr gegen die Schläfe.

„Okay, Trevellian. Leg das Handy auf den Boden und den Autoschlüssel daneben, und dann verschwinde. Ich werde die hübsche Lady ein Stück mit mir nehmen. Solltest du auf verrückte Gedanken kommen, schieße ich ihr das Hirn aus dem Schädel. Vorwärts, Trevellian, leg schon das Handy hin, und dann hau ab!“

Großer Gott! Er hatte uns ausgetrickst. Sarah stand starr vor dem Gangster und deckte ihn mit ihrem Körper. Er benutzte sie als lebendes Schutzschild.

Natürlich war die Geiselnahme den Neugierigen ebenso wenig wie einigen uniformierten Polizisten verborgen geblieben. Einer zog seine Pistole und richtete sie auf Benbow. „Die Waffe runter, Mann!“, brüllte der Cop. „Sind Sie verrückt geworden?“

Auch die anderen Polizisten griffen nach den Waffen.

„Lasst ihn!“, rief ich scharf. Der Tonfall meiner Stimme duldete keinen Widerspruch. „Seht ihr denn nicht, dass er eine Geisel hat?“

Der Polizist senkte die Waffe und schaute ratlos. Ein Raunen ging durch den Pulk der Neugierigen außerhalb der Absperrung.

Mich juckte es selbst in den Fingern, aber ich durfte das Leben Sarah Andersons nicht gefährden. Dennoch versuchte ich es, und zwar mit Worten: „Seien Sie vernünftig, Benbow“, sagte ich eindringlich, fast beschwörend. „Sie verschlimmern alles nur. Denken Sie denn, Sie können uns auf die Dauer entkommen? So naiv können Sie doch nicht sein. Ich sichere Ihnen …“

Einige Reporter kamen näher und ließen ihre Fotoapparate blitzen. Spätestens in den Abendnachrichten würde ganz New York und vielleicht sogar Amerika wissen, dass eine Agentin des FBI vor den Augen einiger Dutzend Polizisten und Feuerwehrmänner entführt worden war. Auch ich war Ziel des Blitzlichtgewitters.

„Ach, halt bloß die Klappe, Trevellian!“, zischte Benbow. „Ich zähle jetzt bis drei, und wenn dann das Handy und der Autoschlüssel nicht auf dem Gehsteig liegen und du nicht im Garten verschwunden bist, kracht es. Aber denke nicht, dass ich die hübsche Lady erschieße. Dir werde ich eine Kugel verpassen, Trevellian. Also …“

Er nahm die Mündung der Pistole von Sarahs Kopf und schlug die Waffe auf mich an. Einen schrecklichen Augenblick lang starrte ich in das kleine, kreisrunde Mündungsloch, dann holte ich den Autoschlüssel aus der Jackentasche, legte ihn und das Handy auf den Gehsteig, richtete mich auf und stieß hervor: „Sollten Sie meiner Kollegin auch nur ein Haar krümmen, jage ich Sie – wenn es sein muss – bis zum Nordpol, Benbow.“

„Wenn du vernünftig bist, wird ihr nichts geschehen, Trevellian.“

Ich nickte Sarah zu. Mein Nicken sollte ihr Mut machen. Doch Sarah zeigte sich ausgesprochen gefasst. Auch ich bekam den Aufruhr meiner Gefühle wieder unter Kontrolle. Kühlen Kopf bewahren!, sagte ich mir und stieß die Luft hart durch die Nase aus. Dann wandte ich mich ab.

In mir war eine hilflose Ohnmacht. Ich schritt in den Garten. Beim Haus waren die Feuerwehrleute und die Kollegen vom Police Department derart beschäftigt, dass sie von der Geiselnahme nichts mitgekriegt hatten.

Ich hörte auf der Straße den Motor eines Autos aufheulen. Denn entfernte sich das Motorengeräusch schnell. Ich rannte zurück zur Straße. Soeben leuchteten etwa 200 Yards entfernt die Bremslichter des Buick auf, dann bog das Fahrzeug in eine Seitenstraße ein und verschwand aus meinem Blickfeld.

Einer der Cops kam angerannt. „Er hat die Frau gezwungen, zu fahren. Sollen wir ihm folgen, G-man?“

„Nein.“

Ich rief Mr. McKee an. Es fiel mir schwer, zuzugeben, dass wir Mist gebaut hatten. Folgenschweren Mist. Aber ich musste mich dazu bekennen.

Der SAC war ziemlich erschüttert von dem, was ich ihm zu berichten hatte. „Eines dürfte jedenfalls klar sein, Jesse“, sagte er mit belegter, kehliger Stimme. „Rice Benbow ist Fitzgeralds Mann. Was meinen Sie: Wird er Sarah laufen lassen, sobald er sich in Sicherheit wähnt, oder bringt er sie zu Fitzgerald und dessen neuen Freunden.“

„Ich denke, dass Benbow mit Fitzgerald Verbindung aufnimmt. Und wie ich Fitzgerald einschätze, wird er einen Erpressungsversuch starten. Himmel, ich könnte mich in den Hintern beißen, Sir. Erinnern Sie sich daran, als Antonio Felli Jennifer Johnson als Geisel nahm?“

Ja, die Erinnerung stürmte mit aller Macht auch mich ein. Was hatten wir für Ängste um Jennifer ausgestanden. Annie Francesco dachte sogar daran, den Dienst zu quittieren, falls ihrer besten Freundin Jennifer etwas zustieß.

„Was sollte Fitzgerald erpressen wollen, Jesse?“, so ließ wieder Mr. McKee seine Stimme erklingen. „Wenn er sich tatsächlich mit einer terroristischen Zelle verbündet hat, worauf vieles hindeutet, dann geht es nur noch darum, unserer Gesellschaft Schaden zuzufügen. Die Beweggründe der Extremisten sind hinreichend bekannt. Sie wollen kein Geld. Sie wollen blutige Zeichen setzen. Und sie setzen blutige Zeichen. Auf der ganzen Welt. Nein, Jesse, ich glaube nicht, dass Fitzgerald mit Sarah etwas erpressen will. Und sollte Benbow die Agentin nicht laufen lassen, dann …“

Der Chef brach ab. Sein Schweigen aber war beredter als alle Worte. Ein eisiger Schauer durchrann mich. „Sie machen mir Angst, Sir“, entrang es sich mir.

„Wir wollen im Moment nicht allzu schwarz sehen, Jesse“, schränkte der Chef ein. „Sarah Anderson ist ausgebildeter Special Agent, und sie wird sich zunächst selbst zu helfen wissen.“

Wollte mir der Chef Mut zusprechen? Wenn ja, dann war ihm das nicht gelungen. In meiner Seele war die Qual des Hilflosen. Dennoch gab ich mir einen Ruck. Ich stand vor den Trümmern eines Hauses, das allem Anschein nach von einer Boden-Luft-Rakete zerstört worden war. Blut war geflossen, es hatte Tote gegeben.

Persönliche Dinge musste ich zurückstellen. Ich musste die Sache professionell angehen. Denn um uns herum waren Strömungen im Gange, deren Hintergrund womöglich etwas Großes, etwas Furchtbares und Schreckliches darstellte. Darauf galt es sich in erster Linie zu konzentrieren.

Ich stieg also mit den Kollegen von der Spurensicherung in den Trümmern des Hauses herum und suchte nach Teilen der Rakete oder Bombe, die für die Verwüstungen hier gesorgt hatte.



13

„Okay, Baby“, sagte Rice Benbow mit einem anzüglichen, niederträchtigen Grinsen um die Lippen, „dann gib mir mal deine Pistole. Hole sie vorsichtig aus dem Holster und wirf sie über deine Schulter an den Rücksitz.“

Sarah Anderson steuerte den Buick. Benbow hatte sie angewiesen, in Richtung Flatbush Avenue zu fahren. Es sah ganz so aus, als wollte er hinüber nach Manhattan.

Der Gangster saß auf dem Beifahrersitz und bedrohte Sarah mit seiner Waffe. Es war eine Glock 34, Kaliber 9 Millimeter Luger, mit einer Magazinkapazität von 17 Schuss. Eine Waffe mit einer furchtbaren Durchschlagskraft.

Sarah wollte mit der Rechten nach der SIG unter ihrer Jacke greifen.

„Nimm die linke Hand!“, gebot der Gangster. Ungeduldig wedelte er mit der Waffe in seiner Faust. Er warf einen schnellen Blick in den Außenspiegel. Hinter dem Buick fuhren einige Autos, von einem Patrolcar jedoch war weit und breit nichts zu sehen.

Also steuerte Sarah mit der Rechten den Wagen und fischte mit der Linken die P228 aus dem Holster. Sie warf die Waffe über ihre Schulter nach hinten. Sie prallte von der Rückenlehne des Sitzes ab und fiel auf den Boden.

Benbow holte sein Handy heraus. Er klickte eine eingespeicherte Nummer an und ging auf Verbindung. Dreimal tutete das Freizeichen, dann meldete sich Fitzgerald.

Benbow sagte: „Es gibt ein Problem, Dave. Trevellian hat herausgefunden, dass ich für dich als Spitzel bei Steele arbeitete. Ich hatte keine andere Chance, als eine Geisel zu nehmen, um den Bullen zu entkommen. Was soll ich tun?“

„Du hast eine Geisel?“, schrie Fitzgerald in das Gerät.

„Ja. Sie steuert den Wagen. Es ist Special Agent Sarah Anderson. Ich bin auf dem Weg nach Manhattan. Wir werden die Brooklyn Bridge nehmen.“

„Eine FBI-Agentin?“, kam es ungläubig durch die Leitung.

„Yeah. Andernfalls wäre ich jetzt schon als Gefangener auf dem Weg zum City Prison oder zur Federal Plaza.“

„Wirst du verfolgt?“

„Nein, sieht zumindest nicht so aus.“

„Okay. Die Lady ist vielleicht sehr wertvoll für uns. Ich rede mit Aman Daud und melde mich wieder.“

„Heh, noch etwas, Fitzgerald. Steele hat den Anschlag überlebt. Er ist zwar schwer verwundet, aber er lebt. Saddler und Banks sind vor die Hunde gegangen. Steele wurde in die Universitätsklinik gebracht.“

„Steele ist trotzdem draußen aus dem Geschäft“, knurrte Fitzgerald. „Ich werde mich an seinen Drogenlieferanten wenden. Ja, sobald wir die Sache mit der Geisel geklärt haben, nehme ich mit ihm Verbindung auf und erkläre ihm, dass Steele aus dem Geschäft ist. Wenn er Drogen verkaufen will, dann soll er sich an mich wenden.“

„Vergiss nicht, dass die Information, wer Steele beliefert hat, auch von mir kommt, Fitzgerald“, mahnte Rice Benbow.

„Ich vergesse nie etwas.“ Es knackte in der Leitung. Fitzgerald hatte die Verbindung unterbrochen.

„Du hast es gehört, Lady“, stieß Benbow hervor. „Zur Brooklyn Bridge …“

Zwei Minuten später dudelte schon das Handy Benbows. Er nahm das Gespräch an. Es war wieder Fitzgerald. Er sagte: „Fahr zum Central Park, Benbow. Beim Wildlife Conservation Center wartet ein 7,5-Tonner mit grauer Plane. Du und die Geisel werdet von dem Laster übernommen.“

„In Ordnung. Das Wildlife Conservation Center liegt in der Ecke East Drive/Transverse Road 1, nicht wahr?“

„Haargenau dort. Solltest du bemerken, dass man dich verfolgt, dann melde dich. Wir werden uns dann was anderes einfallen lassen müssen.“

„Die Bullen werden sich hüten, mir zu dicht auf den Pelz zu rücken“, lachte Benbow. „Denn sie müssen damit rechnen, dass ich sauer reagiere und der kleinen Lady den hübschen Kopf etwas verunstalte.“

„Wie lange wirst du brauchen?“

„Hm. Nun, wir fahren hinauf zur Queensboro Bridge und von dort aus sind es nur noch ein paar hundert Yards. Eine halbe Stunde etwa.“

„All right. Einige unserer Männer werden da sein.“

Benbow schob das Mobiltelefon in die Tasche und wies Sarah an, nach Norden zu fahren.

Sarah mutete äußerlich ausgesprochen ruhig an. Ihr Verstand arbeitete scharf und klar. Immer wieder schielte sie zu dem Gangster hinüber. Sie war bereit, jede noch so kleine Chance, die sich ihr bot, auszunutzen.

Rice Benbow lümmelte in der Ecke zwischen Tür und Rückenlehne seines Sitzes. Die Faust mit der Pistole lag auf seinem rechten Oberschenkel. Ein brutaler Zug hatte sich in seinen Mundwinkeln festgesetzt. Seine Augen blickten kalt, ohne jede Gemütsregung.

„Mach dir nur keine falschen Hoffnungen“, dehnte er, als er bemerkte, dass Sarah ihn beobachtete. „Ich würde nicht zögern, dir ein Stück Blei zu servieren.“

„Mit welchen Leuten arbeitet Dave Fitzgerald zusammen, nachdem wir seinen Autoschieberring zerschlagen haben?“, fragte Sarah. Sie musste bremsen, weil die Fahrzeugkolonne vor ihr langsamer wurde. Dann stand sie. In einer Querstraße stand die Ampel auf grün. Sarah drehte etwas den Kopf und musterte den Gangster. „Sind es Al-Quaida-Leute? Vieles deutet darauf hin. Sie wissen hoffentlich, was Ihnen blüht, wenn Sie mit Terroristen zusammenarbeiten. Jetzt haben Sie vielleicht noch die Chance, mit ein paar Jahren Gefängnis wegzukommen. Wenn Sie sich erst einmal in dem Netz des Terrors verstrickt haben, wenn Sie mit den Terroristen gemeinsame Sache machen, dann kann es Sie teuer zu stehen kommen.“

„Deine Worte sind in den Wind gesprochen, Lady. Im Übrigen weiß ich nicht, mit wem Fitzgerald zusammen arbeitet. Es interessiert mich auch nicht. Er bezahlt mich. Und er zahlt besser als Steele. Das zählt.“

Sarah blickte wieder nach vorn. Der Verkehr begann wieder zu fließen. Sie gab leicht Gas. Der Buick rollte an, wurde etwas schneller.

Benbow schaute über die Lehne nach hinten. Er konnte hinter dem Buick nichts entdecken, was ihn beunruhigt hätte. Er sagte: „Irgend etwas hat man mit dir vor, Honey. Ich weiß nicht, was. Aber es ist wohl etwas, das sich gegen deinen Arbeitgeber richtet. Irgendwie ist es schade um dich. Aber schreib es Trevellian zu. Hätte er nicht mein Handy überprüfen wollen, wäre alles nicht so weit gekommen. An deiner Stelle würde ich ihn verfluchen, Süße.“

„Sie sind aber nicht an meiner Stelle, Benbow. Aber machen Sie sich um mich keine Sorgen. Irgendwie bin ich gespannt auf die Leute, mit denen Fitzgerald verkehrt. Drei von ihnen habe ich bereits kennengelernt. Smith, Frawley und Abdullah Mezdah. Letzterer ist Inhaber der Wohnung, in die Mrs. Steele und ihre Tochter entführt werden sollten. Ein arabischer Name, Benbow. Sehr vielsagend, meinen Sie nicht?“

Wieder warf Benbow einen Blick nach hinten.

„Nervös?“, fragte Sarah spöttisch.

„Halt die Fresse!“, fuhr Benbow sie an. „Wenn du sie noch einmal aufmachst, schlage ich dir das Gebiss in den Hals.“

Also schwieg Sarah. Sie war plötzlich gar nicht mehr so sehr erpicht darauf, dem Burschen zu entkommen. Eine fast ungeduldige Erwartung begann sie zu erfüllen. Sie konnte es kaum erwarten, zu erfahren, wer die Kerle waren, die Fitzgerald geholfen hatten, Steeles Haus zu zerstören und Steele um ein Haar umzubringen.

Zwanzig Minuten später bogen sie auf den Long Island Expressway ein, fuhren nach Osten und kamen auf die Jackson Avenue, von der aus Sarah das Fahrzeug auf die Queensboro Bridge lenkte.

Weitere zehn Minuten später lag vor ihnen der Central Park South. Sie befuhren den East Drive und wenig später tauchten die Gebäude des Wildlife Conservation Centers auf.

Ein Stück davon entfernt, am Rand der Straße, parkte ein 7,5-Tonner mit geschlossener Plane über der Ladefläche. Benbow befahl Sarah, hinter dem Kleinlaster anzuhalten. Zwei Kerle verließen das Führerhaus des Lastwagens. Einer von ihnen riss die Fahrertür des Buick auf. „Aussteigen!“

Sarah verließ den Wagen. Den Schlüssel ließ sie im Zündschloss stecken. Auf der anderen Seite stieg Rice Benbow aus. Die Autotüren knallten zu. Die Plane des Lastwagens wurde zurückgeschlagen. Zwei weitere Kerle kamen auf der Ladefläche zum Vorschein.

Die Bordwand wurde geöffnet. „Steig hinauf!“, kommandierte einer der Kerle. Ein anderer streckte Sarah von oben die Hand entgegen. Er grinste. Sarah hatte keine andere Wahl. Über die Anhängerkupplung und mit Hilfe des Burschen auf der Ladefläche gelangte sie hinauf. Jetzt erst sah sie die Bank, die an der linken Bordwand aufgestellt war.

Benbow kletterte geschmeidig auf die Ladefläche.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783738955538
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Schlagworte
mein killer drei krimis

Autoren

  • Alfred Bekker (Autor:in)

  • Pete Hackett (Autor:in)

  • Thomas West (Autor:in)

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Titel: Mein Killer, dein Killer: Drei Krimis