Zusammenfassung
Leseprobe
Table of Contents
Der Railroad-Trick
Western von W. K. Giesa
Der Umfang dieses Buchs entspricht 110 Taschenbuchseiten.
Mad Dog Hicks ist wieder da. Der tolle Hund ist bekannt dafür, dass er die Eisenbahn überfällt und alles raubt. Doch dieses Mal raubt er nichts, nimmt nur einen Mann mit. Er hat etwas vor, das fühlt auch Rio Grande Charly, der von Richter Parker auf den Verbrecher angesetzt wird. Was hat die hübsche Julie Culver damit zu tun?Mad Dog ist ein Mann ohne Gewissen und geht über Leichen.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© COVER FIRUZ ASKIN
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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1
Phil Hounds legte das Ohr auf die Schiene. Dann richtete er sich wieder auf und grinste die anderen an.
„Er kommt“, sagte er. „In etwa drei Minuten ist er hier!“
Jake Hicks nickte. „Dann los. Alle in Deckung. Hounds, hast du die Schnur auch wirklich richtig berechnet?“
Hounds machte ein beleidigtes Gesicht. „Boss!“, sagte er vorwurfsvoll. „Hältst du mich für so dumm, wie andere aussehen? Wenn ich sprenge, dann richtig!“
Die kleinen grauen Päckchen unter den Schienen blieben zurück, als die Männer, sieben an der Zahl, davonhetzten und sich hinter Felsen und Sträuchern in Deckung warfen. Die Pferde wurden vom achten Mann der Bande in Reserve gehalten.
Der Zug kam. Hounds riss das Zündholz an und hielt es an die Pulverschnur. Funkensprühend fraß sich die Flamme vorwärts, den Sprengladungen entgegen.
Schnaufend und stampfend näherte sich der schwarze Koloss der langgezogenen Kurve. Mit bulliger Kraft zog die Lokomotive den Gepäckwaggon und die fünf Personenwagen hinter sich her. Dan Grawly hätte die Maschine schneller laufen lassen können, aber der Schienenstrang zog sich in einem Bogen um ein Waldstück herum und war von hier aus nicht ganz einzusehen. Kleinere Hindernisse wie überraschend die Gleise kreuzende Tiere räumte der große Rammschutz vor der Lokomotive zwar beiseite, aber wenn ein paar Bäume niedergebrochen waren, gab es schon einen heftigeren Ruck. Grawly wollte nicht, dass die Fahrgäste durchgeschüttelt wurden. Deshalb ging er die Kurve etwas langsamer an.
Der Schweiß lief ihm über den nackten Rücken. Es war heiß wie in der Hölle im Führerstand der Lok. Das Feuerloch war geöffnet, und Smithy, der Heizer, schaufelte gerade wieder gemächlich Kohlen hinein. Hinter der Kurve wollte Grawly wieder vollen Dampfdruck aufbauen und schneller fahren.
Smithy hielt in seiner Bewegung inne und stützte sich auf die Schaufel. „Weißt du was, Dan? Diese verdammte Kurve eignet sich einfach perfekt für einen Überfall! Wenn ich einen Trainhit starten wollte, dann hier!“
Grawly tippte sich an die Stirn. „Auf Ideen kommst du, Mann …“
„Man hört so eine ganze Menge von Geschichten. Den Rothäuten passt die neue Strecke nicht, und die Geldtransporte locken auch eine Menge Gesindel an! Vielleicht hat man diese Kurve sogar extra so angelegt, damit Banditen eine Chance haben.“ Er lachte meckernd und bückte sich, um die Feuerluke zu schließen.
„Spinner“, sagte Grawly.
Im gleichen Moment krachte es in der Kurve, gerade zweihundert Yards weiter vorn!
Es ging alles blitzschnell. Grawly riss die Augen auf und sprang ans rechte Frontfenster. Er sah Rauchwolken und Feuer über dem Schienenstrang. Sofort riss er am Bremshebel und ließ Dampf ab. Der Druck wurde den stampfenden Kolben nicht mehr zugeführt. Die Bremsen fassten und ließen die großen Eisenräder blockieren. Das Metall schrillte nervenzerfetzend, als Eisen auf Eisen schleifte. Grawly öffnete alle Ventile, um weiteren Druck abzulassen. Die Wagen bremsten jetzt mit.
Aber obgleich er die Kurve langsam angegangen war, war der Zug immer noch zu schnell. Die insgesamt sechs Wagen drückten mit ihrer Masse gegen die Lok und schoben sie einfach weiter.
Smithy brüllte wütend auf. Durch den ersten Bremsdruck wäre er fast ins Feuerluk gestürzt. Er hatte sich gerade noch abgefangen und schlenkerte jetzt wild die linke Hand, die Brandblasen aufwies. „Heiß“, brüllte er. „Schweinerei, verdammte! Was machst du für einen Mist?“ Er versetzte der Luke einen Tritt. Sie flog herum und rastete ein.
„Da hat‘s gekracht, Mann“, schrie Grawly ihm über das Heulen der Dampfventile und das schrille Kreischen der Räder zu. „Bist du als Prophet immer so gut?“
Jetzt starrte auch Smithy erschrocken aus dem anderen Frontfenster. Seine Brandblasen vergaß er sofort. Seine Augen weiteten sich.
Unter der sich senkenden schwarzgrauen Staub und Qualmwolke gähnte ein großes Loch im Schotterbett des Bahndamms. Die Schienen waren zerrissen und verbogen und führten jetzt ins Leere. Da musste eine ganze Menge Sprengstoff gezündet worden sein. Grawly biss sich die Lippen blutig. Er konnte nur hoffen, dass der Bremsweg noch reichte.
Er reichte nicht.
Die Lok hatte immerhin noch mehr als Schrittgeschwindigkeit, als sie unaufhaltsam über die Explosionsstelle hinweggedrückt wurde. Sie kippte zur Seite weg. Der Schotterdamm war gut zwei Yards hoch aufgeschüttelt gewesen. Das reichte.
Smithy schrie gellend, gelähmt vor Angst.
Grawly wunderte sich, warum er alles so kalt hinnahm. Als die Lok sich schräg legte, schnellte er sich zur anderen Seite, während Smithy an ihm vorbeitaumelte. Grawly streckte den Arm aus, um ihn festzuhalten, bekam ihn aber nicht mehr zu fassen.
„Raus!“, brüllte er.
Die kippende Lok zog den Tender mit. Die Kupplung sprang auf. Grawly versuchte die Tür aufzustoßen. Er schaffte es, und es gelang ihm auch noch, sich halb nach draußen zu stemmen. Dann kippte die Lok endgültig. Der Tender rutschte in den Sprengkrater, und der Gepäckwaggon lief auf. Er kippte bedächtig zur anderen Seile weg. Die Lok rollte seitwärts vom Bahndamm herunter. Der Kessel platzte. Eine gewaltige Explosion zerfetzte die wuchtige Maschine. Die beiden Männer im Führerstand hatten nicht die geringste Chance.
In den Personenwagen brach das Chaos aus. Menschen schrien durcheinander. Kinder weinten. Die Fahrgäste wurden teilweise von ihren Sitzen geschleudert. Chris Shecker bat murmelnd um Verzeihung, weil er der ihm gegenübersitzenden reizenden Lady fast auf den Schoss geschleudert worden wäre, und warf einen Blick aus dem Fenster. Mit einem letzten Ruck kam jetzt auch der letzte Wagen zum Stehen.
„Der Schienenstrang ist gesprengt wor …“
Er brach mitten im Wort ab, als die nächste, noch stärkere Explosion aufbrüllte. Vorn flog die Lok unter dem Dampfdruck des zerplatzenden Kessels auseinander. Heiße Trümmerstücke sirrten durch die Luft. Einige schlugen in Dächer und Flanken der Wagen ein. Fensterscheiben zerplatzten einfach. Shecker sah nur noch eine graue Wolke aus Dampf, Rauch und darunter züngelnde Flammen. Er war blass geworden.
Ein Überfall!, durchzuckte es ihn. Aber warum? Wurde mit dem Zug Geld oder Gold befördert?
Da kamen die Männer.
Sie erhoben sich hinter Felsblöcken und Büschen und rannten auf den Zug zu. In ihren Händen blitzten Waffen. Schüsse krachten. Kugeln jagten durch die Zugfenster herein. Menschen warfen sich in Deckung. Auch Chris Shecker ließ sich fallen. Unwillkürlich glitt seine Hand zum Revolver. Aber noch zögerte er. Was ging ihn dieser Überfall eigentlich an, wenn es den Banditen um einen Geldtransport ging? Warum sollte er sich dafür in Gefahr bringen? Es gab bestimmt Begleitpersonal, das dafür bezahlt wurde zu kämpfen! Etwas anderes war es, wenn die Banditen darauf aus waren, die Reisenden auszuplündern.
Er sah in der Ferne eine Staubwolke. Da kamen Reiter!
Ein massiger, fast kahlköpfiger Mann stemmte sich aus seinem Sitz hoch. Er trug einen grauen, maßgeschneiderten Anzug. Mit einem heftigen Ruck riss er einen flachen Koffer aus dem Gepäcknetz und öffnete ihn. Die reizende Lady vor Shecker stöhnte erschrocken auf, als sie sah, wie der Graukleidete einen Patronengurt mit Doppelholster aus dem Koffer holte und ihn sich mit schnellen, oft geübten Bewegungen umschnallte.
Das war kein einfacher reicher Geschäftsmann aus dem Osten. Das war ein Revolvermann, der in der Kleidung eines eleganten Stutzers reiste!
Die heranstürmenden Banditen hatten den Zug jetzt erreicht. Durch ihren Feuerüberfall hatten sie erreicht, dass die Menschen verängstigt im Zug blieben.
Der Gepäckwaggon interessierte die Banditen nicht. Sie enterten die Wagen. Auch in diesen stürmten sie herein, gerade als der Graukleidete seinen flachen Koffer schloss.
Sheckers Hand schraubte sich um den Griff seiner eigenen Waffe. Zwei Mann kamen von beiden Seiten zugleich in das Zugabteil. Gewehre in den Händen.
Der Graue mit der Fast-Glatze zog sofort blank und schoss ohne Warnung!
Einer der Bahnräuber wurde von der Kugel zurückgestoßen. Shecker fuhr herum, den Revolver in der Faust, als der zweite Bandit dem Grauen gerade eine Kugel in den Rücken jagen wollte. Der Bandit sah Sheckers Bewegung und feuerte. Shecker spürte einen harten Schlag und kippte der aufkreischenden Lady jetzt doch noch in den Schoss. Genießen konnte er es nicht mehr, weil alles um ihn herum in Schwärze versank.
Er brauchte eine kleine Ewigkeit, bis er wieder zu sich kam. Da krachte es schon wieder ohrenbetäubend. Trümmerstücke und eine Feuerwand rasten auf Shecker zu. Er sah gelbe Blitze, fette schwarze Qualmwolken und prasselndes Feuer. Dann wurde es wieder still. Nur das Prasseln blieb.
Shecker richtete sich mühsam auf. Sein Kopf schmerzte teuflisch, und unwillkürlich tastete er vorsichtig nach der Stelle. Erschrocken starrte er seine blutigen Finger an. Ein Streifschuss hatte ihn erwischt. Sein Schädel dröhnte, und als er sich erhob, spürte er Übelkeit in sich aufsteigen.
Um ihn her stöhnten und schrien Verletzte. Andere hasteten kopflos durcheinander. Daran, den Verletzten zu helfen oder den Abteilwagen zu verlassen, dachte keiner.
„Nach draußen“, schrie Shecker. Er glaubte wenigstens, es zu schreien, aber nur ein heiseres Krächzen kam aus seiner Kehle. Beißender Pulverrauch drang ihm in die Nase. Jemand musste die Wagen gesprengt haben, um sie endgültig unbrauchbar zu machen. Die eiskalte, gnadenlose Brutalität erschreckte Shecker. Es war so sinnlos, auch noch Sprengstoff an den Wagen zu zünden, nachdem bereits die Lok zerstört war!
Er vermisste den Graukleideten.
Schwankend begab er sich zur Tür und beugte sich hinaus. Das Schotterbrett des Bahndamms schien unendlich tief unter ihm zu liegen. Ihm wurde schwindlig. Er sah Männer auf Pferde klettern, und er sah etwas Graues wie einen Mehlsack über einem Sattel liegen. Einer der Bahnräuber wandte sich um, sah Shecker in der Tür und schoss. Shecker warf sich zurück und verlor dabei fast das Bewusstsein. Der Mann, der auf ihn gefeuert hatte, trug einen großen braunen Schlapphut, der sein schmales Gesicht mit der scharfkantigen Nase und den tiefliegenden Augen fast gänzlich verdeckte. Dann jagten die Männer im Galopp davon.
Shecker kletterte vorsichtig nach draußen und besah sich den brennenden Zug. Überall waren Feuer und Hitze. Jetzt endlich, da sich die Banditen davonmachten, kamen die Menschen aus den Wagen und halfen den Verletzten beim Aussteigen.
Da standen sie nun mitten in der Wildnis. Rund sechzig Männer, Frauen und Kinder aus einem voll besetzten Zug. Sie konnten nicht mehr vorwärts und nicht mehr zurück. Sie konnten nur darauf warten, dass der nächste Zug die Unglücksstelle erreichte. Und sie würden ihn rechtzeitig warnen müssen, damit er nicht durch die Kurve in die Trümmer hineinraste!
Shecker hockte sich an die Schotterböschung. Wieder tastete er vorsichtig nach seiner Verletzung. Ihm wurde klar, dass er unverschämtes Glück gehabt hatte. Die Kugel hätte ihn auch töten können, statt ihn nur zu streifen.
Der Mann in Grau mit den beiden Revolvern ging Shecker nicht aus dem Sinn. Die anderen hatten ihn mitgenommen. Tot oder lebendig? Warum? Hatten sie nur seinetwegen den Zug überfallen?
Shecker begriff es nicht. Er wusste nur, dass er den Mann mit dem großen Schlapphut erkannt hatte.
„Mad Dog“ Jake Hicks war wieder da!
2
Charly Wash zügelte seinen Palomino Hengst. Der junge, hochgewachsene Texaner berührte mit dem Zeigefinger der linken Hand den breitrandigen Stetson und schob ihn etwas höher. Er sah voraus, was kommen musste.
Der leichte offene Farmwagen war zu schnell. Der Weg war zu holperig – sofern man ihn überhaupt als Weg bezeichnen konnte und nicht nur als breite Spur durchs Gelände. Es konnte nicht gutgehen.
Und es ging nicht gut. Charly hatte sich nur um eine Viertelmeile verschätzt. Etwas später als erwartet begann der Wagen zu tanzen, geriet mit einem der Räder in eine Bodenunebenheit, und das Rad brach. Der Wagen kippte, setzte holpernd auf und stürzte dann um. Charly sah eine Gestalt durch die Luft fliegen. Die beiden vorgespannten Pferde gingen durch, als die Deichsel brach und die Leinen rissen.
Rio Grande Charly gab seinem Palomino die Sporen. Er ritt den Hügel hinunter und preschte auf die Unglücksstelle zu. Die durchgegangenen Pferde zu verfolgen und einzufangen war nicht so wichtig – unter Umständen kamen die von selbst zurück, wenn sie ihren Schrecken überwunden hatten und es ihnen zu langweilig wurde. Wichtiger war es, nach dem Fahrer zu sehen.
Charly hielt den Palomino neben der Gestalt an, deren Sturz von einem dürren Strauch halbwegs aufgefangen worden war. Er glitt aus dem Sattel und kniete sich neben der Gestalt nieder.
Leise pfiff er durch die Zähne. Von seinem Posten oben auf der Hügelkuppe hatte er nicht erkennen können, dass es sich um eine junge Frau handelte, ein Mädchen noch. Sie war höchstens achtzehn Jahre jung, schätzte Charly. Sie trug Stiefel, Hosen und ein buntes Männerhemd, und das dunkle Haar hatte sie so zusammengebunden, dass es bequem unter den Hut gepasst hatte, der jetzt ein paar Schritte von ihr entfernt im Gras lag.
„Pfeifen Sie eigentlich jedem Mädchen nach?“, fragte sie zu Charlys Überraschung. Verblüfft starrte er in die Mündung eines Derringers. „Zurück, Mister! Wenigstens fünf Schritte!“
Unwillkürlich hob er die Hände, richtete sich auf und tat ihr den Gefallen. Er stieß an den beschädigten und umgestürzten Wagen und sah, wie das Mädchen sich mit einer geschmeidigen Bewegung erhob. Der Sturz schien ihr nicht geschadet zu haben. Und woher sie den Derringer gezaubert hatte, blieb Charly ein Rätsel.
„Wer sind Sie, Mister?“, fragte sie scharf.
„Charly Wash vom Rio Grande“, sagte er. Grüßend tippte er an seine Hutkrempe. „Und mit wem habe ich das Vergnügen, Miss? Sie können die Waffe ruhig wegstecken. Ich will Ihnen nichts tun. Im Gegenteil, ich wollte sehen, ob ich helfen kann.“
Sie steckte die Waffe nicht wieder ein, ließ sie aber wenigstens sinken. „Ich bin Julie Culver. Es treibt sich eine Menge Gesindel hier herum, Wash. Wer sagt mir, dass ich Ihnen trauen kann? Vielleicht haben Sie nur darauf gewartet, dass ich einen Unfall habe!“
Charly lachte leise. „Richtig, Miss Culver. Niemand sagt Ihnen, ob ich es ehrlich meine oder nicht. Darf ich den Beweis antreten?“
Sie nickte knapp.
„Okay. Dann versuche ich die beiden Gäule wieder einzufangen, ja? Anschließend richten wir den Wagen wieder auf, und vielleicht bekomme ich auch das Rad wieder hin.“ „Können Sie so etwas denn?“
„Ich bin zwar kein Stellmacher, aber auf der Ranch meiner Eltern habe ich eine Menge gelernt. Bleiben Sie brav hier. Miss, und passen Sie gut auf sich auf. Es treibt sich eine Menge Gesindel hier herum.“
Sie lief rot an, als sie ihre eigenen Worte von vorhin aus seinem Mund hörte, sagte aber nichts. Charly schwang sich wieder in den Sattel und ritt in die Richtung, in der die beiden Zugpferde davongehetzt waren.
Das Mädchen war verteufelt hübsch mit den rehbraunen Augen und dem süßen Stupsnäschen. Charly hoffte, dass Julie Culver sich etwas zugänglicher zeigen würde, wenn er mit den Pferden zurückkehrte. Ob sie deshalb so schnell gefahren war, weil sie allein war und sich „eine Menge Gesindel hier herumtrieb“? Möglich war es schon. Dass sie verfolgt wurde, schloss Charly aus – Verfolger hätte er schon von Weitem erkennen können.
Er fragte sich, ob das Mädchen auch so gut küsste, wie es Pistolen aus dem Nichts zauberte.
„Vorsicht, Charly Wash“, murmelte er. „Ganz vorsichtig. Nicht, dass du dich an der Lady verbrennst.“
Nach einer Weile sah er die Pferde, die ruhig beisammen standen und sich am Präriegras gütlich taten. Sie scheuten zwar etwas vor ihm. aber er fing sie schließlich ein und brachte sie zum Wagen zurück. Dort hatte sich Julie Culver in den Schatten gehockt und sprang jetzt auf, als sie den Hufschlag hörte.
Anerkennend nickte sie. „Na, dann versuchen Sie mal Ihr Glück an dem Wagen.“
Charly verzichtete auf einen Kraftakt. Er befestigte sein Lasso an der Wagenkante und am Sattelhorn und ließ seinen Schwarzen ziehen. Minuten später stand der Wagen wieder auf seinen nur noch drei Rädern. Charly löste das Lasso und besah sich dann den Schaden. Ohne Werkzeug konnte er das Rad nicht mehr richten. „Pech“, gestand er schulterzuckend. „Ich könnte es wohl, aber nicht mit den blanken Händen, Miss Culver. Gehören Sie eigentlich zur Culver-Ranch?“
Sie hob die Brauen. „Sie wissen davon?“
„Wenn ein Rancher den Mut hat, sich am Rande des Indianergebiets niederzulassen, spricht sich das schnell herum“, antwortete Charly.
„Ja“, dehnte sie. „Wenn Sie schon darauf zu sprechen kommen … Sind Sie an einem Job interessiert, Wash?“
„Hm. Nicht besonders“, gestand er. „Sagen Sie nicht, Sie hätten da etwas für mich.“
„Doch“, sagte sie. „Dad kann Männer wie Sie gebrauchen. Sie haben Verstand, Sie scheinen etwas zu können, und vor allem packen Sie schnell und ungefragt zu. Das ist gut. Solche Leute brauchen wir.“
Charly lachte leise. „Vorhin haben Sie mich noch in die Mündung blicken lassen.“ Er versuchte die Waffe an ihr zu erkennen, fand sie aber nicht. Sollte der Derringer im Stiefelschaft stecken?
Ihre Augen funkelten, und er glaubte noch etwas anderes darin zu sehen als nur das Angebot, auf der Ranch ihres Vaters zu arbeiten. Er wunderte sich darüber nicht. Er war der Typ, auf den die Mädchen flogen. Und er würde dumm gewesen, es nicht auszunutzen.
Aber eine feste Arbeit auf einer Ranch … nein, das ging nicht. Er ritt als Marshal für Richter Parker und konnte keine feste Anstellung annehmen. Und wenn er als Weidereiter hätte arbeiten wollen, hätte er es auf der Kreuzbalken-Ranch unten am Rio Grande bei seinen Eltern einfacher haben können.
„Sind Sie sicher, dass die Ranch einen weiteren Mann ernährt?“, fragte er. „Man munkelt, die Culver-Ranch stände gar nicht gut da. Mit einem Wort: Der Bankrott droht.“
Sie senkte den Kopf. „Es stimmt“, gestand sie. Dann sah sie Charly wieder an. „Aber es wird anders, schon bald. Dad wird Geld bekommen. Zahlungen werden fällig, und dann geht es wieder aufwärts. Wenn Sie also Angst haben, dass Sie Ihren Lohn nicht erhalten, Wash, kann ich Sie beruhigen …“
„Darum geht es mir nicht“, wehrte er ab. „Ich will mich nur noch ein wenig im Land umsehen, verstehen Sie?“
Sie seufzte. „Wie Sie wollen, Wash. Aber begleiten Sie mich in die Stadt?“
Er grinste. „Wegen des Gesindels, das sich hier herumtreibt?“
Sie lachte. „Auch, Charly Wash“, sagte sie. „Aber ich möchte Sie meinem Vater vorstellen. Er war vorausgeritten, um einige geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Ich war auf dem Weg zu ihm.“
„Ich wollte sowieso in die Stadt“, sagte er. „Was passiert mit den Pferden und dem Wagen?“
„Die Pferde nehmen wir mit in die Stadt, der Wagen muss ja wohl hier bleiben. Ein paar Männer von der Ranch werden ihn morgen holen. Schade … jetzt müssen wir die Einkäufe den Pferden aufladen, statt sie mit dem Wagen transportieren zu können.“
Rio Grande Charly sah sie an. „Gut. Steigen Sie bei mir mit auf?“
„Weshalb?“ Mit einem schnellen Sprung war sie auf dem ungesattelten Rücken eines der beiden Zugpferde und trieb es an.
„Ja dann“, murmelte Charly und folgte ihr.
3
In Ryker‘s Saloon in Fort Smith gab es das frischeste Bier, den besten Whisky, die hübschesten Mädchen und die jüngsten Gerüchte – Reihenfolge beliebig. Und vor allem war der Saloon sauber, was man durchaus nicht von jedem anderen ähnlichen Etablissement sagen konnte. Hin und wieder war deshalb auch Jeremias Wolfe hier zu finden, wenn er zwischen zwei Aufträgen in Fort Smith weilte.
Der schwarz gekleidete graubärtige Mann mit dem Aussehen eines Totengräbers wurde rechts und links von zwei hübschen Saloongirls flankiert, denen recht warm sein musste, wenn man von ihrer luftigen Kleidung ausging. Die Mädchen wussten wohl, dass sie bei Wolfe keine Geschäfte machen konnten, aber da der Betrieb um diese Tageszeit eher mäßig war, hatte niemand etwas dagegen, dass sie sich ein wenig zu ihm setzten, um mit dem alten Fuchs zu plaudern.
Wolfe stellte fest, dass sein erstes Bier leer war, sah zum Tresen hinüber und streckte die Faust hoch, einen einsamen Finger hochgereckt. Der alte Ryker, der heute selbst hinter dem Tresen stand, grinste. „He, was hast du da gerade bestellt, Jeremy? Fünf Bier für die Jungs vom Sägewerk?“
Die Mädchen prusteten los. Jeremias Wolfe schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Schäm dich und zapf, Montgomery!“, rief er zur Theke hinüber.
An einer der Wände hingen Steckbriefe. Anderswo wurden sie am Sheriffs Office oder am schwarzen Brett angeschlagen, hier bat sich Ryker auch immer einige Exemplare aus. „Ich sammle“, behauptete er dazu. „Eines Tages werden die vielleicht mal gesuchte Raritäten. Und wenn ich sie dann verkaufe, bin ich ein reicher Mann.“
„Wer außer dir könnte noch so verrückt sein, Steckbriefe zu sammeln – und auch noch Geld dafür zu bezahlen?“, hatte Wolfe kopfschüttelnd gefragt, aber Ryker bekam seine Steckbriefe. Wolfe sah, dass an einem ein handschriftlicher Zusatz angefügt war, aber auf die Entfernung konnte er nicht lesen, was dort geschrieben stand. Als Ryker heranschlurfte, um das Bierglas auf den Tisch zu stellen, erkundigte Wolfe sich danach.
Ryker zog sich einen Stuhl heran und ließ sich umständlich darauf nieder. „Ach, das ist Mad Dog“‘, sagte er. „Er hat sich wieder aus seinem Fuchsbau gerührt und oben in Kansas die Santa Fe Pacific Railroad überfallen. Ein ganzer Zug ist total zerstört worden, es hat Verwundete und Tote gegeben. Mad Dog bleibt seinem Ruf treu. Es wird Zeit, dass ihm einer das Handwerk legt. Aber der Kerl ist schlau.“
„Wieso hängt sein Steckbrief hier in Fort Smith, wenn er oben in Kansas den Überfall begangen hat?“
„Da musst du den Richter fragen“, sagte Ryker. „Man munkelt, die Bande hätte sich nach Oklahoma verkrümelt. Wohin sonst, klar, wie? Nirgendwo sind ihre Chancen so groß, nicht gefunden zu werden, wie im Territorium.“
Wolfe schürzte die Lippen. „Wie viel hat er erbeutet?“
„Nichts“, sagte Ryker. „Zumindest, wenn man den Erzählungen glauben darf.“
„Nichts?“
„Absolut nichts. Kein Raub … nur dieser verdammte, sinnlose Überfall. Keiner weiß, was der Kerl sich davon versprochen hat. Vielleicht hat er geglaubt, es würde Gold transportiert oder was weiß ich. Aber wer kann schon in Mad Dogs Schädel blicken und sehen, was da für krause Gedanken entstehen?“
„Woher hast du eigentlich immer deine Informationen?“, fragte Wolfe.
„Betriebsgeheimnis“, grinste Ryker. Er erhob sich, weil ein anderer Gast ein frisches Bier bestellte. Damit war die Unterhaltung beendet.
Wolfe nahm einen großen Schluck und wischte sich dann den Schaum vom Mund. Von „Mad Dog“ hatte er schon einige Male gehört. Jake Hicks wurde so genannt, weil er bei seinen Überfällen wie ein tollwütiger Hund um sich schoss und keine Rücksicht kannte. Seine Überfälle führte er generalstabsmäßig geplant durch. Mit einer Bande, deren Kopfzahl nicht bekannt war, schien er sich auf Eisenbahnüberfälle spezialisiert zu haben. Zumindest wusste man nichts über andere Straftaten, oder sie verblassten gegen die Bahnüberfälle. Soweit Wolfe wusste, musste dieser Überfall jetzt das halbe Dutzend vollmachen. Stets hatte Hicks gründlich abgeräumt. Er schlug zu, wenn niemand mit ihm rechnete und wenn es fette Beute gab. Dass er diesmal ohne Beute abgezogen sein sollte, konnte Wolfe sich einfach nicht vorstellen. Das passte nicht zu „Mad Dog“. Er musste sich bei seinen Überfällen eine gute Million Dollar zusammengeraubt haben, und auch wenn er sie mit seinen Leuten teilte, blieb für den einzelnen immer noch mehr übrig, als ein braver Cowboy oder ein ehrlicher Marshal sein ganzes Leben lang verdiente.
„Muss doch mal den Richter fragen, was sich da abgespielt hat“, brummte Wolfe. „Vielleicht weiß der Sir mehr.“
Eine Stunde später wusste auch Wolfe mehr.
Es hatte einen halben Tag gedauert, bis der Gegenzug die Stelle des Überfalls erreichte, und dann noch einmal so lange, bis von Garden City aus ein Aufgebot in Marsch gesetzt worden war, das die Spur aufnahm. Sie führte nach Süden, und dort, wo der Cimarron River seine Nordschleife nach Kansas hinein macht, waren die Banditen über die Grenze nach Oklahoma gegangen. Sheriff Taylor hatte sich mit seiner Posse noch eine gehörige Strecke weit ins Oklahoma Territorium hineingewagt, die Spur dann aber verloren. Es war wie immer – die Verfolgung von „Mad Dog“ und seiner Bande schießwütiger Halunken musste ergebnislos abgebrochen werden.
„Und nun stecken die Outlaws wahrscheinlich irgendwo in einem verborgenen Schlupfwinkel. Spüren Sie sie auf, Wolfe.“
Jeremias Wolfe zuckte hilflos mit den Schultern. „Einfach gesagt, Sir, und schwer getan. Gibt es denn keine Anhaltspunkte?“
„Keine. Aber vielleicht hat Wash etwas erfahren. Der müsste derzeit irgendwo oben am Cimarron stecken. Reiten Sie hin, treffen Sie sich mit ihm, arbeiten Sie zusammen. Zu zweit müssten Sie es doch schaffen, Mad Dog zu erwischen.“
Wolfe nickte. Es war fast unmöglich. Aber jeder Auftrag, den sie von Richter Isaac Charles Parker erhielten, war fast unmöglich durchzuführen. Oklahoma erstreckte sich über annähernd hunderttausend Quadratmeilen ungezähmtes Land. Ein Land ohne Gesetz mit tausend Schlupfwinkeln, die niemand kannte. Genug, um sich ein ganzes Leben lang erfolgreich versteckt halten zu können. Und mit einer fast lächerlich kleinen Truppe von rund dreißig Marshals versuchte Richter Parker aus Fort Smith, in diesem riesigen Territorium dem Gesetz Geltung zu verschaffen!
„Ein Mann namens Chris Shecker hat Mad Dog Hicks eindeutig erkannt“, fuhr Parker fort. „Woher er ihn kannte, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es hätte seiner Aussage nicht einmal bedurft. Die brutale Art des Überfalls spricht für Hicks. Er hat wie wild gesprengt und geschossen. Dabei befand sich im Zug nichts, was einen Überfall gelohnt hätte. Früher hat er immer Beute gemacht, diesmal nicht. Das bestürzt mich, Wolfe. Er wusste immer genau, wo etwas zu holen ist. Warum schlägt er dann diesmal so sinnlos zu?“
„Er hat nicht einmal die Leute im Zug ausgeraubt?“
Parker schüttelte den Kopf. „Nichts. Shecker behauptete nur, ein Mann sei mit den Banditen verschwunden. Ein grau gekleideter Stutzer aus dem Osten mit zwei Revolvern im Gepäck. Die Banditen hätten auf ihn geschossen und ihn verschleppt. Eine Frau behauptete, der Mann sei getötet und dann mitgenommen worden. Aber es ergibt für mich keinen Sinn. Entführung passt nicht zu Hicks. Er ist auf Geld und Gold aus. Mit Entführungen gibt er sich nicht ab.“
„Vielleicht war er es doch nicht sondern jemand, der seinen abartigen Stil nachahmte, um den Verdacht auf Hicks zu lenken.“
„Kaum jemand wird soviel Skrupellosigkeit aufbringen, nach dem Überfall noch Sprengladungen an jedem Wagen zu zünden! Nein, Wolfe, das war der tolle Hund, wie er leibt und lebt. Ein Teufel in Menschengestalt. Suchen Sie ihn. Selbst wenn Sie ihn nicht finden sollten, ist es den Versuch wert. Wer weiß, wann er wieder zuschlägt!“
„Vielleicht sollte man ihn ködern“, sagte Wolfe. „Ist das noch nie versucht worden? Ihm die Information zuspielen, dass ein wertvoller Goldtransport unterwegs ist, und wenn er zuschlägt, läuft er in die Salven der Begleitmannschaft …“
Parker schüttelte den Kopf.
„Das Risiko ist mir zu groß“, sagte er. „Bei jedem anderen Banditen würde ich diese Falle befürworten, nicht aber bei Mad Dog. Niemand weiß, woher er seine Informationen holt. Er muss außerdem krank im Hirn sein, sonst könnte er nicht so brutal zuschlagen.“
„Wohin hat er sich früher zurückgezogen?“
„Stets woanders. Er schlägt auch immer in einem anderen Staat zu – deshalb gibt es ja auch fast überall seine Steckbriefe“, sagte Parker. „Ein Jahr lang hatte er jetzt Ruhe gehalten, und wir atmeten auf. Aber nun ist er wieder da. Finden Sie ihn, Wolfe.“
„Ich versuch‘s, Sir“, sagte der hagere Marshal. Aber große Hoffnungen machte er sich nicht.
Am Anfang der Stadt erhob sich ein großes Holzschild und begrüßte den Reisenden in Wayndka mit seinen rund dreihundertzwanzig Einwohnern. Rio Grande Charly fragte sich ernsthaft, ob in dieser Zahl auch Hunde, Katzen und Hühner eingeschlossen waren. Wayndka, nur ein paar Meilen von einer Flussschleife des Cimarron entfernt, erwies sich als eine der Ortschaften, die Jeremy Wolfe spöttisch als „vier Häuser und fünf Spitzbuben“ einstufte. Immerhin besaß die Stadt zwei Straßen und somit fast zwangsläufig auch eine Kreuzung. Die Eckhäuser waren ein Saloon, dessen Fassade wahrscheinlich größer war als das eigentliche Haus, der General Store, das Sheriffs Office sowie ein Gebäude, dessen riesiges Schild es als Bank von Oklahoma auszeichnete. Zugleich hatte hier der Posthalter von Wayndka sein Büro. Aber Charly konnte weder eine Telegraphenleitung entdecken, noch war ihm geläufig, dass eine Postkutschenlinie durch Wayndka führte. Vermutlich ritt einmal in der Woche der Posthalter zur nächsten größeren Stadt, wo er gesammelte Briefe ablieferte und Post für die Leute von Wayndka und Umgebung mitnahm.
Die Stadt lag ruhig da. Eigentlich hatte Charly erwartet, ein paar Leute auf der Straße zu sehen, spielende Kinder zwischen den Häusern, ein paar pfeiferauchende Männer auf den Bänken auf den Gehsteigen, Frauen mit Einkaufskörben … nichts. Nur ein halbes Dutzend Hühner bewegte sich am Ortsrand, misstrauisch beäugt von einer rotgestreiften Katze.
„Ist das eine Geisterstadt?“, fragte Charly kopfschüttelnd. Da sah er ein paar Pferde, die vor der Bank angebunden waren. Wenigstens ein kleines Lebenszeichen. Als sie die Kreuzung erreichten, sah er einen offenen Buggy mit vorgespanntem Pferd, aber vom Besitzer war nichts zu entdecken.
„Die meisten Leute dürften draußen auf den Feldern sein“, erklärte Julie Culver. „Sie haben alle ein wenig Land, das sie bestellen. Anders könnten sie in diesem verlorenen Städtchen kaum leben. Zumindest jetzt noch nicht. Ein paar haben wohl gehofft, hier Öl zu finden, und die anderen zogen im Gefolge mit, aber Öl gibt es hier nicht. Das findet man wahrscheinlich nur weiter südlich.“
„Wie weit draußen liegt Ihre Ranch eigentlich?“, fragte Charly und brachte den Palomino zum Stehen. „Farmland bei der Stadt und Rinderzucht vertragen sich eigentlich nicht so gut.“
„Wir lassen die Rinder zur anderen Seite hin weiden. Die Ranch ist etwa zehn Meilen entfernt.“
„Wir haben uns also auf halbem Weg getroffen“, sagte er.
„Da steht Dads Pferd. Er wird noch in der Bank sein“, sagte sie. „Ich schaue mal nach.“ Sie sprang vom Pferd, leinte die beiden Tiere am Hitchrack an und stieg auf den Stepwalk hinauf. Charly sah sie in der Bank verschwinden.
Weshalb bin ich eigentlich mitgekommen?, fragte er sich.
Sie wollte ihn ihrem Vater vorstellen und hatte die Hoffnung offenbar nicht aufgegeben, ihn als Cowboy für die Ranch zu gewinnen. Soweit Charly wusste, war die Culver-Ranch hoch verschuldet und stand kurz vor der Versteigerung. Vermutlich gehörte sie inzwischen so gut wie gänzlich der hiesigen Bank. Falls Mr. Culver vorhatte, wegen eines Kredites zu verhandeln, würde er wahrscheinlich Pech haben.
Charly zuckte mit den Schultern. Er wusste nicht, wodurch Culver sich verschuldet hatte, und es ging ihn auch nichts an. Julie war ihm zwar sympathisch, aber er war nicht so überwältigt von ihr, dass er sich ihretwegen für längere Zeit hier festlegen ließ. Sein letzter Auftrag war zwar erledigt, aber das war kein Grund, sich auszuruhen. Richter Parker brauchte ihn, und noch mehr brauchten ihn die Menschen, die unter Bandenterror und Unrecht zu leiden hatten.
Er glitt ebenfalls aus dem Sattel und leinte sein Tier an. Unschlüssig stand er einen Moment da und wandte sich dann dem Saloon zu. Seine Kehle war trocken, und er wollte den Staub ein wenig wegspülen. Julie Culver würde ihn schon zu finden wissen, wenn sie ihn suchte.
Er hatte die Straße noch nicht ganz überquert, als das Mädchen wieder ins Freie trat. „Er ist nicht hier“, hörte Charly sie verwundert ausrufen.
Im gleichen Moment öffnete sich die Pendeltür des Saloons. Zwei Männer in staubiger Reitkleidung kamen heraus. Sie stutzten auffallend, als sie Charly und das Mädchen sahen, gingen dann aber hastig weiter.
Charly hatte sich angewöhnt, selbst auf Kleinigkeiten zu achten. Die beiden Männer hatten seiner Meinung nach etwas zu verbergen. Sie wollten nicht gesehen werden. Kannten sie Charly? Er konnte sich nicht erinnern, den beiden jemals begegnet zu sein.
Vielleicht aber kannten sie Julie Culver und wollten von der Tochter des Ranchers hier nicht gesehen werden?
Charly drehte sich zu Julie um. Aber sie reagierte nicht auf die beiden, sondern kam über die Straße zu Charly. „Er war nicht in der Bank“, wiederholte sie. „Das verstehe ich nicht. Er ist doch in die Stadt geritten, weil er ein Geschäft abschließen wollte …“
„Vielleicht ist er drüben“, sagte Charly und wies auf den Store. „Auch dort schließt man Geschäfte ab.“
„Dort kauft man ein“, verbesserte Julie.
„Auch das“, gestand Charly zu. „Aber das wollten Sie doch auch, oder? Deshalb hatten Sie es doch mit dem Wagen so eilig. Eigentlich seltsam. Ihr Vater reitet voraus und lässt Sie allein fahren … dabei hätten Sie doch auch zusammen im Wagen fahren können.“
„Ich hatte noch im Haus zu tun“, widersprach sie. „Und Dad sagte, es würde bei ihm länger dauern … seit Mutter tot ist, gibt es eine Menge für mich zu tun, und … sagen Sie mal, Wash, warum müssen wir uns hier mitten auf der Straße darüber unterhalten? Was geht Sie das überhaupt an?“
„Kennen Sie die beiden Männer, die eben aus dem Saloon kamen?“, fragte Charly, ohne auf ihre Worte einzugehen.
„Nein … was soll das eigentlich? Was fällt Ihnen ein, mich so auszufragen?“
Er zuckte mit den Schultern. „Neugierde.“
„Wo wollen Sie jetzt hin, Wash?“
Er deutete auf die Pendeltüren. „Da hinein. Ich trinke ein Bier, frage, ob es hier irgendwo ein Zimmer für mich gibt. Wenn nicht, reite ich weiter.“
„Sie können bei uns auf der Ranch übernachten“, bot sie an.
Rio Grande Charly hob die Brauen. „Lieber nicht“, sagte er. „Dann müsste ich ja wieder das ganze Stück zurückreiten.“
Details
- Seiten
- 110
- Jahr
- 2021
- ISBN (eBook)
- 9783738952759
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2021 (März)
- Schlagworte
- railroad-trick