Lade Inhalt...

Druiden, Banshees und Zentauren: 3 Fantasy Abenteuer

von Alfred Bekker (Autor:in) Mara Laue (Autor:in)
400 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Band enthält die Romane:

Druidenzauber (Alfred Bekker)

Die Banshee von Blackmore (Mara Laue)

Das Schwert der Zentauren (Mara Laue)

Als Fiona MacDonald mit ihrem Mann Cedric Blackmore auf seinem alten Familiensitz einzieht, glaubt sie, hier für alle Zeiten mit ihm glücklich sein zu können. Doch schon bald stellt sie fest, dass etwas Bedrohliches auf sie lauert und sie zu töten versucht. Schlägt der alte Familienfluch der Blackmores wieder zu? Oder hat die MacDonald-Hexe Fiona die Banshee auf den Hals gehetzt, weil sie gegen den Willen des Clans einen Engländer geheiratet hat? Ehe sie sich versieht, wird sie zum Spielball schwarzer Magie – und der einzige Mann, der ihr helfen kann, ist möglicherweise ihr größter Feind.

Die Tigani-Kriegerin Tana und ihre Leute werden verdächtigt, ein heiliges Schwerter der Zentauren gestohlen zu haben. Um das Leben ihrer Leute zu retten, die von den Zentauren als Geiseln festgehalten werden, muss Tana das Schwert zurückbringen. Zusammen mit dem Greif Namak und dem Zentaurenhäuptling Elmon begibt sie sich auf die gefahrvolle Suche.

Aber um die Zauberin der Blutgilde zu besiegen, die es gestohlen hat, muss Tana den mächtigsten Hexenmeister von Dáskarun aus dem Reich der Toten befreien. Doch der König der Toten verlangt dafür einen ungewöhnlichen Preis.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Druiden, Banshees und Zentauren: 3 Fantasy Abenteuer

Alfred Bekker, Mara Laue

Dieser Band enthält die Romane:


Druidenzauber (Alfred Bekker)

Die Banshee von Blackmore (Mara Laue)

Das Schwert der Zentauren (Mara Laue)



Als Fiona MacDonald mit ihrem Mann Cedric Blackmore auf seinem alten Familiensitz einzieht, glaubt sie, hier für alle Zeiten mit ihm glücklich sein zu können. Doch schon bald stellt sie fest, dass etwas Bedrohliches auf sie lauert und sie zu töten versucht. Schlägt der alte Familienfluch der Blackmores wieder zu? Oder hat die MacDonald-Hexe Fiona die Banshee auf den Hals gehetzt, weil sie gegen den Willen des Clans einen Engländer geheiratet hat? Ehe sie sich versieht, wird sie zum Spielball schwarzer Magie – und der einzige Mann, der ihr helfen kann, ist möglicherweise ihr größter Feind.




Die Tigani-Kriegerin Tana und ihre Leute werden verdächtigt, ein heiliges Schwerter der Zentauren gestohlen zu haben. Um das Leben ihrer Leute zu retten, die von den Zentauren als Geiseln festgehalten werden, muss Tana das Schwert zurückbringen. Zusammen mit dem Greif Namak und dem Zentaurenhäuptling Elmon begibt sie sich auf die gefahrvolle Suche.

Aber um die Zauberin der Blutgilde zu besiegen, die es gestohlen hat, muss Tana den mächtigsten Hexenmeister von Dáskarun aus dem Reich der Toten befreien. Doch der König der Toten verlangt dafür einen ungewöhnlichen Preis.


Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER C Wittel und 123RF Motiv - Steve Mayer, 2021

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred


Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Druidenzauber

von Alfred Bekker


Ein Patricia Vanhelsing-Roman

Der Umfang dieses Buchs entspricht 105 Taschenbuchseiten.


Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen? Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle.

In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.


Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de


1

Maraguene, die Druidin, starrte auf das lodernde Feuer, das von halb versteinerten Knochen umgrenzt wurde.

Die Flammen tauchten das Gesicht der jungen Frau in ein weiches Licht. Das lange, rotstichige Haar fiel ihr bis weit über die Schultern.

Schatten tanzten an den feuchten Wänden des gewaltigen Höhlengewölbes...

Es war keine gewöhnliche Höhle...

Hunderte von bleichen Totenschädeln waren an der gewölbeartigen Kuppel befestigt, die die Höhlendecke bildete.

Seit Urzeiten hingen diese Schädel dort. Der Blick eines jeden von ihnen war genau ausgerichtet. Sie sahen in die Mitte der Höhle.

Dorthin, wo das Feuer brannte.

Die junge Frau schloss die Augen, breitete die Arme aus und murmelte kaum verständliche Worte vor sich hin.

Sie versuchte, sich zu konzentrieren...

Ihr Götter des Alten Volkes, gebt mir eure Kraft! Lasst sie durch mich hindurchfließen und mich damit Gutes tun...

Ihr feingeschnittenes Gesicht verzog sich wie unter Schmerzen.

Ihre Haut verlor die Farbe. Sie wurde totenbleich...

Irgend etwas ist dort!, wurde es ihr klar. Irgend etwas, das nicht hier her gehört...

Sie griff sich an die Schläfen.

Dieser pochende Schmerz...

Ihre Augen öffneten sich. Pupillen und Iris waren nicht mehr zu sehen. Das gesamte Auge war von einem hellen Blauton erfüllt.

Ihr Alten Götter! Was ist das nur?

Sie griff vor sich, wo ein eigenartig geformter Totenschädel auf dem Boden lag. Ein Schädel mit seltsamen Verwachsungen und...

...zwei Gesichtern!

Ihre Hände hoben den zweigesichtigen Schädel langsam an und zitterten dabei.

Eine fremde geistige Macht!, durchzuckte es sie. Das ist es, was ich fühle... Nein, das ist nicht die Macht der Götter des Alten Volkes... Die wäre mir vertraut!

Maraguene schauderte.

Sie hatte das Gefühl, als ob eine eisige Hand sich auf ihre Schulter gelegt hätte.

Sie spürte instinktiv, dass hier etwas vor sich ging, das sie nicht mehr kontrollierte. Etwas, dass mit ihrem Zauberritual kaum etwas zu tun haben konnte...

Schritte waren jetzt zu hören. Sie hallten zwischen den Höhlenwänden wider.

Die junge Frau erhob sich.

Ungläubig blickte sie sich um, während aus den verschiedenen dunklen Höhlengängen, die von diesem hohen Schädelgewölbe sternförmig ausgingen, jetzt mit langen, weißen Gewändern bekleidete Gestalten traten. Sie trugen in der Rechten Fackeln, deren Flammen hoch aufloderten.

Mit der Linken hielten sie eigenartige, bronzefarbene Masken, die ausgesprochen konturlos wirkten. Lediglich die Augenlöcher waren klar erkennbar, sonst waren sie so glatt, als handelte es sich um Rohlinge, die ausgearbeitet werden mussten.

"Was tut ihr hier?", rief Maraguene. "Und wer seid ihr?"

Die Weißgekleideten blieben stehen.

"Wir sind hier, weil wir Ihre Hilfe brauchen, Maraguene", sagte einer von ihnen.

Es handelte sich um einen hageren Mann in den Fünfzigern, dessen Gesicht einen ausgesprochen aristokratischen Eindruck machte.

Maraguene sah ihn fassungslos an.

"Sie, Professor von Schlichten?"

Der Angesprochene nickte.

"Sträuben Sie sich nicht, Maraguene... Sie sind eine Frau mit einer überaus starken übersinnlichen Begabung. Aber die Macht, der wir dienen, ist stärker. Ihr Widerstand würde nur Ihre Leiden verlängern..."

"Gehen Sie! Sie entweihen diesen Ort!", rief Maraguene. "Die Götter des Alten Volkes werden so einen Frevel nicht ungesühnt lassen!"

Von Schlichten lächelte matt.

"Die Macht, der wir dienen ist auf jeden Fall stärker, Maraguene... Du solltest dich fügen! Um deinetwillen!"

Wie auf ein geheimes Zeichen hin nahmen die Weißgekleideten ihre bronzefarbenen Masken und hoben sie vor ihre Gesichter.

Mit einem Zischlaut verschmolzen die Masken auf gespenstische Weise mit den Gesichtern ihrer Träger. Das eigenartige, goldähnliche Metall, aus dem sie bestanden, veränderte seine Form. Die Masken schmiegten sich an die Gesichter ihrer Träger an, bildeten deren Züge nach.

Maraguene erstarrte.

Sie fühlte den furchtbaren Druck einer fremden geistigen Macht hinter ihren Schläfen. Sie presste die Hände dagegen.

Tierische, knurrende Laute gingen indessen von den Maskenträgern aus. Sie kamen näher und ihre Maskengesichter veränderten sich aufs Neue.

Sie bildeten jetzt nicht mehr die menschlichen Züge ihrer Träger ab, sondern verformten sich zu grotesken, tierhaften Fratzen, die an die Geistergesichter erinnerten, wie man sie in den Schnitzereien von Totempfählen finden konnte.

Die Weißgewandeten näherten sich von alle Seiten.

Ein Singsang erhob sich.

"Macanuet ketasarem Cayamu...", murmelten die Maskenträger, während sie sich Maraguene weiter näherten.

Die Druidin schrie, presste die Hände gegen den Kopf und taumelte zu Boden. Dicht neben dem Feuer kam sie zu Boden.

Der doppelgesichtige Schädel entfiel ihren zitternden Händen, fiel direkt in die Flammen. Meterhoch, fast wie bei einer Explosion, schossen sie empor und veränderten ihre Farbe. Die Flammen wurden blau, wie Maraguenes Augen. Fast bis zur Decke dieses Höhlengewölbes züngelten sie empor, um im nächsten Moment völlig zu verlöschen.

Maraguene lag reglos auf dem Boden, zusammengekrümmt wie ein Fötus. Sie schien bewusstlos zu sein.

Einer der Maskenträger ging auf sie, während die anderen eine Art Kreis bildeten.

Der Maskenträger kniete sich neben die am Boden liegende junge Frau, fasste sie bei der Schulter und drehte sie herum.

Seine Maske verlor indessen die tierhaften Züge. Die großen Reißzähne und das gewaltige Maul bildeten sich zurück. Von Schlichtens menschliche Züge bildeten sich auf dem Metall naturgetreu ab.

Von Schlichten ergriff mit beiden Händen die Ränder der Maske, die sich daraufhin mit einem zischenden Geräusch löste. Die untrennbar erscheinende Verbindung zwischen seinem Gesicht und dem eigenartigen Metall, aus dem die Maske gefertigt war, existierte nicht mehr. Die Maske verlor jegliche Kontur, war wieder glatt und ähnelte nun dem schlichten Helmvisier eines Ritters.

Von Schlichten nahm die Maske ab.

Er lächelte kalt.

"Werde eine von uns, Maraguene!", flüsterte er. "Werde eine Dienerin von Cayamu!"

Der Chor der anderen Maskenträger antwortete ihm dumpf.

"Macanuet ketasarem Cayamu!"

Beinahe zärtlich legte von Schlichten der bewusstlosen Maraguene die Maske an. Mit einem zischenden Geräusch verschmolz sie mit ihrer Haut und bildete in atemberaubender Perfektion ihre Gesichtszüge wider.

"Du wirst es nicht bereuen, Maraguene", flüsterte von Schlichten. "Das Ende der Welt steht vor der Tür und die große Katastrophe naht... Aber für dich wird es jetzt Rettung geben. Auf Cayamus Welt, im Schein der Doppelsonne!"



2

Ich saß an einem gedeckten Tisch bei Antonio's, einem der zahlreichen italienischen Restaurants in London. Kerzen brannten und tauchten das Gesicht meines Gegenübers in ein weiches Licht. Es war Tom, der Mann, den ich liebte.

Tom Hamiltons meergrüne Augen musterten mich.

"Worüber denkst du nach, Patti?", fragte ich.

Wir hatten beide einen ziemlich harten Tag im Dienst der LONDON EXPRESS NEWS hinter uns, bei dem wir beide als Reporter angestellt waren. Allerdings hatten wir uns heute noch nicht gesehen, denn als ich ins Redaktionsbüro gekommen war, war Tom längst zu einem Interview unterwegs gewesen.

Zwischendurch hatten wir kurz per Handy miteinander gesprochen und uns für den Abend hier verabredet.

Tom nahm meine Hand und hielt sie zärtlich.

"Irgend etwas ist los", sagte er. "Ich kenne dich doch...

Was beschäftigt dich?"

"Weißt du, ich bin heute bei der Arbeit im Archiv auf ein sehr merkwürdiges Foto gestoßen..."

"Deinem Gesicht nach, zeigt es mich in flagranti mit der Redaktionssekretärin..."

Ich hob die Augenbrauen und musste unwillkürlich lächeln.

"Wäre es denn möglich, dass so ein Foto auftaucht?", erwiderte ich.

"Wenn ich jetzt ja sage, haben wir garantiert keinen schönen Abend mehr!"

"Da du nicht sofort nein gesagt hast, haben wir den sowieso nicht mehr!"

Wir lachten beide.

Dann atmete ich tief durch, unsere Blicke trafen sich und verschmolzen miteinander. Ein heißer Schauer lief mir dabei den Rücken hinunter. Ich liebe dich, Tom!, dachte ich.

"Nun sag schon", meinte er. "Was verdirbt dir so die Laune? Bevor das nicht raus ist, bist du mit deinen Gedanken doch nicht bei Antonio's Küche oder diesem vorzüglichen Lambrusco..."

"Du hast recht", gab ich zu.

"Also?"

"Es geht um Dietrich von Schlichten..."

"Den Archäologie-Professor, mit dem wir in den Anden waren?"

"Genau."

Zusammen mit Dietrich von Schlichten und seinem Forscherteam waren wir vor einigen Wochen in die Tiefen des fast 4000 Meter hoch in den südamerikanischen Anden gelegenen Titicaca-Sees hinabgetaucht und auf eine rätselhafte, von grauenerregenden Krakenmonstern bevölkerte Ruine einer Unterwasserstadt gestoßen, die nun nach einem Unterwasserbeben im Seegrund begraben war. Die Freude darüber, überhaupt an dieser Expedition teilnehmen zu können, hatte mich zunächst übersehen lassen, dass von Schlichten mich aus einem ganz bestimmten Grund mitgenommen hatte. Er hatte gewusst, dass ein Kontakt zu den Maquatli genannten Krakenwesen vermutlich nur durch ein übersinnlich begabtes Medium möglich war - so wie es auch die einheimischen Indios seit Jahrhunderten praktizierten.

"Weißt du Tom, ich bin seit unserer Rückkehr aus Südamerika einfach nicht über die Tatsache hinweggekommen, dass Dietrich von Schlichten von Anfang an über die Tatsache Bescheid wusste, dass ich über eine leichte übersinnliche Begabung verfüge."

Ich gab mir nämlich alle Mühe, dies so geheim wie irgend möglich zu halten, denn allzu oft hatte ich gesehen, dass es für den Betreffenden nur Unglück mit sich brachte, wenn seine Fähigkeiten bekannt wurden. Das Schicksal meiner - ebenfalls parapsychich begabten - Mutter war mir dabei immer eine Warnung.

Im Grunde genommen wussten nur sehr wenige Menschen über meine Fähigkeit Bescheid, die sich vornehmlich in seherischen Träumen und Visionen äußerte.

Einer dieser Menschen war meine Großtante Elizabeth Vanhelsing - für mich Tante Lizzy - bei der ich nach dem frühen Tod meiner Eltern aufgewachsen war. Sie hatte mich erst auf meine Gabe, wie sie es immer genannt hatte, aufmerksam gemacht und mir dabei geholfen, sie als Teil meiner selbst zu akzeptieren.

Und natürlich wusste auch Tom Hamilton Bescheid.

Der Mann, den ich liebte und mit dem ich schon eine ganze Reihe von Abenteuern bestanden hatte, in denen die Welt des Übersinnlichen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatte.

Tom zuckte die Achseln.

"Worauf willst du hinaus?", fragte er.

"Erinnerst du dich an die Erklärung, die mir von Schlichten in Südamerika gab, als ich ihm auf den Kopf zu sagte, dass er mich nur meiner Begabung wegen mitgenommen hätte?"

"Er hat über dich recherchiert, Patti. Klingt doch plausibel."

"Ich war immer sehr vorsichtig."

"Patti, du bist selbst Rechercheurin und weißt doch, was man alles über einen Menschen herausfinden kann, selbst wenn man lediglich öffentlich zugängliche Quellen benutzt! Es ist erstaunlich! Internet, Archive, Bibliotheken... Die Informationen liegen heutzutage auf der Straße! Man muss aus der Datenflut nur das richtige herausfiltern und wissen, wo man ansetzen kann... Aber was sag' ich dir! Du ist doch selbst eine Meisterin darin!"

"Ja, ja..."

"Er hat deine Artikel analysiert und mit anderen Informationen abgeglichen. Denk nur an das Archiv deiner Großtante, in dem sie alle nur erdenklichen Informationen über außergewöhnliche Ereignisse oder übersinnlich begabte Personen, Okkultismus und verwandte Gebiete sammelt. Sie trägt ein Informationsschnipselchen zum anderen, sammelt sie sorgfältig. So entsteht dann nach einiger Zeit auch das Bild eines Menschen, über den man eigentlich gar nichts wissen dürfte..."

"Tom, ich wollte das ja gerne glauben und ich habe mir genau diese Argumente auch immer wieder selbst vorgebetet... Bis ich auf das Foto stieß..."

Ich griff zu meiner Handtasche und holte den vergilbten Ausschnitt hervor.

Es stammte aus der schottischen Lokalausgabe der LONDON EXPRESS NEWS, die allerdings nach kurzer Zeit wieder eingestellt worden war, weil sie sich wirtschaftlich einfach nicht getragen hatte. Das Bild zeigte Dietrich von Schlichten im Gespräch mit einem anderen Mann, der nicht namentlich erwähnt wurde. Der dazugehörige Artikel trug den Titel NAHT DAS ENDE DER WELT? - KONGRESS DER PROPHETISCHEN GESELLSCHAFT TAGTE.

Tom sah sich das Bild und den Artikel eingehend an und zuckte dann mit den Schultern.

"Ich muss gestehen, dass ich noch immer nicht so recht weiß, worauf du nun eigentlich hinauswillst, Patti!"

"Darauf, dass es viel mehr Sinn macht, anzunehmen, dass von Schlichten vielleicht Teil einer sehr mächtigen Organisation ist. Einer Organisation, die ganz andere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung hat und im übrigen auch über mich sehr gut Bescheid wissen dürfte..."

"Sprichst du von dieser PROPHETISCHEN GESELLSCHAFT, von der hier die Rede ist?"

"Die PROPHETISCHE GESELLSCHAFT ist eine Tarnorganisation, hinter der wahrscheinlich der ORDEN DER MASKE steckt."

"Der Name kommt mir bekannt vor", meinte er ernst.

Tom war bereits während seiner Zeit als Agentur-Korrespondent in Asien auf die Machenschaften dieser Weltuntergangssekte gestoßen. "Ich muss gestehen, dass ich allerdings nicht mehr über diese Vereinigung weiß, als dass sie äußerst skrupellos ist und auch vor Mord nicht zurückschreckt."

Ich nickte. "Die Mitglieder des ORDENS DER MASKE glauben daran, dass in Kürze das Weltenende kommt. Sie stehen über ihre Masken in Verbindung mit Cayamu, einem mysteriösen Wesen, das auf dem Planeten einer Doppelsonne lebt. Im Augenblick der großen Katastrophe wird Cayamu seine Anhänger entmaterialisieren und in seine Welt holen. Zuvor ist es die Aufgabe der Ordensmitglieder, auf den Weltuntergang durch Terror und Sabotage hinzuarbeiten. Und dadurch, dass sie Verbindungstore zwischen Cayamus Welt und der Erde errichten..."

"Das Geschwätz von Verrückten!", meinte Tom. "Ich erinnere mich an deine Artikel darüber... Ich war erst kurze Zeit hier bei den NEWS!"

"Tom, ich war auf Cayamus Welt", sagte ich. "Zu gerne würde ich glauben, dass es sich nur um - wenn auch gefährliche - Verrückte handelt. Aber Cayamu existiert wirklich!"

"Davon stand aber nichts in deinen Artikeln!"

"Glaubst du, Swann hätte es gedruckt?"

"Er hätte dich zum Arzt geschickt!"

"Genau."

Tom legte den Artikel auf den Tisch. Ich deutete mit dem Finger auf den Mann, der neben von Schlichten stand. "Das ist Sir Charles Grayer, der in der Hierarchie des ORDENS eine wichtige Rolle spielte..."

"Spielte?", echote Tom.

"Er starb in den Wäldern Yukatans..."

"Du bist damals dorthin gereist, nicht wahr?"

"Ja, zusammen mit einem Privatdetektiv namens Ashton Taylor, der sich dem Kampf gegen verbrecherische Sekten gewidmet hatte. Im Regenwald Yukatans befand sich eine Ruine der sogenannten Talketuan-Kultur, die lange vor den Mayas existierte und nach wie vor wenig erforscht ist. Der ORDEN versuchte, dort ein Verbindungstor zu Cayamus Welt zu errichten..."

"Du hast mir nie näheres von dieser Reise erzählt..."

"Vielleicht wird es Zeit, das nachzuholen, Tom!"



3

Später gingen wir Arm in Arm durch die nebligen Straßen Londons. Ich erzählte Tom alles, was es über die Yukatan-Reise und den ORDEN DER MASKE zu erzählen gab.

Angefangen von der Tatsache, dass Sir Charles Grayer meinen verschollenen Großonkel Frederik Vanhelsing einst auf einer archäologischen Forschungsreise begleitete, die die Erforschung der mittelamerikanischen Talketuan-Kultur zum Ziel gehabt hatte, über die furchtbare Wirkung der geheimnisvollen Masken, mit deren Hilfe sich die Talketuan-Priester in GEISTER DER SONNE verwandelt hatten, bis hin zu der Tatsache, dass ich selbst mehrfach diese Masken aufgesetzt hatte. Ich hatte die Welt Cayamus gesehen. Eine seltsame, fremdartige Welt, die vom eigenartigen Zwielicht zweier Sonnen beschienen wurde.

Und ich hatte Cayamus mentale Kraft gespürt. Um ein Haar wäre ich eine willfährige Dienerin dieses unmenschlichen Wesens geworden war, das die Erde in Besitz zu nehmen gedachte.

"Was willst du jetzt unternehmen, Patti?", fragte Tom irgendwann. "Möglicherweise gehört Professor von Schlichten zum ORDEN DER MASKE. Aber mehr als einige vage Indizien hast du dafür nicht..."

Ich seufzte.

"Ja, ich weiß..."

"Und vielleicht tust du dem Mann sogar Unrecht!"

"Gut möglich. Andererseits lässt mich der Gedanke daran nicht los... Mir war immer schon klar, dass ich irgendwann wieder einmal etwas von diesem ORDEN hören würde.“

"Gibt es denn noch irgendwo Tore zu Cayamus Welt?", fragte Tom.

"Ich weiß es nicht... Tom, dieser Orden verfügt über eine Macht, die wir uns nicht im entferntesten vorstellen können!"



4

In dieser Nacht blieb ich bei Tom und fuhr nicht nach Hause zu Tante Lizzy, in deren Villa ich die obere Etage bewohnte.

Ich wollte einfach nicht allein sein.

In Toms Armen schlief ich ein.

Und doch fand ich keine wirkliche Ruhe.

Wirre Träume plagten mich. Ich befand mich in Tante Lizzys verwinkelter viktorianischer Villa, die - von meinen Räumen abgesehen - mit ihrer okkulten Bibliothek sowie zahllosen archäologischen Fundstücken vollgestopft war, die ihr verschollener Mann Frederik von seinen Forschungsreisen mitgebracht hatte.

So auch die bronzefarbene Maske, mit deren Hilfe sich die Talketuan-Priester in Geister der Sonne verwandelt hatten...

Ich setzte die Maske auf.

Das Metall verschmolz mit einem Zischlaut mit meinem Gesicht. Mein Puls raste und ein eisiger Schauer ging mir über den Rücken. Gleichzeitig berührte eine geistige Kraft mein Inneres...

Mentale Energie...

Mir schauderte davor.

Nein!

Ich versuchte die Maske, wieder vom Gesicht zu nehmen, aber das war unmöglich. Sie war ein Teil von mir geworden, mit mir verwachsen. Meine Hände fühlen über die kalte, metallene Oberfläche... Sie hatte sich verändert. Ich erschrak. Die Form änderte sich, während ich die Maske berührte. Ein großes, tierhaftes Maul bildete sich, Zähne traten hervor... Dicke Wülste wölbten sich über die Augen.

Ich wollte schreien und hörte nur einen dumpfen, tierhaften Laut! Ich bewegte mich wie eine Marionette, an unsichtbaren Fäden von einer fremden Macht gezogen... Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte.

"Patti!", hörte ich eine Stimme wie aus weiter Ferne. Es war Tante Lizzys Stimme.

Ich ging auf sie zu, knurrte drohend, breitete die Arme aus, während die alte Dame mit schreckgeweiteten Armen vor mir zurückwich...

Ich schreckte hoch.

"Nein!", schrie ich und meine Hände strichen über mein Gesicht, rieben daran, um die Maske herunterzureißen...

Schweißgebadet saß ich da, während Tom neben mir erwachte und mich bei den Schultern fasste.

"Patti!"

"Tante Lizzy! Mein Gott... Ich wollte doch nicht...ich..."

Ich stammelte wirres Zeug. Einige Augenblicke vergingen, ehe ich wirklich begriff, dass ich mich in Toms Wohnung in der Ladbroke Grove befand. Das, was ich gesehen hatte, war nur ein Traum gewesen. Eine Erinnerung an einen der schlimmsten Augenblicke meines Lebens.

In jenem Moment hatte nicht viel gefehlt, und ich hätte Tante Lizzy unter dem Einfluss Cayamus getötet...

"Oh, Tom!", flüsterte ich. Ich schmiegte mich an ihn. Er hielt mich fest, strich mir zärtlich über das Haar und den Rücken.

"Eine deiner Visionen?", fragte Tom.

"Ich hatte diese Maske auf... Es war so furchtbar!"

"Das ist vorbei, Patti. Du bist hier bei mir..."

"Ja, ich weiß..."

Langsam beruhigte ich mich. Und dann hatte ich plötzlich einen Namen im Kopf. Er lag mir einfach auf der Zunge, und ich flüsterte ihn vor mich hin.

"Maraguene..."

"Was sagst du?", fragte Tom.

"Maraguene...", wiederholte ich, nicht minder verwirrt als Tom.

"Was soll das sein?"

"Ich weiß es nicht."

"Vielleicht ein Name?"

"Dieses Wort war plötzlich in meinem Kopf. Tut mir leid, aber mehr kann ich dazu nicht sagen..."



5

Am nächsten Tag erwartete mich im Redaktionsbüro der LONDON EXPRESS NEWS ein Tag mit viel Routine. Irgendwann kam mein Kollege Jim Field an meinem Schreibtisch vorbei und knallte mir einen Datenträger auf den Schreibtisch.

"Hallo Patti! Lange nicht gesehen", meinte er und lächelte verschmitzt. Mit einer lässigen Bewegung strich er sich das viel zu lange blond gelockte Haar zurück. In seinem ausgebeulten Jackett und den kaputten Jeans wirkte er wie ein übriggebliebenes Relikt aus der Flower-Power-Zeit - obwohl er selbst damals wohl noch in den Windeln gelegen hatte.

"Hallo, Jim", sagte ich und lehnte mich in meinem Drehstuhl etwa zurück. "Wo bist du die letzte Woche gewesen? Ich habe schon befürchtet, du hättest deinen Abschied von den NEWS genommen, ohne mir was davon zu sagen!"

"So schlecht denkst du von mir, Patti?", lachte er. Jim war der Starfotograf der NEWS. Und seit einiger Zeit liebäugelte er mit einem Wechsel zur Konkurrenz.

Früher hatten wir oft zusammengearbeitet und waren vielfach ein Team gewesen. Ein sehr gutes Team sogar.

"Ich war in der Bretagne", berichtete Jim. "So eine rührselige Fotostory, du kennst das ja... Ricky Allison - sagt dir der Name etwas?"

"Ich weiß nicht!"

"Ein Uralt-Schnulzensänger. Mach mal den Plattenschrank deiner Großtante auf, ich wette da findest du was von ihm. Er hat seit Jahren keine Platte mehr rausgebracht, und ich bezweifle, ob er überhaupt noch in der Lage wäre, ein Konzert durchzustehen. Aber das braucht er längst nicht mehr. Ricky hat sich beizeiten eine goldene Nase verdient..."

"Klingt ja nach einer wahnsinnig interessanten Story", meinte ich ironisch.

"Du, das wird der Aufmacher morgen!"

"Ich fasse es nicht!", meinte ich. Was war mit unserem Chefredakteur Michael T. Swann los? Hatte ihn am Ende der journalistische Instinkt verlassen? Wenn man mit so einer Schlaftablette aufmachte, konnte man jedenfalls kaum erwarten, damit die Auflage zu steigern.

Jim grinste mich an.

Und ich wusste sofort, dass er mir etwas verschwiegen hatte.

Wahrscheinlich den interessantesten Teil der Geschichte.

"Ricky Allison ist zum viertenmal verheiratet. Seine Frau ist dreißig Jahre jünger und litt unter Leukämie. Sie war von den Ärzten schon aufgegeben worden, aber - oh Wunder! - eine selbsternannte Druidin, die in der Bretagne in einem alten normannischen Schloss wohnt, hat Mrs. Allison geheilt!" Jims Gesicht wurde etwas ernster, als er fortfuhr: "Du weißt, dass ich immer skeptisch gegenüber allem eingestellt war, was mit übersinnlicher Begabung, Okkultismus oder verwandten Gebieten zu tun hatte. Aber diese Sache war schon beeindruckend. Mrs.

Allison ist von mehreren Ärzten untersucht worden. Es wurden keine Symptome mehr festgestellt. Die Erkrankung war nicht mehr nachweisbar..." Er hatte plötzlich einen etwas nach innen gekehrten Blick. "Diese Maraguene war schon eine beeindruckende Persönlichkeit, dass ich muss ich sagen..."

"Maraguene?", echote ich.

Der Klang dieses Namens versetzte mir einen Stich.

Genau dieses Wort hatte mir in der Nacht auf der Zunge gelegen.

"Ja", sagte er. "So nannte sich die Druidin. Natürlich war das nicht ihr bürgerlicher Name, sondern der, den ihr die Götter des Alten Volkes gegeben hätten... Naja, Zirkuskünstler haben ja auch falsche Namen..."

Ich war plötzlich mit den Gedanken ganz woanders.

Jims Geplauder hörte ich wie aus großer Ferne.

Statt dessen hallte immer wieder dieser Name in meinem Inneren wider.

Maraguene...

Für Bruchteile von Sekunden sah ich das Gesicht einer jungen Frau vor mir. Sie hatte ebenmäßige, hübsche Züge, ein glatte helle Haut. Das Haar war blond mit einem deutlich Stich ins Rote.

Ihre Augen!

Sie waren vollkommen von einem leuchtenden Blau erfüllt.

Maraguene...

Das muss sie sein, durchschoss es mich. Die Druidin...

In ihren Händen hielt sie einen Totenschädel, auf dem dunkle Schatten tanzten. Es war ein besonderer Totenschädel.

Er besaß zwei Gesichter...Innerhalb eines Augenaufschlags verwandelte sich dieser Schädel. Er schimmerte bronzefarben, verformte sich und plötzlich hatte die junge Frau eine jener Talketuan-Masken in den Händen, wie sie vom ORDEN DER MASKE benutzt wurden.

Ein eisiger Schauer überkam mich.

Mein Puls begann zu rasen.

"Heh, Patti, was ist los mit dir?", hörte ich Jim. "Du siehst bleich aus, soll ich dir 'nen Schluck Kaffee bringen?"

"Ja", sagte ich wie automatisch.

Ich sah, wie die junge Frau die Maske vor ihr Gesicht nahm und anlegte. Es zischte. Ihre Haut verband sich mit dem Metall, das ihre Züge bis in das kleinste Detail nachmodellierte. So fein, wie kein Bildhauer dieser Welt es vermocht hätte. Aber die Verwandlung kam nicht zum Stillstand. Sie schritt weiter voran. Maraguenes Züge lösten sich wieder auf und machten etwas anderem Platz.

Ich erwartete eine tierhafte Fratze zu sehen, das gespenstische Zerrbild eines menschlichen Gesichtes...

Ich dachte, dass sie sich in eine Bestie, einen Geist der Sonne verwandelte, so wie ich es nicht zum ersten Mal bei Angehörigen des ORDENS DER MASKE gesehen hatte.

Aber das geschah keineswegs.

Statt dessen bildete sich auf der kalten Metalloberfläche der Maske ein durch und durch menschliches Antlitz.

Das Gesicht eines Menschen, mit dem zusammen Tom Hamilton und ich noch vor kurzem an den Ufern des Titicaca-Sees in den Anden gewesen waren...

"Dietrich von Schlichten!", stieß ich hervor.



6

"Wer bitte?", fragte Jim und reichte mir dabei einen Pappbecher mit Kaffee. "Hier, vielleicht bringt das deine Lebensgeister zurück."

Ich nahm den Kaffee, atmete tief durch und nippte dann an der dünnen Brühe. Unser Verlag war bei seinen Mitarbeitern für seine Sparsamkeit berüchtigt. Das schloss den Redaktionskaffee ein. Er war entsetzlich dünn.

"Danke, Jim", murmelte ich.

"Was war los?"

"Muss die Wetterumstellung sein. Mir war plötzlich nicht gut." Ich blickte auf den Datenträger, den er mir auf den Schreibtisch gelegt hatte. "Was soll ich damit eigentlich?"

"Ach so, hätte ich fast vergessen... Das ist der Bericht einer deutschen Zeitung, den wir übernommen haben. Dalglish hat ihn übersetzt - aber du weißt ja: Er hat exzellente Fremdsprachenkenntnisse, nur seine Muttersprache beherrscht er nicht richtig. Er schreibt grauenhaft, aber Mr. Swann meinte, du kriegst es hin, aus Dalglishs Übersetzung einen richtigen Artikel zu machen..."

Ich verdrehte die Augen.

Schließlich wusste ich, wie Dalglishs Übersetzungen aussahen und wie viel Arbeit mir da noch bevorstand.

Jim grinste.

"Viel Spaß... Übrigens, der Artikel ist von einem gewissen Peter Schneider. Er hat dasselbe Spezialgebiet wie du: Übersinnliches und Okkultismus!"



7

Die Mittagspause nutzte ich, um im Archiv zu recherchieren.

Die Informationen, die über die 'Druidin' Maraguene in den großen stählernen Aktenschränken lagerten, waren mehr als spärlich. Ab und zu hatte es mal eine Pressenotiz über sie gegeben. Immerhin bekam ich heraus, dass ihr bürgerlicher Name Sophie Leroc war. Der letzte aus dem Adelsgeschlecht der Guraneaux hatte ihr seinen Familiensitz vermacht, aus Dankbarkeit dafür, dass Maraguene ihn in seinen letzten Lebensjahren von unerträglichen Gelenkschmerzen befreit hatte.

Vielleicht würden sich in Tante Lizzys Archiv noch nähere Informationen finden.

Ich hoffte es.

"Hallo Patti!", ließ mich eine bekannte Stimme aufhorchen.

Ich schrak regelrecht ein bisschen zusammen.

"Oh, Tom, ich..."

"Es war nicht meine Absicht, dir einen Schrecken einzujagen", lächelte er. Der Blick seiner meergrünen Augen musterte mich einen Augenblick lang. Ein Blick, der mir noch immer durch und durch ging. Obwohl wir uns schon so vertraut waren, gab es doch immer noch Geheimnisse aneinander zu entdecken.

"Ich dachte mir, dass du hier unten bist", meinte er.

"Ach, ja?"

"Schließlich kenne ich dich gut genug, um zu wissen, dass dich die Sache mit von Schlichten nicht loslässt..."

Ich zuckte die Achseln. "Da hast du allerdings recht..."

"Ich habe etwas meine Beziehungen spielen lassen, die ich aus meiner Zeit als Agentur-Korrespondent noch besitze... Es gibt da schon einige Dinge, die etwas merkwürdig an diesem Mann sind. Zum Beispiel seine Einkünfte! Er unternimmt teure Expeditionen, die von keiner Universität und keinem Forschungsinstitut unterstützt werden. Außer gelegentlichen Vorträgen in aller Welt hat er auch nirgendwo Lehrverpflichtungen. Und doch müssen da irgendwelche Geldquellen sein..."

"Das passt ins Bild", meinte ich.

"Übrigens scheint er auch keinerlei festen Wohnsitz zu haben..."

"Ich weiß, wo er sich im Augenblick aufhält", erklärte ich, nicht ohne Triumph in der Stimme.

Tom hob die Augenbrauen. "Ach, ja?"

"In der Bretagne!"

Und dann erzählte ich ihm von meiner Vision. Selten war ich mir über die Bedeutung einer solchen übersinnlichen Erscheinung sicherer gewesen, als in diesem Fall.



8

"Sie meinen also, auf neue Spuren des ORDENS DER MASKE gestoßen zu sein", meinte Michael T. Swann und atmete danach tief durch.

Tom Hamilton und ich saßen in den schlichten, dunklen und reichlich abgewetzten Ledersesseln, die unser Chefredakteur in seinem Büro für Besucher vorgesehen hatte. Er fuhr sich mit einer fast verzweifelten Geste durch das schütter gewordene Haar und schüttelte dann den Kopf. "Und deswegen müssen Sie natürlich gleich in die Bretagne..."

"Sie erinnern sich doch noch an..."

"...an Ihre letzte Story über diesen ORDEN?", unterbrach mich Swann. "Wo Sie mit diesem dubiosen Privatdetektiv zusammengearbeitet haben? Ich muss sagen, ich hatte Bauchschmerzen dabei..."

"Es gibt Polizeiakten, die die Gefährlichkeit dieses ORDENS eindrucksvoll bestätigen. Es ist nicht anzunehmen, dass die Mitglieder dieser Vereinigung ruhig dasitzen und die Hände in den Schoß legen. Sie warten auf den Tag der Katastrophe, an dem Cayamu sie retten wird. Und sie sind verpflichtet, alles dafür zu tun, dass der Weltuntergang sich beschleunigt..."

"Und wie kommen Sie darauf, dass der vor kurzem noch so von Ihnen verehrte und in den höchsten Tönen gelobte Professor Dietrich von Schlichten ein Mitglied dieser Sekte sein soll? Und wieso ausgerechnet die Bretagne und diese Druidin, über die Jim gerade eine Reportage gemacht hat? Eine Frau, die bestenfalls eine Quacksalberin ist - aber doch keine fanatische Sektenanhängerin!"

Ich seufzte. Natürlich konnte ich Swann gegenüber nicht damit kommen, dass ich Visionen gehabt hatte, die sich genau so deuten ließen. In den letzten Jahren hatte ich mir bei Swann mit meiner Arbeit einen gewissen Respekt erworben, aber der wäre mit einem Schlag verloren gewesen, hätte ich ihm so etwas aufgetischt.

Also sagte ich: "Ich habe einen sehr glaubwürdigen Informanten, Mr. Swann."

Swann hob die Augenbrauen, kam hinter seinem völlig überfüllten Schreibtisch hervor und krempelte sich die Ärmel hoch.

"Wer ist das?"

"Ich habe ihm absolute Anonymität zugesichert. Sein Leben kann davon abhängen. Sie wissen, dass der ORDEN DER MASKE auch in der Vergangenheit in seinen Methoden bei der Beseitigung unliebsamer Zeitgenossen nicht gerade zimperlich war..."

Swann atmete tief durch.

Er kratzte sich am Hinterkopf und überlegte.

"Sie sind beide keine Anfänger", sagte Swann dann. "Und in der Vergangenheit konnte ich mich auf Ihre Spürnase immer verlassen..."

"Außerdem ist eine Reise in die Bretagne doch nur ein Katzensprung", gab Tom zu bedenken. "Nicht zu vergleichen mit einem Trip in die Anden! Auch von den Kosten her!"

"Sie haben mein Okay", sagte Swann. "Sorgen Sie dafür, dass Jim Field den Kontakt zu dieser Maraguene herstellt. Schließlich kennt sie ihn und vertraut ihm bis zu einem gewissen Grad. Es wäre natürlich sinnvoll, wenn Mr. Field Sie begleiten könnte, aber der ist ab übermorgen damit beschäftigt Johnny Depp bei den Dreharbeiten zu seinem neuesten Streifen zu begleiten..."



9

Ich kam an diesem Tag früh nach Hause. Tante Lizzy war in ihrer Bibliothek, deren Regale völlig überfüllt waren.

Überall reihten sich staubig gewordene, dicke Folianten aneinander. Okkulte Schriften, obskure Studien zur Parapsychologie, magische Geheimschriften... Dazwischen immer wieder archäologische Fundstücke, die ihr verschollener Mann von seinen Reisen mitgebracht hatte, sowie verschiedene okkulte Gegenstände, die Tante Lizzy im Laufe der Zeit erworben hatte. Götterstatuen längst untergegangener Kulturen waren ebenso dabei wie afrikanische Geistermasken, Totems, Voodoo-Fetische oder Kristallkugeln.

Tante Lizzy war jedoch nicht allein. Gemeinsam mit einem älteren Herrn mit schlohweißem Haar und deutlichem Bauchansatz kniete sie auf dem Fußboden, der über und über mit aufgeschlagenen Büchern bedeckt war.

Die beiden blickten auf.

Der ältere Herr, der sich eigens ein Kissen unter die Knie gelegt hatte, damit ihn der harte Parkettboden in Tante Lizzys Bibliothek nicht zu sehr schmerzte, erhob sich und Tante Lizzy folgte seinem Beispiel. Dem sehr seriös wirkenden konservativ gekleideten Mann war es offensichtlich sehr peinlich in dieser Lage beobachtet worden zu sein. Denn ansonsten wirkte er keineswegs so, als pflegte er besonders legere Umgangsformen. Sein dreiteiliger Anzug, aus dessen Weste die Kette einer Taschenuhr heraushing, ließ ihn eher aristokratisch erscheinen.

"Hallo, Patti!", begrüßte mich Tante Lizzy. "Dies ist Professor George Kalmany, ein ehemaliger Kollege von Frederik. Professor Kalmany, meine Großnichte Patricia Vanhelsing!"

Kalmany reichte mir die Hand, machte einen Schritt nach vorn und musste dabei darauf acht geben, nicht auf ein wertvolles Originalexemplar der ABSONDERLICHEN KULTE zu treten, jenem okkulten Standardwerk, das ein deutscher Okkultist um die Jahrhundertwende in mittelalterlichem Latein verfasste, um zu verhindern, dass die darin enthaltenen Beschwörungsformeln allzu leicht in die Hände Unbefugter gelangten.

Der Name dieses Okkultisten war Hermann von Schlichten - von dessen Urenkel Dietrich ich jetzt annahm, dass der dem ORDEN DER MASKE verfallen war.

"Mrs. Vanhelsing hat mir einiges über Sie erzählt, Miss Vanhelsing", erklärte Kalmany. "Und zugegeben - auch ich lese ab und zu die LONDON EXPRESS NEWS, obwohl ich eigentlich etwas anspruchsvollere Lektüre bevorzuge. Aber die Schrift ist so groß und das entlastet meine Augen ungemein..."

Bevor ich etwas sagen konnte, meinte Tante Lizzy: "Professor Kalmany ist Sprachwissenschaftler. Genauer gesagt: Spezialist für alte Sprachen und vergleichende Linguistik. Und ich habe ihn zu Rate gezogen, weil ich da auf etwas gestoßen bin, was mir einfach keine Ruhe gelassen hat, seit Tom und du von eurer Reise in die Anden zurückgekehrt seid!"

Ich sah Tante Lizzy überrascht an.

Bislang hatte sie mir nichts dergleichen gesagt. Zwar hatte sie - wie üblich - sich die Nächte mit ihren Studien um die Ohren geschlagen und in alten Folianten gelesen, aber das war bei ihr nichts Ungewöhnliches.

"Worum geht es?", fragte ich.

"Um eine Frage, die mir am ehesten ein Sprachwissenschaftler beantworten kann und daher habe ich Professor Kalmany gebeten, mich zu unterstützen..."

"Nun mach es nicht so spannend!"

Indessen blickte der Professor auf die Uhr und sein Gesicht veränderte sich. Er erschrak.

"Es tut mir leid, Mrs. Vanhelsing. Die Zeit bei Ihnen ist im Flug vergangen und ich habe gar nicht bemerkt, wie die Stunden dahingegangen sind. Leider habe ich jetzt noch einen Termin, den ich unmöglich ausfallen lassen kann... Der ROYAL CLUB OF ANCIENT HISTORY erwartet einen Vortrag von mir, und ich werde mich schon sehr beeilen müssen, um nicht zu spät zu kommen!"

"Oh", sagte Tante Lizzy, "das tut mir leid!"

"Wenn Sie nichts dagegen haben, setzen wir unsere Studien morgen fort."

"Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, wenn Sie Ihre kostbare Zeit..."

"Aber Mrs. Vanhelsing! Das ist keineswegs ein Opfer für mich!", lächelte er.

"Warten Sie, ich bringe Sie zur Tür!", kündigte Tante Lizzy an, dann sah sie vor sich auf den Boden und trat im Storchenschritt zwischen den aufgeschlagenen Folianten hindurch - jeder von ihnen von unschätzbarem Wert und für jemanden, der an okkulten Fragen interessiert war, geradezu unersetzlich.



10

Wenig später kehrte Tante Lizzy zu mir in die Bibliothek zurück. "Es geht um folgendes", sage sie ohne weitere Umschweife, und in ihren Auge brannte das unbändige Feuer einer Forscherin, deren Energie einfach nicht erlahmte, so sehr man auch glaubte, dass sie sich längst hätte verausgaben müssen. "Diese Beschwörungsformel, mit der die Indios am Titicaca-See diese Krakenwesen herbeiriefen..."

"MAQUATLI QUERESEN K'YARAM'NUR...", murmelte ich. Diese Worte waren mir noch gut im Gedächtnis... Augenblicke des Grauens verbanden sich für mich damit.

"Ja, genau", nickte Tante Lizzy. "Ich bin auf eine eigenartige Veröffentlichung im Internet gestoßen. Der Verfasser war anonym. Und die entsprechenden Seiten sind jetzt auch nicht mehr aufzufinden. Zum Glück habe ich sie mir ausdrucken lassen... In dieser Arbeit wurde die These aufgestellt, dass die Beschwörungsformel der Indios am Titicaca-See und jene Formel, mit der die Mitglieder des ORDENS DER MASKE die mentale Verbindung zu Cayamus Welt, einer bislang noch nicht entschlüsselten Sprache entstammen könnten, die möglicherweise Jahrtausende vor der Talketuan-Kultur in Yucatan und Süd-Mexiko gesprochen wurde..."

Ich musste mich setzen.

Was Tante Lizzy sagte, machte Sinn.

Macanuet ketasarem Cayamu... Der Singsang der Maskenträger hallte in meinem Inneren wider. "Wie kann man anhand so spärlicher Stichproben, die nur aus wenige Wörtern bestehen eine Sprachverwandtschaft behaupten?", fragte ich.

"Der anonyme Verfasser des Artikels glaubt, die Silbenschrift der eben erwähnten Vor-Talketuan-Kultur vollständig entschlüsselt zu haben und daraus das gesamte Wortmaterial der beiden Beschwörungen isolieren zu können. Professor Kalmany hält es durchaus für möglich, dass etwas an diesen Thesen dran ist..."

"Und es gibt wirklich keinen Hinweis auf den Verfasser?"

Tante Lizzy zuckte die Achseln. "Er ist zweifellos mit den Hermann von Schlichtens ABSONDERLICHEN SCHRIFTEN und den Abhandlungen Sir Charles Grayers vertraut. Das grenzt den Kreis der in Frage kommenden Personen natürlich ein."

Bilder stiegen aus meiner Erinnerung empor. Es waren noch sehr frische Bilder...

Während unserer Taucharbeiten im Titicaca-See, hatte mich eine mysteriöse Kraft an einen Ort geholt, der in den Legende der Indios den Namen DAS REICH JENSEITS DER KÄLTE

trug. Ein dunkler, fast lichtloser Meeresgrund, bevölkert von grauenerregenden krakenhaften Tentakelwesen in jeder nur vorstellbaren Größe. Ich hätte nicht einmal sagen können, wie lange ich an jenem furchtbaren Ort gewesen war, denn die Zeit war dort anders verlaufen. Ein Umstand, dem ich vermutlich mein Leben verdankte, denn der Inhalt meiner Sauerstoffflasche war bereits ziemlich zur Neige gegangen.

Ein dunkler Höllenschlund, jenseits von Zeit und Raum...

"Könnte es nicht sein, dass sich das REICH JENSEITS DER KÄLTE, in das die Krakenwesen verbannt worden waren, in Cayamus Welt befand?", fragte ich tonlos. Tante Lizzy sah mich nachdenklich an. Jede Einzelheit meiner Erlebnisse hatte ich ihr geschildert. Sie nickte leicht.

"Daran hatte ich auch gedacht", erklärte sie.

"Dann ergibt es auch einen Sinn, dass Dietrich von Schlichten höchstwahrscheinlich ein Mitglied im ORDEN DER MASKE ist..."

"Was?" Tante Lizzy sah mich entsetzt an. "Das meinst du nicht im Ernst!"

Ich berichtete Tante Lizzy von meinem Verdacht und dem, was ich bisher darüber herausgefunden hatte. Und ich erzählte von der Druidin Maraguene und meiner Vision...

"Der ORDEN DER MASKE wollte mit meiner Hilfe dafür sorgen, dass diese furchtbaren Krakenmonster das REICH JENSEITS DER KÄLTE verlassen..."



11

Die halbe Nacht schlug ich mir mit Recherchen in Tante Lizzys Archiv um die Ohren, wobei sie mich natürlich tatkräftig unterstützte. Mit ihrer unbändigen Energie stellte die alte Dame so manche Jüngere mühelos in den Schatten.

Es fanden sich tatsächlich einige Artikel über Maraguene.

Demnach war sie bereits als Kind mit ihrer Begabung aufgefallen. Weitere Hinweise auf Verbindungen zum ORDEN DER MASKE gab es allerdings nicht.

"Die Ziele des Ordens widersprechen eigentlich auch dem, was Maraguene immer wollte", meinte Tante Lizzy. "Wenn man nach diesen Artikeln geht, dann war ihr die Heilung von Kranken immer besonders wichtig. Dazu hat sie ihre - zweifellos vorhandenen - mentalen Energien verwendet. Nicht zur Zerstörung."

"Vielleicht waren ihre Kräfte nicht stark genug, um sich dem Einfluss Cayamus zu entziehen", murmelte ich. Ich selbst hatte diesen Einfluss ja auch bereits zu spüren bekommen. Und ich wusste, wie schwer es war, sich dagegen abzuschirmen.

Allein die Erinnerung an jene furchtbaren Augenblicke, in denen ich die Maske getragen hatte, ließen mich schaudern.

Der Morgen graute schon, als wir bei einer Tasse Kaffee in der Küche saßen.

"Ich hatte eigentlich einen sehr guten Eindruck von Professor von Schlichten", sagte Tante Lizzy etwas traurig. "Ich hoffe, dass sich seine Verbindung zum ORDEN DER MASKE als Irrtum herausstellt..."

"Das hoffe ich mit dir", sagte ich.

"Auf dem Empfang, den ich im Vorfeld eurer Anden-Expedition für ihn gegeben habe, hatte ich den Eindruck, eine verwandte Seele zu treffen. Jemanden, dem dieselben Dinge am Herzen liegen wie mir. Ein Mann, der sein Leben der Erforschung des Ungewöhnlichen gewidmet hat - ohne Rücksicht auf die Meinung seiner Zeitgenossen..." Sie seufzte. Bewunderung schwang in ihrem Tonfall mit. "Aber er wäre nicht der erste, der dem ORDEN DER MASKE nicht freiwillig dient", setzte sie dann noch hinzu. "Und vielleicht gibt es eine Möglichkeit, von Schlichten aus dem Einfluss dieser Sekte zu befreien."

Ich erwiderte das matte Lächeln, dass sich auf Tante Lizzys Gesicht zeigte.

Dass ihre Einschätzung reichlich optimistisch war, brauchte ich nicht auszusprechen. Ich war überzeugt davon, dass sie es im Innersten selbst wusste.

Ich nippte an meinem Kaffee, stützte den Kopf auf die linke Hand und schloss für einige Augenblicke die Augen.

Ich war wirklich hundemüde und hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich den nächsten Tag im Redaktionsbüro der LONDON EXPRESS NEWS überstehen sollte...

Wahrscheinlich würden meine Artikel, die ich dann in die Computertastatur hackte, sprachlich noch mangelhafter sein, als die Übersetzungen meines Kollegen Dalglish.

Ich stellte mir vor, wie Michael T. Swann in seiner Verzweiflung meine Artikel Dalglish zur Überarbeitung gab und schmunzelte unwillkürlich...

Doch dann machten diese inneren Bilder plötzlich anderen Platz.

Ich sah einen Mann vor mir. Ein gehetzt wirkendes Gesicht mit blassblauen Augen. Die Wangen von grauen Bartstoppeln überwuchert...

Es war unübersehbar, dass dieser Mann Angst hatte.

Todesangst.

Er stieg aus seinem Wagen. Der Wind fuhr ihm durch das Haar. Er schlug sich den Kragen seines dunkelgrauen Wollmantels hoch. Die Finger zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete...

Undeutlich nahm ich die Umgebung wahr, in der sich der Mann befand.

Es war ein Schiff.

Genauer: Eine Autofähre. In großen Lettern war ihr Name zu sehen: CHANNEL QUEEN. Darunter etwas kleiner die Strecke, auf der dieses Schiff eingesetzt wurde: BOULOGNE SUR MER - FOLKSTONE.

"Patti, was ist los?", fragte Tante Lizzy. "Du bist ja ganz blass geworden!"

Ich hörte ihre Stimme wie aus sehr großer Entfernung. Sie klang wie ein fernes, undeutliches Echo. Für Augenblicke war ich an Bord dieser Fähre. Ich wusste plötzlich den Namen dieses Mannes. Er hieß Jason Matthews, war Engländer und für Bruchteile von Sekunden konnte ich die namenlose Angst spüren, die ihn verfolgte.

Er flüsterte einen Namen.

"Maraguene..."

Und dann sah ich, wie sich etwas in seinen Augen spiegelte.

Bronzefarbene Masken, die zuerst konturlos waren und sich dann in tierhafte Fratzen verwandelten...

"Patti!"

Tante Lizzy hatte mich an den Schultern gefasst. Sie sah mich besorgt an.

"Halte mich jetzt nicht für verrückt", sagte ich.

"Aber, Patti. Habe ich das jemals getan?" Sie strich mir das Haar zurück. "Du hattest eine Vision, nicht wahr?"

Ich nickte.

"Ein Mann ist auf einem Schiff von Boulogne-sur-Mer nach Folkstone oder wird es bald sein, ich weiß es nicht genau. Er kommt auf direktem Weg aus dem Chateau Guraneaux - jenem Schloss, auf dem Maraguene residiert. Er ist auf der Flucht vor den Maskenträgern..." Ich atmete tief durch und fühlte den Puls wie wild schlagen. "Ich muss los", sagte ich.

Ich war schon fast bei der Tür, als Tante Lizzys Stimme mich zurückhielt.

"Wohin denn? Meine Güte, was hast du vor, Kind?"

"Nach Folkstone", sagte ich. "Vielleicht komme ich noch nicht zu spät und dieser Mann ist noch in der Lage mir meine Fragen zu beantworten..."



12

Ich stieg in den kirschroten Mercedes 190, den Tante Lizzy mir geschenkt hatte und brauste damit durch die nächtlichen Straßen Londons. In diesen frühen Morgenstunden, bevor die Stadt wirklich erwacht und der Berufsverkehr begonnen hatte, konnte ich recht schnell vorankommen.

Unterwegs rief ich Tom per Handy an.

Er klang nicht gerade sehr begeistert, als ich ihn aus dem Bett klingelte und ihm in knappen Worten auseinandersetzte, worum es ging. "Tom, bitte, komm einfach mit! Ich weiß nicht, wem ich mich anvertrauen sollte..."

Tom seufzte.

"Wann wirst du hier sein?"

"In der Ladbroke Grove Roads? In fünf bis zehn Minuten, wenn mich keine Polizeistreife unterwegs anhält, weil ich zu sehr auf das Gaspedal trete!"

"Okay, okay... Ich werde fertig sein!"

"Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann!"

"Ich hoffe, du weißt das zu schätzen!"

"Weiß ich, Tom... Bestimmt!"

"Okay."

"Tom?"

"Ja?"

"Ich liebe dich."

"Ich dich auch, Patti!"

Einige Minuten später erreichte ich die Ladbroke Grove Road. Tom wartete bereits am Straßenrand auf mich. Ich hielt an, er stieg ein.

Seine meergrünen Augen sahen mich an, während ich den 190er wieder losfahren ließ.

"Das klang ja sehr dringend, Patti!"

"Das ist es auch."

"Eine Frühstückspause hast du nicht zufällig eingeplant, oder?"

"Tom, es geht um das Leben dieses Jason Matthews..."

"Du kennst seinen Namen?"

"Ja."

Tom seufzte. "Du kannst dir schon mal überlegen, was wir Mr. Swann erzählen... Schließlich werden wir kaum pünktlich in der Redaktion sein können, wenn wir jetzt nach Folkstone fahren."

"Swann rufen wir von unterwegs aus an." Ich blickte kurz auf die Uhr. "Noch ist es dafür allerdings zu früh... Jetzt ist noch nicht einmal er in der Redaktion..."

Ich hoffte nur, dass wir nicht zu spät kamen...

"Das, was du in deiner Vision gesehen hast - ist das etwas, was noch geschieht oder etwas, das bereits geschehen ist?", fragte Tom irgendwann in die Stille hinein.

"Ich weiß es nicht", sagte ich. "Ich weiß es wirklich nicht..."



13

Jason Matthews stand an der Reling und blickte zu der grauen Nebelbank hinüber, die vor der englischen Ärmelkanalküste lag.

Eine halbe Stunde noch, dachte er. Dann bin ich in Folkstone.

Matthews war allen anderen Passagiere aus dem Weg gegangen und hatte sich meistens an Deck aufgehalten. Er traute niemandem, nicht einmal dem Schiffspersonal.

Sie waren überall...

Das wusste er inzwischen nur zu gut.

Und das war auch der Grund dafür, dass er nicht die Tunnelverbindung nutzte, durch die man inzwischen den Ärmelkanal noch wesentlich schneller als mit der Fähre überqueren konnte. Aber damit würden sie sicherlich rechnen und dann bestand die Gefahr, dass seine Verfolger ihn irgendwo abpassten und...

Ihn fröstelte allein bei dem Gedanken daran, was mit ihm geschehen konnte.

Ein eisiger Schauder überlief seinen Rücken.

Mattthews hatte weder den Tunnel, noch die geläufigere Schiffsverbindung Calais-Dover benutzt, sondern war gewissermaßen auf eine 'Nebenstrecke' ausgewichen. In Boulogne-sur-Mer, einem kleinen, verschlafenen Hafenstädtchen in der Normandie, hatte er die erste Fähre genommen, die in See stach.

Sein Plan schien aufgegangen zu sein.

Matthews ging ans Heck, nahm die Zigarette mit zittrigen Händen aus dem Mund und schleuderte sie hinaus in die See.

Der scharfe Wind pfiff ihm kalt um die Ohren.

Die Nebelbänke rückten näher.

Wie wird es weitergehen?, fragte Matthews sich. SIE sind überall... Sie werden mich finden. Früher oder später. Ich habe keine Chance...

Matthews versuchte ruhig durchzuatmen.

Er schloss die Augen.

Der Mann war völlig übernächtigt und doch hätte er jetzt keinen Schlaf finden können.

Erinnerungen stiegen in ihm auf. Bilder, die so absurd und gleichzeitig so grauenhaft waren, dass man über ihnen den Verstand verlieren konnte...

Du wirst zu niemandem darüber sprechen können, Jason Matthews!, wurde ihm plötzlich klar. Zu niemandem! Es sei denn, du legst Wert darauf, dich im Handumdrehen in einer geschlossenen Abteilung wiederzufinden!

Schwere Schritte ließen Matthews zusammenzucken.

Er drehte sich ruckartig herum.

Ein großer, breitschultriger Mann war an Deck gekommen.

Eine Tür öffnete sich, ein zweiter Mann kam ins Freie.

Die beiden kamen auf Matthews zu, dessen Hände sich um die Reling krampften, bis die Knöchel weiß wurden.

Die beiden Männer warfen sich einen kurzen Blick zu. Wie auf ein geheimes Zeichen hin, holten sie etwas metallisch Glänzendes unter ihren Jacken hervor.

Masken!

Sie hoben die Masken und setzten sie an ihre Gesichter.

Mit einem Zischlaut verschmolzen sie auf gespenstische Weise mit ihrer Haut und bildeten innerhalb eines einzigen Augenblicks die Konturen ihrer Gesichter naturgetreu nach.

"Lasst mich!", rief Mathews. "Ich werde nichts sagen... Ich werde..."

Ein dritter und ein vierter Mann stiegen in diesem Moment die Treppen vom Oberdeck herab. Auch sie trugen metallisch glänzende Masken...

Ihre Gesichter verzogen sich auf grauenhafte Weise.

Monströse Mäuler mit riesigen Zähnen bildeten sich. Das Metall machte jetzt einen weichen, geschmeidigen Eindruck.

Auf geheimnisvolle Weise war es ähnlich beweglich, wie organisches Gewebe...

Fauchende und knurrende Laute drangen dumpf unter den Masken hervor, während die vier ihr Opfer eingekreist hatten.

Matthews schlug der Puls bis zum Hals. Die Angst raubte ihm nahezu den Verstand.

Mit Entsetzen registrierte er, dass sich nicht nur die Gesichter seiner Gegenüber verändert hatten, sondern auch ihre Hände... Sie hatte dieselbe bronzeartige Färbung wie die Masken!

Vielleicht hatten sich sogar ihre gesamten Körper verändert...

Matthews machte eine schnelle Bewegung.

Er riss einen Revolver unter dem Mantel hervor.

"Kommen Sie nicht näher!", rief er. "Bleiben Sie, wo Sie sind, oder..."

Die maskierten Gestalten kümmerten sich nicht um Matthews Gezeter.

Unbarmherzig setzten sie einen Fuß vor den anderen. Der gedachte Halbkreis, den sie um Matthews zogen wurde immer enger. Matthews blickte sich kurz um. Hinter ihm war nichts als das unruhige Meer... Graues, kaltes Wasser, das ebenso den Tod bedeutete, wie die Begegnung mit diesen unheimlichen Gegnern.

Gegnern, deren äußeres Erscheinungsbild jetzt den letzten Rest von Menschenähnlichkeit verloren hatte...

Matthews feuerte.

Zweimal drückte er ab.

Er traf einen der Maskierten mitten in die Brust.

Die Projektile zerfetzten den Stoff der Jacke und den Pullover, den er darunter trug. Ein metallisches Geräusch ertönte, als die Kugel auftraf. Sie wurde als Querschläger weitergeschickt und ritzte ein paar Meter weiter den Lack.

Durch die Löcher, die die Kugeln in die Kleidung gerissen hatten, schimmerte es metallisch.

Katzengleich schnellten die maskierten Tiermenschen jetzt vor. Mörderische, messerscharfe Krallen ragten aus den Fingern heraus. Ihre zahnbewehrten Mäuler waren weit aufgerissen.

Jason Matthews schrie und verschoss die letzten vier Patronen seines Revolvers in der grausamen Gewissheit, dass ihm das nicht helfen konnte...

Es gab nichts mehr, was er tun konnte.

Sein heiserer Todesschrei verlor sich auf der grauen See, während die ersten Nebelschwaden die CHANNEL QUEEN erreichten...



14

Als wir Folkstone erreichten, war die Frühfähre aus Boulogne-sur-Mer längst eingelaufen.

Es war ein diesiger, grauer Tag, an dem es vermutlich bis zum Abend nicht richtig hell werden würde. Das Meer rauschte, die Möwen kreischten und graue Nebelbänke lagen wie ein uraltes, trostloses Gemäuer vor der Küste.

Selbst die typischen bunten Holzhäuser, vorwiegend in blau und rosa, konnten den Eindruck von Düsternis nicht verdrängen.

Folkstone war eine kleine Hafenstadt, der es nicht allzu gut ging, seit der Ärmelkanal-Tunnel das Fährgeschäft beträchtlich hatte zurückgehen lassen. Wie die Perlen einer Kette lagen die bunten Häuser direkt an der Küstenstraße.

Als wir den Hafen erreichten, war dort bereits ein beträchtlicher Menschenauflauf.

Polizisten versuchten, die Leute etwas auf Distanz zu halten.

"Da scheint etwas passiert zu sein!", stellte Tom fest.

"Ich fürchte, wir kommen zu spät", murmelte ich.

Ich stellte den Wagen irgendwo am Straßenrand ab. Wir stiegen aus und drängelten uns durch die Menschenmenge. Tom hatte zum Glück daran gedacht, seinen Fotoapparat mitzunehmen.

"Patricia Vanhelsing, LONDON EXPRESS NEWS!", stellte ich mich dem ersten Polizisten vor, der nicht im Traum daran dachte, uns auch einen Meter weiter auf das Hafengelände zu lassen.

"Tut mir leid, Sie können hier trotzdem nicht durch", sagte der Officer. "Auch wenn Sie von der Presse sind..."

"Was ist passiert?"

"Sie werden später eine Pressemitteilung bekommen, Miss..."

"Es hat einen Toten gegeben, nicht wahr? Ein Mann namens Jason Matthews, der von Boulogne-sur-Mer aus übersetzen wollte..."

Der Officer sah mich entgeistert an.

"Soll das heißen, dass Sie eine Aussage zur Sache machen können?"

"Möglicherweise."

"Aber, wie können Sie wissen, dass..."

"Nehmen Sie Ihr Walkie Talkie und fragen Sie den Beamten, der die Untersuchung leitet, ob er mit mir reden will..."

Der Polizist wirkte etwas unschlüssig.

"Nun machen Sie schon!", setzte Tom hinzu. "Oder wollen Sie am Ende dafür geradestehen, wenn wertvolle Zeit verplempert wurde?"

Das riss den Beamten aus seiner Lethargie. Er griff nach seinem Funkgerät.



15

Wenig später wurden Tom und ich an Bord der CHANNEL QUEEN geführt. Dort herrschte reger Betrieb. Ich kannte das von anderen Tatorten, die ich als Reporterin besucht hatte.

Spurensicherer mit Latexhandschuhen suchten überall nach Fingerabdrücken, kleinen Partikeln und anderen Hinweisen. Ein Mann mit hoher Stirn und Arztkoffer erhob sich gerade. Er hatte neben dem Toten gekniet und dabei dessen Gesicht verdeckt.

Jason Matthews lag lang hingestreckt auf dem Achterdeck.

Als ich sein Gesicht sah, überkam mich das kalte Grauen...

"Mein Gott", flüsterte ich.

Matthews trug eine jener bronzefarbenen Masken, wie sie der ORDEN DER MASKE benutzte. Das Metall hatte sich mit der Gesichtshaut verbunden und bildete mit dieser eine unlösbare Einheit. Es zeichnete bis ins kleinste Detail die Züge des Toten wider...

"Jason Matthews...", flüsterte ich.

"Sie kannten den Mann?", fragte ein Mann mit dunklem Vollbart und hellem Regenmantel. Er trat auf mich zu und zeigte mir seinen Dienstausweis. Beiläufig registrierte ich, dass es sich um einen Kriminalbeamten der örtlichen Polizei handelte. Sein Name war Duncan.

"Sie haben gegenüber meinem Kollegen eine Menge Wind gemacht, Miss..."

"Vanhelsing", murmelte ich.

"Am Ende könnte ich auf den Gedanken kommen, dass Sie gar nichts wissen, sondern nur einen üblen Trick verwandten, um etwas näher am Ort des Geschehens zu sein!"

"Dieser Mann heißt Jason Matthews, er weilte in Frankreich. Genauer: auf Chateau Guraneaux, in der Nähe von Morlaix in der Bretagne gelegen." Ich wandte mich an den Gerichtsmediziner, der noch immer etwas ratlos dastand.

"Haben Sie festgestellt, ob der Tote vielleicht krank war?"

"Wie kommen Sie darauf?"

"Weil er vermutlich auf Chateau Guraneaux war, um den Rat einer Wunderheilern namens Maraguene einzuholen..."

"Wissen Sie zufälligerweise auch, weshalb man ihm dieses goldene Ding da auf das Gesicht gesetzt hat?", fragte Duncan indessen.

"Er war auf der Flucht", erklärte ich.

"Auf der Flucht? Vor wem?"

"Vor dem ORDEN DER MASKE, einer verbrecherischen Geheimsekte, die nicht zum ersten Mal mordet... Nähere Informationen werden Sie dazu im Polizeicomputer finden."

"Und woher wissen Sie das alles?"

"Ich habe in der Vergangenheit bereits über die Machenschaften dieses ORDENS recherchiert..."

"Wissen Sie zufällig auch, wie sich diese verfluchte Gesichtsmaske lösen lässt?"

"Überhaupt nicht", sagte ich.

Ich beugte mich über den Toten.

Ich hatte plötzlich den Eindruck, als ob sich der Mund des Maskengesichtes leicht verzog. Es bekam eine spöttische Note.

Ich spürte ein unangenehmes Pulsieren hinter meinen Schläfen. Da war etwas... Eine mentale Kraft. Einen kurzen Moment lang spürte ich Schwindel. Alles um mich herum drehte sich.

Wie unter einem geheimnisvollen Zwang legte ich meine Hand auf das kalte Metall der Maske.

Ein eigenartiges Kribbeln durchzuckte den Arm und anschließend meinen gesamten Körper.

Und dann nahm ich eine höhnisch triumphierende Gedankenstimme wahr.

Niemand entkommt uns, Patricia Vanhelsing... Niemand entkommt auf Dauer der Macht Cayamus... Nicht mehr lange und all die Unwürdigen werden wie Ungeziefer vom Antlitz dieses Planeten getilgt werden...

"Niemals", flüsterte ich.

Ein dröhnendes Lachen hallte in meinem Inneren wider.

Glaubst du, du bist mehr, als eine Marionette in unseren Händen, Patricia Vanhelsing? Dein Weg ist vorherbestimmt...

Und vor meinem inneren Auge sah ich wieder jenes Bild eines düsteren Höhlengewölbes, dessen Wände mit Hunderten von Schädeln behängt waren. Sie verwandelten sich vor meinen Augen in die bronzefarbene Maske, unter denen der Chor eines schauerlichen Lachens erscholl, das mir beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ.



16

"Heh, Sie, wer hat diese Frau hierher gelassen!", rief eine barsche, befehlsgewohnte Stimme.

Ein Mann mit offenem Mantel und ziemlich fülliger Statur kam mit hochrotem Gesicht daher. Er trug kurzgeschorene, steil in die Höhe stehende Haare. Seine massige Gestalt allein wirkte schon einschüchternd. Und sein Tonfall war alles andere als freundlich.

Er hielt einen Dienstausweis hoch. "Inspector Gregory Barnes, Scotland Yard. Ab jetzt leite ich diese Untersuchung."

Duncan fiel der Kinnladen hinab. Ehe er etwas herausbringen konnte, war Barnes schon an ihm vorbeigegangen. Er drehte sich kurz zu ihm um und meine: "Der Job ist für Sie erledigt.

Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung. Wenn Sie sich beschweren wollen, tun Sie das bei meiner vorgesetzten Dienststelle und halten Sie mich nicht jetzt damit auf..."

Dann wandte er sich an mich.

Seine unruhig flackernden Augen musterten mich. Ärger stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Ich kannte Inspektor Barnes nur zu gut. Immer wieder war ich mit dem cholerischen Scotland Yard-Beamten aneinandergeraten. So unter anderem auch, als ich zuletzt über den ORDEN DER MASKE recherchierte...

"Sieh an, Miss Vanhelsing..." Er wandte sich kurz an Tom.

"Und ein Kollege, wie ich annehme!"

"Die LONDON EXPRESS NEWS sind immer da, wo etwas geschieht!", sagte Tom etwas mürrisch.

"Sie werden mir noch erklären müssen, wie Sie von diesem Fall hier wissen konnten."

Barnes wandte sich dem Toten zu. Sein Gesicht veränderte sich etwas, als er die Maske sah... Er nickte stumm.

"Der ORDEN DER MASKE meldet sich zurück", stellte ich fest.

"Mit einem Mord, und das bedeutet, dass auch Sie ihn nicht länger übersehen können!"

"Das habe ich nie getan, Miss Vanhelsing." Er atmete tief durch. "Das ganze Thema ist zu ernst, um es einem Revolverblatt wie den NEWS zu überlassen. Lesen Sie die offizielle Presseerklärung. Mehr bekommen Sie diesmal nicht von mir. Und nun gehen Sie!"



17

"Ich hoffe, Sie haben etwas herausgefunden!", begrüßte uns Michael T. Swann in seinem Büro. Wir hatten ihn per Handy über den Mordfall auf der CHANNEL QUEEN unterrichtet.

Ich zuckte die Achseln.

"Jedenfalls wird in unserem Artikel sicher mehr stehen, als in der offiziellen Verlautbarung, die Scotland Yard sicher irgendwann herausbringen wird."

Swann kratzte sich am Hinterkopf.

"Woher wussten Sie von der Sache, Patti?" Er lächelte matt. "Wieder Ihr ominöser Informant?"

"Ich habe ihm Stillschweigen versprochen", erwiderte ich. "Und Sie wissen, dass man sehr bald als Reporter einpacken kann, wenn man sich an solche Zusagen nicht hält."

"Da haben Sie zweifellos recht. Mr. Field hat übrigens diese Maraguene kontaktiert. Sie hat nichts dagegen, dass Sie sie auf Chateau Guraneaux besuchen..."

Ich hob die Augenbrauen.

"Sie hat sich nicht gewundert, dass innerhalb so kurzer Zeit noch einmal ein Team der LONDON EXPRESS NEWS eine Story über sie macht?", wunderte ich mich.

Swann zuckte die Achseln. "Vielleicht braucht diese Dame die Publicity und saugt jeden Tropfen, den sie davon bekommen kann, gierig in sich hinein. Wer weiß, ob sie überhaupt begriffen hat, dass es dieselbe Zeitung ist... Außerdem handelte Jims Story nur am Rande von Maraguene. In erster Linie ging es um Ricky Allison."

"Schon klar."

"Also, fahren Sie in die Bretagne! Wenn Inspector Barnes den Fall an sich gezogen hat, dann können Sie hier ohnehin kaum weiterrecherchieren." Swann lächelte. "Ich meine, so, wie Sie sich mit dem armen Kerl zerstritten haben..."

Ich stemmte empört die Arme in die Hüften.

"Ich dachte, Sie wären auf meiner Seite, Mr. Swann!"

"Habe ich je etwas anderes gesagt?"

"Nein, aber..."

"...aber es gibt immer zwei Seiten, Patti! Und ich kann mir schon vorstellen, dass Barnes Ihre Hartnäckigkeit gewaltig auf die Nerven gegangen ist..."



18

"Von Jason Matthews geht keine Gefahr mehr aus", sagte der Mann in der dunklen Lederjacke, während er den weißgekleideten Maskenträger aufmerksam ansah.

Die Worte hallten in dem hohen Höhlengewölbe wider.

Hunderte von bleichen Totenschädeln an den Wänden waren stumme Zeugen.

Der Maskenträger setzte einen tönernen Topf in die schwarz gerußte, von Menschenknochen umgrenzte Feuerstelle hinein, an der die Druidin Maraguene ihre Beschwörungen durchzuführen pflegte.

Dann wandte sich der Maskierte herum.

Das grauenerregende Maul der Maske bildete sich zurück. Die Konturen ebneten sich ein, bis die Oberfläche des geheimnisvollen Metalls, aus dem sie gefertigt worden war, vollkommen glatt war.

Ein Zischlaut ertönte.

Der Maskenträger nahm das Metall von seinem Gesicht. Es ließ sich problemlos ablösen. Das hagere Gesicht Dietrich von Schlichtens erschien dahinter. Sein Mund war ein dünner Strich, der sich zu einem matten Lächeln verzog.

"Ist Matthews jetzt unter Kontrolle?", fragte von Schlichten.

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf.

"Er ist tot. Wir brauchten ihn nicht mehr...."

"Aber, Ligov!"

"Cayamu selbst hat seine Seele absorbiert, als unsere Leute ihm die Maske anlegten... Das geistige Feuer Cayamus war zu hell und rein für seine dunkle Seele, Professor von Schlichten."

"Matthews war ein fähiger Mann..."

Ligov zuckte die Achseln. "Sie wissen, was Cayamu mit Verrätern tut..."

"Ja, das weiß ich", sagte von Schlichten schaudernd. Er schluckte dabei.

"Wie weit sind Sie mit Ihren Vorbereitungen?", fragte Ligov.

"Ohne Matthews wird es sich vielleicht etwas verzögern..."

"Aber Sie bekommen doch Ersatz, von Schlichten! Ihre gute Bekannte Patricia Vanhelsing ist unterwegs nach Chateau Guraneaux..."

"Sie glaubt, dass sie aus freien Stücken hier her kommt, nicht wahr?", lächelte von Schlichten.

"...und in Wahrheit ist sie nur eine Marionette." Ligov zuckte die breiten Schultern. "Solange sie sich auf diese Weise führen lässt, soll es mir recht sein..."

"Sie dürfte auf diese Weise wertvoller sein. Ihre übersinnlichen Kräfte werden sonst zu stark gedämpft..." Ein geradezu teuflisches Lächeln umspielte jetzt von Schlichtens dünne Lippen. "Immerhin hätte ich Miss Vanhelsing in den Anden beinahe dazu gebracht, mit ihrer mentalen Kraft dabei mitzuhelfen, ein Tor zwischen den Dimensionen zu errichten..."

"Und Sie glauben, dass Sie sie ein zweitesmal dazu bringen können?", fragte Ligov.

"Warum nicht? Maraguenes Kraft allein wird nicht reichen..."

"Ich misstraue dieser Miss Vanhelsing!"

"Vergessen Sie nicht, dass sie schon einmal die Maske trug... Auch wenn sie sich zunächst vor der Kraft Cayamus abschirmen konnte - sie ist Cayamu verfallen. Auch wenn Sie es noch nicht weiß..."

"Ich hoffe, Sie haben recht, von Schlichten."

"Was ist mit dem Mann, der Miss Vanhelsing empfangen soll?"

"Er ist eingetroffen."

"Gut... Und jetzt holt Maraguene herein! Wir sind schon reichlich im Verzug!"

"Machen Sie keinen Fehler, von Schlichten! Cayamu ist gerecht zu den seinen, aber er duldet keinen Verrat und kein Versagen..."

"Ich weiß..."

Ligov holte die bronzefarbene Maske unter seiner Jacke hervor und setzte sie auf. Mit einem Zischen wurde sie eins mit seinem Gesicht. Exakt zeichnete sie seine Züge wieder, selbst sein triumphierendes Lachen.

Ligov - oder das eigenartige Wesen, zu dem er jetzt geworden war - ging auf einen der zahlreichen Ausgänge zu, die die Schädelhöhle hatte. Einige Augenblicke war er verschwunden, dann kehrte er mit Maraguene zurück...

Sie trug, ebenso wie Ligov eine der bronzefarbenen Ordensmasken. Ihre feingeschnittenen Züge wurden exakt nachgebildet.

Maraguene trug ein weißes, fließendes Gewand, das ihren grazilen Körper umschmeichelte.

Durch die Augenlöcher der Maske hindurch blickte sie von Schlichten an.

"Wir sind soweit", sagte dieser.

Er deutete auf das tönerne Gefäß im Knochenkreis.

Sie nickte.

"Rufe die Kraft der Götter des ALTEN VOLKES", sagte von Schlichten. "Und konzentriere sie auf das, was in dem Gefäß ist. Erwecke es zum Leben...."

Maraguene hob die Hände. Sie berührten den Rand ihrer Maske, die sich mit einem Zischlaut löste.

Ihr Gesicht war blass.

"Ich dachte, ihr müsstet noch warten, bis das Tor zu Cayamus Welt errichtet werden kann..."

"Ja, das ist richtig", gestand von Schlichten ein. "Wir müssen einen günstigeren Zeitpunkt abwarten, damit es ein Erfolg wird. Aber zuvor bitte ich dich um das hier!" Er deutete auf das Gefäß.

"Was ist darin?"

"Frag nicht. Und setz deine Maske auf! Du bist eine Dienerin Cayamus!"

"Zweifelst du daran?"

Von Schlichten schüttelte den Kopf. "Nein, warum sollte ich."

Sie gab ihm ihre Maske. Die Farbe ihrer Augen veränderte sich. Binnen eines einzigen Lidschlags war nichts Weißes mehr darin zu sehen.

Sie waren vollkommen blau und leuchteten auf eine gespenstische Weise.

"Geht jetzt!", sagte die Druidin. "Geht jetzt und verlasst den Tempel der Alten Götter - oder ihr werdet es bereuen. Die Kräfte, die an diesem Ort wirksam werden, sind zu gewaltig um..."

"Hier!", unterbrach von Schlichten sie. Er hielt ihr die Maske hin.

"Nein", sagte sie. "Ich brauche sie nicht."

"Cayamu will es so!"

"Nein, ich..."

Von Schlichten legte das Metall an ihr Gesicht. Die Maske vereinigte sich wieder mit ihren Zügen und formte sie nach.

Aus den Augenlöchern leuchtete es bläulich... Maraguene, die grazile Druidin, die gerade noch eine attraktive junge Frau gewesen war, hatte jetzt kaum noch etwas an sich, das menschlich gewirkt hätte.

"Geht!", flüsterte sie dumpf unter der Maske hervor. "Oder das Feuer der Alten Götter wird euch verbrennen..."

Von Schlichten nickte.

Er zuckte zusammen, als sich plötzlich ein eigenartiger Gesang erhob, während gleichzeitig die mehr als hundert Schädel, die an das Höhlengewölbe gehängt waren, zu zittern begannen.

"Die Geister der Ahnen des Alten Volkes - sie rufen die Kraft ihrer Götter...", flüsterte Maraguene.

Von Schlichten und Ligov liefen in Richtung jenes Korridors, aus dem die junge Druidin gerade geholt worden war.

Ein langer, dunkler Höhlengang lag vor ihnen, doch als sie ihn betraten, entflammten an den Wänden plötzlich wie durch Geisterhand Fackeln. Die Flammen loderten hoch empor.

Von Schlichten blieb stehen, während Ligov bereits einige Meter in dem Gang zurückgelegt hatte.

"Worauf warten Sie?", fragte Ligov etwas ungeduldig.

Von Schlichtens dünne Lippen bildeten einen dünnen Strich, als er sie fest aufeinanderpresste. "Ich muss es sehen", murmelte er. "Ich muss einfach..."

Er drehte sich herum, blieb beim Ausgang des Korridors stehen und sah zu...

Maraguene schrie schier unaussprechlich erscheinende Silben in das Gewölbe hinein. Ein vielfaches Echo antwortete ihr.

Manche dieser Silbenfolgen glaubte von Schlichten aus den Schriften seines Urgroßvaters wiederzuerkennen... Denn natürlich hatte er die ABSONDERLICHEN KULTE, dieses einzigartige Kompendium des Okkulten eingehend studiert.

Maraguene sank auf die Knie, breitete die Arme aus.

Die geheimen Namen der Götter des Alten Volkes, dachte von Schlichten beeindruckt und mit Schaudern. Das muss es sein, was Maraguene da ruft...

Jenen Dietrich von Schlichten, der er einst gewesen war, bevor er die Maske des ORDENS getragen hatte, hätte sich vielleicht für die Frage interessiert, ob es diese mysteriösen Alten Götter eines Volkes, dessen Name nicht mehr überliefert war, wirklich gab und sie sich aus der Vergangenheit beschwören ließen - oder ob all diese unaussprechlichen Silben geheimer Götternamen Maraguene lediglich zur Konzentration dienten, so dass die junge Frau ihre übersinnlichen Energien zu bündeln vermochte.

Doch dem Mann, der jetzt wie gebannt dastand und der Beschwörung zusah, war das gleichgültig.

Ihm ging es nur darum, dass Maraguene erfolgreich war.

Cayamus Wille musste geschehen.

Alles andere war unwichtig.

Die Schädel an den Höhlenwänden ließen noch immer ihren immer schriller werdenden Gesang ertönen, der Maraguenes Beschwörungen beinahe übertönte. Die Totenköpfe zitterten so heftig, dass man jeden Moment erwartete, dass sie zersprangen.

Aber das geschah nicht.

Maraguene reckte die Arme empor und hob den Kopf.

Sie schloss die Augen.

Aber das blaue Leuchten drang durch ihre geschlossenen Lider. Ein Leuchten, das jetzt plötzlich auch die leeren Augen der Totenschädel erfüllte. Die gesamte Höhle wurde in azurblaues Licht getaucht.

In der nächsten Sekunde schossen grelle Blitze durch den Raum.

Sie kamen aus den Schädeln heraus, zuckten durch das Höhlengewölbe und trafen alle exakt an einem bestimmten Punkt auf.

Mit einem Zischlaut fuhren sie in das Tongefäß. Ein blubbernder Laut entstand, während Dutzende weiterer Blitze hinabzuckten, um sich in dem kleinen Gefäß zu entladen.

Sekunden später war dieses gespenstische Gewitter vorbei.

Totenstille herrschte in der Höhle. Nur der Schein einiger Fackeln tauchte alles in warmes Licht.

Maraguene erhob sich.

Sie setzte ihre Maske ab, während Ligov und von Schlichten wieder den Tempelraum der Götter des Alten Volkes betraten.

Immer noch waren Maraguenes Augen von strahlendem Blau erfüllt. Ihr Blick schien dadurch kalt und teilnahmslos zu sein. Aber ihre Züge verrieten den Triumph.

Ligov hatte ebenfalls seine Maske abgesetzt. Er hielt sie unter dem Arm, warf von Schlichten einen kurzen, skeptischen Blick zu und wandte sich dann dem Tongefäß zu.

Er sah hinein.

Eine giftgrüne, zähe gallertartige Masse befand sich darin.

Sie war formlos und dampfte.

Blasen zerplatzen an der Oberfläche und schwere, ätzende Dämpfe stiegen empor.

"Das sieht nicht sehr vielversprechend aus", meinte Ligov etwas abschätzig. Er beugte sich tiefer, kniete sich.

"Vorsicht", rief von Schlichten.

Zu spät.

Der harte, schnurgerade Strahl einer Flüssigkeit schoss aus der gallertartigen Masse wie eine Fontäne heraus. Eine erstaunliche Energie steckte hinter diesem Strahl, der Ligov mitten im Gesicht traf. Die grüne Flüssigkeit lief an seinem Körper hinunter.

Ligov schrie wie von Sinnen, während ein lautes Zischen dies beinahe übertönte.

Von Schlichten und Maraguene wichen beide unwillkürlich mehrere Schritte zurück, während sie sehen konnten, wie Ligov innerhalb von Sekunden buchstäblich dahinschmolz. Sein Körper löste sich auf und eine Wolke aus weißem Dampf hüllte ihn ein, deren Geruch unerträglich war.

Die Druidin und der Archäologe wichen weiter zurück. Von Schlichtens Augen tränten und die ätzenden Gase betäubten geradezu seine Nase.

Der Dampf verzog sich. Er stieg in der Schädelhöhle empor.

Zwei, drei der Totenköpfe zersetzten sich vor ihren Augen und fielen zu Boden. Als sie auf dem Höhlenboden aufkamen, waren sie kaum noch als das erkennbar, was sie gewesen waren.

Maraguene starrte entgeistert auf jene Stelle an der Ligov vor dem Tongefäß gekniet hatte.

Ein eigenartiger, dampfender Fleck war auf dem Gestein geblieben. Nichts sonst. Ligov existierte nicht mehr.

"Mein Gott, was ist das!", schrie Maraguene.

Sie wollte aus einem der Korridore stürzen, aber von Schlichten hielt sie fest.

Er trug seine Maske. Sein Blick war stahlhart, während seine Maske ein katzenhaftes Tiergesicht bildete.

"Es lebt", kam es dumpf unter dem Metall hervor. "Hörst du, Maraguene, es lebt..."

"Oh, nein!"

"Vertraue mir, Maraguene. Und vertraue Cayamu, dem du die Treue geschworen hast..."

Sie schluckte. Ihre Hände wanderten zu den Schläfen, so als fühlte sie einen inneren Druck dahinter. Ihr Gesicht verzog sich wie unter Schmerzen.

"Wir werden ES kontrollieren, Maraguene. Mit deiner Hilfe. ES wird wachsen und ungeahnte Ausmaße erreichen, sich teilen und erneut wachsen... Irgendwann werden wir ES freilassen, auf das es den Tag der Katastrophe herbeiführe! Den Tag, auf den Cayamu gewartet hat! All die Äonen..."



19

Wir hatten eine ziemlich anstrengende Reise hinter uns, als wir am Abend des nächsten Tages Morlaix erreichten, eine kleine, etwas verschlafene Stadt in der Bretagne. Bis zur felsigen Küste dieses wilden, zerklüfteten Landstrichs waren es nur wenige Kilometer.

Die Straßen von Morlaix waren eng, die Bordsteine so hoch, dass man einen Achsenbruch riskierte, wenn man sie nicht genügend beachtete. In der Nähe eines kleinen Bistros hielten wir. Chateau Guraneaux war nicht auf unserer Karte verzeichnet und so waren wir darauf angewiesen, dass uns jemand den Weg beschrieb.

Wir verließen Toms Volvo und betraten das Bistro. Tom unterhielt sich mit dem Wirt in einer Mischung aus Englisch und gebrochenem Französisch.

Als der Name des Schlosses fiel, verdüsterte sich sein Gesicht.

Seine Wegbeschreibung war sehr vage und dauerte eine Weile, bis Tom aus seinen Worten schlau wurde.

Anschließend setzten wir uns noch an einen der Tische, um ein Baguette mit Milchkaffee zu verzehren.

"Was war plötzlich los mit ihm?", fragte ich.

Tom zuckte die Schultern.

"Keine Ahnung. Aber dieses Chateau scheint nicht den besten Ruf zu genießen."

Als der Wirt an unseren Tisch kam, fragte er in akzentschwerem, gebrochenem Englisch: "Wer sind Sie ? Warum interessieren Sie sich für Chateau Guraneaux?"

"Wir sind Reporter aus London", sagte ich.

"Und was gibt es über dieses einsame Chateau so Interessantes zu berichten, dass englische Reporter extra anreisen?"

"Wir sind wegen Maraguene, der Druidin hier. Haben Sie schon von ihr gehört?"

Der Wirt lachte heiser.

"Wer nicht?"

"Was wissen Sie über diese Frau?"

Der Mann schluckte. "Nur das, was alle wissen", murmelte er kam hörbar.

"Sie heilt Kranke.."

"Ja, das tut sie..." In seinen Augen flackerte es unruhig.

Seine Worte hatten einen seltsamen Unterton. "Aber sie tut auch andere Dinge..."

"Was für Dinge?"

Er zuckte die Achseln. "Mein Englisch ist nicht allzu gut, verzeihen Sie Miss. Vielleicht unterhalten Sie sich besser mit jemand anderem."

"Was wissen Sie?", hakte ich nach.

"Nur, dass es Dinge gibt, die unbegreiflich sind..."

Hinter dem Tresen des Bistros schrillte das Telefon. Der Wirt entschuldigte sich, ging zum Apparat und nahm ab. Einen Augenblick später fragte er in unsere Richtung: "Sind Sie Mademoiselle Vanhelsing und Monsieur Hamilton?"

"Oui!", stieß Tom überrascht hervor.

Der Wirt hängte den Hörer in die Gabel.

"Ein Anruf vom Chateau. Sie sollen hier warten. Es wird Sie jemand abholen..."

Ich sah Tom entgeistert an und griff nach seiner Hand.

"Woher wissen die, dass wir hier sind?", murmelte ich.

"Da scheint jemand sehr gut informiert zu sein..."



20

Etwa eine Dreiviertelstunde mussten wir warten, ehe sich etwas tat. Ich versuchte inzwischen mit Tante Lizzy zu telefonieren. Sie hatte in ihrem Archiv einige ältere Zeitungsberichte gefunden, in denen es um ein möglicherweise paranormal begabtes Kind ging, für das sich Forscher und Militärs brennend interessierten.

Der Name des Jungen war Jason Matthews.

"Vom Alter her wäre es durchaus möglich, dass es sich um den Jason Matthews handelt, der unter ungeklärten Umständen an Bord der CHANNEL QUEEN starb... Kind? Hörst du mich? Die Verbindung ist ziemlich schlecht..."

Sie brach wenig später völlig zusammen, und der Wirt bestätigte uns, dass das Mobilfunk-Netz in diesem Teil Frankreichs noch zu wünschen übrig lasse.

Dann fuhr draußen ein Geländewagen vor. Ich blickte aus dem Fenster und glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich die beiden Männer sah, die dem Gefährt entstiegen waren...

Der Mann, der als erster das Bistro betrat, war dunkelhaarig und hochgewachsen. Seine ruhigen, dunklen Augen suchten den Raum ab, bis sie mich entdeckten...

Ashton Taylor, durchzuckte es mich.

Ich war wie gebannt, als unsere Blicke sich trafen.

Zuletzt hatte ich den mysteriösen Privatdetektiv, der sein Leben ganz dem Kampf gegen verbrecherische Sekten gewidmet hatte, auf der Halbinsel Yucatan gesehen...

Wir waren nicht zusammen zurück nach London geflogen.

Ich wusste, dass Ashton seinen Kampf gegen den ORDEN DER MASKE fortsetzen wollte. Zwar war es uns damals gelungen, die Verbindung zu zerstören, die zwischen den uralten Talketuan-Ruinen und Cayamus Welt bestand. Aber Ashton war überzeugt davon, dass es anderswo auf der Welt weitere dieser Brücken über den Abgrund der Dimensionen hinweg gab - oder bald entstehen würden. Denn der ORDEN DER MASKE war trotz dieser Rückschläge eine mächtige Organisation, die zielstrebig auf ihr Ziel hinarbeitete: Den Weltuntergang, der die Menschheit verschlingen sollte...

Damals, als sich Ashtons und meine Wege trennten, war mir bewusst gewesen, dass wir uns vielleicht nie wiedersehen würden. Und nun diese Begegnung.

Er nahm meine Hand.

"Hallo, Patti...", sagte er sanft.

"Hallo..." Ich musste unwillkürlich schlucken und war etwas verlegen. Ich deutete auf Tom. "Dies ist Tom Hamilton, er..."

"...ist ebenfalls bei den LONDON EXPRESS NEWS?", unterbrach mich Ashton, während er auch ihm die Hand gab.

"So ist es", sagte Tom.

"Mein Name ist Ashton Taylor."

"Ich habe von Ihnen gehört", sagte Tom.

"Nur Gutes, wie ich hoffe!"

Ich wechselte einen kurzen Blick mit ihm. Das Wiedersehen mit Ashton wühlte mich ziemlich auf. Ich hatte diesen Mann einst geliebt, obwohl uns beiden klargewesen war, dass eine dauerhafte feste Beziehung nicht in Frage kam. Sie hätte sich einfach nicht mit Ashtons Leben vereinbaren lassen - einem Leben unter falschen Namen, erfundenen Identitäten und ständiger Gefahr. Ashton Taylor war ein Phantom, dessen wirklichen Namen auch ich nicht kannte. Ich wusste nicht sein Alter oder seine Nationalität und das, was ich über seine Vergangenheit damals in Erfahrung bringen konnte, war widersprüchlich. Nur eines schien festzustehen. Es hatte in Ashtons Leben einmal eine Frau gegeben, die in den Bann einer verbrecherischen Sekte geraten und daraufhin dem Wahnsinn verfallen war... Diese Frau lebte nicht mehr. Aber um ihretwillen hatte Ashton seinen Kampf gegen das Sektenunwesen aufgenommen.

Ashton deutete auf den Mann, der mit ihm gekommen war.

Er hatte ein asiatisches Gesicht und trug eine dunkle Hose sowie einen schwarzen Rollkragenpullover. Auf der Brust trug er ein Amulett.

Eine in Gold gefasste Doppelsonne!

Das Symbol des ORDENS DER MASKE!

"Das ist Mr. Pierre Van Tho", stellte er seinen Begleiter vor.

Pierre Van Tho deutete eine Verbeugung an. "Es ist mir eine Ehre, Sie willkommen zu heißen... Maraguene erwartet Sie bereits", sagte er dann in perfektem Englisch. "Ich würde vorschlagen, Sie fahren hinter uns her..."

Wir hatten nichts dagegen einzuwenden.



21

Die gewundenen Straßen, auf denen wir durch dieses zerklüftete, vom Meer umspülte Land fuhren, wurden immer schmaler.

Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und vom Meer her zogen dichte Nebel auf. Ein Landstrich, der so öde und schroff wirkte, dass man das Gefühl hatte, am Ende der Welt zu sein.

Ich stellte fest, dass mein Handy keinerlei Verbindung mehr zum Funknetz bekam. Und unwillkürlich machte sich ein beklemmendes Gefühl in mir breit. Das Gefühl, vielleicht einen Fehler begangen zu haben...

Was würde uns im Chateau erwarten?

Jason Matthews hatte jedenfalls den Tod gefunden, nachdem er sich hier aufgehalten hatte.

In meinem Kopf drehte sich alles. Meine Gedanken und Gefühle bildeten in diesen Momenten ein einziges Chaos, während Tom den Volvo sicher über die erbärmlichen, mit Schlaglöchern durchsetzten Pisten fuhr. Der Geländewagen, dem wir folgten, hatte ein ziemlich beachtliches Tempo drauf und Tom musste sich anstrengen, um ihm auf den Fersen bleiben zu können...

"Sag, mal Patti...", begann Tom dann irgendwann, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten.

"Ja?"

"Dieser Ashton Taylor scheint dich damals auf dieser Reise zu den Talketuan-Ruinen in Yucatan ziemlich stark beeindruckt zu haben..."

Du musst es ihm sagen, ging es mir durch den Kopf. Es war auf jeden Fall besser, als wenn er es auf andere Weise erfuhr.

"Ich habe ihn geliebt", flüsterte ich. Meine Stimme klang belegt.

"Ich verstehe."

"Das war, bevor wir beide uns ineinander verliebt haben, Tom..."

"Ach, Patti! Ich habe nicht ernsthaft erwartet, der erste Mann in deinem Leben zu sein!"

"Tom, ich möchte, dass du folgendes weißt: Meine Gefühle für Ashton Taylor sind nicht mehr dieselben, wie damals. Ich empfinde nur noch Freundschaft für ihn, aber meine Liebe gehört dir." Ich berührte ihn leicht am Ellbogen. "Ich möchte nicht, dass daran irgendwelche Zweifel aufkommen..."

Wir sahen uns kurz an.

Ich hatte mit Tom Hamilton den Mann meiner Träume gefunden. Davon war ich überzeugt.

"Trotzdem", sagte Tom. "Die Art und Weise, wie er dich begrüßt hat, konnte einen schon eifersüchtig machen...."

"Dazu besteht kein Anlass, Tom. Wirklich nicht."

"Ob Ashton das auch so sieht..." Ich hörte den leisen Zweifel aus seinen Worten und hätte mir gewünscht, sie in diesem Moment vollkommen ausräumen zu können. "Was glaubst du, warum Ashton Taylor hier ist?"

"Er hat wiederholt versucht, sich in sektenartige Organisationen einzuschleichen", erklärte ich. "Das gilt auch für den ORDEN DER MASKE...."

"Spätestens nach eurem Yucatan-Abenteuer müssten die Taylor kennen und nicht mehr so dumm sein, ihn bei sich herumschnüffeln zu lassen..."

"Alle Diener Cayamus, die sich damals in der Ruinenstadt befanden, kamen wahrscheinlich um... So unter anderem auch Sir Charles Grayer."

"Was geschah genau?", hakte Tom nach.

"Sie zerfielen zu Staub, als dieser Lichtstrahl aus einer anderen Dimension..." Ich stockte. "Es hatte sich ein Tor zu Cayamus Welt gebildet. Nur für Augenblicke..."

"Vielleicht zerfielen sie nicht zu Staub, sondern entmaterialisierten", gab Tom zu bedenken.

Ich seufzte. "Sie wissen über Ashton vermutlich so gut wie über mich Bescheid. Aber manchmal ist das Verhalten der Ordensmitglieder einfach nicht zu durchschauen. Warum hat diese Organisation beispielsweise mich die ganze Zeit über in Ruhe gelassen?"

"Weil du ihnen nicht in die Quere kamst."

"Ich weiß nicht... Sie haben große Macht, Tom. Und wie sie normalerweise mit ihren Gegnern umgehen, kann man am Fall Matthews sehen."

"Wir sollten Ashton Taylor nicht über den Weg trauen", sagte Tom besorgt. "Oder ist es für dich völlig unvorstellbar, dass dieser Mann die Seiten gewechselt hat?"

"Nein, daran glaube ich nicht", erwiderte ich hastig. Ich konnte und wollte mir das einfach nicht vorstellen, obwohl ich zugeben musste, dass Toms Argumente einiges für sich hatten.

Ich hoffte, dass ich auf Chateau Guraneaux Gelegenheit dazu bekommen würde, allein mit Ashton zu reden.



22

Hoch und abweisend ragten die grauen Mauern auf, die Chateau Guraneaux umgaben. Die Aura unvorstellbaren Alters umgab dieses Gemäuer, das den Eindruck machte, sich aus einer fernen Zeit bis in die Gegenwart gerettet zu haben. Die Mauern waren von Moos überwuchert.

Das Chateau lag auf einem schroffen Felsen und nur eine schmale Zufahrt führte zum Torbogen. Eigenartige Zeichen waren in den Stein dieses Bogens hineingehauen. Das eine oder andere war mir aus Tante Lizzys okkultistischen Büchern her bekannt. Es handelte sich um magische Symbole, wie die keltischen Druiden sie vor unvorstellbar langer Zeit bei ihren Zauberritualen verwandt hatten.

Zweifellos waren diese Gravuren neuen Datums.

Zwischen all diesen Zeichen sah ich auch etwas, das mich erschreckte.

Einen Totenkopf, der in das Mauerwerk eingelassen und inzwischen schon beinahe versteinert war...

Unwillkürlich musste ich an die Schädelhöhle denken, die mir in meinen Visionen erschienen war.

Ja, hier bist du am richtigen Ort, Patti, dachte ich. Ein Ort des Grauens und unaussprechlicher Geheimnisse...

Eine Gänsehaut überzog meine Unterarme, und ich begann innerlich zu frieren. Für Augenblicke spürte ich die Anwesenheit einer mentalen Kraft. Hinter meinen Schläfen pulsierte es unangenehm.

Maraguene?, fragte ich mich. War es ihre Kraft, die ich fühlte?

Ich hoffte es.

Die Alternative war, dass ich Kontakt zu einem Wesen hatte, dass über ungleich größere übersinnliche Kräfte verfügte.

Kräfte, die jegliches menschliches Vorstellungsvermögen bei weitem überstiegen.

Cayamu...



23

Tom parkte den Volvo neben Ashtons Geländewagen. Wir stiegen aus. Inzwischen stand der Mond wie das Auge einer übermächtigen Gottheit am Himmel. Das nahe Meer rauschte, das die Felsen umspülte, auf denen das Chateau einst errichtet worden war.

Ein Ort, wie geschaffen, um sich zu verbergen, dachte ich.

Eine kleine Festung, die in der Vergangenheit schwer zu erobern gewesen sein dürfte.

Die Häuser waren schmucklos. Mir fiel auf, wie klein die Fenster waren.

Der Eingang des Haupthauses öffnete sich und im Schein der spärlichen Beleuchtung sah ich einen fast haarlosen Mann mit faltiger, beinahe pergamentartiger Haut und abstehenden Ohren. Er ging gebeugt und war gekleidet wie ein Butler.

Seine Augen waren rot gerändert, der Blick unruhig.

Ich fragte mich, wie alt er sein mochte.

Vom optischen Erscheinungsbild her hatte ich den Eindruck, das verfallene Gesicht eines mindestens hundertjährigen Greises vor mir zu haben. Aber sein Gang strafte mich Lügen.

Seine Schritte wirkten durchaus sicher.

Er musterte uns kurz.

"Mein Name ist LaFayette. Ich bin der Majordomus dieses Hauses", erklärte er. "Und ich war es schon, als der Conte de Guraneaux noch hier residierte..." Sein Englisch klang ein wenig gestelzt - aber ich vermutete, dass er sich in seiner Muttersprache wohl ähnlich auszudrücken pflegte. Es schien einfach seinem Charakter zu entsprechen. "Mademoiselle Maraguene lässt sich entschuldigen. Sie wird Sie später empfangen... Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Ihnen daher zunächst Ihre Quartiere zeigen."

LaFayette wandte sich an Pierre Van Tho.

"Vielleicht wären Sie beim Gepäck behilflich, Pierre..."

"Selbstverständlich", murmelte dieser mit unbewegtem, starrem Gesicht.

"Ist nicht nötig", mischte ich mich ein. "Wir schaffen das schon selbst..."

"Ich bestehe darauf!", erklärte Pierre. Er steckte die Hand aus. "Sie können mir Ihren Wagenschlüssel ruhig geben. Oder vertrauen Sie mir nicht?"

Tom sah mich zögernd an, bevor er Pierre schließlich die Wagenschlüssel gab.

Wir folgten LaFayette ins Haus.

Ein kalter Modergeruch haftete den dicken, grauen Mauern an. Wir gelangten in einen großen Empfangsraum.

Ein gewaltiges Relief war in eine der Wände gemeißelt worden. Es stellte einen zweigesichtigen Totenkopf dar...

"Mein Gott, was ist das?", stieß ich hervor.

"Das Antlitz eines jener Götter, die das Alte Volk verehrte", gab der Majordomus bereitwillig Auskunft.

"Altes Volk?", echote ich. "Sprechen Sie von den Kelten?"

"Nein. Das Alte Volk existierte lange davor. Die Kelten übernahmen nur einige seiner Legenden und Mythen... Nicht einmal der wahre Name dieses Volkes ist überliefert."

"Hat Maraguene dieses Relief hier in den Stein einarbeiten lassen?"

"Es geschah auf Mademoiselle Maraguenes Rat hin, aber veranlasst hat es der letzte Conte de Guraneaux. An genau diesem Ort befindet sich ein wichtiger Punkt, an dem kosmische Energielinien sich kreuzen..."

Jetzt mischte sich Tom Hamilton ein und fragte: "Sie sind von der Lehre dieser Maraguene überzeugt?"

Ein mattes Lächeln flog über das so unsagbar alte Gesicht LaFayettes. "Ich weiß, dass jedes Wort, das sie sagt, stimmt..."

"Sie hat die Kraft, Kranke zu heilen?", hakte Tom nach.

"Dem letzten Conte de Guraneaux schenkte sie viele wertvolle Lebensjahre. Und auch ich habe meine Zeit längst überschritten... Wenn sie nicht wäre, würde ich längst in einem kalten, von Würmern und Maden bevölkerten Grab liegen..." Er kicherte in sich hinein. Seine rotgeränderten Augen verdrehten sich dabei auf groteske Weise, so dass für einige Momente lediglich das Weiße sichtbar war. Ein Muskel zuckte dabei unruhig in seinem faltigen Gesicht mit seiner fast mumienhaften, pergamentartigen Haut.

Das Kichern erstarb so urplötzlich, wie es begonnen hatte.

LaFayette machte ein Zeichen mit seiner knorrigen Hand.

Die Knöchel traten durch die dünne, beinahe durchsichtige Haut hindurch und man glaubte immer, dass sie zittern müsste.

Aber das tat sie nicht.

"Kommen Sie!", sagte er.

Ashton wandte sich kurz an mich. "Wir sehen uns später beim Diner, Patti!"

"Ja", flüsterte ich.



24

LaFayette führte uns eine breite Treppe hinauf. Unser Quartier lag in einem Nebenflügel des Haupthauses. Durch die schmalen, hohen Fenster konnte man hinaus auf das Meer blicken, wo sich graue Nebelwände aufgetürmt hatten. Ein imposantes Panorama.

"Ich hoffe, die Räumlichkeiten sagen Ihnen zu..."

"Sie haben gewusst, dass wir privat liiert sind?", fragte Tom Hamilton an LaFayette gewandt. "Sie haben uns nicht einmal gefragt, ob wir vielleicht lieber in Einzelzimmern nächtigen würden."

Der eigenartige Butler verfiel wieder in sein irres Kichern, bevor er meinte: "Ihr Kollege Mr. Field meinte, dass Sie ein Zimmer bevorzugen würden."

Tom hob die Augenbrauen.

"So, hat er das?" Er atmete tief durch. "In diesen Gästezimmern bringen Sie also auch jene Leute unter, die bei Maraguene Heilung suchen..."

"Das Chateau verfügt über eine ausreichende Zahl von Gästezimmern", erklärte LaFayette.

"Können Sie uns auch das Zimmer zeigen, in dem Jason Matthew wohnte?", hakte Tom nach.

In LaFayettes rotgeränderten Augen flackerte es unruhig.

Er presste die dünnen, aufgesprungenen Lippen aufeinander.

Sein Gesicht wirkte jetzt sehr eingefallen und noch um ein Vielfaches älter.

"Mr. Matthews war doch hier", stellte Tom fest.

Das Lächeln des Butlers war matt und wirkte etwas nervös.

"Es waren so viele hier...", murmelte er. "Wer erinnert sich schon an ihre Namen, Monsieur Hamilton? Sicher nicht ein vom Alter gebeugter Mann wie ich..."

Das irre Kichern, das dann folgte, machte Tom sofort klar, dass es sinnlos war, noch weiter nachzufragen.

Pierre Van Tho kam jetzt mit unseren Koffern. Er stellte sie vor den großen, schweren Eichenschrank. Dann wandte er sich zu uns herum, deutete eine Verbeugung an. "Ich hoffe, dass Ihr Aufenthalt hier Ihnen noch lange in Erinnerung bleibt", sagte er.

Ich nickte nur.

Und LaFayette erklärte: "In einer Viertelstunde wird das Diner angerichtet sein... Es wird Ihnen an nichts fehlen."



25

Während ich meine Sachen auspackte, bemerkte ich, wie Tom die Wände absuchte.

"Was machst du?", fragte ich.

"Ich frage mich, ob es hier Abhörgeräte gibt..."

"Wo sollte man die an diesen kahlen Wänden unterbringen?"

"Die können sehr klein sein, Patti!"

"Ich glaube, weder der ORDEN DER MASKE, noch Maraguene ist auf derart primitive Mittel angewiesen", war ich überzeugt.

"Wer sagt es denn!", rief Tom triumphierend. Er hatte sich auf einen Stuhl gestellt und war in einer Lampe fündig geworden. Die Wanze war kaum größer als ein Fingernagel. "Es sind doch immer dieselben Stellen, Patti. Ich kenne das noch aus meiner Zeit als Agentur-Korrespondent. Es gibt Länder, in denen Reporter grundsätzlich abgehört werden - wenn nicht gerade Stromausfall herrscht."

Tom stieg von dem Stuhl herunter. Ich sah ihn nachdenklich an.

"Ich habe das Gefühl, in eine Falle hineingelaufen zu sein", murmelte ich und schmiegte mich an ihn. Er legte seine Arme um mich. "Vielleicht war es ein Fehler, hierher zu kommen..."

"Es ist die erste Spur dieses ORDENS seit langem..."

"Ja, ich weiß..."

Fünf Minuten später klopfte es an der Tür. Pierre Van Tho holte uns zum Diner ab.

Er ging voran, wir folgten ihm durch den spärlich erleuchteten Korridor.

"Van Tho - das ist ein vietnamesischer Name", stellte Tom fest.

"Meine Eltern kommen aus Indochina", sagte Pierre. "Sie kennen Vietnam?"

"Kennen ist zu viel gesagt", meinte Tom. "Ich war einige Male als Reporter dort."

Pierre führte uns in einen großen Saal, der als eine Art Salon diente, für diesen Zweck allerdings bei weitem zu groß war.

Die Steinwände strahlten Kälte aus, und ich fühlte mich unbehaglich an diesem Ort.

Der Raum war sehr hoch, fast so hoch wie das Schiff einer Kathedrale.

Ashton Taylor erwartete uns. Er war nicht allein. Eine Gruppe von einigen Männern und Frauen stand um ihn herum. Sie blickten allesamt in unsere Richtung. Und LaFayette reichte ein Tablett mit dem Aperitif herum.

Ashton näherte sich.

"Hier residierten einst die Herren von Chateau Guraneaux", sagte er. "Man kann sich gut vorstellen, dass dieser Raum einen eindrucksvollen Thronsaal abgab..."

"Allerdings", musste ich zustimmen. "Wo ist Maraguene?"

"Wir werden noch ein paar Augenblicke auf sie warten müssen", erklärte Ashton. "Eine beeindruckende Persönlichkeit, soviel kann ich dir vorab verraten. Und außerdem wirst du noch einen weiteren Bekannten hier wiedertreffen. Professor Dietrich von Schlichten..."

Ich merkte, dass Ashtons Blick mich genau fixierte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783738955095
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Schlagworte
druiden banshees zentauren fantasy abenteuer

Autoren

  • Alfred Bekker (Autor:in)

  • Mara Laue (Autor:in)

Zurück

Titel: Druiden, Banshees und Zentauren: 3 Fantasy Abenteuer