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Krimi Doppelband 2218 - Zwei Krimis

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2021 300 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Der Kopf eines Mörders (Alfred Bekker)

Kubinke und die Frankfurter Morde (Alfred Bekker)

Die beiden Kriminalinspektoren Harry Kubinke und Rudi Meier müssen diesmal im Rahmen der Amtshilfe in Frankfurt ermitteln. Dort haben sie es nicht nur mit einem seltsamen Fall in der Drogenszene zu tun, sondern auch mit einem Kollegen, der allen gehörig auf die Nerven geht.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Krimi Doppelband 2218 - Zwei Krimis

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:


Der Kopf eines Mörders (Alfred Bekker)

Kubinke und die Frankfurter Morde (Alfred Bekker)



Die beiden Kriminalinspektoren Harry Kubinke und Rudi Meier müssen diesmal im Rahmen der Amtshilfe in Frankfurt ermitteln. Dort haben sie es nicht nur mit einem seltsamen Fall in der Drogenszene zu tun, sondern auch mit einem Kollegen, der allen gehörig auf die Nerven geht.


Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de


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Der Kopf eines Mörders


Ein Harry Kubinke Kriminalroman

von Alfred Bekker


Der Umfang dieses Buchs entspricht 122 Taschenbuchseiten.


Ein Kopf wird aufgespießt am Zaun des Polizeipräsidenten von Frankfurt gefunden. Ist es eine Warnung aus dem kriminellen Milieu oder was steckt dahinter? Die Kommissare Harry Kubinke und Rudi Meier ermitteln.



Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.




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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1

Irgendwo in Frankfurt.

Ein Hinterhof.

Der Killer hatte geduldig gewartet.

Aber es sollte sich lohnen.

“Ihr seid schon so gut wie tot”, murmelte er vor sich hin

Jetzt trafen sie die Reihe nach ein. Mit ihren Motorrädern. Mit ihren Gang-Kutten. Mit ihren Waffen. Und vermutlich auch mit Drogen, denn von dem Handel damit lebten diese Leute schließlich.

Einer Gangkrieger nahm eine Pistole und ballerte in die Luft. Andere lachten. Viele von ihnen waren noch sehr jung. Und leichtsinnig.

Zu leichtsinnig.

Der Killer hatte sich vorgenommen, ihr Spiel hier und heute ein für allemal zu beenden.

Er würde ihnen keine Chance lassen.

Ein bisschen musste er noch abwarten.

So lange, bis sie vollzählig waren. Schließlich wollte er möglichst viele von ihnen auf einmal erwischen.

“Walla! Baller hier nicht herum!”, rief einer von ihnen. “Hört man sonst!”

“Hier hört das niemand!”, kam die Antwort.

Zwei zweitere Gangmitglieder trafen noch ein. Beide auf monströsen Trikes, die einen Höllenlärm machten. Die Gangmitglieder ließen die Motoren aufheulen, wieder schossen ein paar von ihnen in die Luft.

Jetzt war der Moment des Killers gekommen.

Er nahm die MPi und feuerte. Dreißig Schuss pro Sekunde leckten aus der Mündung heraus. Das ging so schnell, dass keinem von ihnen eine Chance blieb. Die Maschinenpistole knatterte los. Glücklicherweise waren diese Gangkrieger eitel. Sie trugen natürlich keine Kevlar-Westen, weil man darin fett aussah. Und davon abgesehen waren sie hier ja unter ihresgleichen. Wer hätte sie bedrohen sollen?

Diese Kerle trugen ihre Kutten mit verschnörkelten Gangsymbolen drauf. Und sie zeigten mit Vorliebe ihre Oberarme, die auch mit Tattoos übersät waren. Von Helmen, die den gesetzlichen Bestimmungen entsprachen, hielten sie auch wenig und oft genug trugen sie auch nicht. Sie vertrauten einfach darauf, dass die Polizei es vermied, sie zu kontrollieren.

Aber jetzt zuckten ihre Körper im Bleifeuer des Killers.

Einigen gelang es noch, die Waffe zu ziehen. Hier und da kam es zu einem ungezielten Schuss.

Aber das war nichts, was dem Killer gefährlich werden konnte.

Die sind tot, ehe sie begriffen haben, woher eigentlich geschossen wird!, ging es dem Killer durch den Kopf. In dem Hinterhof herrschte ein Höllenlärm. Die Echos machten es fast unmöglich, die Herkunft eines Schusses akustisch auch nur einigermaßen zuverlässig zu lokalisieren.

Einer nach dem anderen sank zu Boden. In verrenkter Haltung lagen sie in ihrem eigenem Blut. Hier und da gab es tückische Querschläger, wenn Kugeln von den Metallteilen der Maschinen abprallten.

Vielleicht kriege ich es ja noch hin, einen Tank explodieren zu lassen!, dachte der Killer. Aber so etwas funktionierte meistens nur im Film.

Schließlich war Ruhe.

Der Killer trat aus seiner Deckung.

Die MPi hielt er in seiner Rechten.

Er ließ kurz den Blick schweifen.

Sein Handy klingelte. Er griff in die Innentasche seiner Jacke.

“Hallo, Günther”, sagte eine Stimme. “Ist alles erledigt?”

“Ich kann mich nicht erinnern, jemandem wie Ihnen erlaubt zu haben, mich Günther zu nennen!”

“Ein Fall von Frühdemenz, Günther? Wäre bedauerlich.”

“Wenn Sie mich Günni nennen, komme ich vorbei und erschieße Sie!”

“Was ist jetzt Sache?”

“Es ist alles erledigt. Einen Moment...” Der Killer schaltete die Kamera des Handys ein und richtete sie auf die Erschossenen. “Die Aktion >Unsere Stadt soll sauberer werden< ist abgeschlossen”, sagte der Killer dann.

“Das ist eine Daueraktion, Günther.”

“Wenn Sie das sagen...”

“Keiner von uns sollte das je vergessen.”



2

“Besser wird das nicht”, sagte der Arzt. “Sie haben bei dieser Schießerei mehrere Kugeln im Gesichtsbereich abbekommen.”

“Wenn Sie das sagen... Ich erinnere mich nicht.”

“Das ist normal. Sie können froh sein, dass Sie überlebt haben.”

“Ob ich darüber froh sein kann, weiß ich noch nicht.”

“Die andren sind tot. Alle.”

“Und ich habe den Knast vor mir!”

“Jedenfalls wird das Lachen schief bleiben. Das ist nicht zu ändern. Aber wenigstens sieht Ihr Gesicht nicht so aus, dass sich andere davor fürchten müssen.”

Er lachte.

Schief.

So wie von nun an immer.

“Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht”, meinte er.

Der Arzt hob fragen die Augenbrauen. “Was?”

“Wenn man sich vor meinem Gesicht fürchten würde.”



3

“Herr Dr. Wildenbacher, weswegen sind Sie hier?”

“Das frage ich mich allerdings auch!”

“Es ist immer gut, wenn der Patient weiß, weswegen er zum Therapeuten geht. Das erleichtert die gemeinsame Arbeit.”

“Ich bin kein Patient”, sagte Wildenbacher. “Damit beginnt es schonmal. Patient heißt ‘Leidender’. Ich leide aber an nichts.”

“Aber möglicherweise leiden andere an Ihnen, Herr Wildenbacher.”

“Dann sollen die zum Therapeuten gehen und >Gespräche< führen. Das sind dann ja auch tatsächlich Patienten im wahrsten Sinn des Wortes. Ich aber nicht. Ich bin nur hier, weil man mich dazu verdonnert hat.”

“Wir sprechen neuerdings durchaus auch von Klienten - insofern gebe ich Ihnen Recht, dass sich auch unsere fachliche Sichtweise in dieser Hinsicht etwas verändert hat.”

“Das ist genauso verlogen. Ich bin nicht Ihr Klient! Ihr Kunde!” Wildenbacher lachte auf. “Ich bezahle Sie nicht und Sie handeln auch nicht in meinem Auftrag.”

“Nun, wir brauchen uns nicht über Begriffe zu streiten. Kommen wir zur Sache - und damit zu dem Grund, weswegen Sie hier sind.”

“Ich bin hier, weil mein Vorgesetzter das so will”, sagte Wildenbacher. „Und weil ein paar übersensible, empfindliche Seelen sich über mich beschwert haben.”

“Es ist von Mobbing die Rede.”

“Mobbing? Weil ich einer Mitarbeiterin, die saumäßige Arbeit abgeliefert hat, das auch so deutlich gesagt habe? Weil eine andere Mitarbeiterin, mit der ich gezwungen war, dieselben Räumlichkeiten zu teilen, inzwischen versetzen ließ - was im übrigen zu unser aller Besten ist?”

“Hören Sie...”

“Nein, hören Sie mal: Ich bin Gerichtsmediziner. Ich habe es mit Leichen zu tun und muss herausfinden, woran die gestorben sind. Die Tatsachen liegen bei uns im Institut buchstäblich auf dem Tisch. Da drückt man sich klar und deutlich aus.”

“Man hat Ihnen gesagt, dass Sie etwas achtsamer sein sollen. Etwas sensibler.”

“Da bin ich der falsche für”, sagte Wildenbacher.

“Herr Wildenbacher, Sie haben ja schon zwei Kolleginnen erwähnt, die sich explizit über Sie beschwert haben....”

“Weicheier!”

“In jüngster Zeit sind jetzt noch etwas schwerwiegendere Vorwürfe eines Institutsmitarbeiters hinzugekommen.”

“Keine Ahnung, von wem Sie sprechen.”

“Ich spreche von Herrn Schmidtbauer.”

“Herr Schmidtbauer hat fundamentale Regeln missachtet, die man bei einer Obduktion einhalten muss! Wenn so Gutachten erstellt werden, dann sind Fehlurteile vorprogrammiert! Ich habe ihm bei mehreren Gelegenheiten sehr deutlich gesagt, dass für einen wie ihn kein Platz an unserem Institut ist!”

“Herr Schmidtbauer glaubt, dass Ihre fortgesetzte und massive Kritik transphob motiviert ist.”

“Trans was?”

Wildenbacher hob die Augenbrauen. Er schien überrascht zu sein.

“Herr Schmidtbauer war bis vor wenigen Jahren noch Frau Schmidtbauer, bevor er sich einer entsprechenden Behandlung unterzog. Damals arbeitete er allerdings schon an der Akademie des Bundeskriminalamtes in Quardenburg.”

“Ja, aber nicht in unserer Abteilung!”

“Wie gesagt, Herr Schmidtbauer bestreitet die sachliche Motivation Ihrer fortgesetzten, massiven Kritik und hat die Personalvertretung eingeschaltet, weil er sich von Ihnen gemobbt fühlt. Er wirft Ihnen transphobe Ressentiments vor.”

“Bis heute hatte ich keine Ahnung, dass Herr Schmidtbauer mal Frau Schmidtbauer war. Glauben Sie ich schaue mir alle Mitarbeiter aller Abteilungen so genau an? Ich habe schon genug mit meinen Leichen zu tun...”

“Ja, das ist ja vielleicht ein Teil des Problems, Herr Dr. Wildenbacher.”

“Wie?”

“Dass Sie Ihren Mitmenschen nicht genug Aufmerksamkeit zuwenden. Nicht genügend Achtsamkeit und Sensibilität! Und genau deswegen sind Sie ja hier: Um diesen Missstand abzubauen und Schwierigkeiten in der Kommunikation mit anderen Mitarbeitenden in Zukunft zu vermeiden.”

“So ein Quatsch”, sagte Wildenbacher. “Ich habe keine Schwierigkeiten mit irgendwem. Und wer Schwierigkeiten mit mir hat, der soll mir gefälligst aus dem Weg gehen! Dann gibt es auch keine Probleme.”

“Herr Wildenbacher, woher kommt diese Aggressivität.-”

“Was für eine Aggressivität?”

“Die Aggressivität, die tief in Ihnen ist und die immer wieder aus Ihnen hervorbricht und den Umgang mit Kollegen beeinträchtigt.”

“Ich bin nicht aggressiv! Und ich war immer der Sensibelste von allen! Jedes Mal, wenn ich eine Leiche auf dem Tisch habe, dann weine ich erstmal etwas. Und dasselbe tue ich, bevor ich ein Steak oder Weißwurst esse! Dann halte ich innere Zwiesprache mit dem Schwein, das auf meinem Teller liegt und bitte es um Vergebung dafür, dass ich Hunger habe!”

“Jetzt versuchen Sie, unsere gemeinsame Arbeit, die so konstruktiv begonnen hat, ins Lächerliche zu ziehen.”

“Ich ziehe nichts ins Lächerliche! Das ganze >ist< nämlich einfach nur lächerlich. Da brauche ich nichts mehr zu ziehen!”

“Herr Wildenbacher, wann in Ihrem hat diese Wut, die Sie erfüllt, begonnen.”

“Jetzt wollen Sie mit mir über meine Kindheit sprechen?”

“Das wäre etwas, womit wir weiterarbeiten könnten.”

“Wissen Sie was, um über meine Kindheit zu sprechen, da kennen wir uns einfach nicht gut genug.”

“Also...”

“Aber es gibt in der Tat eine Sache, die mich wütend macht!”

“Lassen Sie es ruhig heraus, Herr Dr. Wildenbacher!

“Es macht mich wütend, dass ich die Kühlfächer in unserem Institut voller Leichen habe, die ich alle obduzieren müsste, die alle mutmaßliche Opfer von Gewaltverbrechen sind und bei denen es Angehörige gibt, die wissen wollen, wer diese Menschen umgebracht hat - aber stattdessen sitze ich hier, zum über eine Wut zu schwadronieren, die gar nicht vorhanden ist und über Probleme, die nur in der Einbildung von Menschen wie Ihnen existieren.”

Wildenbacher sah auf die Uhr an seinem Handgelenk.

Er sagte nach einer Pause und mit hochrotem Gesicht: “Eine Dreiviertelstunde sollte das hier dauern.”

“Richtig.”

“Die ist jetzt vorbei.”

“Nun, wir...”

“Was bedeutet, ich gehe jetzt.“ Wildenbacher erhob sich. “Und jetzt beklagen Sie sich nicht, dass ich aggressiv geworden bin! Ich bin nämlich die Ruhe selbst!”

Die Tür knallte ins Schloss.

Wildenbacher war fort.

Und der Therapeut machte ein betroffenes Gesicht - und sich dann ein paar Notizen. Da haben wir noch einen langen Weg vor uns, dachte er.



4

Frankfurt, am frühen Morgen...

Das Anwesen von Gunnar Bellenborn, dem Polizeipräsidenten von Frankfurt, lag direkt am Fluss. Nebel war über Nacht vom Fluss aus über den Rasen gezogen und hatten den Bereich zwischen dem Haupthaus aus Sandstein und der mannshohen Begrenzungsmauer mit dem gusseisernen Tor eingehüllt. Man konnte kaum ein paar Meter weit sehen.

„Na komm schon! Ich bin der Polizeichef und habe es zu sagen!” Bellenborn war fast zwei Meter groß und selbst in dem ausgeleierten Jogging-Anzug, den er um diese Zeit trug, eine imposante, respekteinflößende Erscheinung. Sein Hund schien davon kaum beeindruckt. In der Regel gehorchte er nicht, und Bellenborn hatte den Eindruck, dass sich das Tier von jedem was beibringen ließ - nur von ihm nicht.

Der Hund bellte und rannte ein Stück zum Tor.

„Ja, was willst du mir denn zeigen?”, knurrte Bellenborn.

Das Tier konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Immer wieder verschwand es in der grauen Nebelwolke und kehrte dann zu Bellenborn zurück.

„Jetzt hast du mich erzogen, was?”, knurrte er und ging hinter seinem Hund her.

Dann war er nahe genug am Tor, um es auch sehen zu können.

„Oh, mein Gott”, flüsterte er, als er zu den gusseisernen Spitzen hinaufsah. Blut tropfte auf den Boden.



5

Gunnar Bellenborn hatte für einen Moment das Gefühl, als ob ihm jemand einen Faustschlag in die Magengrube versetzt hätte.

Der Hund schnüffelte an dem Blut, das entlang der gusseisernen Gitterstäbe entlanggelaufen war. Blut - und noch etwas anderes. Gunnar Bellenborn wusste genau, was es war. Er hatte es an Dutzenden von Tatorten selbst gesehen, kannte das Aussehen, die Konsistenz und den Geruch von…

...Hirnmasse!

Gunnar Bellenborn hatte bei der Streifenpolizei des Frankfurt Polizeipräsidium angefangen und sich später nach und nach hochgearbeitet. Mordkommission, Abteilung für organisiertes Verbrechen, später war er in die Leitungsebene gewechselt und hatte es schließlich ganz an die Spitze gebracht. Der Polizeipräsident einer Großstadt wie Frankfurt kam an Ansehen und Popularität für manche Bürger noch vor dem Bürgermeister.

Und dass viele seiner Kollegen ihn schätzten, hatte mit Sicherheit auch etwas damit zu tun, dass Bellenborn diesen Beruf wirklich von der Pike auf gelernt hatte. Niemand hatte das Gefühl, dass da einer von oben herab mit seinen Untergebenen redete. Schließlich war Bellenborn mal einer von ihnen gewesen und wusste, wo den Polizisten der Schuh drückte.

Bellenborns Gedanken wirbelten in diesem Augenblick nur so durcheinander. Sie begannen förmlich in seinem Hirn zu rasen. Der Hund winselte und blickte nach oben, zu den Spitzen auf dem gusseisernen Tor.

Ein menschlicher Kopf war dort zu sehen. Er war auf die mittlere und somit höchste Spitze aufgespießt worden. Ein Auge war nur noch eine klaffende Wunde. Vermutlich durch einen Schuss. Die Austrittswunde war vermutlich viel größer. Bellenborn brauchte sie gar nicht zu sehen, um sich das vorstellen zu können. Für lange Jahre war so etwas für ihn schließlich Routine gewesen.

„Schweine”, murmelte er nur. „Diese Schweine!”



6

Der Kopf auf dem Tisch des Gerichtsmediziners sah nicht gut aus. Das war genau das Bildmaterial, aus dem schlechte Träume gemacht sind, aber Rudi und ich hatten keine andere Wahl, als uns die Details anzusehen.

„Tja, mehr ist von dem Kerl anscheinend nicht übrig geblieben”, sagte Gerold M. Wildenbacher in seinem charakteristischen Bayern-Akzent. Der Gerichtsmediziner unseres Ermittlungsteams Erkennungsdienst der BKA Akademie in Quardenburg wischte sich die Hände ab. Er trug Latexhandschuhe, Kittel, Schutzkleidung, Mundschutz und eine Brille, die ihn möglicherweise davor bewahrte, dass infektiöse Flüssigkeitsspritzer mit den Schleimhäuten seiner Augen in Kontakt kamen. Irgendetwas Undefinierbares klebte an seinen Latexhandschuhen. Ich wollte gar nicht näher wissen, was das war. „Eine Obduktion unter diesen Umständen als vollständig zu bezeichnen, widerstrebt mir irgendwie, ganz egal zu welchem Zeitpunkt man das sagt”, meinte Wildenbacher.

„Sie meinen, weil die Leiche nicht vollständig ist?”, schloss ich.

„Sie müssen das Gemüt eines Schlachtergesellen haben, Harry.”

Ich war perplex.

„Ich?”, vergewisserte ich mich.

„Ja, sicher!”

„Sie sprechen wirklich von mir?”

„Sie sprechen kaltherzig von einer Leiche. Nennen Sie ihn ein Opfer. Dann erweisen Sie ihm den nötigen Respekt.”

In diesem Moment fragte ich mich ernsthaft, ob Wildenbacher irgendwelche Substanzen genommen hatte, die geeignet waren, die Persönlichkeit zu verändern. Normalerweise war Wildenbacher für sein Schlachtergemüt bekannt. Einer mit rauen bayerischen Manieren, der wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten anderer zu nehmen pflegte. Schon gar nicht auf die einer Leiche - beziehungsweise eines Kopfes, denn genau genommen war von dem Toten ja nicht mehr übriggeblieben, was uns für unsere Ermittlungen als Ausgangspunkt zur Verfügung stand.

Wildenbacher sah zuerst mich an, dann Rudi. Und dann wieder mich.

„Irgendwie hatte ich mir vorgestellt, dass Ihre Reaktion etwas heftiger ausfallen würde”, sagte er.

„Worauf? Auf die Gehirnwäsche, die Ihnen anscheinend angetan worden ist?”, fragte ich.

„Wir sind es gewohnt, unsere Emotionen hinter der Fassade kühler Sachlichkeit zu verbergen”, ergänzte Rudi. „Was ist passiert? Hat FGF alias Herr Förnheim Sie zur verspäteten Teilnahme in einem Bootcamp für gutes Benehmen überredet und wir erleben jetzt das Ergebnis?”

FGF - so nannten wir Friedrich G. Förnheim, den aus Hamburg stammenden Naturwissenschaftler des Ermittlungsteams Erkennungsdienst, dessen Hilfe Rudi und mir seit unserer Beförderung zu Kriminalinspektoren zur Verfügung standen. Und Förnheim war mit seinem distinguierten, unverkennbar hamburgisch geprägten Auftreten so etwas wie der perfekte Gegenpart zu dem hemdsärmeligen Bayer Wildenbacher.

„Schlimmer”, sagte Wildenbacher.

„Noch schlimmer?”, fragte ich. „Wie kann das sein?”

„Wir hatten hier eine neue Kollegin, mit der ich mir für kurze Zeit auf Grund gewisser organisatorischer Unzulänglichkeiten unserer Akademie-Führung ein paar Räumlichkeiten teilen musste.”

„Ich ahne Schlimmes”, gestand ich.

„Um es kurz zu machen, es gab eine Beschwerde und ich wurde zu einem Gespräch gebeten.” Das Wort Gespräch sprach er auf eine Weise aus, als ob es sich dabei um etwas Unappetitliches handelte. Vielleicht war es das ja auch gewesen.

„Und?”, fragte ich.

„Das Ergebnis haben Sie gerade mitbekommen. Ich versuche jetzt achtsamer und sensibler zu sein.”

„Und Ihre diesbezüglichen Bemühungen haben wir gerade erlebt?”, hakte ich nach.

„So ist es.”

„Wissen Sie was: Bleiben Sie besser, wie Sie sind”, sagte ich.

„Dann weiß jeder, woran er ist”, ergänzte Rudi.

„Auf Ihre Verantwortung”, meinte Wildenbacher.

„Was hat denn der Kollege Förnheim zu Ihrem ausgewechselten Charakter gesagt?”

Wildenbacher lächelte. „Zitat unseres geschätzten Dr. Fischkopp: ’Ich hasse Veränderungen, selbst wenn sie positiv sind!’”

„Das klingt in der Tat nach ihm”, gab ich zu.

„Wo ist denn die Kollegin, mit der Sie sich die Räumlichkeiten teilen müssen?”, fragte jetzt Rudi. „Ich habe niemanden gesehen.”

„Hat sich kurzfristig versetzen lassen. Und ich habe jetzt ein zweites Gespräch vor mir.”

Ich hob die Augenbrauen. „Weil Sie mutmaßlich die Ursache dieser Versetzung sind?”

„Ja, so in diese Richtung wird das Ganze wohl laufen, fürchte ich. Aber warum soll ich mich beklagen?” Er deutete auf den Kopf. „Der da hat es definitiv schlechter getroffen, würde ich sagen.”

„Weiß man inzwischen schon, wer er ist?”, fragte ich.

„Also ich würde sagen, ‘er’ ist schonmal richtig. Es handelt sich definitiv um ein Männergesicht. Frau Gansenbrink ist derzeit noch dabei, das Gesicht mit den Archiven abzugleichen. Leider ist unser Herr Unbekannt etwas ramponierter, als es die Toleranzschwellen der üblichen Gesichtserkennungssoftware verzeiht.”

„Frau Gansenbrink hat da sicher ihre Tricks”, war ich zuversichtlich. Dr. Lin-Tai Gansenbrink war die Mathematikerin und IT-Spezialistin des Teams. Wenn der Kerl in den Archiven zu finden war, dann würde sie auch herausfinden, wer er war. Und danach durchsuchte sie vermutlich mit den Profil-Fotos sämtliche soziale Netzwerke.

Allerdings war in diesem Fall zunächst einmal die Einschränkung auf vorbestrafte Kriminelle durchaus sinnvoll. Genauer gesagt auf vorbestrafte Kriminelle, die in irgendeinem Zusammenhang zu Gunnar Bellenborn, dem Polizeipräsidenten von Frankfurt standen. Auf das gusseiserne Tor seines Anwesens hatte man diesen Kopf nämlich aufgespießt und so lag der Schluss nahe, dass das irgendetwas mit Bellenborns beruflicher Tätigkeit zu tun hatte. Vielleicht wollte ihm jemand eine sehr deutliche Warnung zukommen lassen. Jemand, der noch eine Rechnung mit Bellenborn offen hatte.

Aber anzunehmen, dass der Polizeipräsident einer Großstadt nur Freunde hatte, war natürlich abwegig. Da gab es mehr als genug Personen, die aus ihrer Sicht allen Grund hatten, ihm nur das Schlechteste zu wünschen. Allen voran natürlich die Angehörigen des organisierten Verbrechens. Gunnar Bellenborn war immer bekannt dafür gewesen, gegenüber dem Organisierten Verbrechen einen harten, kompromisslosen Kurs zu fahren. Und tatsächlich hatte es während seiner Amtszeit als Polizeipräsident von Frankfurt einige aufsehenerregende Erfolge für die entsprechenden Abteilungen gegeben. Natürlich prädestinierte Bellenborn das als potentielles Opfer von Rache-Akten.

Aber hier lag der Fall wohl etwas komplizierter.

Und genau deshalb hatten wir ihn auf den Schreibtisch bekommen. Unser Vorgesetzter hatte uns schon am Morgen über die wesentlichen Fakten informiert. Es hatte mal eine interne Ermittlung der Kripo Frankfurt gegeben. Diese Ermittlungen betrafen Unregelmäßigkeiten im großen Stil und hätten Bellenborn leicht seinen Posten kosten können, wenn etwas dabei heraus gekommen wäre.

Allerdings war der Ermittler, der sich in dieser Sache besonders engagiert hatte, ermordet worden und der Fall war im Sande verlaufen.

Aber jetzt war das Grund genug, weder die Kripo Frankfurt noch die dortige Abteilung für interne Ermittlungen den Fall noch einmal alleine ermitteln zu lassen. Es schien einfach notwendig zu sein, dass den Kollegen dabei jemand auf die Finger sah und ein paar Vorgaben gemacht wurden. Genau das war jetzt unser Job.

Davon abgesehen hatte der Fall natürlich inzwischen schon erhebliches Aufsehen in den Medien erzeugt.

Dass abtrünnige Mafia-Angehörige Schweineköpfe ins Bett gelegt bekamen, war aus diversen Gangsterfilmen bekannt. Aber dass der Kopf eines Menschen auf die Gitterspitze eines Tores gespießt wurde, war selbst für die sensationsgierigen Medien etwas außergewöhnlich Abscheuliches.

„Also, was die Todesursache des Geköpften angeht, so ist das nicht weiter schwer”, sagte Wildenbacher. „Er bekam einen Schuss direkt ins Auge - und zwar aus nächster Nähe, wie die Schmauchspuren beweisen. Man könnte also sagen: Er blickte dem Tod direkt ins Auge, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.”

„Ich fürchte, auch ein drittes Gespräch wird Ihnen kaum erspart bleiben, Gerold”, vermutete Rudi.

„Das werde ich auch noch überleben”, meinte Wildenbacher und fuhr dann in seinen Ausführungen fort: „Die Kugel drang durch Auge und Hirn. Anschließend ist sie am Hinterkopf wieder ausgetreten. Die Austrittswunde ist typisch für eine großkalibrige Waffe.”

„Mit anderen Worten: „Wir haben kein Projektil und damit keinen ballistischen Abgleich”, stellte ich fest.

„So ist es leider”, bestätigte Dr. Wildenbacher.

„Könnte sein, dass das auch die Absicht des Täters war.”

„Was ich gerade über eine großkalibrige Waffe sagte, ist übrigens nur meine persönliche Einschätzung. Sicher ist auch das nicht, denn es wurde durch das Auge geschossen. Da hätte auch eine kleinkalibrige Waffe eine Austrittswunde verursacht. Wir können noch nicht einmal Teilmantelgeschosse ausschließen, die sich ja beim Eintritt in den Körper verformen und keinen Durchschuss zulassen. Theoretisch zumindest. Es gibt leider genug Idioten-Polizisten im ganzen Land, die sich darauf verlassen und dann von mehreren Seiten auf einen Verdächtigen schießen - mit dem Ergebnis, dass sie sich gegenseitig treffen.”

Teilmantelgeschosse waren eigentlich typisch für Polizeiwaffen. Sie dienten dazu, zu verhindern, dass bei einer Schießerei Unbeteiligte durch Durchschüsse in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und wenn Dr. Wildenbacher ein solches Geschoss hätte ausschließen können, wäre das für uns natürlich eine wichtige Information gewesen.

„Können Sie irgendwas über die Todeszeit sagen?”, fragte Rudi.

„Also erstmal noch ein paar Worte zur Todesursache.”

„Wir lauschen gespannt”, sagte ich.

„Ich kann natürlich nicht sagen, was man vielleicht dem Rest des Körpers vorher noch angetan hat, aber dieser Schuss durchs Auge ist ganz bestimmt sofort letal gewesen. Zur Todeszeit: Dieser Mann muss kurz bevor sein Kopf aufgespießt wurde, erst ermordet und geköpft worden sein. Und zwar schließe ich das aus folgendem.”

Er winkte uns zu einem Rechner, der sich im Sektionsraum befand. Die Tastatur war durch einen transparenten Plastikbezug gegen Flüssigkeitsspritzer aller Art geschützt, wie man das auch aus Zahnarztpraxen kennt. Dr. Wildenbacher ließ auf dem Flachbildschirm Bilder vom Fundort des Kopfes erscheinen. Er wählte eins aus und zoomte es heran. Die Aufnahmen waren von hochauflösender Qualität. Man konnte wirklich jede Einzelheit erkennen.

Wildenbacher interessierte sich allerdings offenbar weniger für den Anblick des Kopfes selbst. Den hatte er schließlich ja auch auf dem Tisch liegen.

Ihn interessierten die Gitterstäbe des gusseisernen Tors. „Sehen Sie das da? Blut und einige andere Anhaftungen, von denen Sie sicher gar nicht wissen wollen, was das im Einzelnen so alles ist. Im Kopf selbst ist nur wenig Blut. Aber auch wenige Tropfen können sehr dramatisch aussehen, wenn sie Spritzflecken verursachen. In diesem Fall spricht die Tatsache, dass überhaupt noch Blut geflossen ist dafür, dass der Kopf erst kurz vorher abgetrennt worden sein kann.”

„Klingt einleuchtend”, meinte ich.

„Sie sehen hier die Spuren am Gitter. Das Blut ist heruntergelaufen und war offenbar noch flüssig.”

„Wir wissen, wann Gunnar Bellenborn auf den Kopf aufmerksam wurde”, sagte ich.

„Also die Fotos sind gemacht worden, als das Blut schon getrocknet war”, stellte Wildenbacher klar. „Meine Anmerkungen bezogen sich auf den Moment, in dem der Kopf aufgespießt wurde.”

„Wenn der Tote unmittelbar davor erst geköpft wurde, muss das in unmittelbarer Nähe des Anwesens geschehen sein”, stellte Rudi fest.

„Ja”, nickte Dr. Wildenbacher. „Aber die alles entscheidenden Fragen sind: Wer war er und wo ist der Rest von ihm?”

In diesem Augenblick klingelte ein Telefon. Wildenbacher ging an den Apparat und nahm das Gespräch entgegen. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, beendete er das Gespräch nach ein paar Augenblicken wieder.

„Das war Frau Gansenbrink”, berichtete Wildenbacher.

„Hat Sie was herausgefunden?”, fragte ich.

„Sie glaubt, die Identität des Killers herausgefunden zu haben. Aber alles Weitere will Sie Ihnen beiden selber sagen.” Er zuckte mit den Schultern, während sein Blick auf den Kopf gerichtet war. „Keine Ahnung, weshalb sie nicht einfach hier herunter in diese gastliche Stube kommt, um darüber zu reden.”

„Ist ihr vielleicht nicht gemütlich genug”, meinte ich.

„Ich hatte nie den Eindruck, dass Frau Gansenbrink solche Äußerlichkeiten wichtig sind, Harry.”

Rudi hob die Augenbrauen. „Vielleicht liegt es ja auch einfach nur am Geruch”, vermutete mein Kollege.



7

„Da sind Sie ja!”, sagte Dr. Lin-Tai Gansenbrink, als wir ihren mit Rechnern und Flachbildschirmen vollgestellten Arbeitsraum erreichten. „Ich dachte schon, Sie hätten sich noch länger bei Wildenbacher aufgehalten.”

„Ist er das?”, fragte ich und deutete auf das Gesicht eines Mannes, dessen Foto in überlebensgroßem Format auf einem der Flachbildschirme zu sehen war.

„Das ist er”, betätigte Frau Gansenbrink.

„Ich habe den Kopf unten im Sezierraum gesehen, aber ich musste zweimal hinsehen, um den Kerl wiederzuerkennen”, gab ich zu.

„Ein Schuss durchs Auge kann ein Gesicht schonmal etwas verändern”, meinte Rudi dazu.

„Es sind nicht die Verletzungen durch den Schuss”, erklärte Frau Gansenbrink. „Das Alter dürfte auch eine Rolle spielen. Das Bild, dass Sie sehen ist fast zwanzig Jahre alt und aufgenommen worden, als dieser Mann zum ersten Mal wegen einer Bagatelle erkennungsdienstlich behandeln lassen musste. Er heißt Günter Pressburger. Zumindest wurde er unter diesem Namen geboren.”

„Das klingt nach jemanden, von dem es nicht einfach eine Adresse gibt, bei der man vorbeischauen könnte.”

„Sie sagen es. Der Mann ist ein mutmaßlicher Profikiller”, meinte Frau Gansenbrink in ihrer unnachahmlich nüchtern beiläufig klingenden Art und Weise. „Es gibt ein Dossier über ihn. Er hat mit kleinen Delikten angefangen, meistens Körperverletzung oder Drogen und sich dann irgendwann nicht mehr erwischen lassen. Ihm werden Dutzende von Auftragsmorden zur Last gelegt und man kennt mindestens drei verschiedene Tarn-Identitäten, unter denen er eine Weile gelebt hat.”

„Der Kopf eines Killers - aufgespießt vor dem Haus eines Polizeipräsidenten”, murmelte Rudi. „Das hat was.”

„Fragt sich nur, wo der Zusammenhang zwischen Bellenborn und diesem Günter Pressburger zu suchen ist”, ergänzte ich.

„Der ist so leicht zu finden, dass sogar jemand wie ich sofort darauf gekommen ist”, sagte Frau Gansenbrink. „Und das, obwohl ich mich weder mit Gunnar Bellenborn noch mit den Verhältnissen innerhalb der Polizei von Frankfurt bisher schon näher beschäftigen konnte.”

„Und?”, fragte ich.

„Einer der Morde, die Günter Pressburger mutmaßlich begangen, hat ist der an Kriminalhauptkommissar Dirk Andresen.”

Der Name erinnerte mich an etwas. Ich sah Rudi an. „Ist das nicht der Ermittler, der sich seinerzeit besonders intensiv darum bemüht hat, in der Polizei Frankfurt auszumisten, Rudi?”

„Und Gunnar Bellenborn war ganz besonders in seinem Visier”, bestätigte Rudi.

„Auf jeden Fall wird Ihnen Bellenborn ein paar Fragen zu beantworten haben”, meinte Lin-Tai. „Und ich glaube nicht, dass das eine angenehme Plauderei wird.”



8

Wir fuhren etwa eine Stunde von Quardenburg nach Berlin. Der Feierabendverkehr in der Hauptstadt fiel vergleichsweise harmlos aus und so erreichten wir ohne allzu große Verzögerungen das Hauptpräsidium, wo wir unsere Büros hatten.

Wir begaben uns geradewegs zum Büro unseres Vorgesetzten. Darum hatte er uns gebeten. Schließlich mussten wir mit ihm noch das weitere Vorgehen absprechen. Unsere Mission in Frankfurt war nämlich durchaus heikel. Es ging schließlich auch um einen der wichtigsten Beamten der Stadt. In den Augen vieler war das Ansehen des Polizeipräsidenten sogar noch deutlich höher anzusetzen als das des Bürgermeister dieser Metropole. Der wurde viel eher mit der Verschwendung von Steuergeldern in Verbindung gebracht. Gunnar Bellenborn hingegen galt als Musterbeispiel absoluter Integrität und Rechtschaffenheit. Es gab offenbar nicht wenige, denen es ganz grundsätzlich ein Dorn im Auge war, dass da BKA-Kriminalinspektoren von auswärts kamen und buchstäblich jeden Stein noch einmal umdrehten.

Wir hatten also mit Widerstand zu rechnen. Aber das waren wir gewohnt.

„Gehen Sie einfach durch, Herr Hoch erwartet Sie schon”, begrüßte uns die Sekretärin unseres Chefs. Frau Dorothea Schneidermann hatte bereits ihre Jacke angezogen und die Handtasche über die Schulter gehängt. Der kurze Blick, den sie der Anzeige ihrer Armbanduhr widmete, machte sofort klar, dass sie wohl eigentlich schon Dienstschluss hatte.

So wie wir auch. Von Herrn Hoch ganz zu schweigen. Aber von unserem Vorgesetzten waren wir schon in unserer Hamburger Zeit nie etwas anderes gewöhnt gewesen, als dass er morgens der Erste im Büro war und abends der Letzte, der ging.

„Sie sehen aus, als hätten Sie noch was vor”, sagte ich.

„Habe ich auch”, meinte Dorothea lächelnd. „Und Sie anscheinend auch. Für den Fall, dass Sie heute Abend noch nach Frankfurt fahren wollen, damit Sie morgen in aller Frühe dort sind und mit dem Fall beginnen können, sind Hotelzimmer gebucht.”

„Danke”, sagte ich.

„Sie haben eine Mail mit allen Daten auf Ihre Handys bekommen. Ich hoffe, die ist nicht im Spam-Ordner gelandet.”

„Werden wir schon finden, Dorothea”, sagte ich.

„Außerdem ist ein Dienstfahrzeug für Sie beide eingeteilt.”

„Aber…”

„Herr Hoch bittet nämlich darum, dass Sie davon absehen, mit Ihrem Dienst-Porsche nach Frankfurt zu fahren”, unterbrach sie mich, ehe ich auch nur meinen Einwand hatte formulieren können. „Und sagen Sie jetzt nicht, dass Sie das nicht auch bei anderer Gelegenheit schon getan haben und das dies nicht eine ideale Strecke für Ihr Schmuckstück wäre.”

„Seit wann hat man Ihnen Gedankenlesen beigebracht?”, fragte ich etwas verblüfft zurück.

„Ihr Dienst-Porsche ist einfach zu auffällig, Harry. Und bei dieser ohnehin schon ziemlich heiklen Mission, die viel diplomatisches Fingerspitzengefühl verlangt, ist es besser, nicht mit einem Wagen vorzufahren, der auch nur einen Anflug von Protz und Glamour besitzt.”

„Hat Herr Hoch das gesagt?”, wunderte ich mich.

„Das hat Herr Hoch so gesagt”, bestätigte Dorothea Schneidermann und nickte bekräftigend. „Es sieht so aus, als müssten Sie in Frankfurt ein paar sehr wichtigen Leuten auf die Füße treten, Harry.”

„Ja, so könnte man das sagen”, bestätigte ich.

„Und es wäre sicher hilfreich, wenn Sie nicht auch noch diejenigen verstimmen, auf deren Unterstützung Sie am Ende angewiesen sein werden.”

„Wie auch immer. Einen schönen Abend noch.”

„Wenn ich Ihnen dasselbe wünsche, würde dass vermutlich nicht so gut klingen, oder?”

„Nein. Würde es nicht.”

Wir fanden uns einige Augenblicke später im Büro unseres Chefs. Herr Hoch telefonierte noch. Mit der einen Hand hielt er den Apparat am Ohr, mit der anderen bedeutete er uns mit seiner Gestik, die an einen Dirigenten erinnerte, uns zu setzen.

Wenige Augenblicke später hatte Kriminaldirektor Hoch das Gespräch beendet. Seine Hände wanderten in die weiten Taschen seiner Flanellhose. Die Hemdsärmel waren hochgekrempelt, der oberste Knopf offen. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals und es war selbst ihm ausnahmsweise mal anzusehen, wie anstrengend der Tag gewesen war, den er hinter sich hatte.

„Das war Dienststellenleiter Gieselher, der Chef der Kripo Frankfurt”, berichtete er. „Ich habe ein paar organisatorische und rechtliche Einzelheiten mit ihm abgesprochen, die den Fall Bellenborn betreffen.”

Interessant, dass er vom ‘Fall Bellenborn’ sprach. Meistens wird im Sprachgebrauch ein Fall entweder nach dem Opfer oder, sofern bekannt, nach dem mutmaßlichen Täter benannt. Polizeipräsident Gunnar Bellenborn war nichts davon. Wir hatten Kriminaldirektor Hoch zwar schon von unterwegs aus darüber informiert, dass die Identität des Opfers inzwischen bekannt war, aber wenn sich intern eine bestimmte Bezeichnung für einen Fall erstmal eingebürgert hat, ändert sich das meistens nicht mehr.

Für die Medien gilt das natürlich um so mehr. Für die war die Angelegenheit von Anfang an ein Fall Bellenborn gewesen und genau daraus resultierten jetzt einige Schwierigkeiten, mit denen wir zu tun haben würden.

„Sie bekommen von den Kollegen vor Ort natürlich jede denkbare Unterstützung”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Kollege Petrick Gieselher ist in solchen Fällen immer sehr kooperativ. Und er hat auch gute Verbindungen in der Frankfurter Polizeibehörde, sodass es für Sie beide mit seiner Hilfe vielleicht etwas leichter ist, dort gewisse Widerstände zu überwinden. Darüber, dass organisatorisch in Frankfurt bereits alles für Sie geregelt ist, hat Sie Dorothea hoffentlich schon informiert”, fuhr Kriminaldirektor Hoch fort. „Zumindest hatte ich sie entsprechend instruiert.”

„Und auf Dorothea ist Verlass”, sagte ich. „Wir wissen Bescheid.”

Kriminaldirektor Hoch blickte auf die Uhr. „Normalerweise würde ich sagen: Fahren Sie so schnell wie möglich los, damit Sie von Ihrer Hotelübernachtung in Frankfurt noch etwas mitbekommen.”

„Dorothea erwähnte etwas in der Art.”

„Aber ich muss Sie bitten, Ihre Abfahrt noch um ein oder zwei Stunden zu verschieben. Sie werden es trotzdem noch schaffen.”

Ich hob die Augenbrauen. „Was liegt noch an?”

„Dienststellenleiter Gieselher war so freundlich, Kriminalhauptkommissarin Greta Dietmund zu uns nach Berlin zu schicken. Sie war die Dienstpartnerin von Kommissar Dirk Andresen.”

„Dem Kollegen, der sich so intensiv mit den Verfehlungen im Polizeipräsidium von Frankfurt beschäftigt hat?”, meinte Rudi.

„Exakt.”

„Nachdem wir wissen, dass der aufgespießte Kopf mal auf den Schultern eines Profi-Killers namens Günter Pressburger gesessen hat, dem unter anderem zur Last gelegt wird, Kommissar Andresen ermordet zu haben, bekommt das natürlich eine besondere Brisanz”, stellte ich fest.

„Zu dem Zeitpunkt, als Dienststellenleiter Gieselher mir mitteilte, dass die Kollegin Greta Dietmund auf dem Weg zum Hauptpräsidium ist, hatten Sie mich über die Identität des Geköpften noch nicht aufgeklärt”, stellte Kriminaldirektor Hoch klar. „Aber jetzt gewinnt die Sache natürlich an Brisanz. Ich glaube, es ist sehr gut, wenn Kommissarin Dietmund Sie über die Ermittlungen von Kommissar Andresen umfassend in Kenntnis setzt, bevor Sie sich in Frankfurt in die Nesseln setzen.”

„Keine schlechte Idee.”

„Sie müssen sich vermutlich noch eine gute halbe Stunde gedulden, dann ist Kommissar Dietmund hier und steht Ihnen Rede und Antwort.”



9

Kommissarin Greta Dietmund war zierlich und brünett. Der Blick ihrer blauen Augen verriet Entschlossenheit.

Wir empfingen sie in Rudis Büro, nachdem wir noch einige wichtige Telefonate geführt hatten. Unter anderem mit Lin-Tai Gansenbrink, die uns noch einige Informationen über Günter Pressburger und den Mordfall Dirk Andresen zusammengetragen hatte. Außerdem erfuhren wir, dass unser Naturwissenschaftler Förnheim bereits auf dem Weg nach Frankfurt war, um sich das Tor und die Umstände, unter denen der Kopf aufgefunden worden war genauer anzusehen.

Wir hatten unterdessen eine großangelegte Aktion der Kollegen aus Frankfurt veranlasst, an der mehrere Dutzend Ermittler beteiligt waren. Es ging darum, herauszufinden, wo und unter welchen Umständen genau Günter Pressburger seinen Kopf verloren hatte. Da wir ja wussten, dass zwischen diesem barbarischen Akt und dem Zeitpunkt, als Gunnar Bellenborn auf den Kopf aufmerksam wurde, nur wenig Zeit vergangen sein konnte, war klar, dass das Verbrechen sehr wahrscheinlich in der näheren Umgebung verübt worden sein musste. Alle Gebäude und Orte, die dafür in Frage kamen, wurden von unseren Kollegen näher unter die Lupe genommen. Darüber hinaus wurden alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen ausgewertet. Passanten und Anwohner, die als Zeugen etwas beobachtet hatten, was ihnen im Nachhinein seltsam vorkam, Webcams, öffentliche und private Video-Überwachungsanlagen, Parkscheinautomaten, U-Bahn Terminals und so weiter. Es war in einer urbanen Umgebung mittlerweile ziemlich schwierig, sich fortzubewegen, ohne dabei irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Meistens bestand das Problem nicht darin, dass keine derartigen Daten vorlagen, sondern das Gegenteil war der Fall. Sehr häufig hatten wir so viel davon, dass die größte Herausforderung darin bestand, die berühmte Spreu vom Weizen zu trennen.

„Stellen Sie Ihre Fragen”, sagte Kommissarin Greta Dietmund. „Ich stehe Ihnen auch weiterhin jederzeit zur Verfügung. Nur morgen früh nicht.”

„Was ist dann?”, hakte ich nach.

Greta Dietmund seufzte. „Ich habe noch einen zweiten Gesprächstermin”, eröffnete sie. „Sie sind nämlich nicht der Einzige, der mit mir über diesen Fall reden will.”

„Wer noch?”, fragte ich.

Sie hob die Augenbrauen. „Es scheint als wäre man an allerhöchster Stelle an diesem Fall interessiert. Und ich werde wohl nicht umhin können, da Rede und Antwort zu stehen. Um genau zu sein, das Treffen wird unter Leitung des Staatssekretärs im Justizministeriums stattfinden.”

Etwas in der Art hatte ich schon vermutet. Wenn der Polizeipräsident einer der größten Städte Deutschlands in so eine Sache verwickelt war, dann hat das immer auch eine politische Dimension. Zweifellos trug auch das Aufsehen in den Medien dazu bei, das der aufgespießte Kopf eines Killers erregt hatte.

„Unseren Job wird es nicht gerade leichter machen”, sagte ich.

Greta Dietmund zuckte mit den Schultern. „Jetzt interessiert sich wenigstens jemand dafür”, sagte sie. „Leider war das nicht immer so.”

„Wie meinen Sie das?”, fragte ich.

„Ich meine die Zeit, in der mein Kollege Dirk Andresen und ich versucht haben, einige Machenschaften in der Frankfurter Polizei aufzudecken. Bürgermeister, der Ministerpräsident, das hessische Justizministerium - niemand war wirklich begeistert davon, dass wir Jagd auf vermeintlich rechtschaffene Polizisten machten. Was den berüchtigten Corpsgeist im Polizeipräsidium angeht, brauche ich Ihnen ja wohl nichts erzählen.”

„Das gibt es vermutlich überall”, sagte ich.

„Ja, aber wir arbeiten noch nicht lange an dem Fall”, sagte Rudi. „Bei einer flüchtigen Durchsicht der Unterlagen habe ich nichts gefunden, was die Verdächtigungen gegenüber Mitgliedern der Frankfurter Polizei untermauern könnte.”

„Es gab mehrere offizielle Vermerke”, widersprach Greta Dietmund. „Aber sie sind verschwunden wie ich feststellen musste.”

„Wie ist das möglich?”, fragte ich.

„Das ist dann möglich, wenn jemand sehr mächtige Freunde hat. Und dazu vielleicht noch ein Netzwerk von Personen, die einem verpflichtet sind.”

„Sie sprechen von Gunnar Bellenborn?”

„Von wem sonst?”, gab Greta Dietmund zurück.

„Konkret scheint bei den Ermittlungen von Ihrem Kollegen Dirk Andresen und Ihnen nicht viel herausgekommen zu sein”, meinte Rudi.

„Sie wissen doch selbst, wie das ist. Es gibt Dinge, die man nicht gerichtsfest beweisen, aber trotzdem als ziemlich gesichert ansehen kann.”

„Und was kann als gesichert angesehen werden?”

„Dass das Frankfurt Polizeipräsidium offenbar einigen Kriminellen quasi in gewissen Grenzen freie Hand gegeben hat. Es wurden Mordermittlungen verschleppt und Beweise vernichtet. Es gibt Dutzende von Tötungsdelikten, in denen nie mit der nötigen Intensität ermittelt wurde. Alles Fälle, in denen sich Kriminelle mutmaßlich gegenseitig umgebracht haben.”

„Was kein Grund sein sollte, so etwas nicht aufzuklären”, meinte Rudi.

Greta Dietmund nickte. „Sie sagen es, Herr Kubinke! Aber anscheinend gab es im Frankfurter Polizeipräsidium dazu auch andere Ansichten. Nach Meinung meines Kollegen Dirk Andresen wäre das ohne Mitwisserschaft und Duldung durch den Polizeipräsidenten nicht möglich gewesen.”

„Und wie ist Ihre Ansicht?”, fragte ich.

„Bellenborn muss die Hand darüber gehalten haben. Anders macht das alles keinen Sinn.”

„Aber konkret konnte Bellenborn nichts nachgewiesen werden?”, vergewisserte ich mich.

„Das ist leider richtig. Oder sagen wir so: Dazu ist es leider nicht mehr gekommen, nach Dirks Ermordung.”

„Wo besteht da der Zusammenhang?”, fragte ich.

„Dirk wurde von einem Unbekannten erschossen, als er seine Wohnung verließ. Er hatte Dienstschluss, hat sich nochmal umgezogen und ich weiß, dass er sich am Abend noch mit einem wichtigen Informanten treffen wollte.”

„Was für ein Informant?”

„Das hat er mir nicht gesagt. Und das Ganze war auch nirgendwo offiziell vermerkt.”

„Wusste der Dienststellenleiter Bescheid?”

„Dienststellenleiter Gieselher sagte mir gegenüber, dass er davon nichts gewusst habe. Ich denke, Dirk hat ganz bewusst nur mich überhaupt über dieses Treffen informiert. Wir hatten immer ein besonderes Vertrauensverhältnis.”

„Sie haben das einfach so akzeptiert, dass Kommissar Andresen Ihnen nicht gesagt hat, wer der Top-Informant ist?”

„Ich habe natürlich nachgefragt. Er meinte, es sei besser, wenn ich nichts weiter dazu wüsste.”

„Wollte er Sie schützen oder…”

„....den Informanten?” Greta Dietmund hob die Augenbrauen. „Ich vermute letzteres. Jedenfalls hat er mir gesagt, dass nach diesem Treffen die Bombe hochgehen würde.”

„So hat er sich tatsächlich ausgedrückt?”, wunderte ich mich.

„Genau diese Worte hat er verwendet”, bestätigte Kommissar Dietmund. „Und er hat auch wörtlich gesagt: ‘Du wirst sehen, morgen ist Bellenborn fällig!”

„Er scheint sich sehr sicher gewesen zu sein.”

„Ja, das sehe ich auch so. Und für mich liegt auf der Hand, dass man ihn deshalb vorher umgebracht hast. Immerhin wissen wir wenigstens ziemlich sicher, wer der Täter ist.”

„Günter Pressburger”, sagte ich.

„Er verwendete eine Waffe, mit der er vor Jahren die Nummer 2 eines kriminellen Libanesen-Clans umgebracht hat”, erklärte Greta Dietmund. „Dieses Verbrechen konnte ihm auch anhand eines Ohr-Abdrucks an der Tür zweifelsfrei zugeordnet werden.”

„Ungewöhnlich, dass man von einem Profi-Killer den Ohr-Abdruck hat”, stellte ich fest.

„Günter Pressburger ist als junger Mann wegen eines Einbruchs festgenommen und anhand eines Ohrabdrucks an der Tür auch überführt worden.”

„Verstehe.”

„Anscheinend hat er später gemerkt, dass man man mit Auftragsmorden mehr Geld verdienen kann”, meinte Greta Dietmund.

Ich lehnte mich etwas zurück und ließ mir Greta Dietmunds Schilderungen nochmal durch den Kopf gehen.

„Was ich nicht verstehe ist folgendes: Günter Pressburger war ein Profi-Killer, aber wie kann es sein, dass ein Profi zweimal denselben Fehler macht und ein Ohr an eine Tür drückt und damit einen Abdruck hinterlässt, von dem er doch inzwischen gewusst haben muss, dass der genauso unverwechselbar ist wie ein Fingerabdruck. Schließlich hat es wegen des Einbruchs ja einen Prozess gegeben, in dem ihm das doch wohl eindrücklich vor Augen gehalten wurde!”

„Deswegen ist er ja verurteilt worden.”

„Eben! Aber damit nicht genug, noch einige Jahre später gräbt er eine uralte Waffe aus und erschießt damit Ihren Kollegen Dirk Andresen. Wenn ich das richtig sehe, kann man nur dadurch diesen Mord mit dem dem an dieser Clan-Größe in Verbindung bringen.”

„Und das ist wiederum der einzige Mord, der Günter Pressburger vor Gericht zweifelsfrei hätte nachgewiesen werden können”, bestätigte Kommissarin Dietmund. „Sie haben das schon richtig verstanden.

„Heißt das…”

„...Pressburger wollte, dass man ihm den Mord an meinem Kollegen zuordnet?”, nahm mir Kommissarin Dietmund die Worte aus dem Mund.

„Besser hätte ich des auch nicht formulieren können, Frau Dietmund.”

„Genau das denke ich, Herr Kubinke. Er hat eine Visitenkarte hinterlassen. Bei diesem Mord an der Clan-Größe konnte ihm die Zuordnung des Ohrabdrucks nicht mehr schaden. Pressburger war nämlich schon untergetaucht. Ich gehe davon aus, dass es eine Botschaft an seinen Auftraggeber war. Eine Art Signatur. Und dasselbe hat er jetzt bei meinem Kollegen Dirk Andresen praktiziert.”

„Von dieser Vermutung steht nichts in den offiziellen Akten”, mischte sich jetzt Rudi ein.

„Natürlich nicht”, sagte Greta Dietmund. „Denn wenn es sich tatsächlich so verhalten sollte, dann stellt sich doch gleich die Frage: Wer außer Angehörige der Polizei könnten mit dieser Signatur überhaupt etwas anfangen und sie richtig deuten? Nur Ermittler haben Zugang zu den Einzelheiten der Ermittlungsergebnisse.”

„Zumindest so lange das Ganze noch nicht bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht ist”, ergänzte ich.

„Aber Sie sehen, in welche Richtung meine Überlegungen gehen.”

„Günter Pressburger hatte einen Auftraggeber im Polizeipräsidium.”

„Die Vermutung liegt nahe. Glauben Sie mir, ich habe buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um da etwas voranzukommen und auch unser Dienststellenleiter Gieselher hat sich sehr dafür eingesetzt, dass in dem Fall mit Hochdruck ermittelt wurde. Jetzt haben wir zwar buchstäblich den Kopf des Täters, aber was den Auftraggeber angeht, sehe ich schwarz.”

„Sie machen uns nicht gerade Mut, Frau Dietmund”, sagte ich.

„Ich stelle nur realistisch die Ermittlungslage dar. Mehr nicht.” Sie atmete tief durch. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass ihr für einen Moment die Kontrolle über ihre Gesichtszüge entglitt. „Kommissar Andresen stand mir ziemlich nahe”, erklärte sie dann. „Wir haben über mehrere Jahre hinweg sehr eng zusammengearbeitet, und es wäre mir ein persönliches Anliegen, wenn die Schuldigen gefasst würden.”

„Das ist unter anderem unser Ziel”, sagte ich.

„Wenn das mit Ihrer Unterstützung doch noch gelingen sollte, dann wäre mir das ein ganz persönliches Anliegen. An meiner Unterstützung soll es jedenfalls nicht liegen.”

„Dann würde ich sagen: Auf gute Zusammenarbeit, Frau Dietmund”, sagte Rudi.

Sie nickte. „Danke.” Sie sah auf die Uhr. „Ich werde mich dann auf den Weg zu meiner zweiten Verabredung machen müssen.”

„Ich nehme an, wir sehen uns dann in Frankfurt.”

Sie stand auf und war schon beinahe bei der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte, so als gäbe es da noch etwas, was sie unbedingt loswerden wollte. Ihr Blick traf sich mit meinem. Was sie betraf, war es ein prüfender Blick. „Eine Sache sollten Sie noch wissen, Herr Kubinke”, sagte sie schließlich.

„Und welche?”

„Die ungeklärten Mordfälle, bei denen das Frankfurter Polizeipräsidium gelinde gesagt nicht so intensiv ermittelt hat, wie man es eigentlich erwarten dürfte, werden bis heute offiziell Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gangstergruppen im Rotlichtmilieu zugeordnet.”

„Ja, das erwähnten Sie bereits.”

„Das liegt natürlich daran, dass es sich bei den Opfern überwiegend um einschlägig bekannten Personen handelte. Allerdings gibt es auch noch eine andere Theorie, die das erklären würde. Eine, die allerdings niemand im Polizeipräsidium und auch niemand im Rathaus wirklich gerne hören möchte.”

„Wovon sprechen Sie?”

„Von einer sogenannten Todesschwadron.”

„Eine Todesschwadron aus Polizisten, die Kriminelle hinrichtet?”

„Es gibt seit langem Gerüchte darüber. Nichts Konkretes, nur Gerüchte. Aber wenn Sie sich die Fakten mal genauer ansehen und den Gesamtzusammenhang betrachten, dann werden Sie auch zugeben müssen, dass das eine Möglichkeit wäre, die alles erklären könnte.”

„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Frau Dietmund”, sagte ich.



10

Rudi und ich fuhren noch am Abend nach Frankfurt. Dazu nahmen wir einen einfachen, unscheinbaren Wagen aus den Beständen der Fahrbereitschaft.

Den Dienst-Porsche ließ ich am Hauptpräsidium stehen.

Wir fuhren zunächst noch nacheinander bei unseren jeweiligen Wohnungen vorbei. Ein paar Sachen mussten wir schließlich einpacken.

Später fuhren wir los.

Rudi telefonierte noch mit unserer IT-Spezialistin Lin-Tai Gansenbrink in Quardenburg. Da das Gespräch über die Freisprechanlage geführt wurde, konnte ich mithören.

Es ging im Wesentlichen darum, dass wir einen datentechnischen Abgleich sämtlicher Personen durchgeführt bekamen, die an den Fällen, derentwegen Andresen und Dietmund ermittelt hatten, in irgendeiner Weise beteiligt gewesen waren.

„Ich schlage vor, dass wir den Rahmen gleich möglichst groß und umfassend wählen”, schlug Rudi vor.

„Sie haben ja auch nicht die Mehrarbeit, die dadurch verursacht wird”, gab Lin-Tai zurück. Dass sie um diese Zeit noch an ihrem Arbeitsplatz anzutreffen war, war im übrigen nichts Ungewöhnliches. Es kam durchaus öfter vor, dass sie die normalen Bürozeiten einfach vergaß, wenn sie intensiv an einer Aufgabe arbeitete. Und davon abgesehen gab es natürlich auch immer wieder Dinge, die sofort überprüft werden mussten. Dinge, die keinerlei Aufschub duldeten, weil womöglich Menschenleben davon abhingen.

„Ich habe volles Vertrauen in Ihre Fähigkeiten”, meinte Rudi. „Sie werden schon den richtigen Ansatz wählen.”

„Vielen Dank für die Blumen, Rudi. Dass es sinnlos, mir zu schmeicheln, sollte sich eigentlich inzwischen herumgesprochen haben.”

„Keine Sorge, das hat es”, seufzte Rudi. „So war das auch nicht gemeint.”

„Na, dann bin ich ja beruhigt.”

„Es geht uns einfach darum, dass weder wir noch die Kollegin Dietmund bislang auch nur einen blassen Schimmer haben, wie genau die Zusammenhänge zwischen einer Reihe von Verbrechen unter Gangstern, dem Mord an Günter Pressburger und den Ermittlungen gegen das Polizeipräsidium sind.”

„Und Sie erhoffen sich Aufklärung durch die Macht der Mathematik”, schloss Frau Gansenbrink.

„Bleiben wir ruhig etwas bescheidener”, gab Rudi zurück. „Für einen Hinweis, in welche Richtung es gehen könnte, wären wir schon dankbar.”

„Gut, ich werde tun, was möglich ist.”

„Danke.”

„Ob so eine Suche nach mathematischen Relationen etwas bringt oder vielleicht sogar in die Irre führt, hängt im Grunde wesentlich von der Qualität und Vollständigkeit des Datenmaterials ab, das ich bekomme.”

„Wir haben Ihnen alles geschickt, was wir selbst bekommen haben”, sagte Rudi.

„Naja, genau da könnte das Problem liegen. Ich werde mal sehen, ob sich der Datenbestand noch etwas ergänzen lässt.”

„Was das betrifft, haben Sie ja meistens ein glückliches Händchen.”

„Was heißt hier meistens, Rudi?”

„Sollte man die Möglichkeit, zu scheitern, mathematisch betrachtet, nicht in seine Überlegungen einbeziehen?”

„Nicht, wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gegen Null geht, Rudi.”

„Ah, ja…”

„Halten Sie das nicht für Angeberei.”

„Sondern?”

„Für eine nüchterne Analyse.”

„Viel Glück, Lin-Tai. Falls Sie darauf angewiesen sind.”

Rudi beendete das Gespräch.

„Wollen wir hoffen, dass auch was dabei herauskommt, Rudi”, meinte ich.

„Du hast ja gehört: Jeder Zweifel daran ist quasi gegen die Naturgesetze.”

„Dieser Günter Pressburger ist für mich die entscheidende Figur in diesem Spiel”, meinte ich. „Wir müssen einfach noch mehr über ihn wissen. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet sein Kopf am Tor von Bellenborns Anwesen angebracht wurde.”

„Bellenborn hat sich dazu bisher nach den uns vorliegenden Unterlagen allenfalls ausweichend geäußert”, stellte Rudi fest. „Man könnte es auch unfreundlich formulieren und sagen, er hat einfach nur darum herum geredet und den Kollegen ein paar Allgemeinplätze über die Gefahren des organisierten Verbrechens erzählt.”

„Unrecht hat er da ja auch nicht”, meinte ich. „Aber abgesehen davon würde ein Profi-Killer wie Günter Pressburger auch ganz hervorragend in die Reihe der Mordopfer passen, bei denen sich die Frankfurter Polizei nach Ansicht von Andresen und Dietmund so auffällig zurückgehalten hat.”

„Ein Gangster, der mutmaßlich von Gangstern getötet wurde”, murmelte Rudi. „Bislang wissen wir fast gar nichts darüber, wie er in den letzten Jahren gelebt hat. Wir kennen seine Tarn-Identitäten nicht und es gibt bei etlichen Auftragsmorden, die mit ihm in Verbindung gebracht werden, nur Mutmaßungen darüber, dass die jeweilige Tat auf sein Konto gehen könnte.”

„Vielleicht wäre es schon hilfreich, wenn wir den Rest seiner Leiche finden würden“, meinte ich.

„Genau aus diesem Grund machen es uns die Täter in dieser Hinsicht offenbar nicht so leicht.”



11

Mündungsfeuer leckte wie eine rote Drachenzunge aus der Mündung der Automatik. Fünfmal hintereinander geschah das. Die Schüsse waren ohrenbetäubend laut.

Der Mann, der plötzlich mit einer Waffe in der Hand hinter einer Hausecke hervorgetreten war, hatte zwei Treffer in den Kopf und zwei in den Oberkörper bekommen. Ein dritter Schuss war daneben gegangen.

Gunnar Bellenborn wirbelte herum, als er aus den Augenwinkeln heraus von der anderen Seite eine Bewegung wahrnahm. Bellenborn feuerte sofort.

Drei Schüsse trafen die Frau mit Kinderwagen, ehe Bellenborn den Beschuss einstellte.

„So eine Scheiße!”, sagte er und riss sich den obligatorischen Ohrenschutz vom Kopf. Zwei volle Stunden hatte er jetzt schon in dem privaten Schießstand verbracht, den er im Keller seines Anwesens eingerichtet hatte. Die Räume waren absolut schalldicht isoliert. Man konnte im Rest des Hauses von der Schießerei nichts mitbekommen. Anders wäre das für seine Familie wohl auch unerträglich gewesen. Mehr als hundert Schuss hatte Gunnar Bellenborn in den letzten zwei Stunden hier unten verballert.

Die Simulationsanlage gehörte zum Besten, was es auf dem Markt gab. Die Drei-D-Effekte ähnelten denen im Kino. Bellenborn trug deswegen eine spezielle Brille, die ihn außerdem vor dem Schmauch der Waffe schützte.

Bellenborn betätigte das Terminal. Die Simulation stoppte. Und die eingeblendete Anzeige brachte es mit gnadenloser Deutlichkeit an den Tag: Ich bin schlechter geworden! Und zwar erheblich!

Eigentlich war das auch kein Wunder.

Es war schließlich lange her, dass er regelmäßig mit der Waffe trainiert hatte. Zu lange, wie es schien.

Eine Anzeige blinkte auf. ANZAHL DER LETALEN TREFFER AN UNBETEILIGTEN PERSONEN IM GESAMTEN DURCHGANG, stand dort in Großbuchstaben.

Die die Zahl dahinter war deprimierend.

Jeden Streifenpolizisten mit diesem Ergebnis würde ich sofort entlassen, dachte er. Es ist halt schon eine ganze Weile her, dass du selbst auf der Straße warst und in brenzligen Situationen Sekundenschnell die richtige Entscheidung treffen musstest…

„Gunnar”, sagte eine Stimme. Eine weibliche Stimme. Sie klang ziemlich energisch und etwas angenervt. So als wäre sie verstimmt darüber, dass sie ihn schon mehrfach angesprochen, aber keine Antwort erhalten hatte.

Gunnar Bellenborn drehte sich um. Seine Frau Jolanda stand da. Er hatte nicht bemerkt, dass sie den Raum betreten hatte und jetzt erinnerte er sich dunkel daran, dass sie vielleicht schon mehrfach zu ihm gesprochen hatte, ohne dass ihm das bewusst geworden war. Er war einfach zu sehr in seinen Gedanken gewesen. Fokussiert auf die Simulation.

„Was gibt es?”, fragte er.

„Schön, dass du doch nicht taub bist”, sagte Jolanda.

„Damit das nicht geschieht, trage ich ja auch einen Ohrenschutz”, sagte er und schaltete die Simulation jetzt ganz aus. Er hatte keine Lust, noch einen Durchgang zu machen. Nicht heute. Seine Laune war einfach zu schlecht. Und wenn er schlechte Laune hatte oder angespannt war, dann war seine Trefferquote einfach zu niedrig. Das wollte er unbedingt vermeiden.

Heute, so wusste er, machte er besser Schluss.

„Liebling, wir müssen über ein paar Dinge reden.”

„Jolanda…”

Er nahm das Magazin aus dem Griff der Automatik und die Brille ab.

„Mir gefallen diese Leute nicht, die jetzt im Haus sind, Gunnar.”

„Jolanda, du hast doch mitbekommen, was passiert ist.”

„Natürlich.”

„Jemand hat es auf mich abgesehen. Jetzt ist es noch der Kopf irgendeines Idioten, den sie am Tor aufgespießt haben! Als nächstes ist es vielleicht meiner.”

„Gunnar…”

„Oder deiner, Jolanda! Weiß Gott, ich bin froh, dass unser Sohn im Ausland studiert und nicht hier in der Gegend.”

„Mir gefallen die Leute nicht, die jetzt auf unserem Grundstück herumhängen, Gunnar.”

„Die hängen nicht herum, sondern sorgen für unsere Sicherheit, Jolanda”, stellte Gunnar Bellenborn unmissverständlich klar. „Private Security Guards. Männer, denen ich absolut vertraue.”

„Und warum vertraust du nicht dem Polizeischutz deiner eigenen Behörde?”, fragte Jolanda etwas verständnislos. „Du bist doch immer noch der Chef der Polizei.”

Gunnar Bellenborn ging auf seine Frau zu und fasste sie bei den Schultern.

„Ich habe meine Gründe”, sagte er.

„Du traust deinen ehemaligen Kollegen nicht zu, dass sie für unsere Sicherheit sorgen können? Gunnar, das erstaunt mich jetzt doch ziemlich.”

„Sagen wir so: Ich halte es für besser, nicht nur auf den Schutz der Frankfurter Polizei zu vertrauen. Einige der Männer, die uns jetzt bewachen und in nächster Zeit für unsere Sicherheit sorgen werden, sind übrigens ehemalige Polizisten. Ich kenne den einen oder anderen schon seit Jahren. Manche waren in meiner Abteilung, als ich noch Hauptkommissar war und andere habe ich selbst eingestellt - und wieder entlassen müssen, weil sie leider ein besseres Angebot aus der privaten Wirtschaft bekommen haben.”

„Ich weiß nicht...”

„Jolanda, ich möchte doch nur, dass wir in nächster Zeit einigermaßen ruhig schlafen können. Und diesen Leuten vertraue ich absolut. Die verstehen ihr Handwerk.”

„Da war übrigens so ein komischer Typ vom BKA… Du hast dich ja hier unten eingegraben und warst über Stunden nicht zu sprechen.”

„Jeder hat eben seine Art, mit der Situation fertig zu werden”, sagte Gunnar Bellenborn. „Die nächsten Tage werden auch für mich nicht leicht. Die Medien werden sich auf mich stürzen, es wird unzählige offizielle und halb offizielle Anhörungen geben, ich werde Erklärungen abgeben müssen und ich werde sehr aufpassen müssen, damit diese ganze Affäre einigermaßen spurlos an mir vorübergeht.” Er zog die Stirn in Falten. „Ein Typ vom BKA, sagst du?”

Sie nickte.

„Ja.”

Er sagte: „Da sollen zwei Kriminalinspektoren aus Berlin kommen, weil die den Luschen in Frankfurt wohl nicht allzu viel zutrauen. Aber eigentlich haben die sich erst für Morgen angesagt.”

„Nein, das war kein Kriminalinspektor, sondern ein Forensiker, der wie ein Hamburger spricht und angeblich zu einem sogenannten Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg gehört. Ich habe mir seinen Ausweis zeigen lassen.”

„Wenn er einen Gesprächstermin will, soll er sich mit meinem Sekretariat in Verbindung setzen. Wenn die glauben, sie können hier auftauchen, wann sie wollen…”

„Förnheim heißt er. Und er wollte dich gar nicht sprechen, obwohl ich ihm angeboten habe, dir Bescheid zu sagen.”

„Was wollte dieser Förnheim denn?”

„Sich alles genau ansehen. Er hat alle möglichen Untersuchungen am Tor und in der Umgebung durchgeführt. Inzwischen ist er nicht mehr da.”

„Es soll jeder seinen Job machen”, meinte Gunnar Bellenborn. „Und ich hoffe, dieser Forensiker macht seinen Job.”

„Gunnar, ich muss dich etwas fragen.”

„Was?”

„Kennst du den Mann, dessen Kopf auf das Tor gespießt wurde?”

„Was willst du jetzt damit andeuten, Jolanda?”

Er ließ sie los.

„Das war nur eine Frage”, gab Jolanda Bellenborn zurück. „Ich sollte gar nichts damit andeuten. Aber ich hätte gerne eine Antwort.”



12

Es war bereits dunkel, als wir Frankfurt erreichten. Die Stadt sah aus wie eine Galaxie aus unzähligen Lichtern. Nur dort, wo sich der breite Fluss befand, zog sich ein dunkler Streifen daher. Das war der Main.

Wir bekamen einen Anruf über die Freisprechanlage. Es war Friedrich G. Förnheim.

„Harry? Rudi? Wo seid ihr gerade?”

„Laut Navigationssystem eine Viertelstunde Fahrzeit von dem Hotel entfernt, das uns Kriminaldirektor Hochs Sekretärin gebucht hat”, sagte ich.

„Mit anderen Worten: schon so gut wie in der Stadt”, gab Förnheim zurück. „Das kommt unserer Ermittlungsarbeit sehr entgegen, würde ich sagen.”

An seine gestelzte Ausdrucksweise und den unverkennbar hamburgischen Akzent musste man sich bei ihm erst gewöhnen.

„Worauf wollen Sie hinaus?”, fragte ich.

„Ich habe Rudi die GPS-Koordinaten meines derzeitigen Aufenthaltsortes per Mail geschickt”, sagte Förnheim. „Die großangelegte Suchaktion nach dem Körper, der mutmaßlich zu dem aufgespießten Kopf gehört, war erfolgreich. Ich weiß, dass wir alle vermutlich einen harten Tag hatten, aber ich nehme an, dass Sie beide das hier jetzt trotzdem selber sehen wollen. Und in Ihr Hotel können Sie auch auch später noch fahren. Glauben Sie mir: Nachtruhe wird maßlos überschätzt, Harry.”

„Wir sind schon unterwegs”, versprach ich.



13

Wir erreichten einen wilden Schrottplatz am Rande von Frankfurt. Dutzende von Einsatzfahrzeugen waren bereits dort.

Wir stellten unseren Dienstwagen irgendwo an und stiegen aus.

Kollegen liefen über das Gelände und suchten nach Spuren. Lichtkegel von Taschenlampen blendeten auf und strichen dann suchend über den Boden.

Es gab hier augenscheinlich keine Beleuchtung. Die nächsten Laternen befanden sich in unmittelbarer Nähe zur Fahrbahn der Straße, über die uns unser Navi hierher geführt hatte.

Wir zeigten den Kollegen unsere Ausweise.

„Sie suchen sicher den Fischkopp aus Quardenburg”, meinte ein Kommissar. “Der so spricht, als wäre er Teil des Ohnesorg-Theaters!”

„Ja, das stimmt”, gab ich zu.

„Sehen Sie den Transporter da vorne, mit der Aufschrift ‘Die beste Pizza von Frankfurt?’”

„Sehe ich.”

„Da ist er. Und ich sage Ihnen eins: Sowas Furchtbares habe ich in all meinen Dienstjahren noch nicht gesehen. In dem Wagen sah es aus, wie in einem Schlachthaus. Aber Ihr Kollege aus Quardenburg scheint sich da richtig zu Hause zu fühlen. Er ist schon seit über einer Stunde nicht mehr aus dem Wagen ausgestiegen.”

„Klingt, als müsste man sich auf einiges gefasst machen.”

„Wir suchen gerade die Umgebung nach Spuren ab. Die Kollegen haben eine blutige Machete gefunden. Damit wurde vermutlich der Kopf abgetrennt. Außerdem gibt es ein paar Reifenspuren und Schuhabdrücke, bei denen aber nicht klar ist, ob sie wirklich etwas mit dem Verbrechen zu tun haben. Aber ich nehme an, unser Doktor Oberschlau wird dafür schon eine Erklärung finden.”

„Sie meinen Förnheim.”

„Müssen Sie öfter mit ihm zusammenarbeiten?”

„Er ist auf seinem Gebiet ein Top-Mann.”

„Ja, und er sorgt auch dafür, dass jeder mitkriegt, wie gut er ist und der Rest der Welt nur aus Idioten besteht. Stelle ich mir nicht so ganz einfach mit ihm vor.”

„Wir kommen schon mit ihm klar.”

Wir begaben uns zu dem Lieferwagen.

„Herr von und zu Förnheim?”, rief ich. Rudi und ich hatten sicherheitshalber schonmal Latexhandschuhe angelegt. „Wir sind’s! Harry Kubinke und Rudi Meier!”

„Kommen Sie bloß nicht herein!”, hörten wir Förnheims Antwort. Sie klang durch die geschlossene Hintertür des Transporters ziemlich dumpf.

Im nächsten Moment wurde die Tür von innen geöffnet.

Im Inneren des geschlossenen Transporters leuchteten mehrere Scheinwerfer, die mit Klemmen befestigt worden waren. Angesichts der Dunkelheit draußen blendete uns das Licht.

Förnheim sah uns an. Er war auf den ersten Blick kaum wieder zu erkennen, denn er trug einen Ganzkörperschutzanzug mit Kapuze. Nicht einmal sein Gesicht war noch ganz frei, denn er trug außerdem noch eine Schutzbrille.

„Bleiben Sie draußen!”, stellte Förnheim noch einmal unmissverständlich klar. „Es reicht, wenn ich Spuren vernichte. Das lässt sich wohl nicht vermeiden. Aber ich werde dafür sorgen, dass der Schaden so gering wie möglich ist.”

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2021
ISBN (ePUB)
9783738955507
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Schlagworte
krimi doppelband zwei krimis

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Krimi Doppelband 2218 - Zwei Krimis